Fünftes und sechstes Forum Menschenwürdige Wirtschaftsordnung ...

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28.12.2013 Aufrufe

Institut für Wirtschaftsforschung Halle einzelne Geschäftspraktiken, die hinsichtlich ihrer moralischen Qualität durchleuchtet werden, beginnt mit Adam Smith die systematische Analyse der ökonomischen Handlungssphäre als Ganzes. In einem System der natürlichen Freiheit, so glaubt Adam Smith, führe die prästabilierte Harmonie des Weltganzen dazu, dass die widerstreitenden und von Selbstsucht getriebenen Handlungsweisen der einzelnen Gesellschaftsmitglieder ganz von selbst zum Wohle aller wirksam würden. Adam Smith spricht von der „Täuschung der Natur“, die den Einzelnen dazu bringe, während er glaubt, nur seinen eigenen Interessen zu dienen, doch seinen Beitrag zur Gesamtwohlfahrt zu leisten.13 Seinen Ausdruck findet dieser Glaube in der berühmt gewordenen Metapher von der invisible hand, die ganz beiläufig, neben einer effizienten Güter- und Faktorallokation, auch ein Mindestmaß an „sozialem Ausgleich“ bewirkt: „Es ist vergebens, dass der stolze und gefühllose Grundherr seinen Blick über seine ausgedehnten Felder schweifen lässt und ohne einen Gedanken an die Bedürfnisse seiner Brüder in seiner Phantasie die ganze Ernte, die auf diesen Feldern wächst, selbst verzehrt. […] Das Fassungsvermögen seines Magens steht in keinem Verhältnis zu der maßlosen Größe seiner Begierden, ja, sein Magen wird nicht mehr aufnehmen können als der des geringsten Bauern. Den Rest muss er unter diejenigen verteilen, die auf das sorgsamste das Wenige zubereiten, das er braucht, unter diejenigen, die den Palast einrichten und instandhalten, in welchem dieses Wenige verzehrt werden soll [...]; sie alle beziehen so von seinem Luxus und seiner Launenhaftigkeit einen Teil an lebensnotwendigen Gütern, den sie sonst vergebens von seiner Menschlichkeit oder von seiner Gerechtigkeit erwartet hätten. [...] Von einer unsichtbaren Hand werden sie [die Reichen] dahin geführt, beinahe die gleiche Verteilung der zum Leben notwendigen Güter zu verwirklichen, die zustande gekommen wäre, wenn die Erde zu gleichen Teilen unter alle ihre Bewohner verteilt worden wäre; und so fördern sie, ohne es zu beabsichtigen, ja ohne es zu wissen, das Interesse der Gesellschaft [...]. Als die Vorsehung die Erde unter eine geringe Zahl von Herren und Besitzern verteilte, da hat sie diejenigen, die sie scheinbar bei ihrer Teilung übergangen hat, doch nicht vergessen und nicht ganz verlassen.“14 Smith geht davon aus, dass das Prinzip invisible hand prinzipiell auch dafür Sorge trage, dass der wirtschaftliche Wohlstand einer Nation auch den ärmeren Bevölkerungsschichten zugutekomme, was im Einzelfall jedoch nicht bedeutet, dass die Verteilung des allgemeinen Reichtums stets gerecht zugehe. So führt Smith in einer seiner Vorlesung aus: „Die Teilung des Reichtums erfolgt nicht entsprechend der Arbeit. Der Reichtum des Kaufmanns ist größer als derjenige all seiner Angestellten, obwohl er weniger arbeitet […]. Der Handwerker, der ungezwungen zu Hause arbeitet, hat weit mehr als der arme ungelernte Arbeiter, der sich ohne Rast abmüht. So hat jener, der sozusagen die Last der Gesellschaft trägt, am wenigsten Vorteile.“15 Dennoch glaubt Smith, dass die so durch eine arbeitsteilige Wirtschaftsweise entstandenen Ungerechtigkeiten um der hieraus resultierenden Vorteile willen in Kauf zu 13 Vgl. Smith (1985), S. 310-315. 14 Smith (1985), S. 315 ff. 15 Smith (1996), S. 180. 26

