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ckkehr: Aufbau und Theologie der Apostelgeschichte im Kontext des ...

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New Test. Stud. 53, pp. 406–424. Printed in the United Kingdom © 2007 Cambridge University Press<br />

DOI:10.1017/S0028688507000203<br />

Abkehr von <strong>der</strong> Rü<strong>ckkehr</strong>: <strong>Aufbau</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Theologie</strong> <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong> <strong>im</strong> <strong>Kontext</strong><br />

<strong>des</strong> lukanischen Diasporaverständnisses<br />

KARL MATTHIAS SCHMIDT<br />

Departement für Biblische Studien, Universität Freiburg, Avenue de l’Europe<br />

20, CH-1700 Freiburg, Schweiz<br />

Dem Programm in Apg 1.8 entsprechend glie<strong>der</strong>t Lukas die <strong>Apostelgeschichte</strong><br />

unter geographischer Hinsicht in drei Abschnitte, in denen er die Verbreitung <strong>des</strong><br />

Evangeliums bis zu den Enden <strong>der</strong> Erde als neue Form <strong>der</strong> Zerstreuung beschreibt.<br />

Diese Zerstreuung wird nicht mehr wie in <strong>der</strong> alttestamentlichen Prophetie als<br />

Realisierung <strong>des</strong> Gerichts, son<strong>der</strong>n als Weg <strong>des</strong> Heils verstanden. An die Stelle einer<br />

endzeitlichen Sammlung auf dem Zion rückt <strong>der</strong> Evangelist die Sammlung Israels<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Völker in <strong>der</strong> positiv verstandenen Diaspora. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong><br />

endet die <strong>Apostelgeschichte</strong> sinnvoll <strong>im</strong> neuen Babylon mit Paulus’ Verkündigung<br />

in Gefangenschaft.<br />

Schon ein kurzer Blick in einige Einleitungswerke <strong>und</strong> Kommentare zur<br />

<strong>Apostelgeschichte</strong> zeigt, dass die Frage nach <strong>der</strong> literarischen Struktur <strong>des</strong> Buches<br />

alles an<strong>der</strong>e als einheitlich beantwortet wird. Die zum Teil erheblich divergierenden<br />

Glie<strong>der</strong>ungsvorschläge führten mitunter sogar dazu, aus <strong>der</strong> Not eine Tugend<br />

zu machen, <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong> eine klare Disposition abzusprechen <strong>und</strong><br />

dieses Manko zum Qualitätsmerkmal <strong>der</strong> Gattung zu erheben: ‘Gute Erzählwerke<br />

wi<strong>der</strong>streben einer starren Einteilung’. 1<br />

Das Programm in Apg 1.8 wurde oft als Glie<strong>der</strong>ungsprinzip identifiziert <strong>und</strong><br />

wohl genauso oft verworfen, weil es für die zweite Hälfe <strong>des</strong> Textes nicht aufzugehen<br />

scheint. Da Lukas jedoch präzise Angaben zur Verbreitung <strong>des</strong> Evangeliums<br />

macht <strong>und</strong> diese min<strong>des</strong>tens partiell <strong>im</strong> Verlauf seiner Erzählung wie<strong>der</strong> auf -<br />

n<strong>im</strong>mt, scheint es geboten, den Evangelisten be<strong>im</strong> Wort zu nehmen. Das wird<br />

möglich, rechnet man mit einer Modifikation <strong>der</strong> ursprünglichen<br />

Glie<strong>der</strong>ungsmerkmale aufgr<strong>und</strong> einer theologischen Schwerpunktverschiebung.<br />

Nach <strong>der</strong> hier vertretenen These ist die Zerstreuung <strong>der</strong> Christinnen <strong>und</strong> Christen<br />

nicht nur ein inhaltliches Leitthema <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong>, son<strong>der</strong>n auch<br />

406<br />

1 W. Eckey, Die <strong>Apostelgeschichte</strong>. Der Weg <strong>des</strong> Evangeliums von Jerusalem nach Rom (2 Vol.;<br />

Neukirchen–Vluyn: Neukirchener, 2000) 1.3.


Abkehr von <strong>der</strong> Rü<strong>ckkehr</strong> 407<br />

Bestandteil eines geographischen Glie<strong>der</strong>ungsprinzips, das mit dem ersten Buch<br />

<strong>des</strong> Doppelwerkes korrespondiert.<br />

A. Das Programm <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong><br />

Lukas stellt am Beginn <strong>des</strong> Buches ein thematisches <strong>und</strong> formales<br />

Strukturschema <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong> vor. 2 Während die Widmung in Lk 1.1–4 so<br />

allgemein gehalten ist, dass sie auch das zweite Buch <strong>des</strong> Doppelwerkes umfasst,<br />

bietet Apg 1.1–3 nur eine Zusammenfassung <strong>des</strong> ersten Buches, nicht aber eine<br />

Vorausschau auf das Folgende. Erst die letzten Worte Jesu vor seiner H<strong>im</strong>melfahrt<br />

kündigen den Aposteln 3 <strong>und</strong> mit ihnen den Leserinnen <strong>und</strong> Lesern den weiteren<br />

Verlauf <strong>der</strong> Heilsgeschichte an: ‘Doch ihr werdet Kraft empfangen, wenn <strong>der</strong><br />

Heilige Geist auf euch herabkommen wird, <strong>und</strong> ihr werdet meine Zeugen sein in<br />

Jerusalem, in ganz Judäa <strong>und</strong> Samaria <strong>und</strong> bis an das Äußerste <strong>der</strong> Erde’ (Apg 1.8).<br />

Diese Ankündigung wird bei <strong>der</strong> Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong> oft nur<br />

eingeschränkt berücksichtigt. Während einige Lösungen mit sieben 4 <strong>und</strong> mehr 5<br />

Hauptteilen aufwarten <strong>und</strong> so an<strong>der</strong>e theologische <strong>und</strong> narrative Konzepte <strong>der</strong><br />

<strong>Apostelgeschichte</strong> in den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> rücken, beschreibt Lukas die geographische<br />

Ausbreitung <strong>des</strong> Evangeliums <strong>im</strong> Textverlauf wie angekündigt in drei<br />

Etappen. Ein erster Abschnitt befasst sich mit <strong>der</strong> Verkündigung in Jerusalem, ein<br />

zweiter mit <strong>der</strong> Sendung nach Judäa <strong>und</strong> Samaria, <strong>der</strong> letzte ist <strong>der</strong> Verbreitung<br />

2 An<strong>der</strong>s etwa Eckey, <strong>Apostelgeschichte</strong>, 1.3: ‘Lukas gibt dem Leser keine Richtschnur zur<br />

Einteilung seines Werkes’.<br />

3 Nach Lk 24.33 beschränkt sich <strong>der</strong> Kreis <strong>der</strong> H<strong>im</strong>melfahrtzeugen <strong>im</strong> Gegensatz zu Apg 1.2<br />

nicht auf die Apostel. Wenn Lukas am Beginn <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong> die Zwölf ins Zentrum<br />

rückt, dann offenbar als symbolischen Kreis für die Restauration Israels, vgl. D. P. Moessner,<br />

‘ “Completed End(s)ings” of Historiographical Narrative: Diodorus Siculus and the End(ing)<br />

of Acts’, Die <strong>Apostelgeschichte</strong> <strong>und</strong> die hellenistische Geschichtsschreibung: Festschrift für<br />

Eckhard Plümacher zu seinem 65. Geburtstag (ed. von C. Breytenbach <strong>und</strong> J. Schröter;<br />

Ancient Judaism & Early Christianity 57; Leiden/Boston: Brill, 2004) 193–221, hier: 205–6.<br />

4 U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament (UTB 1830; Göttingen: Vandenhoeck &<br />

Ruprecht, 4. Aufl. 2002) 307–8, streicht Programm <strong>und</strong> geographische Glie<strong>der</strong>ung heraus,<br />

zerglie<strong>der</strong>t den Text aber in Vorwort <strong>und</strong> sieben Abschnitte (Apg 1.1–14; 1.15–8.3; 8.4–11.18;<br />

11.19–15.35; 15.36–19.20; 19.21–21.17; 21.18–26.32; 27.1–28.31), vgl. auch J. A. Fitzmyer, The Acts of<br />

the Apostles. A New Translation with Introduction and Commentary (AB 31; New York u.a.:<br />

Doubleday, 1998) 120–3 (Apg 1.1–26; 2.1–8.4; 8.5–40; 9.1–14.28; 15.1–35; 15.36–22.21; 22.22–28.31).<br />

5 R. Pesch, Die <strong>Apostelgeschichte</strong> (2 Vol.; EKK 5; Zürich/Einsiedeln/Köln: Benzinger;<br />

Neukirchen–Vluyn: Neukirchener, 1986) 1.41–2, entscheidet sich für Prolog (Apg 1.1–11; 1.12–26)<br />

<strong>und</strong> Epilog (Apg 28.17–28; 28.29–31) <strong>und</strong> je vier Hauptteile in den beiden Hälften <strong>des</strong> Buches<br />

(Apg 2.1–6.7; 6.8–9.31; 9.32–12.25; 13.1–15.33; 15.35–19.20; 19.21–21.14; 21.15–26.32; 27.1–28.16).<br />

Eckey, <strong>Apostelgeschichte</strong>, 1.3–4, rechnet gar mit zwölf Abschnitten (Apg 1–26; 2.1–6.7; 6.8–8.40;<br />

9.1–31; 9.32–11.18; 11.19–12.25; 13.1–15.35; 15.36–19.20; 19.21–21.14; 21.15–26.32; 27.1–28.16; 28.17–31).


408 karl matthias schmidt<br />

<strong>des</strong> Evangeliums bis an das Ende <strong>der</strong> Welt gewidmet. 6 Vorangestellt ist diesen drei<br />

Hauptteilen ein Vorwort <strong>und</strong> eine kurze Einleitung.<br />

Gegen diese Dreiteilung scheint die zentrale Bedeutung <strong>des</strong> ersten<br />

Pfingstereignisses zu sprechen. Durch die Ausschüttung <strong>des</strong> Geistes werden die<br />

Apostel verwandelt, sie verlassen Jerusalem nun nicht mehr als aufgelöstes<br />

Grüppchen von Jesusanhängern, son<strong>der</strong>n als gesendete Verkün<strong>der</strong> einer froh<br />

machenden Botschaft. Als Einschnitt <strong>im</strong> Heilsplan Gottes markiert das<br />

Pfingstereignis daher einen zentralen Wendepunkt <strong>im</strong> Handlungsverlauf. Das<br />

wird schon in <strong>der</strong> Einleitung deutlich, die nicht erst in Apg 1.8, son<strong>der</strong>n bereits in<br />

den V. 4–5 Hinweise auf den Erzählverlauf für die Leserinnen <strong>und</strong> Leser bereithält:<br />

Jesus trägt den Elf auf, in Jerusalem zu verweilen <strong>und</strong> die Verheißung abzuwarten.<br />

Die Apostel entsprechen diesem Auftrag, indem sie die Stadt bis zum Pfingsttag,<br />

an dem sich die Verheißung erfüllen soll, nicht verlassen.<br />

Die Hinweise in Apg 1.8 knüpfen direkt an diese erste Vorausschau an.<br />

Dennoch dienen die beiden Ankündigungen offensichtlich nicht gleichermaßen<br />

als Strukturprinzipien. Für die Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong> spielt Apg 1.4–5<br />

eine untergeordnete Rolle, da die Verse nur den alles verän<strong>der</strong>nden Auftakt <strong>der</strong><br />

Evangeliumsverkündigung avisieren. Das Pfingstereignis wird zwar auch in Apg<br />

1.8 thematisiert, sodass von vier aufeinan<strong>der</strong> folgenden Abschnitten die Rede zu<br />

sein scheint. Die Geistsendung wird jedoch als notwendige Voraussetzung <strong>der</strong><br />

