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Welches Risiko hält Sie nachts wach?<br />
Marren: Für mich ist es wieder kein einzelnes Risiko.<br />
Alles, was uns daran hindern könnte, unseren Betrieb<br />
aufrechtzuerhalten, treibt mich um. Wir bemühen<br />
uns, auf alle denkbaren Szenarien vorbereitet zu sein.<br />
Als Biopharmaunternehmen müssen wir immer bedenken,<br />
dass ein Vorfall in einem unserer Werke nicht<br />
nur Auswirkungen auf unseren Geschäftserfolg hat,<br />
sondern auch gesundheitliche Folgen für mehrere<br />
Tausend Patienten haben könnte.<br />
Carter: Meine größte Sorge sind Naturkatastrophen.<br />
Denn diese können potenziell riesige Schäden verursachen.<br />
Es geht nicht um einen möglicherweise großen,<br />
aber dennoch irgendwo begrenzten Schaden an einer<br />
Produktionsstätte. Es geht vielmehr um ganze Regionen<br />
und Branchen, die in unserer stark globalisierten<br />
und vernetzten Wirtschaft durch ein einziges Ereignis<br />
in Mitleidenschaft gezogen werden können.<br />
„Handeln Sie so, als<br />
hätten Sie keine Versicherung<br />
im Rücken.<br />
Das zwingt dazu,<br />
Risiken kritisch zu<br />
hinterfragen.“<br />
John J. Marren, Director of <strong>Global</strong> Risk and Insurance<br />
Management bei dem Biopharmaunternehmen CSL Limited<br />
JOHN J. MARREN:<br />
RISIKOMANAGER DES JAHRES 2<strong>01</strong>2<br />
John Marren ist Director of <strong>Global</strong> Risk and Insurance<br />
Management bei dem Biopharmaunternehmen CSL Limited<br />
mit Sitz in Melbourne, Australien, und den Tochtergesellschaften<br />
CSL Behring und bioCSL. CSL ist ein<br />
führender globaler Anbieter von aus Plasma gewonnenen<br />
Proteintherapeutika und Impfstoffen und beschäftigt<br />
über 9.000 Mitarbeiter in 19 Ländern.<br />
Marrens Aufgabenbereich umfasst die Koordination<br />
und Überwachung des gesamten Risikomanagements.<br />
Darüber hinaus ist er für alle Sach- und Haftpflichtversicherungen<br />
des Unternehmens zuständig.<br />
Vor seinem Eintritt bei CSL war Marren Leiter des Risikomanagements<br />
für Henkel America und <strong>Global</strong> Risk<br />
Manager bei Firmenich International. Er begann seine<br />
Karriere als Property Loss Control Consultant bei Factory<br />
Mutual und arbeitete für Johnsons & Higgins (später<br />
March) in den Bereichen Engineering und Broking.<br />
John Marren hat einen Abschluss in chemischer Verfahrenstechnik<br />
von der Lehigh University. Er ist als Professional<br />
Engineer für Brandschutztechnik zugelassen und<br />
ist als Chartered Property Casualty Underwriter zertifiziert.<br />
Im Jahr 2<strong>01</strong>2 wurde er vom US-Fachmagazin Business<br />
Insurance zum Risikomanager des Jahres gekürt.<br />
Was war das größte Risiko, das Sie jemals eingegangen<br />
sind?<br />
Marren: In Australien auf der linken Straßenseite zu<br />
fahren!<br />
Carter: Mit über 80 Stundenkilometern auf einem voll<br />
gefederten Mountainbike einen Berg hinunterzurasen.<br />
Erst als ich einen schweren Unfall hatte, wurde mir bewusst,<br />
wie riskant das eigentlich war.<br />
Auf welche neuen Risiken sollten Unternehmen besser<br />
vorbereitet sein?<br />
Carter: Da mein Computer zu Hause kürzlich gehackt<br />
wurde, denke ich, dass Cyberkriminalität nicht länger<br />
unterschätzt werden sollte. Betriebsunterbrechungen,<br />
die nicht durch physische Schäden ausgelöst werden,<br />
sondern etwa durch Stromausfälle, sind bereits heute<br />
ein Thema und werden weiter an Bedeutung gewinnen.<br />
Marren: Auf alles, was wesentliche Auswirkungen auf<br />
die Lieferkette haben kann. Ob in der Beschaffung, der<br />
Logistik oder der Produktion: Immer ist der Verlust eines<br />
wichtigen Glieds der Lieferkette, für das es nur begrenzt<br />
Alternativen gibt, ein kritischer Faktor. Außerdem<br />
stimme ich Herrn Carter zu, dass unsere Abhängigkeit<br />
von den IT-Systemen so hoch ist wie nie zuvor.<br />
Daher wird es immer wichtiger, kritische Systeme belastbar<br />
