Der Wert von Produktvielfalt: - Universität St.Gallen
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<strong>Der</strong> <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>:<br />
Wirkung großer Sortimente auf das Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten<br />
DISSERTATION<br />
der <strong>Universität</strong> <strong>St</strong>. <strong>Gallen</strong>,<br />
Hochschule für Wirtschafts-,<br />
Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG)<br />
zur Erlangung der Würde eines<br />
Doktors der Wirtschaftswissenschaften<br />
vorgelegt <strong>von</strong><br />
Michael Riemenschneider<br />
aus<br />
Deutschland<br />
Genehmigt auf Antrag der Herren<br />
Prof. Dr. Andreas Herrmann<br />
und<br />
Prof. Dr. Torsten Tomczak<br />
Dissertation Nr. 3142<br />
Deutscher <strong>Universität</strong>s-Verlag, Wiesbaden 2006
Die <strong>Universität</strong> <strong>St</strong>. <strong>Gallen</strong>, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften<br />
(HSG), gestattet hiermit die Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne<br />
zu den darin ausgesprochenen Anschauungen <strong>St</strong>ellung zu nehmen.<br />
<strong>St</strong>. <strong>Gallen</strong>, den 17. November 2005<br />
<strong>Der</strong> Rektor:<br />
Prof. Ernst Mohr, PhD<br />
Die Arbeit erscheint unter dem Titel: „<strong>Der</strong> <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>: Wirkung großer<br />
Sortimente auf das Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten“, in Reinhold Decker, Franz-Rudolf<br />
Esch, Andreas Herrmann, Henrik Sattler, Herbert Woratschek (Hrsg.): Marken- und<br />
Produktmanagement, Deutscher <strong>Universität</strong>s-Verlag, Wiesbaden, 2006.<br />
ISBN 3-8350-0305-4
Geleitwort<br />
„Je mehr, desto besser“ lautete lange Zeit – und lautet häufig noch immer – die Devise<br />
<strong>von</strong> Unternehmen im Hinblick auf die Größe der <strong>von</strong> ihnen angebotenen Vielfalt an<br />
Produkten. Basis dieser Argumentation ist die Annahme, dass die Bedürfnisse <strong>von</strong><br />
Konsumenten verschieden sind und durch eine höhere Anzahl <strong>von</strong> Produkten besser<br />
erfüllt werden können als durch eine geringe. Dieser Logik folgend ist die<br />
Wahrscheinlichkeit, dass ein Konsument ein seinen Bedürfnissen entsprechendes<br />
Produkt findet und kauft, bei großer Auswahl höher als bei kleiner.<br />
Doch sowohl in der Praxis als auch in der Forschung wurden die Grenzen dieser<br />
Argumentation deutlich. So haben zahlreiche Forschungsarbeiten – in neuerer Zeit v.a.<br />
im Themenfeld der Konsumentenverwirrtheit – gezeigt, dass Konsumenten<br />
Schwierigkeiten mit der hohen Komplexität großer Vielfalt haben, in deren Folge<br />
sowohl ihre Kaufabsicht als auch Zufriedenheit sinkt.<br />
Riemenschneider wendet sich mit seiner Arbeit dem Spannungsfeld hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> zu und erklärt mittels eines auf umfassender theoretischer Basis<br />
entwickelten Kosten-und-Nutzen-Ansatzes, welche positiven (Nutzen) und negativen<br />
(Kosten) Aspekte Konsumenten mit hoher <strong>Produktvielfalt</strong> verbinden und wie sich<br />
diese auf deren Verhalten auswirken. Die Ergebnisse der umfassenden und<br />
anspruchsvollen empirischen Untersuchungen verdeutlichen zum einen, dass (zu)<br />
große Sortimente aus Konsumenten – und somit auch aus Unternehmenssicht – mit<br />
deutlichen Nachteilen verbunden sind und „mehr“ nicht „besser“ sondern sogar<br />
„schlechter“ sein kann. Zum anderen verdeutlichen die Untersuchungsergebnisse<br />
Einflussstärke und Bedeutung einzelner positiver und negativer Facetten hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> auf das Entscheidungsverhalten und die Zufriedenheit <strong>von</strong><br />
Konsumenten.<br />
