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nietzsche und die verwandlung des menschen

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RUDOLF PANNWITZ<br />

NIETZSCHE<br />

UND DIE VERWANDLUNG<br />

DES MENSCHEN<br />

AKADEMISCHE VERLAGSANSTALT<br />

PANTHEON


RUDOLF PANNWITZ<br />

NIETZSCHE<br />

UND DIE VERWANDLUNG<br />

DES MENSCHEN<br />

AKADEMISCHE VERLAGSANSTALT<br />

PANTHEON


RUDOLF<br />

PANNWITZ<br />

NIETZSCHE UND DIE VERWANDLUNG<br />

DES<br />

MENSCHEN


RUDOLF<br />

PANNWITZ<br />

NIETZSCHE UND DIE VERWANDLUNG<br />

DES<br />

MENSCHEN


ERRATA<br />

Die Leser werden gebeten, <strong>die</strong> folgenden, durch <strong>die</strong> Ungunst der<br />

Zeiten verursachten Druckfehler zu bericbtigen. Es muss beissen:<br />

Se ite 16, Zeile 30. Menscbbeit-Entelecbie<br />

Se ite 17, Zeile 27. Dieses Letzte<br />

Se rte 18, Zeile 13. gegen <strong>die</strong> untere Halbbeit beimlicb verseucbt<br />

Se te 24, Zeile 24. <strong>des</strong> ibn vertretenden Geistes<br />

Se te 35, Zeile 27. auf ihren Gr<strong>und</strong> komme<br />

Se te 37. Zeile 1. Nun gilt<br />

Se te 46. Zeile 30. anstatt sicb aussaugen<br />

Se te 48, Zeile 14. So aucb das Spiel der Reize Spiegelungen<br />

Se te 49. Zeile 29. von Nu zu Nu<br />

Se te 51. Zeile 7. Stuerze vom Ziel<br />

Se te 55. Zeile 24. Erforschung aller uns zugaenglicben Periodiken<br />

Se te 65. Zeile 11. in einem unteilbaren Ringe<br />

Se ite 69. Zeile 3. Er ist vor <strong>und</strong> nacb<br />

K 165


RUDOLF<br />

PANNWITZ<br />

NIETZSCHE UND DIE VERWANDLUNG<br />

DES<br />

MENSCHEN


RUDOLF<br />

PANNWITZ<br />

NIETZSCHE<br />

UND DIE VERWANDLUNG<br />

DES MENSCHEN<br />

AK AD EM IS CHE VERLAGSANSTALT PANTHEON


Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung,<br />

vorbehalten<br />

Druck der N.V. Drukkerij G. J. Thieme in<br />

Nijmegen<br />

Gedruokt in Holland


VORWORT<br />

Diese kurze Schrift — von 1939 — hat hinter sich<br />

vier Jahrzehnte der Arbeit an Nietzsche <strong>und</strong> ein eignes<br />

Lebenswerk auf dem Gr<strong>und</strong>e von Nietzsche. Darum darf<br />

sie ein Buch von gröBerem Umfange vertreten. Doch ist<br />

auch sie selbst der Teil eines sehr viel gröBeren Umfanges.<br />

„Nietzsche <strong>und</strong> <strong>die</strong> Verwandlung <strong>des</strong> Menschen" ist<br />

der erste Teil <strong>des</strong> Buches „Die Verwandlung <strong>und</strong> der<br />

Aufbau <strong>des</strong> Menschen <strong>und</strong> seiner Welt": welches fertig<br />

vorliegt <strong>und</strong> nachfolgen wird.<br />

Das Geistige <strong>die</strong>ser Schrift wird nicht darüber tauschen,<br />

daB ihr Sinn <strong>und</strong> Ziel das Leben ist <strong>und</strong> zwar<br />

das Leben so wie es einen Jeden angeht <strong>und</strong> eben<strong>die</strong>ses<br />

mit dem ganzen Gewichte einer Religion genommen.<br />

Das Geistige ist <strong>die</strong> höchste Verkörperung, das oberste<br />

lenkende Organ <strong>und</strong> der einzige umfassende Ausdruck<br />

<strong>des</strong> Lebens. Es gibt uns damit auch den AufschluB über<br />

unser Leben: das <strong>des</strong> Menschen, <strong>und</strong> uns selbst: den<br />

Menschen. Sinn der Sinne, Ziel der Ziele ist ein neuer<br />

Typus Mensch, der nicht im Jenseitigen sich erfülle, doch<br />

auch keine Frucht seiner Selbstüberfliegungen verliere,<br />

der auch nicht im Kosmos sich aufiose sondern dem Kosmos<br />

als Mensch gewachsen sei, in dem der Kosmos<br />

Mensch geworden sei.<br />

5


In <strong>die</strong>sem Zusammenhange <strong>und</strong> mit <strong>die</strong>ser Bedeutung<br />

handelt <strong>die</strong> Schrift von Nietzsche. So auch ist sie Einfiihrung<br />

zugleich in Nietzsche <strong>und</strong> in das Buch, welches<br />

mit ihr beginnt <strong>und</strong> durch alle Gebiete unseres Daseins<br />

erkennend, kritisch <strong>und</strong> praktisch <strong>die</strong> eine groBe Linie<br />

hindurchführt. Das Ganze also ist eine auf Nietzsche<br />

gegründete in seinen aonischen Folgen vorschreitende<br />

Stufe. Als solche ist sie mein unmittelbarer Beitrag<br />

zu der Jahrh<strong>und</strong>ert-Feier, <strong>die</strong> doch nicht ohne Tilgung<br />

alter <strong>und</strong> vielfacher Schulden verlaufen moge. Denn<br />

noch ist <strong>die</strong> nachste Pflicht gegenüber Nietzsche, doppeltes<br />

<strong>und</strong> entgegengesetztes MiBverstandnis, das <strong>die</strong><br />

echte tiefe Wirkung hindert, durch eine zulangliche <strong>und</strong><br />

reine Darstellung zu überwinden.<br />

RUDOLF<br />

PANNWITZ<br />

6


DIE VERWANDLUNG UND DER AUFBAU<br />

DES MENSCHEN UND SEINER WELT<br />

ERSTER<br />

TEIL<br />

Nietzsche <strong>und</strong> <strong>die</strong> Verwandlung <strong>des</strong> Menschen


RUDOLF PANNWITZ<br />

NIETZSCHE UND DIE<br />

VERWANDLUNG DES<br />

MENSCHEN<br />

Zwanzig Jahre nach seiner berühmten<br />

„Einführung in Nietzsche"<br />

fasst Rudolf Pannwitz am<br />

Vorabend der H<strong>und</strong>ertjahrfeier<br />

von Nietzsche's Geburt noch einmal<br />

seine lebenslanglichen Erfahrungen<br />

an der Welt <strong>des</strong> Umwerters<br />

zusammen. Lag damals der<br />

Nachdruck noch auf der Analyse<br />

<strong>und</strong> Deutung, so heute — nachdem<br />

<strong>die</strong> Geschichtentwicklung<br />

vielfache Spuren der Breitenwirkung<br />

tragt — auf der praktischen<br />

Anwendung, der lebbaren Lebenslehre.<br />

Indem <strong>die</strong> Ewige Wiederkunft<br />

<strong>des</strong> Gleichen una <strong>die</strong> daraus<br />

entspringende Sittenlehre im Mittelpunkt<br />

der Betrachtung stehen,<br />

erfahren <strong>die</strong> noch immer gröblich<br />

missverstandenen Fragen der Moral,<br />

der Metaphysik, <strong>des</strong> Verhaltnisses<br />

Sozialismus - Aristokratismus,<br />

<strong>des</strong> Willens zur Macht <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

Ueber<strong>menschen</strong> eine guitige Darstellung,<br />

<strong>die</strong> der platten Durchschnittsauffassung<br />

oft entscheidend<br />

widerspricht.<br />

Die Schrift darf kurz sein, da das<br />

eigene Lebenswerk von Rudolf<br />

Pannwitz zwar nicht vorausgesetzt<br />

ist, aber begleitend <strong>und</strong> erfüllend<br />

herumgelagert <strong>und</strong> in der Darstellung<br />

als Latenz da ist. Sie ist denn<br />

auch — wiewohl sie durchaus für<br />

sich genommen werden kann •—•<br />

<strong>die</strong> Vorhalle zu dem Hauptwerk:<br />

„Die Verwandlung <strong>und</strong> der Aufbau<br />

<strong>des</strong> Menschen <strong>und</strong> seiner<br />

Welt", das abgeschlossen vorliegt<br />

<strong>und</strong> bierauf folgen wird.<br />

Vie vorm Aufmgst<br />

<strong>des</strong> jüngttenden<br />

Heiles<br />

e man vordem<br />

<strong>des</strong> Menschen<br />

chen <strong>und</strong> seine<br />

nderterNatur.<br />

ist nicht mehr<br />

st bedarf nicht<br />

Ier Bindungen<br />

n Wesen <strong>und</strong><br />

all nicht selb-<br />

Drgan <strong>des</strong> be-<br />

1 schöpferisch,<br />

aber ist auch<br />

Menschen zu<br />

seine Verjün-<br />

. Hier drohen<br />

ng <strong>des</strong> Meningen,<br />

übererer<br />

Wunsch<br />

ie aber mög-<br />

• BewuBtsein<br />

n, <strong>die</strong> Keime<br />

in muB sich<br />

9<br />

AKADEMISCHE<br />

VERLAGSANSTALT<br />

PANTHEON


RUDOLF PANNWITZ<br />

NIETZSCHE UND DIE<br />

VERWANDLUNG DES<br />

MENSCHEN<br />

Zwanzig Jahre nach seiner berühmten<br />

„Einführung in Nietzsche"<br />

fasst Rudolf Pannwitz am<br />

Vorabend der H<strong>und</strong>ertjahrfeier<br />

von Nietzsche's Geburt noch einmal<br />

seine lebenslanglichen Erfahrungen<br />

an der Welt <strong>des</strong> Umwerters<br />

zusammen. Lag damals der<br />

Nachdruck noch auf der Analyse<br />

<strong>und</strong> Deutung, so heute — nachdem<br />

<strong>die</strong> Geschichtentwicklung<br />

vielfache Spuren der Breitenwirkung<br />

tragt — auf der praktischen<br />

Anwendung, der lebbaren Lebenslehre.<br />

Indem <strong>die</strong> Ewige Wiederkunft<br />

<strong>des</strong> Gleichen <strong>und</strong> <strong>die</strong> daraus<br />

entspringende Sittenlehre im Mittelpunkt<br />

der Betrachtung stehen,<br />

erfahren <strong>die</strong> noch immer gröblich<br />

missverstandenen Fragen der Moral,<br />

der Metaphysik, <strong>des</strong> Verhaltnisses<br />

Sozialismus-Aristokratismus,<br />

<strong>des</strong> Willens zur Macht <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

Ueber<strong>menschen</strong> eine guitige Darstellung,<br />

<strong>die</strong> der platten Durchschnittsauffassung<br />

oft entscheidend<br />

widerspricht.<br />

Die Schrift darf kurz sein, da das<br />

eigene Lebenswerk von Rudolf<br />

Pannwitz zwar nicht vorausgesetzt<br />

ist, aber begleitend <strong>und</strong> erfüllend<br />

herumgelagert <strong>und</strong> in der Darstellung<br />

als Latenz da ist. Sie ist denn<br />

aucn — wiewohl sie durchaus für<br />

sich genommen werden kann —<br />

<strong>die</strong> Vorhalle zu dem Hauptwerk:<br />

„Die Verwandlung <strong>und</strong> der Aufbau<br />

<strong>des</strong> Menschen <strong>und</strong> seiner<br />

Welt", das abgeschlossen vorliegt<br />

<strong>und</strong> hierauf folgen wird.<br />

AKADEMISCHE<br />

VERLAGSANSTALT<br />

PANTHEON


RUDOLF<br />

PANNWITZ<br />

WEG DES MENSCHEN<br />

Die mit Nietzsche <strong>und</strong> George in<br />

machtigem Neueinsatz das Erbe<br />

unserer Klassik <strong>und</strong> Romantik aufnehmende<br />

geistige Bewegung wird<br />

in ihrer, immer weiterer Ringe der<br />

Kunst, der Wissenschaft <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

Lebens erfassender Bedeutung<br />

heute durch das Werk von Rudolf<br />

Pannwitz aufs eindrücklichste reprasentiert.<br />

Zum sechstigsten Geburtstag <strong>des</strong><br />

in unermüdlicher Arbeit immer<br />

grossartiger seine Weltschau gestaltenden<br />

Schöpfers bringt <strong>die</strong>se<br />

Auswahl eine Folge von gr<strong>und</strong>legenden<br />

Satzen <strong>und</strong> weitweisenden<br />

Winken, <strong>die</strong> dem Leser, der<br />

den vielschichtigen Arbeiten von<br />

Pannwitz sich nahert, eine erste<br />

Einführung zu geben vermogen.<br />

Nicht nur <strong>die</strong>s: wer <strong>die</strong>se Auswahl<br />

aufmerksam liest, wird erkennen,<br />

dass eine neue Lebenslehre <strong>des</strong><br />

Menschen nun schon vorliegt,<br />

durch <strong>die</strong> <strong>die</strong> grosse Ueberlieferung<br />

unmittelbar für das Leben fruchtbar<br />

wird, <strong>und</strong> zum neuen Bild <strong>des</strong><br />

Menschen sich kristallisiert.<br />

AKADEMISCHE<br />

VERLAGSANSTALT<br />

PANTHEON


RUDOLF<br />

PANNWITZ<br />

WEG DES MENSCHEN<br />

Die mit Nietzsche <strong>und</strong> George in<br />

machtigem Neueinsatz das Erbe<br />

unserer Klassik <strong>und</strong> Romantik aurnehmende<br />

geistige Bewegung wird<br />

in ihrer, immer weiterer Ringe der<br />

Kunst, der Wissenschaft <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

Lebens erfassender Bedeutung<br />

heute durch das Werk von Rudolf<br />

Pannwitz aufs eindrücklichste reprasentiert.<br />

Zum sechstigsten Geburtstag <strong>des</strong><br />

in unermüdlicher Arbeit immer<br />

grossartiger seine Weltschau gestaltenden<br />

Schöpfers bringt <strong>die</strong>se<br />

Auswahl eine Folge von gr<strong>und</strong>legenden<br />

Satzen <strong>und</strong> weitweisenden<br />

Winken, <strong>die</strong> dem Leser, der<br />

den vielschichtigen Arbeiten von<br />

Pannwitz sich nahert, eine erste<br />

Einführung zu geben vermogen.<br />

Nicht nur <strong>die</strong>s: wer <strong>die</strong>se Auswahl<br />

aufmerksam liest, wird erkennen,<br />

dass eine neue Lebenslehre <strong>des</strong><br />

Menschen nun schon vorUegt,<br />

durch <strong>die</strong> <strong>die</strong> grosse Ueberlieferung<br />

unmittelbar fur das Leben fruchtbar<br />

wird, <strong>und</strong> zum neuen Bild <strong>des</strong><br />

Menschen sich kristallisiert.<br />

AKADEMISCHE<br />

VERLAGSANSTALT<br />

PANTHEON


i. Der Geist in der Zeitenwende. — Wie vorm Aufgange<br />

<strong>des</strong> Christentums so ist abermals Angst <strong>des</strong> jüngsten<br />

Gerichtes <strong>und</strong> Erwartung eines rettenden Heiles<br />

das Doppelangesicht der Zeit. Doch meinte man vordem<br />

den stofflichen Kosmos dort <strong>und</strong> <strong>die</strong> Seele <strong>des</strong> Menschen<br />

hier <strong>und</strong> meint nunmehr einen neuen Menschen <strong>und</strong> seine<br />

neue Welt innerhalb der Schranken unveranderter Natur.<br />

Dies ist Fortschritt ohne allen Zweifel. Es ist nicht mehr<br />

nötig, aufzuheben um zu erfüllen. Der Geist bedarf nicht<br />

mehr um frei zu werden der Vernichtung der Bindungen<br />

der Natur, er ist sicher in seinem eignen Wesen <strong>und</strong><br />

entfaltet eine fraglos eigenste Natur. Er will nicht selbstandig<br />

sein, er weiB sich als das Führerorgan <strong>des</strong> bewuBten<br />

Menschen. Damit ist er bedingt <strong>und</strong> schöpferisch,<br />

König <strong>und</strong> Vater alt-neuen Volkes. Damit aber ist auch<br />

seine Sache geworden, den Zustand <strong>des</strong> Menschen zu<br />

verantworten, seinen Verf all aufzuhalten, seine Verjüngung<br />

einzuleiten oder doch zu überwachen. Hier drohen<br />

zwei gewaltige Gewichte: ist eine Anderung <strong>des</strong> Menschen,<br />

hinaus über <strong>die</strong> zeitlichen Schwankungen, überhaupt<br />

möglich <strong>und</strong> nicht vielmehr ein leerer Wunsch<br />

Unzufriedener weil Ungeratener? Wenn sie aber möglich<br />

<strong>und</strong> sogar notwendig ist: kann der als BewuBtsein<br />

wirkende Geist <strong>die</strong> Samen <strong>des</strong> Seins erreichen, <strong>die</strong> Keime<br />

verwandein, eine neue Art erschaffen? Man muB sich<br />

9


klar sein, daB <strong>die</strong>s das Allerunwahrscheinlichste ist.<br />

2. Schöpferische Vorstellungen. —• Aus Willkür vermag<br />

der Geist nichts. Er vermag nur in seiner Ordnung.<br />

Das bedeutet: in dem Bereiche schöpferischer Vorstellungen.<br />

Vorausgesetzt, daB solche verbürgt seien. Doch<br />

wir erfahren unausgesetzt, daB Vorstellungen, auch <strong>die</strong><br />

ganz von auBen kommen, in uns schöpferische Entscheidung<br />

bewirken. Die Rückfrage diirfte allenfalls den Ursprung<br />

der Vorstellungen betreffen, ihre Wirkung ist einfache<br />

Tatsache. Schöpferische Vorstellungen nun sind<br />

solche, <strong>die</strong> kraft innerlicher Urform — deren Ursprung<br />

ist hier nicht von Belang — etwas Inneres oder AuBeres<br />

formen oder umformen. In einem Grade zwar, daB es<br />

dann als wesentlich neu, als bestimmte Zeugung oder<br />

Schöpfung gelten muB. Schöpferische Vorstellungen also<br />

sind verbürgt. Je<strong>des</strong> Willensziel, jeder EinfluB <strong>und</strong> im<br />

groBen Werke, Erd- <strong>und</strong> Menschgestaltungen <strong>und</strong> Religionen<br />

beweisen. Das ist nicht in Frage zu stellen, doch<br />

<strong>die</strong> Bedingtheiten <strong>und</strong> Tragweiten sind festzustellen.<br />

3. Verhdltnis zwiscken Geist <strong>und</strong> Natur. — Der Geist<br />

ist untrennbar von der Natur. Was er auch sei oder nicht<br />

sei, er ist an den Einklang mit ihr geb<strong>und</strong>en. Wiirde er<br />

auBerhalb von ihr oder gegen sie treten, er ware vernichtet.<br />

Seine Wirklichkeit ist ihre <strong>und</strong> ihre Wirklichkeit<br />

seine <strong>und</strong> aufzuklaxen — aber nicht hier auszufiihren<br />

— bleibt nur <strong>die</strong>s, wie das einzige <strong>und</strong> eine<br />

Leben, in Geist <strong>und</strong> Natur aus einander gespannt, dem<br />

sein Erleben <strong>des</strong> Lebens Anschauenden sich darstellt.<br />

Da ist nun eine reine Tatsache, daB innerhalb der Sphaxe<br />

10


der Natur der Geist übernaturhafte Wirkungen ausübt,<br />

j edoch nicht unnatürliche. Also solche von einer oberen<br />

Stufe her: <strong>die</strong> man der Natur zurechnen mag oder nicht.<br />

In der engeren Sphare der Natur lassen sie sich vergleichen<br />

mit denen der höheren Potenzen auf <strong>die</strong> niederen,<br />

also etwa der chemischen Katalysatoren oder der mannlichen<br />

Geschlechtswesen: als welche ruhende Stoffe<br />

Kraite Entwicklungen auf steigenden Bahnen in Bewegung<br />

setzen <strong>und</strong> sie der eignen überlegnen Art <strong>und</strong><br />

Stufe gemaB gleichsam als Materie organisieren. Dafür<br />

ist <strong>die</strong> Voraussetzung ein inniger <strong>und</strong> meist ererbter<br />

organischer Zusammenhang, ungefahr entsprechend<br />

dem arithmetischen zwischen dem Produkte <strong>und</strong> der<br />

Potenz der selben Zahl oder biologisch der Synthese<br />

einer höheren <strong>und</strong> niederen Potenz der selben Lebensreihe,<br />

also einer interpotentiellen Synthesis. Dies also<br />

ist, als Leben aufgefaBt, das schöpferische Verhaitnis<br />

<strong>des</strong> Geistes zur Natur <strong>und</strong> das umgekehrte, Wachstum<br />

Steigerung <strong>und</strong> beidseitige Fortpflanzung leistende, der<br />

Natur zum Geiste. Das MaB <strong>und</strong> <strong>die</strong> Grenze der umwandelnden<br />

Prozesse wird immer bestimmt durch <strong>die</strong><br />

Möglichkeit <strong>und</strong> Besonderheit der Beziehung, <strong>die</strong><br />

eigenste Bezogenheit auf einander.<br />

4. Verfall <strong>und</strong> Verwandlung <strong>des</strong> Menschen. — Die<br />

Gr<strong>und</strong>legung der Geist-Natur-Ordnung ist unerlaBlich<br />

für den klaren Aufbau einer Verwandlung <strong>des</strong> Menschen.<br />

Sie gehort aber zu dem Schwersten was es giebt. Das<br />

kommt nicht so von der Sache her als von langsten<br />

Denk-Gewöhnungen, <strong>die</strong> um ursprünglich falsch gemeinte<br />

Begriffs-Pole — Geist-Natur, Freiheit-Notwen-<br />

11


digkeit, metaphysisch-empirisch <strong>und</strong> andere — unfruchtbar<br />

kreisen. Die Schwierigkeit wird stufenweise abgebaut,<br />

wenn Denkkunst den Gegenstand selbst allseitig<br />

durchleuchtet <strong>und</strong> f ormt. Dann wird <strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>lage durch<br />

<strong>die</strong> Tat anstatt durch Worte aufgeklaxt. — Ins Auge<br />

zu fassen <strong>und</strong> vom Anfange bis zum SchluB nie aus dem<br />

Auge zu verlieren ist also <strong>die</strong> Verwandlung <strong>des</strong> Menschen.<br />

Die Ursache <strong>des</strong>sen, daB von ihr immer ernsthaf ter geredet<br />

wird, ist der Glauben an einen Verfall <strong>des</strong> Menschen.<br />

Dieser Glauben wachst zur allgemeinen Weltstimmung<br />

an <strong>und</strong> wird durch geschichtliche Zustande <strong>und</strong> Vorgange<br />

genahrt. Einer aber, Friedrich Nietzsche, hat schon<br />

vor einem halben Jahrh<strong>und</strong>ert eine zeithch-überzeitliche<br />

Philosophie <strong>und</strong> Religion von dem Verfall <strong>und</strong> der Verwandlung<br />

<strong>des</strong> Menschen gegründet. — Können wir wissen<br />

wo der Mensch heute stent? Seine Art umfaBt <strong>die</strong><br />

ganze Skala von dem was noch nicht Materie ist bis<br />

zu dem was nicht mehr Materie ist, von Urrythmen der<br />

Bewegung <strong>und</strong> kleinsten Wirkungeinheiten bis zu dem<br />

was Gott genannt wird. Das Gewicht fallt zwischen Tier<br />

<strong>und</strong> Welt- <strong>und</strong> SelbstbewuBtsein. Eindeutig <strong>und</strong> wahr<br />

ist, daB mit einer Zunahme <strong>des</strong> zweiten ein Nachlassen<br />

<strong>des</strong> ersten verb<strong>und</strong>en ist <strong>und</strong> daB tatsachlich das eine<br />

zunimmt, das andre nachlaBt. Es wird also <strong>die</strong> tragende<br />

<strong>und</strong> erhaltende ,Mutter der Art' geschwacht <strong>und</strong> verbraucht<br />

zu Gunsten einer jüngeren ungehemmt aus- <strong>und</strong><br />

übergreifenden Einzelfunktion. Die Fragen sind: ob das<br />

schon ein Verfall ist? ob es zu einem Verf alle führen<br />

muB? ob es zu einem Art-Tode oder einer Art-Verwandlung<br />

führen wird? DaB es solche Fragen <strong>und</strong> Gefahren<br />

giebt, beweist nachdrücklich <strong>die</strong> Macht <strong>des</strong> Geistes in<br />

12


<strong>und</strong> über der Natur <strong>und</strong> <strong>die</strong> Möglichkeit seiner vernichtenden<br />