Verkündigung, <strong>der</strong> sie zeitlich voraus liegt, ergänzt. Pfingsten ist ein punktuelles<br />

Ereignis, die Missionsabschnitte sind durativ. Die Ausschüttung <strong>des</strong> Geistes lässt<br />

sich geographisch zudem nicht als eigener Abschnitt abgrenzen; sie erfolgt in<br />

Jerusalem <strong>und</strong> ist mit <strong>der</strong> sofort beginnendem Verkündigung so eng verknüpft,<br />

dass die Ereignisse topographisch kaum zu trennen sind. 7<br />

Ähnliches gilt für die Erwählung <strong>des</strong> Matthias, sie erscheint als notwendige<br />

Voraussetzung für das Folgende. Da <strong>im</strong> Moment <strong>des</strong> Pfingstereignisses die<br />

Verkündigung beginnt, soll vorher <strong>der</strong> Kreis <strong>der</strong> Zeugen komplettiert werden (Apg<br />

1.22). Über den Zeugendienst ist die Erwählung direkt an den Auftrag in Apg 1.8<br />

6 Damit ist freilich nur die gröbste topographische Glie<strong>der</strong>ung angesprochen, zur Analyse <strong>der</strong><br />

detailreichen Topographie <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong>, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Paulusreisen vgl. L.<br />

Alexan<strong>der</strong>, ‘Narrative Maps: Reflextions on the Toponymy of Acts’, The Bible in Human<br />

Society. Essays in Honour of John Rogerson (ed. von M. D. Carroll R./D. J. A. Clines/P. R.<br />

Davies; JSOT.S 200; Sheffield: Sheffield Academic, 1995) 17–57.<br />

7 Diese enge Verbindung wird in <strong>der</strong> Regel auch von vierteiligen Glie<strong>der</strong>ungsvorschlägen nicht<br />

aufgebrochen, vgl. etwa I. Broer, Einleitung in das Neue Testament (Vol. 1; NEB.NT<br />

Ergänzungsband 2/1; Würzburg: Echter, 1998) 151 (Apg 1.1–26; 2.1–8.3; 8.4–15.35; 15.36–28.31), J.<br />

Jervell, Die <strong>Apostelgeschichte</strong> (KEK 3; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1998) 53 (Apg 1.1–<br />

8.40; 9.1–15.35; 15.36–21.26; 21.27–28.31), G. Schnei<strong>der</strong>, Die <strong>Apostelgeschichte</strong> (2 Vol.; HThK;<br />

Freiburg/Basel/Wien: Her<strong>der</strong>, 2002) 1.68 (Apg 1.1–26; 2.1–5.42; 6.1–15.35; 15.36–28.31), o<strong>der</strong> J. T.<br />

Squires, ‘The Function of Acts 8.4–12.25’, NTS 44 (1998) 608–17, hier: 611 (1.1–8.3; 8.4–12.25; 13.1–<br />

21.17; 21.18–28.31).


Abkehr von <strong>der</strong> Rü<strong>ckkehr</strong> 409<br />

gekoppelt. Zusammen mit dem Pfingstereignis bildet sie die Vorgeschichte zur<br />

Verkündigung, strukturell sind die Geschehnisse jedoch dem Jerusalemteil<br />

zuzuordnen.<br />

B. Die Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong><br />

Um die angesprochenen Abschnitte <strong>im</strong> Textverlauf abzugrenzen, ist es sinnvoll,<br />

sich zunächst an den in Apg 1.8 angeführten geographischen Angaben zu<br />

orientieren. Für die Abgrenzung <strong>der</strong> Einleitung ist <strong>der</strong> Ortswechsel in Apg 1.13<br />

maßgeblich. Der erste Hauptabschnitt beginnt mit dem Moment, in dem die<br />

Apostel wie<strong>der</strong> in Jerusalem sind. 8 Lukas lokalisiert die Ankündigung auf dem<br />

Ölberg, also vor den Mauern <strong>der</strong> Stadt. Die Feststellung ‘dann kehrten sie zurück<br />

nach Jerusalem vom Berg, <strong>der</strong> Ölberg gerufen wird’ (tovte uJpevstreyan eiJ~<br />

ΔIerousalh;m ajpo; o[rou~ tou` kaloumevnou ΔElaiwǹo~, Apg 1.12) korrespondiert mit<br />

<strong>der</strong> Mahnung Jesu in Apg 1.4 ‘er gebot ihnen, sich nicht von Jerusalem zu entfernen’<br />

(parhvggeilen aujtoi`~ ajpo; Ôierosoluvmwn mh; cwrivzesqai). Bereits am Schluss<br />

<strong>der</strong> solchermaßen gerahmten Einleitung wird <strong>der</strong> Schauplatz <strong>der</strong> folgenden<br />

Ereignisse ausdrücklich hervorgehoben. Jerusalem wird in Apg 1.12 zum ersten<br />

Mal nach Apg 1.8, dafür aber gleich zwe<strong>im</strong>al erwähnt. Das geographische Umfeld<br />

wird so bereits vor dem Beginn <strong>des</strong> ersten Hauptteils benannt.<br />

Der Auftakt in Apg 1.13 mit kaiv ist nicht ungewöhnlich wie V. 4 zeigt, mit dem<br />

die eigentliche Erzählung nach <strong>der</strong> Widmungsadresse beginnt, auch wenn <strong>der</strong><br />

Übergang wegen <strong>des</strong> spontanen Wechsels in die wörtliche Rede fließend ist. Die<br />

namentliche Nennung <strong>der</strong> elf verbliebenen Apostel in Apg 1.13 bildet – trotz <strong>des</strong><br />

zeitlichen Neueinsatzes (vgl. Lk 1.39; 6.12), <strong>der</strong> Best<strong>im</strong>mung <strong>des</strong><br />

Handlungsschauplatzes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ergänzung weiterer Figuren in Apg 1.15 9 – die<br />

Einleitung zur Erzählung von <strong>der</strong> Erwählung <strong>des</strong> Matthias, <strong>der</strong> zu den eingangs<br />

8 Zu den verschiedenen Abgrenzungen <strong>der</strong> Einleitung vgl. S. Walton, ‘Where does the<br />

Beginning of Acts End?’, The Unity of Luke–Acts (ed. von J. Verheyden; BEThL 142; Leuven:<br />

Leuven University/ Peeters, 1999) 447–67, hier: 447–50. Walton selbst wendet sich gegen<br />

scharfe Grenzen: ‘Luke has not closed the introduction to Acts abruptly’ (467). Dem ist<br />

zuzust<strong>im</strong>men, insofern eine Grenzziehung <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> theologischen Programms nicht<br />

bedeutet, dass es nach Apg 1.12 keine Verklammerungen mit dem ersten Buch <strong>des</strong><br />

Doppelwerkes o<strong>der</strong> dem Prolog <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong> mehr gibt. Auch die zu Beginn <strong>des</strong><br />

Jerusalemabschnittes erzählten Ereignisse haben partiell noch die Funktion einer<br />

Einführung.<br />

9 Apg 1.15 bietet zwar Orts- <strong>und</strong> Zeitangabe, diese bringen aber gerade Kontinuität zum<br />

Ausdruck. Der Losentscheid findet ejn taiv~ hJmevrai~ tauvtai~ <strong>und</strong> ejpi; to; aujtov, nämlich <strong>im</strong><br />

uJperw`/on aus Apg 1.13, statt. Zu den Aposteln müssen weitere Personen hinzutreten, aus<br />

<strong>der</strong>en Mitte Kandidaten gestellt werden können. Der o[clo~ ojnomavtwn, etwa neun mal zwölf<br />

zusätzliche Namen (Apg 1.15), steht so in Kontinuität zu den Namen <strong>der</strong> zwölf weniger einen<br />

Apostel in Apg 1.13.


410 karl matthias schmidt<br />

aufgezählten Aposteln, den Elf (Apg 1.26), hinzugerechnet wird. 10 Dadurch wird<br />

auch dieser Abschnitt gerahmt.<br />

Die Verknüpfung <strong>der</strong> Landschaftsbezeichnungen ‘Judäa’ <strong>und</strong> ‘Samaria’, die in<br />

direkter Zusammenstellung nur noch in Apg 8.1 vorkommen – in Apg 9.31 dient<br />

‘Galiläa’ als Mittelglied einer dreiteiligen Aufzählung – zeigt, dass die Antizipation<br />

<strong>der</strong> Handlungsschauplätze Teil eines Glie<strong>der</strong>ungsprinzips ist. Denn da Apg 8.1–3<br />

die Perikope von <strong>der</strong> Steinigung <strong>des</strong> Stephanus beschließt, beginnt <strong>der</strong> zweite<br />

Hauptteil erst in Apg 8.4. Bereits am Ende <strong>des</strong> ersten Hauptteils verbindet jedoch<br />

Apg 8.1 das Stichwort Jerusalem mit <strong>der</strong> zweiten geographischen Angabe aus dem<br />

Programm <strong>und</strong> gibt das Staffelholz so weiter. Der zweite Akt <strong>der</strong> Verkündigung<br />

wird in Samaria <strong>und</strong> Judäa spielen.<br />

Auch die dritte Ortsangabe taucht <strong>im</strong> Verlauf <strong>des</strong> Textes wie<strong>der</strong> auf (Apg 13.47).<br />

Der letzte Hauptteil beginnt jedoch nicht erst in Apg 13.48. Die Modifikation <strong>des</strong><br />

Schemas wird schon daraus ersichtlich, dass die Ortsangabe in diesem Fall nicht<br />

direkt mit <strong>der</strong> vorausgehenden verknüpft ist. Der Einschnitt, mit dem <strong>der</strong> dritte<br />

Hauptteil beginnt, ist an an<strong>der</strong>er Stelle zu setzen, weil Lukas schon am Ende <strong>des</strong><br />

ersten Hauptteils eine neue Glie<strong>der</strong>ungsmarkierung einführt. Das hängt nicht so<br />

sehr damit zusammen, dass <strong>der</strong> dritte Schauplatz weniger klar umrissen ist <strong>und</strong><br />

die Enden <strong>der</strong> Erde nur das Ziel <strong>und</strong> schwerlich den Auftakt <strong>des</strong> letzten<br />

Verkündigungsabschnittes bilden können. Eine Stichwortaufnahme wie in Apg<br />

13.47 hätte zur Markierung ja genügt.<br />

Entscheiden<strong>der</strong> ist die theologische Konzeption <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong>. Denn<br />

die Ausbreitung <strong>des</strong> Evangeliums hängt direkt mit <strong>der</strong> Verfolgung <strong>der</strong> Gemeinde<br />

in Jerusalem unter Paulus zusammen. Dadurch werden die Christen ‘über die<br />

Gegenden von Judäa <strong>und</strong> Samaria zerstreut’ (diespavrhsan kata; ta;~ cwvra~ th`~<br />

ΔIoudaiva~ kai; Samareiva~, Apg 8.1). Kurz vor Beginn <strong>des</strong> zweiten Hauptteiles, <strong>der</strong><br />

den Blick erstmalig von Jerusalem abwendet, werden die Christen so als<br />

Zerstreute gekennzeichnet. Apg 8.4 weist <strong>im</strong> Anschluss daran direkt auf den<br />

Zusammenhang von Zerstreuung <strong>und</strong> Verkündigung hin <strong>und</strong> leitet damit den<br />

zweiten Abschnitt ein: ‘Die Zerstreuten nun gingen umher <strong>und</strong> verkündeten das<br />

Wort als Evangelium’ (oiJ me;n ou\n diasparevnte~ dih`lqon eujaggelizovmenoi to;n<br />

lovgon).<br />

Das für den Rest <strong>der</strong> Erzählung leitende Strukturmerkmal wird so mit dem<br />

Stichwort diaspeivrw wie<strong>der</strong>um bereits am Ende <strong>des</strong> vorangehenden Abschnitts<br />

eingeführt. Apg 11.19 n<strong>im</strong>mt mit oiJ me;n ou\n diasparevnte~ . . . dih`lqon (‘die<br />

Zerstreuten nun . . . gingen umher’) die Abschnitteinleitung aus Apg 8.4 wortge-<br />

10 An<strong>der</strong>s etwa A. W. Zwiep, Judas and the Choice of Matthias. A Study on Context and Concern<br />

of Acts 1:15–26 (WUNT II, 187; Tübingen: Mohr Siebeck, 2004) 56, <strong>der</strong> Apg 1.13–14 als<br />

‘transitional’ kennzeichnet <strong>und</strong> die ‘Judas-Lücke’ in Apg 1.13 daher nur eingeschränkt<br />

berücksichtigt.


