Fünftes und sechstes Forum Menschenwürdige Wirtschaftsordnung ...

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28.12.2013 Aufrufe

Institut für Wirtschaftsforschung Halle Gesells Forderung, dem Arbeiter den vollen Ertrag seiner Arbeit zukommen zu lassen17 oder durch die grenzüberschreitende Verteilung von Boden den Weltfrieden zu sichern18 – der Frage nach der Gerechtigkeit wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Es war das spezifisch deutsche System der Sozialen Marktwirtschaft, in dem das Thema „Gerechtigkeit“, verstanden als Forderung nach „sozialer Gerechtigkeit“, erneut zum Gegenstand ökonomischer Betrachtungen wurde und einen systematischen Stellenwert innerhalb der ökonomischen Theoriebildung erlangte. Beeinflusst wurde diese Diskussion um eine soziale Marktwirtschaft zum einen durch die Katholische Soziallehre und insbesondere die Sozialenzyklika Quadragesimo Anno, in der Pius XI. deutlich auf die begrenzten Selbststeuerungskapazitäten einer liberalen Marktwirtschaft und die Notwendigkeit einer auch die Wirtschaft begrenzenden Gesamtlebensordnung verweist: „So wenig die Einheit der menschlichen Gesellschaft gründen kann auf der Gegensätzlichkeit der Klassen, ebenso wenig kann die rechte Ordnung der Wirtschaft dem freien Wettbewerb anheim gegeben werden. Das ist der Grundirrtum der individualistischen Wirtschaftswissenschaft, aus dem all ihre Einzelirrtümer sich ableiten: in Vergessenheit oder Verkennung der gesellschaftlichen wie der sittlichen Natur der Wirtschaft glaubte sie, die öffentliche Gewalt habe der Wirtschaft gegenüber nichts anderes zu tun, als sie frei und ungehindert sich selbst zu überlassen; im Markte, d. h. im freien Wettbewerb, besitze diese ja ihr regulatives Prinzip in sich […]. Die Wettbewerbsfreiheit – obwohl innerhalb der gehörigen Grenzen berechtigt und von zweifellosem Nutzen – kann aber unmöglich regulatives Prinzip der Wirtschaft sein. […] Daher besteht die dringende Notwendigkeit, die Wirtschaft wieder einem echten und durchgreifend regulativen Prinzip zu unterstellen“ (Quadragesimo Anno 1931: Abs. 88). Zum anderen sind es die Krisenerfahrungen der Jahre 1919 und 1929, die damit einhergehenden sozialen und politischen Verwerfungen und die Erkenntnis, dass weder eine liberale Marktwirtschaft noch eine Zentralverwaltungswirtschaft in der Lage seien, die Verteilungsprobleme der Gesellschaft gerecht zu lösen und künftigen Wirtschaftskrisen vorzubeugen. Sozialer Friede, so die Grundüberzeugung der Väter der Sozialen Marktwirtschaft, sei auf das Engste mit einer gerechten Wirtschaftsordnung verbunden. Trotz aller Unterschiede in ihren einzelnen theoretischen Entwürfen eint sie dabei der Glaube an die Vorzugswürdigkeit einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung, die dem einzelnen die freie wirtschaftliche Betätigung erlaubt, da nur so eine bedarfsgerechte Güterund Faktorallokation möglich sei, ihr Eintreten für eine „sozial gerechte“ Wirtschaftsordnung, die soziale Härten vermeidet, eine gerechte Wohlstandsverteilung ermöglicht und letztlich die Wirtschaft in den Dienst des Menschen stellt, und die Vorstellung, dass die Wirtschaft einer „Wettbewerbsordnung“ bedürfe, damit die wirtschaftliche Betätigung des Einzelnen zum Wohle der Gemeinschaft wirksam werde. Allerdings besteht Uneinigkeit, wie weit die Regulierungen des Staates zum Schutz des „Sozialen“ reichen dürfen und wie viel „liberale Wirtschaftsordnung“ mit freien Markt- 17 Vgl. Gesell (1998), S. 10 ff. 18 Vgl. Gesell (1998), S. 55-71. 28