Übermacht.<br />

5. Gefahren <strong>des</strong> Geistes für <strong>die</strong> Art; Technik <strong>und</strong> Massenindividualismus.<br />

— Der Geist <strong>und</strong> das Geistige steht<br />

zunachst auBerhalb der Werte. Es ist als Bios <strong>die</strong> verselbstandigte,<br />

nicht zum eignen Körper zurückkehrende<br />

Funktion <strong>des</strong> Gehirns, als Phanomen <strong>die</strong> BewuBtheit<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> in ihr entspringenden oder verwandelten Triebkrafte<br />

Entfaltungen <strong>und</strong> AuBenwerke. So gehort zum<br />

Geiste wie <strong>die</strong> Wissenschaft auch <strong>die</strong> Technik <strong>und</strong> jede<br />

ihrer Folgen für den Körper <strong>und</strong> <strong>die</strong> Gemeinschaft. —<br />

Die bedeutendste Folge ist zwar nicht <strong>die</strong>, daB in den<br />

unges<strong>und</strong>en Stadten <strong>und</strong> stadtischen EinfluB-Bereichen<br />

<strong>die</strong> Familien schnell aussterben. Denn noch immer befindet<br />

sich der allerkleinste Teil der Menschheit auf <strong>die</strong>sen<br />

sich selbst verzehrenden Spitzen: <strong>und</strong> müBte er auch<br />

dauernd aufgeopfert werden, so würde er doch dauernd<br />

sich von auBen erneuern <strong>und</strong> ihre höchste Funktion,<br />

gleichsam ihr Gehirn, bleiben. Wir wissen es schon aus<br />

der Mathematik, daB <strong>die</strong> Potenzen nicht ratselhafte<br />

rein funktionelle Steigerungen sind, sondern entsprechend<br />

mehr Einheiten von Materie haben: 3 enthalt<br />

3<br />

nicht 6 oder 9 höher funktionierende, sondern 27 höher<br />

gegliederte elementare Einheiten. Die ganze Biologie ist<br />

ein einziges Beispiel <strong>des</strong>sen. Also auch das Gehirnzentrum<br />

<strong>des</strong> Menschen, <strong>die</strong> Gehirn-Zentren der Menschheit:<br />

sie verschlingen Massen von Stoff <strong>und</strong> Kraft <strong>und</strong> leben<br />

wie alle Intensiva parasitisch. Nun widerspricht es der<br />

Natur, daB sie <strong>die</strong> Gesamtheit <strong>des</strong> Übrigen an sich Ziehen<br />

<strong>und</strong> angleichen können. Ihr Haushalt wird je gröBer<br />

13


<strong>des</strong>to kostspieliger <strong>und</strong> verworrener <strong>und</strong> ihr wie jeder<br />

Titanismus scheitert zuletzt an der Übererzeugung <strong>und</strong><br />

Stauung von nicht mehr zu Bewaltigendem, an Selbstüberwucherung,<br />

Selbstgegensetzungen <strong>und</strong> Selbsthemmungen.<br />

Welches über<strong>die</strong>s eine Folge von dem ist <strong>und</strong><br />

nur aus dem hat hervorgehen können daB <strong>die</strong> Art beim<br />

Niedersteigen ihrer Kraft sich überspezifisch abwandelt!<br />

Zwar ist <strong>die</strong>se Art nicht der heutige Mensch sondern der<br />

Mensch gegenüber dem Tiere. Doch ist der heutige<br />

Mensch aus besonderer Folge der Technik in einem unerhörten<br />

MaBe überspezifisch geworden, sowohl im Ganzen<br />

wie in <strong>die</strong> Einzelungen hinein. Und <strong>die</strong>ser Vorgang<br />

ist bereits übergegangen in ein auBeres Zusammenrücken<br />

<strong>und</strong> eine innere Vereinheitlichung der Menschheit.<br />

Auch <strong>die</strong>se sind zunachst beunruhigend. Sie sind<br />

eine sich überstürzende Massenindividuierung. Nachdem<br />

<strong>die</strong> alten Herrschaft-Gebilde verfallen sind, da sie in<br />

notwendigem, gewissenlosem <strong>und</strong> törichtem Versagen<br />

<strong>die</strong> geformten Stufen <strong>und</strong> Stande sich vermaBen <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

neuen Massen sich automisieren lieBen: beginnt eine<br />

Entwicklung der gleichlaufigen ja sogar verschrankenden<br />

Ent-individuation <strong>und</strong> Überindividuation. Die Menschen<br />

werden einander immer ahnlicher <strong>und</strong> immer abhangiger<br />

von geballtem <strong>und</strong> gepragtem Konglomerat,<br />

der einzelne Mensch aber fordert <strong>und</strong> erlangt bereits,<br />

nicht als einzelner sondern als überhaupt einer, immer<br />

unbedingter seinen min<strong>des</strong>tens gleichen Teil am Ganzen.<br />

Auch das kann natürlicher Weise unmöglich bis zum<br />

AuBersten f ortgehen. Denn höchst organisierte Wesen sind<br />

nicht nur unwillig sondern auch unfahig zu fetzten Ausgleichungen.<br />

Die Ameisen <strong>und</strong> Bienen sind darin so weit<br />

14


gekommen, da sie auf verha.ltnisma.Big hoher Entwicklungstufe<br />

das Uralter der Stockbildung biologisch bewahrt<br />

haben. Beim Menschen ist <strong>die</strong>ses nur psychologisch<br />

noch wirksam. Also wird auch <strong>die</strong> Massenindividuation<br />

irgendwo Halt machen <strong>und</strong> zu neuen Stufen <strong>und</strong><br />

Aufstufungen der durch sie eingeschmolzenen <strong>und</strong> vereinheitlichten<br />

Menschheit führen. Wir werden sehr groBe<br />

Verluste zu beklagen haben, vielleicht aber, wenn auch<br />

nicht ohne bewuBte Verantwortung, alle unsere höchsten<br />

Werte erretten <strong>und</strong> mitnehmen können. Jedenfalls steht<br />

bei unverkennbaren Gefahren im Absehbaren kein Untergang<br />

der natürlichen noch einer der geistigen Art<br />

zu befürchten.<br />

6. Untergangs-Panik <strong>und</strong> Krise <strong>des</strong> Menschen. — Die<br />

Untergang-Panik also hat kein Recht. Man muB dagegen<br />

<strong>die</strong> sehr tiefe Krise bis ins letzte zu verstehen suchen.<br />

Es ging, soweit wir rückdenken können, noch immer um<br />

etwas Geringeres oder doch Anderes als den Menschen<br />

selbst. Diesmal steht in unserem BewuBtsein nichts sonst,<br />

er allein. Das haben wir noch garnicht begriffen. In unserer<br />

Kinderangst vertauschen wir immerfort <strong>die</strong> MaBstabe<br />

<strong>des</strong> biologischen Typus Mensch <strong>und</strong> irgend welcher<br />

von seinen Kulturphasen. Wir vergegenwartigen nicht<br />

<strong>die</strong> ungeheure Dauer nicht nur <strong>des</strong> Lebens auch <strong>des</strong><br />

Sterbens einer Art in Vergleichung mit der Kürze <strong>und</strong><br />

Menge der Krisen, vorzüglich der oberflachlicheren, vom<br />

BewuBtseinszentrum ausgehenden, deren Gipfelungen<br />

nicht zu lange wahren <strong>und</strong> deren Fortschritte durch Anpassungen<br />

abgeschwacht werden. ,,König von Kataklysmen"<br />

nennt Albert Verwey einmal den Menschen: Die<br />

15


enge Spanne <strong>des</strong> persönlichen Daseins <strong>und</strong> <strong>des</strong>sen To<strong>des</strong>not<br />

übertragen wir aufs Ganze: <strong>die</strong> Menschheit, den<br />

Menschen. Ja wir bangen, was wir nicht mehr miterfahren<br />

sollen, darauf sei garnicht zu hoffen. Wir haben<br />

Kritiken der Erkenntnis — keine der Seele <strong>und</strong> ihrer<br />

Urteile: <strong>des</strong> metaphysisch sich versteifenden absoluten<br />

Subjektes. So haben <strong>die</strong> hierarchischen <strong>und</strong> astrologischen<br />

Epochen in ihren Krisen — solchen elementarischer,<br />

religiöser, kriegerischer, innenstaatlicher <strong>und</strong> sittlicher<br />

Vernichtung — aus einem nichts oder minderes<br />

besagenden Gestirnstande auf den Untergang <strong>des</strong> Aons<br />

oder <strong>des</strong> Kosmos selbst geschlossen. So hat nach jenem<br />

europaischen Kriege, der erst zwei Jahrzehnte hinter<br />

uns liegt, sich eine verzweifelte Stimmung verbreitet,<br />

als sei nun alles Gute zu Ende, weil uns das neue Gute<br />

nicht geradezu in den SchoB fallt, weil wir büBen mussen,<br />

bis wir rein von den vorigen Sünden <strong>und</strong> frei zu<br />

den kommenden Werken sind. Wir wollen ja durchaus<br />

nicht lernen: das ganze Jenseits, auch Holle, Fegefeuer<br />

<strong>und</strong> Para<strong>die</strong>s, ist unumganglich <strong>und</strong> liegt <strong>die</strong>sseits. —<br />

Der Person nun ist gegeben, von auBen her ihre unzulangliche<br />

Perspektive zu vervollstandigen, erkennen<strong>des</strong><br />

Weltorgan zu werden <strong>und</strong> auf ferne Fristen Welt zu<br />

organisieren. Sie selbst ist zwar nur Phase eines kollektiv-generativen<br />

Bios, <strong>des</strong>sen Gesamt sie aber vertreten<br />

kann. Was über sie als Phase hinausgeht, sodaB sie es<br />

nicht leiden will oder nicht schaffen kann, vermag sie<br />

dennoch in <strong>die</strong> BewuBtheit zu heben <strong>und</strong> als GewuBtes<br />

<strong>und</strong> Gültiges anwachsend sich Auswirken<strong>des</strong> fortzupflanzen:<br />

Menschheit = Entelechie. — Verbieten wir uns<br />

alle Panik! Wahrscheinlich hat sich unsere Art, einge-<br />

16


es-<br />

schlossen das Gehirnzentrum, überhaupt noch nicht geen<br />

wandelt, befinden sich aber unsere auBeren Daseinsih-<br />

Bedingungen in einer dorther entspringenden entscheien<br />

dungvollen, zunachst sogar verhangnisvollen Verwande-<br />

-er<br />

hing, <strong>die</strong> wiederum leibhche <strong>und</strong> innere Wandelungen<br />

en<br />

teils erregt teils vereinseitigt <strong>und</strong> beschleunigt. SodaB<br />

yi-<br />

also nun unserem Geiste das, was er unaufhörlich beri-<br />

ansprucht hat, von der Natur selbst abgefordert wird:<br />

tt-<br />

<strong>die</strong> Verantwortung für <strong>die</strong> Art selbst <strong>und</strong> ihr Schicksal<br />

es<br />

auf sich zu nehmen — gewiB nicht als Gott der AUns<br />

machtige, j edoch als das Zünglein an der Wage.<br />

:m<br />

er<br />

7. Die Aufgabe <strong>des</strong> Geistes; <strong>die</strong> Religionen <strong>und</strong><br />

;t,<br />

Nietzsche. — Die Möglichkeit <strong>des</strong> Geistes, <strong>die</strong>se Aufte<br />

gabe zu erfüllen, ist als gr<strong>und</strong>satzliche <strong>und</strong> allgemeine<br />

is-<br />

bereits erwiesen. Sie wird wahrscheinlich dadurch, daB<br />

zu<br />

je<strong>des</strong> Lebewesen, also auch der Mensch, mit allen verus<br />

' fügbaren Kraiten, also auch denen <strong>des</strong> nachgebornen Aller<br />

sinnes Geist, bestrebt <strong>und</strong> befahigt ist sich in der Gefahr<br />

— zu helfen. Sie unterliegt wiederum einem nie ganz überu-<br />

w<strong>und</strong>enen Zweifel, da der Geist als Organ <strong>des</strong> Organisn-<br />

mus spater <strong>und</strong> unreifer als der übrige natürliche Orga-<br />

:u nismus ist <strong>und</strong> allenfalls zerstören nicht aber auf- <strong>und</strong><br />

k- umbauen kann, wo er seine Verselbstandigung rück-<br />

:n sichtslos dure hsetzt, anstatt mit seiner ein- <strong>und</strong> überes<br />

stimmenden Schwingung das Andere zu durchsetzen.<br />

ie<br />

Dieser Letzte, der Quell der Macht von oben, wird nur<br />

3s<br />

von überlegener Demut, also auf endgültig hoher Stufe,<br />

1- empfangen <strong>und</strong> geübt. Der Geist andert so nicht den<br />

is<br />

Naturlauf: er fügt als einen Strahlenkörper <strong>und</strong> eine<br />

s- zweite Urbewegung seine Weise <strong>und</strong> sein Ziel ihm ein<br />

1


<strong>und</strong> krystallisiert ihn, eine in der Natur angelegte, in<br />

ihm, dem Geiste, ausgebildete höhere Potenz verwirklichend.<br />

— Genau das ist im besonderen seine gegenwaxtige<br />

Aufgabe. Und genau das ist auch der wesentliche<br />

<strong>und</strong> ganz wirkliche Gehalt von Nietzsches schöpferischer<br />

Idee: dem Über<strong>menschen</strong>. Diese entstammt einer<br />

vordem beispiellosen Einsicht in den Notstand der Art<br />

Mensch. Dem gegenüber ist jede Preisgabe <strong>des</strong> Natürlichen<br />

<strong>und</strong> Absonderung <strong>des</strong> Geistigen <strong>und</strong> Seelischen<br />

nur ein umgekehrter Zynismus. So haben <strong>die</strong> Religionen<br />

getan <strong>und</strong> damit zwar eine obere Halbheit gelautert<br />

<strong>und</strong> gesteigert, doch jene durch den gebotenen Kampf<br />

gegen <strong>die</strong> untere halbheimlich verseucht <strong>und</strong> von <strong>die</strong>ser<br />

mehr oder weniger abgeschnitten, <strong>die</strong>se selbst wiederum<br />

zwischen kranker Schwache <strong>und</strong> roher Behauptung<br />

verderben lassen. Über<strong>die</strong>s haben <strong>die</strong> Religionen<br />

immer nur eine Scheinherrschaft gehabt. Jetzt ist <strong>die</strong><br />

Lage so, daB sie, wieviel sie auch noch bedeuten, wegen<br />

ihrer nicht mehr giltigen Gr<strong>und</strong>lagen, mit denen aber<br />

sie selbst aufgehoben sein würden, wohl der Aufgabe<br />

sich zuwenden <strong>und</strong> an ihr mitwirken können, zumal<br />

durch ihre auf letzte Werte hin erzogenen Menschen,<br />

nicht aber selbstandig der Aufgabe gewachsen sind. Ihr<br />

Erbe ist unzweifelhaft Nietzsche.<br />

8. Die neue Schöpfung durch den Geist. — Auf alle<br />

Erlösungen folgt wieder eine Schöpfung. Die Erlösungen<br />

waren seelisch-geistigen Auftriebes, mit Überwiegen der<br />

Seele, <strong>die</strong> Schöpfung hat geistig-seelischen Auftrieb <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> Lenkung durch den Geist. Da aber der Geist nichts<br />

Einzelnes sein kann <strong>und</strong> es am allerwenigsten bei<br />

18


I<br />

Nietzsche sein will, da er fur eine geschloBne <strong>und</strong> bewuBte<br />

Wirkungeinheit aller Machte einsteht, ist eine<br />

Schöpfung <strong>des</strong> Geistes zugleich eine Selbstvollendung<br />

der Natur. 1st nun <strong>die</strong> Menschen-Natur in den schöpferischen<br />

Spiegel <strong>des</strong> Geistes getreten wie ehedem <strong>die</strong><br />

Wirbelkette <strong>und</strong> damit der ganze Leib in <strong>die</strong> Ganglien-<br />

Blüte <strong>des</strong> Hauptes, so ist <strong>die</strong> natur-geistige <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

geist-natürliche Bahn <strong>des</strong> Menschen als eine <strong>und</strong> <strong>die</strong>selbe<br />

eindeutig vorbestimmt. Der Mensch muB sich in<br />

immer weiterem Umfange <strong>und</strong> steigendem Grade im<br />

gröBten <strong>und</strong> im kleinsten seiner selbst bewuBt werden,<br />

Dasein in BewuBtsein verwandeln. Jedoch nicht so wie<br />

etwa <strong>die</strong> Inder oder spatere Mystiker, daB er das Dasein<br />

durch das BewuBtsein auflösen würde, sondern indem<br />

er jenes in <strong>die</strong>sem sammelt, zusammenha.lt <strong>und</strong> als<br />

vollstandiges zur Vollkommenheit führt. Dabei leistet er,<br />

der Geist, etwas, das auf untern Stufen <strong>die</strong> Natur mit<br />

ihren Wachstums-Trieben, -Formen <strong>und</strong> -Leitungen<br />

selbst vollbringt, auf <strong>die</strong>ser oberen Stufe nur noch der<br />

bewuBte Geist als ihr oberstes Organ vollbringen kann.<br />

Es ist <strong>die</strong> Reaktivierung der Latenzen, <strong>die</strong> interpotenzielle<br />

Synthese, <strong>die</strong> Kristallisation zur neuen höchsten<br />

Potenz <strong>und</strong> <strong>die</strong> Organisation aller niederen Potenzen<br />

durch <strong>die</strong>se zu dem verwandelt wiederkehrenden Organon.<br />

Durchaus zu verstehen ist das nur aus der Biologie<br />

— freilich einer vergeistigten. Denn es ist der Inbegriff<br />

aller Lebensprozesse.<br />

9. Die Schöpfung <strong>des</strong> Menschen durch den Geist <strong>und</strong><br />

Nietzsches neues Reich <strong>des</strong> Menschen. — Bei der Schöpfung<br />

<strong>des</strong> Menschen durch den Geist besagt es <strong>die</strong>s. Die<br />

I<br />

9


BewuBtwerdung, sowohl <strong>die</strong> unmittelbare von innen her<br />

wie <strong>die</strong> plan voile wissenschaftliche, gibt uns unsere ganze<br />

Vorgeschichte, <strong>die</strong> untergesunken <strong>und</strong> überdeckt, nicht<br />

verloren ist, zurück. Das BewuBtsein entzündet das erloschene<br />

Sein, das über <strong>die</strong> Empfindung <strong>und</strong> Erkenntnis<br />

seiner noch einmal zum Leben kommt. Wir haben in<br />

engerem Bezirke das oft erfahren: Geschichtforschung<br />

hat Geschichtalter <strong>und</strong> vergeBne Ideale verjüngt, Naturforschung<br />

uns zu Meistern über bisher verborgene Stoffe<br />

<strong>und</strong> Kraite unserer Welt <strong>und</strong> auch über unsere eigenen<br />

Krankheiten gemacht. Denn wir sind das alles selbst,<br />

vom Atom an Schicht auf Schicht, <strong>und</strong> nicht etwa in<br />

getrennten Lagen, sondern in jedem Punkte sogenannter<br />

Materie konzentrieren sich koinzident <strong>die</strong> Schichten Stufen<br />

Potenzen Typen Epochen zum komplexen Phanomen<br />

einer Gesamtfunktion <strong>des</strong> Organon. So ist, was Welt<br />

ist <strong>und</strong> auBerhalb unser selbst bleibt, <strong>und</strong> davon auch<br />

das was in unserer Art-Entwicklung wir auf keine Weise<br />

sind noch je gewesen sind, uns dennoch verwandt <strong>und</strong><br />

je weiter wir es <strong>und</strong> uns zurück verfolgen umso naher:<br />

wegen der Elemente <strong>und</strong> Typen kaleidoskopisch konstellierenden<br />

<strong>und</strong> erst an den Enden der Laufe brückelos<br />

vereinzigenden gemeinsamen Lebenseinheit. Also ist uns<br />

gegeben <strong>und</strong> geboten, das was wir in hohem Grade leiblich<br />

sind, ein Geschöpf der Geschöpfe, ein All- <strong>und</strong> Ein<strong>und</strong><br />

Zielwesen, das auch geistig <strong>und</strong> auf uns selbst rückgewandt<br />

zu werden: uns, den Menschen, von Anbeginn<br />

bis heut, in uns selber noch einmal zu saen, aus uns selber<br />

noch einmal zu ernten, bis daB wir geworden sind<br />

was wir sind <strong>und</strong> es mit unserer ganzen Lebbarkeit<br />

leben: nicht eine Art Mensch, <strong>die</strong> aus sich selber schwei-<br />

20


fend Kosmos wird, sondern der Mensch als Art, in den<br />

der Kosmos eingeht, Mensch zu werden, oder Übermensch,<br />

oder Gott. MüBig sind hier <strong>die</strong> Fragen nach der<br />

Möglichkeit, denn es ist garnichts anderes als das möglich,<br />

es sei denn der sichere Verf all; halb geraten aber<br />

oder miBraten kann je<strong>des</strong> <strong>und</strong> unbedingt gerat nichts.<br />

Die Aufgabe ist übermenschlich. Nur ist eine Aufgabe<br />

immer „darüber <strong>und</strong> darüber hinaus". Soli das nicht<br />

sein, so bleibt <strong>die</strong> willen- <strong>und</strong> wertlose Entwicklung <strong>und</strong><br />

zwar: <strong>die</strong> abwarts zu erleiden. Das Unterfangen ist titanisch,<br />

<strong>die</strong> Idee <strong>und</strong> das Ideal aber klassisch, der Gipfel<br />

<strong>des</strong> Klassischen. Der ist nur von gereiften Titanen zu<br />

erschwingen. Und nun befinden wir uns inmitten von<br />

Nietzsches Neuem Reich <strong>des</strong> Menschen.<br />

io. Nietzsches Selbst- <strong>und</strong> Werte-Kritik <strong>und</strong> Werte-<br />

Schöpfung. — Nietzsche, als Wesen der Sphare Hölderlin<br />

zugehörig, von den Griechen, dem deutschen Humanismus,<br />

Schopenhauer <strong>und</strong> Wagner kommend, hat in<br />

den Schriften seiner Jugend als Fremdling <strong>und</strong> Feind<br />

sich seiner eigenen Zeit entriickt <strong>und</strong> ihr schlechthin<br />

andere, von ihr unannehmbare Ideale, <strong>und</strong> zwar metaphysisch<br />

erlöserische, doch in ihrer Latenz bereits schöpferische,<br />

entgegengesetzt. Spater vollzog er den tieferen<br />

Bruch: den mit auch <strong>die</strong>sen Idealen. Er wurde der Seher<br />

<strong>und</strong> Richter <strong>des</strong> Verf alls <strong>des</strong> Menschen. Er ging weiter:<br />

über <strong>die</strong> Selbstkritik zur Menschheitkritik <strong>und</strong> zur Kritik<br />

der Art Mensch. Er trieb <strong>die</strong> Analyse aufs auBerste,<br />

indem er nicht mehr <strong>die</strong> Wirklichkeiten sondern <strong>die</strong><br />

Werte <strong>und</strong> Herrscherwerte angriff: auf ihre Herkunft<br />

zurückführte <strong>und</strong> damit bald entwertete, bald als un-<br />

21


anwendbar envies — <strong>und</strong> indem er sie ferner nach ihrer<br />

Auswirkung auf <strong>die</strong> Wertigkeit <strong>des</strong> Menschen selbst<br />

priifte <strong>und</strong> so vernichtete. Hinter dem aber muBte —<br />

sonst ware es nicht durchzuführen gewesen — ein eigener<br />

MaBstab stehen. Es war eben jene Wertigkeit <strong>des</strong><br />

Menschen selbst <strong>und</strong> zwar <strong>die</strong> biologische. Nur daB<br />

biologisch hier — abgesehen von einzelnen Ausgleitungen<br />

<strong>und</strong> Ausschlagen — nicht materialistisch gemeint<br />

war sondern nur gegenidealistisch: in dem Sinne fest<br />

gegriindeter <strong>und</strong> vollkommen entfalteter Natur. Der<br />

Ursprung <strong>die</strong>ser Kritik war das leidenschaftliche Bedürfnis<br />

nach Wahrheit, sei sie das Leben oder der Tod.<br />

Der Zweck schaltete sich erst ein: vielleicht von der<br />

Ausdenkung <strong>des</strong> ganzen Verf alles den Übergang zu einer<br />

Erneuerung zu entdecken. Eine Schöpfung lag noch<br />

auBerhalb der bewuBten Hoffnungen. — Nietzsches<br />

Kritik wurde schöpferisch, da sie nicht nach auBen angriff<br />

<strong>und</strong> schalt, sondern ins eigne Fleisch schnitt. Er<br />

meinte sich selber <strong>und</strong> wo er nicht sich meinte, da trat<br />

er als Mitleidender <strong>und</strong> AlleinbüBender an <strong>die</strong> Stelle <strong>des</strong><br />

Gemeinten. Er war von Anfang an Erlöser <strong>und</strong> wurde<br />

erst als solcher zum Schöpfer. Seine Kritik, furchtbarer<br />

<strong>und</strong> zerstörender als jede asketische, <strong>die</strong> doch nur das<br />

