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28.12.2013 Aufrufe

Trend der Zeit verhieß sie eine wissenschaftlich objektive, von jeder äußeren Autorität freie Bibelinterpretation. So wurde die historisch-kritische Exegese auf evangelischer wie katholischer Seite zum Steigbügelhalter einer antikirchlichen Theologie, weil sie 2000 Jahre Kirchengeschichte überspringen konnte, um nur den reinen Schrifttext gelten zu lassen und zur Norm zu erheben. Man brauchte nun nicht mehr die Kirche, um Christ zu sein, denn die Bibel genügte, gleich ob im Urtext oder in der Übersetzung. Man mußte nur den Bibeltext historischkritisch untersuchen, und schon kam man ganz von selbst zur allein sinnvollen Übersetzung. Heute wissen wir, daß dies eine Illusion war. Denn es gibt keine objektive, endgültige Übersetzung (vgl. J. Ratzinger, Schriftauslegung im Widerstreit, Freiburg 1989, 15-44). Wer strenggenommen nur den biblischen Urtext zum Maß seines Handelns machen will, muß die islamische Lösung wählen, nämlich nur noch den Urtext lesen und auf jede Übersetzung verzichten, so wie für Moslems nur der arabische Koran geradezu als inkarniertes Gotteswort Gültigkeit hat. Damit wäre allerdings das Gotteswort im Urtext erstarrt, zwischen zwei Buchdeckeln weggeschlossen und für immer unerreichbar. Wenn man dies jedoch nicht will, muß man sich zur Erkenntnis durchringen, daß die Bibel immer wieder übersetzt werden muß und überhaupt nur in dieser fortlaufenden, prinzipiell nie zu Ende kommenden Auslegungs- und Übersetzungstradition existiert. In diese Auslegungstradition gehört die Vulgata genauso wie die Lutherübersetzung hinein. Daneben gibt es noch tausend andere Übersetzungen. Aber welche Übersetzung ist richtig? Die Katholiken halten die Vulgata, die Lutheraner ihren Luthertext für richtiger. Also kommt die Kirche als Entscheidungsinstanz ins Spiel, und zwar ausdrücklich auch bei Protestanten. Die protestantische Maxime „Sola Scriptura“ ist recht besehen ein hohler Anspruch, weil es die Schrift im Glashaus gar nicht gibt, sondern immer nur in der Hand der Katholiken, der Lutheraner, der Zwinglianer u.s.w. Bibel ist also nicht Bibel. Die Schrift erklärt sich gerade nicht selbst. Sie ist sogar völlig hilflos den Interpreten ausgeliefert. Frau Schmoll sagt es selbst: „Sprachunterschiede führen zu erheblichen Sinndifferenzen“. Die Zersplitterung der Evangelischen in alle möglichen Gruppierungen und Gemeinschaften geht ja gerade auf ihre unterschiedlichen Auslegungen der Schrift zurück. Es ist also jede einzelne kirchliche Gemeinschaft, die mit mehr oder weniger Verbindlichkeit ihren Schrifttext festlegt. Das „Sola-Scriptura“ ist mithin eine Chimäre, ein theologischer Zaubertrick, mit der sich die EKD einredet, sie würde sich aus der Schriftinterpretation heraushalten. Das tut sie gerade nicht, wie man bei ihrer Verordnung der Lutherbibel und ihrer Ablehnung der Einheitsübersetzung sieht, die sie autoritativ als „Kirche“ vorgenommen hat. Evangelische Exegeten, die an der Revision mitarbeiten wollten, dürfen dies nun nicht mehr tun. Die „Kirche“ steht also auch auf evangelischer Seite über der Schrift. Frau Schmoll drückt es so aus: „Die Bibel bleibt die Grundlage beider Kirchen, ihre Auslegung und ihre Bedeutung für Lehre und Amts- und Kirchenverständnis entzweien sie.“ Noch ehrlicher wäre es, wenn sie ihre wirkliche Alternative formulieren würde: daß sie nämlich nicht die Lehrau- 60

