Fünftes und sechstes Forum Menschenwürdige Wirtschaftsordnung ...

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28.12.2013 Aufrufe

Institut für Wirtschaftsforschung Halle 2 Würde in Unternehmensethik und Betriebswirtschaftslehre Ich möchte kurz erläutern, warum man sich in der Betriebswirtschaftslehre trotz dieses klar formulierbaren Gestaltungsauftrags so schwer mit dem Thema Menschenwürde und a fortiori mit der Unternehmensethik tut.13 Die deutsche Betriebswirtschaftslehre stellt – international betrachtet – bekanntlich einen relativ speziellen Sonderweg der theoretischen Auseinandersetzung mit dem unternehmerischen Handeln dar. Im langen Schatten der Tradition von Erich Gutenberg hat sich das Fach seit den 1950er Jahren nie wirklich als „eigenständige“ wissenschaftliche Disziplin entwickelt, sondern wurde in den verschiedenen Entwicklungsstufen meist nur als „angewandte“ mikroökonomische Theorie verstanden – jedenfalls, wenn man den Mainstream der Fachvertreter anschaut. Heute äußert sich diese Ausrichtung in einer faktischen Dominanz der Institutionenökonomik und des Transaktionskostenansatzes. Damit hinkt man den internationalen Diskussionen paradigmatisch zwar um etwa zwei Jahrzehnte hinterher, hat aber eine ganze Generation von Nachwuchsforschern auf ein homogenes Paradigma eingeschworen. Fachspezifische Besonderheiten wurden dabei in bester Kaufmannstradition eigentlich nur für die finanzwirtschaftliche Betrachtung des Betriebsgeschehens entwickelt, also für die Investitionstheorie, das Rechnungswesen (Controlling), die Steuerwirkungslehre oder die Wirtschaftsprüfung (Auditing). Die Betriebswirtschaftslehre verstand sich in dieser Tradition primär als Wirtschaftlichkeitslehre („Betriebs-Wirtschaftslehre“), nicht jedoch als eine umfassende Lehre von der Institution Unternehmung und ihrer Gestaltung („Betriebswirtschafts-Lehre“). Die mit dieser kaufmännischen Tradition verbundene „Ethik der gestaltbaren Zahlen“ wurde durchaus von respektablen Grundwerten wie den „Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung“ oder der bekannten Forderung nach „Bilanzwahrheit und Bilanzklarheit“ getragen. Ihr blieb jedoch eine Auseinandersetzung mit genuin qualitativen und abstrakten Begriffen wie der Würde des Menschen vom Ansatz völlig fremd. Derartigen Themen gegenüber hatte man daher in der Betriebswirtschaftslehre als gewachsener Kaufmannsdisziplin schon auf der instrumentellen Ebene den Vorbehalt, keine „sozialtechnisch“ ausgerichtete Managementlehre werden zu wollen. Der aus verschiedensten Disziplinen eingeschleppte „Sozialklimbim“ der angelsächsischen Managementlehre wurde jenseits der „finanztechnischen“ Bilanzanalysen konsequent als fachfremde „Versozialwissenschaftlichung“ gebrandmarkt und zurückgewiesen.14 Es muss ein großer Schock gewesen sein, als gerade die folgenschwersten unternehmensethischen Skandale wie Enron oder Paramalat aus genuin ethischen Verfehlungen im Rechnungswesen entstanden.15 Einen zweiten Schock löste die Erkenntnis aus, dass 13 Vgl. zum Folgenden auch Löhr (1991). 14 Vgl. Schneider (1990) und die Diskussionen bei Wunderer (1988). 15 Zur Diskussion des Falles Enron vgl. etwa Aßländer (2005) und die Sonderausgabe des Forums Wirtschaftsethik 2/2005. 42