Akademie für Politische Bildung Tutzing nehmen seien. Denn letztlich profitiert auch der gesellschaftlich am schlechtesten Gestellte vom allgemein hohen Wohlstandsniveau. „[So] […] hat ein Tagelöhner in Großbritannien mehr Wohlstand in seiner Lebensweise als ein indianischer Häuptling. [...] Bei einem wilden Volk genießt zwar ein jeder die ganzen Früchte seiner eigenen Arbeit, doch ist seine Dürftigkeit größer als irgendwo sonst. Es ist die Arbeitsteilung, die den Reichtum eines Landes vermehrt.”16 Im weiteren Verlauf der theoriegeschichtlichen Entwicklung wird „Gerechtigkeit“ als Kategorie menschlichen Handelns sukzessive aus dem Fokus der ökonomischen Betrachtungen ausgeblendet. Allenfalls innerhalb der Wohlfahrtstheorie spielt die „gerechte“ Güter- und Einkommensverteilung noch eine gewisse Rolle. Sahen sich die meisten der großen klassischen Ökonomen, wie etwa Adam Smith oder John Stuart Mill, durchaus auch als „Philosophen“, und war es ihr Bestreben, mit Hilfe der Erforschung ökonomischer Gesetzmäßigkeiten vor allem auch soziale Probleme zu lösen und für eine gerechtere Wohlstandsverteilung zu sorgen, tritt dieses Anliegen mit der so genannten „marginalistischen Revolution“ innerhalb der ökonomischen Wissenschaften in den Hintergrund. In der allein auf Grenznutzen- und Grenzkostenüberlegungen basierenden Modellwelt der modernen Ökonomen haben Fragen nach der Moral der einzelwirtschaftlichen Akteure oder nach der Angemessenheit der Verteilungsergebnisse keinen Platz, da sie sich den mathematischen Methoden zur Analyse wirtschaftlichen Verhaltens in Form idealisierter und aggregierter Kosten-Nutzen-Funktionen entziehen. Die Frage nach der „gerechten“ Verteilung wird auf einen „pareto-effizienten“ Verteilungszustand reduziert, in dem kein Gesellschaftsmitglied mehr besser gestellt werden kann, ohne dabei zugleich mindestens einen anderen schlechter zu stellen, ohne dass dabei beispielsweise die Ausgangsverteilung unter den Gesellschaftsmitgliedern berücksichtigt würde. Damit aber verabschiedet sich die Gerechtigkeit als Kategorie aus den Denkansätzen der Ökonomen – zumindest vorläufig. Von der Gerechtigkeit zur „sozialen“ Gerechtigkeit Während sich vor allem die Neoklassik in ihre zunehmend ausgefeilteren Modellwelten zurückzuziehen begann, zeigten auf der anderen Seite die praktischen Erfahrungen mit den großen Wirtschaftskrisen von 1919 und 1929, dass die Annahmen der neoklassischen Ökonomie nur bedingt tauglich waren, um reale wirtschaftliche Probleme zu lösen. Die Hyperinflation in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und die tiefe Depression zu Beginn der 1930er Jahre waren die Zeit der „Gegenentwürfe“, in der alternative Modelle, wie etwa John Maynard Keynes’ „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ oder Silvio Gesells „Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld“, entstanden. Doch trotz aller Kritik an den etablierten Modellen und Paradigmen der Neoklassik wurde auch hier – abgesehen von einigen „politischen“ Kampfparolen, wie etwa 16 Smith (1996), S. 562 f. 27

Institut für Wirtschaftsforschung Halle<br />

einzelne Geschäftspraktiken, die hinsichtlich ihrer moralischen Qualität durchleuchtet<br />

werden, beginnt mit Adam Smith die systematische Analyse der ökonomischen Handlungssphäre<br />

als Ganzes. In einem System der natürlichen Freiheit, so glaubt Adam Smith,<br />

führe die prästabilierte Harmonie des Weltganzen dazu, dass die widerstreitenden <strong>und</strong> von<br />

