ckkehr: Aufbau und Theologie der Apostelgeschichte im Kontext des ...

418 karl matthias schmidt
zwar bereits in der alttestamentlichen Prophetie des Jesajabuches und darüber
hinaus. Doch auch der Jesajatext hält an der ursprünglichen Diasporakonzeption
fest: Das Leben in der Zerstreuung bleibt auf die Rückkehr nach Israel und zum
Zion verwiesen. Nach der Auffassung des Evangelisten musste Israel jedoch zu
den Völkern gehen, nicht um die Völker nach Jerusalem zu lotsen, sondern um
das Gottesvolk in der Zerstreuung dezentral zu ‘sammeln’. Während die Christen
bis an die Enden der Erde zerstreut werden, sollen sich nach Jes 45.22 die vom
Äußersten der Erde (oiJ ajpΔ ejscavtou th`~ gh`~) Gott zuwenden. Dabei steht
ejpistrevfw nicht nur für die innere Zuwendung zu Gott, sondern auch für die geographische
Hinwendung zum Zion (vgl. Jes 45.13; 49.6). 24
Auch wenn Generationen von Juden keine Rückkehr nach Israel planten, weil
sie in der Diaspora eine neue Heimat gefunden hatten, wurde die Erwartung einer
eschatologischen Sammlung in Jerusalem auf dem Zion doch durch die Rezeption
der alttestamentlichen Prophetie wach gehalten. Die Existenz in der Zerstreuung
konnte von daher als Ort der Reue, der Umkehr, gesehen werden, die einen neuen
Zug in das gelobte Land möglich machte.
Lukas gab dagegen das Programm einer Rückkehr nach Israel und einer
Sammlung auf dem Zion auf. Die Diaspora ist für ihn nicht mehr der Ort des
Gerichts und der Umkehr, sie ist der Ort des Heils, auch wenn der Evangelist im
Zusammenhang mit der Zerstörung Jerusalems ebenso eine ‘zweite’, heillose
Zerstreuung der Verbliebenen kennt (Lk 21.24). Das Stichwort ‘Diaspora’ fällt in
Jes 49.6, im direkten Kontext des erwähnten Zitates. Im Text der
Apostelgeschichte klingt es nur im Verb an (Apg 8.1, 4; 11.19), das die Aktion, nicht
den Status, die Ausbreitung der Christen, nicht die abgeschiedene, verzweifelte
Lage beschreibt und so den grundlegenden Bedeutungswandel unterstreicht, den
die Diaspora im Erzähltext der Apostelgeschichte erfährt.
Die innere Umkehr, die sich im Wandel des Paulus besonders deutlich manifestiert
und in der Taufe ihr äußeres Zeichen findet, führt gerade in die Diaspora.
Paulus muss bekehrt werden, um die von ihm selbst ausgelöste Zerstreuung zur
Verbreitung der Botschaft bejahen zu können. Das Zitat aus Jes 49.6 in Apg 13.47
rückt ihn in die Rolle des Gottesknechtes. 25 Der Knecht Gottes soll Israel sammeln
(sunavgw, Jes 49.5). Im direkten Kontext des Jesajazitates versammelt sich fast die
24 Zur Thematik in der Apostelgeschichte vgl. Moessner, ‘Narrative’, 210–13, 217–18, zur
Bedeutung der Sammlung für das Gesamtwerk auch G. Lohfink, Die Sammlung Israels. Eine
Untersuchung zur lukanischen Ekklesiologie (StANT 39; Kösel: München, 1975). Zum
Ausdruck e{w~ ejscavtou th`~ gh`~ vgl. neben Jes 49.6 auch Jes 8.9; 48.20; 62.11, vgl. außerdem Jes
11.12: ‘Die Zerstreuten Judas wird er sammeln von den vier Flügeln der Erde’ (tou;~ die -
sparmevnou~ tou` Iouda sunavxei ejk tw`n tessavrwn pteruvgwn th`~ gh`~).
25 A. Deutschmann, Synagoge und Gemeindebildung. Christliche Gemeinde und Israel am
Beispiel von Apg 13.42–52 (BU 30; Regensburg: Pustet, 2001) 111–28, identifiziert den Knecht
mit Israel. Ungeachtet der Bezüge zwischen Apg 13.47 und Apg 1.2, 8 spricht dagegen, dass