Abkehr von <strong>der</strong> Rü<strong>ckkehr</strong> 411<br />

treu auf <strong>und</strong> markiert so den Beginn <strong>des</strong> dritten Hauptteils. Auch hier werden die<br />

Verfolgten als Verkündigende gekennzeichnet (eujaggelizovmenoi, Apg 8.4; 11.20).<br />

Jetzt geht es nicht mehr um das Wirken in Judäa o<strong>der</strong> Samaria, bis nach<br />

Phönizien, Zypern <strong>und</strong> Antiochia verschlug es sie schließlich. Diese Regionen<br />

bilden den Anfang vom Ende <strong>der</strong> Welt, denn sie liegen außerhalb Israels.<br />

Der dritte Abschnitt beginnt demnach nicht bereits in Apg 9.32 o<strong>der</strong> erst in<br />

Apg 13.48, auch nicht mit Paulus’ <strong>und</strong> Baranabas’ Aussendung zur ersten<br />

Missionsreise (Apg 13.1–3), son<strong>der</strong>n in Apg 11.19. Neben <strong>der</strong> Verknüpfung <strong>des</strong><br />

Zerstreuungsmotivs mit den konkreten geographischen Angaben spricht dafür<br />

<strong>der</strong> zeitliche Neueinsatz, <strong>der</strong> durch den Rückbezug auf das Martyrium <strong>des</strong><br />

Stephanus kenntlich gemacht wird. 11 Apg 11.19 knüpft wie <strong>der</strong> Beginn <strong>des</strong> zweiten<br />

Hauptteils bei <strong>der</strong> Verfolgung in Jerusalem am Ende <strong>des</strong> ersten Hauptteils an.<br />

Unter geographischen Gesichtspunkten zerfällt die <strong>Apostelgeschichte</strong> nach<br />

Vorwort <strong>und</strong> Einleitung somit in drei Hauptteile: 12<br />

Vorwort 1.1–3<br />

Programmatische Einleitung 1.4–12<br />

1) Das Zeugnis in Jerusalem 1.13–8.3<br />

2) Das Zeugnis in Judäa <strong>und</strong> Samaria 8.4–11.18<br />

3) Das Zeugnis in <strong>der</strong> ganzen Welt 11.19–28.31<br />

Dieser geographische <strong>Aufbau</strong> ist sicherlich nicht die einzige Erzählstruktur, die<br />

<strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong> zugr<strong>und</strong>e liegt; er entspricht jedoch inhaltlich dem theologischen<br />

Programm in Apg 1.8 <strong>und</strong> wird formal durch die Wie<strong>der</strong>aufnahme von<br />

Schlüsselwörtern gestützt.<br />

In Antiochia wird nicht länger nur den Juden, son<strong>der</strong>n verstärkt auch den<br />

Heiden das Evangelium verkündet (Apg 11.20). 13 ‘Damit beginnt ein neuer<br />

11 Schon mit <strong>der</strong> Schil<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Ereignisse in Damaskus hatte Lukas Israel verlassen, dort<br />

findet Paulus aber zunächst nur eine judenchristliche Gemeinde vor. Der Evangelist<br />

orientiert sich bei <strong>der</strong> Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong> nicht nur an geographischen<br />

Gesichtspunkten, son<strong>der</strong>n setzt das Zerstreuungsmotiv als Markierung für die Abgrenzung<br />

<strong>des</strong> letzten Hauptteils ein. Die chronologische Abfolge tritt dabei in den Hintergr<strong>und</strong>. Die<br />

Ereignisse in Damaskus setzen zwar nicht die Verkündigung unter den Heiden voraus, wohl<br />

aber die Zerstreuung über die Grenzen Israels hinaus. Zeitlich sind sie daher gleichsam<br />

zwischen Apg 11.19 <strong>und</strong> Apg 11.20 angesiedelt.<br />

12 Zu einer ähnlichen Einteilung gelangt die Einheitsübersetzung, die den ersten Hauptteil<br />

allerdings schon mit Apg 1.4 ansetzt <strong>und</strong> den dritten erst mit <strong>der</strong> ersten Missionsreise in Apg<br />

13.1 beginnen lässt. J. Zmijewski, Die <strong>Apostelgeschichte</strong> (RNT; Regensburg: Pustet, 1994) 24,<br />

rechnet mit einer Einleitung <strong>und</strong> zwei Hauptteilen (Apg 1.1–26; 2.1–15.35; 15.36–28.31), trägt<br />

aber <strong>im</strong> erstem Hauptteil eine Grenze vor Apg 11.19 ein <strong>und</strong> gelangt so schon für diesen ersten<br />

Hauptteil zu den drei Etappen (Apg 2.1–8.3; 8.4–11.18; 11.19–15.35).<br />

13 Obwohl geringfügig schlechter bezeugt ist die Lesart ”Ellhna~ für Apg 11.20 vorzuziehen. Als<br />

lectio difficilior hat zwar unter semantischen Gesichtspunkten ΔEllhnistav~ zu gelten, vgl. W.<br />

Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften <strong>des</strong> Neuen Testaments <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

frühchristlichen Literatur (ed. von K. Aland <strong>und</strong> B. Aland; Berlin/New York: de Gruyter, 6.


412 karl matthias schmidt<br />

Abschnitt in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> christlichen Mission, in gewissem Sinn ihr<br />

wichtigster’. 14 Die gr<strong>und</strong>sätzliche Auseinan<strong>der</strong>setzung mit den Schwierigkeiten<br />

<strong>der</strong> Heidenintegration erfolgt jedoch noch in Judäa, weil sie an Petrus, die zentrale<br />

Leitungsfigur <strong>der</strong> ersten Tage, gekoppelt wird <strong>und</strong> <strong>der</strong> Apostel Israel <strong>im</strong><br />

Verlauf <strong>der</strong> Erzählung nicht verlässt. Petrus’ Autorität steht jedoch nur mittelbar<br />

Pate für die Rechtmäßigkeit <strong>der</strong> Evangeliumsverkündigung unter den Heiden.<br />

Denn die Zuwendung zu den Völkern ist spätestens seit dem Auftrag Christi in<br />

Apg 1.8 Programm für die Mission respektive seit <strong>der</strong> Sendung in Lk 24.47–48;<br />

angekündigt wurde sie bereits in Lk 2.32.<br />

Der letzte Hauptteil wird daher zwar nicht geographisch am Ende <strong>des</strong> zweiten<br />

antizipiert, wohl aber erzählerisch. Apg 11.18 dient als thematische Ansage <strong>des</strong><br />

Folgenden, die Gemeinde in Jerusalem konstatiert nach <strong>der</strong> Verteidigungsrede<br />

<strong>des</strong> Petrus beruhigt: ‘Folglich hat Gott auch den Nationen die Umkehr zum Leben<br />

geschenkt’. Diese Feststellung ist zudem über Apg 13.48 (eij~ zwhvn) mit <strong>der</strong><br />

Ortsangabe in Apg 13.47 verknüpft.<br />

Da die Bekehrung <strong>des</strong> Kornelius <strong>und</strong> ihre Verteidigung durch Petrus vor <strong>der</strong><br />

Jerusalemer Gemeinde <strong>im</strong> Erzählverlauf <strong>der</strong> Missionierung jenseits <strong>der</strong> Grenzen<br />

Israels direkt vorausgeht, zeigt sich, dass die Heidenmission konsequenterweise<br />

bis an die Grenzen <strong>der</strong> Erde führt <strong>und</strong> die geographische Ausweitung <strong>der</strong><br />

Verkündigung umgekehrt die Heidenmission voraussetzt. 15 Der Ausdruck ‘bis an<br />

das Äußerste <strong>der</strong> Erde’, Teil <strong>des</strong> Programms in Apg 1.8, wird erst in Apg 13.47<br />

wie<strong>der</strong>holt, weil Lukas die Verkündigung außerhalb Israels nahezu exklusiv an<br />

Paulus bindet <strong>und</strong> <strong>des</strong>sen Sendung zu den Heiden programmatisch <strong>im</strong> pisidi -<br />

schen Antiochia thematisiert. Apg 13.46–48 macht unmissverständlich deutlich,<br />

dass die Verkündigung bis an das Ende <strong>der</strong> Erde zwangsläufig mit <strong>der</strong> Zuwendung<br />

zu den Heiden einhergeht. 16 Eine geographische Glie<strong>der</strong>ung wi<strong>der</strong>spricht <strong>der</strong><br />

Aufl. 1988) 509. Berücksichtigt man aber, dass es sich bei ”Ellhna~ um die Ersterwähnung<br />

nach zwe<strong>im</strong>aligem Gebrauch von ΔEllhnistav~ handeln würde, ist eine irrtümliche Korrektur<br />

nicht ausgeschlossen. Sollte <strong>der</strong> Evangelist erst ab Apg 14.1 ”Ellhna~ verwendet haben,<br />

unterschied er die hellenistisch geprägten syrischen Heiden von den Griechen, zu denen er<br />

dann auch die Bewohner Kleinasiens gezählt hätte.<br />

14 E. Haenchen, Die <strong>Apostelgeschichte</strong> (KEK 3; Göttingen: Vandenoeck & Ruprecht, 7. Aufl. 1977)<br />

352.<br />

15 Der Vorschlag von James M. Scott, ‘Luke’s Geographical Horizon’, The Book of Acts in its<br />

Graeco-Roman setting (ed. von D. W. J. Gill/C. Gempf; The Book of Acts in its first Century<br />

Setting 2; Grand Rapids: Eerdmans; Carlisle: Paternoster, 1994) 483–544, bes. 530–41, die<br />

<strong>Apostelgeschichte</strong> geographisch <strong>im</strong> Sinne <strong>der</strong> Völkertafel in Gen 10 zu strukturieren (Sem:<br />

Apg 2.1–8.25; Ham: Apg 8.26–40; Jafet: 9.1–28.31) überfor<strong>der</strong>t allerdings die topographischen<br />

Angaben <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong> – trotz diespavrhsan in Gen 9.19.<br />

16 B. R. Gaventa, The Acts of the Apostles (Abingdon New Testament Commentaries; Nashville:<br />

Abingdon, 2003) 55, wendet gegen eine rein geographische Glie<strong>der</strong>ung Lukas’ partielles<br />

Desinteresse an <strong>der</strong> Verbreitung <strong>des</strong> Evangeliums ein: ‘If Luke’s pr<strong>im</strong>ary concern is to show


Abkehr von <strong>der</strong> Rü<strong>ckkehr</strong> 413<br />

Erzählintention, die Heidenintegration zu dokumentieren, daher nicht; sie unterstreicht<br />

vielmehr diesen zentralen Gedanken <strong>des</strong> Buches. 17<br />

C. Die Aufteilung <strong>der</strong> Missionsgebiete<br />

Die geographische Dreiteilung <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong> lässt Raum für wei -<br />

tere übergreifende Strukturen <strong>im</strong> Text. Das zeigt sich etwa <strong>im</strong> Personenprogramm<br />