Selbstsucht getriebenen Handlungsweisen der einzelnen Gesellschaftsmitglieder ganz von<br />

selbst zum Wohle aller wirksam würden. Adam Smith spricht von der „Täuschung der<br />

Natur“, die den Einzelnen dazu bringe, während er glaubt, nur seinen eigenen Interessen<br />

zu dienen, doch seinen Beitrag zur Gesamtwohlfahrt zu leisten.13<br />

Seinen Ausdruck findet dieser Glaube in der berühmt gewordenen Metapher von der<br />

invisible hand, die ganz beiläufig, neben einer effizienten Güter- <strong>und</strong> Faktorallokation,<br />

auch ein Mindestmaß an „sozialem Ausgleich“ bewirkt:<br />

„Es ist vergebens, dass der stolze <strong>und</strong> gefühllose Gr<strong>und</strong>herr seinen Blick über seine<br />

ausgedehnten Felder schweifen lässt <strong>und</strong> ohne einen Gedanken an die Bedürfnisse seiner<br />

Brüder in seiner Phantasie die ganze Ernte, die auf diesen Feldern wächst, selbst verzehrt.<br />

[…] Das Fassungsvermögen seines Magens steht in keinem Verhältnis zu der maßlosen<br />

Größe seiner Begierden, ja, sein Magen wird nicht mehr aufnehmen können als der des<br />

geringsten Bauern. Den Rest muss er unter diejenigen verteilen, die auf das sorgsamste<br />

das Wenige zubereiten, das er braucht, unter diejenigen, die den Palast einrichten <strong>und</strong><br />

instandhalten, in welchem dieses Wenige verzehrt werden soll [...]; sie alle beziehen so<br />

von seinem Luxus <strong>und</strong> seiner Launenhaftigkeit einen Teil an lebensnotwendigen Gütern,<br />

den sie sonst vergebens von seiner Menschlichkeit oder von seiner Gerechtigkeit erwartet<br />

hätten. [...] Von einer unsichtbaren Hand werden sie [die Reichen] dahin geführt, beinahe<br />

die gleiche Verteilung der zum Leben notwendigen Güter zu verwirklichen, die zustande<br />

gekommen wäre, wenn die Erde zu gleichen Teilen unter alle ihre Bewohner verteilt<br />

worden wäre; <strong>und</strong> so fördern sie, ohne es zu beabsichtigen, ja ohne es zu wissen, das<br />

Interesse der Gesellschaft [...]. Als die Vorsehung die Erde unter eine geringe Zahl von<br />

Herren <strong>und</strong> Besitzern verteilte, da hat sie diejenigen, die sie scheinbar bei ihrer Teilung<br />

übergangen hat, doch nicht vergessen <strong>und</strong> nicht ganz verlassen.“14<br />

Smith geht davon aus, dass das Prinzip invisible hand prinzipiell auch dafür Sorge trage,<br />

dass der wirtschaftliche Wohlstand einer Nation auch den ärmeren Bevölkerungsschichten<br />

zugutekomme, was im Einzelfall jedoch nicht bedeutet, dass die Verteilung des<br />

allgemeinen Reichtums stets gerecht zugehe. So führt Smith in einer seiner Vorlesung aus:<br />

„Die Teilung des Reichtums erfolgt nicht entsprechend der Arbeit. Der Reichtum des<br />

Kaufmanns ist größer als derjenige all seiner Angestellten, obwohl er weniger arbeitet<br />

[…]. Der Handwerker, der ungezwungen zu Hause arbeitet, hat weit mehr als der arme<br />

ungelernte Arbeiter, der sich ohne Rast abmüht. So hat jener, der sozusagen die Last der<br />

Gesellschaft trägt, am wenigsten Vorteile.“15<br />

Dennoch glaubt Smith, dass die so durch eine arbeitsteilige Wirtschaftsweise entstandenen<br />

Ungerechtigkeiten um der hieraus resultierenden Vorteile willen in Kauf zu<br />

13 Vgl. Smith (1985), S. 310-315.<br />

14 Smith (1985), S. 315 ff.<br />

15 Smith (1996), S. 180.<br />

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