Das Osmanische Reich - VHS - Reinhart Gruhn
Das Osmanische Reich - VHS - Reinhart Gruhn
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„Kreuz trifft Halbmond“ (B 265; 268)<br />
Begegnung von Christentum und Islam<br />
Dr. <strong>Reinhart</strong> <strong>Gruhn</strong><br />
18.11. <strong>Das</strong> <strong>Osmanische</strong> <strong>Reich</strong> – die Türken vor Wien<br />
1258 Die Mongolen erobern unter Hülägü Bagdad und töten den letzten Abbassiden-Kalifen.<br />
Nach der Eroberung und Zerstörung Bagdads 1258 durch Hülägü, der den letzten dort herrschenden Kalifen al-<br />
Mustasim hinrichten ließ, erlosch das Kalifat der Abbassiden zunächst. Allerdings gelang dem Abbassiden-<br />
Prinzen al-Mustansir, einem Onkel des letzten Kalifen, die Flucht nach Ägypten, wo ihn der soeben zur Macht<br />
gelangte Mamluken-Sultan Baibars als nächsten Kalifen einsetzte. Allerdings dienten die Abbassiden allein der<br />
Herrschaftslegitimation der Mamluken und hatten keinerlei politischen Einfluss. (W)<br />
1250 Aybak wird in Kairo Mamluken-Emir und begründet den Mamluken-Staat, der Stabilität,<br />
Prosperität und Restauration (= Bekämpfung der Schia) bedeutete und 250 Jahre überdauerte; in<br />
seiner besten Zeit reicht er über die arabische Halbinsel hinaus bis nach Syrien und Iran.<br />
Mamluken waren ursprünglich Militärsklaven türkischer oder kaukasischer (tscherkessischer) Herkunft in einigen<br />
islamischen Herrschaftsgebieten. Den Mamluken gelang es unter anderem, im Jahre 1250 in Ägypten die<br />
Herrschaft zu erringen und sie zehn Jahre später auch auf die Levante auszudehnen. Danach wurde das Wort für<br />
mehrere Herrscherdynastien verwendet, die von Mamluken abstammten, aber meist selbst keine Sklaven<br />
gewesen waren. 1517 wurden die ägyptischen Mamluken von den Osmanen unterworfen, beherrschten Ägypten<br />
aber weiter bis zur Schlacht bei den Pyramiden (1798). - Schon die Leibgarde Saladins bestand aus Soldaten, die<br />
meist im Kindes- und Jugendalter auf den Sklavenmärkten des nördlichen Anatolien oder des Kaukasus gekauft<br />
und dann durch eine Schulung zu Reitersoldaten und eine islamische Erziehung auf ihren Dienst vorbereitet<br />
wurden. Sie waren dem Herrscher blind ergeben. Sie konnten die Freiheit erlangen und dann ihrerseits<br />
Mamluken erwerben und an sich binden. Auch wenn sie eine militärische Elite bildeten, waren die Mamluken<br />
weder Adelige noch hatten sie einen besonderen Segen durch Abstammung von der Prophetenfamilie. (W)<br />
1258-1277 Baibar festigt als mächtiger Sultan die Herrschaft der Mamluken in Kairo. Er kann den<br />
Mongolen erfolgreich Widerstand leisten und schlägt sie 1260 in der Schlacht von Ain Djalut.<br />
Damit war das Mamlukenreich in Ägypten der einzige Staat im Nahen Osten, welcher sich<br />
gegen die Mongolen behaupten und ihr Vordringen nach Westen aufhalten konnte. Die<br />
