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Und der Prophet Isaia tritt als Jahwes Anwalt des Rechts auf, wenn er fordert: „Wascht euch, reinigt euch! Laßt ab von eurem üblen Treiben! Hört auf, vor meinen Augen Böses zu tun! Lernt, Gutes zu tun! Sorgt für das Recht! Helft den Unterdrückten! Verschafft den Waisen Recht, tretet ein für die Witwen“ (1,16f.). Sosehr diese soziale Gerechtigkeit den Menschen aufgetragen ist, so erscheint sie folglich nie allein als Frucht menschlichen Einsatzes. In ihrem Realismus erwartet demnach die Heilsgeschichte erst vom Messias die Heraufführung des konfliktfreien Zusammenlebens der Menschen: „Ja, er bringt wirklich das Recht. Er wird nicht müde und bricht nicht zusammen, bis er auf der Erde das Recht begründet hat. Auf sein Gesetz warten die Inseln“(Is 42,3f.). Vom Ersten Testament her verstehen sich im jüdisch-christlichen Horizont Gerechtigkeit und Liebe nicht alternativ, sondern komplementär. Recht ohne Liebe würde allein zu einem Dasein ohne Wärme führen. Dieser eschatologische Ve r- weis öffnet den Blick auf Christus. In der Bergpredigt spricht der Herr freilich von einer neuen Gerechtigkeit (vgl. Mt 5-7), die die Thora vollendet. Sie besteht nicht in der Gerechtigkeit des Gesetzes noch in der Verteilungsgerechtigkeit, die jedem das Seine zumißt, sondern in der Gerechtigkeit der Verzeihung; in einer Gerechtigkeit, die dem Menschen geschenkt wird. Es ist die Gerechtigkeit der Liebe. Sie geschieht dank der Bekehrung des menschlichen Herzens, wenn jemand Kind Gottes wird, frei von Furcht, von bösem Verlangen, von Heuchelei und Rache. So kann sich der neue Mensch Gott überantworten in Dankbarkeit und Nächstenliebe. Diese neue Gerechtigkeit, die das Gesetz als solches übersteigt, ist letztlich mit Christus gleich, der den Menschen heil und gerecht macht. So unterläuft folglich dem ein erster schwerer Irrtum, der solidarité und charité unterschiedslos gleichsetzt: Aus christlicher Sicht kann auch für die perfekte Sozialordnung des Gemeinwesens nicht auf die Liebe verzichtet werden. Zur Ermöglichung des Liebens Damit verschärft sich die Frage, aus welcher Quelle sich die Bereitschaft speist, den Aufruf „Jeder für alle!“ in die Tat umzusetzen. Das Ungleichgewicht zwischen solidarité und charité kann der unmöglich leugnen, der das Wort Gottes noch gründlicher befragt. Neben der Bestimmung Gottes als „Geist“ (Joh 4,24) und als „Licht“ (1 Joh 1,5) führt das biblische Schrifttum des Lieblingsjüngers in das innerste Geheimnis Gottes ein und formuliert: „Gott ist Liebe“ (1 Joh 4,8.16). Dieser Satz will etwas vom verborgenen Wesen Gottes einfangen, an dem die Glaubenden Anteil gewinnen. Er formuliert außerdem Gottes Andersartigkeit gegenüber der Welt – nicht in der Absicht einer philosophischen Festlegung, sondern als Verkündigung, die die Hörer des Briefes treffen soll. Den Grund für seine Aussage sieht der Autor in Gottes unfaßbarem Handeln: Er sendet seinen Sohn in die zum Verfall bestimmte Todeswelt, um den Menschen das Leben zu schenken. Diese Hingabe des Sohnes bekundet des Vaters unüberbietbare Liebesgesinnung. Sie überwältigt den Evangelisten dermaßen, daß Liebe ihm zum einzigen Charakteristikum göttlichen Heilshandelns wird. Wie könn- 10