Leben selbst trifft <strong>und</strong> uns Lebendige als <strong>des</strong>sen Opfer,<br />

hat er ausgeübt als ein Experiment an seiner Person, ob<br />

<strong>die</strong>se alle Wahrheit ertragen <strong>und</strong> dabei bestehen könne.<br />

Es blieb ihr nur übrig, sich als wie auch immer erkannte<br />

<strong>und</strong> beschaffene zu bejahen, aber aus sich <strong>und</strong> über sich<br />

hinaus ein realisierbares Ideal zu erzeugen. Diese Tat<br />

an seiner Person durfte er als Urquell <strong>und</strong> Gleichnis in<br />

<strong>die</strong> Tat an der Menschheit <strong>und</strong> der Art Mensch hin-<br />

22


überleiten <strong>und</strong> auf sich gestützt doch jenseit seiner vollt<br />

enden. Denn das Individuum ist für sich nichts, für alle<br />

alles.<br />

s<br />

ii. Nietzsches Umwertung <strong>und</strong> seine Überwerte Leben<br />

B<br />

<strong>und</strong> Leib; sein schaffen<strong>des</strong> Denken. — Nietzsches Kritik<br />

ist <strong>die</strong> Wendung der Krisis, vom Verfall zur Schöpfung.<br />

t<br />

Seine Erkenntnis der Wirklichkeiten ringt um den Int<br />

differenzpunkt: es gibt keine Herrscherwerte mehr sonr<br />

dern ein Wertechaos in dem unvereinbare Werte einander<br />

aufheben. So erlangen nicht starke <strong>und</strong> pragende,<br />

also auch aufsteigende <strong>und</strong> erbbestandige Werte <strong>die</strong><br />

i" Übermacht, sondern breite <strong>und</strong> mittlere vermischte,<br />

r<br />

niederziehende <strong>und</strong> sich auflösende. Es ist ein Vorgang<br />

h der Entwertung mit allen seinen biologischen Folgen. —<br />

•s<br />

Nietzsches Umwertung geschieht zunachst durch Erhebung<br />

der Gegenwerte. Danach wird eine Rangordnung<br />

r<br />

der Werte festgestellt. Endlich wird in einer vollstandiit<br />

gen Synthese ein neues Organon der Werte als Herrs<br />

schaftgebilde vollbracht. Das alles setzt einen umfassene<br />

den <strong>und</strong> für jeden Wert auch Werte-Widerspruch einr<br />

stehenden Überwert voraus. Dieser ist da: das Leben,<br />

oder beim Menschen: der Leib. Aber das groBe Leben<br />

<strong>und</strong> der groBe Leib, nicht nur <strong>die</strong> unteren Potenzen, bei<br />

denen der Materialismus haltmacht. Auch <strong>die</strong>s ist noch<br />

eine zu allgemeine Bestimmung: unter dem Leben <strong>und</strong><br />

c<br />

dem Leibe kann sehr vieles verstanden werden. Hier<br />

i<br />

aber ist Nietzsches Denkweise unvergleichlich <strong>und</strong> abt<br />

weichend. Sie selber, als ein schöpferischer Allsinn, veri<br />

wirklicht mit ihrer Tat ihren Gegenstand: den gröBten<br />

Leib <strong>des</strong> Lebens: den Menschen. Sie ist selber <strong>die</strong> vor-<br />

23


weggenommene Wirklichkeit <strong>des</strong> allganzen Menschen.<br />

Denn <strong>die</strong>ser ist in ihr, als der Funktion seines höchsten<br />

Organs, <strong>des</strong> ihm vertreten<strong>des</strong> Geistes, bereits erschienen.<br />

— Der Denker Nietzsche arbeitet nicht im alten<br />

Geiste einen Begriff oder ein Bild heraus, <strong>die</strong> Einheit<br />

<strong>und</strong> Eindeutigkeit verbürgen sollen <strong>und</strong> er schreitet auch<br />

nicht von Erfahrungen über Begründungen zu obersten<br />

Erklarungen. Er bewegt im ganzen das Ganze, immer auf<br />

einmal <strong>und</strong> wie zufaUig, entwindet ihm mit seinen Kratten<br />

<strong>und</strong> Listen, geleitet durch <strong>die</strong> erzogenste Selbst erkenntnis,<br />

<strong>die</strong> vielfaltigsten Erkenntnisse <strong>und</strong> bewegt<br />

<strong>die</strong>se wiederum im ganzen, bis sie, als rahmenlose <strong>und</strong><br />

nur im Erkennenden <strong>und</strong> Erkannten zusammenhangende,<br />

selbsttatig zusammenwachsen. Diese Denk- <strong>und</strong> Arbeitweise<br />

erscheint auBerlich als aphoristisch <strong>und</strong> ist da<br />

an ihrem Platze, wo auf jede Einschrankung <strong>und</strong> je<strong>des</strong><br />

Vorurteil, sogar auf jede Aussicht eines Ergebnisses verzichtet<br />

ist <strong>und</strong> ein Mensch mit dem Einsatze seiner selbst<br />

das Spiel mit dem Ganzen wagt. Hier wird leicht der<br />

Abenteurer <strong>und</strong> der Schöpfer verwechselt, da gemeinsame<br />

Züge <strong>und</strong> Übergange sind. So ist noch nicht genug<br />

eingesehn worden, daB Nietzsche dort, wo ein ungeheures<br />

Trümmerfeld sich zeigt, den Über<strong>menschen</strong> <strong>und</strong> den<br />

neuen Kosmos fast vollendet hinterlassen hat. Es bedarf<br />

nur noch eines aus ihnen entstrahlten letzten oder ersten<br />

Blickes, der freilich einer Verjüngung <strong>und</strong> Vollendung<br />

gleichkommt, um sie von der Schöpfung zum Dasein<br />

zu bringen. — Nietzsches kritisches Denken ist also<br />

nicht eine in der Luft sich vollziehende Anschauung von<br />

Gegenstanden, sondern ein Ausdruck <strong>und</strong> Hebei der Verwandelung<br />

<strong>des</strong> Denkenden wie <strong>des</strong> Gedachten <strong>und</strong> damit<br />

24


auch <strong>des</strong> Denkens selbst: das ist <strong>des</strong> unteilbaren Menschen<br />

<strong>und</strong> seiner von ihm unteilbaren Welt. Damit ist<br />

seine Werte-Kritik der Leitfaden <strong>des</strong> schöpferischen Vorganges<br />

seiner Stiftung der neuen Werte, ja <strong>des</strong> neuen<br />

Menschen <strong>und</strong> der neuen Welt, <strong>und</strong> ist sie das Negativ<br />

<strong>des</strong> nachher notwendig ans Licht tretenden, ja aus ihrer<br />

Triebkraft <strong>und</strong>] ihrem Auftriebe emporgeschleuderten<br />

ihr Zug um Zug entsprechenden Novum Organon.<br />

12. Die kritisierten drei Werte-Kreise; Burger turn <strong>und</strong><br />

schöpferischer Geist. — Nietzsches Werte-Kritik trifft<br />

drei Werte-Kreise: <strong>die</strong> biirgerlichen, <strong>die</strong> modernen <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> metaphysisch-religiösen Werte. Nicht daB <strong>die</strong>se<br />

Werte selbst von einander zu trennen waren oder ihre<br />

Kreise sich ausschlössen — <strong>die</strong> Unterscheidung <strong>die</strong>nt,<br />

um vom Engen ins Weiteste <strong>und</strong> von der Oberflache<br />

bis an <strong>die</strong> Urspriinge vorzudringen. Sie bezeichnet zugleich<br />

dreierlei verschiedene doch mit einander verschmolzne<br />

Fassungen <strong>des</strong> unmittelbaren Lebens, <strong>die</strong> im<br />

Begriffe sind auBen zu zerbrechen, keineswegs schon<br />

innen durch andere sich zu ersetzen. Sie sind nicht mit<br />

bestimmter Zeit verb<strong>und</strong>en, sie sind durch <strong>die</strong> Geschichte<br />

gehende, im Verhaltnis zu andern Werte- <strong>und</strong> Daseins-<br />

Kreisen der menschlichen Gemeinschaft hervor- oder<br />

zurücktretende eindeutig typische. — Der bürgerliche<br />

eigentlich spatbürgerliche Werte-Kreis ist der kleinste<br />

<strong>und</strong> den es nicht immer gab noch geben wird. Innerhalb<br />

<strong>des</strong>sen ist es gar ein allerkleinster, der hauptsachlich<br />

gemeint ist: Mittelstadt <strong>und</strong> Mittelstand <strong>des</strong> damaligen<br />

Deutschland. Dennoch ist in dem Rahmen nicht nur <strong>die</strong><br />

Masse sondern der Kern zu treffen, weil hier der heroisch-<br />

25


tragische Übergang <strong>des</strong> Geistes aus Begleitung oder Absonderung<br />

zur Schöpfung-Aufgabe sich ereignet: nach<br />

den Enzyklopadisten Rousseau <strong>und</strong> Kant <strong>und</strong> seine Folger,<br />

der neue Humanismus, Goethe, <strong>die</strong> Romantik, Hölderlin,<br />

Nietzsche, <strong>die</strong> historischen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Naturwissenschaften,<br />

der Sozialismus. Die Entwicklung ist europaisch<br />

<strong>und</strong> übereuropaisch, doch wird Deutschland nach<br />

ihren ersten Stuf en in ihr f ührend <strong>und</strong> sie in Deutschland<br />

am intensivsten <strong>und</strong> radikalsten <strong>und</strong> ungehemmt von<br />

Krise zu Krise vorgetrieben. — Unselig muB es scheinen<br />

daB, zugeschlagen zwar <strong>die</strong> ausgebrochnen Söhne von<br />

Adligen reichen Kaufleuten <strong>und</strong> Beamten, ein meist armer<br />

<strong>und</strong> verkümmerter, unfreier <strong>und</strong> weltfremder Kleinleutestand,<br />

jah emporgerissen <strong>und</strong> auch wirtschaftlich<br />

sich erhebend, Trager der letzten Entscheidungen,<br />

Schöpfer von Welt <strong>und</strong> Mensch wird. Denn <strong>die</strong> Werte<br />

werden ja von ihren Gründern schon unterbewuBt umgewertet<br />

<strong>und</strong> zwar in den Schichten deren Bau am<br />

sichersten sich erhalt <strong>und</strong> fortpflanzt: denen ihres biologisch-sozialen<br />

Ursprunges. So kam es damals zu einer<br />

Koppelung <strong>des</strong> heroischen Geistes <strong>und</strong> seiner überchristlichen<br />

Seele mit der Erbnatur <strong>des</strong> sozialen Emporkömmlings.<br />

Es schossen also in <strong>die</strong> Werte mit ein <strong>die</strong> Minderwertigkeiten<br />

eines aus seinen Ufern getretnen <strong>und</strong><br />

sich überformenden <strong>und</strong> entformenden Bürgertums:<br />

Enge Angst Krampf Unsicherheit, versteifter Moralismus<br />

<strong>und</strong> Protestantismus, Phantasie-Ausschweifung<br />

<strong>und</strong> Verlogenheit der Triebe, Sklavensinn <strong>und</strong> karger<br />

Nutzsinn, Strebertum, Unerzogenheit zumal im Leiblichen,<br />

Geschmacklosigkeit <strong>und</strong> Unvornehmheit durch<br />

<strong>und</strong> durch. Zugleich aber war in <strong>die</strong>sem Mittelstande der<br />

26


Ab-<br />

leidenschaftliche Eifer um alle von oben <strong>und</strong> unten zuach<br />

dringenden Werte <strong>und</strong> geschah hier deren Aneignung<br />

Jol-<br />

<strong>und</strong> Synthese <strong>und</strong> der Versuch, sie im persönlichen <strong>und</strong><br />

Jöl-<br />

Gemeinschaft-Leben zu erfüllen. Ja noch mehr: <strong>die</strong><br />

sen-<br />

garende <strong>und</strong> doch fruchtbare Mischung der zerfallenden<br />

iro-<br />

Stande selbst, deren Kinder von oben stürzend <strong>und</strong> von<br />

ach<br />

unten steigend ein immer unklarerer neuer Stand werand<br />

den. Ferner <strong>die</strong> Erringung <strong>und</strong> Macht-Auswirkung einer<br />

von<br />

schrankenlosen geistigen Bildung, <strong>die</strong> zur Voraussetzung<br />

nen<br />

aller durch sie vergeistigten Berufe <strong>und</strong> von deren umvon<br />

walzenden Leistungen wird. Ein Hexenkessel, in dem<br />

ar-<br />

der aonische ProzeB sich vollzieht! — Nietzsches Kritik<br />

tin-<br />

trifft nicht den ProzeB, sondern überwindet <strong>des</strong>sen Phase,<br />

ich<br />

Er zeigt das Werte-Chaos <strong>und</strong> entlarvt den Widerspruch<br />

en,<br />

zwischen einer minderwertigen Menschenart <strong>und</strong> den<br />

rte<br />

von ihr beanspruchten <strong>und</strong> vertretenen obersten Werten<br />

m- sowie den anderen zwischen dem echten Sinn <strong>die</strong>ser<br />

am<br />

Werte <strong>und</strong> ihrer heuchlerischen Ausbeutung durch <strong>die</strong>se<br />

iio-<br />

Menschenart zu ihrer unerschiitterbaren Selbstbefriediner<br />

gung <strong>und</strong> unversönlichen Feindschaft gegen Werte- <strong>und</strong><br />

st-<br />

Lebens-Schöpf erische. Einen Widerspruch freilich,<br />

m- der grauenvoll auch <strong>die</strong> ersten Schöpfer <strong>die</strong>ser Werte<br />

er-<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong>ses Lebens <strong>und</strong> sogar <strong>die</strong>se Werte <strong>und</strong> <strong>die</strong>ses<br />

nd<br />

Leben selbst zerreiBt oder befleckt. Die Analysen, <strong>die</strong><br />

is:<br />

hier bis in <strong>die</strong> untersten Schachte der Psyche hinablis-<br />

gestoBen werden, gelten zwar zum Teile nur für jene beng<br />

sonderen zeitlich <strong>und</strong> anders bedingten Erscheinungen,<br />

^er<br />

<strong>die</strong> dann als zu wichtig <strong>und</strong> allgemein genommen werib-<br />

den, sind aber zum gröBern Teile prototypisch für den<br />

ch<br />

Zustand <strong>des</strong> gestern vordersten <strong>und</strong> heute breitesten,<br />

Ier noch immer <strong>die</strong> Gesamtmasse führenden Typus der<br />

27


Menschheit. Denn auch was wir kurzhin <strong>die</strong> Moderne<br />

nennen, ist fast seinem ganzen inneren Wesen nach <strong>und</strong><br />

weithin auch in seinem auBeren Wesen durchaus bürgerhch-mittelstandisch.<br />

13. Die Moderne; unsere Moderne. — Eine Moderne<br />

gibt es in jedem Zeitalter. Es ist das vorderste Werden<br />

das sich losgerissen hat mit seiner Andersart <strong>und</strong> seinem<br />

Gegentrieb. Es muB jugendlich sein <strong>und</strong> das Alte bekampfen,<br />

als Unbedingtes auftreten <strong>und</strong> ohne Sicherung<br />

bleiben. Es trifft stets zusammen mit dem Untergange<br />

<strong>des</strong>sen was Untergang-reif ist, als der Anfang <strong>des</strong> vordrangenden<br />

Neuen, das unerhörte Erfüllungen verhei-<br />

Bend vorwegnimmt. Spaterhin versteht man unter<br />

Moderne <strong>die</strong> besonderen inneren <strong>und</strong> auBeren Zustande,<br />

<strong>die</strong> Leistungen <strong>und</strong> das Geprage, welche in solchem Werden<br />

geworden sind <strong>und</strong> sich behauptet haben. Das auch<br />

behalt eine Fragwürdigkeit <strong>und</strong> wird teils angefochten<br />

teils überbetont. Denn <strong>die</strong> feste dichte Schichtung <strong>des</strong><br />

lang Bestehenden übt einen ungeheuren Druck, selbst<br />

dann noch wenn sie bröckelt <strong>und</strong> morscht. — Wir heute<br />

sind weit vorgerückt in einer bestimmten <strong>und</strong> einmaligen<br />

Moderne. Diese kann, je nach dem Radius, angenommen<br />

werden: vom Beginne <strong>des</strong> verselbstandigten Europa<br />

vom Christentum, vom Mittelalter, von der Reformation,<br />

von der Revolution, von Romantik Technik <strong>und</strong><br />

Sozialismus. Sie wird bezeichnet durch eine unermeBlich<br />

lange Krise <strong>und</strong> ihre zahllosen Phasen: <strong>die</strong> Auflösung<br />

<strong>des</strong> kosmisch-hierarchischen Gef üges der Menschheit <strong>und</strong><br />

<strong>des</strong> Menschen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Umlagerung der Lenkgewalt von<br />

der Ichheit <strong>des</strong> Alls zu der Allheit der Iche. Das ware<br />

28


ein klarer NaturprozeB, wenn wir ihn im ganzen anschauten<br />

<strong>und</strong> er uns als Einzelne nicht anginge. Aber<br />

da er uns erst vereinzelt, um uns dann wieder zusammenzufassen,<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong>ses nicht gleichmaBig fortgehend sondern<br />

in Ausschlagen, da über<strong>die</strong>s erst <strong>und</strong>enkbar Spatere<br />

sein Ziel erreichen können, werden wir als Individuen<br />

<strong>und</strong> Personen von Machten, denen wir nicht gewachsen<br />

sind, von Katastrophe zu Katastrophe geschleudert.<br />

Wir haben es schwer <strong>und</strong> vermogen es dennoch, anstatt<br />

zu verzweifeln <strong>und</strong> uns treiben zu lassen, mit einem reinen<br />

BewuBtsein das Ganze zu umfassen <strong>und</strong> unseren<br />

jeweiligen Ort zu finden.<br />

14. Nietzsches Überwindung <strong>und</strong> Umwertung der<br />

Moderne. — Nietzsches Kritik <strong>und</strong> Kampf richtet sich<br />

nicht gegen <strong>die</strong> Moderne als einen groBen Übergang,<br />

sondern gegen <strong>des</strong>sen sich selbst wollende Verfestigung.<br />

Er reiBt <strong>die</strong> Bewegung aus ihrem Verkreisen pfeiljah<br />

vorwaxts. Er ist der Modernste der Moderne <strong>und</strong> damit<br />

ihr Überwinder. Wo er auf seiten der Vergangenheit<br />

steht, verzögert er kein Vergehen, sondern verjüngt <strong>die</strong><br />

Kraft, Unvergangliches weiterhin zu behaupten, <strong>und</strong><br />

tilgt Übergang-Werte durch verbürgte <strong>und</strong> nachhaltige.<br />

Er wagt <strong>und</strong> wahlt nur im Hinblick auf <strong>die</strong> Zukunft,<br />

<strong>die</strong> aber, nach seinem Schöpfungplane, nicht wieder eine<br />

Stufe irgendwohin, sondern ein All <strong>und</strong> Eines <strong>und</strong> Ganzes<br />

ist, <strong>und</strong> darum ist ihm <strong>die</strong> Gegenwart der Anderen<br />

auch schon Vergangenheit <strong>und</strong> jeder im Menschen <strong>und</strong><br />

seiner Welt erzeugbare oder wiedererzeugbare lebenmehrende<br />

<strong>und</strong> steigernde Wert gleich unersetzlich. Es<br />

kommt nur darauf an, in der Natur-Geistes-Ordnung<br />

29


der Werte ihn richtig einzufügen. — So also stellt er<br />

sich zur Moderne. Er nimmt sie als biologischen Verfall<br />

symptomatisch. Der Historismus: das Bedürfnis nach<br />

Masken <strong>und</strong> Schauspielerei, nachdem der eigene Typus<br />

verloren worden. Der Materialismus Pessimismus <strong>und</strong><br />

Zynismus: <strong>die</strong> mechanische Umkehrung <strong>des</strong> Idealismus,<br />

nachdem alle Ideale, als gr<strong>und</strong>los <strong>und</strong> lügend, enttauscht<br />

haben. Die Flucht ins Objektive der Wissenschaft <strong>und</strong><br />

Arbeit: das Unvermögen frei <strong>und</strong> schöpferisch zu leben<br />

oder auch nur sich persönlich zu ertragen. Der Demokratismus<br />

<strong>und</strong> Sozialismus: <strong>die</strong> Verkleinerung <strong>und</strong> dann<br />

Zermahlung der Individuen, Tschandala Pöbel <strong>und</strong><br />

Masse. Das Umschlagen ins Neureligiöse, Asthetisch-<br />

Absolute, vielfaltig Romantische: Betaubung in Opiaten<br />

als Begleitung der Dekadenz <strong>und</strong> Vorzeichen <strong>des</strong> Nihilismus.<br />

— Die Moderne ist für Nietzsche das Voralter<br />

der letzten Krise, <strong>die</strong> aber bei ihm nicht mitternachtig<br />

sondern der GroBe Mittag ist. Sie ist also eschatologisch.<br />

Und damit wird sie als notwendige Sache <strong>und</strong> freie Tat,<br />

das ist: als volle Tatsache, was im alten Kosmos <strong>die</strong> Sonne<br />

in der Unterwelt ist: das noch verschattete Werden oder<br />

das zu erlösende zukünftige Licht <strong>und</strong> Aeon. Dann erhalt<br />

jeder bisher verneinte Wert seine neue Funktion<br />

<strong>und</strong> damit sein Ja. Der Historismus wird Brücke zur<br />

Synthesis <strong>des</strong> vollkommenen Typus; der Materialismus<br />

Pessimismus Zynismus zum freien Geiste; das Objektive<br />

der Wissenschaft <strong>und</strong> Arbeit zur Wahrhaftigkeit <strong>und</strong><br />

Welteroberung <strong>und</strong> zu den <strong>die</strong>nstbaren Tugenden; der<br />

Demokratismus <strong>und</strong> Sozialismus zu der Einheit <strong>und</strong><br />

dem Elemente, woraus der höhere Mensch <strong>und</strong> Übermensch<br />

hervorgehe; das Neureligiöse Asthetisch-Abso-<br />

30


lute vielfaltig Romantische zu Wachstum <strong>und</strong> Steigerung<br />

der Seele bis an unendlichen Umfang <strong>und</strong> Grad.<br />

15. Nietzsches Verwerfung der antibiologischen Religionen.<br />

— Nietzsches Kritik an den Religionen, zumal<br />

der christlichen, <strong>und</strong> an den ihnen nachfolgenden metaphysisch-idealistischen<br />

Philosophien, zumal der deutschen,<br />

wird ein das Ziel überschieBender Kampf, der<br />

sich teilweise der Waffen <strong>des</strong> Materialismus be<strong>die</strong>nt. Es<br />

ist eine Fortsetzung der Aufklarung <strong>und</strong> der Freigeisterei.<br />

Das ist Notwendigkeit, da alle Religion <strong>und</strong><br />

Metaphysik voll Voraussetzungen ist, <strong>die</strong> nicht an <strong>und</strong><br />

für sich sondern nur für den noch gelten können, der an<br />

bestimmte wörtliche Offenbarungen <strong>und</strong> Vorschriften<br />

eines Gottes oder an eine in eindeutigen abgezogenen Begriffen<br />

darstellbare Weltordnung glaubt. Die Kritik verfallt<br />

aber wieder der Kritik, wo sie aus naturalistischen<br />

das heiBt nur sinnen- <strong>und</strong> verstan<strong>des</strong>maBigen Annahmen<br />

— zum Beispiel: es gibt keinen Gott <strong>und</strong> keinen Geist,<br />

<strong>die</strong> Welt ist ein Bau aus Stoffen <strong>und</strong> Kraften, der<br />

Mensch ist ein Tier—ursprünglichere <strong>und</strong> vollstandigere<br />

Erlebnisse <strong>und</strong> Feststellungen verneint. SchlieBlich ist<br />

der Empirismus auch eine Metaphysik <strong>und</strong> zwar eine<br />

solche <strong>die</strong> allein <strong>die</strong> mittleren <strong>und</strong> handgreiflichen Stufen<br />

der Erf ahrung anerkennt <strong>und</strong> nur aus <strong>die</strong>sen—anstatt wie<br />

jene nur aus den obersten <strong>und</strong> untersten — ein Dogmen-<br />

Gebaude errichtet, um nun auf umgekehrtem Wege<br />

ebenso das komplexe Phanomen <strong>des</strong> Allganzen zu verdringen.<br />

— Nietzsche gleitet, von der Zeit beeinfluBt,<br />

in solches aus. Davon wird seine Hauptsache nicht berührt.<br />

Denn hinter seiner Kritik steht <strong>die</strong> Wahrheit <strong>des</strong><br />

