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Gottfried Wilhelm L Gottfried Wilhelm Leibniz' ‚Theodizee'

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<strong>Gottfried</strong> <strong>Wilhelm</strong> <strong>Leibniz'</strong> <strong>‚Theodizee'</strong><br />

Der Begriff „Theodizee" geht, wie bei GOLLWITZER zu lesen war, auf<br />

GOTTFRIED WILHELM LEIBNIZ (1646-1716) zurück: Erstmalig von<br />

ihm 1697 verwendet, wird er umfassend bekannt durch sein berühmtes Werk<br />

Essais de Théodicée, Sur la bonté de Dieu, la liberté de l'homme et l'origine<br />

du mal (Studien zur Theodizee, Über die Güte Gottes, die Freiheit des<br />

Menschen und den Ursprung des Übels) aus dem Jahre 1710.<br />

Bemerkenswert und für das heutige Denken vielleicht überraschend ist, dass<br />

das Problem der Theodizee nicht etwa von außen an die Theologie heran-<br />

getragen wird, als ob die Theologen ihre Rede von Gott zu legitimieren hätten; es handelt sich um<br />

ein Problem der Philosophen! Ihr Anliegen ist es, ihr Selbstbewusstsein, ihre Selbstgewissheit bei<br />

der Lösung der Probleme, auf die die Vernunft stößt, unter Beweis zu stellen. Nicht erst Leibniz,<br />

sondern vor ihm schon RENÉ DESCARTES, THOMAS HOBBES und BARUCH SPINOZA<br />

gehen mit diesem Selbstverständnis an die „Idee Gott" heran: Gott wird von ihnen (noch) benötigt<br />

als der weise und gute Schöpfer; mit ihm erklären sie, warum es eine Welt überhaupt gibt. Was<br />

deren Gutsein betrifft bzw. das Vorkommen von Leid und Übel in ihr, so wird deren Existenz von<br />

Gott abgelöst und als Aufgabe dem Menschen überantwortet: Es ist Aufgabe menschlicher<br />

Lebenspraxis, für das Gutsein der Welt zu sorgen, indem er sich an der ihm von Gott geschenkten<br />

Freiheit und mitgeteilten Gerechtigkeit orientiert. Da der Mensch von Gott frei geschaffen ist, ist<br />

ihm die Möglichkeit gegeben, sich zwischen Gut und Böse zu entscheiden. Seine Größe erweist<br />

der Mensch, indem er in dieser Welt das Gute befördert.<br />

[<strong>Gottfried</strong> <strong>Wilhelm</strong> Leibniz,<br />

geb. 1.7.1646 in Leipzig, gest. 14.11.1716 in Hannover.<br />

Dt. Philosoph und Universalgelehrter. – Seit 1667 im Dienst des Mainzer Kurfürsten;<br />

1672-76 76 in diplomat. Mission in Paris; 1673 Aufenthalt in London und Ernennung<br />

zum Mitglied der „Royal Society“; 1676-17161716 Hofrat und Bibliothekar des Welfen-<br />

hauses, dessen Geschichte er verfasste. L. leitete mit seinen Forschungen zur<br />

formal-deduktiven Logik die Geschichte der mathematischen bzw. formalen Logik ein.<br />

Neben Newton begründete<br />

L. die Differentialrechnung und entwickelte das binäre<br />

Zahlensystem mit den Ziffern 0 und 1, das heute in der Computertechnik grundlegend<br />

ist. Außer auf den Gebieten der Theologie, Philosophie, Jurisprudenz und Mathematik<br />

trat L. auch als Naturforscher und Techniker (z.B. Konstruktion einer Rechenmaschine<br />

und Einsatz der Kraft des Windes zur Grubenentwässerung im Harzbergbau)<br />

hervor.<br />

nach: Meyers Großes Taschenlexikon, Mannheim 1991]<br />

Leibniz beansprucht, eine Theodizee vorzutragen, gemäß der die Welt sich als vernünftig bein<br />

ihr: Gott habe sie als<br />

,beste aller denkbaren Welten' geschaffen. Das folge aus seinem Wesen, denn er sei vollkommen.<br />

Hätte es eine bessere Welt gegeben, hätte er sie gekannt und geschaffen. Demnach muss das Übel<br />

zu den Elementen dieser Welt gehören. Der Mensch als Geschöpf Gottes vermag mittels seiner<br />

Vernunft als ,kleine Gottheit' die Struktur dieser von Gott geschaffenen, gewollten und geordneten<br />

