Fünftes und sechstes Forum Menschenwürdige Wirtschaftsordnung ...

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28.12.2013 Aufrufe

Institut für Wirtschaftsforschung Halle Minderheit der Transferleistungszahler zu entarten. Damit würde jedoch die Leistungsfähigkeit einer freiheitlichen Marktordnung unterminiert, da nun mit Hilfe politischer Umverteilungsprozesse ein nicht leistungsgerechtes Ergebnis herbeigeführt werden soll. Der Begriff der „sozialen Gerechtigkeit“ ist daher für von Hayek inhaltsleer, da er kein konkretes Verhalten vorschreibt. Nicht ganz zu Unrecht argumentiert von Hayek, dass sich der Begriff der Gerechtigkeit ausschließlich auf die Regeln richtigen Verhaltens einzelner Akteure beziehen könne, und nicht auf die Leistung eines Gesamtsystems. Entsprechend kommt er zu dem Schluss: „Es gibt natürlich keinen Grund, warum eine Gesellschaft, die so reich ist wie die moderne, nicht außerhalb des Marktes, für diejenigen, die im Markt unter einen gewissen Standard fallen, ein Minimum an Sicherheit vorsehen sollte. Hier sollte nur hervorgehoben werden, dass Gerechtigkeitsüberlegungen keine Rechtfertigung für eine ‚Korrektur‘ der Marktergebnisse abgeben, dass vielmehr die Gerechtigkeit […] von jedem verlangt, das hinzunehmen, was ein Markt, in dem jeder einzelne sich fair verhält, liefert. Gerechtigkeit gibt es nur im individuellen Verhalten, jedoch keine Sonderform ‚soziale Gerechtigkeit‘.“24 Elemente der „Gerechtigkeit“ in der Sozialen Marktwirtschaft Gleichwohl ist es gerade der Gedanke einer „sozialen Gerechtigkeit“, der die verbindende Klammer aller Theoretiker der Sozialen Marktwirtschaft darstellt. Dies verdankt sich nicht zuletzt der Tatsache, dass in ihren Augen die Soziale Marktwirtschaft nicht nur den Entwurf einer Wirtschaftsordnung darstellt, sondern als Grundkonzept einer die rein wirtschaftliche Handlungssphäre übersteigenden Gesamtlebensordnung begriffen werden muss. Es geht also nicht ausschließlich um die Frage nach der Gerechtigkeit innerhalb wirtschaftlicher Verteilungsprozesse, sondern um die weitaus bedeutsamere Frage nach der gerechten Gesellschaft schlechthin. Da jedoch die Voraussetzung für den sozialen Frieden innerhalb einer Gesellschaft und die Bedingungen zur Verwirklichung einer sozialen Gerechtigkeit stets an die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Einzelnen und die ihm dadurch ermöglichten sozialen Chancen gebunden sind, kommt den Gerechtigkeitsfragen auch innerhalb der ökonomischen Handlungssphäre eine zentrale Bedeutung zu. Dabei sind es insbesondere drei Bereiche, in denen innerhalb der Wirtschaft soziale Gerechtigkeit verwirklicht werden müsse. Soziale Gerechtigkeit als Startgerechtigkeit Um einen fairen Leistungswettbewerb zu garantieren, bedarf es vergleichbarer Ausgangspositionen der Wettbewerber. Nach Alexander Rüstow betrifft dies erstens ein Bildungssystem, das allen die gleichen Chancen eröffnen muss. Dies meint nicht nur die Ermöglichung eines gleichen „Bildungszuganges“ in Abhängigkeit von der individuellen Begabung, sondern bezieht sich auch auf die Kompensation der durch Bildung entstehenden „Opportunitätskosten“, die beispielsweise aus dem fehlenden Beitrag des 24 Hayek (1994), S. 123. 30