31


L_<br />

ganzen Menschen <strong>und</strong> <strong>die</strong> biologische <strong>und</strong> moralische<br />

n<br />

Wirkung der transcendenten Glaubenswerte auf <strong>die</strong>sen.<br />

L<br />

Nietzsche wirft vor: <strong>die</strong> Natur ist durch willkürliche t<<br />

starre <strong>und</strong> blasse Unterschübe irrig begründet feindselig<br />

is<br />

beurteilt <strong>und</strong> drauBen vernachlaBigt drinnen verunstal-<br />

ir<br />

tet worden; Ursache, daB der Mensch selbst <strong>und</strong> be-<br />

li<br />

sondere Entartungen von ihm ihr nicht gewachsen waren<br />

d<br />

<strong>und</strong> von ihr ab <strong>und</strong> gegen sie aus kluger Rache <strong>und</strong><br />

k<br />

Ressentiment sich kehrten; <strong>die</strong> homines religiosi, durch<br />

G<br />

höher erscheinende Vermogen überlegen — es sind ja<br />

w<br />

<strong>die</strong> altesten Verkörperer von Geist <strong>und</strong> Seele — gewan-<br />

n<br />

nen <strong>und</strong> behaupteten eine antibiologischeÜbermacht<strong>und</strong> t(<br />

bestimmten <strong>die</strong> Werte; <strong>die</strong> aber befochten <strong>die</strong> groBe <strong>und</strong><br />

zi<br />

volle Natur, als einesteils asketische andresteils herab-<br />

rc<br />

mindernde <strong>und</strong> Masse bildende; so entstand <strong>die</strong> Moral,<br />

E<br />

in der vom Leben eine Selbstpreisgabe gefordert <strong>und</strong><br />

sc<br />

übrigens das Unterste zu oberst gekehrt ist, <strong>die</strong> darum<br />

ai<br />

zum biologischen Verf all der Art, zur Dekadenz <strong>des</strong> k<<br />

Menschen, führen muBte <strong>und</strong> geführt hat, bis an <strong>die</strong> V\<br />

gegenwartige Krise: den Ausbruch eines allgemeinen di<br />

Nihilismus. Dieser freilich hat noch einen umfangliche-<br />

G<br />

ren Ursprung: <strong>die</strong> Vermischung aller Werte <strong>und</strong> auch<br />

M<br />

der Gegenwerte mit den vorwaltenden bis in <strong>die</strong> Selbst- h;<br />

vernichtung der Werte überhaupt wegen ihrer Unver-<br />

di<br />

einbarkeit.<br />

sc<br />

G<br />

16. Nietzsches Umwendung <strong>des</strong> metaphysischen Trie- b:<br />

bes. — Die Wiederherstellung <strong>und</strong> Vollendung <strong>des</strong> gan-<br />

ui<br />

zen Menschen, erst in Idee <strong>und</strong> Ideal dann in Wirklichkeit,<br />

hat als gröBten Gegner den metaphysischen Ur-<br />

ei<br />

trieb. Der kommt zu seiner königlichen Gewalt <strong>und</strong> sei-<br />

m<br />

32 1 3


nem Reiche in Religionen <strong>und</strong> Philosophien, doch beherrscht<br />

er auch alle Wissenschaften <strong>und</strong> das gesamte<br />

tagliche Leben. „Das Atom besteht aus den Teilen ..."<br />

ist ein wissenschaftliches Beispiel — ,,du kommst aber<br />

immer zu spat!" ein tagliches: für <strong>die</strong> unverantwortliche<br />

Übertragung von Begriffen <strong>und</strong> Begrifflichkeiten,<br />

<strong>die</strong> zwar an Erfahrbarkeiten entspringen <strong>und</strong> sich erfüllen,<br />

doch nunmehr mit ihrer Allheit Allgemeinheit <strong>und</strong><br />

Geltung auf begrenzte oder einmalige Erfahrungen sich<br />

werf en. Dies Übergreifen Schlüsseziehen <strong>und</strong> Unbedingtmachen,<br />

also daB, im ersten Falle, Wirkungkomponenten<br />

zu nebengelagerten Substanzen erhoben werden, im<br />

zweiten Falle ein <strong>die</strong>smahges oder öfteres Begebnis zum<br />

regelmaBigen vielleicht Charakter-entstammten, ist <strong>die</strong><br />

Erbsünde <strong>und</strong> das Kreuz <strong>des</strong> Denkens, <strong>und</strong> da es ohne<br />

solches ein Wahrnehmen <strong>und</strong> Empfinden nicht giebt,<br />

auch <strong>die</strong>ser beiden. Es werden da]in einem Zirkel Wirklichkeiten<br />

mit Begrifflichkeiten <strong>und</strong> Begrifflichkeiten mit<br />

Wirklichkeiten vertauscht <strong>und</strong> verwechselt. Und es ist<br />

<strong>die</strong>ses Metaphysische <strong>die</strong> Materialisation <strong>des</strong> unkritisch<br />

Geistigen, wodurch der Geist immaterielle Materie, <strong>die</strong><br />

Materie geistloser Geist wird, beide zusammen eine<br />

hybride Pseudorealitat. Freilich ist der Urgr<strong>und</strong> <strong>des</strong>sen<br />

<strong>die</strong> unerlaBliche Bedingung für Geist <strong>und</strong> Welt: das<br />

schöpferische Vorstellen <strong>und</strong> Begriffe bilden <strong>und</strong> das<br />

Gleichsagen von Begriff <strong>und</strong> Ding. Doch teilt sich alsbald<br />

<strong>die</strong> Bahn: auf der einen vermischen sich, verworren<br />

<strong>und</strong> von unbewuBten Triebkraften gelenkt <strong>und</strong> der<br />

Wahrheit entfremdet, <strong>die</strong> ununterschiedenen Elemente<br />

eines methodisch-unmethodischen Chaos zu einem kosmischen<br />

Mythologem; auf der anderen erschaffen, kri-<br />

3 33


I<br />

tisch gesondert <strong>und</strong> phanomenologisch funktionell ge-<br />

S<br />

gliedert, perspektivische Konstellationen idealer Gleich-<br />

d<br />

nisse ein Denk-Ebenbild <strong>des</strong> komplexen Phanomens <strong>des</strong><br />

P<br />

Kosmos. — Es kommt auf <strong>die</strong> Richtung an, <strong>die</strong> wir ein-<br />

a<br />

schlagen. Nietzsche hat sie endgiltig gegen alle Meta-<br />

p<br />

physik bestimmt. So nur gelangen wir zu unserm Ziel:<br />

E<br />

dem ganzen Menschen <strong>und</strong> seiner ganzen Welt. Doch<br />

o<br />

im Augenblicke <strong>die</strong>ser Entscheidung sind uns auch <strong>die</strong><br />

n<br />

unverganglichen Werte der Religionen <strong>und</strong> Philosophien<br />

ir<br />

<strong>und</strong> ihrer Moralen wieder zurückgegeben. Zwar nicht<br />

k<br />

mehr als Dogmen aber als Stiegen <strong>und</strong> Gipfel der Er-<br />

ftl<br />

kenntnis <strong>des</strong> Menschen <strong>und</strong> seiner Welt <strong>und</strong> als uner- n><br />

meBliche Erhöhungen Vertiefungen Lauterungen <strong>und</strong><br />

w<br />

Verfeinerungen seiner geistig-seelischen Organisation.<br />

sc<br />

Es ware eine Lacherlichkeit, wegen der dogmatischen<br />

al<br />

Voraussetzungen <strong>und</strong> Ergebnisse, <strong>die</strong> Fülle <strong>und</strong> SüBe<br />

le<br />

der erntbaren Lebensfriichte dem Zukunft-Menschen zu<br />

sn<br />

entziehen — der selber <strong>die</strong> Frucht <strong>die</strong>ser Früchte sein<br />

sc<br />

wird.<br />

ai<br />

D<br />

17. Der Kosmos wird Mensch; <strong>die</strong> Schöpfung aus der fir<br />

Freiheit. t<br />

— Die neue Art Mensch, deren Schöpfer Nietz- V\<br />

sche ist, kehrt nach Jahrtausenden der Auflösung ins<br />

Physisch-Mystische — der Mensch als sterbliche Hiille<br />

unsterblicher Seele oder der Mensch als Kreatur <strong>und</strong><br />

Gleichnis <strong>des</strong> seine Individuation aufhebenden Alls — Ur<br />

in <strong>die</strong> Geschlossenheit <strong>und</strong> Vollkommenheit <strong>des</strong> alt- di<br />

orientahschen klassischen Kosmos <strong>und</strong> seiner reinsten<br />

di<br />

Form — der sumerischen — zurück. Doch bleibt ein<br />

at<br />

Unterschied. Beide Male soil der Mensch nicht Kosmos<br />

Sc<br />

werden, sondern ist der Kosmos Mensch geworden. In<br />

u l ]<br />

34 i<br />

g r<br />

ha<br />

D<br />

1<br />

I<br />

!


Sumer aber ist <strong>die</strong>ser kosmische Mensch als Gottmensch<br />

durch Gott von Anbeginn eine der obersten kosmischen<br />

Potenzen, bei Nietzsche, wofern er der wird der er ist,<br />

als Menschgott durch geistige Selbstschöpfung auf der<br />

Bahn der natürlichen Entwicklungen <strong>die</strong> Potenz <strong>des</strong><br />

Kosmos selbst. Hierbei ist Gott entweder unwirklich<br />

oder geb<strong>und</strong>en an Mensch-Ahnlichkeit. Das scheint titanisch<br />

<strong>und</strong> frevelhaft, ist aber bewuBt <strong>und</strong> aufrichtig <strong>und</strong><br />

in GröBe dasselbe, was unterbewuBt unaufrichtig <strong>und</strong><br />

kleinlich in jeder Religion gewesen ist. — Die neue Art<br />

Mensch ist, als Werden betrachtet nicht geschichtlich<br />

noch ungeschichtlich sondern übergeschichtlich. Sie ist<br />

wie <strong>die</strong> Potenz <strong>des</strong> Kosmos auch <strong>die</strong> Potenz der Geschichte.<br />

Abseits von Bejahung oder Verneinung, Nachahmung<br />

oder Umkehrung <strong>des</strong> Geschichtlichen, <strong>des</strong>sen<br />

letzte Schicht <strong>und</strong> Gesamtschichtung sie selbst ist, faBt<br />

sie das zusammen als einzeln erweckbare im ganzen verschmelzbare<br />

<strong>und</strong> gestaltbare endliche Einheit <strong>und</strong> Überart;<br />

<strong>die</strong> höheren Menschen <strong>und</strong> den Über<strong>menschen</strong>. —<br />

Deshalb wird <strong>die</strong> Vielheit mit ihren Gefahren nicht geflohen<br />

sondern aufgesucht. Die Vielheit der Triebeder<br />

Widerspriiche der Versuche der Typen verbürgt erst <strong>die</strong><br />

groBe, <strong>die</strong> gröBte Synthese. Ja es ist alles not <strong>und</strong> es<br />

hat alles recht, es darf kein Körnlein ins Leere fallen.<br />

Die auBerste Spannung zwischen allem Unabhangigen<br />

<strong>und</strong> allem Gegensatzlichen ist <strong>die</strong> Bedingung dafür, daB<br />

<strong>die</strong> Synthese zu ihrer Fülle <strong>und</strong> auf ihrem Grad komme,<br />

<strong>die</strong> Einheit <strong>des</strong> Kristalls gelinge. — Dieser Schöpfung<br />

aber steht <strong>die</strong> frühere <strong>und</strong> jede Moral im Wege. Der<br />

Schaffende muB also <strong>die</strong> Freiheit <strong>des</strong> reinen Erlebens<br />

<strong>und</strong> <strong>des</strong> ursprünglichen Wahlens <strong>und</strong> Wertens zurück<br />

35


haben. Er erforscht darum, woher das überlieferte Gut<br />

<strong>und</strong> Böse gekommen ist, begreift <strong>des</strong>sen Todfeindschaft<br />

gegen das Schaffen <strong>und</strong> zumal Werteschaffen <strong>und</strong> stellt<br />

sich als letzter Erbe <strong>und</strong> erster Ahnherr jenseits von<br />

beidem.<br />

18. Der Individual-Prozefi der menschlichen Art-<br />

Entstehung. Die menschliche Art-Entstehung ist wie <strong>die</strong><br />

<strong>des</strong> einzelnen Menschen in entscheidendem MaBe individual<br />

bedingt: durch Einzelwesen, BewuBtsein <strong>und</strong><br />

Willen. Das ist nicht aufgehoben durch Gesetze <strong>und</strong><br />

Verlaufe der Entwicklung <strong>die</strong> sogar ganze Erdalter beherrschen.<br />

Nur das Individuum kann zeugen <strong>und</strong> gebaren,<br />

nur das Individuum verantworten. Das ist sein<br />

Schicksal <strong>und</strong> seine Aufgabe. Schon beim Tiere bei der<br />

Pflanze. Wie erst beim spaten Menschen! Die Freiheit<br />

<strong>des</strong> Menschen, mit eine seiner natürlichen Geb<strong>und</strong>enheiten,<br />

gehort allein dem Individuum an. Ein Subjektivismus<br />

folgt daraus nicht. Weit eher folgt <strong>die</strong> Tatsache<br />

der natürlichen Aufopferung <strong>und</strong> das Gebot der Selbstaufopferung<br />

der Individuen. Nur nicht für ein sie herabmindern<strong>des</strong><br />

Kollektivum sondern für <strong>die</strong> überwindende<br />

<strong>und</strong> aufhebende Potenz. Die ist nicht subjektiv<br />

sondern typisch, doch wiederum nicht anders als in<br />

Individuen, noch reicheren noch staxkeren <strong>und</strong> vor allem<br />

Kreislauf-jüngeren Individuen, verwirklicht. Die Bahn<br />

zur Potenz ist immer Leben bedrohend ja Leben vernichtend.<br />

Sie entspringt auch oft als eine letzte Rettung<br />

bei drohenden Art-Untergangen. Sie wird nur begangen<br />

von Versuchenden sich Preisgebenden. Doch würde sie<br />

ins Nichts auslaufen, wenn es auf ihr keine Folge <strong>und</strong><br />

36


Nachfolge oder keine Ziele ga.be. Nun gibt auf ihr jeder<br />

getane Schrift, der nicht mehr zurück getan werden kann.<br />

Es ist ihr Gesetz, daB auf ihr das Gehen ergangen werden,<br />

das Können gelernt werden <strong>und</strong> durchaus nicht<br />

über <strong>die</strong> eigenen FüBe gestürzt werden soli. Der Aufbau<br />

der Potenz <strong>und</strong> mit ihr eines neuen Organon vollzieht<br />

sich im ganzen genommen nicht katastrophal sondern<br />

organisch. Unbedingt ist nur der Auf schwung <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

Einheit von Wille <strong>und</strong> Ziel. Die leitenden Ideale sind<br />

ordnende Dominanten, nicht heischende Despoten. Sie<br />

bedürfen nicht als barbarische Sklavenhalter einer absoluten<br />

<strong>und</strong> exklusiven Hingebung, sondern walten in<br />

stiller <strong>und</strong> gelassen anziehender Machtigkeit als Humana,<br />

unter denen sich selbstandige Menschentümer zu möglichen<br />

Maximis stetig anwachsend organisieren. Dieser<br />

ProzeB also ist im ganzen durchaus heroisch-tragisch,<br />

aber gnadereich wie keiner <strong>und</strong> auf jeder Stufe erblühend<br />

von einzelnen Beglückungen Vollendungen Feiern Füllen<br />

<strong>und</strong> Vollkommenheiten.<br />

19. Nietzsches Immoralismus <strong>und</strong> organischer Wille<br />

zur Macht. — Nietzsche nennt sich Immoralist <strong>und</strong> ist<br />

doch der Schöpfer einer Moral. Er bekampft nur den<br />

Moralismus, das heiBt <strong>die</strong> moralische Perspektive gegenüber<br />

den Phanomenen <strong>des</strong> Lebens. Er würdigt jede einzelne<br />

Moral als Willen <strong>und</strong> Gebot, auf eine bestimmte<br />

Weise zu leben. Seine Moral — <strong>die</strong> seiner Umwertung —<br />

hat <strong>die</strong> biologische Gr<strong>und</strong>lage. Ihr Sinn ist <strong>die</strong> Steigerung<br />

aller biologischen Werte, biologisch im ganzen<br />

AusmaBe gemeint. Voran also stehn Leben <strong>und</strong> Leib.<br />

Diese sollen „gut" sein, das heiBt ges<strong>und</strong>. Nicht so daB<br />

37


<strong>die</strong> Krankheit ausgeschlossen ware. Nietzsche laBt immer<br />

den Teufel schaffen <strong>und</strong> das Negative sich entfalten,<br />

um das reichere <strong>und</strong> höhere Positive, <strong>die</strong> nachste Potenz, 1<br />

mit hervorzubringen. In ihm wird Hegels Dialektik zur 5<br />

Tat. Denn <strong>die</strong> Krankheit führt nicht nur zur Ges<strong>und</strong>heit<br />

einer oberen Stufe, sie ist Folge der Selbstpreisgabe<br />

j<br />

<strong>des</strong> Lebens im groBen Werden <strong>und</strong> eine groBe Ges<strong>und</strong>heit<br />

verjüngt <strong>und</strong> erhalt sich durch <strong>die</strong> öftesten <strong>und</strong><br />

^<br />

gefahrlichsten Krisen. Der Wert eines Wesens ist er- (<br />

kennbar an dem MaBe der Fiillen <strong>und</strong> Stufen <strong>die</strong> es<br />

i<br />

verbindet, sogar der Schmarotzer <strong>die</strong> es ernahrt; an dem<br />

c<br />

Grade der freien weiter <strong>und</strong> weiter entfaltenden Spannungen<br />

<strong>und</strong> an der Festigkeit der rangordnenden Herrschaft<br />

<strong>und</strong> Harmonie: der gestaltenden Einheit. Dieses<br />

I<br />

ist: <strong>die</strong> Macht —• <strong>und</strong> daB je<strong>des</strong> <strong>und</strong> alles, sich ausdeh-<br />

t<br />

nend <strong>und</strong> das andere einfügend, um es als relative Mate- 1<<br />

rie zu organisieren, in <strong>die</strong>ser Macht nach seinem erring-<br />

u<br />

baren Maximum strebt, ist der Wille zur Macht. Der<br />

u<br />

wird meist falsch verstanden: als Dynamik anstatt als 1<br />

Organik. Dynamisch aber ist er bei organischen Wesen<br />

v<br />

nur auf Unter- oder Verfallstufen. Er ist <strong>die</strong> Form der<br />

S<br />

steigenden <strong>und</strong> steigernden Prozesse in denen <strong>die</strong> Individuationen<br />

<strong>und</strong> Gegenpotenzen <strong>des</strong> Lebens, im is<br />

Kampfe wider einander sich teils zerstörend <strong>und</strong> teils<br />

u<br />

überwölbend, mit einander aufs auBerste sich steigern<br />

ei<br />

<strong>und</strong> über sich hinaus das Kind, <strong>die</strong> Oberpotenz, hervor-<br />

v<br />

bringen. Beispiele sind <strong>die</strong> Geschlechtlichkeit der Krieg<br />

B<br />

<strong>die</strong> Gemeinschaftbildung der Agon. All <strong>die</strong>sem wird der d<<br />

heilige Wert <strong>des</strong> Lebens zuerkannt, von ihm aber auch<br />

m<br />

seine eigne Wertigkeit <strong>und</strong> Weihe unerhört streng ge-<br />

ai<br />

fordert. Von hier wird jede mehr als naturalistische<br />

G<br />

38


ler<br />

„menschliche Gesellschaft" abgeleitet. Sie ist wesent-<br />

;n,<br />

lich aristokratisch — wie übrigens auch alles gut Demoiz,<br />

kratische. Sie entsteht <strong>und</strong> besteht nicht durch gegen-<br />

;ur<br />

seitige Ausgleichungen <strong>und</strong> Abschleifungen oder durch<br />

id-<br />

Hingebung an ein Kollektivum, sondern durch gemeinbe<br />

same Selbstbehauptung nach auBen <strong>und</strong> Freiheit <strong>und</strong><br />

id-<br />

Distanzen nach innen, unter hartester Wahrung der<br />

nd<br />

Werte, auf denen der Wert der Art ruht. Hat eine solche<br />

er-<br />

Gesellung ein Heiltum <strong>und</strong> auf lange Sicht hin ein Ziel<br />

es<br />

<strong>und</strong> ziichtet <strong>und</strong> erzieht sie sich dahin: dann ist sie Chor<br />

em<br />

oder B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Keim <strong>des</strong> neuen Volkes.<br />

m-<br />

:rr-<br />

20. Moral <strong>des</strong> Individuums <strong>und</strong> Tyfus; Freiheit,<br />

ses<br />

Wahrheit, Reinheit. — Es ist eine Moral <strong>des</strong> Individuums<br />

eh-<br />

<strong>und</strong> <strong>des</strong> Typus anstatt einer <strong>des</strong> Subjektes <strong>und</strong> <strong>des</strong> Kolte-<br />

lektivum. In ihrer inneren Mitte stehen darum Werte<br />

ig-<br />

<strong>und</strong> Tugenden wie Freiheit, Wahrheit, Reinheit, Gut<br />

)er<br />

<strong>und</strong> B ö s e. Distance, Schönheit. Diese Werte sind leistals<br />

bar nur vom gesicherten Ich das nicht durch andere<br />

sen<br />

viele oder alle zersetzt ist noch zersetzt werden kann.<br />

der<br />

Sie verlangen, daB ein kraftvoller Kern dasei <strong>und</strong> bleibe.<br />

In-<br />

— Die Freiheit ist <strong>die</strong> Verfügung über sich selbst — das<br />

im<br />

ist aber das Gesamt, auch das Gesamt der Bindungen,<br />

eils<br />

<strong>und</strong> der Verfügende ist nicht eine Abstraktion sondern<br />

ern<br />

eine oberste Instanz. Die Wahrheit — zumal im Sinne<br />

TOT-<br />

von Wahrhaftigkeit —• ist <strong>die</strong> Übereinstimmung <strong>des</strong><br />

ieg<br />

BewuBtseins mit dem Sein als oberstes Ziel auch aller<br />

der<br />

der Triebe, <strong>die</strong> sonst das BewuBtsein sich <strong>die</strong>nstbar zu<br />

uch<br />

machen pflegen, um ein falsch bewuBtes Sein für sich<br />

ge- auszubeuten. So sind Wahrheit <strong>und</strong> Wahrhaftigkeit<br />

che<br />

Gr<strong>und</strong>lage <strong>des</strong> Selbstbestan<strong>des</strong>, da ihre Umkehrung das<br />

39


BewuBtsein <strong>und</strong> damit auch <strong>die</strong> Person zerspaltet <strong>und</strong><br />

g<br />

verdoppelt, <strong>und</strong> zugleich der Gemeinschaft, da sie eine<br />

il<br />

gemeinsame Welt als Verantwortung <strong>und</strong> Sicherheit ver-<br />

X<br />

burgen. Die Reinheit — in asketischen Religionen gegens<br />

v<br />

Sinnliche Stoffliche <strong>und</strong> den Stoffwechsel gekehrt — be-<br />

C<br />

deutet bei Nietzsche <strong>die</strong> AusstoBung der Abfalle Rück-<br />

s<br />

stande Ressentiments <strong>und</strong> <strong>des</strong> nicht Einverleibbaren,<br />

b<br />

<strong>die</strong> Art sowohl wie das Individuum auf einer Stufe <strong>des</strong><br />

d<br />

ungehemmten <strong>und</strong> stetig <strong>die</strong> Höhe haltenden Lebens-<br />

a<br />

prozesses.<br />

u<br />

v,<br />

21. Gut <strong>und</strong> Böse; Allbejahung <strong>und</strong> Aufopferung. — G<br />

Gut <strong>und</strong> Böse ist <strong>die</strong> Anerkennung <strong>des</strong> voll-wirkh-<br />

S<br />

chen Menschen auch noch im Bezirke der Moral. Nicht<br />

a<br />

nur daB das Gute allein durch den Gegensatz <strong>des</strong> Bösen<br />

si<br />

etwas Bestimmtes ist: es sind überhaupt Gut <strong>und</strong> Böse<br />

u<br />

keine Urphanomene, sondern Perspektiven gegenüber<br />

Phanomenen, <strong>die</strong> als solche jenseits von Gut <strong>und</strong> Böse<br />

liegen. Die Perspektiven <strong>und</strong> perspektivischen Deutun-<br />

A<br />

gen bewirken an den Phanomenen selbst Veranderungen<br />

R<br />

<strong>und</strong> damit erst entstehen typische Formen <strong>des</strong> Guten<br />

le<br />

<strong>und</strong> <strong>des</strong> Bösen. Überall bezeichnet das als gut Geltende<br />

ui<br />

<strong>die</strong> eine Gemeinschaft tragenden Werte <strong>und</strong> entspringt<br />

zt<br />

es aus der AbschlieBung gegen auBerhalb herrschende d<<br />

Gegenwerte <strong>und</strong> gegen innerhalb sich bildende Verfalls-<br />

al<br />

oder einsame <strong>und</strong> neue Werte. In der Wirklichkeit der<br />

sc<br />

Werte-Schichtungen — also Geschichte—verwickelt sich<br />

hi<br />

das bis zum Unauflöslichen. Nietzsche hat <strong>die</strong> Analyse ge-<br />

D<br />

leistet. Er hat dabei <strong>die</strong> Werte, welche das Leben <strong>die</strong><br />

ui<br />

Natur das Individuum bejahen — Selbstsucht Wollust<br />

fa<br />

Herrschsucht Stolz <strong>und</strong> andere — entgiftet das heiBt<br />

ur<br />

40<br />

É


gereinigt von dem sie entartenden Ressentiment der von<br />

ihnen Überwaltigten <strong>und</strong> Leidenden, <strong>und</strong> sie in ihrer<br />