Akademie für Politische Bildung Tutzing kräften aufrechterhalten werden müsse. So plädiert auf der einen Seite Alfred Müller- Armack für eine weitgehende Regulierung wirtschaftlicher Prozesse durch den Staat: „Der Staat hat vielmehr die unbestrittene Aufgabe, über den Staatshaushalt und die öffentlichen Versicherungen die aus dem Marktprozess resultierenden Einkommensströme umzuleiten und soziale Leistungen, wie Kindergeld, Mietbeihilfen, Renten, Pensionen, Sozialsubventionen usw., zu ermöglichen. Das alles gehört zum Wesen dieser Ordnung […]“19, während auf der anderen Seite Ludwig Erhard20 und Wilhelm Röpke für eine weitgehende Enthaltsamkeit staatlicher Ordnungsorgane im wirtschaftlichen Steuerungsprozess plädiert und dem „drohenden“ Wohlfahrtsstaat eine Absage erteilen: „Der Wohlfahrtsstaat von heute […] ist zu einem Instrument der sozialen Revolution geworden, deren Ziel die möglichst vollkommene Gleichheit der Einkommen und Vermögen ist, und damit ist an die Stelle des Mitgefühls der Neid als das beherrschende Motiv getreten.“21 „Je mehr nun dieses Prinzip des Wohlfahrtsstaates ausgedehnt wird, um so näher rückt der Augenblick, da die riesige Pumpmaschine zu einer Täuschung für alle wird, zu einem Selbstzweck, der eigentlich niemandem mehr recht dient außer den davon lebenden Maschinisten, der Sozialbürokratie, die natürlich ein Interesse daran hat, diesen Sachverhalt zu verschleiern.“22 Eine ausufernde Sozialpolitik, so die Annahme Erhards und Röpkes, würde die Eigeninitiative der Marktakteure hemmen und sich so negativ auf deren wirtschaftlichen Leistungswillen und ihre Bereitschaft zur Übernahme persönlicher Verantwortung auswirken: „Wenn dagegen die Bemühungen der Sozialpolitik darauf abzielen, dem Menschen schon von seiner Geburt an volle Sicherheit gegen alle Widrigkeiten des Lebens zu gewährleisten […], dann kann man von solchen Menschen einfach nicht mehr verlangen, dass sie das Maß an Kraft, Leistung, Initiative und anderen besten menschlichen Werten entfalten, das für das Leben und die Zukunft der Nation schicksalhaft ist und darüber hinaus die Voraussetzung einer auf die Initiative der Persönlichkeit begründeten ‚Sozialen Marktwirtschaft’ bietet.“23 Zu den wohl prominentesten Kritikern des Gedankens einer „sozialen Gerechtigkeit“, die in einer Gesamtwirtschaftsordnung zur Geltung gebracht werden solle, zählt zweifelsohne der Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek. Für ihn sind wirtschaftliche Freiheit und Verteilungsgerechtigkeit nicht miteinander in Einklang zu bringen, da es auf Märkten immer „Erfolgreichere“ und „weniger Erfolgreiche“ geben wird. Wer glaubt, Verteilungsgerechtigkeit mit Hilfe politischer Umverteilungsprozesse herbeiführen zu können, verkenne, dass derartigen Prozessen innerhalb von Demokratien stets die Tendenz innewohnt, zum Diktat der Mehrheit der Transferleistungsempfänger über die 19 Müller-Armack (1972), S. 26. 20 Vgl. Erhard (1988), S. 375. 21 Röpke (1979), S. 232. 22 Röpke (1979), S. 243. 23 Erhard (1957), S. 257. 29

Akademie für Politische Bildung Tutzing<br />

kräften aufrechterhalten werden müsse. So plädiert auf der einen Seite Alfred Müller-<br />

Armack für eine weitgehende Regulierung wirtschaftlicher Prozesse durch den Staat:<br />