Mongolen errichten in Transoxanien und Persien Teilreiche, die von muslimischen<br />
(schiitischen) Ilhanen regiert werden; sie bedrohen und verwüsten wiederholt den Irak (1401<br />
Eroberung Bagdads durch Timur Lenk = Tamerlan).<br />
1299 Osman I. macht sein Fürstentum von den nördlichen Rum-Seldschuken (Turkvolk) unabhängig<br />
und erobert große Teile Anatoliens vom Byzantinischen <strong>Reich</strong>; Bursa fiel ihm 1326 in die<br />
Hände. Er begründet die Dynastie der Osmanen und somit das <strong>Osmanische</strong> <strong>Reich</strong> (bis 1918).<br />
Sein Sohn Orhan (1326-1359) dehnte den Herrschaftsbereich nach Osten und Westen über den<br />
Bosporus hinaus aus (1361 Eroberung von Adrianopel = Edirne; 1396 Nikopolis).<br />
Wenn auch in Kleinasien sowohl durch Krieg als auch durch Heirat Zugewinne stattfanden, war inzwischen der<br />
europäische Teil des <strong>Reich</strong>es der wichtigere geworden. So wurde ab 1385 die militärische Führung einem<br />
„Beylerbey von Rumelien“ (dem europäischen Teil des <strong>Osmanische</strong>n <strong>Reich</strong>es) und einem „Beylerbey von<br />
Anatolien“ überantwortet, wobei ersterer den Oberbefehl hatte. Viele der charakteristischen Merkmale des<br />
<strong>Osmanische</strong>n <strong>Reich</strong>es hatten sich zu dieser Zeit schon herausgebildet. Aus den eroberten Gebieten wurden den<br />
Kriegern Pfründen – Tımar genannt – gegeben; im Gegenzug mussten sie als Sipahis in der Kavallerie des<br />
osmanischen Heeres dienen. Dieses System ähnelte zunächst dem europäischen Lehnswesen des Mittelalters,<br />
allerdings gab es auch große Unterschiede. So entwickelte sich beispielsweise keine Leibeigenschaft. Als<br />
stehendes Heer wurde die wichtige Infanterie von den Janitscharen (türk. Yeniçeri) gestellt, die vor allem aus der<br />
so genannten Knabenlese auf dem Balkan und dem Kaukasus gewonnen, zum Islam bekehrt wurden und eine<br />
Ausbildung erhielten, die sie zu fähigen Instrumenten der Machtpolitik des <strong>Reich</strong>es machte. Auf der anderen<br />
Seite bestimmten sie zunehmend in politischen Fragen mit und stiegen, neben dem Hof mit dem Verwaltungsapparat<br />
und dem osmanischen Adel, zu einer dritten Kraft hinter dem Sultan auf. (W)<br />
1453 Eroberung von Konstantinopel (Byzanz) durch Sultan Mehmet II (1451 – 1481);<br />
Konstantinopel, der „Goldenen Apfel“: Bei den Osmanen hatte der goldene Apfel hohe mythische Bedeutung und<br />
galt als Objekt allen Strebens und Glücks. Später trug Wien diese Bezeichnung. Dieses Ereignis ist oft als Zäsur<br />
in der Geschichte verstanden worden, als Ende des Byzantinischen <strong>Reich</strong>s und Ende des Mittelalters. Die Hagia<br />
Sophia wurde zur Moschee Ayasofia. (W)<br />
1517 Eroberung Kairos (und damit Arabiens, Syriens und Ägyptens) durch Sultan Selim; die heiligen<br />
Städte Mekka und Medina samt Pilgerströmen fallen an das <strong>Osmanische</strong> <strong>Reich</strong>.