<strong>und</strong> den beiden Pfingstereignissen, die <strong>der</strong> Zuwendung Gottes zu Juden <strong>und</strong><br />

Heiden <strong>und</strong> damit <strong>der</strong> Zweiteilung <strong>des</strong> Heilswerkes Rechnung tragen. 18<br />

Alle drei Missionsabschnitte werden an Petrus rückgekoppelt, die Rolle, die er<br />

für die aktive Verkündigung spielt, schrumpft jedoch in dem Maße, in dem sich<br />

die Mission über die Grenzen Jerusalems hinaus ausbreitet. Die Stadt ist sein ur -<br />

eigenes Wirkungsfeld, hier tritt er als Gemeindeleiter auf <strong>und</strong> verkündet das<br />

Evangelium. Später wirkt er auch in Lydda <strong>und</strong> Joppe, wo er dank seiner<br />

W<strong>und</strong>ertaten zwar viele für den Glauben gewinnt (Apg 9.35, 42), aber nur bereits<br />

bestehende Gemeinden besucht. In die Küstenregion, nach Joppe <strong>und</strong> Cäsarea,<br />

wird er gerufen. Petrus durchwan<strong>der</strong>t ganz Israel, verkündet aber nicht (Apg<br />

9.31–32). Er bleibt auf das jüdische Kernland verwiesen.<br />

Erst nach anfänglichen Missionserfolgen in Samaria reisen Petrus <strong>und</strong><br />

Johannes, das Führungsduo aus Jerusalem, zu den neuen Gemeinden, um ihnen<br />

die Hände aufzulegen <strong>und</strong> um das Kommen <strong>des</strong> Geistes zu beten (Apg 8.14–17).<br />

Für die Verbreitung <strong>der</strong> Botschaft bis an das Ende <strong>der</strong> Erde spielt Petrus nur noch<br />

indirekt eine Rolle. Als Gesandter <strong>der</strong> Jerusalemer Gemeinde wird Barnabas nach<br />

geographical movement, it is difficult to <strong>und</strong>erstand why Paul arrives in Rome and meets<br />

believers who are already there, without a word about how the gospel itself arrived there’.<br />

Ähnliches ließe sich von Damaskus, Lydda <strong>und</strong> Joppe sagen. Die Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

<strong>Apostelgeschichte</strong> folgt zwar geographischen Markierungen, theologisch bindet Lukas sein<br />

Konzept von <strong>der</strong> Zerstreuung aber so eng an die Heidenmission <strong>und</strong> damit an Paulus, dass<br />

die Erstverkündigung unter Juden tatsächlich in den Hintergr<strong>und</strong> tritt.<br />

17 An<strong>der</strong>s F. Mußner, <strong>Apostelgeschichte</strong> (NEB.NT 5; Würzburg: Echter, 4. Aufl. 1999) 11, über den<br />

<strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong> Einheitsübersetzung: ‘Diese Glie<strong>der</strong>ung ist pr<strong>im</strong>är geographisch orientiert; sie<br />

bringt aber die Erzählintention <strong>des</strong> Lk in <strong>der</strong> Apg nicht zur Geltung: den Weg <strong>des</strong><br />

Evangeliums von den Juden zu den Heiden, <strong>der</strong> freilich ein vielfach verschränkter ist’. Vgl.<br />

auch E. E. Ellis, History and Interpretation in New Testament Perspective (Biblical<br />

Interpretation Series 54; Leiden/Boston/Köln: Brill, 2001) 54–5, <strong>der</strong> den theologischgeographischen<br />

Zusammenhang in Verbindung mit Apg 13.47 zwar betont, <strong>im</strong> <strong>Kontext</strong> von<br />

Apg 1.8 jedoch die geographischen Konnotationen in den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> rückt.<br />

18 Dem wird G. Schille, Die <strong>Apostelgeschichte</strong> <strong>des</strong> Lukas (ThHK 5; Berlin: Evangelische<br />

Verlagsanstalt, 1983) VIII–X, durch die Zweiteilung seiner Auslegung gerecht (Apg 1.1–11.18;<br />

11.19–28.31). P. H. Menoud, ‘Le Plan <strong>des</strong> Actes <strong>des</strong> Aportres’, NTS 1 (1954) 44–51, hier: 45–7,<br />

gelangt unter Berücksichtigung <strong>des</strong> theologisch-geographischen Programms in Apg 1.8<br />

dagegen zu einer an<strong>der</strong>en Zweiteilung (Apg 1.1–15.35; 15.36–28.31), vgl. auch Gaventa, Acts, 55–<br />

56, die allerdings Apg 1.1–2.47 als Prolog abgrenzt.


414 karl matthias schmidt<br />

Antiochia geschickt; er gilt Lukas zunächst zwar nicht als Apostel, aber er ist erfüllt<br />

vom Heiligen Geist (Apg 11.22–24). Dennoch ist die Heidenmission unlösbar mit<br />

dem Namen <strong>des</strong> ersten Apostels verb<strong>und</strong>en. Er pflegt die Gemeinschaft mit<br />

Heiden (Apg 10.28), wird darin durch die Wie<strong>der</strong>holung <strong>des</strong> Pfingstereignisses<br />

bestätigt (Apg 10.44–46; 11.15) <strong>und</strong> verteidigt die Integration <strong>der</strong> Heiden in <strong>der</strong><br />

Jerusalemer Gemeinde gegen Einwände (Apg 11.1–18).<br />

Obwohl Petrus den Stab für den dritten Hauptteil an Paulus übergibt, tritt er<br />

bei <strong>der</strong> Jerusalemer Gemeindeversammlung noch einmal für die Heiden in<br />

Antiochia ein, indem er an die Ereignisse in Cäsarea erinnert (Apg 15.7–9). In Apg<br />

15.14 formuliert Jakobus Petrus’ Kerygma <strong>und</strong> fasst damit das theologische<br />

Zentrum <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong> zusammen: ‘Gott hat zuerst darauf gesehen, sich<br />

ein Volk aus den Nationen für seinen Namen zu nehmen’. Petrus’ letzte Initiative<br />

gilt dieser Botschaft. Der Völkerapostel trägt sie weiter, seine letzten Worte <strong>im</strong><br />

Erzählverlauf spiegeln die gleiche Überzeugung wi<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Herr hat sich den<br />

Heiden zugewandt (Apg 28.28). Das ist das gemeinsame Vermächtnis von Petrus<br />

<strong>und</strong> Paulus.<br />

Während bekannt ist, dass sich Paulus in Tarsus aufhält, solange er <strong>im</strong><br />

Erzählverlauf keine Rolle spielt (Apg 9.30; 11.25), liegen über Petrus’ zwischenzeitliche<br />

Reisewege keine Informationen vor (Apg 12.17). Entwe<strong>der</strong> wusste Lukas<br />

über seine Aufenthaltsorte nichts o<strong>der</strong> er wollte ihn nicht aus Israel hinausführen.<br />

In <strong>der</strong> Aufteilung <strong>der</strong> Missionsgebiete entsprach <strong>der</strong> Evangelist jedenfalls weitgehend<br />

einem geographischem Verständnis <strong>der</strong> Darstellung von Gal 2.9. Denn<br />

Paulus feiert seinerseits nur bei den Heiden außerhalb Israels Missionserfolge. In<br />

Damaskus <strong>und</strong> Jerusalem, wo er sich nur an hellenistische Juden wendet, müht er<br />

sich zwar, scheitert aber am Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> Juden, die ihn jeweils beseitigen<br />

wollen, <strong>und</strong> muss fliehen, ohne neue Gläubige hinzugewonnen zu haben (Apg<br />

9.23–24, 29).<br />

Wenn er in Apg 26.20 behauptet, er habe nicht nur in Damaskus, son<strong>der</strong>n auch<br />

in Jerusalem, in <strong>der</strong> gesamten Region Judäa <strong>und</strong> unter den Völkern verkündet, ist<br />

das sachlich nicht ganz korrekt <strong>und</strong> verschweigt die Erfolglosigkeit <strong>der</strong><br />

Bemühungen in Israel. Paulus n<strong>im</strong>mt für sich fast das ganze Programm aus Apg<br />

1.8 in Anspruch <strong>und</strong> ignoriert die faktische ‘Aufteilung’ <strong>der</strong> Missionsgebiete.<br />

Sofern Apg 26.19–20 keine spätere Glosse darstellt – wofür schon die<br />

Hervorhebung <strong>der</strong> Werke sprechen könnte –, erlaubt Lukas seinem Helden, in<br />

rhetorischer Übertreibung <strong>der</strong> Konzeption <strong>der</strong> Erzählerst<strong>im</strong>me zu wi<strong>der</strong>sprechen.<br />

Zählt man Philippus als eigenverantwortlichen Missionar in Samaria zu Petrus<br />

<strong>und</strong> Paulus hinzu, ergibt sich <strong>im</strong> Erzählverlauf eine verschachtelte Abfolge von<br />

drei nacheinan<strong>der</strong> auftretenden Missionaren, die sich jedoch nicht mit <strong>der</strong><br />

Abfolge <strong>der</strong> geographischen Hauptteile deckt. Obwohl Lukas drei geographische<br />

Missionsabschnitte abgrenzt, markiert die Hinwendung zu den Heiden theologisch<br />

betrachtet den zweiten zentralen Wendepunkt in <strong>der</strong> Heilsgeschichte, nach


Abkehr von <strong>der</strong> Rü<strong>ckkehr</strong> 415<br />

<strong>der</strong> Geistsendung in Jerusalem. Es gibt nur zwei ‘Pfingstereignisse’, bei denen <strong>der</strong><br />

Geist ausgeschüttet wird, eines für die Juden <strong>und</strong> eines für die Heiden (vgl. Apg<br />

2.17–18, 33; 10.45).<br />

Diese inhaltliche Zweiteilung wird durch das Personenprogramm unterstrichen,<br />

das die zwei Missionsgebiete – in Israel <strong>und</strong> außerhalb Israels –<br />

miteinan<strong>der</strong> verklammert. Denn obwohl die Heidenmission außerhalb Israels<br />

erzählerisch an Paulus geb<strong>und</strong>en ist, tritt Petrus <strong>im</strong> dritten Hauptteil <strong>im</strong> Rahmen<br />

<strong>der</strong> Jerusalemer Gemeindeversammlung noch einmal als Anwalt <strong>der</strong> Heiden auf<br />

(Apg 15.7–11). Paulus begegnet hingegen bereits in den ersten beiden Hauptteilen,<br />

obwohl seine eigenverantwortliche Mission erst nach <strong>der</strong> Übersiedlung nach<br />

Antiochia beginnt (Apg 7.58–8.3; Apg 9.1–31).<br />

Der Wachwechsel <strong>der</strong> beiden hauptverantwortlichen Missionare vollzieht sich<br />

<strong>im</strong> dritten Hauptteil <strong>und</strong> wurde von Lukas bewusst zwischen die Notiz über die<br />

erste Heidenmission jenseits <strong>der</strong> Grenzen Israels <strong>und</strong> den Aufbruch von Barnabas<br />

<strong>und</strong> Paulus zur ersten Missionsreise (Apg 13.1–3) geschoben. 19 Der Evangelist führt<br />

die beiden Gesandten aufgr<strong>und</strong> einer Hungersnot mit <strong>der</strong> Spende <strong>der</strong> Gemeinde<br />

Antiochias hinauf nach Jerusalem, sodass Paulus vor Ort ist, als Petrus abtritt. Die<br />

Leitung <strong>der</strong> Gemeinde in Jerusalem geht offenbar auf Jakobus über (Apg 12.17), die<br />