Akademie für Politische Bildung Tutzing Korruption als Geschäftsmodell wie im Falle Siemens oder Volkswagen von der Gesellschaft nicht mehr geduldet wird. Was die Achtung der Menschenwürde angeht, steht eine große Schockwelle zwar noch aus, es ist aber abzusehen, dass sich nicht dauerhaft Produkte als „besonders günstig“ verkaufen lassen, deren Herstellung auf der Missachtung von Menschenrechten und Sozialstandards in den Produktionsbedingungen beruht. Zwar betrachten viele Betriebswirte die aktuelle Hochkonjunktur der „CSR-Bewegung“ (Corporate Social Responsibility) immer noch mit großer Skepsis, weil sie ihnen nur als eine inhaltsleere und oberflächliche Management-Technik erscheint. Das ändert sich aber allmählich in dem Maße, wie Corporate Social Responsibility in Form von reporting standards und Auditierungsprozessen „controllingfähig“ gemacht wird und die Ethik dadurch quasi in der Sprache der Betriebswirtschaftslehre ankommt. Bedauerlich ist nur, dass diese Diskussionen um Verantwortung immer noch ein weitgehend der Praxis überlassenes Feld darstellen, mit dem man sich in der Wissenschaft der Betriebswirtschaftslehre nur recht widerwillig auseinandersetzt. Um diese Abneigungen zu verstehen, muss man auch daran erinnern, dass die frühen Versuche zur normativ-ethischen Ausrichtung der Betriebswirtschaftslehre grundlegend diskreditiert worden sind, sodass man sich in unserer Disziplin seit ihrer Wiedergeburt nach dem Zweiten Weltkrieg schwer damit tut, philosophisch orientierte oder gar normativ gehaltvolle Begriffe zu integrieren. Wie vielleicht bekannt, wurde die aufkommende Disziplin Betriebswirtschaftslehre – damals vor 100 Jahren noch: Privatwirtschaftslehre – in Deutschland von Anfang an aus der Nationalökonomie heraus mit dem Vorwurf konfrontiert, keine echte Wissenschaft zu sein, sondern bloß eine gemeine „Profitmaximierungslehre“.16 Daher bemühten sich viele Gründerväter der Disziplin in den 1920er und 1930er Jahren dezidiert um eine Konzeption der jungen Betriebswirtschaftslehre als „praktisch-normative“ oder gar als „normativ-ethische Disziplin“ im Dienste des Gemeinwohls, i. e. der Volkswirtschaftslehre.17 Mit verheerenden Folgen, vor allem deshalb, weil sie weder gelernte Philosophen waren noch die Auseinandersetzung mit den Denkern ihrer Zeit suchten, sondern meist Pragmatiker waren. Die so genannten „normativ-ethischen Ansätze“ wurden von der völkischen Gemeinschaftsideologie der Nationalsozialisten gezielt vereinnahmt (insbesondere Nicklisch wird hier immer wieder herausgestellt, aber auch Schmalenbach wurde gegen seinen Willen instrumentalisiert). Dieser konzeptionelle Fehltritt wird bis heute allen ethisch oder normativ ambitionierten Ansätzen der Betriebswirtschaftslehre vorgehalten und behauptet, dass man sich konzeptionell nur im Paradigma der individuellen Freiheit orientieren dürfe. Ethik, insbesondere eine Unternehmensethik, würde aber zwangsläufig auf eine politische Beschränkung dieser Freiheit des Handelns hinauslaufen und sei von daher abzulehnen. Obwohl die Wirtschaftsethik oder Unternehmensethik von deutschen Betriebswirten immer wieder einmal en passant behandelt wurde, blieb sie so doch stets ein ungeliebtes 16 Vgl. etwa die scharfen Attacken von Lujo Brentano (1912/13): Keine Privatwirtschaftslehre! 17 Beispielhaft sei auf Nicklisch (1929) hingewiesen. 43

Akademie für Politische Bildung Tutzing<br />

Korruption als Geschäftsmodell wie im Falle Siemens oder Volkswagen von der Gesellschaft<br />

nicht mehr geduldet wird. Was die Achtung der Menschenwürde angeht, steht<br />

eine große Schockwelle zwar noch aus, es ist aber abzusehen, dass sich nicht dauerhaft<br />