1520-1566 Unter Süleyman I., gen. „der Prächtige“, erreichte das <strong>Osmanische</strong> <strong>Reich</strong> seinen größten Glanz<br />
und seine größte Ausdehnung: es wurde zur Weltmacht. Süleyman drang über den gesamten<br />
Balkan vor, nahm Ungarn ein und rückte weit die Donau hinauf. Im Osten wurde 1534 Bagdad<br />
erobert und Teile Persiens bis nach Aserbeidschan.<br />
In der osmanischen und türkischen Geschichtsschreibung erhielt er den Beinamen „Kānūnī“ („Gesetzgeber“), da<br />
unter seiner Herrschaft eine Reihe von Gesetzen entstanden, die Lücken in den Bestimmungen der Schari'a<br />
ausfüllen und das positive Recht festigen und kodifizieren sollten. In der westlichen Welt wird er „der Prächtige“<br />
genannt. Er gilt auch als einer der größten Kunstförderer unter den osmanischen Herrschern. Unter seine<br />
Regentschaft fallen etwa die architektonischen Meisterleistungen von Mimar Sinan. Durch viele Feldzüge<br />
erweiterte Süleyman das <strong>Reich</strong> Richtung Westen, Osten und Südosten. - Die Zeit Süleymans leitete auch engere<br />
Beziehungen zu den europäischen Mächten ein. 1536 wurde die erste so genannte Kapitulation mit Frankreich<br />
unterzeichnet, die freien Handel vereinbarte und Frankreich die Gerichtsbarkeit über seine Untertanen auf dem<br />
Boden des <strong>Osmanische</strong>n <strong>Reich</strong>s übertrug. (W)<br />
1529 Erste Belagerung Wiens – ein Schock im Abendland. Nach nur 19 Tagen musste Süleyman die<br />
Belagerung wegen frühen Wintereinbruchs abbrechen; Österreich wurde aber als Folge dieser<br />
Belagerung in dem Arrangement Ferdinands I. mit dem Sultan (Vertrag von Großwardein 1538)<br />
langfristig an das <strong>Osmanische</strong> <strong>Reich</strong> tributpflichtig. Erneut kamen Kreuzzugsgedanken auf.<br />
Obwohl die Osmanen fast 20.000 Todesopfer zu beklagen hatten, empfand der Sultan Süleyman den Misserfolg<br />
seiner Truppen nicht als Niederlage. Die osmanischen Truppen ließen alles zurück, was sie beim Rückzug<br />
behinderte. In Wien dagegen läuteten zum ersten Mal seit knapp drei Wochen die Glocken, im Stephansdom<br />
wurde ein Te Deum gebetet. - Die Belagerung Wiens wurde überall in Europa mit gespannter Aufmerksamkeit<br />
verfolgt. Dabei spielten mündliche Berichte von Augenzeugen, aber auch Flugblätter und gebundene Drucke<br />
sowie Druckgrafik und Lieder eine große Rolle. Bereits 1529 wurde eine Chronik des <strong>Reich</strong>shofrates Peter Stern<br />
von Labach veröffentlicht, in der mehrmals sehr drastisch über die Gräuel der Akıncı berichtet wird. Solche<br />
Gräuel (oder „Gräuelmärchen“) waren einer der Topoi, die in der Folgezeit die christliche Einschätzung der<br />
„Türken“, wie die osmanischen Angreifer in Europa genannt wurden, bestimmten. Auch in der osmanischen<br />
Selbsteinschätzung, wie sie sich in türkischen Volkssagen widerspiegelt, spielen sie eine Rolle. Auch die<br />
stereotype Darstellung Sultan Süleymans I. als „grausam Tyrann und Erbfeind des Christlichen glawens“ hatte<br />
ihren Anteil an diesem bis weit ins 17. Jahrhundert hinein in Druckschriften verbreiteten Türkenfeindbild. Martin<br />
Luther widmete dem Geschehen zwei Traktate, in denen er die Türken „als Gottes Rute und Plage“ bezeichnet,<br />
die man durch Buße, aber auch durch Krieg „Gott …aus der Hand nehmen“ müsse. (W) Andererseits galten die<br />