Akademie für Politische Bildung Tutzing Studierenden zum Familieneinkommen oder aus den von ihm zu tragenden höheren Lebenshaltungskosten resultieren. Zweitens fordert Rüstow eine vergleichbare Vermögensausstattung der Haushalte, die nicht durch ein „feudaloides“ Erbrecht verzerrt werden dürfe. Um die Startgerechtigkeit im wirtschaftlichen Wettbewerb sicherzustellen, dürfe Vermögen nicht kumuliert werden, sondern sich nur als Resultat individueller Leistungen ergeben. Schließlich plädiert Rüstow drittens für einen mindestens minimalen Schutz vor den Wechselfällen des Lebens, da der Einzelne stets von unverschuldeter Krankheit oder Arbeitslosigkeit bedroht sei und es die soziale Gerechtigkeit erfordere, hierfür solidarisch Vorsorge zu treffen. Dem „Mythos“ einer leistungsgerechten Entlohnung individueller wirtschaftlicher Anstrengungen innerhalb des etablierten Wirtschaftssystems erteilt Rüstow eine Absage: „Dass die Verteilung von Vermögen und Einkommen in unserer plutokratischen Wirtschaftsordnung irgendetwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun hätte, wird wohl heute niemand mehr im Ernst behaupten wollen. Sicherlich gibt es Leute, die ihren selbst erworbenen Reichtum ausschließlich eigener Tüchtigkeit, und andere, die ihr Elend ausschließlich eigener Untüchtigkeit zu verdanken haben. Diese Fälle sind aber denkbar weit davon entfernt, die Regel zu bilden. Schon der alte türkische Dichter Fuzuli (†1555) sagt: ‚Aus Dummheit glaubt einer, der reich werden möchte, dass Faulheit die Ursache der Armut, und viel Arbeit die Ursache des Reichtums sei‘.“25 Ähnlich wie vor ihm bereits John Stuart Mill tritt Rüstow daher für eine strikte Regulierung von Erbschaften ein, um so die nichtleistungsbezogene Vermögensakkumulation zu begrenzen, und plädiert für ein staatliches Stipendiensystem, das es erlaubt, den Bildungszugang zu erleichtern und den Leistungsausfall studierender Jugendlicher für ihre Eltern zu kompensieren. Schließlich fordert er ein geeignetes Versicherungswesen, das den Einzelnen vor den Wechselfällen des Lebens zu schützen in der Lage ist. Regulative Idee dieser Maßnahmen ist die Herstellung einer „vollkommenen Startgleichheit“, die sozialem Neid keinerlei Ansatzpunkte mehr liefert. Soziale Gerechtigkeit als Lohngerechtigkeit Ein zweites zentrales Themenfeld sozialer Gerechtigkeit stellt die Frage der gerechten Entlohnung dar. Allerdings geht es hier nicht um eine „Neuauflage“ der mittelalterlichen Diskussion um den gerechten Lohn, wenngleich die Forderung nach gerechter Entlohnung durchaus in der Soziallehre und der Naturrechtstradition der katholischen Kirche verwurzelt ist. Ausgangspunkt der sozial-marktwirtschaftlichen Überlegungen bildet die Überzeugung, dass dem Menschen eine je eigene individuelle Würde zukäme, die es verbietet, ihn rein als Sache zu behandeln. Wenn für den Menschen in einer Marktgesellschaft die dauerhafte Sicherung seiner Existenz vom Verkauf seiner Arbeit abhängt, dann muss der dadurch erzielte Lohn auch zur Sicherung seiner Existenz ausreichen. Oswald von Nell-Breuning unterscheidet dabei zwischen „Leistungslohn“ und „Lebenslohn“. Ersterer folgt einem kausalen Begründungsschema und fordert die „gerechte Entlohnung“ in Abhängigkeit von der jeweils erbrachten Leistung. Letzterer 25 Rüstow (1949), S. 25. 31

Akademie für Politische Bildung Tutzing<br />

Studierenden zum Familieneinkommen oder aus den von ihm zu tragenden höheren<br />

Lebenshaltungskosten resultieren. Zweitens fordert Rüstow eine vergleichbare Vermögensausstattung<br />

der Haushalte, die nicht durch ein „feudaloides“ Erbrecht verzerrt werden<br />

dürfe. Um die Startgerechtigkeit im wirtschaftlichen Wettbewerb sicherzustellen, dürfe<br />

