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„Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt

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Angstzustände wie<strong>der</strong> breit machen, wenn die Abwehr zusammenbricht, die Gefahr, dass die<br />

vergangene Realität über e<strong>in</strong>en h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>bricht und alle psychische Struktur wie<strong>der</strong> zu<strong>nicht</strong>e<br />

macht.<br />

So o<strong>der</strong> so: Angst beherrscht alles. Die Angst ist <strong>der</strong> Motor <strong>der</strong> Abwehr und die Angst ist<br />

auch das, was beim auch nur zeitweiligen Zusammenbruch das Subjekt überflutet, es wie<strong>der</strong><br />

<strong>in</strong> die unerträgliche Situation <strong>der</strong> absoluten Hilflosigkeit br<strong>in</strong>gt.<br />

Wie sich die Auswirkungen <strong>der</strong> <strong>Folter</strong> weiter entwickeln, ist offen. Traumatisierungen s<strong>in</strong>d<br />

prozesshaft, sie enden, wie wir gesehen haben, <strong>nicht</strong> mit dem Ende <strong>der</strong> <strong>Folter</strong> und <strong>der</strong><br />

Traumaprozess ist selbst wie<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Situation abhängig, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die Traumatisierten leben.<br />

Die e<strong>in</strong>zige Möglichkeit, e<strong>in</strong>en wirklichen Umgang mit dem Erlebten zu f<strong>in</strong>den, ist <strong>der</strong><br />

Versuch, das Geschehene zu symbolisieren, die Sprache wie<strong>der</strong>zuf<strong>in</strong>den, die e<strong>in</strong>em <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Folter</strong> genommen wurde. In Kathar<strong>in</strong>a Booz’ Film „...h<strong>in</strong>ter verschlossenen Türen“ berichtet<br />

e<strong>in</strong> Frau, die jahrelang <strong>in</strong> Isolationshaft lebte und gefoltert wurde, wie ihr e<strong>in</strong>e Nadel, mit <strong>der</strong><br />

sie Buchstaben <strong>in</strong> die Wand ritzen konnte, geholfen hätte, ihre Sprache und damit ihr<br />

Bewusstse<strong>in</strong> und ihre Er<strong>in</strong>nerungen wie<strong>der</strong>zuf<strong>in</strong>den. Gegen die Passivität <strong>der</strong> absoluten<br />

Hilflosigkeit gibt es nur die Aktivität des Verarbeitungs- und Symbolisierungsprozesses, <strong>der</strong><br />

das Geschehene zeitlich und räumlich ordnet und die im Schmerz nur noch fragmentarisch<br />

wahrgenommenen Realitätsfetzen zu e<strong>in</strong>em verstehbaren Ganzen zusammenfügt.<br />

E<strong>in</strong>e wichtige äußere Voraussetzung dafür ist e<strong>in</strong> Raum <strong>der</strong> Sicherheit, <strong>in</strong> dem es<br />

Bezugspersonen gibt, die zuhören, die Hilfe leisten. Erst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen Raum <strong>kann</strong> die<br />

Stimme wie<strong>der</strong>gefunden <strong>werden</strong>, <strong>kann</strong> die traumatisierte Person sich aufs Glatteis wagen und<br />

die immer wie<strong>der</strong> überwältigenden Er<strong>in</strong>nerungen zulassen, um sie zu verarbeiten. Dieser<br />

sichere Raum darf aber <strong>nicht</strong> nur e<strong>in</strong> privater se<strong>in</strong>. Der Gefolterte muss die Garantie haben,<br />

dass er <strong>nicht</strong> noch e<strong>in</strong>mal gefoltert wird, dass die Täter ihn <strong>nicht</strong> noch e<strong>in</strong>mal ergreifen<br />

können. Das hat e<strong>in</strong>e wichtige gesellschaftspolitische Konsequenz: Gefolterten Flüchtl<strong>in</strong>gen<br />

muss die Garantie gegeben <strong>werden</strong>, dass sie <strong>nicht</strong> wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> ihr Heimatland zurückverfrachtet<br />

<strong>werden</strong>, <strong>in</strong> dem sie erneut <strong>der</strong> <strong>Folter</strong>-Gefahr ausgesetzt s<strong>in</strong>d.<br />

Aber die erfor<strong>der</strong>liche Sicherheit muss noch weitergehen: Das Vertrauen <strong>in</strong> die <strong>Welt</strong> muss<br />

wie<strong>der</strong>gewonnen <strong>werden</strong> können. Dies ist nur möglich dadurch, dass erstens den Gefolterten<br />

Glauben geschenkt und ihr Leid aner<strong>kann</strong>t wird und <strong>nicht</strong> – wie dies gerade bei Flüchtl<strong>in</strong>gen<br />

oft <strong>der</strong> Fall ist – erst e<strong>in</strong>mal <strong>der</strong>en Glaubwürdigkeit bezweifelt wird. Nichts ist für den<br />

Traumaprozess verheeren<strong>der</strong> als die erneute Situation von Hilflosigkeit gegenüber den<br />

staatlichen Agenturen des Exillandes, die vergangene Ängste wie<strong>der</strong> hervorbr<strong>in</strong>gt,<br />

retraumatisierend wirkt. Die gesellschaftliche Anerkennung des erfahrenen Leids stabilisiert<br />

auch das Vertrauen <strong>in</strong> die eigene Wahrnehmungsfähigkeit wie<strong>der</strong>: Sie bestätigt den<br />

Betroffenen, dass das, was sie erlebt haben, tatsächlich stattgefunden hat.

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