Verantwortung für die Mission jenseits <strong>der</strong> Grenzen Israels wird dagegen<br />

stillschweigend auf Paulus übertragen. Zusammen mit Barnabas tritt er in Apg<br />

12.25 nach Petrus’ Abgang ins Rampenlicht. Durch den Wechsel <strong>des</strong> Fokus, <strong>der</strong> <strong>im</strong><br />

zweiten Teil <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong> Paulus als Protagonisten stärker in den Blick<br />

n<strong>im</strong>mt, webt Lukas dramaturgisch geschickt einen weiteren Erzählfaden <strong>und</strong><br />

damit eine zusätzliche Strukturierung in den Text ein.<br />

D. Die verstellte Rü<strong>ckkehr</strong> nach Galiläa<br />

Mit <strong>der</strong> formalen Dreiteilung entspricht das zweite Buch <strong>des</strong><br />

Doppelwerkes dem ersten. Denn auch das Lukasevangelium zerfällt nach<br />

Kindheitserzählung <strong>und</strong> Vorgeschichte in <strong>der</strong> Wüste in drei Hauptteile, die dem<br />

geographischen Aufriss <strong>des</strong> Markusevangeliums folgen. Der erste Hauptteil<br />

befasst sich mit Jesu Wirken in Galiläa, <strong>der</strong> zweite beschreibt den Weg von Galiläa<br />

nach Jerusalem, <strong>der</strong> dritte ist den Ereignissen in Jerusalem gewidmet.<br />

19 Ähnlich auch B. W. Longenecker, ‘Lukan Aversion to Humps and Hollows: The Case of Acts<br />

11.27–12.25’, NTS 50 (2004) 185–204, hier: 197. Longenecker kommt über die Analyse <strong>der</strong><br />

Übergangsabschnitte zu folgenden Hauptteilen: Apg 1.1–8.3; 8.4–12.25; 13.1–19.41; 20.1–28.31<br />

(201–4). Lukas arbeitet zwar mit Prolepsen <strong>und</strong> Analepsen, daraus lassen sich aber nicht<br />

ohne weiteres die Hauptabschnitte gewinnen, wie Longenecker selbst vermerkt: ‘It is not<br />

self-evident that the position of a chain link indicates the bo<strong>und</strong>eries of main text units,<br />

however, since chain link interlock can appear at lesser structural levels as well’ (201).


416 karl matthias schmidt<br />

‘Über Jerusalem wird die Verbindung <strong>der</strong> nachösterlichen Missionstätigkeit<br />

mit <strong>der</strong> vorösterlichen Jesusbewegung in <strong>der</strong> Provinz Galiläa hergestellt’. 20<br />

Jerusalem wird so <strong>im</strong> Ganzen <strong>des</strong> Doppelwerkes zum geographischen<br />

Wendepunkt <strong>und</strong> zur verbindenden Klammer. 21 Denn da Jesu Weg von Galiläa<br />

nach Jerusalem durch Samaria <strong>und</strong> Judäa führte, 22 scheint die Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

<strong>Apostelgeschichte</strong>, die nun zunächst die Ereignisse in Jerusalem, dann in Samaria<br />

<strong>und</strong> Judäa aufgreift, rein geographisch eine Rückwendung zu beschreiben.<br />

Jerusalem ist jedoch nicht in erster Linie <strong>der</strong> geographische, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> existentielle<br />

Wendepunkt für die Jesusgemeinschaft. Eine Rü<strong>ckkehr</strong> zum Ausgangspunkt<br />

<strong>der</strong> christlichen Heilsgeschichte nach Galiläa ist daher verstellt. Der Kreis schließt<br />

sich nicht, vielmehr dehnt er sich auf den gesamten Erdkreis aus.<br />

Lukas durchbrach damit auch strukturell das markinische Konzept, das mit<br />

<strong>der</strong> Ankündigung <strong>des</strong> jungen Mannes am Grab, die Jünger würden Jesus in Galiläa<br />

begegnen (Mk 16.7), eine Rückwendung zum Ausgangspunkt <strong>der</strong> Basileia-<br />

Botschaft suggerierte. Während Matthäus dieses Programm auf seine Weise in <strong>der</strong><br />

Erscheinung vor den Elf in Galiläa adaptierte (Mt 28.16–20), wandte sich Lukas<br />

schon in den Ostererzählungen gegen eine Rü<strong>ckkehr</strong> <strong>der</strong> Jünger nach Galiläa,<br />

nicht nur, um die <strong>Apostelgeschichte</strong> anschließen zu können, nicht nur, weil die<br />

Abkehr von Jerusalem den überlieferten historischen Tatsachen <strong>im</strong> Wesentlichen<br />

wi<strong>der</strong>sprach, son<strong>der</strong>n auch <strong>des</strong>wegen, weil das Konzept <strong>des</strong> geographisch<br />

geschlossenen Kreises die Verkündigungstheologie nicht angemessen zu<br />

repräsentieren schien <strong>und</strong> damit auch theologisch problematisch war. Die<br />

Akzentuierung <strong>des</strong> geographischen Gesamtaufrisses <strong>des</strong> Doppelwerkes macht<br />

Lukas’ Skepsis gegenüber einer Rü<strong>ckkehr</strong> <strong>der</strong> Jünger nach Galiläa deutlich. Da die<br />

drei Hauptteile in umgekehrter Reihung aufeinan<strong>der</strong> folgen, entsteht <strong>im</strong> geographischen<br />

Ablauf eine durchbrochene Ringkomposition: 23<br />

20 H.-J. Klauck, Magie <strong>und</strong> Heidentum in <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong> <strong>des</strong> Lukas (SBS 167; Stuttgart:<br />

Katholisches Bibelwerk, 1996) 14.<br />

21 ‘Die architektonische Mitte <strong>des</strong> Doppelwerks bilden . . . die Schlußkapitel <strong>des</strong> Evangeliums<br />

mit Passion <strong>und</strong> Auferstehung Jesu in Jerusalem <strong>und</strong> die Anfangskapitel <strong>der</strong><br />

<strong>Apostelgeschichte</strong>, die das Aufblühen <strong>der</strong> Jerusalemer Urgemeinde schil<strong>der</strong>n’, H.-J. Klauck,<br />

‘Die heilige Stadt. Jerusalem bei Philo <strong>und</strong> Lukas’, Gemeinde – Amt – Sakrament.<br />

Neutestamentliche Perspektiven (ed. von H.-J. Klauck; Würzburg: Echter, 1989), 101–29, hier:<br />

126.<br />

22 Begrifflich wird das noch nicht so deutlich ausgeführt wie in <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong>, denn in<br />

Lk 17.11 heißt es, dass Jesus durch Samaria <strong>und</strong> Galiläa reiste, die Landschaft Judäa wird auf<br />

dem Weg nach Jerusalem nicht erwähnt. Die Ereignisse in Lk 18.35–19.27 spielen jedoch in<br />

Jericho <strong>und</strong> um Jericho herum, also in Judäa (zu Samaria vgl. Lk 9.51–56; Lk 10.30–35; Lk 17.11–<br />

19).<br />

23 Den engen Zusammenhang zwischen dem <strong>Aufbau</strong> <strong>des</strong> Lukasevangeliums <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Apostelgeschichte</strong> unterstreicht auch T. Bergholz, Der <strong>Aufbau</strong> <strong>des</strong> lukanischen<br />

Doppelwerkes. Untersuchungen zum formalliterarischen Charakter von Lukas-Evangelium


Abkehr von <strong>der</strong> Rü<strong>ckkehr</strong> 417<br />

Vorwort (Lk 1.1–4) Vorwort (Apg 1.1–3)<br />

Kindheitserzählung (Lk 1.5–2.52)<br />

Einleitung (Apg 1.4–12) Einleitung (Lk 3.1–4.12)<br />

A: In Galiläa (Lk 4.14–9.50) C’: In Jerusalem (Apg 8.4–11.18)<br />

B: Von Galiläa nach Jerusalem B’: In Judäa <strong>und</strong> Samaria<br />

(Lk 9.51–19.27) (Apg 8.4–11.18)<br />

C: In Jerusalem (Lk 19.28–24.53) D: Bis zum Ende <strong>der</strong> Erde<br />

(Apg 11.19–28.31)<br />

Das Evangelium nahm zwar in Galiläa seinen Ausgang. Jerusalem markierte<br />

jedoch in <strong>der</strong> Krisis den zentralen Wurzelgr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Wendepunkt <strong>des</strong><br />

Heilsgeschehens, sodass die Basileia-Botschaft nicht an ihren Ausgangspunkt<br />

zurü<strong>ckkehr</strong>en darf. In Galiläa hatte Jesus bereits selbst erfolgreich für seine Sache<br />

geworben. Galiläa wird in Apg 9.31 daher nur summarisch nachgetragen. Hier<br />

wurde die Basileia-Botschaft zuerst verkündet, <strong>der</strong> Norden Israels bildet keinen<br />

weißen Fleck auf <strong>der</strong> Missionslandkarte.<br />

Das macht verständlich, warum die Missionierung Galiläas <strong>im</strong> Programm in<br />

Apg 1.8 nicht angesprochen wird. Nach dem Wirken <strong>der</strong> Zeugen in Jerusalem<br />

musste nur noch in Judäa <strong>und</strong> Samaria das Evangelium verkündet werden, um es<br />

in ganz Israel zu verbreiten. Eine Rü<strong>ckkehr</strong> nach Galiläa wäre red<strong>und</strong>ant, ein nostalgisches<br />

Verkriechen in <strong>der</strong> anfänglichen He<strong>im</strong>at <strong>der</strong> Basileia-Botschaft. Statt<br />

<strong>des</strong>sen muss das Evangelium über die Grenzen hinaus, bis an das Ende <strong>der</strong> Welt<br />

getragen werden. Apg 9.31 markiert nach Paulus’ Bekehrung bereits eine erste<br />

Zäsur in einer Mission, die sich auf Israel beschränkt. Mit Petrus’ Wirken in Judäa<br />

sowie <strong>der</strong> Küstenregion <strong>und</strong> <strong>der</strong> sich anschließenden Heidenmission schuf Lukas<br />

den Übergang zu einer Verkündigung, die diese engen Grenzen sprengt.<br />

E. Die Neuinterpretation <strong>der</strong> Diaspora<br />

Der Evangelist wandte sich jedoch nicht nur gegen eine Rü<strong>ckkehr</strong> nach<br />

Galiläa, son<strong>der</strong>n auch gegen eine Sammlung <strong>der</strong> Christen in Jerusalem, am<br />

Ausgangspunkt <strong>der</strong> Gemeindegeschichte. Er nahm damit eine Neuinterpretation<br />

<strong>des</strong> alttestamentlichen Diasporakonzeptes vor. An die Stelle <strong>der</strong> heilvollen<br />

Rü<strong>ckkehr</strong> trat die Zerstreuung. Das Zitat aus Jes 49.6 in Apg 1.8 <strong>und</strong> 13.47 berührt<br />

den Kern <strong>der</strong> lukanischen <strong>Theologie</strong>. Die Heilsbotschaft wurde auf die Völker ausgedehnt<br />

<strong>und</strong> blieb nicht länger allein Israel vorbehalten. Dieser Ansatz zeigt sich<br />

<strong>und</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong> (EHS.T 545; Frankfurt am Main u.a.: Lang, 1995) 138–9, <strong>der</strong> sich<br />

konsequent an den geographischen Aufriss in Apg 1.8 hält <strong>und</strong> einen dreiteiligen <strong>Aufbau</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Apostelgeschichte</strong> – zwischen Vorgeschichte <strong>und</strong> Epilog – präsentiert, <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Struktur<br />

<strong>des</strong> Lukasevangeliums korrespondiert, in den Abgrenzungen aber gegenüber dem hier<br />

vorgestellten Vorschlag abweicht (Lk 1.1–2.52; 3.1–9.50; 9.51–19.44; 19.45–24.51; 24.52–24.53; Apg<br />

1.1–2.41; 2.42–8.1a; 8.1b–12.25; 13.1–28.15; 28.16–31).