Ursprünglichkeit <strong>und</strong> Unschuld wiederhergestellt. Das<br />

würde dennoch unertraglich sein <strong>und</strong> zur Rohheit <strong>und</strong><br />

Gemeinheit führen, wenn nicht der Wert der Werte <strong>die</strong><br />

schöpferische Aufopferung ware <strong>und</strong> es nicht <strong>des</strong> ungebrochen<br />

entfalteten Menschen bedürfte zur Zeitigung<br />

der übeimenschlichen Frucht, wenn nicht fernerhin alle<br />

anderen <strong>und</strong> auch <strong>die</strong> Decadence-Werte in <strong>die</strong> Rang<strong>und</strong><br />

Füllenordnung mit positiver Funktion eingeordnet<br />

waren. Es ist nur ein anderes Wort, das Wort vom<br />

GroBen Ja, welches Gut <strong>und</strong> Böse überwölbend an <strong>die</strong><br />

Stelle <strong>des</strong> Urguten der alten Religionen tritt. Giebt es<br />

aber eine Unmittelbarkeit <strong>des</strong> schlechthin Guten, so<br />

steht gerade <strong>die</strong>se jenseits von aller substanziellen Moral<br />

<strong>und</strong> ist der innerste Kern der Substanz Mensch selbst.<br />

22. Distance; Schönheit; Lösung <strong>des</strong> Moralischen im<br />

Asthetischen. —• Die Distance ist eine vorschützende<br />

Reinheit. Sie ist <strong>die</strong> Haltung <strong>des</strong> bewuBten <strong>und</strong> überlegenen<br />

Individuums. Sein Kern bleibt unerschütterbar<br />

unvermischbar unwandelbar, auBer in eigenstem Prozesse,<br />

eigenster Entelechie. Er halt den gemaBen Grad<br />

der Spannung aufrecht, nicht mehr noch minder, der<br />

alle Einwirkungen zum Teile abgrenzt zum Teile ausschaltet,<br />

sodaB eine leicht <strong>und</strong> rein schwebende Beziehung<br />

zwischen dem Ich <strong>und</strong> allem anderen herrscht.<br />

Der Wert der Distance ist ausgesprochen aristokratisch<br />

<strong>und</strong> asthetisch, sein Gegensatz das im weitesten Umfange<br />

Kommunistische. Dieser Wert war Goethe nur<br />

unzureichend angeboren, er hat ihn, besonders in Wei-<br />

41


mar, unter verzweifelten Noten <strong>und</strong> Kampfen in sich<br />

ausgebildet <strong>und</strong> man hat <strong>die</strong>s Lebens- <strong>und</strong> Liebesw<strong>und</strong>er<br />

dann mit Verschlossenheit Herzlosigkeit ja Geheimratlichkeit<br />

verwechselt. Aber <strong>die</strong> Vollendung <strong>des</strong> Individuums<br />

scheint meistens Kalte <strong>und</strong> Egoismus. Der<br />

Wert der Distance ermöglicht eine Gemeinschaft freier<br />

Individuen. Er schafft <strong>die</strong> Zwischenraume <strong>und</strong> Zuriickhaltungen,<br />

ohne <strong>die</strong> ihre Strömungen sich feindselig<br />

abstoBen oder entladen <strong>und</strong> entziinden oder sich widerlich<br />

<strong>und</strong> schwachlich vermengen würden. Er bewirkt —<br />

hierin dem Aufbau aller Naturstufen folgend — Konstellationen<br />

anstatt Verschmelzungen <strong>und</strong>, unter Preisgabe<br />

naher liegender Naturalismen, <strong>die</strong> höheren Gestaltungen<br />

<strong>und</strong> vornehmen Formen. — Der Adel der<br />

Distance berührt unmittelbar den der echten Schönheit.<br />

Diese ist von allen Reizen zu unterscheiden — obwohl<br />

sie <strong>die</strong> starksten ausübt — da sie ja <strong>die</strong> Vollkommenheit<br />

eines Ganzen ist <strong>und</strong> nur vom ganzen Menschen in seiner<br />

reifsten Einheit aufgefaBt werden kann. Darüber tauschen<br />

<strong>die</strong> Wirkungen <strong>die</strong> sie, in welchem Bereiche sie<br />

auch hervortrete, als letzte Potenz <strong>des</strong> Lebens — denn<br />

<strong>die</strong> Harmonie ist <strong>die</strong> Potenz der nicht mehr potenzierbaren<br />

Intensitaten — auf das Leben hat <strong>und</strong> haben<br />

muB. Sie wirkt als unmittelbare sinnliche Ge walt. Wohl<br />

ist das Sinnliche der Schönheit wesentlich. Denn sie ist<br />

sinnfallige Erkörperung <strong>und</strong> erscheinende Blüte, ein<br />

Anhalten aller Prozesse auf der Höhe. Aber weder das<br />

unmittelbar Sinnliche Gemein-Vitale noch das mittelbar<br />

Sinnliche Gemein-Asthetische ist das Wesen der<br />

Schönheit. Ihr Wesen ist einfach <strong>die</strong> allumfangende<br />

Vollkommenheit. Hier begreift sich daB <strong>die</strong> ganze mora-<br />

42


lische Problematik sich allein auf dem Felde <strong>des</strong> Asthetischen<br />

— nur nicht auf der Obernache einer <strong>die</strong> Form<br />

verselbstandigenden Asthetik — endgültig lösen kann<br />

<strong>und</strong> daB Nietzsches Immoralismus eine Vertiefung ins<br />

Biologische <strong>und</strong> Erhöhung ins Asthetische, damit nicht<br />

nur eine Umwertung der Werte sondern eine Vertauschung<br />

der MaBstabe <strong>und</strong> Instinkte, ja eine neue Götter-Generation<br />

bedeutet. Wahrlich! nicht bloB das Weib<br />

unterlaBt lieber was haBlich ist als was schlecht ist. Auch<br />

dem Manne steht <strong>die</strong> Vollendung <strong>und</strong> Schönheit seines<br />

Menschentumes <strong>und</strong> ein göttlichstes Humanum fiber<br />

jedem sonst Erstrebenswerten.<br />

23. Die überchristlichen Werte der Seele; Heimholung<br />

der Transcendenz in <strong>die</strong> Psyche; Gott <strong>und</strong> Unsterblichkeit.<br />

— Neben den individualen heroischen aristokratischen<br />

<strong>und</strong> asthetischen Werten stehen <strong>die</strong> der Seele.<br />

Diese sind wohl antichristlich — noch mehr iiberchristlich.<br />

Sie ernten das in Jahrtausenden erlittene <strong>und</strong> erschaffene<br />

W<strong>und</strong>er: <strong>die</strong> christliche Seele. Sie verschmelzen<br />

<strong>die</strong> christliche Seele mit der klassischen <strong>und</strong> mit der<br />

sogenannt heidnischen: der ewigen Naturseele. Sie zerstören<br />

<strong>die</strong> Transcendenz <strong>und</strong> <strong>die</strong> Askese im Kern der<br />

Werte. — Die Transcendenz aber bleibt erhalten als<br />

Immanenz <strong>des</strong> Menschen, als ungeheure Spharen-Wirklichkeit<br />

<strong>und</strong> -Ordnung in seiner Psyche. Mit <strong>die</strong>ser Heimholung<br />

der Transcendenz in <strong>die</strong> Psyche ist dann <strong>die</strong> gesamte<br />

Realitat als solche transcendent <strong>und</strong> der Mensch<br />

<strong>und</strong> seine Welt eine unteilbare einheitliche Autarkie geworden<br />

— also eigentlich bereits ein Standpunkt wie<br />

der von Husserls Phanomenologie erreicht (<strong>die</strong> freilich<br />

43


É<br />

erst nach Nietzsche <strong>und</strong> nicht in seiner Nachfolge <strong>die</strong><br />

F<br />

unermeBliche Arbeit der Umwertung <strong>des</strong> Logos beginnt).<br />

G<br />

Ein Beispiel für jene Verwandlung der transcendenten<br />

s^<br />

Werte: Gott <strong>und</strong> Unsterblichkeit horen auf, Materialia<br />

sationen <strong>des</strong> Geistes, das ist Materialismen der zweiten<br />

tj<br />

Potenz zu sein. Der Geist ist ja doch auf keine Weise<br />

n<br />

Stoff, auch nicht eine noch so metaphysisch gedachte<br />

ti<br />

Substanz. Er ist eine am Stoffe erfüllte Gesetzlichkeit d<<br />

<strong>und</strong> Bezüglichkeit, <strong>die</strong> zu einem ganzlich unvergleich-<br />

in<br />

baren, als BewuBtsein verselbstandigten <strong>und</strong> selbsttati-<br />

J<br />

gen Reiche, einer Autarkie <strong>und</strong> wirklichen Macht, ge-<br />

si<br />

fügt ist. Dem gema.6 ist Gott bei Nietzsche nicht auBer-<br />

pc<br />

halb <strong>und</strong> oberhalb <strong>des</strong> möglichen Menschen gegeben,<br />

sondern <strong>die</strong> auBerste <strong>und</strong> oberste Möglichkeit <strong>des</strong> Menschen<br />

— abgelehnt <strong>die</strong> zum abgespaltetenTeil-Menschen<br />

verkleinernden Gottes-Überlieferungen, -Vorstellungen<br />

<strong>und</strong> -Beweise, zugelassen eine von Natur <strong>und</strong> Psyche<br />

st<<br />

frei getragene Potenz, so wie einmal das jeweilige kos-<br />

gr<br />

mische Maximum, ein anderes Mal der übermenschliche<br />

Si<br />

All-lebensgeist Dionysos. Entsprechend ist <strong>die</strong> Unsterb-<br />

ge<br />

lichkeit bei Nietzsche nicht <strong>die</strong> <strong>des</strong> biologischen Subjek-<br />

ste<br />

tes in eindimensionaler Zeit, sondern <strong>die</strong> eines in sich<br />

un<br />

selbst zuriickschwingenden gesamten unteilbaren Kreis-<br />

Me<br />

laufes: der Ewigkeit, mit ewigen einmaligen gleichen<br />

br<br />

Bahnen <strong>und</strong> Örtern für je<strong>des</strong> Einzelne als eine perspek-<br />

rir<br />

tivische Konstellation. — Wie zur Transcendenz verhalt<br />

Ve<br />

sich Nietzsche zur Askese. Sie bleibt nicht gr<strong>und</strong>legend<br />

Zei<br />

<strong>und</strong> leitend, da in dem Falle ihr Ziel eine antibiologische<br />

dn<br />

metaphysische Existenz ware. Aber sie wird eingebaut W<<br />

in <strong>die</strong> heroische Selbsterziehung <strong>des</strong> Menschen <strong>und</strong> wan-<br />

ste<br />

delt sich dort zu den Tugenden der Wülensübung <strong>und</strong><br />

bil<br />

44 I


Enthaltsamkeit. Hinfallig <strong>die</strong> Feindschaft gegen. Leib<br />

GenuB Geschlechtlichkeit <strong>und</strong> <strong>die</strong>se unsere Welt; verstarkt<br />

dagegen <strong>die</strong> Zucht <strong>und</strong> Harte bis ans Spartanische,<br />

alles Entbehrenkönnen <strong>und</strong> -wollen, alle Verachtung von<br />

Üppigkeit <strong>und</strong> Ausschweifung — wo sie nicht übermachtigen<br />

oder prachtvoll verfallenden Naturen Kuituren<br />

oder Individuen zugehören. So wird <strong>die</strong> Askese,<br />

der Wurm an der Lebenswurzel der Flügel bekam <strong>und</strong><br />

ins Jenseits entflog, der Wachter der unersetzlichen<br />

Lebenskrafte, der oft der Entfaltung entgegentritt <strong>und</strong><br />

sie schmal <strong>und</strong> steil zu reinerer <strong>und</strong> höherer Potenz emporführt.<br />

24. Der Kampf gegen das Mitleiden. — Bei Nietzsche<br />

persönüch bricht <strong>die</strong> Werte-Krise in einem Kampfe<br />

gegen das Mitleid aus. Hier schneidet er sich am scharfsten<br />

in das eigne Fleisch. Seine Seele ist erfüllt von abgr<strong>und</strong>tiefen<br />

<strong>und</strong> überströmenden christlichen Mitleiden.<br />

Sie ist selbstlos <strong>und</strong> nachstenliebend wie es Christus<br />

gebietet. Sie ist Zucht <strong>und</strong> Frucht <strong>und</strong> Erbe <strong>des</strong> Christentums.<br />

Sie meint ebenso wie <strong>die</strong>ses jeden Nachsten<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> ganze Menschheit, darüber hinaus noch <strong>die</strong> Art<br />

Mensch <strong>und</strong> ihren Wert. DaB sie nun <strong>die</strong> Bahn umbricht<br />

<strong>und</strong> in <strong>die</strong> Gegenrichtung umschlagt, damit entrinnt<br />

sie vor dem Ende. Welches MiBverstandnis <strong>und</strong><br />

Verhangnis, wenn sogenannt Unbelastete das heiBt Herzensrohe<br />

<strong>und</strong> Unseelenhafte oder ihrer Lasten ÜberdrüBige<br />

<strong>und</strong> „mit ihrer Dienstbarkeit ihren letzten Wert<br />

Wegwerfende", wenn solche <strong>die</strong> noch nicht einmal Christen<br />

geworden sind ihren Anflug von innerer Menschenbildung<br />

antichristlich „überwinden" — auf Nietzsches<br />

45


I<br />

Umwertung der Werte bei ihrer Selbstentwertung dreist<br />

Li<br />

sich berufend! — Der Kampf gegen das Mitleiden trifft<br />

be<br />

ein hemmungloses ÜbermaB <strong>und</strong> eine Unechtheit. Das<br />

en<br />

Mitleiden, das ja auch auf Tiere, sogar auf Pflanzen <strong>und</strong><br />

Ni<br />

Dinge sich erstreckt, wofern sie fühlend oder nicht fiih-<br />

ist<br />

lend etwas „erleiden", ist ein Ausdruck der Gemeinschaft H;<br />

der Seelen <strong>und</strong> der Allseele, <strong>die</strong> innerhalb je<strong>des</strong> Individuums<br />

seiner Individuation <strong>die</strong> Wage halten. So hat es<br />

In<strong>die</strong>n gelebt <strong>und</strong> gelehrt, so der ganze Orient, Christus<br />

Mi<br />

<strong>und</strong> das Christentum <strong>und</strong> zuletzt noch Schopenhauer.<br />

sti<br />

Nietzsche aber erkennt, daB das Mitleiden als herr-<br />

<strong>die</strong><br />

schender Wert zwischen Mensch <strong>und</strong> Mensch das In-<br />

es,<br />

dividuum entwürdigt auflöst oder garnicht sich gestal-<br />

Ba<br />

ten laBt: das mitleidende weil es seine Ichheit zersetzt<br />

Ni<br />

<strong>und</strong> seine Kraft <strong>und</strong> Tatkraft an unfruchtbare Empfin-<br />

Mi<br />

dungen dahingibt, das mitgelittene weil es in seinem<br />

fol<br />

Leidensgefühle festgehalten <strong>und</strong> der Aufraffung zur dei<br />

Selbsthilfe durch fremde oder Scheinhilfe enthoben au:<br />

wird. Es fiihrt so zur Schwachung beider Individuen,<br />

du:<br />

deren natürliche Heiltriebe nicht nur ausgeschaltet, so-<br />

dei<br />

gar in krankhafte das Leiden ausbeutende <strong>und</strong> genieBen-<br />

sch<br />

de Empfindungen verwandelt werden. Wie dringlich <strong>die</strong><br />

soz<br />

Umwertung <strong>des</strong> Mitleidens bleibt, zeigen <strong>die</strong> neuen See-<br />

un<<br />

lenarzte — sie selber, nicht ihre Wissenschaft. Ihr ab-<br />

zu<br />

standloses Mitgehen mit den Kranken, zumal den Hyste-<br />

dei<br />

rischen, macht <strong>die</strong>se nicht ges<strong>und</strong> sondern kranker <strong>und</strong><br />

ten<br />

sie mit ihnen krank, zieht einen heülosen Zirkel um<br />

ner<br />

beide. — Mitleiden ist unantastbare Tugend, wo eine<br />

in<br />

Starke einer Schwache, eine Fülle einer Leere von dem<br />

abe<br />

Ihren mitteilt, anstatt sich aussagen <strong>und</strong> verarmen zu<br />

auf.<br />

lassen, <strong>und</strong> wo eine göttlich gütige <strong>und</strong> machtige<br />

Fol<br />

46


Liebe einen Ohnmachtigen tröstet <strong>und</strong> halt. Desgleichen<br />

bei Notstanden <strong>und</strong> Katastrophen, <strong>die</strong> im weiteren oder<br />

engeren Kreise gemeinsam oder sogar allmenschlich sind.<br />

Nur daB hier erst recht <strong>die</strong> Individuation — ihre Grenze<br />

ist <strong>die</strong> Scham — gewahrt, <strong>die</strong> Empfindung keusch, <strong>die</strong><br />

Handlung scheu <strong>und</strong> das Opfer fruchtbar sein muB.<br />

25. Soziales Mitleiden <strong>und</strong> schópferische Liebe. — Das<br />

Mitleid ist einer der leitenden unter den sozialen Instinkten<br />

<strong>und</strong> Werten. Es erscheint dort als umfassen<strong>des</strong><br />

<strong>die</strong> Person nicht mehr meinen<strong>des</strong> Allgefühl. Richtig ist<br />

es, da ja <strong>die</strong> Gesellschaft keine ordnende <strong>und</strong> schützende<br />

Bauform ist, sondern ein Durcheinander von Gewalt<br />

Nutzsucht <strong>und</strong> verworrenen Zwecken, oft unsinnigen<br />

Mitteln. Falsch ist es, da das Gesamtleiden das hieraus<br />

folgt viel zu groB ist, um persönlich rein gefühlt zu werden,<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Abhilfe, <strong>die</strong> durch Mitleiden geschieht, meist<br />

auf verschlimmernden Utopien ruht, eine Heilung nur<br />

durch eine neue Schöpfung geschehen kann, <strong>die</strong>se aber<br />

den langsamen Schmerzensweg der Erhöhung der Menschenart<br />

verfolgen muB. Nietzsche verwirft nicht das<br />

soziale Mitleiden. Er, der <strong>die</strong> Sklaverei der Massen für<br />

unerlaBlich <strong>und</strong> <strong>die</strong> Demokratisierung für den Ubergang<br />

zu ihr halt, er fordert <strong>die</strong> Wohlfahrt <strong>und</strong> sogar das Glück<br />

der Vielen als ihr Vorrecht, <strong>des</strong>sen <strong>die</strong> sich Verantwortenden<br />

<strong>und</strong> Individuierten nicht auch so genieBen können<br />

noch durf en. Nietzsche ist sozialer gesinnt als alle<br />

in sozialem Mitleid Hinschmelzenden. — Seine Liebe<br />

aber ist schöpferisch. Sie ist Inbegriff der Seele <strong>und</strong><br />

auBerster Seelengrad. Ihre Erfüllung ist eine unendliche<br />

Folge von Selbststeigerungen <strong>und</strong> Selbstaufopferungen.<br />

47


Das hat zur Vorbedingung <strong>die</strong> verehrende <strong>und</strong> zeugerische<br />

überpersönliche Selbstliebe: daB man mehr <strong>und</strong><br />

mehr werde <strong>und</strong> anwachse als ein schwellendster Herbst,<br />

um stetig sich in Strahlungen, endlich in saenden Zerfalle<br />

zu verschwenden, so von Wiedergeburt zu Wiedergeburt<br />

bis ans leibhche Ziel <strong>und</strong> nachlassend Kinder<br />

Werke Wirkungen Gedachtnis Beispiele <strong>und</strong> Kette steigenden<br />

Lebens. Solcher schöpferischen Liebe ist <strong>die</strong> mitleidende<br />

inbegriffen wie <strong>die</strong> farbigen Schatten dem wei-<br />

Ben Lichte.<br />

26. Sinnen-Werte; <strong>die</strong> Grausamkeit; der Gott Dionysos.<br />

— Eine Reihe von Nietzsches Seelen-Werten sind<br />

ursprünglich Sinnen-Werte. So <strong>die</strong> Schönheit <strong>und</strong> alles<br />

Geschmackliche. So auch das Spiel der Reize Spielungen<br />

<strong>und</strong> Lockungen, mit denen das Leben sich zum Leben<br />

verführt. Ebenso <strong>die</strong> Wurzeln unheimlicher <strong>und</strong>,,böser"<br />

Triebe, <strong>die</strong> ihren Schaft <strong>und</strong> ihre Krone bis zur reinsten<br />

Vergeistigung emporsenden. Das bedeutendste Beispiel<br />

ist <strong>die</strong> Grausamkeit. Die Grausamkeit ist <strong>die</strong> Empfindung<br />

von Lust beim Leiden <strong>und</strong> Leidenmachen. Sie ist<br />

im Kinde, im Qualen, in der Geschlechtlichkeit, im<br />

Kriege, in der Selbstbeherrschung <strong>und</strong> in der Kunst, zumal<br />

der tragischen. Gedeutet wird sie meist von solchen,<br />

<strong>die</strong> ihr ausgeliefert sind — darum nicht unschuldig sondern<br />

feindlich. Noch tragt zu-ihrer Verkennung bei, daB<br />

sie übertrieben <strong>und</strong> ungeb<strong>und</strong>en bei Verbrechern <strong>und</strong><br />

Entarteten auftritt. Nietzsche hat sie als Ureigenschaft<br />

<strong>des</strong> Lebens begriffen. Vielleicht ist dem hinzuzufügen,<br />

daB in dem Tater <strong>und</strong> in dem Leidenden der Grausamkeit,<br />

ob <strong>die</strong>se zwei Personen oder eine Person sind, wie<br />

48


in zwei auf einander bezüglichen Polen das tiefste Leben<br />

ungeschieden wirkt. Das Leben schneidet sich ins eigne<br />

Fleisch, wendet sich gegen sich selber um über sich zu<br />

wachsen, stellt sich auf <strong>die</strong> Macht-Probe, überwindet<br />

<strong>und</strong> opfert, tötet heilt <strong>und</strong> verjüngt sich, vernichtet<br />

schaffend <strong>und</strong> schafft vernichtend. Dies w<strong>und</strong>erbare<br />

furchtbare <strong>und</strong> fruchtbare Ringen wirft seinen Schatten<br />

ins BewuBtsein <strong>und</strong> versteht sich dort als den Trieb der<br />

i- Grausamkeit. Der hat dann vom Rohesten bis zum<br />

Sublimiertesten eine unendliche Skala. Deren erhabenste<br />

Stelle nimmt der neue Gott ein: Dionysos. — Er ist<br />

y- das gröBte Dasein <strong>und</strong> der höchste Wert: das Leben,<br />

id<br />

als Person. In ihm sind früheste <strong>und</strong> spateste Schichten:<br />

es elementarische, vor- <strong>und</strong> nach- <strong>und</strong> unmenschliche,<br />

en<br />

übermenschliche. Seine Art ist mann-weiblich, er hat<br />

en<br />

<strong>die</strong> umfanglichste <strong>und</strong> im Grade höchste <strong>und</strong> starkste<br />

:r"<br />

Seele <strong>und</strong> einen an nichts gefesselten als Wahrheit jeder<br />

en<br />

Wahrheit spottenden Geist. Seine Sinnlichkeit ist <strong>die</strong><br />

iel<br />

verführerischste, der Zauber <strong>des</strong> ungeheuersten Abgrunn-<br />

<strong>des</strong>, <strong>und</strong> er noch einmal <strong>und</strong> als Weib ist Ariadne. Er<br />

ist<br />

ist kosmisch, leicht <strong>und</strong> tief dem Kosmos gewachsen,<br />

im<br />

nicht sein Schöpfer noch sein Geschöpf — ein ihm ahnzu-<br />

licher Glücksfall von reinem Gott. Er ist Heilbringer:<br />

en,<br />

als Befreier <strong>und</strong> Erlöser. Er will <strong>die</strong> Vernichtung <strong>und</strong><br />

on-<br />

Erneuerung, <strong>die</strong> Gewalten Gestalten <strong>und</strong> VerwandlunaB<br />

gen, den Ring der Wiederkünfte <strong>des</strong> Gleichen, den Tod<br />

nd<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Geburt <strong>und</strong> <strong>die</strong> Vermahlungen, <strong>die</strong> Marterungen<br />

aft I der Zerstückelung <strong>und</strong> <strong>des</strong> Unter- <strong>und</strong> Übergangs von<br />

en, I Nu <strong>und</strong> von Aeon zu Aeon, <strong>und</strong> er miBt <strong>die</strong> auBerste<br />

m- Lust um einen Grad mehr als das auBerste Leid, jene<br />

wie<br />

Lust <strong>und</strong> Wollust am ganzen Prozesse <strong>des</strong> Lebens, <strong>und</strong><br />