Die auf Basis des Modells abgeleiteten Erklärungsansätze hierfür sind sowohl für die<br />
Wissenschaft als auch für die Praxis relevant. So zeigt Riemenschneider anschaulich<br />
und auf umfassender theoretischer Basis die Zusammenhänge positiver und negativer<br />
Aspekte großer Sortimente mit dem Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten auf und entwickelt<br />
ein Instrumentarium, diese zu messen.<br />
I
Für den Praktiker – insbesondere für Handelsunternehmen und Hersteller <strong>von</strong><br />
Gebrauchs- und Verbrauchsgütern – leitet der Autor aus den Untersuchungsergebnissen<br />
umfassende praxisorientierte und pragmatische Handlungsempfehlungen zur<br />
Optimierung <strong>von</strong> Sortimenten und der Gestaltung des Marketing-Mix ab. Vor diesem<br />
Hintergrund wünsche ich der Arbeit eine weite Verbreitung.<br />
Professor Dr. Andreas Herrmann<br />
II
Vorwort<br />
Die stete Sortimentserweiterung <strong>von</strong> Handelsunternehmen und Herstellern <strong>von</strong> Geund<br />
Verbrauchsgütern verdeutlicht ebenso wie die Entstehung immer größerer<br />
Einkaufszentren und Gigastores, dass hohe <strong>Produktvielfalt</strong> für Unternehmen ein<br />
bedeutendes Marketinginstrument ist, um Konsumenten anzuziehen und zum Kauf zu<br />
motivieren. Gleichzeitig ist sowohl in der Praxis als auch in der Forschung eine<br />
intensiver werdende Diskussion der negativen Auswirkungen (über)großer Sortimente<br />
auf das Entscheidungsverhalten und die Zufriedenheit der Konsumenten zu<br />
beobachten. Aus der Sicht <strong>von</strong> Konsumenten hat hohe <strong>Produktvielfalt</strong> demnach<br />
sowohl positive als auch negative Aspekte, die beide ihr Verhalten beeinflussen. <strong>Der</strong><br />
dieser Arbeit zu Grunde liegende Kosten- und Nutzenansatz identifiziert bedeutende<br />
positive und negative Facetten hoher <strong>Produktvielfalt</strong>, beschreibt Zusammenhänge<br />
zwischen diesen und dem Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten und überprüft diese mittels<br />
umfassender empirischer Untersuchungen. Die hohe Praxisrelevanz des Themas und<br />
die Faszination der fachgebietsübergreifenden Fragestellungen bildeten die Motivation<br />
für diese Forschungsarbeit.<br />
Bei den zahlreichen Personen, die mich hierbei direkt oder indirekt unterstützt haben,<br />
möchte ich mich an dieser <strong>St</strong>elle bedanken:<br />
Insbesondere und allen voran danke ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Andreas<br />
Herrmann. Er hat durch seine intensive Betreuung, seine konstruktiven Vorschläge<br />
und seine hohe Fachkompetenz wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen.<br />
Mein Dank gilt ebenso Herrn Prof. Dr. Torsten Tomczak für die Übernahme des<br />
Korreferats und seine praxisnahen Anregungen und konstruktiven Analysen, die nicht<br />
nur bei der Detaillierung der Fragestellung sehr hilfreich waren.<br />
Bedanken möchte ich mich auch bei meinen ehemaligen Kollegen <strong>von</strong> The Boston<br />
Consulting Group. Insbesondere danke ich der Münchner Doktorandengruppe sowie<br />
Hrn. Dr. Fabian <strong>von</strong> Löwenfeld für intensive fachliche Diskussionen und<br />
willkommene Gespräche abseits der Promotion. Für die infrastrukturelle Unterstützung<br />
im BCG-Büro in München bin ich besonders Georg <strong>St</strong>icher und Dr. Kai Obring<br />
zu Dank verpflichtet.<br />
Nicht zuletzt möchte ich meiner Mutter Elfriede Riemenschneider danken, die mein<br />
<strong>St</strong>udium intensiv unterstützt und damit diese Arbeit erst ermöglicht hat.<br />
III
Lob gebührt auch Herrn Dr. Hans Kluth, der dankenswerterweise die mühselige Arbeit<br />
des Korrekturlesens übernahm.<br />
Für die Unterstützung der empirischen Untersuchung möchte ich mich bei den<br />
Mediamarkt-Geschäftsführern Edel, Herter, Kreipl und Kretzschmar sowie bei den<br />
