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Noch einmal möchte ich diesen zentralen Schrei Péguys mit einigen Zeilen aus<br />
seinen „Nota Conjuncta“ festhalten. Er schreibt über die Partei der Frommen:<br />
„Weil sie nicht die Kraft (<strong>und</strong> nicht die Gnade) haben, der Natur anzugehören,<br />
glauben sie, daß sie der Gnade angehören. Weil sie keinen zeitlichen Mut haben,<br />
glauben sie, daß sie schon begonnen hätten, das Ewige zu durchdringen. Weil sie<br />
nicht den Mut haben, von der Welt zu sein, glauben sie, daß sie Gottes seien.<br />
Weil sie nicht den Mut haben, einer der Parteien des Menschen anzugehören,<br />
glauben sie, daß sie von der Partei Gottes seien. Weil sie nicht des Menschen<br />
sind, glauben sie, Gottes zu sein. Weil sie niemand lieben, glauben sie, Gott zu<br />
lieben.“<br />
Wie Solidarnosc in Polen hißte auch Péguy die Fahne der Solidarität. Seine Provokation<br />
ist prophetisch <strong>und</strong> bleibt gültig. Noch heute kann uns der Zentralbegriff<br />
seines eindrucksvollen Notrufs berühren. Und was der Dichter aus ihm las,<br />
wird den Frommen zum Apostel – oder ihm Angst machen.<br />
Zur Wurzel des Begriffs „Solidarität“<br />
Péguys Gleichsetzung von Solidarität <strong>und</strong> Nächstenliebe sollten wir allerdings<br />
noch prüfen <strong>und</strong> nicht naiv nachsprechen. Besonders weil nicht alle Zeitgenossen<br />
heute diesen Begriff mit Péguys Gedanken füllen. Inhalte von Begriffen sind ja<br />
nicht beliebig zu definieren. Etymologie lehrt uns, ihren Gebrauch nicht willkürlich<br />
zu handhaben. Das wäre eine Art von begrifflichem Nominalismus, der<br />
Verwirrung stiftet. Wohl mögen Worte im Laufe der Geschichte zusätzliche<br />
Inhalte aufnehmen. Dennoch tragen sie auch die Konnotationen ihres Ursprungs.<br />
Darum muß uns der geschichtliche Prozeß interessieren, der den Begriff Solidarität<br />
hervorbrachte.<br />
Auguste Comte (†1857) verwendete den Begriff solidarité in seinen Schriften zur<br />
Bezeichnung gegenseitiger Abhängigkeit zwischen Menschen <strong>und</strong> zwischen<br />
Menschengruppen. Klares Profil bekam er dann durch die Veröffentlichungen<br />
von Pierre Lerou (†1871), der ihn mit folgenden Worten deutet: „Ich habe <strong>als</strong><br />
erster den Begriff solidarité der Rechtssprache entlehnt, um ihn in die Philosophie<br />
einzuführen, d.h. nach meiner Vorstellung in die Religion: Ich wollte die<br />
charité des Christentums durch die Solidarietas der Menschen ersetzen.“ In<br />
seinem großen Werk „De l’Humanité – Über die Menschheit“ entwickelt er in<br />
seinem IV. Buch die „Gegenseitige Solidarität der Menschen“. Sie muß die<br />
christliche Liebe ersetzen, damit die Menschheit das Christentum hinter sich<br />
lassen kann: „Das Christentum ist die größte Religion der Vergangenheit; aber es<br />
gibt etwas Größeres <strong>als</strong> das Christentum: die Menschheit.“ Die Überwindung der<br />
christlichen Liebe ist nötig, da sie selbst gescheitert ist – in der Praxis, wie es<br />
evident ist; aber noch klarer in der Theorie, wenn man das Durcheinander <strong>und</strong><br />
die Gegnerschaft der drei verschiedenen Gegenstände beachtet, die nach christlichem<br />
Gebot zu lieben sind: Gott – der Nächste – sich selbst. „Drei Begriffe so<br />
durch Addition <strong>und</strong> Bündelung zusammenzuziehen, bedeutet nicht, sie zu begründen<br />
oder sie zu vereinigen. So hat sich die christliche Theologie geirrt.“ Die<br />
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