Produkte als „besonders günstig“ verkaufen lassen, deren Herstellung auf der Missachtung<br />

von Menschenrechten <strong>und</strong> Sozialstandards in den Produktionsbedingungen beruht.<br />

Zwar betrachten viele Betriebswirte die aktuelle Hochkonjunktur der „CSR-Bewegung“<br />

(Corporate Social Responsibility) immer noch mit großer Skepsis, weil sie ihnen nur als<br />

eine inhaltsleere <strong>und</strong> oberflächliche Management-Technik erscheint. Das ändert sich<br />

aber allmählich in dem Maße, wie Corporate Social Responsibility in Form von reporting<br />

standards <strong>und</strong> Auditierungsprozessen „controllingfähig“ gemacht wird <strong>und</strong> die Ethik<br />

dadurch quasi in der Sprache der Betriebswirtschaftslehre ankommt. Bedauerlich ist<br />

nur, dass diese Diskussionen um Verantwortung immer noch ein weitgehend der Praxis<br />

überlassenes Feld darstellen, mit dem man sich in der Wissenschaft der Betriebswirtschaftslehre<br />

nur recht widerwillig auseinandersetzt.<br />

Um diese Abneigungen zu verstehen, muss man auch daran erinnern, dass die frühen<br />

Versuche zur normativ-ethischen Ausrichtung der Betriebswirtschaftslehre gr<strong>und</strong>legend<br />

diskreditiert worden sind, sodass man sich in unserer Disziplin seit ihrer Wiedergeburt<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg schwer damit tut, philosophisch orientierte oder gar normativ<br />

gehaltvolle Begriffe zu integrieren. Wie vielleicht bekannt, wurde die aufkommende<br />

Disziplin Betriebswirtschaftslehre – damals vor 100 Jahren noch: Privatwirtschaftslehre<br />

– in Deutschland von Anfang an aus der Nationalökonomie heraus mit dem<br />

Vorwurf konfrontiert, keine echte Wissenschaft zu sein, sondern bloß eine gemeine<br />

„Profitmaximierungslehre“.16 Daher bemühten sich viele Gründerväter der Disziplin in<br />

den 1920er <strong>und</strong> 1930er Jahren dezidiert um eine Konzeption der jungen Betriebswirtschaftslehre<br />

als „praktisch-normative“ oder gar als „normativ-ethische Disziplin“ im<br />

Dienste des Gemeinwohls, i. e. der Volkswirtschaftslehre.17 Mit verheerenden Folgen,<br />

vor allem deshalb, weil sie weder gelernte Philosophen waren noch die Auseinandersetzung<br />

mit den Denkern ihrer Zeit suchten, sondern meist Pragmatiker waren. Die so<br />

genannten „normativ-ethischen Ansätze“ wurden von der völkischen Gemeinschaftsideologie<br />

der Nationalsozialisten gezielt vereinnahmt (insbesondere Nicklisch wird hier<br />

immer wieder herausgestellt, aber auch Schmalenbach wurde gegen seinen Willen<br />

instrumentalisiert). Dieser konzeptionelle Fehltritt wird bis heute allen ethisch oder<br />

normativ ambitionierten Ansätzen der Betriebswirtschaftslehre vorgehalten <strong>und</strong> behauptet,<br />

dass man sich konzeptionell nur im Paradigma der individuellen Freiheit orientieren<br />

dürfe. Ethik, insbesondere eine Unternehmensethik, würde aber zwangsläufig auf eine<br />

politische Beschränkung dieser Freiheit des Handelns hinauslaufen <strong>und</strong> sei von daher<br />

abzulehnen.<br />

Obwohl die Wirtschaftsethik oder Unternehmensethik von deutschen Betriebswirten<br />

immer wieder einmal en passant behandelt wurde, blieb sie so doch stets ein ungeliebtes<br />

16 Vgl. etwa die scharfen Attacken von Lujo Brentano (1912/13): Keine Privatwirtschaftslehre!<br />

17 Beispielhaft sei auf Nicklisch (1929) hingewiesen.<br />

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