4 49


er treibt als Hirt <strong>die</strong> Seelen der Sterblichen auf <strong>die</strong> Au<br />

<strong>und</strong> Weide der unsterblichen Gestirne, ihnen gleich zu<br />

sein als unteilbares All <strong>des</strong> Lebens, wie jene in der Sphare<br />

<strong>des</strong> Kosmos so sie in der Sphare der Psyche. Dionysos<br />

ist der Befreier <strong>und</strong> Erlöser zum sich selber tragenden<br />

Leben. Durch ihn ist das Leben Selbstsinn <strong>und</strong> Selbstziel.<br />

Ihm fehlt alles Titanische <strong>und</strong> auch alles Priesterliche.<br />

Er ist nicht klassisch doch überklassisch. Sein<br />

Vorfahr in Vorderasien <strong>und</strong> in Hellas hatte das All im<br />

Rausch errungen <strong>und</strong> zur Schau verklart, dann mit<br />

Apollon, dem Herrn der Reinheit <strong>und</strong> Klarheit, Bruderschaft<br />

geschlossen. Nietzsches Dionysos ist der Chorführer<br />

der neuen Europa <strong>und</strong> seiner guten Europaer,<br />

erst als Gesicht nur aufgestiegen <strong>und</strong> als anima nova<br />

droben geblieben, endlich <strong>die</strong> süBeste Frucht unserer<br />

bittersten Wurzeln <strong>und</strong> das heilige selige Mitternacht-<br />

Kind unseres eben anbrechenden nach-christlichen<br />

Aeones.<br />

27. Der Übermensch. — Der Gott Dionysos ist Bruder<br />

<strong>des</strong> Über<strong>menschen</strong>. Dieser ist von ihm nicht sehr<br />

wesentlich unterschieden. Er hat <strong>die</strong> selbe Art, nur nicht<br />

<strong>die</strong> Idealitat <strong>des</strong> Gottes. Auch er ist <strong>die</strong> oberste Person<br />

<strong>des</strong> Lebens. Doch er ist das Ziel von Entwicklungen <strong>und</strong><br />

durchaus ein biologischer Typus. Ihm vorher gehen <strong>die</strong><br />

zahllosen Typen <strong>und</strong> Individuen der höheren Menschen.<br />

Auf ihn hin streben <strong>die</strong> Entelechien der frei gewordenen<br />

ein neues Ziel suchenden Individuen. Bald ist er vorgestellt<br />

als Einmaliger, <strong>des</strong>sen Erscheinung mit dem<br />

Gipfelpunkte <strong>des</strong> Kosmos, dem groBe Mittag, zusammenfallt,<br />

bald als einzeln <strong>und</strong> verstreut aufspringender<br />

50


Gliicksfall — beide Male als unmittelbares Dasein, nicht<br />

als Glied einer Kette. Denn <strong>die</strong> Entwicklunglehre Nietzsches<br />

ist entgegengesetzt der damals herrschenden. Ein<br />

individuiertes Maximum <strong>und</strong> Optimum ist ihr Ziel, keineswegs<br />

ein allgemeiner Typus oder Durchschnitt-Zustand.<br />

Diese sind nicht gleichgültig, aber sie können nur<br />

Stuf en zum Ziel oder Stürze vorm Ziel sein, nicht selbst<br />

das Ziel. Das Ziel ist Mitte <strong>und</strong> Mittag, teilt <strong>die</strong> Geschichte<br />

in Auf- <strong>und</strong> Abstieg. Darum auch werden Sozialismus<br />

<strong>und</strong> Demokratismus als leitende Ideale verworfen,<br />

als <strong>die</strong>nende Realitaten untergeordnet <strong>und</strong> gutgeheiBen.<br />

Das Ziel ist das Individuum als Typus, als<br />

Potenz der Gattung. So ist der Übermensch freilich<br />

garnicht Symbol, sondern ganz konkret gewollt, bedeutet<br />

er aber auch den „geliebten Schatten" für den <strong>die</strong><br />

Gegenwart sich in <strong>die</strong> Zukunft opfert <strong>und</strong> Vorbild <strong>und</strong><br />

Richtung für alle <strong>und</strong> keinen <strong>und</strong> auf jeder Stufe. Und<br />

so ist der Übermensch auch Überseele: der Übermensch<br />

<strong>die</strong> einzige volle Wirklichkeit <strong>des</strong> Menschen, <strong>die</strong> Überseele<br />

<strong>die</strong> Reife <strong>und</strong> der Überschwang all seiner Seelen.<br />

Nur daB <strong>die</strong> Überseele — bei Nietzsche — noch kaum<br />

in ihn selbst — den Über<strong>menschen</strong> — verlegt ist, da<br />

er noch unerreichbar erscheint <strong>und</strong> fürchten macht,<br />

sogar seinen Schöpfer als Verantwortlichen für <strong>die</strong> Jünger<br />

<strong>und</strong> das Volk. Aus der Distanzierung <strong>und</strong> Spannung<br />

also sind in der meist unbestimmten Vorstellung <strong>des</strong><br />

Über<strong>menschen</strong> gerade <strong>die</strong> Schrecken erregenden Züge<br />

herausgekehrt. Sie bleiben geb<strong>und</strong>en an <strong>die</strong> auBerste<br />

Güte, welche als schaffende alle Bedingungen <strong>und</strong> Folgen<br />

<strong>des</strong> Schaffens, <strong>die</strong> Leiden <strong>und</strong> Untergange der Nachsten<br />

um der Fernsten willen, als Schuld auf sich nimmt.<br />

51


Das ist <strong>die</strong> Überseele. Der Ausdruck j edoch der übermenschlichen<br />

Seele ist in den M<strong>und</strong> <strong>und</strong> Gesang <strong>des</strong><br />

Vorlaufers <strong>und</strong> Propheten Zarathustra gelegt. Der Übermensch<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Über<strong>menschen</strong> selber sind ja klassische<br />

Wesen, den Göttern Epikurs verwandt nicht Lenker<br />

der Menschen sondern ihnen enthoben. Die übermenschliche<br />

Sehnsucht nach dem noch nicht erreichbaren doch<br />

schon berührbaren Über<strong>menschen</strong> vertritt ihn als Seele:<br />

erzaubert eine halb romantische Sphare, <strong>die</strong> seine Psyche<br />

als Spiegelung zu empfangen vermag. In <strong>die</strong> Sehnsucht<br />

<strong>und</strong> Seele unseres Weltalters, das nunmehr mit ihm,<br />

zum min<strong>des</strong>ten mit dem Beginne seiner Schöpfung, sich<br />

verwandein <strong>und</strong> vollenden muB, hat Nietzsche <strong>die</strong> Gestalt<br />

<strong>des</strong> Über<strong>menschen</strong> mann-weiblich gezeugt <strong>und</strong> ihr<br />

den zeitlich-ewigen Namen gegeben: „Caesar mit der<br />

Seele Christi".<br />

28. Der letzte Mensch; <strong>die</strong> Eschatologie <strong>des</strong> Letzten<br />

Menschen <strong>und</strong> <strong>des</strong> Über<strong>menschen</strong>. — Nietzsche hat neben<br />

<strong>und</strong> gegen den Über<strong>menschen</strong> den Letzten Menschen<br />

gestellt. Auch <strong>die</strong>ser ist eschatologisch. Die Eschatologie<br />

<strong>des</strong> Letzten Menschen wie <strong>des</strong> Über<strong>menschen</strong> ist nicht<br />

moralisch wie <strong>die</strong> der Religionen sondern biologisch wertend.<br />

Der Letzte Mensch ist der kleinste haufigste langlebigste<br />

glücklichste schicksal- <strong>und</strong> wertloseste. In ihn<br />

lauft der Verfall aus. Nicht in eine Katastrophe, sondern<br />

in einen Verlust <strong>des</strong> Heroischen <strong>und</strong> Tragischen, in eine<br />

feige <strong>und</strong> glatte Anpassung, eine vollstandige Lösung<br />

vom niedrigsten Range. Dies ist dann <strong>die</strong> Menschheit,<br />

der Menschenrest, was nicht unter- <strong>und</strong> aufgegangen in<br />

der zum Über<strong>menschen</strong> zielenden Bewegung. Es ist,<br />

52


genau gesprochen, das befriedigende Ergebnis der Wohlfahrt-sittlich<br />

gemeinten sozialen Bewegung, einer Bewegung<br />

sowohl für <strong>die</strong> Massen wie von den Massen.<br />

Auch hier erhebt sich <strong>die</strong> Frage: Mythos oder auBere<br />

Realitat? Biologisch steht es fest, daB bei der Erringung<br />

<strong>und</strong> Erreichung einer obersten Potenz von dem was<br />

vorher da war <strong>und</strong> <strong>die</strong> Höhe hielt sehr viel verbraucht<br />

wird <strong>und</strong> verschwindet, sehr viel untergeordnet <strong>und</strong><br />

nahrend wird <strong>und</strong> sehr viel zurückbleibt <strong>und</strong> verkümmert.<br />

Die Entwicklung sowohl <strong>die</strong> phylogenetische wie<br />

<strong>die</strong> ontogenetische von Pflanze <strong>und</strong> Tier ist <strong>des</strong>sen ein<br />

einziges Beispiel <strong>und</strong> in den Bereichen der Kultur verlaufen<br />

<strong>die</strong> Prozesse ebenso. Nietzsche aber spaltet <strong>die</strong><br />

Entwicklung <strong>des</strong> seine eigne Entwicklung mit entscheidenden<br />

Menschen in zwei einander nicht berührende ja<br />

von einander sich stetig entfernende Linien: <strong>die</strong> eine<br />

zum Über<strong>menschen</strong> <strong>die</strong> andre zum Letzten Menschen.<br />

Diese biologische Konsequenz von ideellem Wert <strong>und</strong><br />

Unwert ist gerechtfertigt, weil <strong>die</strong> Biologie <strong>des</strong> Menschen<br />

kein Materialismus ist, sondern seine Psyche <strong>und</strong> Psychologie<br />

mit enthalt, also auch seine schöpferische <strong>und</strong><br />

freie Wertung <strong>und</strong> seine Selbstbestimmung nach Werten<br />

einbegreift. Nietzsche führt <strong>die</strong> Umwertung, <strong>die</strong> biologisch<br />

ist <strong>und</strong> sein muB — denn es handelt sich um Leben<br />

<strong>und</strong> nichts weiter als Leben — bis in <strong>die</strong> allerhöchsten<br />

Umsetzungen <strong>und</strong> Potenzen <strong>des</strong> Stofflichen, <strong>des</strong> Tierischen,<br />

<strong>des</strong> Menschlichen selbst. So muB ihm auch für<br />

<strong>die</strong> Entscheidung zum Über<strong>menschen</strong> hin <strong>und</strong> weg vom<br />

Letzten Menschen — eine reine Entscheidung <strong>und</strong> gar<br />

keinen Kampf — genau wie für Verdauung <strong>und</strong> Fortpflanzung<br />

der Bios selber einstehn. Und zwar muB <strong>die</strong>-<br />

53


ser, der stets nach Steigerung strebt, sich entscheiden<br />

gegen den Letzten Menschen <strong>und</strong> für den Über<strong>menschen</strong>:<br />

als für das Ein <strong>und</strong> All einer unteilbaren in ihm gipfelnden<br />

metaphysischen (übernaturhaften <strong>und</strong> geistigen)<br />

Entelechie.<br />

29. Die Ewige Wiederkunft <strong>des</strong> Gleichen. — Nietzsches<br />

schwierigste Lehre ist <strong>die</strong> von der Ewigen Wiederkunft<br />

<strong>des</strong> Gleichen. Ihre Begründung, <strong>die</strong> er selber nicht vollendet<br />

hat, überschreitet <strong>die</strong>se Zusammenhange <strong>und</strong> bedarf<br />

strenger physikalischer Untersuchungen. Dafür<br />

wollte ja Nietzsche selbst noch an einer Universitat<br />

Physik stu<strong>die</strong>ren. Der Widerspruch, in den er sich bei<br />

der Begründung verfing, laBt sich unschwer auflösen.<br />

Sein Denken war noch verhaftet in der klassichen das<br />

heiBt mechanistischen Physik. Er konnte also eine ewige<br />

Wiederholung kosmischer Gesamt-Konstellationen nur<br />

als materialisierte Identiteiten <strong>und</strong> nur aus durchgehenden<br />

diskreten Einheiten sich aufbauen, das ist rationalmechanisch.<br />

Damit gewann er zwar <strong>die</strong> Herrschaft über<br />

<strong>die</strong> leere <strong>und</strong> formwidrige Unendlichkeit. Doch verlor<br />

er, zu Gunsten von rational-mechanischen Einheiten, <strong>die</strong><br />

organisch-plastischen funktionellen Wirkungeinheiten.<br />

Diese liegen ja als Quanten immer nur so weit fest als<br />

sie einen gemeinsamen Nenner haben, können aber unmöglich<br />

total oder absolut in einem driften <strong>und</strong> somit<br />

in einander aufgehen — sonst galte der alteste rationalmechanische<br />

Zentralkosmos. Nietzsche hat durch <strong>die</strong><br />

Einfügung von Perspektive, Qualitat, zeitloser Sukzession<br />

<strong>und</strong> den dynamischen Begriffen der Macht so wie<br />

der Ewigkeit den Durchbruch eigentlich schon geleistet,<br />

54


nur noch nicht den Ausgleich <strong>und</strong> den Aufbau. — Diese<br />

Lücke muB auch hier bleiben <strong>und</strong> <strong>die</strong> Kreislauf-Lehre<br />

im Zusammenhange der ganzen Lehre verstanden werden.<br />

Dann ist, glücklicherweise, was ihr bisher mangelt<br />

zu entbehren. Denn dann wird auch für sie das letzte<br />

MaB der Mensch selber. Und der Mensch selber ist so<br />

wenig wie sein Kosmos ein Mechanon im Sinne der klassischen<br />

Physik. Er ist aber an periodische Prozesse von<br />

konkreten Dominanten — statt abstrakten <strong>und</strong> unbedingten<br />

Einheiten — in solchem Grade geb<strong>und</strong>en, daB<br />

es für ihn proportional keinen Unterschied macht, ob<br />

<strong>die</strong> perspektivischen Gesamt-Konstellationen, in denen<br />

er als Objekt <strong>und</strong> Subjekt fungiert, unbedingte oder nur<br />

bedingte identische Wiederholungen seien. Auch <strong>die</strong><br />

peinlichste Frage, ob denn nun tatsachlich der Mensch<br />

selbst <strong>und</strong> jeder seiner Lebensmomente als ein Ausschnitt<br />

einer umfassenden Punktation ohne alle Anderung<br />

ewige Male wiederkehre, laBt sich entwurzeln. Denn<br />

auch er selbst ist nicht vorhanden als rational-mechanische<br />

diskrete Einheit, <strong>und</strong> eine zulangliche mathematisch-physikalische<br />

Sphare für den kosmischen GesamtprozeB<br />

haben wir überhaupt noch nicht. Wir mussen uns<br />

also an begrenztere Natur- <strong>und</strong> Geistesordnungen — wie<br />

<strong>die</strong> Erforschung uns aller zuganglichen Periodiken —<br />

<strong>und</strong> damit im Einklange <strong>und</strong> darüber hinaus an <strong>die</strong><br />

Erlebbarkeit <strong>des</strong> Alls in unserer Seele halten.<br />

30. Die Ewige Wiederkunft <strong>des</strong> Gleichen als Erlebnis<br />

der Seele. — Die Lehre von der Ewigen Wiederkunft<br />

<strong>des</strong> Gleichen ist der gröBte Anspruch, der je an <strong>die</strong><br />

menschliche Seele gestellt worden ist. Sie kann garnicht<br />

55


angenommen werden als bloB erkenntnismaBige Überzeugung.<br />

Sie laBt sich ohne das Mitgehen der ganzen<br />

Seele nicht einmal auffassen. Sie erregt bei widerstrebender<br />

Seele den unüberwindlichen Widerstand <strong>des</strong> Lebensgeistes<br />

gegen sich. Denn sie ist <strong>die</strong> Probe <strong>des</strong> Menschen<br />

<strong>und</strong> seiner Seele auf ein unbedingtes Ja zum All<br />

<strong>des</strong> Lebens. Sie fordert das, unbekümmert um seine<br />

Tragkraft, vom einzelnen Individuum, von der Person.<br />

Sie laBt es darauf ankommen, daB <strong>die</strong> Besten unter ihr<br />

zusammenbrechen, <strong>die</strong> Schlechten, gemein miBverstehend,<br />

sie annehmen. Unter der Last ihrer <strong>und</strong> ihres<br />

BewuBtseins bricht Nietzsche selbst zusammen <strong>und</strong> seine<br />

Zarathustra-Prophetie ist erfüllt von <strong>die</strong>sen Mitleid-<br />

Leiden <strong>und</strong> Gewissens-Kampfen: er will sie verschweigen,<br />

kann <strong>und</strong> darf es nicht. Er wird Selbstopferer <strong>und</strong><br />

Opferpriester der Menschheit. Für den Einen <strong>und</strong> Einzigen,<br />

der stark genug sei in der Wahrheit zu leben <strong>und</strong><br />

selig zu sein: den Über<strong>menschen</strong>. So wird <strong>die</strong> asketische<br />

Religion durch <strong>die</strong> ihr entgegengesetzte der Lebensbejahung,<br />

-Steigerung <strong>und</strong> -Erfüllung in der GröBe <strong>und</strong><br />

auch in der Furchtbarkeit überboten — mit einer MaBlosigkeit<br />

der Überwindung <strong>und</strong> <strong>des</strong> Opfers. — Hier<br />

aber pflegt nichts Echtes mehr empf<strong>und</strong>en zu werden.<br />

Diese Lehre wird nicht nur von Ungeweihten sondern<br />

von Unbeteiligten erörtert. —• Es geht um <strong>die</strong> vollkommene<br />

Erlebung <strong>des</strong> Lebens. Die unendlichen Male der<br />

Wiederkehr je<strong>des</strong> Augenblickes sind noch nicht das<br />

Letzt-Entscheidende. Sie sind erst <strong>die</strong> Schwerter <strong>des</strong><br />

neuen Martyriums <strong>und</strong> Mysteriums das <strong>die</strong> Seele tötet<br />

<strong>und</strong> gebiert. Die Seele wird gezwungen das Leben ganz<br />

zu erleben, <strong>und</strong> hat sie ihr organisches AusmaB erklaf-<br />

56


tert, so ist es für sie unwichtig ob das Gleiche noch wiederkehre<br />

oder nicht mehr, sie ist dem Gleichen <strong>und</strong> dem<br />

Ungleichen gewachsen. Vermochte sie in Einem Atemzuge<br />

fertig zu erleben, so ware für sie einmal wie alle<br />

Male. Wie es nun auch physikalisch sich verhalte, der<br />

Logos der Psyche ist <strong>die</strong>ser <strong>und</strong> <strong>die</strong> Psyche ist obwohl<br />

nicht der Gegenstand doch das Objekt <strong>und</strong> Subjekt der<br />

Lehre. Zwar nicht so, daB jede beliebige Psyche vor <strong>die</strong><br />

letzte Folgerung gestellt sei — nur eine war bisher f ahig,<br />

<strong>die</strong> letzte Folgerung zu erleben —, j edoch so, daB ein<br />

unentrinnbarer Zirkel, eine neue Wahrheit, <strong>die</strong> eine<br />

durchgehende Erneuerung nach sich zieht, immer fester<br />

alle umschlieBe. — Die Ewige Wiederkunft <strong>des</strong> Gleichen<br />

stellt <strong>die</strong> Einheit <strong>des</strong> Lebens wieder her, verlangt ein<br />

Verhaltnis zum unteilbaren ganzen Leben <strong>und</strong> <strong>des</strong>sen<br />

Verwirklichung in unserem persönlichen Leben. Dieses<br />

ist das groBe Ja. Die Probe geschieht am einzelnen Geschick<br />

das wir ablehnend erlebt haben, <strong>des</strong>sen unendlich<br />

wiederholte Erlebung uns unvorstellbar unertraglich sein<br />

würde. Darüber hinaus werden wir gezwungen, von vielen<br />

möglichen eine wirkliche Gesamtlage, ein im GröBten<br />

<strong>und</strong> Kleinsten Unveranderliches <strong>und</strong> Einmaliges, verunendlicht<br />

<strong>und</strong> verewigt zu erleben. Das treibt über das<br />

Grausen <strong>des</strong> Ekels bis an den Willen zum ewigen Tode.<br />

Rettung bleibt nur <strong>die</strong>: dem was ist <strong>und</strong> dem wie ist<br />

den ungeheuersten Wert geben: nicht nur das Unentrinnbare<br />

annehmen sondern es aus uns selber hervorbringen,<br />

<strong>die</strong> Trennung zwischen All <strong>und</strong> Ich aufheben,<br />

<strong>die</strong> Notwendigkeit als eigenste in uns entbinden, jede<br />

St<strong>und</strong>e <strong>und</strong> je<strong>des</strong> Ding als unendlich <strong>und</strong> ewig verinnigen.<br />

So würden wir uns <strong>und</strong> unsere Welt heiligen, zur<br />

57


Freiheit erlösen, unser Leben <strong>und</strong> damit das Leben durch<br />

Erlebung schöpferisch <strong>und</strong> vollkommen machen, als<br />

periodische <strong>und</strong> rythmische Wesen <strong>und</strong> Chorfiihrer gleichsam<br />

ein musisches Spiel darstellend. Auch das noch ware<br />

für ein Ich zuviel Unendlichkeit! ja mehr denn Unendlichkeit:<br />

Ewigkeit! Die Krystallisation vollzieht sich<br />

durch <strong>die</strong> Teleologie auf einen höchsten Augenblick <strong>des</strong><br />

Erlebens hin. Es ist der, in dem, bei auBerster BewuBtheit,<br />

<strong>die</strong> Ewige Wiederkunft <strong>des</strong> Gleichen, also das ganz<br />

erlebte Leben, mit all seinem Leiden <strong>und</strong> Entsetzen selig<br />

erscheint <strong>und</strong> statt tiefster Angst rasender Wunsch wird.<br />

Um <strong>die</strong>ses höchsten Augenblickes willen wird der Rest<br />

ertragen also ertragbar. Denn in jenem ist das Ziel, der<br />

Übermensch, von einer ihn mitbedingenden Person vorweggenomen.<br />

31. Die Verwirklichung. — Die Verwandlung <strong>des</strong><br />

Menschen bedeutet das Gleiche wie <strong>die</strong> Verwirklichung<br />

von Nietzsche. Nicht nur der neue Typus selbst, schon<br />

jede Vorstellung eines solchen ist garnicht da ohne<br />

Nietzsche. Ebenso sind <strong>die</strong> Wege von ihm gebahnt, <strong>die</strong><br />

Ziele von ihm gesetzt. Für <strong>die</strong> Entwicklung <strong>und</strong> Schöpfung<br />

nun — <strong>die</strong>s bei<strong>des</strong> ist wie Natur <strong>und</strong> Geist nicht<br />

mehr getrennt — hat Nietzsche zwei scheinbar entgegengesetzte<br />

Vorschriften. Doch lost sich der Gegensatz<br />

auf, sobald man Entwicklung <strong>und</strong> Schöpfung als zwei<br />

zusammenwirkende Potenzen, eine niedere <strong>und</strong> eine<br />

höhere, richtig versteht. Die Schöpfung ist rücksichtenlos<br />

<strong>und</strong> unerbittlich, Selbstüberwindung Hingabe Opfer<br />

Katastrophe <strong>des</strong> Menschen selbst, Folge <strong>und</strong> Folgerung<br />

der gröBten <strong>und</strong> grausamsten aller Religionen: der über-<br />

58


menschlichen <strong>und</strong> dionysischen. Das steht in den nachgelassenen<br />

Planen <strong>und</strong> Trümmern <strong>des</strong> eschatologischen<br />

Zarathustra-Dramas. Die Entwicklung dagegen ist biologisch<br />

<strong>und</strong> organisch, voll Vorsicht <strong>und</strong> maBvoll, über<br />

unbestimmte Fristen erstreckt, vor jeder Überf ordening<br />

weise sich zurückhaltend. Der Zusammenhang <strong>und</strong> -halt<br />

zwischen Entwicklung <strong>und</strong> Schöpfung ist <strong>die</strong>ser: jeder<br />

