Heft hier als PDF öffnen und downloaden - Tuomi
Heft hier als PDF öffnen und downloaden - Tuomi
Heft hier als PDF öffnen und downloaden - Tuomi
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Seit den ersten Anfängen begleitet das europäische Denken diese Überzeugung,<br />
daß nämlich alles Politische einem Maßstab unterliegt, der jenseits der Macht<br />
<strong>und</strong> dem Vorteilsstreben zu finden ist. Politik ist mehr <strong>als</strong> die Quersumme der<br />
Anliegen aller am politischen Prozeß Beteiligten. Die Metaphysik der Politik<br />
stellt diese Aufgabe in den Mittelpunkt, nämlich jenen Maßstab zu gewinnen,<br />
dem alles Politische zu unterwerfen ist, wenn Politik ihre Legitimität behaupten<br />
will. Kurz gesagt: Diese Legitimität steht <strong>und</strong> fällt mit dem Maßstab des Menschenbildes,<br />
das sich nicht in der Diesseitigkeit erschöpft <strong>und</strong> den Menschen in<br />
seiner Hinordnung zum Unbedingten seine Bestimmung finden <strong>und</strong> erfüllen läßt.<br />
Auf diese Weise findet Europa zu einer einzigartigen Denkfigur: Obwohl das<br />
europäische Menschenbild die Brücke baut zwischen der Welt des Bedingten<br />
<strong>und</strong> dem Anruf des Unbedingten, schützt es den Menschen vor einer geradezu<br />
totalitären Vereinnahmung, die immer naheliegt, wenn Politik sich dem Anspruch<br />
des Absoluten beugt. Die Metaphysik der Demokratie, wie sie sich im<br />
europäischen Denken entwickelt hat, sieht den Menschen auch in seinen politischen<br />
Geschäften unter dem Anruf des Absoluten. Aber dieser Anruf mündet in<br />
die unantastbare Freiheit der Gewissensentscheidung jedes Einzelnen – <strong>und</strong> nicht<br />
in die freiheitszerstörende, gewaltsam durchgesetzte Handlungsvorschrift eines<br />
ins Innerweltliche übertragenen Anspruchs des Absoluten. Kein anderer Kulturkreis<br />
hat die Freiheit des Menschen auch im Angesicht des Absoluten so begründet<br />
<strong>und</strong> ges ichert wie das europäische Denken.<br />
Gleichwohl ist die Frage berechtigt, ob dieses europäische Denken möglicherweise<br />
nur eine regionale Besonderheit darstellt, vielleicht sogar Geltung beanspruchen<br />
darf nur in dem Kulturkreis, dem es entstammt? Muß nicht das europäische<br />
Denken sich selbst zurücknehmen, gleichsam freiwillig seine Ge ltung<br />
einschränken <strong>und</strong> behaupten wollen ausschließlich innerhalb des europäischen<br />
Dunstkreises?<br />
Christliches <strong>und</strong> europäisches Menschenbild<br />
Zum europäischen Denken gehört – diese Frage eindeutig verneinend – der Anspruch<br />
der Universalität der Vernunft, die Geltung verlangt ganz unabhängig von<br />
ihrer Herkunft <strong>und</strong> ihrer Prägung. Denn es ist ja gerade diese Vernunft, die den<br />
Menschen seine Würde erkennen läßt <strong>und</strong> damit ein Menschenbild begründet,<br />
das wir heute das europäische, <strong>als</strong>o christliche Menschenbild nennen. Dürfen wir<br />
<strong>als</strong>o sagen, daß dieses Denken für alle Menschen gilt? Was gibt uns das Recht,<br />
dem europäischen Menschenbild einen universellen Anspruch zuzubilligen: etwa<br />
im Blick auf fremde Kulturen <strong>und</strong> andere Religionen, die doch allesamt ihr eigenes<br />
Recht haben?<br />
Um die Frage zu beantworten, muß noch einmal an eine Facette dieses europäischen<br />
Menschenbildes erinnert werden, die unmittelbare Folge des Anspruchs<br />
der Unantastbarkeit der Würde eines jeden Menschen ist. Dieser Satz sagt nämlich<br />
aus, daß jeder Mensch in seiner Würde gleich ist, genauer gesagt, daß jeder<br />
Mensch einen unbedingten Anspruch auf seine geistige <strong>und</strong> körperliche Integrität<br />
hat – <strong>und</strong> daß dieser Anspruch durch nichts <strong>und</strong> niemanden auf der ganzen Welt<br />
16