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Türkei war im Regelfall nur von dem Ziel der Vollmitgliedschaft die Rede. Die von den Unionsparteien in die Diskussion eingebrachte alternative Privilegierte Partnerschaft konnte sich in der politischen Diskussion auch deshalb kaum behaupten, weil sie eigentlich nirgends überzeugend dargelegt worden ist. Das von Matthias Wissmann am 22.1.2004 in aktualisierter Fassung vorgelegte Positionspapier „Eine ‚Privilegierte Partnerschaft’ als Alternative zu einer EU - Vollmitgliedschaft der Türkei“ 8 krankt nicht zuletzt auch daran, daß es aus Sicht der Türkei tatsächlich kaum etwas anbot, was weit über das hinausging, was die Türkei schon bisher für sich in Anspruch nahm. In manchen Punkten zwar gelegentlich mitreden, aber nicht mitentscheiden zu dürfen, konnte aus türkischer Sicht nur privilegierte Diskriminierung heißen. Im Wesentlichen gilt das gleiche auch für die weit ausführlichere Analyse von Karl-Theodor zu Guttenberg „Die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU – eine ‚Privilegierte Partnerschaft’“. 9 Als zweite Alternative zur Vollmitgliedschaft stellten Wissenschaftler des Osteuropa-Instituts um Wolfgang Quaisser und Steve Wood die Erweiterte Assoziierte Mitgliedschaft (EAM) vor, die im Kern eine Mitgliedschaft im „Erweiterten Europäischen Wirtschaftsraum“ (EWR) und primär eine Ausweitung und Vertiefung der handels - und wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit mit Einschränkungen im Hinblick auf die Personen- und Arbeitnehmerfreizügigkeit vorsieht. 10 Allerdings stößt auch die Erweiterte Assoziierte Mitgliedschaft auf Ablehnung der türkischen Seite, die sich zumindest offiziell auf die EU -Vollmitgliedschaft festgelegt hat. Wenngleich natürlich klar ist, daß für die gegenwärtige türkische Regierung jedes Alternativangebot zur Vollmitgliedschaft zumindest offiziell inakzeptabel ist, gäbe es doch Alternativen, die auch aus türkischer Sicht als Alternativen akzeptabel sein könnten. Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, daß auch in der Türkei nicht wenige Beobachter davon ausgehen, daß es bei den Beitrittsverhandlungen unter Umständen schon recht bald zu grundlegenden Meinungsverschiedenheiten, daraus resultierend zu einer Unterbrechung und schlußendlich zum Abbruch der Verhandlungen kommen könnte. Zwar will sich niemand festlegen aus welchem Grund und wann ein solches Szenario Wirklichkeit werden könnte. Fest steht aber, daß die Türkei, würde sie sich von den Beitrittsverhandlungen verabschieden, mit mehr oder weniger leeren Händen dastünde. Um dies zu verhindern und insbesondere auch um dann eine Abkehr der Türkei von Europa zu verhindern, sind Alternativen zu diskutieren, die die Bindung der Türkei an Europa dauerhaft sichern können. Aufbauend auf dem Türkei-Beschluß des Europäischen Rates vom 16./17. Dezember 2004, wonach sicherzustellen ist, „daß das Bewerberland durch eine möglichst starke Bindung vollständig in den europäischen Strukturen verankert wird“ könnte das von Cemal Karakas von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung entwickelte Modell der Abgestuften Integration 11 zu gegebener Zeit eine mögliche Anbindungsoption jenseits der Privilegierten Partnerschaft oder der Erweiterten Assoziierten Mitgliedschaft sein, da sie sowohl der EU als auch der Türkei eine dauerhafte und klar definierte Integrationsalternative 40

ietet. Denn die Abgestufte Integration sieht eine schrittweise Heranführung der Türkei an die EU-Strukturen mit Integration in Teilbereichen vor und ist zugleich ein Modell, bei dem die Integration sukzessive fortschreiten könnte. Jeder Partner kann bei diesem Modell entscheiden, ob ihm die jeweils erreichte Integrationsstufe bereits ausreicht und dementsprechend von einer weiteren Integration bzw. Vertiefung absehen. Anders als im Falle der Privilegierten Partnerschaft oder der Erweiterten Assoziierten Mitgliedschaft würde die Türkei bei der Abgestuften Integration nicht nur vor allem wirtschaftlich, sondern auch politisch (teil-)integriert und hätte für die integrierten Bereiche auch ein Mitentscheidungsrecht. Zudem müßte die Türkei nicht von vorneherein auf die Option auf eine spätere Vollmitgliedschaft verzichten. Wen kann es angesichts der Vorzüge dieses Modells und ihrer leichten Vermittelbarkeit verwundern, daß der Landesbeauftragte der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Türkei, nach der Resonanz der Privilegierten Partnerschaft in türkischen Politikerkreisen gefragt, das Modell der Abgestuften Integration als vermittelbar erläutert. Vielleicht sollte man im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin auch einmal über die Vorzüge der Abgestuften Integration nachdenken und die Privilegierte Partnerschaft einmotten. Der Weg zur Vollmitgliedschaft der Türkei ist noch lang. Zehn bis fünfzehn Jahre werden aber kaum für einen grundlegenden Mentalitätswechsel ausreichen, ohne den Vollmitgliedschaft nicht denkbar ist. Der Mentalitätswechsel kann aber nur gelingen, wenn das chauvinistische Bildungssystem der Türkei nicht erst übermorgen, sondern schon morgen von seinen chauvinistischen Grundlagen gesäubert wird und die entsprechende Indoktrination der künftigen Generationen aufgeklärter Bildung Platz macht. Auf jeden Fall wird man auch weiterhin über Alternativen zur Vollmitgliedschaft diskutieren müssen. Nach Möglichkeit sollte man über Alternativen diskutieren, die auch aus türkischer Sicht als solche akzeptabel sind. Sonst könnte im ungünstigsten Fall tatsächlich die Gefahr bestehen, daß sich die Türkei von Europa abwendet. Anmerkungen 1) KOM(2004) 656 endgültig. 2) Bei den genannten Gesetzen handelt es sich um das Vereinsgesetz, das neue Strafgesetzbuch, das Gesetz über die zweitinstanzlichen Berufungsgerichte, die neue Strafprozeßordnung, die Gesetzgebung zur Schaffung einer Kriminalpolizei und das Gesetz über Strafvollzug und Maßregeln. 3) SEK(2004) 1201. 4) PA/CE/TR/de 39. 5) ABl. 217 vom 29.12.1964, S. 3687. 6) 1. Freier Warenverkehr, 2. Freier Personenverkehr, 3. Niederlassungsfreiheit und freier Dienstleistungsverkehr, 4. Freier Kapitalverkehr, 5. Vergaberecht, 6. Gesellschaftsrecht, 7. Schutz geistiger Eigentumsrechte, 8. Wettbewerbsrecht, 9. Finanzdienstleistungen, 10. Informationsgesellschaft und Medien, 11. Landwirtschaft und landwirtschaftliche Boden- 41