„Der Staat hat vielmehr die unbestrittene Aufgabe, über den Staatshaushalt <strong>und</strong> die öffentlichen<br />

Versicherungen die aus dem Marktprozess resultierenden Einkommensströme umzuleiten<br />

<strong>und</strong> soziale Leistungen, wie Kindergeld, Mietbeihilfen, Renten, Pensionen, Sozialsubventionen<br />

usw., zu ermöglichen. Das alles gehört zum Wesen dieser Ordnung […]“19,<br />

während auf der anderen Seite Ludwig Erhard20 <strong>und</strong> Wilhelm Röpke für eine weitgehende<br />

Enthaltsamkeit staatlicher Ordnungsorgane im wirtschaftlichen Steuerungsprozess<br />

plädiert <strong>und</strong> dem „drohenden“ Wohlfahrtsstaat eine Absage erteilen:<br />

„Der Wohlfahrtsstaat von heute […] ist zu einem Instrument der sozialen Revolution<br />

geworden, deren Ziel die möglichst vollkommene Gleichheit der Einkommen <strong>und</strong><br />

Vermögen ist, <strong>und</strong> damit ist an die Stelle des Mitgefühls der Neid als das beherrschende<br />

Motiv getreten.“21 „Je mehr nun dieses Prinzip des Wohlfahrtsstaates ausgedehnt wird,<br />

um so näher rückt der Augenblick, da die riesige Pumpmaschine zu einer Täuschung für<br />

alle wird, zu einem Selbstzweck, der eigentlich niemandem mehr recht dient außer den<br />

davon lebenden Maschinisten, der Sozialbürokratie, die natürlich ein Interesse daran hat,<br />

diesen Sachverhalt zu verschleiern.“22<br />

Eine ausufernde Sozialpolitik, so die Annahme Erhards <strong>und</strong> Röpkes, würde die Eigeninitiative<br />

der Marktakteure hemmen <strong>und</strong> sich so negativ auf deren wirtschaftlichen<br />

Leistungswillen <strong>und</strong> ihre Bereitschaft zur Übernahme persönlicher Verantwortung auswirken:<br />

„Wenn dagegen die Bemühungen der Sozialpolitik darauf abzielen, dem Menschen schon<br />

von seiner Geburt an volle Sicherheit gegen alle Widrigkeiten des Lebens zu gewährleisten<br />

[…], dann kann man von solchen Menschen einfach nicht mehr verlangen, dass sie<br />

das Maß an Kraft, Leistung, Initiative <strong>und</strong> anderen besten menschlichen Werten entfalten,<br />

das für das Leben <strong>und</strong> die Zukunft der Nation schicksalhaft ist <strong>und</strong> darüber hinaus die<br />

Voraussetzung einer auf die Initiative der Persönlichkeit begründeten ‚Sozialen Marktwirtschaft’<br />

bietet.“23<br />

Zu den wohl prominentesten Kritikern des Gedankens einer „sozialen Gerechtigkeit“,<br />

die in einer Gesamtwirtschaftsordnung zur Geltung gebracht werden solle, zählt zweifelsohne<br />

der Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek. Für ihn sind wirtschaftliche Freiheit<br />

<strong>und</strong> Verteilungsgerechtigkeit nicht miteinander in Einklang zu bringen, da es auf<br />

Märkten immer „Erfolgreichere“ <strong>und</strong> „weniger Erfolgreiche“ geben wird. Wer glaubt,<br />

Verteilungsgerechtigkeit mit Hilfe politischer Umverteilungsprozesse herbeiführen zu<br />

können, verkenne, dass derartigen Prozessen innerhalb von Demokratien stets die<br />

Tendenz innewohnt, zum Diktat der Mehrheit der Transferleistungsempfänger über die<br />

19 Müller-Armack (1972), S. 26.<br />

20 Vgl. Erhard (1988), S. 375.<br />

21 Röpke (1979), S. 232.<br />

22 Röpke (1979), S. 243.<br />

23 Erhard (1957), S. 257.<br />

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