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3. Zur Frage der moralischen Legitimität von Folterandrohungen<br />
Obwohl der sog. Fall Daschner auch eine ganze Reihe höchst interessanter juristischer<br />
Fragen aufwirft 44 , scheint seine eigentliche Brisanz auf moralischem<br />
Gebiet zu liegen. Rein rechtlich ist klar, daß Daschner gegen positive polizeigesetzliche<br />
Bestimmungen verstoßen hat <strong>und</strong> dafür auch rechtlich sanktioniert<br />
werden muß. Um jedoch beurteilen zu können, wie sein Vorgehen moralisch zu<br />
beurteilen ist, müssen wir uns kurz die damalige Situation vergegenwärtigen:<br />
Daschner hatte in einem Aktenvermerk vom 1. Oktober 2002 angeordnet, der<br />
der Kindesentführung dringend tatverdächtige Jurastudent Magnus Gäfgen sei<br />
„nach vorheriger Androhung, unter ärztlicher Aufsicht, durch Zufügung von<br />
Schmerzen (keine Verletzung) erneut zu befragen“, um so das akut bedroht geglaubte<br />
Leben des elfjährigen Jakob von Metzler zu retten. Der vernehmende<br />
Polizeibeamte soll dem Beschuldigten daraufhin den Ernst der Lage verdeutlicht<br />
<strong>und</strong> darauf hingewiesen haben, daß „per Hubschrauber ein Experte eingeflogen<br />
werde, der ih m Schmerzen zufügen werde, wie er sie noch nie verspürt habe“.<br />
Wenig später gab Gäfgen dann den Aufenthaltsort 45 des von ihm bereits ermo r-<br />
deten Entführungsopfers bekannt.<br />
Viele Kommentatoren des Geschehens haben in der prekären Situation, in die<br />
Wolfgang Daschner durch das hartnäckige Schweigen des Täters gebracht worden<br />
ist, ein Musterbeispiel für eine sog. tragic choice-Situation sehen wollen.<br />
Tragisch sei die von Daschner zu treffende Wahl deshalb, weil sie – ganz gleich<br />
wie er sich entscheide – auf die Verletzung tendentiell gleichwertiger Normen<br />
hinauslaufe. Danach mußte Daschner gewissermaßen zwangsläufig entweder an<br />
den Rechten des Täters oder an denjenigen des Entführungsopfers schuldig werden.<br />
Stimmt das tatsächlich?<br />
Ich glaube, daß bei aller psychologischen Schwierigkeit der Situation von einer<br />
echten moralischen Tragik keine Rede sein kann. Tatsächlich liegen nämlich die<br />
konfligierenden Verpflichtungen, die Daschner dem Entführer auf der einen <strong>und</strong><br />
dem Entführungsopfer auf der anderen Seite gegenüber hat, nicht auf derselben<br />
Ebene. Obwohl es selbstverständlich zutrifft, daß der Begriff der Menschenwürde<br />
neben einem Achtungs- auch einen Schutzaspekt beinhaltet, der gerade im<br />
Blick auf das Handeln des Staates <strong>und</strong> seiner Organe nicht übersehen werden<br />
darf, kommt der gebotenen Achtung, die sich primär in bestimmten Unterlassungshandlungen<br />
äußert, doch ein eindeutiger Primat zu. Noch vor allen positiven<br />
Hilfsmaßnahmen zum Schutze des Entführungsopfers ist der Repräsentant<br />
staatlicher Gewalt daher zur Achtung der Würde aller Beteiligten verpflichtet.<br />
Da auch ein krimineller Kindesentführer durch sein verbrecherisches Handeln<br />
keineswegs seiner Würde verlustig geht, sowohl Opfer wie Täter mithin Träger<br />
derselben Menschenwürde sind, besteht die erste <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>legende Pflicht des<br />
Staates darin, all jene Handlungen zu unterlassen, die mit der Achtung vor der<br />
menschlichen Würde schlechthin unvereinbar sind. Der moralisch notwendige<br />
Verzicht auf die Folterung des Täters verstößt folglich auch nicht gegen ein<br />
Schutzrecht des Opfers, da sich der moralisch gebotene Schutz, auf den dieser<br />
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