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Wie wenig es sich bei der mittlerweile entstandenen Kontroverse um einen rein<br />
akademischen Disput im elfenbeinernen Turm der Wissenschaft handelt, wird<br />
sofort deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß der frühere niedersächsische<br />
Ministerpräsident Ernst Albrecht schon im Jahre 1976 in seinem Buch „Der<br />
Staat“ 16 die Frage aufgeworfen hatte, ob Folter im Kampf gegen Terroristen<br />
nicht „sittlich geboten“ sein könne, <strong>und</strong> der Große Krisenstab während der<br />
Schleyer-Entführung im Jahre 1977 darüber diskutiert hat, ob man mit Gewalt<br />
gegen inhaftierte RAF-Mitglieder vorgehen dürfe.<br />
Zumal unter den derzeitigen Bedingungen eines internationalen ‚Kriegs gegen<br />
den Terrorismus‘ wird <strong>als</strong>o derjenige gute Gründe ins Feld führen müssen, der<br />
auch <strong>und</strong> gerade im Blick auf die Rettungsfolter für ein absolutes Folterverbot<br />
eintritt. Um zu zeigen, welche Gründe das sein können <strong>und</strong> welche Überlegungen<br />
dafür offenbar ungeeignet sind, werde ich im folgenden drei verschiedene<br />
Argumentationsstrategien skizzieren, von denen ich die beiden ersten jedoch für<br />
wenig überzeugend erachte.<br />
2.1 Die rechtsstaatliche Begründungsvariante:<br />
Ein erster Argumentationstyp zugunsten eines absoluten Folterverbots begegnet<br />
uns geradezu mustergültig in den Arbeiten des Hamburger Literatur- <strong>und</strong> Sozialwissenschaftlers<br />
Jan Philipp Reemtsma, der sich wiederholt in die aktuelle<br />
Folterdebatte eingeschaltet hat. 17 Reemtsma zufolge besteht „der gravierendste<br />
Fehler, der in der gegenwärtigen Diskussion unterläuft“ darin, „die Frage nach<br />
dem Verbot der Folter für eine moralische Frage zu halten“. 18 Da es <strong>hier</strong>bei jedoch<br />
„nicht um Regeln für das Verhalten Einzelner <strong>und</strong> ihr Verhalten im Einzelfall,<br />
sondern um die Verfassung des Gemeinwesens“ gehe, gehöre das Verbot<br />
der Folter „nicht in den Bereich der Moralität, sondern in den der Sittlichkeit“. 19<br />
Entsprechend scheut sich Reemtsma denn auch nicht, die seinerzeit von Niklas<br />
Luhmann in seinem Heidelberger Vortrag „Gibt es in unserer Gesellschaft noch<br />
unverzichtbare Normen?“ 20 aufgeworfene Frage positiv zu beantworten, ob man<br />
einen Terroristen foltern dürfe, um dadurch das Leben vieler unschuldiger Menschen<br />
zu retten. Ja – so bekennt Reemtsma in seinem jüngst erschienenen Band<br />
„Folter im Rechtsstaat?“ – er würde diesen Menschen so lange quälen, bis er ihm<br />
alles verraten habe, <strong>und</strong> die Grenze für sein Tun würde ihm dabei nicht sein<br />
„Mitgefühl mit dieser Person ziehen, sondern der irgendwann eintretende Ekel<br />
vor mir selbst“. 21<br />
Wenn sich Reemtsma gleichwohl für ein absolutes Folterverbot ausspricht, dann<br />
hat das seinen Gr<strong>und</strong> darin, daß eine – wenn auch nur gelegentliche – Zulassung<br />
der Folter s. E. „die Idee des Rechtsstaats in ihrer Substanz beschädigte“, was<br />
um so verheerender sei, <strong>als</strong> die Idee der Rechtsstaatlichkeit das entscheidende<br />
F<strong>und</strong>ament unserer gesamten modernen westlichen Kultur bilde. Ein ‚folternder<br />
Rechtsstaat‘ ist für Reemtsma insofern ein Widerspruch in sich, <strong>als</strong> die Voraussetzung<br />
des Rechtsstaates die „Idee des rechtsfähigen Subjekts“ 22 ist, <strong>und</strong> das<br />
Individuum durch die Folter „in seiner Fähigkeit, ein Rechtssubjekt zu sein,<br />
angegriffen, ja im Extremfall <strong>als</strong> autonomes Individuum zerbrochen <strong>und</strong> zerstört<br />
wird“. 23 Zwar dürfe der Rechtsstaat durchaus Zwang auf seine Bürger ausüben,<br />
doch müsse er „dem von seinen Maßnahmen Betroffenen stets ein Minimum an<br />
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