torität der katholischen Kirche über den Bibeltext anerkennen will, sondern nur die Lehrautorität der „Evangelischen Kirche in Deutschland“. Es gibt keine lupenreine, sozusagen objektive Übersetzung der Bibel in direktem Zugriff auf den Urtext. Man kann nicht die Bibel so übersetzen, als hätte es die Vulgata und den Luthertext nie gegeben oder als würde es die Kirche nicht geben. Im Kern geht es doch darum, daß eine neue deutsche Übersetzung nach heutigem Wissenschaftsniveau den Urtext zur Grundlage macht, aber selbstverständlich bereits vorliegende Übersetzungen zu Hilfe nimmt. Wieso soll also die katholische Kirche nicht die Vulgata als Referenzpunkt ihrer theologischen und spirituellen Tradition zu Rate ziehen? Hieronymus hat immerhin anhand des hebräischen und griechischen Urtextes des Alten und Neuen Testaments seine Übersetzung angefertigt. Dabei hat er für das Alte Testament auch alle verfügbaren griechischen Übersetzungen berücksichtigt (Hexapla). Er beherrschte Hebräisch und Griechisch. Die Vulgata steht also auf festem wissenschaftlichem Boden. Nun haben unsere evangelischen Freunde kalte Füße bekommen. Dramatisch ist ihr Rückzug nicht, enttäuschend ist er schon. Hätte man einfach gesagt, die Einheitsübersetzung sei zu schlecht, um sie benutzen zu können, hätte das jeder akzeptiert. Es wäre aber auch ein Grund mehr gewesen, bei der geplanten Revision mitzumachen. So sieht die Absage nach Kneifen aus. Es ist in der Geschichte ökumenischer Zusammenarbeit m. W. das erste Mal, daß eine Kommission von einer der beiden Seiten aufgekündigt wurde. Man versteht nicht warum. 1978 war es der EKD guten Gewissens möglich, an der Einheitsübersetzung mitzuarbeiten und sie gutzuheißen, ohne sie zu ihrem offiziellen Bibeltext zu machen, was auch niemand verlangt hatte. Was hat sich denn geändert, daß dies nun nicht mehr möglich sein sollte? Damals hat die deutsche, schweizerische und österreichische Bischofskonferenz den Text approbiert. Reagiert die EKD jetzt so allergisch, weil für die revidierte Fassung der Papst die approbierende Instanz sein wird (Nr. 80)? Überrascht es unsere evangelischen Freunde, daß wir einen Papst als oberstes Lehramt haben? Könnte das nicht auch Vorteile haben? War es nicht gerade der Papst, der sich seinerzeit für die Rechtfertigungserklärung eingesetzt hat, als die Positionen festgefahren waren? Traut man ihm nach der Begegnung in Köln keinen ökumenischen Willen zu? Wenn aber in Zukunft der Papst substantielle Änderungen am Text verlangen sollte, dann sicher nur in Einzelfällen. Schon in der vorliegenden Einheitsübersetzung wurden Problemfälle in den Fußnoten angezeigt. Enttäuschend ist die jetzt eingetretene Situation auch deshalb, weil es gerade die Leistung einer Revision der Einheitsübersetzung hätte sein können, Sprachformen zu finden, die sowohl dem katholischen wie dem evangelischen Anliegen gerecht würden. Die Einheitsübersetzung selbst war bereits ein Schritt auf diesem Weg. Es hat in letzter Zeit eine Reihe neuer Konsenserklärungen zwischen der katholischen Kirche und der EKD und dem VELKD gegeben. Was hätte näher gelegen, auf dem Hintergrund solcher Annäherungsbewegungen, die ja immer auch auf der Relecture der Heiligen Schrift beruht haben, nun eine theologisch und sachlich gereifte Fassung der Einheitsübersetzung vorzulegen? 61

Trend der Zeit verhieß sie eine wissenschaftlich objektive, von jeder äußeren<br />

Autorität freie Bibelinterpretation. So wurde die historisch-kritische Exegese auf<br />

evangelischer wie katholischer Seite zum Steigbügelhalter einer antikirchlichen<br />