Einzelne hat seine Freiheit als <strong>die</strong> Verfügung über sich<br />

in seinen <strong>und</strong> seiner Lage Grenzen, das Unbedingte als<br />

solches gilt für jeden alle <strong>und</strong> keinen, <strong>des</strong>sen bedingte<br />

Umsetzung in Leben <strong>und</strong> echte Funktion <strong>des</strong> Lebens<br />

aber ist ihm als Einzelnem anheimgestellt. Eine allgemeine<br />

<strong>und</strong> schrankenlose Forderung an <strong>die</strong> Person würde<br />

nur zur Vernichtung <strong>und</strong> nicht zum Aufbau führen.<br />

33. Die F einde. — Diese neue Welt <strong>und</strong> <strong>die</strong>ser neue<br />

Mensch haben auch ihre Feinde. Sie finden sich nicht<br />

vorzüglich unter den aufrichtigen Hütern irgend eines<br />

Alten. Denn <strong>die</strong> stehen an ihrem Platz <strong>und</strong> werden sich<br />

zu ihrer Frist vor einem Nichts oder vor einem Neuen<br />

sehen. Sie greifen nicht gefahrlich an was sie kaum bemerken<br />

<strong>und</strong> sie anzugreifen würde verkehrt sein. Der<br />

Kampf gegen das Alte zerstört meist ohne hervorbringen<br />

zu können. Das wahre Neue ist nicht Gegensatz<br />

sondern Schöpfung. Seine Feinde sind — wie von je<br />

<strong>und</strong> wie einst bei Christus — <strong>die</strong> ihm eigentlich <strong>und</strong><br />

der Sache nach Nahestehenden aber hamisch Abgewandten.<br />

Es sind <strong>die</strong> Unglaubigen <strong>und</strong> Spotter, <strong>die</strong> Zweifeinden<br />

<strong>und</strong> Verzweifelnden. Es sind <strong>die</strong> welche <strong>die</strong> Macht<br />

der Materie gegenüber dem Geiste als Scheingeistige<br />

zynisch erheben. Es sind <strong>die</strong> Geistigen gegen den Geist<br />

59


<strong>und</strong> gegen <strong>die</strong> schöpferischen Geister. Aber <strong>die</strong> Materie<br />

— mit ihr das Fertige <strong>und</strong> Beharrende das Überlieferte<br />

<strong>und</strong> Ergreiste — kann nie der Feind <strong>des</strong> Geistes sein,<br />

der ja selber <strong>die</strong>se Feindschaft entzünden <strong>und</strong> zielen<br />

müBte. Die Materie wird Feind <strong>des</strong> Geistes, wenn der<br />

Geist sich spaltet <strong>und</strong> sein verraterisches Halb sie, <strong>die</strong><br />

neutrale Materie, widergeistig vergeistigt <strong>und</strong> emport.<br />

Dieses ist Ischarioth <strong>und</strong> <strong>die</strong> Sünde <strong>des</strong> Geistes: <strong>die</strong><br />

nicht vergeben werden kann, weil der Geist sich selbst<br />

verlassen <strong>und</strong> hinterriicks iiberfalien hat. Verfinstert das<br />

Licht sich anstatt das Finstere zu erleuchten: wer soil<br />

das Licht erleuchten? <strong>und</strong> sagt der Geist: ich lief re mich<br />

aus in deine Hande Materie: wo ist ein zweiter Geist<br />

der ihn befreite? — Die vom Geiste in der Wirklichkeit<br />

Enttauschten <strong>und</strong> darum giftigen oft niedertrachtigen<br />

Wirklichkeit-Anwalte entkraiten <strong>die</strong> ohne<strong>die</strong>s unstarke<br />

Empfanglichkeit der Halb- <strong>und</strong> Ungeistigen <strong>und</strong> beirren<br />

das Selbstvertrauen, damit <strong>die</strong> Freiheit <strong>und</strong> Tatkraft,<br />

der Geistigen. Im tibrigen haben sie Unrecht <strong>und</strong> sollten<br />

auf horen zu lügen als könnten sies nicht wissen. Die<br />

Macht <strong>des</strong> Geistes innerhalb <strong>und</strong> oberhalb der Natur ist<br />

nun wohl endgültig erwiesen. Der Geschichtlauf <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

Geschichtlage, <strong>die</strong> sehr beschamenden, sind Folge der<br />

konsequenten Materialisationen <strong>des</strong> Geistes, bei denen<br />

er <strong>die</strong> Materie heben, der gehobenen aber erliegen muBte.<br />

Ein Einsatz <strong>des</strong> ganzen Geistes für den ganzen Menschen<br />

<strong>und</strong> seine ganze Welt ist aber vor Nietzsche nicht geleistet<br />

worden. — Wie es den letzten Erben der Geschichte<br />

zu Mute ist — den falschen Helden der Depressionen<br />

Pessimismen Nihilismen — <strong>und</strong> von welchen<br />

Lebensgefühlen <strong>und</strong> Denkbildern ihre narziBhaften<br />

60


Weiher verwirrt werden, das ist unmaBgeblich. Denn<br />

sie sind zurückgeblieben, über alles mit sich selbst beschaftigt,<br />

<strong>und</strong> sie mochten daB das andre Ufer zu ihnen<br />

geschwommen komme, aber wollen nicht über ihren<br />

Schatten springend selbst hinüber. Sie sind weder Einzelne<br />

noch Gewalten-Getragne, sie sind Salzsaulen <strong>und</strong><br />

Felsfratzen, ein vor dem Auf gang verst einernder Untergang.<br />

Soweit sie überleben wird ihr Lebensstoff Materie<br />

mit Keimen, anheimgegeben den nachsten Geschlechtern.<br />

Aber Materie <strong>und</strong> sei es auch Materie <strong>des</strong> Geistes<br />

<strong>und</strong> nimmermehr Geist. Ihre Personen haben wie alle<br />

andern unanfechtbar das Recht <strong>des</strong> Daseins. Des Daseins<br />

j edoch welches ihrer Art entspricht: selber auszuleben.<br />

Keineswegs <strong>des</strong>sen: ihre Krankheit <strong>und</strong> ihr Verderben<br />

weiter <strong>und</strong> weiter auszusaen. Und <strong>die</strong>s gerade<br />

tun sie! Sie streben den Lebensgrad aller auf den ihren<br />

herabzusetzen, <strong>die</strong> Ohnmacht Gott es <strong>die</strong> Allmacht <strong>des</strong><br />

Teufels überzeugend zu machen, <strong>die</strong> Erschöpfung der<br />

Natur <strong>und</strong> das Versagen <strong>des</strong> Geistes an den Pranger zu<br />

stellen, <strong>die</strong> Hoffnunglosigkeit überall einzuimpfen, das<br />

Böse <strong>und</strong> Schlechte durch Fingerzeig <strong>und</strong> Geschwatz zu<br />

verh<strong>und</strong>ertfachen, das Gute <strong>und</strong> Ewige bitter lachelnd<br />

totzusagen, <strong>die</strong> Unterwelt <strong>und</strong> das Ende heraufzulocken.<br />

Diese sind <strong>die</strong> Feinde <strong>des</strong> neuen Menschen <strong>und</strong><br />

seiner neuen Welt. Sie können nie siegen, auch <strong>die</strong>ses<br />

Mal nicht. Aber sie erhalten sich in der Schwebe, indem<br />

sie das Ganze nieder <strong>und</strong> unter sich herabziehn. Sei es<br />

auch nur mit ihrem Blicke! Wer ist stark genug, solchem<br />

Blicke oder solchen Tonen nicht mit seinen Gliedern nachzugeben?<br />

Sie mussen als <strong>die</strong> Feinde bekampft werden,<br />

das heiBt vor allem: ungehört <strong>und</strong> unbeachtet bleiben.<br />

61


34- Der Vollzug der Verwandelung. — Wie kann der<br />

Mensch seine Verwandehmg vollziehen? Wie <strong>und</strong> was<br />

kann <strong>und</strong> soil er dafür tun? Verboten ist <strong>die</strong> gewichtlose<br />

Begeisterung, das Vorschnellen nicht genug Belasteter.<br />

Solche Freischaxler werden aufgerieben oder ins Leere<br />

versprengt. Nur wer alle Bürden mitführt, sich <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

Seinigen, den ganzen alten Menschen <strong>und</strong> <strong>die</strong> ganze<br />

alte Welt, nur wer solche Schritte setzt <strong>die</strong> er nie mehr<br />

zurück nehmen wird sodaB jeder Schritt Ziel ist, erweist<br />

sich als Mittatiger an der groBen Verwandelung.<br />

Denn Geist ist <strong>die</strong>s Eine: ganz einzustehn für <strong>die</strong> Natur<br />

— <strong>und</strong> zwar als Person <strong>die</strong> Gott vertritt. So auch für<br />

<strong>die</strong> bruchlose Geschichte <strong>und</strong> Aufschichtung rückwarts<br />

<strong>und</strong> vorwaxts. — Die Verantwortlichkeit Zurückhaltung<br />

Stetigkeit muB <strong>die</strong> auBerste sein. Denn der ProzeB wird<br />

über alle Denkbarkeit lange wahren. Da darf nur geplant<br />

<strong>und</strong> begonnen werden, wessen Vollendung, also<br />

zunachst dauernde Festhaltung sich verbürgen laBt. Das<br />

bedeutet erstens: das Nachste <strong>und</strong> darum Erreichbare,<br />

zweitens: das durch heilige Zucht von Generation zu<br />

Generation bereits Fortgeerbte, zu einer anderen Entelechie<br />

Gemachte. Dabei ist das Ermessen <strong>und</strong> Nicht-<br />

Überschreiten der jeweiligen Tragweite <strong>des</strong> Versuches<br />

entscheidend. Unser schwaches <strong>und</strong> wirres Geschlecht<br />

wird <strong>des</strong> Hammers <strong>und</strong> <strong>des</strong> Pragstocks entraten. Es wird<br />

nur sein Allernachstes auf jenes Ganze hin ausrichten,<br />

das Ganze nur als solches fromm in sich bewahren. Es<br />

wird nichts als was unweigerlich <strong>und</strong> unmittelbar Erfüllung<br />

verlangt <strong>und</strong> erlaubt auf sich nehmen dürfen —<br />

gestreng sich hütend vor ebenso langfristigen wie kurzsichtigen<br />

„Verwirklichungen". — Der neue Mensch <strong>und</strong><br />

62


seine neue Welt sind uns anbefohlen, in reiner Einsicht<br />

<strong>und</strong> Freiheit von uns selbst. Wir haben das wie einen<br />

Schatz zu hüten, daB er nicht <strong>des</strong> geringsten beraubt<br />

werde, wie ein Banner zu umklammern, daB es immer<br />

in der Hand eines Zugehörigen bleibe, wie einen Acker<br />

<strong>und</strong> Garten zu bestellen, daB sie Jahr um Jahr den<br />

Unsrigen Früchte tragen. Darüber hinaus haben wir<br />

nichts zu tun — nur da wo wir hingestellt sind oder durch<br />

uns selber stehen in dem einen Sinne alles: <strong>und</strong> zwar als<br />

nicht mehr noch minder sondern genau als <strong>die</strong> welche<br />

wir sind.<br />

35. Die Axendrehung zum Menschen. — Eine gröBere<br />

Axendrehung als jede bisher — auch <strong>die</strong> zur Askese<br />

<strong>und</strong> auch <strong>die</strong> zum Christentum — ist Nietzsches Ausrichtung<br />

aller Wege <strong>und</strong> Ziele auf das Endziel: den<br />

Menschen selbst. Bisher ging es im auBersten Falle um<br />

<strong>die</strong> abgelöste Seele <strong>des</strong> Menschen, im übrigen um weltliche<br />

oder innere Festungen oder Eroberungen, über<br />

denen der Mensch sich selbst vergaB. Auch was den<br />

Menschen meinte, blieb teilmenschlich oder gruppenmenschlich,<br />

nichts wollte als ein <strong>und</strong> alles den Menschen.<br />

Auch Ecce Homo nicht — <strong>die</strong>s war <strong>die</strong> Signatur <strong>des</strong> ins<br />

Jenseits heimgekehrten Gottsohns. — Die Wendung<br />

zum Menschen kann noch garnicht erlebt geschweige<br />

denn im Leben vollzogen werden. Man stelle sich etwa<br />

vor: über <strong>die</strong> Ausbreitung <strong>des</strong> Handels <strong>und</strong> <strong>die</strong> Ausf uhr<br />

<strong>und</strong> Einfuhr von Waren, <strong>des</strong>gleichen über <strong>die</strong> allgemeine<br />

Anwendung der technischen Erfindungen, entscheiden<br />

nicht mehr <strong>die</strong> dadurch Begünstigten im Namen von<br />

Nutzen <strong>und</strong> Wohlfahrt, sondern Verantwortende der<br />

63


Folgen, Voraussehende der Wirkungen in Bezug auf <strong>die</strong><br />

Entwicklung der Art Mensch. Oder: welche Arbeit, zumal<br />

von Arbeitermassen, geleistet werden <strong>und</strong> welche<br />

nicht, ferner: auf welche Weise gearbeitet werde <strong>und</strong> auf<br />

welche nicht, darüber entscheidet in zweiter Linie zwar<br />

<strong>die</strong> Frucht der Arbeiten, in erster Linie aber was <strong>die</strong>se<br />

oder jene Arbeit aus dem arbeitenden Menschen macht.<br />

Jeder Heutige der nicht selber ein Utopist ist wird das<br />

für Utopie halten, mit Recht. Denn es ist etwas das erst<br />

übermorgen anfangt fallig zu werden. Es ist das Übergreifen<br />

einer neuen Religion auf Gebiete <strong>die</strong> nicht nur<br />

ganzlich dem Geist <strong>und</strong> der Seele entzogen, auch völlig<br />

f ormlos geblieben sind, <strong>die</strong> sich sogar in gröBerer Anarchie<br />

befinden als jemals ein Volk Staat oder Reich <strong>und</strong> von<br />

deren Gewalten <strong>und</strong> Gewaltherren doch alle Völker Staaten<br />

<strong>und</strong> Reiche geknechtet werden, der Mensch selber<br />

jeden Tag mehr verklavt wird. Die Macht der Religionen<br />

war nie hinlanglich, erreichte aber immer den Punkt <strong>des</strong><br />

eigentlich Utopischen. — Warum soli <strong>die</strong> neue Religion<br />

eine geringere anstatt noch gröBere Energie entfalten?<br />

36. Das Mitnehmen der Welt. — Die Hinwendung<br />

<strong>des</strong> Menschen auf sich selbst ist keine Abwendung von<br />

seiner Welt. Denn nur an <strong>die</strong>ser mit <strong>die</strong>ser durch <strong>die</strong>se<br />

kann er sich verwirklichen. Der Mensch, der Eine, hat<br />

keinen Atemzug <strong>und</strong> keinen Ausdruck, es sei denn über<br />

das Mittel <strong>des</strong>sen was er ist <strong>und</strong> doch nicht ist: der Welt.<br />

Das Mittel aber, das teils als Material ihm zur Verfügung<br />

gestellt ist teils als System er um sich gebaut hat,<br />

darf nicht ihn als MaB <strong>und</strong> Mitte verdrangen. Es muB<br />

untergeordnet <strong>und</strong> er beherrschend bleiben. Als Herr-<br />

64


schender muB er es verwalten <strong>und</strong> ihm auch geziemende<br />

Gewalt geben. Es ist überall mitbedingend, doch nicht<br />

mehr. — Das Mittel als Material <strong>des</strong> Menschen <strong>und</strong> das<br />

System der Mittel als sein AuBenbau umfaBt auch seine<br />

ganze Kultur, nicht nur was man geme als Zivilisation<br />

herabdrückt. Jene wie <strong>die</strong>se hat keinen selbstandigen<br />

Wert, es sei denn ein historisch-archaologischer, sie hat<br />

ihren Wert nur als funktionieren<strong>des</strong> Organ menschlicher<br />

Weltbildung <strong>und</strong> dadurch wiederum Menschbildung. Der<br />

Mensch, sein Mittel, sein System der Mittel stehn in<br />

einem unteilbar Ringe, <strong>des</strong>sen Ziel jenseits darüber<br />

liegt als der Übermensch, <strong>des</strong>sen Triebkraft das Streben<br />

<strong>des</strong> Menschen zum Über<strong>menschen</strong>, damit zur endlichen<br />

Erreichung seiner selbst als Vollmensch ist. —- Darum<br />

muB der Mensch, gerade wenn er das Fernste erlangen<br />

will, alles Nachste annehmen. So wie Goethe sagt, ihm<br />

sei jede Tatigkeit gleich <strong>und</strong> symbolisch gewesen. Das<br />

Gegebene, es sei Zeitalter Blut Charakter Stand Beruf<br />

besondere Lage <strong>und</strong> Mit<strong>menschen</strong>, ist gr<strong>und</strong>satzlich zu<br />

betrachten <strong>und</strong> behandeln wie das Ackerlos das einem<br />

gefallen ist <strong>und</strong> der Boden den er zu bestellen hat. Das<br />

bedeutet gewiB nicht eine sehr rohe Forderung, daB der<br />

Unglückliche oder hoffnunglos Benachteiligte sich kurz<br />

bescheide, es bedeutet <strong>die</strong> Verlegung <strong>des</strong> Wert-Gewichtes<br />

von dem Lebensstoffe auf <strong>die</strong> Lebenskraft <strong>und</strong> den<br />

heiligen Anspruch je<strong>des</strong> Lebensstoffes auf schicksalhaft<br />

ihm zugeordnete Lebenskraft. — Wird nun der Einzelne<br />

sich selbst das Ziel, so auch nur er mit allen seinen Burden<br />

<strong>und</strong> in seinem ganzen Bannkreise. Hat er Weib <strong>und</strong><br />

Kind, so sind <strong>die</strong>se garnicht von ihm zu trennen sondern<br />

wie Teile seines Körpers, nicht anders wenn er einem<br />

5 65


Betriebe einem Staate einer Bewegung vorsteht <strong>und</strong><br />

abermals nicht anders wenn er mittatig oder <strong>die</strong>nend zugehörig<br />

ist. Gerade das was der Mensch nicht selber ist<br />

erweist den Menschen selber. Nur daran kann er sich<br />

bewahren. Ein warts verwandelt er sich entsprechend<br />

wie er sich auswaxts entfaltet, wie er das andere auswarts<br />

gestaltet. Er selber ist Werkzeug <strong>und</strong> Sprungbrett,<br />

Werk <strong>und</strong> Ziel nur, wenn er mit sich über sich<br />

hinaus zeugt <strong>und</strong> schafft, sich überspringt. Dann findet<br />

er sich drüben als Höheren, einst Vollendeten. Die Selbstformung<br />

ist ein Geschliffenwerden an allen Flachen der<br />

Welt <strong>und</strong> ein gleichzeitiges VerstoBen <strong>des</strong> eignen Kristallkeimes<br />

in <strong>die</strong> Schichten der Welt. Selbstgestaltung<br />

ist Mit- <strong>und</strong> Allgestaltung.<br />

37. Gemeinschaft <strong>und</strong> Sinn; Idee <strong>und</strong> System der Mittel.<br />

— Schon eine veranderte Gr<strong>und</strong>haltung, mehr <strong>die</strong><br />

Absicht an der Welt etwas zu andern, schlieBt <strong>die</strong> erst<br />

kleine dann groBe Zahl ahnlich Gesinnter zusammen.<br />

So kommen sogenannte Sachen zum Siege. Die Verbande<br />

<strong>die</strong> entstehn sind von verschiedner Art. Sie reichen von<br />

Blut- Geist- <strong>und</strong> Gottesbünden bis zur Rottung anstandiger<br />

oder unanstandiger Geschaitleute Parteileute <strong>und</strong><br />

Interessenten. Verschieden ist auch <strong>die</strong> Gewissenhaftigkeit<br />

bei der Aufnahme Nichtaufnahme <strong>und</strong> AusstoBung<br />

von Gliedern. Das Gesetz ware, daB der erste Sinn der<br />

Verbindung alle Glieder unbedingt verpflichtete. Also<br />

der Wandel <strong>und</strong> <strong>die</strong> Lehre Christi <strong>die</strong> christlichen Kirchen<br />

oder das Wohl der Völker ihre Regierungen. Dagegen<br />

stehn zwei Tatsachen <strong>des</strong> Lebens. Die erste: jede<br />

Gemeinschaft, auf was auch sie fuBe <strong>und</strong> ziele, verselb-<br />

66


standigt sich mehr oder minder indem <strong>die</strong> als Lebewesen<br />

weiter wachst. Da von wird auch ihr Sinn mitgezogen,<br />

umgedeutet <strong>und</strong> umgewertet. Die zweite Tatsache:<br />

jede Gemeinschaft besteht als doppelte Wirklichkeit,<br />

nicht nur als allseitige Beziehung auf einen Sinn,<br />

sondern auch als Allheit ihrer Glieder, das heiBt: in<br />

jenem Sinne nicht aufgehender, ihm <strong>und</strong> einander auch<br />

weithin widerstreitender Lebewesen. Durch bei<strong>des</strong> ist <strong>die</strong><br />

Gemeinschaft einesteils als Leben gewahrleistet, andresteils<br />

in ihrem Sinne <strong>und</strong> dadurch auch in ihrem Leben<br />

bedroht. Ihr Kritisches ist, daB sie als zwar ein Lebewesen<br />

doch mit einem Sinne steht <strong>und</strong> fallt. Um sich<br />

aufrecht zu halten <strong>und</strong> mehr als das: Macht <strong>und</strong> Vorteile<br />

zu gewinnen, <strong>die</strong>ses sowohl als ganze wie als Summe<br />

einzelner, verschiebt sie notwendig ihren tatsachlichen<br />

Schwerpunkt von ihrem Sinne ihrer Sache ihrem Ziel<br />

auf das System der Mittel, welches allein <strong>die</strong> Auswirkung<br />

<strong>und</strong> Durchsetzung in der Welt leistet. Damit aber<br />

kehrt sie das reine Verhaltnis um: <strong>die</strong> Gemeinschaft ist<br />

nicht mehr für <strong>die</strong> Idee da sondern <strong>die</strong> Idee für <strong>die</strong><br />

Gemeinschaft, ja zuletzt Idee <strong>und</strong> Gemeinschaft <strong>die</strong>nstbar<br />

einem verstarrten <strong>und</strong> tyrannisierenden durch seine<br />

Überfunktion verselbstandigten System der Mittel zu<br />

Zwecken. Diese Entartung ist unvermeidlich in jeder<br />

Gemeinschaft. Wohl soil sie zurückgehalten werden.<br />

Doch sie laBt sich nicht abstellen. Das ist unentrinnbare<br />

Naturordnung. Es folgt daraus, daB keine Idee durch<br />

eine sie tragende Gemeinschaft welthaft erfüllt, ja nicht<br />

einmal bewahrt werden kann. Dieses spricht nicht gegen<br />

<strong>die</strong> Gemeinschaft unter der Idee, es zeigt ihre Gefahr<br />

<strong>und</strong> ihre Grenze. Die Idee soil sich nicht allein noch<br />

5* 67


endgültig auf eine von ihr begründete Gemeinschaft<br />

stützen, sie bedarf ewig <strong>des</strong> in keiner Gemeinschaft aufgehenden<br />

Restes: <strong>des</strong> ursprünghchen Menschen.<br />

38. Der Einzelne <strong>und</strong> <strong>die</strong> Gemeinschaft; der Einzelne<br />

verantwortlich. — Der Einzelne hat den Vorrang der<br />

schöpferischen Verantwortlichkeit. Darum, nicht wegen<br />

eines unverantworteten Anspruches, vertritt nur er den<br />

Menschen. Die Gemeinschaft beschrankt <strong>und</strong> entfaltet<br />

<strong>die</strong> Einzelnen. Sie nimmt <strong>und</strong> giebt ihnen Werte. Sie<br />

ist sogar Mitbedingung <strong>und</strong> Organ an jedem Einzelnen.<br />

Aber sie selber ist nur Verselbstandigung organisierter<br />

Funktionen <strong>und</strong> durchaus nicht Organon. Deshalb auch<br />

<strong>die</strong> dauernden Kampfe um sie in ihr <strong>und</strong> zwischen den<br />

Einzelnen <strong>und</strong> ihr. Sie ist allenfalls ein Werden<strong>des</strong>, vielleicht<br />

eine Wiederkehr der uralten Stockbildung, deren<br />

fortentwickelte Reste bei Tieren wie etwa den Bienen<br />

<strong>und</strong> Ameisen noch physiologisch, bei andern wie etwa<br />

den Herden <strong>und</strong> Schwarme ballenden Saugern <strong>und</strong><br />