710 Teilnehmern der Befragung bedanken.<br />
Für ihre unschätzbare Hilfe danke ich schließlich meiner Freundin Vanessa Kluth. Ihre<br />
Geduld und ihr Verständnis halfen mir entscheidend, diese Arbeit zu vollenden.<br />
München, im Dezember 2005<br />
Michael Riemenschneider<br />
IV
Inhaltsübersicht<br />
1. <strong>Produktvielfalt</strong> und ihre Wirkung: Grundlagen und Zielsetzung der<br />
Arbeit 1<br />
1.1 Die Bedeutung der <strong>Produktvielfalt</strong> aus Marketingsicht 1<br />
1.2 Präzisierung des Untersuchungsgegenstands 9<br />
1.3 <strong>St</strong>ruktur der weiteren Untersuchung 40<br />
2. Theoretische Grundlagen der Untersuchung 42<br />
2.1 Bestandsaufnahme: Empirische Forschungsergebnisse ausgewählter<br />
<strong>St</strong>udien zum Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und<br />
Konsumentenverhalten 42<br />
2.2 Grundlegende theoretische Perspektiven zur Erklärung des<br />
Zusammenhangs <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten 68<br />
2.3 Theoretische Bezugspunkte zur Erklärung der Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> 94<br />
3. Messung <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 187<br />
3.1 Grundlagen der Messung <strong>von</strong> Konstrukten 187<br />
3.2 Konzeptualisierung und Operationalisierung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> und seiner Kosten- und Nutzendimension 208<br />
3.3 Pretest 230<br />
3.4 Hauptuntersuchung 251<br />
3.5 Zusammenfassung 300<br />
4. Auswirkungen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen der Vielfalt auf das<br />
Konsumentenverhalten 302<br />
4.1 Methodik und Vorgehensweise bei der Analyse der Daten 302<br />
4.2 Wirkung auf das Kaufverhalten 307<br />
4.3 Wirkung auf die Kauf- und Nachkaufbewertung 310<br />
4.4 Erweiterte Modelle und weiterführende Untersuchungen 341<br />
5. Determinanten <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 366<br />
5.1 Sortimentseigenschaften als Determinanten 366<br />
5.2 Empirische Untersuchung 373<br />
5.3 Zusammenfassung 385<br />
6. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 387<br />
6.1 Die Ergebnisse der Untersuchung aus Sicht der Marketingtheorie 387<br />
6.2 Implikationen für die Unternehmenspraxis 397<br />
Literaturverzeichnis 411<br />
V
Inhaltsverzeichnis<br />
Zusammenfassung<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Tabellenverzeichnis<br />
XIII<br />
XV<br />
XXI<br />
1. <strong>Produktvielfalt</strong> und ihre Wirkung: Grundlagen und Zielsetzung der<br />
Arbeit 1<br />
1.1 Die Bedeutung der <strong>Produktvielfalt</strong> aus Marketingsicht 1<br />
1.2 Präzisierung des Untersuchungsgegenstands 9<br />
1.2.1 Begriffliche Grundlagen 9<br />
1.2.2 Identifikation relevanter Größen der Untersuchung: Ablauf <strong>von</strong><br />
Kaufentscheidungen und die Rolle der <strong>Produktvielfalt</strong> 15<br />
1.2.3 Zielsetzung, forschungsleitende Fragestellungen und Abgrenzung<br />
des Untersuchungsgegenstands 28<br />
1.2.3.1 Forschungsbedarf 28<br />
1.2.3.2 Ziele der Untersuchung und Forschungsfragen 30<br />
1.2.3.3 Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands 33<br />
1.3 <strong>St</strong>ruktur der weiteren Untersuchung 40<br />
2. Theoretische Grundlagen der Untersuchung 42<br />
2.1 Bestandsaufnahme: Empirische Forschungsergebnisse<br />
ausgewählter <strong>St</strong>udien zum Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und<br />
Konsumentenverhalten 42<br />
2.1.1 Amos Tversky und Eldar Shafir (1992): Choice under Conflict:<br />
The Dynamics of Deferred Decision 42<br />
2.1.2 Donald A. Redelmeier und Eldar Shafir (1995): Medical Decision<br />
Making in Situations That Offer Multiple Alternatives. 46<br />
2.1.3 Ravi Dhar (1997): Consumer Preference for a No-Choice Option 49<br />
VII
2.1.4 John Gourville und Dilip Soman (1999): Is More Choice Always<br />