Theologie, weil sie 2000 Jahre Kirchengeschichte überspringen konnte, um nur<br />

den reinen Schrifttext gelten zu lassen <strong>und</strong> zur Norm zu erheben. Man brauchte<br />

nun nicht mehr die Kirche, um Christ zu sein, denn die Bibel genügte, gleich ob<br />

im Urtext oder in der Übersetzung. Man mußte nur den Bibeltext historischkritisch<br />

untersuchen, <strong>und</strong> schon kam man ganz von selbst zur allein sinnvollen<br />

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Heute wissen wir, daß dies eine Illusion war. Denn es gibt keine objektive, endgültige<br />

Übersetzung (vgl. J. Ratzinger, Schriftauslegung im Widerstreit, Freiburg<br />

1989, 15-44). Wer strenggenommen nur den biblischen Urtext zum Maß seines<br />

Handelns machen will, muß die islamische Lösung wählen, nämlich nur noch<br />

den Urtext lesen <strong>und</strong> auf jede Übersetzung verzichten, so wie für Moslems nur<br />

der arabische Koran geradezu <strong>als</strong> inkarniertes Gotteswort Gültigkeit hat. Damit<br />

wäre allerdings das Gotteswort im Urtext erstarrt, zwischen zwei Buchdeckeln<br />

weggeschlossen <strong>und</strong> für immer unerreichbar. Wenn man dies jedoch nicht will,<br />

muß man sich zur Erkenntnis durchringen, daß die Bibel immer wieder übersetzt<br />

werden muß <strong>und</strong> überhaupt nur in dieser fortlaufenden, prinzipiell nie zu Ende<br />

kommenden Auslegungs- <strong>und</strong> Übersetzungstradition existiert. In diese Auslegungstradition<br />

gehört die Vulgata genauso wie die Lutherübersetzung hinein.<br />

Daneben gibt es noch tausend andere Übersetzungen.<br />

Aber welche Übersetzung ist richtig? Die Katholiken halten die Vulgata, die<br />

Lutheraner ihren Luthertext für richtiger. Also kommt die Kirche <strong>als</strong> Entscheidungsinstanz<br />

ins Spiel, <strong>und</strong> zwar ausdrücklich auch bei Protestanten. Die protestantische<br />

Maxime „Sola Scriptura“ ist recht besehen ein hohler Anspruch, weil<br />

es die Schrift im Glashaus gar nicht gibt, sondern immer nur in der Hand der<br />

Katholiken, der Lutheraner, der Zwinglianer u.s.w. Bibel ist <strong>als</strong>o nicht Bibel. Die<br />

Schrift erklärt sich gerade nicht selbst. Sie ist sogar völlig hilflos den Interpreten<br />

ausgeliefert. Frau Schmoll sagt es selbst: „Sprachunterschiede führen zu erheblichen<br />

Sinndifferenzen“. Die Zersplitterung der Evangelischen in alle möglichen<br />

Gruppierungen <strong>und</strong> Gemeinschaften geht ja gerade auf ihre unterschiedlichen<br />

Auslegungen der Schrift zurück. Es ist <strong>als</strong>o jede einzelne kirchliche Gemeinschaft,<br />

die mit mehr oder weniger Verbindlichkeit ihren Schrifttext festlegt.<br />

Das „Sola-Scriptura“ ist mithin eine Chimäre, ein theologischer Zaubertrick, mit<br />

der sich die EKD einredet, sie würde sich aus der Schriftinterpretation heraushalten.<br />

Das tut sie gerade nicht, wie man bei ihrer Verordnung der Lutherbibel <strong>und</strong><br />

ihrer Ablehnung der Einheitsübersetzung sieht, die sie autoritativ <strong>als</strong> „Kirche“<br />

vorgenommen hat. Evangelische Exegeten, die an der Revision mitarbeiten wollten,<br />

dürfen dies nun nicht mehr tun. Die „Kirche“ steht <strong>als</strong>o auch auf evangelischer<br />

Seite über der Schrift. Frau Schmoll drückt es so aus: „Die Bibel bleibt die<br />

Gr<strong>und</strong>lage beider Kirchen, ihre Auslegung <strong>und</strong> ihre Bedeutung für Lehre <strong>und</strong><br />

Amts- <strong>und</strong> Kirchenverständnis entzweien sie.“ Noch ehrlicher wäre es, wenn sie<br />

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