Protestanten als verkappte Freunde der Türken, wie es in den Parolen „lieber Turban als Tiara“ oder „Ein<br />
ungetaufter Türke (=Sultan) ist besser als ein getaufter Türke (= kath. Kaiser) zum Ausdruck kommt. (Cardini)<br />
1571 Seeschlacht von Lepanto („Hlg. Liga“ = Spanien, Venedig, Genua, Florenz u.a.): fast völlige<br />
Vernichtung der türkischen Flotte; definitives Ende der osmanischen Expansion; Beginn der<br />
Schwächung (technologisch, logistisch, administrativ) und des Niedergangs (politisch) des OR.<br />
In der Folgezeit Aufstieg von Spanien und den italienischen Stadtstaaten zu weltweit<br />
operierenden Seemächten. Auseinandersetzungen mit den „Korsaren“ (Freibeuter).<br />
Schon während der Regierungszeit Süleymans gab es erste Krisensymptome, die sich im Lauf der Zeit<br />
verstärkten und den Niedergang des <strong>Osmanische</strong>n <strong>Reich</strong>s einleiteten. - In der Folge breitete sich allgemeine<br />
Korruption im <strong>Osmanische</strong>n <strong>Reich</strong> aus - ohne „Geschenke“ oder Schmiergelder ging bei den Behörden gar nichts<br />
mehr. Hierzu trug auch seit dem 17. Jahrhundert verbreitete Käuflichkeit von Ämtern ein. - Die Expansion der<br />
christlichen Staaten nach Übersee hatte für das <strong>Osmanische</strong> <strong>Reich</strong> noch weitere negative Folgen. Zum einen mit<br />
der Entdeckung des Seewegs um Afrika herum verloren die Osmanen ihr Monopol auf den Indienhandel. Zwar<br />
brachten die Karawanen über die Gewürzstraße und die Weihrauchstraße auch im 16. und 17. Jahrhundert noch<br />
wertvolle Luxusgüter an die Häfen der Levante, doch sank deren Anteil am weltweiten Handel beständig<br />
gegenüber dem Atlantikhandel. Auch im mediterranen Seehandel verloren die Osmanen zunehmend an<br />
Bedeutung, seit sie 1536 den Franzosen bedeutende Handelsprivilegien eingeräumt hatten. Ähnliche<br />
Kapitulationen wurden mit England, Venedig und den Niederlanden geschlossen, sodass die osmanische<br />
Handelsflotte bald zur Bedeutungslosigkeit verurteilt war und dem <strong>Reich</strong> eine wichtige Einnahmequelle fehlte. Die<br />
osmanischen Schiffe waren denen der Christen bald auch technisch unterlegen, die ihre Handelsgewinne in<br />
technische Neuerungen wie die Galeasse investierten. Auch in anderen Bereichen zeigte sich bald ein<br />
technischer Rückstand der Osmanen gegenüber dem christlichen Europa. Die Sultane waren sehr wenig<br />
innovationsfreudig - den Buchdruck mit beweglichen Lettern hatte Bayezid II. zum Beispiel 1483 bei Todesstrafe<br />
verboten. Daher konnten die Christen in ihren bald entstehenden Manufakturen deutlich billiger produzieren und<br />
überschwemmten das <strong>Reich</strong> mit ihren Manufakturwaren. Die Folge waren Arbeitslosigkeit der Handwerker und<br />
Manufakturarbeiter in den Städten und eine passive Handelsbilanz, unter der das <strong>Osmanische</strong> <strong>Reich</strong> seit dem 17.<br />
Jahrhundert dauerhaft litt. (W)<br />
1683 2. Belagerung Wiens durch Kara Mustafa Pascha, 2 Monate lang, blutig (Minen!) und erfolglos;<br />
Durch die sich anschließenden Eroberungen im Zuge des Großen Türkenkrieges in Süd-Osteuropa stiegen<br />
Österreich und das Zarenreich zu europäischen Großmächten auf. Die sogenannte Türkengefahr, die seit der<br />
Niederlage von Nikopolis 1396 und dem Fall Konstantinopels 1453 Europa in Bann hielt, war endgültig vorbei.(W)