Türkei war im Regelfall nur von dem Ziel der Vollmitgliedschaft die Rede. Die<br />

von den Unionsparteien in die Diskussion eingebrachte alternative Privilegierte<br />

Partnerschaft konnte sich in der politischen Diskussion auch deshalb kaum behaupten,<br />

weil sie eigentlich nirgends überzeugend dargelegt worden ist.<br />

Das von Matthias Wissmann am 22.1.2004 in aktualisierter Fassung vorgelegte<br />

Positionspapier „Eine ‚Privilegierte Partnerschaft’ <strong>als</strong> Alternative zu einer EU -<br />

Vollmitgliedschaft der Türkei“ 8 krankt nicht zuletzt auch daran, daß es aus Sicht<br />

der Türkei tatsächlich kaum etwas anbot, was weit über das hinausging, was die<br />

Türkei schon bisher für sich in Anspruch nahm. In manchen Punkten zwar gelegentlich<br />

mitreden, aber nicht mitentscheiden zu dürfen, konnte aus türkischer<br />

Sicht nur privilegierte Diskriminierung heißen. Im Wesentlichen gilt das gleiche<br />

auch für die weit ausführlichere Analyse von Karl-Theodor zu Guttenberg „Die<br />

Beziehungen zwischen der Türkei <strong>und</strong> der EU – eine ‚Privilegierte Partnerschaft’“.<br />

9<br />

Als zweite Alternative zur Vollmitgliedschaft stellten Wissenschaftler des Osteuropa-Instituts<br />

um Wolfgang Quaisser <strong>und</strong> Steve Wood die Erweiterte Assoziierte<br />

Mitgliedschaft (EAM) vor, die im Kern eine Mitgliedschaft im „Erweiterten<br />

Europäischen Wirtschaftsraum“ (EWR) <strong>und</strong> primär eine Ausweitung <strong>und</strong> Vertiefung<br />

der handels - <strong>und</strong> wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit mit Einschränkungen<br />

im Hinblick auf die Personen- <strong>und</strong> Arbeitnehmerfreizügigkeit vorsieht. 10<br />

Allerdings stößt auch die Erweiterte Assoziierte Mitgliedschaft auf Ablehnung<br />

der türkischen Seite, die sich zumindest offiziell auf die EU -Vollmitgliedschaft<br />

festgelegt hat.<br />

Wenngleich natürlich klar ist, daß für die gegenwärtige türkische Regierung<br />

jedes Alternativangebot zur Vollmitgliedschaft zumindest offiziell inakzeptabel<br />

ist, gäbe es doch Alternativen, die auch aus türkischer Sicht <strong>als</strong> Alternativen<br />

akzeptabel sein könnten. Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, daß auch in der<br />

Türkei nicht wenige Beobachter davon ausgehen, daß es bei den Beitrittsverhandlungen<br />

unter Umständen schon recht bald zu gr<strong>und</strong>legenden Meinungsverschiedenheiten,<br />

daraus resultierend zu einer Unterbrechung <strong>und</strong> schlußendlich<br />

zum Abbruch der Verhandlungen kommen könnte. Zwar will sich niemand festlegen<br />

aus welchem Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> wann ein solches Szenario Wirklichkeit werden<br />

könnte. Fest steht aber, daß die Türkei, würde sie sich von den Beitrittsverhandlungen<br />

verabschieden, mit mehr oder weniger leeren Händen dastünde. Um dies<br />

zu verhindern <strong>und</strong> insbesondere auch um dann eine Abkehr der Türkei von Europa<br />

zu verhindern, sind Alternativen zu diskutieren, die die Bindung der Türkei<br />

an Europa dauerhaft sichern können.<br />

Aufbauend auf dem Türkei-Beschluß des Europäischen Rates vom 16./17. Dezember<br />

2004, wonach sicherzustellen ist, „daß das Bewerberland durch eine<br />

möglichst starke Bindung vollständig in den europäischen Strukturen verankert<br />

wird“ könnte das von Cemal Karakas von der Hessischen Stiftung Friedens- <strong>und</strong><br />

Konfliktforschung entwickelte Modell der Abgestuften Integration 11 zu gegebener<br />

Zeit eine mögliche Anbindungsoption jenseits der Privilegierten Partnerschaft<br />

oder der Erweiterten Assoziierten Mitgliedschaft sein, da sie sowohl der<br />

EU <strong>als</strong> auch der Türkei eine dauerhafte <strong>und</strong> klar definierte Integrationsalternative<br />

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