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28.12.2013 Aufrufe

geliebt hat“ (1 Joh 4,19). Von Christus her enthüllt sich die Gottverwiesenheit der Nächstenliebe, jedem Helfer und Retter steht demnach die Demut dessen an, den er repräsentiert. Am Kreuz liebt Jesus den Vater mit seinem ganzen Herzen – die geöffnete Seite; mit all seinen Kräften – die angenagelten Hände; mit all seinen Gedanken – die Dornenkrone. Er wird am Schandpfahl zum „Fluch“ (Gal 3,13), damit er trotz seiner Schuldlosigkeit uns, die wir Sünder sind, nahe sein kann. An seiner Go t- tesferne – er ruft sein „Warum hast Du mich verlassen?“ (Mt 27,46) mit letzter Kraft in die Nacht – erkennen wir, wer uns erlöst und bewahrt hat vor dem endgültigen Gottesverlust; diesem wären wir durch keine eigene Leistung je entgangen. Aber wir kommen durch diese Einsicht vor dem Kreuz auch niemals über das Kreuz hinaus: Im Gekreuzigten sehen wir vor uns die Folge von unserem Versagen und unserer Sünde. Können wir dann den für uns Sterbenden seinem Schicksal überlassen, ohne innerlich angerührt und bewegt zu sein? Daß es uns widerfährt, enthüllt uns unser böses Herz; es drängt uns zur Dankbarkeit dem gegenüber, der auf so schreckliche Weise unsere Gegenliebe wecken wollte. Wer den selbstlosen Dienst am anderen durch die Glaubenswahrheiten des Begriffs charité zu wecken sucht, bewahrt Kirche und Gesellschaft vor einer großen theologischen Verarmung, ja Verwirrung. Wenn in der Kirche charité durch solidarité naiv ausgetauscht wird, bleiben nur moralisierende Imperative für den Appell zur Hilfe und zur Verteidigung der Gerechtigkeit – statt daß das Herz des Glaubenden durch Gottes Heilswelt und die Liebe Jesu gnadenhaft bewegt wird. Darum muß es schon sehr verwundern, wenn etwa nach einem Passus aus dem „Katechismus der Katholische Kirche“ (KKK) als das uns im Leib Christi einigende Band nicht die charité, sondern die solidarité behauptet wird (vgl. Nr. 2850). Hermeneutische Verschiebung Dieser Mißgriff des KKK führt uns zu einem 3. Einwand gegen die Gleichsetzung der genannten Begriffe. Er ergibt sich aus einer knappen hermeneutischen Beobachtung. Daß unser Glaube schon seit der Aufklärung von der Säkularisierung geläutert, aber auch unterlaufen und angegriffen wird, ist eine Binsenweisheit. Ihre Denker haben versucht, alle Transzendenz in eine vollständig immanente Auffassung des menschlichen Daseins hinein aufzuheben. So sollte der Dualismus von weltlich und geistlich, von irdisch und göttlich, von profan und heilig überwunden werden. Die Trennung von Ewigkeit und Zeit, von Innerlichkeit und Äußerlichkeit sollte ein Ende haben. Auch wenn inzwischen die Grenzen dieser Sicht angezeigt wurden, schreitet der Prozeß der Säkularisierung fort; die Bischöfe machten ihn bei ihrer Synode in Rom 2005 immer neu zum Anknüpfungspunkt für vielerlei Analysen. Er bestimmt heute weitgehend die Sicht des menschlichen Miteinanders: Dies hätte sich folglich zu orientieren, ohne in Gottes Gebot verankert zu sein. Re ligion würde in säkulare Sprache übersetzt. Die göttliche Autorität würde 12

transponiert in die Geltung von staatlichen Gesetzen und moralischer Schuldigkeit. Alle Ordnung resultierte aus der Selbstverpflichtung der Menschheit. So stellt sich denn die Frage: Läßt sich der Begriff „Solidarität“ – wie in der zitierten Katechismus-Passage – etwa als säkularisierte Verkümmerung des Glaubensbegriffs charité lesen? Diesen Verdacht hier zu äußern, soll gewiß den Begriff „Solidarität“ nicht in Bausch und Bogen ablehnen. Daß er die Verantwortung des einzelnen für die Menschheit artikuliert, gibt ihm großes Gewicht. Sein Appell-Charakter, seine politische Effizienz und seine Kritik an den Frommen schützen ihn auch unter Christen vor jeder Diskreditierung. Aber nur der Ungläubige wird den Vorrang der charité vor der solidarité bestreiten. Oder besser: Nicht einmal der Ungläubige wird charité in solidarité auflösen wollen, weil säkularisierte Sprache gar nicht die Fülle der Offenbarung aufnehmen kann. Wer das behauptet, hat mindestens einen sehr bedeutenden deutschen Philosophen auf seiner Seite: Jürgen Habermas. Er bekam 2001 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels und hielt in der Frankfurter Paulskirche eine denkwürdige Rede über „Glaube und Wissen“. Er bezeichnete sich zunächst als „religiös unmusikalisch“, um zu bekennen, daß er selber zum Religiösen keinen Zugang hat. Er setzte sich dann jedoch ab von Immanuel Kant und dessen Versuch, das radikal Böse aus der biblischen Sprache in die Vernunftreligion zu übersetzen: „Säkulare Sprachen, die das, was einmal gemeint war, bloß eliminieren, hinterlassen Irritationen. Als sich Sünde in Schuld, das Vergehen gegen göttliche Gebote in den Verstoß gegen menschliche Gesetze verwandelte, ging etwas verloren.“ Und schließlich sagte er in einer bezeichnenden, zunächst leicht ironisch klingenden These: „Es gibt den Teufel nicht, aber der gefallene Erzengel treibt nach wie vor sein Unwesen – im verkehrten Guten der monströsen Tat, aber auch im ungezügelten Vergeltungsdrang, der ihr auf dem Fuße folgt.“ Literatur „Dictionaire de théologie catholique“, II (Paris 1932) 2258 ff. Charles Péguy, Nota Conjuncta (Wien 1956). Hans Urs von Balthasar, Herrlichkeit II, 2 Laikale Stile (Einsiedeln 21969). Vincent Carraud, Solidarité ou les traductions de l’idéologie, in Communio (franz.) 5 (1989) 106-127. P. J. Cordes, Communio. Utopie oder Programm? (Quaestiones Disputatae 148) (Freiburg 1993). Historisches Wörterbuch der Philosophie IX (Darmstadt 1995) Art. Solidarität. Jürgen Habermas, Glaube und Wissen, F.A.Z., 15.10.2001. George Weigel, Zeuge der Hoffnung. Johannes Paul II. (Paderborn 2002). Erzbischof Dr. Paul Josef Cordes ist Präsident des Päpstlichen Rates Cor unum in Rom. 13