Welt zu durchschauen. Leibniz hat diese Auffassung in seiner „Monadenlehre" auf den Begriff<br />

gebracht: Nach ihr wird die Welt von Monaden gebildet, in sich abgeschlossenen, autarken,<br />

,einheitlichen' Mikrokosmen oder Ureinheiten; diese sind voneinander getrennt und nicht in der<br />

Lage, einander von sich aus zu beeinflussen. Leibniz drückt das bildhaft damit aus, dass sie keine<br />

Fenster haben. Damit die Welt aber nun nicht als in unendlich viele Monaden atomisiert vorgestellt<br />

wird, sieht Leibniz sie über einen göttlichen Grund miteinander in Beziehung gesetzt, denn<br />

gründen lässt mit den Übeln — Leiden, Sünden, Unvollkommenheiten — die Monaden können ja diese Beziehung nicht von sich aus herstellen. Die Vermittlung ist also<br />

nicht Folge einer Weiterentwicklung oder eines Vermögens der Monaden, sondern Auswirkung<br />

des Systems der von Leibniz so genannten „prästabilierten Harmonie", die dafür sorgt, dass alle<br />

Monaden miteinander kommunizieren. Die Monaden sind zum einen nach dem gleichen Prinzip


wie ihr göttlicher Grund aufgebaut, tragen zum anderen als Merkmale ihrer Endlichkeit jeweils<br />

verschiedene Anteile von Geist und Körperlichkeit in sich. Gott wird in diesem Denkmodell die<br />

Größe genannt, die diese Ordnung erschuf und sie mittels der von ihm erstellten „prästabilierten<br />

Harmonie" erhält. Er ist gewissermaßen die „Zentralmonade". Analysiert der Mensch, nach<br />

Leibniz, die ihn umgebende, geordnete Welt, so kommt er im Blick auf unsere Thematik zu<br />

folgenden Resultaten:<br />

Es gibt drei Arten des Übels in der Welt<br />

a) das metaphysische Übel - es drückt sich aus in der bloßen Unvollkommenheit und resultiert aus<br />

der Endlichkeit, da Geschöpflichkeit der Welt. Wäre die Welt nicht endlich, so wäre sie göttlich,<br />

damit nicht ,Welt' und auch nicht geschöpflich.<br />

b) das physische Übel - Leibniz fasst hierunter Leiden und Schmerzen, die sich aus der Endlichkeit<br />

der Welt ergeben. Auch hier argumentiert er, dass, wenn es anders wäre, die Menschen nicht<br />

Bestandteile der endlichen Welt, sondern gottgleich wären.<br />

c) das moralische Übel - gemeint sind die sündigen Absichten des Menschen, die als Folge der<br />

Freiheit des endlichen und also unvollkommenen Wesens Mensch interpretiert werden.<br />

Bei Leibniz begegnen wir einem Gottesbild, das uneingeschränkt positiv ist, wo alles Übel nicht<br />

selbst ein dynamisches, dem Guten opponierendes und seinerseits Übel verursachendes Element<br />

in der Schöpfung ist, sondern ein Mangel, ein Zuwenig an durch Menschen bewirktem Guten.<br />

<strong>Leibniz'</strong> „Gott" ist der Vernunft zugänglich, ja geradezu ,denk-' und ,berechenbar'.<br />

Was Leibniz für das Denken seiner Zeit leistete, ist bemerkenswert und von großer Wirkung: Er<br />

trägt dazu bei, dass das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der menschlichen Vernunft gesteigert<br />

wird, dass sie sich von traditionellen Vorgaben zu lösen vermag, indem sie diese auf ihre<br />

Übernehmbarkeit kritisch prüft; er scheint eine Vereinbarkeit des neuzeitlichen vernünftigen<br />

Denkens mit dem hergebrachten christlichen Glauben an Gott aufzuzeigen, so dass den Gläubigen<br />

kein sacrificium intellectus, kein Opfer, keine Aufgabe ihres Verstandes angesichts der<br />

Glaubensinhalte abverlangt wird.<br />

Aufgabe<br />

Vergleichen Sie <strong>Leibniz'</strong> Begriff von Gott mit der Gotteserfahrung Hiobs! Unterscheiden Sie<br />

dabei die verschiedenen Schichten der Hiob-Dichtung und des Gottesbildes.<br />

Aus:<br />

A. Willert, Das Leiden der Menschen und der Glaube an Gott, Vandenhoeck & Ruprecht,<br />

Göttingen (1997), S. 97-100

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