ten Glaubende diese charité gegen das Linsenmus (vgl. Gen 25.31) der solidarité eintauschen? Das Christentum als solches hängt an der Grundwahrheit, daß Gott die Liebe ist. Ohne sie sind die Geheimnisse von Dreifaltigkeit und Erlösung völlig dunkel, ja abstrus. Im Horizont der Liebe gewinnen sie Umrisse und bewegen zur Anbetung. Denn als gegenseitiges Geschenk der Selbsthingabe ist Gott dreipersönlich: schrankenlose Kommunion der Beziehung zwischen Ich und Du; Liebe (griechisch agápe), die sich unablässig schenkt (Vater), die sich von Ewigkeit her in absoluter Gratuität empfängt (Sohn), die sich ohne Ende eint und unterscheidet (Heiliger Geist). Das Zueinander der drei Personen kennzeichnet ihre Liebe als Kraft, die des anderen Nähe sucht und die Ketten der Einsamkeit des anderen bricht, um zu trösten und zu erlösen. Sie läßt sich herab und erniedrigt sich, indem sie dem Menschen nachgeht. Den christlichen Gott hält der unendliche Abstand zwischen göttlichem Schöpfer und sterblichem Geschöpf nicht ab, den trennenden Abgrund mit seiner allmächtigen Güte zu füllen. In dieser seiner „Menschwerdung hat er sich gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt“ (Gaudium et spes 22), nahm freiwillig Leidensfähigkeit an und teilte das menschliche Los in seiner erbarmungswürdigen Niedrigkeit (vgl. Mk 15,34; Hebr 2,18; 4,15). Jesu Erdenweg ist vorgezeichnet vom himmlischen Vater, der unsere Erlösung will. Auf diesem Weg offenbart der Herr das Wesen und einzelne Züge der göttlichen Liebe. Jesus verkündet den Vater in den Evangelien als Quelle und Modell der Güte zwischen den Menschen: Er nährt die Vögel des Himmels (vgl. Mt 6,26); er weiß, was wir brauchen (vgl. ebd. 32); er gibt, um was wir ihn bitten; er läßt uns finden, was wir suchen; er öffnet, wenn wir anklopfen (vgl. ebd. 7,7). Die biblischen Pastoralbriefe ziehen das Fazit und formulieren, daß in Christus „die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Retters“ (Tit 3,4), in die Welt gekommen ist. Er sei in eine Welt gekommen, in der der Mensch selbstsüchtig aller Art von Laster nachgehe. In dieser Welt wird er zum Neuanfang. Er leitet das Zeitalter eines anderen Wandelns und Handelns ein. Der Sohn sucht die totale Gemeinschaft mit seinen irdischen Brüdern und Schwestern. Seine Nähe zu uns ist vorbehaltlos und seine Sensibilität für uns alle unverkürzt. Dennoch reflektiert er nicht einfachhin, wie sich Menschen lieben. Denn menschliche Liebe tut generell nicht den ersten Schritt; sie ist sekundär: Das menschliche Herz wandelt erotische Anziehung nur im nachhinein in Zuneigung. Christi Liebe stammt hingegen von oben, von dem „einen Gott, dem Vater … auf den hin wir leben“ (1 Kor 8,6). Sein und Handeln des ewigen Sohnes entspringen nicht dem eigenen Ich, sondern der Liebe, die der Vater für ihn hat. Christi Form der Liebe widerstrebt aller Selbstgenügsamkeit. Sie entläßt nicht in die Autonomie oder gar in die Isolierung. Sie ist „verdankt“; sie realisiert umfassend die Sohnschaft: demütiges Empfangen und dankbarer Jubel. – Folglich entlastet sie den Engagierten in seinem Einsatz und drängt ihn in die Gemeinschaft mit Christus, dem eigentlich Liebenden. So lieben wir, „weil er uns zuerst 11

Und der Prophet Isaia tritt <strong>als</strong> Jahwes Anwalt des Rechts auf, wenn er fordert:<br />

„Wascht euch, reinigt euch! Laßt ab von eurem üblen Treiben! Hört auf, vor<br />

meinen Augen Böses zu tun! Lernt, Gutes zu tun! Sorgt für das Recht! Helft den<br />

Unterdrückten! Verschafft den Waisen Recht, tretet ein für die Witwen“ (1,16f.).<br />