Vögeln <strong>und</strong> so auch bei den Menschen nur psychologisch<br />

gefestigt sind. Die unerschütterliche Schranke gegen <strong>die</strong><br />

Übertreibung der Gemeinschaft ist der geschlossene Organismus,<br />

mit dem nicht organisierende Funktionen<br />

verwechselt werden dürfen, <strong>die</strong> zwar viele Organismen<br />

überspannen aber nicht zu einem körperlichen Organismus<br />

zusammenschliessen — also zu überhaupt keinem.<br />

Diesseits <strong>die</strong>ser Grenze bleibt jede menschliche<br />

Gemeinschaft. Darum ist sie letzthin, wenn auch vielleicht<br />

nicht tatsachlich, abhangiger vom Einzelnen als<br />

der Einzelne von ihr. Dies um so mehr als der Einzelne<br />

nicht etwa einzigen, sondern vielen einander ausschlie-<br />

68


Benden Gemeinschaften angehört. So hat nur der Einzelne<br />

eine schöpferische Verantwortlichkeit. Der Mensch<br />

ist als Mensch einsam. Er ist vor uns nach seiner hohen<br />

Mitte, der Einsamkeit, <strong>und</strong> nur als Einsamer, Glied von<br />

Gemeinschaft. — Für <strong>die</strong> gewollte Verwandlung der<br />

Art ist ausschlaggebend, was <strong>die</strong> Einzelnen erreichen.<br />

Das ist wichtiger als alle Wirkung auf andere. Es ist<br />

aber nicht einmal leiblich fortpflanzbar. Es entspricht<br />

biologisch einem einmaligen Phanotyp. Es ist geistig <strong>und</strong><br />

seelisch fortpflanzbar als stete Wiederkehr der Selbstzeugung.<br />

Es selber ist nach Durchmessung aller bedingenden<br />

Stuf en abermals <strong>und</strong> abermals Urgeburt. So wie<br />

Zarathustra seine Jünger von sich schickt <strong>und</strong> erst nachdem<br />

alle ihn verleugnet haben ihnen wiederkehren will.<br />

So wie es in Georges Templer-Gedichte heiBt:<br />

Wie wir ge<strong>die</strong>hn im schooBe fremder amme:<br />

1st unser nachwuchs nie aus unsrem stamme —<br />

Nie alternd nie entkraftet nie versprengt<br />

Da ungeborne glut in ihm sich mengt.<br />

Oder wie <strong>die</strong> neue Sage vom Volke der Hyperboraer singt:<br />

Selber sind wir gesetzlos völlig / kometische <strong>menschen</strong>.<br />

Aber gedachtnis gesang <strong>und</strong> musik <strong>und</strong> ein glanz wo<br />

wir gingen<br />

Eint uns / engeres nicht / wir meiden einer den andern.<br />

Der Einzelne ist als Verantwortlicher verwandelbar <strong>und</strong><br />

als Verwandelbarer unmittelbar zu verwandeln. Er ist<br />

sich selbst der Nachste: am leichtesten <strong>und</strong> am tiefsten,<br />

am nachhaltigsten sich ergreifbar. Eine alte Lehre gewinnt<br />

jetzt höhere Bedeutung: <strong>die</strong> daB jeder vorerst<br />

69


sich bessere <strong>und</strong> dann andere. Es würde <strong>die</strong> gewaltigste<br />

Umwalzung sein, wenn zum ersten Male in der Geschichte<br />

<strong>des</strong> Sittlichen der Sittlich-Erregte sich ein Aus- <strong>und</strong><br />

Übergreifen sowohl im allgemeinen wie von Fall zu Falle<br />

verböte, wenn er mit frommer Scheu sich selber lauterte<br />

<strong>und</strong> bildete bis zum wirklichen Vorbilde, indem er das<br />

was er bei anderen bemangelt <strong>und</strong> verurteilt in sich aufsuchte<br />

<strong>und</strong> überwande. Solches würde — unter Auslassung<br />

der pharisaischen Person <strong>und</strong> Gemeinschaft —<br />

unorganisierte <strong>und</strong> reine Entwicklungen erzielen, unermeBlich<br />

viel Gift <strong>und</strong> Unrat unterlassen zu erzeugen.<br />

Und es würde, anstatt eines Chaos von Übertragungen<br />

<strong>und</strong> Beschuldigungen aus Selbstflucht, den Selbstaufbau<br />

im Strahlungraume der allmachtigen Allseele zum Seelenkosmos<br />

hinleiten. Dann würde <strong>des</strong> Herakleitos Wort,<br />

daB unsichtbare Harmonie wirksamer sei als sichtbare,<br />

zur erfüllenden Tat werden.<br />

39. Die Wandelung zur freien Gemeinschaft der Einzelnen.<br />

— Dann ergiebt sich von Mensch zu Mensch,<br />

statt wie bisher <strong>die</strong> Divergenz, als Frucht gelauterter<br />

Selbstentfaltung eine Konvergenz, damit der Übergang<br />

zu einer neuen Art von Gemeinschaft, <strong>die</strong> auf einer Konstellation<br />

von freien Individuen <strong>und</strong> Individuationen<br />

beruht. Hier ist das Individuum zwar in seinem Kerne<br />

sicherer <strong>und</strong> starker als je <strong>und</strong> nur in zweiter Linie zu<br />

Abbruch <strong>und</strong> Ausgleichung genötigt, dafür aber auch<br />

seiner Massigkeit <strong>und</strong> Wucherung entledigt <strong>und</strong> vergeistigt.<br />

Es darf nicht mehr sich als so <strong>und</strong> so beschaffenes<br />

<strong>und</strong> dabei auf allgemeine Werte <strong>und</strong> Forderungen gestütztes,<br />

also als personifizierten Moralismus <strong>und</strong> mora-<br />

70


lisierende Person den Mit<strong>menschen</strong> auf erlegen, sondern<br />

nur noch, soweit es von jenen Werten <strong>und</strong> Forderungen<br />

umgepragt worden ist, sie blühend ausströmen <strong>und</strong> durch<br />

Strahlung gleichsam magisch ausbreiten. Ja es darf seine<br />

Individuation überhaupt nicht mehr gegen andere Individuationen<br />

über das Medium einer Idee hin ausspielen,<br />

sondern ist in eine taktvolle Distance sowohl von<br />

Person zu Person wie gegenüber der Idee gewiesen <strong>und</strong><br />

von den Selbstverstarkungen <strong>und</strong> Machtmitteln der Unbedingtheiten<br />

vertretenden Ichfunktion abgeschnitten.<br />

So herrscht im Reiche der Einzelnen oder <strong>des</strong> Menschen<br />

eine nunmehr tiefer gegründete <strong>und</strong> schöpferisch wirkende<br />

Humanitat <strong>und</strong> Duldsamkeit: <strong>die</strong> alle individuelle<br />

<strong>und</strong> ideelle VerstofHichung auflösende Allseele.<br />

Es ist aber nicht <strong>die</strong> Frage, bis zu welchem Grade <strong>die</strong>se<br />

Wandelung vorschreite oder vorschreiten könne. Sie<br />

soil Ideal <strong>und</strong> gute Sitte werden. — Bei <strong>die</strong>sen heiligen<br />

Bestrebungen giebt es keine Niederlagen. Je<strong>des</strong> Scheitern<br />

ja alle Untergange sind Phasen eines ansteigenden<br />

einzelnen <strong>und</strong> gesamten menschlichen Prozesses. Es<br />

giebt keinen MaBstab <strong>und</strong> kein Gebot <strong>des</strong> Erreichens.<br />

Je<strong>des</strong> aber was erreicht ist führt vorwarts, wenn es echt<br />

<strong>und</strong> endgültig ist. Entmutigung ist nur da am Platze,<br />

wo Anspannung <strong>und</strong> Aufwand im Zirkel zurückführen<br />

oder gar das Neue sich ausbeuten laBt, um das Alte<br />

mit Zufuhr frischer Kraft zu versteifen. Auch das gehort<br />

in den ProzeB. Aber das muB erschrecken <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

Gegenwirkung auslösen.<br />

40. Verwirklichung von Idee <strong>und</strong> Ideal. — Es geht<br />

hier abermals um Gemeinschaft. Idee <strong>und</strong> Ideal verwei-<br />

7i


len nur kurz bei abgesonderten Einzelnen, sie sind immer<br />

im Vordringen gegen <strong>die</strong> Vielen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Welt <strong>und</strong> bilden<br />

Gemeinschaft. Dabei geraten sie dann in ihre Schicksale.<br />

Sieg <strong>und</strong> vor dem Siege schon Entartung. Sie werden<br />

das was in Gruppen <strong>und</strong> Massen siegen kann. Diese<br />

Schicksale sind, in den ewigen Kreislaufen, dennoch<br />

gut. Denn Idee <strong>und</strong> Ideal sind nur Vorformen unseres<br />

Lebens. Sie mussen sich bewahren als verwirklichbar<br />

oder als selbstgenug. Die Verwirklichbarkeit ist an <strong>die</strong><br />

Verschmelzung mit der jeweiligen Wirklichkeit geb<strong>und</strong>en.<br />

Ein tragischer ProzeB der Verderbnis <strong>und</strong> Erniedrigung,<br />

doch mit dem geheimen Ziele, daB das Höchste<br />

zuletzt sich als starker denn das Übermachtigende erweise,<br />

ja als unverletzlich sich behaupte, daB es nicht<br />

nur seine Eigenmacht durch seine Ohnmacht hindurch<br />

rette sondern sie als Übermacht im Scheinmachtigen selber<br />

— der Wirklichkeit — hindurch zwinge. Genau <strong>die</strong>ses<br />

ist auch <strong>die</strong> Rolle sowohl der höheren Potenzen <strong>und</strong><br />

Organisatoren im Bezirk <strong>des</strong> sich aufbauenden Bios wie<br />

auch <strong>des</strong> Schöpfer-Erlösers oder der Erlöserin in der<br />

inneren Lehre aller Religionen: der Gnosis. Der Ausgang<br />

aber — <strong>die</strong> Selbstbewahrung <strong>des</strong> Ideales <strong>und</strong> <strong>die</strong> Emporzeugung<br />

der Wirklichkeit — ist stets ungewiB oder<br />

zweideutig. Darum genügt es nicht, den ProzeB zu verlangsamen<br />

<strong>und</strong> überwachen, ihn durch Reformationen<br />

zu lautern <strong>und</strong> periodisch an den Ursprung zurück zu<br />

leiten. Es muB auch ein zweiter ProzeB, welcher vielmehr<br />

der ewig neu beginnende erste ist, jenseits <strong>und</strong><br />

über aller Gemeinschaftung vor sich gehen: <strong>die</strong> Verkörperung<br />

von Idee <strong>und</strong> Ideal als selbstgenugsamen durch<br />

<strong>die</strong> gr<strong>und</strong>satzlich unabhangigen Einzelnen: deren Selbst-<br />

72


erlösung als Selbstschöpfung, deren Selbstverwandelung<br />

<strong>und</strong> in ihr <strong>die</strong> Verwandelung <strong>des</strong> Menschen — <strong>die</strong> Stiftung<br />

eines reinen Reiches von Hinübergehenden, <strong>die</strong><br />

nur <strong>die</strong>se Gemeinschaft haben, daB ein jeder sich selbst<br />

verantwortet auf das am fernsten Ziele stehende Urbild<br />

hin: den Über<strong>menschen</strong>.<br />

41. Die Religion <strong>des</strong> Heroismus, <strong>des</strong> Humanismus <strong>und</strong><br />

<strong>des</strong> Alltags. — Die Verwandlung <strong>des</strong> Menschen in der<br />

Richtung auf den Über<strong>menschen</strong> ist fortwahrend heroische<br />

Opfertat. Das ist der Gr<strong>und</strong>, weswegen <strong>die</strong>se<br />

Religion als erste von allen Religionen ohne bestimmte<br />

<strong>und</strong> unerlaBliche Formen, ohne Dogma <strong>und</strong> ohne Kultus<br />

ist <strong>und</strong> bleiben muB, wenn aber solche aus ihr hervorgehen<br />

werden, sie nie unverbrüchlich sein werden. Diese<br />

Religion ist <strong>die</strong> erste rein geistige <strong>und</strong> voll wirkliche.<br />

Sie gebietet nicht sondern sie ist eine Heroisierung <strong>des</strong><br />

freien Menschen. Daraus entspringen von selber Fre<strong>und</strong>schaften<br />

Ehen Chöre Bünde <strong>und</strong> zuletzt neue Völker,<br />

um Heiligtümer geschart. Sie sind <strong>die</strong> Erlesenen, <strong>die</strong><br />

sich selber erlesen haben <strong>und</strong> <strong>die</strong> gemeinsam für jeden<br />

Einzelnen <strong>und</strong> einzeln für <strong>die</strong> Gemeinschaft einstehen.<br />

Ihre Ehrfurcht vor sich selbst aber gebietet ihnen auch,<br />

nicht hochmütig in Eigenbann sich zu schlieBen noch<br />

was Gott <strong>des</strong> Daseins gewürdigt hat zu verachten, sondern<br />

demütig <strong>die</strong> GroBe Mutter <strong>des</strong> Lebens <strong>und</strong> <strong>die</strong> Ur<strong>und</strong><br />

Allseele durch alle Stufen <strong>und</strong> Reihen hin zu verehren.<br />

So wird ihr Heroismus gleichgewogen durch den<br />

umfassendsten Humanismus: das All<strong>menschen</strong>tum. Der<br />

aber gilt nicht nur nach auBen, ebenso nach innen. Er<br />

verlangt den nicht erhabenen noch glanzenden, den<br />

73


unscheinbaren <strong>und</strong> geringen Aufbau <strong>des</strong> Alltaglichen.<br />

Er verlangt nur Dienst, an den Dingen nicht minder als<br />

an den Wesen. Er verlangt daB nichts vernachlaBigt<br />

noch verwahrlost werde, je<strong>des</strong> versorgt <strong>und</strong> gehütet als<br />

ein Göttliches. Dieses ist nicht das Schwere aber Begeisternde,<br />

es ist das Leichte aber Erschöpfende. Es ist<br />

das was wir ohne<strong>die</strong>s immer tun — oder lassen. Wir sollen<br />

es an jeder Stelle <strong>und</strong> zu jeder St<strong>und</strong>e so gut als<br />

möglich tun. Wir sollen es mit einer Liebe vollbringen,<br />

wie sie <strong>die</strong> Inder gegen <strong>die</strong> Tiere <strong>und</strong> Pflanzen hegen:<br />

als Natur- <strong>und</strong> Geistes-Religion <strong>und</strong> uneingeschrankten<br />

Gottes<strong>die</strong>nst. Und <strong>die</strong>s soil nicht unsere Pflicht von oben<br />

her sein, sondern unser Persönlichstes <strong>und</strong> <strong>die</strong> Wiederherstellung<br />

oder Urstiftung unserer eigensten Familie:<br />

der Menschheit <strong>und</strong> ihrer Welt. Es soli nur reichen so<br />

weit als wir selber reichen. Es soli aber unser neues <strong>und</strong><br />

umfassen<strong>des</strong> Ich sein: unser Ein- <strong>und</strong> Ausatmen Leben<br />

<strong>und</strong> Weben, unsere letzte Schönheit <strong>und</strong> erste Liebe.<br />

Dieses ist der Beginn der dem Ende zuvorkommt. Und<br />

ohne <strong>die</strong>ses endigt jede heroische Bahn <strong>und</strong> so auch <strong>die</strong><br />

<strong>des</strong> Menschen selbst in einer Ilias.<br />

74


R U D O L F<br />

PANNWITZ:<br />

GEMEINSAMES NACHWORT FUR<br />

MEIN GEDANKENWERK 19394943<br />

D<br />

IESE in <strong>die</strong>sen jahren entstandenen werke sind abschliisse<br />

lebenslanger arbeit an ewigen dingen, ihre titel lauten: Die<br />

Verwandlung <strong>und</strong> der Aufbau <strong>des</strong> Menschen <strong>und</strong> seiner Welt -<br />

Phaenomenologische Bruchstuecke - Allseele.<br />

Je<strong>des</strong> der werke ist in sich vollstandig <strong>und</strong> bedarf keiner<br />

erganzung, doch waren sie nicht kurz nach einander ja fast<br />

neben einander gestaltet worden <strong>und</strong> das nicht nur aus einem<br />

<strong>und</strong> demselben geiste sondern auch mit weithin übereinstimmenden<br />

inhalten ohne daB mehr als das einzelne fassen kann in<br />

ihnen alien zum ausdruck kame. es ist eine dreimalige behandlung<br />

<strong>des</strong> gleichen gegenstan<strong>des</strong>: <strong>des</strong> <strong>menschen</strong> <strong>und</strong> seiner zukunft.<br />

dabei sind <strong>die</strong> aufgaben verschieden, <strong>und</strong> auBerordentlich<br />

verschieden ist <strong>die</strong> form.<br />

Das erste werk geht von der durch <strong>nietzsche</strong> festgestellten


zeitenwende aus <strong>und</strong> führt eine analyse kritik <strong>und</strong> synthese / ausgerichtet<br />

auf einen neuen <strong>menschen</strong> <strong>und</strong> seine neue welt / durch<br />

alle gebiete unseres daseins (der mensch selbst / <strong>die</strong> gemeinschaften<br />

/ der staat / <strong>die</strong> wirtschaft / <strong>die</strong> religion / <strong>die</strong> kirche /<br />

<strong>die</strong> philosophic / <strong>die</strong> wissenschaft / <strong>die</strong> kunst <strong>und</strong> <strong>die</strong> kiinste /<br />

<strong>die</strong> kultur / <strong>die</strong> erziehung). <strong>die</strong> erforschung <strong>und</strong> verjüngung betrifft<br />

nicht so das zeitliche als das zeitlos wesentliche. <strong>die</strong><br />

denkform ist phanomenologisch, nur daB der unermeBliche<br />

stoff verbietet <strong>die</strong> zerlegungen bis in <strong>die</strong> allerersten urspriinge<br />

fortzusetzen. das zweite werk dagegen beginnt in den ursprüngen<br />

<strong>und</strong> kehrt auf jeder stufe bis zu ihnen zurück. es verharrt<br />

in ihnen <strong>und</strong> entwickelt aus ihnen eine elementarlehre<br />

von der welt <strong>des</strong> <strong>menschen</strong>. gleichzeitig klart es indem es sie<br />

ausübt seine eigne methode, das dritte werk hat nicht nur denselben<br />

gegenstand auch <strong>die</strong>selben voraussetzungen <strong>und</strong> ziele<br />

wie <strong>die</strong> beiden ersten. aber es gehort seiner art nach in eine<br />

andere reihe / es ist eine dichterische profetie, dennoch muB es<br />

hier angeführt werden da seine unmittelbarkeit um nichts weniger<br />

<strong>und</strong> um nichts mehr <strong>und</strong> auch nichts anderes als jene langsamen<br />

<strong>und</strong> lückenlosen aufbauten verkörpert.<br />

Die tiefe einheit von all dem <strong>und</strong> wie es zu nehmen ist findet


sich bereits in dem ersten der Vierteljahr-Drucke (193 9/1) im<br />

einleitenden aufsatz klargelegt. nun ergiebt sich von selber daB<br />

<strong>die</strong> wiederholung von etwas einheitlichem in mehrfacher abgewandelter<br />

form zumal wenn es so eigentümlich <strong>und</strong> neu ist<br />

auch ohne gefordert zu sein doch erwünscht sein mag <strong>und</strong><br />

auch ohne vermiBtes hinzuzubringen doch das ganze nach<br />

auBen <strong>und</strong> innen erweitert / über <strong>die</strong> flache bespiegelt / in<br />

<strong>die</strong> tiefe aufschlietët. liegt dann noch dem einen <strong>die</strong>ser dem<br />

andern jener zugang naher so kommt am ende mancher wenn er<br />

an der rechten stelle ansetzt zuerst zu dem seinigen <strong>und</strong> von<br />

da aus weiter zu dem was nicht mehr das seine ist.<br />

Im gegenstande gibt das gedankenwerk von 1939 bis 1943<br />

nicht alles, es fehlt <strong>die</strong> zusammenhangende <strong>und</strong> eingehende behandlung<br />

der natur- <strong>und</strong> seelenwissenschaft. das zweite ist für<br />

spater vorbehalten. das erste ist in den schriften Das organische<br />

Leben {mit einer methodologischen Einleitung) <strong>und</strong> der Ursprung<br />

<strong>und</strong> das Wesen der Geschlechter <strong>und</strong> der geschlechtlichen<br />

Fortpflanzung gr<strong>und</strong>satzlich enthalten, beide schriften entsprechen<br />

obwohl sie um etwas alter sind nach ihrer stufe den letzten<br />

doch ist ihr naherer gegenstand begrenzt <strong>und</strong> so sind auch noch<br />

frühere schriften unentbehrlich <strong>die</strong> den kosmos betreffen <strong>und</strong>


deren denkform ausgesprochen kosmologisch ist. es ist <strong>die</strong>s das<br />

hauptwerk Kosmos Atheos I. II. <strong>und</strong> daran anschlieBend Logos<br />

Eidos Bios.<br />

Der leser dem an den sachen gelegen ist <strong>und</strong> der dabei zunachst<br />

auf <strong>die</strong> hauptsache sich richtet wird schon aus einem<br />

der werke <strong>und</strong> leichter wohl aus mehreren einesteils <strong>die</strong> methode<br />

andrenteils das <strong>menschen</strong>- <strong>und</strong> weltbild gewinnen <strong>und</strong> dann es<br />

immer leichter finden mit einem mitwachsenden neuen organ<br />

nicht nur nachverstehend <strong>die</strong>se biicher sondern selbstandig das<br />

wovon sie zeugen nach eigener anlage <strong>und</strong> eigenem ziel sich zu<br />

erobern.<br />

Bei der<br />

AKADEMISCHEN VERLAGSANSTALT PANTHEON/AMSTERDAM<br />

sind in Vorbereitung:<br />

Die Verwandlung <strong>und</strong> der Aufbau <strong>des</strong> Menschen <strong>und</strong> seiner Welt -<br />

Phaenomenologische Bruchstuecke—Das<br />

- Über dem Torgang - Aiaia<br />

Bereits erschienen sind:<br />

organische Leben - Aüseele<br />

Nietzsche <strong>und</strong> <strong>die</strong> Verwandlung <strong>des</strong> Menschen, brosch. RM 4.—<br />

Weg <strong>des</strong> Menschen brosch. RM 4.—


i<br />

I<br />

I<br />

i<br />

i<br />

I<br />

i


RUDOLF PANNWITZ:<br />

GEMEINSAMES NACHWORT FUR<br />

MEIN GEDANKENWERK 1939*1943<br />

DIESE in <strong>die</strong>sen jahren entstandenen werke sind abschlüsse<br />

lebenslanger arbeit an ewigen dingen, ihre titel lauten: Die<br />

Verwandlung <strong>und</strong> der Aufbau <strong>des</strong> Menschen <strong>und</strong> seiner Welt -<br />

Phaenomenologische Bruchstuecke - Allseele.<br />

Je<strong>des</strong> der werke ist in sich vollstandig <strong>und</strong> bedarf keiner<br />

erganzung, doch waren sie nicht kurz nach einander ja fast<br />

neben einander gestaltet worden <strong>und</strong> das nicht nur aus einem<br />

<strong>und</strong> demselben geiste sondern auch mit weithin übereinstimmenden<br />

inhalten ohne daB mehr als das einzelne fassen kann in<br />

ihnen alien zum ausdruck kame. es ist eine dreimalige behandlung<br />

<strong>des</strong> gleichen gegenstan<strong>des</strong>: <strong>des</strong> <strong>menschen</strong> <strong>und</strong> seiner zukunft.<br />

dabei sind <strong>die</strong> aufgaben verschieden, <strong>und</strong> auBerordentlich<br />

verschieden ist <strong>die</strong> form.<br />

Das erste werk geht von der durch <strong>nietzsche</strong> festgestellten


deren denkform ausgesprochen kosmologisch ist. es ist <strong>die</strong>s das<br />

hauptwerk Kosmos Atheos I. II. <strong>und</strong> daran anschlieBend Logos<br />

Eidos Bios.<br />

Der leser dem an den sachen gelegen ist <strong>und</strong> der dabei zunachst<br />

auf <strong>die</strong> hauptsache sich richtet wird schon aus einem<br />

der werke <strong>und</strong> leichter wohl aus mehreren einesteils <strong>die</strong> methode<br />

andrenteils das <strong>menschen</strong>- <strong>und</strong> weltbild gewinnen <strong>und</strong> dann es<br />

immer leichter finden mit einem mitwachsenden neuen organ<br />

nicht nur nachverstehend <strong>die</strong>se bücher sondern selbstandig das<br />

wovon sie zeugen nach eigener anlage <strong>und</strong> eigenem ziel sich zu<br />

erobern.<br />

Bei der<br />

AKADEMISCHEN VERLAGSANSTALT PANTHEON/AMSTERDAM<br />

sind in Vorbereitung:<br />

Die Verwandlung <strong>und</strong> der Aufbau <strong>des</strong> Menschen <strong>und</strong> seiner Welt -<br />

Phaenomenologische Bruchstuecke - Das organische Leben - Allseele<br />

- Über dem Torgang - Aiaia<br />

Bereits erschienen sind:<br />

Nietzsche <strong>und</strong> <strong>die</strong> Verwandlung <strong>des</strong> Menschen, brosch. RM 4.—<br />

Weg <strong>des</strong> Menschen brosch. RM 4.—

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