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egrenzt werden kann. Wenn ein Mensch immer Zweck an sich <strong>und</strong> niem<strong>als</strong><br />
bloß Mittel für andere <strong>und</strong> anderes sein darf, dann besitzt er ein Recht <strong>und</strong> eine<br />
Freiheit, die von jeder sozialen <strong>und</strong> politischen Ordnung nicht nur zu achten<br />
sind, sondern die jeder sozialen <strong>und</strong> politischen Ordnung ein Ziel vorgeben, das<br />
Menschen aus Achtung vor sich selbst nicht verrücken dürfen.<br />
Der universelle Anspruch des europäischen Menschenbildes ist nicht Ausdruck<br />
eines kulturimperialistischen oder hegemonialen Denkens. Vielmehr ist dieses<br />
europäische Menschenbild eine ständige <strong>und</strong> unausgesetzte Aufforderung zur<br />
Befreiung des Menschen. Dieser Auftrag zur Befreiung ist heute so bedeutsam<br />
wie je. Der Menschenhandel beispielsweise, den wir derzeit in Europa erleben,<br />
steht dem, was die antike Welt an Sklaverei kannte, in nichts nach – <strong>und</strong> doch ist<br />
dieses Thema heute kaum Gegenstand öffentlicher Erörterung. Der Auftrag zur<br />
Befreiung gilt in gleicher Weise jenen Menschen, die unter Bevorm<strong>und</strong>ung leiden,<br />
weil sie beispielsweise durch pseudoreligiöse Vereinnahmungen der Möglichkeit<br />
der freien Entscheidung beraubt sind. Und schließlich zielt der Auftrag<br />
zur Befreiung auf den so dringend notwendigen Schutz des Menschen vor allen<br />
möglichen Formen der Verzweckung. Man denke in diesem Zusammenhang nur<br />
an den Lebensschutz, die Embryonenforschung oder die Präimplantationsdiagnostik.<br />
Das christliche Menschenbild, wo es Gr<strong>und</strong>lage der Politik geworden<br />
ist, führt den Menschen zu sich selbst – heraus aus allen Formen der Fremdbestimmung,<br />
hin zur Selbstbestimmung. Deshalb ist dieses europäische Menschenbild<br />
nie <strong>und</strong> niem<strong>als</strong> vereinbar mit einer Rechts- <strong>und</strong> Gesellschaftsordnung, die<br />
letzte Verbindlichkeit beansprucht, weil sie sich <strong>als</strong> Ausdruck unmittelbaren<br />
göttlichen Rechts versteht. Genau in diesem Streit befindet sich das europäische<br />
Denken mit dem Islamismus <strong>und</strong> der Scharia beispielsweise. Beide, Islamismus<br />
wie Scharia, berufen sich auf eine Offenbarung <strong>und</strong> glauben deshalb, gegenüber<br />
allen Erfordernissen, die durch die Menschenwürde <strong>und</strong> die Freiheitsrechte begründet<br />
werden, gefeit zu sein. Eine politische Doktrin, die sich auf eine religiöse<br />
Offenbarung beruft, verfügt nicht über die Möglichkeit, ihren Überlegenheits<strong>und</strong><br />
Machtanspruch zu begrenzen.<br />
Wenn Europa sich auf seine Quellen besinnt <strong>und</strong> jenem Menschenbild, das sich<br />
in mehr <strong>als</strong> zweitausend Jahren herausgebildet hat <strong>und</strong> unverwechselbar zur<br />
Prägeform des europäischen Denkens geworden ist, treu bleiben will, wird es<br />
nach Lage der Dinge einer kämpferischen Auseinandersetzung mit anderen Kulturen<br />
nicht einfach ausweichen können. Ja, mehr noch: Das europäische Menschenbild<br />
verpflichtet zu dieser kämpferischen Auseinandersetzung, weil es<br />
ansonsten den eigenen Anspruch der Menschenwürde <strong>und</strong> der Freiheitsrechte<br />
selbst aufgeben müßte. Das aber wäre eine Selbstzerstörung Europas, die ja gerade<br />
von denen befürchtet wird, die auf der ganzen Welt bis heute unter den<br />
Bedingungen einer Zwangsherrschaft leben müssen <strong>und</strong> voller Hoffnung auf<br />
Europa blicken, weil sie von dem Wunsch beseelt sind, das europäische Menschenbild<br />
möge sich auf der ganzen Welt erfolgreich durchsetzen. Je fremdbestimmter<br />
Menschen sind, je mehr sie unter Bevorm<strong>und</strong>ung leiden oder gar Opfer<br />
von Unterdrückung sind, um so mehr sehnen sie sich nach einem Menschenbild,<br />
das ihnen die erhoffte Befreiung verspricht.<br />
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