Sosehr diese soziale Gerechtigkeit den Menschen aufgetragen ist, so erscheint sie<br />

folglich nie allein <strong>als</strong> Frucht menschlichen Einsatzes. In ihrem Realismus erwartet<br />

demnach die Heilsgeschichte erst vom Messias die Heraufführung des konfliktfreien<br />

Zusammenlebens der Menschen: „Ja, er bringt wirklich das Recht. Er<br />

wird nicht müde <strong>und</strong> bricht nicht zusammen, bis er auf der Erde das Recht begründet<br />

hat. Auf sein Gesetz warten die Inseln“(Is 42,3f.).<br />

Vom Ersten Testament her verstehen sich im jüdisch-christlichen Horizont Gerechtigkeit<br />

<strong>und</strong> Liebe nicht alternativ, sondern komplementär. Recht ohne Liebe<br />

würde allein zu einem Dasein ohne Wärme führen. Dieser eschatologische Ve r-<br />

weis öffnet den Blick auf Christus. In der Bergpredigt spricht der Herr freilich<br />

von einer neuen Gerechtigkeit (vgl. Mt 5-7), die die Thora vollendet. Sie besteht<br />

nicht in der Gerechtigkeit des Gesetzes noch in der Verteilungsgerechtigkeit, die<br />

jedem das Seine zumißt, sondern in der Gerechtigkeit der Verzeihung; in einer<br />

Gerechtigkeit, die dem Menschen geschenkt wird. Es ist die Gerechtigkeit der<br />

Liebe. Sie geschieht dank der Bekehrung des menschlichen Herzens, wenn jemand<br />

Kind Gottes wird, frei von Furcht, von bösem Verlangen, von Heuchelei<br />

<strong>und</strong> Rache. So kann sich der neue Mensch Gott überantworten in Dankbarkeit<br />

<strong>und</strong> Nächstenliebe. Diese neue Gerechtigkeit, die das Gesetz <strong>als</strong> solches übersteigt,<br />

ist letztlich mit Christus gleich, der den Menschen heil <strong>und</strong> gerecht macht.<br />

So unterläuft folglich dem ein erster schwerer Irrtum, der solidarité <strong>und</strong> charité<br />

unterschiedslos gleichsetzt: Aus christlicher Sicht kann auch für die perfekte<br />

Sozialordnung des Gemeinwesens nicht auf die Liebe verzichtet werden.<br />

Zur Ermöglichung des Liebens<br />

Damit verschärft sich die Frage, aus welcher Quelle sich die Bereitschaft speist,<br />

den Aufruf „Jeder für alle!“ in die Tat umzusetzen. Das Ungleichgewicht zwischen<br />

solidarité <strong>und</strong> charité kann der unmöglich leugnen, der das Wort Gottes<br />

noch gründlicher befragt.<br />

Neben der Bestimmung Gottes <strong>als</strong> „Geist“ (Joh 4,24) <strong>und</strong> <strong>als</strong> „Licht“ (1 Joh 1,5)<br />

führt das biblische Schrifttum des Lieblingsjüngers in das innerste Geheimnis<br />

Gottes ein <strong>und</strong> formuliert: „Gott ist Liebe“ (1 Joh 4,8.16). Dieser Satz will etwas<br />

vom verborgenen Wesen Gottes einfangen, an dem die Glaubenden Anteil gewinnen.<br />

Er formuliert außerdem Gottes Andersartigkeit gegenüber der Welt –<br />

nicht in der Absicht einer philosophischen Festlegung, sondern <strong>als</strong> Verkündigung,<br />

die die Hörer des Briefes treffen soll.<br />

Den Gr<strong>und</strong> für seine Aussage sieht der Autor in Gottes unfaßbarem Handeln: Er<br />

sendet seinen Sohn in die zum Verfall bestimmte Todeswelt, um den Menschen<br />

das Leben zu schenken. Diese Hingabe des Sohnes bek<strong>und</strong>et des Vaters unüberbietbare<br />

Liebesgesinnung. Sie überwältigt den Evangelisten dermaßen, daß Liebe<br />

ihm zum einzigen Charakteristikum göttlichen Heilshandelns wird. Wie könn-<br />

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