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Längst hat die Debatte über diese befreiende Kraft des christlichen Menschenbildes<br />
begonnen: in Europa, in anderen Kulturkreisen <strong>und</strong> nicht zuletzt im Rahmen<br />
der Begegnung verschiedener Kulturen. Dabei ist es in Europa vor allem der<br />
Islamismus, jene politische Radikalisierung des Islam, der den gleichermaßen<br />
europäischen wie christlichen Freiheitsbegriff herausfordert. Der Islamismus<br />
kennt so gut wie keine Trennung zwischen der religiösen <strong>und</strong> der säkularen<br />
Welt. Er neigt dazu, religiöse Gebote zu politischen Regeln zu machen <strong>und</strong> versteht<br />
den Anspruch des Absoluten eben nicht zu deuten <strong>als</strong> unantastbare Würde<br />
des Menschen, sondern <strong>als</strong> Mittel zur Unterwerfung <strong>und</strong> Vereinnahmung. Die<br />
Bekenntnisse von Selbstmordattentätern sprechen in diesem Zusammenhang eine<br />
unmißverständliche Sprache.<br />
Indem der Islam die Grenze zwischen Glauben <strong>und</strong> Politik verwischt, wenn nicht<br />
gar aufhebt, stellt er die gesamte Rechts- <strong>und</strong> Gesellschaftsordnung unter den<br />
Anspruch unbedingter Geltung. Nicht die Würde des Menschen – nach europäischem<br />
Verständnis – ist für ihn Ausgangspunkt <strong>und</strong> Maßstab alles Politischen,<br />
sondern der Wille Gottes, der jedem Versuch menschlicher Deutung enthoben<br />
wird. So kommt es, daß durch <strong>und</strong> durch politische oder rechtliche Fragen – wie<br />
beispielsweise das Tragen eines Kopftuches – religiös begründet werden, obwohl<br />
sie nach unserem Verständnis Ausdruck einer politischen Überzeugung sind. Wo<br />
sich Politik <strong>und</strong> Glaube wechselseitig durchdringen <strong>und</strong> eine Scheidung beider<br />
Bereiche ausgeschlossen wird, geht der Mensch seines Rechtes auf Selbstbestimmung<br />
verlustig <strong>und</strong> übernimmt die Rolle des Vollstreckers einer Wahrheit,<br />
die ihn ganz <strong>und</strong> gar zu ihrem Handlanger macht.<br />
An dieser Kernfrage entzündet sich die Auseinandersetzung zwischen den Kulturen.<br />
Man kann sich schwer vorstellen, daß diese Auseinandersetzung befriedet<br />
werden kann, indem man sich in der Mitte trifft. Beide Seiten sehen sich dem<br />
Anspruch des Absoluten verpflichtet. Aber dieser Anspruch wird in einer Weise<br />
politisch geltend gemacht, wie sie unterschiedlicher <strong>und</strong> gegensätzlicher kaum<br />
sein könnte.<br />
Der europäische Weg sieht in der unantastbaren Würde eines jeden Menschen –<br />
ganz gleich, wie dieser Mensch im einzelnen beschaffen ist – die angemessene<br />
Weise, die säkulare Welt unter den Anruf des Absoluten zu stellen. Deshalb<br />
gründet sich die ganze europäische Kultur auf das Menschenbild, dessen Bestimmung<br />
die größte Errungenschaft eben dieser Kultur darstellt. Und dieses<br />
europäische Menschenbild befindet sich keinesfalls auf dem Rückzug, sondern<br />
steht erst ganz am Anfang seines Siegeszuges.<br />
Denn angesichts der Verzweckung des Einzelnen durch andere Menschenbilder<br />
– auch solche, die längst in Europa Anhänger gef<strong>und</strong>en haben – geht es um nicht<br />
mehr <strong>und</strong> nicht weniger <strong>als</strong> um die Frage nach der Zukunft eines selbstbestimmten<br />
Lebensentwurfes, der zwar dem Ruf der Freiheit folgt, ohne jedoch der Willkür<br />
zu verfallen. Gerade weil das europäische Menschenbild Freiheit <strong>und</strong> Würde<br />
miteinander vereinbart, zielt es ausnahmslos auf jeden Menschen, gleich welcher<br />
Herkunft <strong>und</strong> Prägung. Ausnahmslos jedem Menschen läßt es einen umfassenden,<br />
nicht einschränkbaren Schutz vor Verzweckung, Willkür <strong>und</strong> Mißbrauch<br />
angedeihen. Hier liegt die Überlegenheit des europäischen Menschenbildes im<br />
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