zu gestalten und gegen Angriffe zu schützen.<br />
Was ist der beste Rat zum Thema Risikomanagement,<br />
den Sie erhalten haben?<br />
Marren: Ganz zu Beginn meiner Karriere im Risikomanagement<br />
wurde mir beigebracht: Handeln Sie so,<br />
als ob Sie keine Versicherung als Rückendeckung hätten!<br />
Das zwingt zu einer kritischen Betrachtung der bestehenden<br />
Risiken, egal in welcher Branche.<br />
Carter: Ein früherer Vorgesetzter sagte mir einmal:<br />
„Wenn immer erst alle möglichen Einwände überwunden<br />
werden müssen, wird nie etwas versucht.“<br />
Es ist besser, die eigene Risikovorsorge Schritt für<br />
Schritt zu verbessern, als nach der perfekten Lösung<br />
zu streben und womöglich am Ende überhaupt<br />
nichts zu erreichen.<br />
Wie hat sich die Rolle der Risikomanager in den Unternehmen<br />
und diejenige der Risikoingenieure in<br />
den Versicherungen verändert?<br />
Marren: Das Aufgabenspektrum ist breiter geworden.<br />
Wir sind längst nicht mehr nur Versicherungsmanager.<br />
Heute kommt es auf ganzheitliche Konzepte für Risikomanagement<br />
an. Man muss sein Geschäft gut kennen,<br />
um Risiken sinnvoll bewerten und tragen zu können –<br />
oder sie eben zu transferieren. Nicht immer werden die<br />
beschlossenen Maßnahmen exakt unseren Empfehlungen<br />
folgen, aber unsere Aufgabe ist es, das Management<br />
zu unterstützen, informierte Entscheidungen zu treffen<br />
und unliebsame Überraschungen zu vermeiden.<br />
Carter: Die wichtigsten Geschäftsrisiken sehen heute<br />
anders aus als noch vor zehn Jahren. Daher müssen wir<br />
unsere Risikoberatung an die neuen Trends anpassen.<br />
So konzentrierten sich die Risikoingenieure der Sachversicherer<br />
früher überwiegend auf den physischen<br />
Schutz der Vermögenswerte. Heute spielt die Bewertung<br />
und Vermeidung von potenziellen Betriebs- oder<br />
Lieferkettenunterbrechungen bei der Sachrisikoberatung<br />
eine wichtige Rolle. Unsere Analyse von Naturkatastrophenrisiken<br />
ist ebenfalls detaillierter geworden.<br />
Welche Fähigkeiten muss ein guter Risikomanager<br />
oder -ingenieur haben?<br />
Carter: Risikoingenieure brauchen natürlich das nötige<br />
technische Fachwissen und belastbare Industrieerfahrung.<br />
Dass es immer um Menschen geht, sollte aber<br />
auch nicht vergessen werden. Wir müssen unseren<br />
Kunden komplexe Zusammenhänge im persönlichen<br />
Gespräch erläutern. Daher brauchen Risikoingenieure<br />
auch gute kommunikative Fähigkeiten. Sie müssen dieselbe<br />
technische Sprache wie ihr Gegenüber sprechen<br />
und eine Beziehung aufbauen können.<br />
Marren: Ein guter Risikomanager muss mit Menschen<br />
aus allen Ebenen eines Unternehmens zusammenarbeiten<br />
können – vom CEO über das Management bis hin<br />
zu den Arbeitern. Er muss bereit sein, sich tief in die Betriebsabläufe<br />
einzuarbeiten, nur dann kann er effektiv<br />
unterstützen. Management- und Finanzwissen sind<br />
ebenfalls unerlässlich. Generell verändert sich das Aufgabenprofil<br />
von Risikomanagern fortlaufend. In immer<br />
schlankeren Organisationen wird die Vorbereitung auf<br />
alle denkbaren Szenarien immer wichtiger.<br />
JOHN J. MARREN<br />
Director of <strong>Global</strong> Risk and Insurance Management bei CSL Limited<br />
John.Marren@cslbehring.com<br />
PAUL CARTER<br />
<strong>Global</strong> Head of Risk Consulting bei AGCS<br />
Paul.Carter@allianz.com<br />
RISIKOREICHE<br />
LEKTÜRE<br />
John Marrens Lieblingsbuch<br />
ist „Single<br />
Point of Failure“ von<br />
Gary Lynch, das<br />
„hervorragende Einblicke<br />
in das Management<br />
von Lieferkettenrisiken“<br />
gibt. Paul<br />
Carter empfiehlt „The<br />
Science of Fear“ von<br />
Dan Gardner. „Dieses<br />
Buch deckt eine breite<br />
Palette von Risiken ab<br />
– von Terrorismus<br />
über Finanzkrisen bis<br />
zum Klimawandel<br />
und Hackerangriffen.“<br />
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