Vermögen nicht kumuliert werden, sondern sich nur als Resultat individueller Leistungen<br />

ergeben. Schließlich plädiert Rüstow drittens für einen mindestens minimalen<br />

Schutz vor den Wechselfällen des Lebens, da der Einzelne stets von unverschuldeter<br />

Krankheit oder Arbeitslosigkeit bedroht sei <strong>und</strong> es die soziale Gerechtigkeit erfordere,<br />

hierfür solidarisch Vorsorge zu treffen. Dem „Mythos“ einer leistungsgerechten Entlohnung<br />

individueller wirtschaftlicher Anstrengungen innerhalb des etablierten Wirtschaftssystems<br />

erteilt Rüstow eine Absage:<br />

„Dass die Verteilung von Vermögen <strong>und</strong> Einkommen in unserer plutokratischen <strong>Wirtschaftsordnung</strong><br />

irgendetwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun hätte, wird wohl heute<br />

niemand mehr im Ernst behaupten wollen. Sicherlich gibt es Leute, die ihren selbst erworbenen<br />

Reichtum ausschließlich eigener Tüchtigkeit, <strong>und</strong> andere, die ihr Elend ausschließlich<br />

eigener Untüchtigkeit zu verdanken haben. Diese Fälle sind aber denkbar weit<br />

davon entfernt, die Regel zu bilden. Schon der alte türkische Dichter Fuzuli (†1555) sagt:<br />

‚Aus Dummheit glaubt einer, der reich werden möchte, dass Faulheit die Ursache der<br />

Armut, <strong>und</strong> viel Arbeit die Ursache des Reichtums sei‘.“25<br />

Ähnlich wie vor ihm bereits John Stuart Mill tritt Rüstow daher für eine strikte Regulierung<br />

von Erbschaften ein, um so die nichtleistungsbezogene Vermögensakkumulation<br />

zu begrenzen, <strong>und</strong> plädiert für ein staatliches Stipendiensystem, das es erlaubt, den<br />

Bildungszugang zu erleichtern <strong>und</strong> den Leistungsausfall studierender Jugendlicher für<br />

ihre Eltern zu kompensieren. Schließlich fordert er ein geeignetes Versicherungswesen,<br />

das den Einzelnen vor den Wechselfällen des Lebens zu schützen in der Lage ist. Regulative<br />

Idee dieser Maßnahmen ist die Herstellung einer „vollkommenen Startgleichheit“,<br />

die sozialem Neid keinerlei Ansatzpunkte mehr liefert.<br />

Soziale Gerechtigkeit als Lohngerechtigkeit<br />

Ein zweites zentrales Themenfeld sozialer Gerechtigkeit stellt die Frage der gerechten<br />

Entlohnung dar. Allerdings geht es hier nicht um eine „Neuauflage“ der mittelalterlichen<br />

Diskussion um den gerechten Lohn, wenngleich die Forderung nach gerechter Entlohnung<br />

durchaus in der Soziallehre <strong>und</strong> der Naturrechtstradition der katholischen Kirche<br />

verwurzelt ist. Ausgangspunkt der sozial-marktwirtschaftlichen Überlegungen bildet die<br />

Überzeugung, dass dem Menschen eine je eigene individuelle Würde zukäme, die es<br />

verbietet, ihn rein als Sache zu behandeln. Wenn für den Menschen in einer Marktgesellschaft<br />

die dauerhafte Sicherung seiner Existenz vom Verkauf seiner Arbeit abhängt,<br />

dann muss der dadurch erzielte Lohn auch zur Sicherung seiner Existenz ausreichen.<br />

Oswald von Nell-Breuning unterscheidet dabei zwischen „Leistungslohn“ <strong>und</strong><br />

„Lebenslohn“. Ersterer folgt einem kausalen Begründungsschema <strong>und</strong> fordert die „gerechte<br />

Entlohnung“ in Abhängigkeit von der jeweils erbrachten Leistung. Letzterer<br />

25 Rüstow (1949), S. 25.<br />

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