Better? The Effect of Assortment Type on Consumer Choice 51<br />
2.1.5 Sheena S. Iyengar und Mark R. Lepper (2000): When Choice is<br />
Demotivating: Can One Desire Too Much of a Good Thing? 58<br />
2.1.6 Sheena Iyengar, Wei Jiang und Gur Huberman (2003): How<br />
Much Choice is Too Much? Contributions to 401(k) Retirement<br />
Plans 62<br />
2.1.7 Zusammenfassung der <strong>St</strong>udien 65<br />
2.2 Grundlegende theoretische Perspektiven zur Erklärung des<br />
Zusammenhangs <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten 68<br />
2.2.1 Die gegensätzlichen Hypothesen <strong>von</strong> Informationsdefizit und<br />
Informationsüberlastung 68<br />
2.2.1.1 Die Hypothese des Informationsdefizits 69<br />
2.2.1.2 Die Hypothese der Informationsüberlastung (Information<br />
Overload) 70<br />
2.2.2 Die Theorie des Optimum <strong>St</strong>imulation Level 80<br />
2.2.3 <strong>Produktvielfalt</strong> und „The Tyranny of Freedom” 84<br />
2.2.4 Zusammenfassung 90<br />
2.3 Theoretische Bezugspunkte zur Erklärung <strong>von</strong> Kosten und Nutzen<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 94<br />
2.3.1 Theorien zur Erklärung des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 94<br />
2.3.1.1 Nutzenerwartungswerttheorie und rationale<br />
Entscheidungstheorie 95<br />
2.3.1.2 Hedonic Shopping Value 106<br />
2.3.1.3 Zusammenfassung 121<br />
2.3.2 Theorien zur Erklärung der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 122<br />
2.3.2.1 The Cost of Thinking 122<br />
2.3.2.2 Konflikt-Theorie 134<br />
2.3.2.3 Antizipiertes Regret 158<br />
VIII
2.3.3 Hypothesen und Modellentwicklung 176<br />
2.3.3.1 Hypothesen zu Konsequenzen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> 178<br />
2.3.3.2 Hypothesen zu den Determinanten <strong>von</strong> Kosten und Nutzen<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 183<br />
3. Messung <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 187<br />
3.1 Grundlagen der Messung <strong>von</strong> Konstrukten 187<br />
3.1.1 Grundlagen der Konstruktmessung 187<br />
3.1.1.1 Begriffliche Grundlagen 187<br />
3.1.1.2 Das Messmodell im Kontext <strong>von</strong> <strong>St</strong>rukturgleichungsmodellen 190<br />
3.1.2 Das Messmodell 192<br />
3.1.2.1 Das reflektive Messmodell 194<br />
3.1.2.2 Das formative Messmodell 197<br />
3.1.2.3 Entscheidungskriterien zur Verwendung formativer oder<br />
reflektiver Messmodelle 204<br />
3.1.3 Vorgehensweise bei der Entwicklung eines Messinstruments für<br />
den <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und seiner Dimensionen 207<br />
3.2 Konzeptualisierung und Operationalisierung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> und seiner Kosten- und Nutzendimension 208<br />
3.2.1 Konzeptualisierung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 209<br />
3.2.1.1 Konzeptualisierung des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 210<br />
3.2.1.2 Konzeptualisierung der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 211<br />
3.2.2 Operationalisierung 214<br />
3.2.2.1 Vorgehensweise und Quellen zur Generierung der<br />
Indikatoren 214<br />
3.2.2.2 Operationalisierung des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 217<br />
3.2.2.3 Operationalisierung der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 222<br />
3.2.2.4 Art der Messmodelle 226<br />
IX
3.3 Pretest 230<br />
3.3.1 Methodik und Gütekriterien 231<br />
3.3.2 Untersuchungsdesign 237<br />
3.3.3 Ergebnisse der Analysen 240<br />
3.3.3.1 Faktoren der Nutzendimension 240<br />
3.3.3.2 Faktoren der Kostendimension 245<br />
3.3.3.3 Gesamtbeurteilung 248<br />
3.4 Hauptuntersuchung 251<br />
3.4.1 Analyseverfahren und Gütekriterien 251<br />
3.4.1.1 Auswahl eines geeigneten Analyseverfahrens 251<br />
3.4.1.2 <strong>Der</strong> PLS-Ansatz 253<br />