418 karl matthias schmidt<br />

zwar bereits in <strong>der</strong> alttestamentlichen Prophetie <strong>des</strong> Jesajabuches <strong>und</strong> darüber<br />

hinaus. Doch auch <strong>der</strong> Jesajatext hält an <strong>der</strong> ursprünglichen Diasporakonzeption<br />

fest: Das Leben in <strong>der</strong> Zerstreuung bleibt auf die Rü<strong>ckkehr</strong> nach Israel <strong>und</strong> zum<br />

Zion verwiesen. Nach <strong>der</strong> Auffassung <strong>des</strong> Evangelisten musste Israel jedoch zu<br />

den Völkern gehen, nicht um die Völker nach Jerusalem zu lotsen, son<strong>der</strong>n um<br />

das Gottesvolk in <strong>der</strong> Zerstreuung dezentral zu ‘sammeln’. Während die Christen<br />

bis an die Enden <strong>der</strong> Erde zerstreut werden, sollen sich nach Jes 45.22 die vom<br />

Äußersten <strong>der</strong> Erde (oiJ ajpΔ ejscavtou th`~ gh`~) Gott zuwenden. Dabei steht<br />

ejpistrevfw nicht nur für die innere Zuwendung zu Gott, son<strong>der</strong>n auch für die geographische<br />

Hinwendung zum Zion (vgl. Jes 45.13; 49.6). 24<br />

Auch wenn Generationen von Juden keine Rü<strong>ckkehr</strong> nach Israel planten, weil<br />

sie in <strong>der</strong> Diaspora eine neue He<strong>im</strong>at gef<strong>und</strong>en hatten, wurde die Erwartung einer<br />

eschatologischen Sammlung in Jerusalem auf dem Zion doch durch die Rezeption<br />

<strong>der</strong> alttestamentlichen Prophetie wach gehalten. Die Existenz in <strong>der</strong> Zerstreuung<br />

konnte von daher als Ort <strong>der</strong> Reue, <strong>der</strong> Umkehr, gesehen werden, die einen neuen<br />

Zug in das gelobte Land möglich machte.<br />

Lukas gab dagegen das Programm einer Rü<strong>ckkehr</strong> nach Israel <strong>und</strong> einer<br />

Sammlung auf dem Zion auf. Die Diaspora ist für ihn nicht mehr <strong>der</strong> Ort <strong>des</strong><br />

Gerichts <strong>und</strong> <strong>der</strong> Umkehr, sie ist <strong>der</strong> Ort <strong>des</strong> Heils, auch wenn <strong>der</strong> Evangelist <strong>im</strong><br />

Zusammenhang mit <strong>der</strong> Zerstörung Jerusalems ebenso eine ‘zweite’, heillose<br />

Zerstreuung <strong>der</strong> Verbliebenen kennt (Lk 21.24). Das Stichwort ‘Diaspora’ fällt in<br />

Jes 49.6, <strong>im</strong> direkten <strong>Kontext</strong> <strong>des</strong> erwähnten Zitates. Im Text <strong>der</strong><br />

<strong>Apostelgeschichte</strong> klingt es nur <strong>im</strong> Verb an (Apg 8.1, 4; 11.19), das die Aktion, nicht<br />

den Status, die Ausbreitung <strong>der</strong> Christen, nicht die abgeschiedene, verzweifelte<br />

Lage beschreibt <strong>und</strong> so den gr<strong>und</strong>legenden Bedeutungswandel unterstreicht, den<br />

die Diaspora <strong>im</strong> Erzähltext <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong> erfährt.<br />

Die innere Umkehr, die sich <strong>im</strong> Wandel <strong>des</strong> Paulus beson<strong>der</strong>s deutlich manifestiert<br />

<strong>und</strong> in <strong>der</strong> Taufe ihr äußeres Zeichen findet, führt gerade in die Diaspora.<br />

Paulus muss bekehrt werden, um die von ihm selbst ausgelöste Zerstreuung zur<br />

Verbreitung <strong>der</strong> Botschaft bejahen zu können. Das Zitat aus Jes 49.6 in Apg 13.47<br />

rückt ihn in die Rolle <strong>des</strong> Gottesknechtes. 25 Der Knecht Gottes soll Israel sammeln<br />

(sunavgw, Jes 49.5). Im direkten <strong>Kontext</strong> <strong>des</strong> Jesajazitates versammelt sich fast die<br />

24 Zur Thematik in <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong> vgl. Moessner, ‘Narrative’, 210–13, 217–18, zur<br />

Bedeutung <strong>der</strong> Sammlung für das Gesamtwerk auch G. Lohfink, Die Sammlung Israels. Eine<br />

Untersuchung zur lukanischen Ekklesiologie (StANT 39; Kösel: München, 1975). Zum<br />

Ausdruck e{w~ ejscavtou th`~ gh`~ vgl. neben Jes 49.6 auch Jes 8.9; 48.20; 62.11, vgl. außerdem Jes<br />

11.12: ‘Die Zerstreuten Judas wird er sammeln von den vier Flügeln <strong>der</strong> Erde’ (tou;~ die -<br />

sparmevnou~ tou` Iouda sunavxei ejk tw`n tessavrwn pteruvgwn th`~ gh`~).<br />

25 A. Deutschmann, Synagoge <strong>und</strong> Gemeindebildung. Christliche Gemeinde <strong>und</strong> Israel am<br />

Beispiel von Apg 13.42–52 (BU 30; Regensburg: Pustet, 2001) 111–28, identifiziert den Knecht<br />

mit Israel. Ungeachtet <strong>der</strong> Bezüge zwischen Apg 13.47 <strong>und</strong> Apg 1.2, 8 spricht dagegen, dass


Abkehr von <strong>der</strong> Rü<strong>ckkehr</strong> 419<br />

ganze Stadt um Paulus (sunavgw, Apg 13.44), doch die Völker sammeln sich nicht<br />

in Israel. Ansässige Heiden wie Juden versammeln sich in <strong>der</strong> Zerstreuung <strong>des</strong><br />

pisidischen Antiochia. Das stellt die Verhältnisse auf den Kopf <strong>und</strong> führt unter<br />

den Juden zu Eifersucht. 26 Als sie sich gegen die Sammlung <strong>der</strong> Völker in <strong>der</strong><br />

Zerstreuung richten, sprechen Paulus <strong>und</strong> Barnabas unter Hinweis auf das<br />

erwähnte Jesajazitat das Heil den Heiden zu. Dieses neuartige Programm <strong>der</strong><br />

Sammlung ist nicht nur eine Konsequenz <strong>der</strong> gescheiterten Bemühungen um<br />

eine Sammlung Israels in Jerusalem (Lk 13.34–35), es steht in dieser Form auch in<br />

direktem Wi<strong>der</strong>spruch zum Konzept <strong>der</strong> jüdischen Versammlung in <strong>der</strong> Diaspora,<br />

<strong>der</strong> Synagoge.<br />

Es ist nicht auszuschließen, dass sich Lukas die Namensgleichheit <strong>der</strong> beiden<br />

Städte in Syrien <strong>und</strong> Pisidien zu Nutze machte, um einen Gegenpol zu Jerusalem<br />

zu markieren. Während die umfassende Heidenmission <strong>im</strong> syrischen Antiochia<br />

begann, vollzieht sich die erste explizite Abwendung von <strong>der</strong> Synagoge <strong>und</strong> die<br />

ausdrückliche Zuwendung zu den Heiden <strong>im</strong> pisidischen Antiochia, das so mittelbar<br />

an die Stelle Jerusalems tritt. Denn be<strong>im</strong> ersten Pfingstereignis leuchten<br />

zwar Züge <strong>der</strong> Sammlung <strong>des</strong> zerstreuten Israels in Jerusalem auf, Juden <strong>und</strong><br />

Proselyten aus allen Teilen <strong>der</strong> Welt sind in Jerusalem versammelt (Apg 2.5–11), die<br />

Heiden bleiben aber zunächst ausgegrenzt. 27 Petrus richtet sich nur an Israel (vgl.<br />

Apg 2.22, 36). Die Umkehrung <strong>der</strong> Urzerstreuung (Gen 11.4, 8, 9) bleibt Stückwerk.<br />

mit dem lovgo~ tou` kurivou (Apg 8.25; 13.44, 48, 49; 15.35, 36; 16.32; 19.10; 20.35, vgl. auch Apg<br />

13.12: didach`/ tou` kurivou) <strong>im</strong>mer das Evangelium gemeint ist, kuvrio~ in diesem<br />

Zusammenhang folglich Jesus meint (explizit in Apg 20.35). Apg 13.47 wird in 13.44 <strong>und</strong><br />

13.48, 49 von diesem Ausdruck gerahmt, auch <strong>im</strong> Zitat dürfte <strong>im</strong> lukanischen <strong>Kontext</strong> daher<br />

Jesus gemeint sein. Es geht um die Verbreitung <strong>des</strong> Evangeliums unter den Heiden, zu <strong>der</strong><br />

Paulus <strong>und</strong> Barnabas als Knechte berufen sind.<br />

26 Deutschmann, Synagoge, 97–100, votiert für eine Übersetzung von zh`lo~ mit ‘Eifer’. Mit Blick<br />

auf Apg 5.17 <strong>und</strong> 17.4 sowie <strong>der</strong> jeweils vorangehenden Erfolgsnotiz unterstellt Lukas den<br />

Juden aber offenbar Eifersucht (vgl. auch Apg 7.9). Jes 11.13 kündigt <strong>im</strong> Zusammenhang mit<br />

Jes 11.12 für die Zeit <strong>der</strong> Sammlung das Ende <strong>der</strong> Eifersucht Efra<strong>im</strong>s, die Einigung von Efra<strong>im</strong><br />

<strong>und</strong> Juda an. Die Sammlung <strong>der</strong> Völker <strong>im</strong> pisidischen Antiochia evoziert dagegen<br />

Eifersucht. Das Eifersuchtmotiv findet sich zudem auch bei Paulus in direktem<br />

Zusammenhang mit <strong>der</strong> Verkündigung bis an die Grenzen <strong>der</strong> Erde (Röm 10.18–19).<br />

27 In <strong>der</strong> Anrede a[ndre~ ΔIoudai`oi kai; oiJ katoikou`nte~ ΔIerousalh;m pavnte~ (Apg 2.14) ist<br />

ΔIoudai`oi nicht als Attribut zu a[ndre~ zu werten, vielmehr bildet Ioudai`oi kai;<br />

katoikou`nte~ ΔIerousalh;m pavnte~ insgesamt eine Apposition zu a[ndre~, <strong>und</strong> zwar nicht <strong>im</strong><br />

Sinne einer Alternative, son<strong>der</strong>n in Analogie zu Apg 2.5 als synthetische Aussage, sodass zu<br />

paraphrasieren ist: Männer, die ihr alle Juden <strong>und</strong> Bewohner Jerusalems seid. Zum Problem<br />

vgl. auch D.-A. Koch, ‘Proselyten <strong>und</strong> Gottesfürchtige als Hörer <strong>der</strong> Reden von<br />

<strong>Apostelgeschichte</strong> 2.14–39 <strong>und</strong> 13.16–41’, Die <strong>Apostelgeschichte</strong> <strong>und</strong> die hellenistische<br />

Geschichtsschreibung, 83–107, hier: 84–92. Zu den verschiedenen Ableitungsversuchen <strong>der</strong><br />

Völkerliste vgl. G. Gilbert, ‘The List of Nations in Acts 2: Roman Propaganda and the Lukan<br />

Respons’, JBL 121 (2002) 497–529, hier: 500–507.