transponiert in die Geltung von staatlichen Gesetzen <strong>und</strong> moralischer Schuldigkeit.<br />

Alle Ordnung resultierte aus der Selbstverpflichtung der Menschheit.<br />

So stellt sich denn die Frage: Läßt sich der Begriff „Solidarität“ – wie in der<br />

zitierten Katechismus-Passage – etwa <strong>als</strong> säkularisierte Verkümmerung des<br />

Glaubensbegriffs charité lesen?<br />

Diesen Verdacht <strong>hier</strong> zu äußern, soll gewiß den Begriff „Solidarität“ nicht in<br />

Bausch <strong>und</strong> Bogen ablehnen. Daß er die Verantwortung des einzelnen für die<br />

Menschheit artikuliert, gibt ihm großes Gewicht. Sein Appell-Charakter, seine<br />

politische Effizienz <strong>und</strong> seine Kritik an den Frommen schützen ihn auch unter<br />

Christen vor jeder Diskreditierung. Aber nur der Ungläubige wird den Vorrang<br />

der charité vor der solidarité bestreiten. Oder besser: Nicht einmal der Ungläubige<br />

wird charité in solidarité auflösen wollen, weil säkularisierte Sprache gar<br />

nicht die Fülle der Offenbarung aufnehmen kann.<br />

Wer das behauptet, hat mindestens einen sehr bedeutenden deutschen Philosophen<br />

auf seiner Seite: Jürgen Habermas. Er bekam 2001 den Friedenspreis des<br />

deutschen Buchhandels <strong>und</strong> hielt in der Frankfurter Paulskirche eine denkwürdige<br />

Rede über „Glaube <strong>und</strong> Wissen“.<br />

Er bezeichnete sich zunächst <strong>als</strong> „religiös unmusikalisch“, um zu bekennen, daß<br />

er selber zum Religiösen keinen Zugang hat. Er setzte sich dann jedoch ab von<br />

Immanuel Kant <strong>und</strong> dessen Versuch, das radikal Böse aus der biblischen Sprache<br />

in die Vernunftreligion zu übersetzen: „Säkulare Sprachen, die das, was einmal<br />

gemeint war, bloß eliminieren, hinterlassen Irritationen. Als sich Sünde in<br />

Schuld, das Vergehen gegen göttliche Gebote in den Verstoß gegen menschliche<br />

Gesetze verwandelte, ging etwas verloren.“ Und schließlich sagte er in einer<br />

bezeichnenden, zunächst leicht ironisch klingenden These: „Es gibt den Teufel<br />

nicht, aber der gefallene Erzengel treibt nach wie vor sein Unwesen – im verkehrten<br />

Guten der monströsen Tat, aber auch im ungezügelten Vergeltungsdrang,<br />

der ihr auf dem Fuße folgt.“<br />

Literatur<br />

„Dictionaire de théologie catholique“, II (Paris 1932) 2258 ff.<br />

Charles Péguy, Nota Conjuncta (Wien 1956).<br />

Hans Urs von Balthasar, Herrlichkeit II, 2 Laikale Stile (Einsiedeln 21969).<br />

Vincent Carraud, Solidarité ou les traductions de l’idéologie, in Communio (franz.) 5<br />

(1989) 106-127.<br />

P. J. Cordes, Communio. Utopie oder Programm? (Quaestiones Disputatae 148) (Freiburg<br />

1993).<br />

Historisches Wörterbuch der Philosophie IX (Darmstadt 1995) Art. Solidarität.<br />

Jürgen Habermas, Glaube <strong>und</strong> Wissen, F.A.Z., 15.10.2001.<br />

George Weigel, Zeuge der Hoffnung. Johannes Paul II. (Paderborn 2002).<br />

Erzbischof Dr. Paul Josef Cordes ist Präsident des Päpstlichen Rates Cor unum<br />

in Rom.<br />

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