420 karl matthias schmidt<br />

Das Joëlzitat in Apg 2.17–21 greift zwar über die Juden hinaus, die Verheißung<br />

gilt nicht nur den Kin<strong>der</strong>n Israels, son<strong>der</strong>n all jenen, die den Namen <strong>des</strong> Herrn<br />

anrufen, 28 doch Heiden sind nicht unter den Zuhörern. Es scheint, als würden sie<br />

Jerusalem nicht bewohnen. Schon bei <strong>der</strong> Pfingstpredigt zeigt Lukas so die<br />

Grenzen einer Sammlung auf dem Zion auf. Joëls Prophetie sah noch die Rettung<br />

in Jerusalem vor. Der Evangelist zitiert das Joëlzitat in Apg 2.21 aber nur bis Joël<br />

3.5a <strong>und</strong> blendet die anschließende Verheißung für Jerusalem <strong>und</strong> den Zion aus.<br />

Erst mit Apg 2.39 n<strong>im</strong>mt Petrus das proskalevomai aus Joël 3.5b auf. Die<br />

Verheißung gilt nicht nur den Juden in Jerusalem, son<strong>der</strong>n auch all jenen in <strong>der</strong><br />

Ferne (pavsin toiv~ eij~ makravn), die von Gott herbeigerufen werden. Wo dieses<br />

‘Herbeirufen’ allein auf Jerusalem bezogen wird, begründet es eine falsche<br />

Begrenzung <strong>der</strong> Sammlung. Die Rettung findet eben nicht nur auf dem Zion statt,<br />

die Völker müssen nicht nach Jerusalem herbeigerufen werden, Israel ist berufen,<br />

zu den Völkern zu gehen. Die Besiedlung Jerusalems ist nur <strong>der</strong> erste Schritt einer<br />

größeren Sammlung. Lukas’ Joël-Rezeption kann somit als theologische<br />

Entfaltung von Röm 10.10–21 verstanden werden.<br />

Im pisidischen Antiochia sind es zunächst wie<strong>der</strong> nur Juden <strong>und</strong> Proselyten,<br />

die Paulus <strong>und</strong> Barnabas nachfolgen (Apg 13.43). Da Paulus sich jedoch auch an<br />

die Gottesfürchtigen wendet (Apg 13.16, 26), spricht er mit <strong>der</strong><br />

Evangeliumsverkündigung die Verheißung auch den Heiden als Kin<strong>der</strong>n<br />

Abrahams zu. Lukas tangiert mit Apg 13.26 <strong>und</strong> Apg 13.32–33 einen Kerngedanken<br />

<strong>der</strong> paulinischen Rechtfertigungstheologie (vgl. Röm 8.16–17; 9.6–8; Gal 4.28 ,31,<br />

außerdem Apg 13.38–39; 26.17–18). Die Gottesfürchtigen haben die Botschaft<br />

dieser Synagogenpredigt verstanden. Am nächsten Sabbat läuft fast die ganze<br />

Stadt zusammen. Zum Eklat kommt es, weil sich die Heiden außerhalb <strong>der</strong><br />

Grenzen Israels sammeln. 29<br />

F. Im Zentrum <strong>der</strong> Zerstreuung<br />

Paulus geht an Christi statt zu den Heiden, denn bereits seit <strong>der</strong><br />

S<strong>im</strong>eonprophezeiung in Lk 2.30–32 ist angekündigt, wer das sichtbare Heil, das<br />

Licht, nicht nur für Israel, son<strong>der</strong>n auch für die Heiden ist (vgl. auch Lk 3.6; Apg<br />

26.23). 30 So spannt sich ein Bogen vom Beginn <strong>des</strong> Doppelwerkes bis zu seinem<br />

28 So etwa auch J. Schröter, ‘Heil für die Heiden <strong>und</strong> Israel. Zum Zusammenhang von<br />

Christologie <strong>und</strong> Volk Gottes bei Lukas’, Die <strong>Apostelgeschichte</strong> <strong>und</strong> die hellenistische<br />

Geschichtsschreibung, 285–308, hier: 294.<br />

29 Vgl. auch Koch, ‘Proselyten’, 96–103.<br />

30 Liest man Lk 2.30 vor dem Hintergr<strong>und</strong> von Jes 33.20 wird deutlich, dass von Beginn <strong>des</strong><br />

Doppelwerkes an Christus an die Stelle <strong>des</strong> Zions <strong>und</strong> damit <strong>des</strong> Tempels tritt, wodurch die<br />

topographische Zentrierung <strong>des</strong> Heils durchbrochen wird; o} hJtoivmasa~ kata; provswpon<br />

pavntwn tw`n law`n (Lk 2.31) ist von daher als Gegensatz zu Jes 33.19 formuliert. Mit Christus<br />

wird das Heil nicht nur universal, son<strong>der</strong>n dezentral <strong>und</strong> mobil, es erscheint vor dem


Abkehr von <strong>der</strong> Rü<strong>ckkehr</strong> 421<br />

Ende, Thema ist die Ausbreitung <strong>des</strong> Lichtes, <strong>des</strong> Heils, über den gesamten<br />

Erdkreis. 31 Wie konträr dieser Heilsplan Gottes zur überlieferten Erwartung Israels<br />

verläuft, zeigt sich bereits eingangs <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong> in <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Zwölf<br />

<strong>im</strong> Anschluss an die Ankündigung <strong>der</strong> Geisttaufe. Sie wollen wissen, ob <strong>der</strong> Herr<br />

in ihrer Zeit die Herrschaft für Israel wie<strong>der</strong> herstellt (Apg 1.6). Jesus weist die<br />

Frage zurück, indem er daran erinnert, dass sich die Zeiten <strong>des</strong> Heils <strong>der</strong> Kenntnis<br />

<strong>der</strong> Menschen entziehen. Entsprechend kündigt Petrus später die<br />

Wie<strong>der</strong>herstellung für die zeitlich unbest<strong>im</strong>mte Parusie an (Apg 3.21).<br />

Der größere Irrtum unterläuft den Aposteln allerdings, wenn Sie in ihrer<br />

begrenzten Heilserwartung nur die Herrschaft für Israel erhoffen. Diese Annahme<br />

wird durch das Programm in Apg 1.8 korrigiert, wenn auch verdeckt. Pfingsten, das<br />

Reden in den Sprachen <strong>der</strong> Erde, die Ausschüttung <strong>des</strong> Geistes über alles Fleisch,<br />

sieht nicht die alleinige Herrschaft von <strong>und</strong> in Israel vor. Die Verwandlung durch<br />

den Geist zielt auf die Sendung zu den Völkern <strong>der</strong> Erde. Das Amoszitat (Am 9.11–12)<br />

in Apg 15.16–17 macht deutlich, dass die Erneuerung Israels mit <strong>der</strong> Aufnahme <strong>der</strong><br />

Heiden einher geht. Die Apostel dürfen nicht nur auf die Wie<strong>der</strong>herstellung warten,<br />

sie selbst müssen sich daran beteiligen, indem sie Zeugnis ablegen. Es geht nicht<br />

um die alleinige Restauration Israels; die Botschaft soll an den Grenzen Israels nicht<br />

halt machen, son<strong>der</strong>n bis zu den Enden <strong>der</strong> Erde hinausgetragen werden. 32<br />

Die Verse Apg 1.4–8 bilden so einen engen Zusammenhang, in dem programmatisch<br />

die Zerstreuung als Alternative zur Rekonstitution Israels propagiert<br />

wird. Schon am Beginn <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong> macht Lukas deutlich, dass Gottes<br />

Heilsplan eine an<strong>der</strong>e, unerwartete Wallfahrt vorsieht. An<strong>der</strong>s als <strong>im</strong> Buch<br />

Jeremia angekündigt (Jer 16.15; 23.8; Jer 50.19 [27.19]) sammelt Gott Israel nicht <strong>im</strong><br />

Land, um es dort wie<strong>der</strong>herzustellen. Die Wallfahrt bringt die Völker nicht nach<br />

Jerusalem, sie führt statt <strong>des</strong>sen die Zeugen in die Zerstreuung, damit sie die<br />

Herrschaft für Israel <strong>und</strong> die Völker herstellen.<br />

Die <strong>Apostelgeschichte</strong> endet in Rom. Doch Rom galt auch dem antiken<br />

Menschen nicht als Ende <strong>der</strong> Welt. Als solches konnten Indien, Britannien o<strong>der</strong><br />

Spanien angesehen werden, das nördliche Germanenreich o<strong>der</strong> das ganz <strong>im</strong><br />

Süden gelegene Äthiopien. 33 Die <strong>Apostelgeschichte</strong> weist somit über ihr Ende<br />

Angesicht aller Völker. S<strong>im</strong>eon befindet sich bereits in Jerusalem, <strong>im</strong> Tempel, das Heil<br />

erblickt er jedoch erst <strong>im</strong> Kind, <strong>im</strong> neuen Tempel, <strong>der</strong> die Zerstörung überdauert.<br />

31 Ähnlich auch Schröter, ‘Heil’, 300–301.<br />

32 Vgl. auch J. J. Kilgallen, ‘Witness in the Acts of the Apostles’, StMiss 53 (2004) 135–57, hier: 135,<br />

<strong>und</strong> Moessner, ‘Narrative’, 205–6.<br />

33 Vgl. W. C. van Unnik, ‘Der Ausdruck ‘EWS ΔESCATOU THS GHS (<strong>Apostelgeschichte</strong> i 8) <strong>und</strong><br />

sein alttestamentlicher Hintergr<strong>und</strong>’, Sparsa Collecta. The Collected Essays of W.C. van Unnik<br />

(Vol. 1; NT.S 29; Leiden: Brill, 1973) 386–401, außerdem Ellis, History, 56–8, <strong>und</strong> J. S. Romm,<br />

The Edges of the Earth in Ancient Thought. Geography, Exploration, and Fiction (Princeton:<br />

Princeton University, 1992), bes. 140–71.


422 karl matthias schmidt<br />

hinaus. ‘Das grenzüberschreitende Programm aus Apg 1.8, das die Enden <strong>der</strong> Erde<br />

anzielt, ist mit Rom noch nicht eingelöst’, 34 das Land <strong>der</strong> Kandake (Apg 8.27) ist in<br />

<strong>der</strong> erzählten Zeit unentdeckt geblieben. 35 So ist das programmatische Wort Jesu<br />

aus <strong>der</strong> Einleitung auch Auftrag für die Lesegemeinde. 36<br />

Der in Rom erreichte Status quo bietet zwar eine offene<br />

Verkündigungssituation, doch Lukas konstatiert gleichzeitig, dass das Heil sein<br />

Ziel in gewisser Weise erreicht hat. 37 Entscheidend für den Abschluss <strong>des</strong> Buches<br />

ist <strong>der</strong> Zusammenhang mit <strong>der</strong> Rede in Pisidien. Paulus soll für das Heil <strong>der</strong> Völker<br />

da sein, bis an das Ende <strong>der</strong> Erde (Apg 13.46–47). Er ist als Verkün<strong>der</strong> zu den<br />

Heiden gesandt (Apg 22.21; 26.17, vgl. Jes 48.20; 62.11). Wenn Paulus in Apg 28.28<br />

davon spricht, dass den Heiden das Heil gesandt wurde (vgl. Apg 13.26), deutet<br />

sich an, dass mit seinem Eintreffen in Rom seine in Apg 13.47 umrissene Aufgabe<br />

erfüllt ist, auch wenn noch nicht alle Grenzen erreicht sind. Paulus selbst sprach<br />

in Röm 10.18 in Anlehnung an Ps 19.5 (18.5) davon, dass das Wort <strong>des</strong> Evangeliums<br />

bis an die Grenzen <strong>der</strong> Erde vorgestoßen sei, obwohl we<strong>der</strong> er noch an<strong>der</strong>e<br />

Spanien erreicht hatten.<br />

Die Wie<strong>der</strong>aufnahme <strong>der</strong> K<strong>und</strong>gabeformel aus Apg 13.38 in Apg 28.28<br />

(gnwsto;n ouǹ e[stw uJmivn) verknüpft die Rede in Rom zusätzlich mit <strong>der</strong><br />

Ankündigung in Antiochia <strong>und</strong> unterstützt so das Erfüllungsschema. Obwohl<br />

Lukas damit einen bereits verwendeten Ausdruck wie<strong>der</strong>holt (vgl. auch Apg 2.14;<br />

4.10), erinnert die Formel <strong>im</strong> <strong>Kontext</strong> auch an Ps 98.2 (97.2), da dort ebenfalls die<br />

K<strong>und</strong>gabe mit dem Hinweis auf das Heil Gottes <strong>und</strong> die Verkündigung unter den<br />

Heiden verknüpft ist: ‘Bekannt gemacht hat <strong>der</strong> Herr sein Heil vor den Völkern’.<br />

Der Psalm fährt in V. 3 fort: ‘Alle Grenzen <strong>der</strong> Erde haben das Heil unseres Gottes<br />

gesehen’. 38<br />

34 Klauck, Magie, 135.<br />

35 Das bedeutet nicht, dass Lukas nur o<strong>der</strong> in erster Linie an Äthiopien dachte. Ebensowenig ist<br />

bei dem Ausdruck e|w~ ejscavtou th`~ gh`~ exklusiv an Spanien zu denken. Das Jesajazitat stand<br />

<strong>im</strong> Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>. An<strong>der</strong>s etwa Ellis, History, 58–63, <strong>der</strong> wegen 1 Klem 5.6–7 davon ausgeht,<br />

dass Paulus Spanien erreichte. Zur Zuverlässigkeit <strong>des</strong> Klemensbriefes vgl. auch die positive<br />

Einschätzung von H. Löhr, ‘Zur Paulus-Notiz in 1 Clem 5.5–7’, Das Ende <strong>des</strong> Paulus.<br />

Historische, theologische <strong>und</strong> literaturgeschichtliche Aspekte (ed. von F.W. Horn; BZNW 106;<br />

Berlin/New York: de Gruyter, 2001) 197–213.<br />

36 Vgl. auch D. Marguerat, ‘The End of Acts (28.16–31) and the Rhetoric of Silence’, Rhetoric and<br />

the New Testament. Essays from the 1992 Heidelberg Conference (ed. von S. E. Porter/T. H.<br />

Olbricht; JSNT.S 90; Sheffield: JSOT, 1993) 74–89, hier: 87–9.<br />

37 Vgl. auch Moessner, ‘Narrative’, 220–1.<br />

38 Ps 98.2–3 (97.2–3): ejgnwvrisen kuvrio~ to; swthvrion aujtouv ejnantivon tw`n ejqnw`n . . . ei[dosan<br />

pavnta ta; pevrata th`~ gh`~ to; swthvrion tou` qeou` hJmw`n, Apg 28.28: gnwsto;n ou\n e[stw uJmi`n<br />

o[ti toi`~ e[qnesin ajpestavlh tou`to to; swthvrion tou` qeou (‘Bekannt soll euch nun sein, dass<br />

den Völkern gesandt wurde dieses Heil Gottes’), vgl. auch Jes 52.10. Lukas verwendet in Apg<br />

28.28 ausnahmsweise swthvrion anstelle von swthriva <strong>und</strong> entspricht darin dem Psalmtext<br />

(vgl. auch Lk 2.30/Jes 33.20; Lk 3.6/Jes 40.5).


Abkehr von <strong>der</strong> Rü<strong>ckkehr</strong> 423<br />

Mit dieser gegenüber den alttestamentlichen Vorgaben verän<strong>der</strong>ten<br />

Diasporatheologie <strong>und</strong> <strong>der</strong> damit verb<strong>und</strong>enen eschatologischen<br />

Gr<strong>und</strong>konzeption <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong> erweist sich Lukas als gut paulinischer<br />

Theologe. Der Weg <strong>des</strong> Evangeliums führt in die Diaspora. Dieser Weg kann von<br />

den meisten Juden – selbst von denen in <strong>der</strong> Diaspora – nicht mitgegangen<br />

werden. Die Trennung scheint unvermeidlich, denn während für die Christen<br />

spätestens seit <strong>der</strong> Auferstehung Jesu, <strong>der</strong> sich zunächst vorrangig <strong>der</strong> Sammlung<br />

<strong>der</strong> Juden widmete, die Endzeit angebrochen ist, die eine unbedingte Zuwendung<br />

zu den Heiden for<strong>der</strong>t, steht für die Juden die Endzeit noch aus. Die vorbehaltlose<br />

Integration <strong>der</strong> Heiden ist für sie daher ein nicht legit<strong>im</strong>iertes Vorgreifen auf die<br />

endzeitliche Zionswallfahrt. Die Trennung von den Jerusalem zentrierten Juden<br />

<strong>und</strong> die ‘Ausbreitung <strong>des</strong> Evangeliums über die Welt’ 39 bedingen daher<br />

einan<strong>der</strong>. 40<br />

Obwohl noch nicht alle Grenzen erreicht sind <strong>und</strong> die Verkündigung<br />

andauert, ist mit <strong>der</strong> Ankunft <strong>des</strong> Heidenapostels in Rom für Lukas das<br />

angekündigte Programm theologisch eingelöst. Erst in Rom ist Paulus in <strong>der</strong><br />

Zerstreuung angekommen. Theologisch betrachtet steht die Mitte <strong>des</strong> römischen<br />

Reiches daher, trotz <strong>der</strong> auch Lukas vertrauten antiken Geographie, für die<br />

Rän<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erde. Das Äußerste <strong>der</strong> Erde bedeutet alttestamentlich den entferntesten<br />

Punkt vom Zentrum Jerusalem. Paulus’ letztes Reiseziel markiert daher<br />

nicht nur den Abschluss <strong>des</strong> Buches, die anfängliche Erfüllung <strong>des</strong> Programms in<br />

Apg 1.8, son<strong>der</strong>n umreißt auch noch einmal die theologische Mitte <strong>der</strong><br />

<strong>Apostelgeschichte</strong>. Rom galt Christen <strong>und</strong> Juden nach <strong>der</strong> zweiten<br />

Tempelzerstörung als das neue Babylon (Sib 5.113–161; Offb 14.8; 16.19; 17.5; 18.2, 10,<br />

21), das wie kein an<strong>der</strong>er Ort Signum <strong>und</strong> Metapher für das Exil, die Zerstreuung,<br />

war. Während in Jes 43.6 <strong>der</strong> Südwesten aufgefor<strong>der</strong>t wird, die Söhne <strong>und</strong> Töchter<br />

Israels nicht zu hin<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n aus <strong>der</strong> Ferne, von den Spitzen <strong>der</strong> Erde in Israel<br />

zusammenzuführen (tw`/ libiv mh; kwvlue a[ge tou;~ uiJouv~ mou ajpo; gh`~ povrrwqen<br />

kai; ta;~ qugatevra~ mou ajpΔ a[krwn th`~ gh`~), gilt das letzte Wort <strong>der</strong><br />

<strong>Apostelgeschichte</strong> <strong>der</strong> ungehin<strong>der</strong>ten Verkündigung <strong>im</strong> westlich gelegenen Rom,<br />

einer Verkündigung in Gefangenschaft, <strong>im</strong> positiv gewendeten Exil.<br />

Daher ‘muss’ die Vita <strong>des</strong> Paulus in Rom enden <strong>und</strong> sie ‘muss’ in<br />

Gefangenschaft enden, allerdings in einer als heilvoll erfahrenen Gefangenschaft.<br />

Das Martyrium <strong>des</strong> Apostels wäre als Schlusspunkt <strong>der</strong> Erzählung ungeeignet<br />

39 E. Plümacher, ‘Die <strong>Apostelgeschichte</strong> als historische Monographie’, Les Actes <strong>des</strong> Apôtres.<br />

Traditions, rédaction, théologie (ed. von J. Kremer; BEThL 48; Gembloux: Duculot/Leuven:<br />

Leuven University, 1979) 457–66, hier: 461.<br />

40 Vgl. dazu auch M. Wolter, ‘Das lukanische Werk als Epochengeschichte’, Die<br />

<strong>Apostelgeschichte</strong> <strong>und</strong> die hellenistische Geschichtsschreibung, 253–84, hier: 262–3, <strong>der</strong> die<br />

Epochengrenzen dadurch gegeben sieht, dass Lukas die ‘Geschichte <strong>der</strong> Trennung von<br />

Christentum <strong>und</strong> Judentum erzählt’ (263).


424 karl matthias schmidt<br />

gewesen, hätte es doch das Ende <strong>der</strong> Verkündigung durch den Völkerapostel konstatiert.<br />

Eine hypothetisch denkbare Weiterreise nach Spanien hätte Paulus zwar<br />

an die Rän<strong>der</strong> <strong>der</strong> Welt, aber aus dem Zentrum <strong>der</strong> Zerstreuung geführt. Die<br />

Verkündigung in <strong>der</strong> Gefangenschaft <strong>im</strong> neuen Babylon unterstreicht dagegen<br />

den zentralen Gedanken <strong>des</strong> Buches <strong>und</strong> bringt Lukas’ Diasporatheologie trotz<br />

ihrer gr<strong>und</strong>sätzlichen Offenheit zu einem sinnvollen Ende. 41 Kernaussage <strong>des</strong><br />

Werkes ist die Verkündigung unter den Heiden, die mit dem Buchende noch nicht<br />

an ihre Grenzen stößt. Verknüpft man jedoch Diasporatheologie <strong>und</strong><br />

Missionierung, zeigt sich, dass in Rom eine ‘Epoche’ zu Ende geht, weil die<br />

Verkündigung bei den Heiden in <strong>der</strong> Zerstreuung angekommen ist.<br />

Erst in Rom ist es Paulus möglich, alle aufzunehmen, die zu ihm kommen,<br />

unabhängig von ihrer Herkunft, Juden <strong>und</strong> Heiden. Nur hier verkündet er ungehin<strong>der</strong>t<br />

Jesus <strong>und</strong> die Basileia-Botschaft (Apg 28.30–31). Die Sammlung <strong>der</strong> Völker<br />

in Israel erübrigt sich durch Israels Verkündigung <strong>des</strong> Evangeliums in <strong>der</strong> Fremde.<br />

Die <strong>Apostelgeschichte</strong> endet in <strong>der</strong> Zerstreuung bei den Völkern <strong>im</strong> ethnischen<br />

Schmelztiegel Roms, sie endet in <strong>der</strong> glorreichen Diaspora.<br />

41 Das Fehlen eines Martyriumsberichtes lässt sich daher nicht für die Datierung auswerten,<br />

vgl. dagegen Ellis, History, 60–63, <strong>der</strong> die <strong>Apostelgeschichte</strong> vor <strong>der</strong> postulierten<br />

Spanienreise <strong>des</strong> Apostels datiert, außerdem A. Mittelstaedt, Lukas als Historiker. Zur<br />

Datierung <strong>des</strong> lukanischen Doppelwerkes (TANZ 43; Tübingen: Francke, 2006) 165–221. H.<br />

Omerzu, ‘Das Schweigen <strong>des</strong> Lukas. Überlegungen zum offenen Ende <strong>der</strong><br />

<strong>Apostelgeschichte</strong>’, Das Ende <strong>des</strong> Paulus, Horn, ed., 127–56, hier: 128–44, bietet einen<br />

Überblick über die Lösungsansätze zum Ende <strong>der</strong> <strong>Apostelgeschichte</strong>.

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