3.4.1.3 Gütekriterien zur Beurteilung der Messmodelle 259<br />
3.4.2 Untersuchungsdesign und Auswahl der Datensätze 273<br />
3.4.2.1 Untersuchungsdesign 273<br />
3.4.2.2 Auswahl der Datensätze 276<br />
3.4.3 Ergebnisse der Analysen 278<br />
3.4.3.1 Deskriptive und soziodemographische Analysen 278<br />
3.4.3.2 PLS-Messmodell der Nutzendimension 283<br />
3.4.3.3 PLS-Messmodell der Kostendimension 293<br />
3.5 Zusammenfassung 300<br />
4. Auswirkungen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> Vielfalt auf das<br />
Konsumentenverhalten 302<br />
4.1 Methodik und Gütekriterien bei der Analyse der Daten 302<br />
4.1.1 Methodik und Vorgehensweise 302<br />
4.1.2 Gütekriterien zur Beurteilung des <strong>St</strong>rukturmodells 303<br />
4.2 Wirkung auf das Kaufverhalten 307<br />
4.3 Wirkung auf die Kauf- und Nachkaufbewertung 310<br />
4.3.1 Messmodelle der endogenen Konstrukte 310<br />
4.3.1.1 Operationalisierung der Konstrukte 310<br />
X<br />
4.3.1.2 Überprüfung der Messmodelle im Pretest 316
4.3.2 Ergebnisse des PLS-Modells der Hauptuntersuchung 323<br />
4.3.2.1 Ebene 1: Messmodelle der endogenen Konstrukte 323<br />
4.3.2.2 Ebene 2: <strong>St</strong>rukturmodell 328<br />
4.3.2.3 Zusammenfassung 339<br />
4.4 Erweiterte Modelle und weiterführende Untersuchungen 341<br />
4.4.1 Erweitertes <strong>St</strong>rukturmodell 341<br />
4.4.2 Einfluss <strong>von</strong> Beratungszufriedenheit und Preisführerschaft 343<br />
4.4.2.1 Messung der Konstrukte Beratungszufriedenheit und<br />
Preisführerschaft 343<br />
4.4.2.2 <strong>Der</strong> Einfluss <strong>von</strong> Beratungszufriedenheit und<br />
Preisführerschaft auf die Kaufentscheidung und<br />
Nachkaufbewertung 347<br />
4.4.3 Personenimmanente Eigenschaften 352<br />
4.4.3.1 Expertise 352<br />
4.4.3.2 Optimum <strong>St</strong>imulation Level (OSL) 358<br />
4.4.4 Zusammenfassung 363<br />
5. Determinanten der Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 366<br />
5.1 Sortimentseigenschaften als Determinanten 366<br />
5.1.1 Potenzielle Einflussfaktoren des Sortiments 366<br />
5.1.2 Operationalisierung der untersuchten Einflussfaktoren 369<br />
5.2 Empirische Untersuchung 373<br />
5.3 Zusammenfassung 385<br />
6. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 387<br />
6.1 Die Ergebnisse der Untersuchung aus Sicht der Marketingtheorie 387<br />
6.2 Implikationen für die Unternehmenspraxis 397<br />
Literaturverzeichnis 411<br />
XI
XII
Zusammenfassung<br />
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Wirkung großer Sortimente auf das<br />
Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten. Im Zentrum stehen dabei drei Fragen, die auf Basis eines<br />
Kosten- und Nutzenansatzes theoretisch und empirisch untersucht werden:<br />
1. Welche positiven und negativen Aspekte verbinden Konsumenten mit hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong>?<br />
2. In welchem Zusammenhang stehen diese Phacetten mit dem Ausgang der<br />
Kaufentscheidung und der Bewertung <strong>von</strong> Kaufprozess und Produkt.<br />
3. Durch welche quantitativen und qualitativen Eigenschaften des Sortiments<br />
werden Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> beeinflusst?<br />
Die Untersuchungsergebnisse verdeutlichen, dass Konsumenten zum einen Spaß an<br />
hoher Vielfalt haben und mit ihr die Möglichkeit der Informationsgewinnung und eine<br />
große Chance des erfolgreichen Abschlusses der Kaufhandlung verbinden. Zum<br />
anderen fühlen sie sich durch hohe Vielfalt aber verwirrt, empfinden den<br />
Entscheidungsprozeß als geistig und emotional anstrengend und antizipieren Bedauern<br />
über die potenzielle Fehlentscheidung.<br />
Mit Hilfe des entwickelten und empirisch getesteten Instrumentariums zur Messung<br />
<strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> wird gezeigt, dass sich die Kosten hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> negativ auf die Kaufentscheidung und die Zufriedenheit des<br />
Konsumenten mit dem Kaufprozess und dem gekauften Produkt auswirken.<br />
Gleichzeitig gilt, dass die positiven Phacetten hoher <strong>Produktvielfalt</strong> das<br />
Konsumentverhalten positiv beeinflussen. Die Ergebnisse verdeutlichen sowohl die<br />
Verhaltensrelevanz des untersuchten Konstrukts als auch die konträren Effekte großer<br />
Sortimente im Hinblick auf das Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten.<br />
Für die Praxis ist insbesondere relevant, dass durch die Gestaltung des Sortiments<br />
Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> – und somit auch das Verhalten <strong>von</strong><br />
Konsumenten – beeinflusst werden können. So zeigen die Ergebnisse u.a., dass sich<br />
(zu) hohe Vielfalt doppelt negativ auswirkt und sowohl die positiven Vielfaltaspekte<br />
abschwächt, als auch die negativen erhöht.<br />
Auf Basis der Untersuchungserkenntnisse werden für den Praktiker konkrete und<br />
pragmatische Handlungsempfehlungen zur Optimierung der Sortimentsgestaltung<br />
abgeleitet.<br />
XIII
XIV
Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildung 1: Anzahl der PKW-Varianten und durchschnittlicher Marktanteil<br />
pro Variante in Deutschland <strong>von</strong> 1981 bis 2000 4<br />
Abbildung 2: <strong>Der</strong> <strong>Wert</strong>gewinn 12<br />
Abbildung 3: <strong>Der</strong> <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> als mediierendes Konstrukt<br />
zwischen Sortiment und Konsumentenverhalten 14<br />
Abbildung 4: Das Consumer-Decision-Process-Modell <strong>von</strong> Engel, Blackwell<br />
und Miniard 16<br />
Abbildung 5: Entscheidungsmatrix in einer Kaufsituation 18<br />
Abbildung 6. Aufwand und Genauigkeit <strong>von</strong> Entscheidungsstrategien 21<br />
Abbildung 7: Grafische Veranschaulichung der Forschungsfragen 33<br />
Abbildung 8: Eigenschaften verschiedener Arten <strong>von</strong> Kaufentscheidungen 38<br />
Abbildung 9: Aufbau der Arbeit 41<br />
Abbildung 10: Ergebnisse der Untersuchungen <strong>von</strong> Tversky/Shafir (1992) 45<br />
Abbildung 11: Auswirkung verschieden hoher Alternativenzahl auf das<br />
Entscheidungsverhalten bei medizinischen Entscheidungen 47<br />
Abbildung 12: <strong>Der</strong> Anteil der Käufer in verschiedenen Produktkategorien ist<br />
abhängig <strong>von</strong> Anzahl und Art der verfügbaren Alternativen 50<br />
Abbildung 13: Vergleichbare Produktlinie (Alignable Assortment) und<br />
nicht-vergleichbare Produktlinie (Non-alignable Assortment) 53<br />
Abbildung 14: Kaufwahrscheinlichkeit bei einem vergleichbaren und<br />
nicht-vergleichbaren Sortiment 55<br />
Abbildung 15: Die Auswirkung der Größe eines nicht-vergleichbaren<br />
Sortiments<br />
auf die Wahrscheinlichkeit, dass Konsumenten eine extreme<br />
Option auswählen 57<br />
Abbildung 16: Ergebnisse der <strong>St</strong>udien <strong>von</strong> Iyengar und Lepper 2000 59<br />
Abbildung 17: Zusammenhang der Anzahl angebotener Fonds und<br />
Teilnahmequote an betrieblichem Pensionsplan 64<br />
Abbildung 18: <strong>St</strong>ruktur des Theorieteils 67<br />
Abbildung 19: Informationsaufnahme und -verarbeitung im Drei-Speicher-<br />
Modell 71<br />
XV
Abbildung 20: Kurzzeitspeicher ist Engpass bei der menschlichen<br />
Informationsverarbeitung 73<br />
Abbildung 21: <strong>Der</strong> Information Overload Effekt 75<br />
Abbildung 22 Die Entscheidungsqualität in Anhängigkeit der Merkmals- und<br />
Alternativenzahl 76<br />
Abbildung 23: Vergleich verfügbarer und bei der Entscheidung berücksichtigter<br />
Alternativenzahl für verschiedene Produktarten 79<br />
Abbildung 24: Zusammenhang <strong>von</strong> Erregungspotenzial und Hedonic Value und<br />
deren Abhängigkeit <strong>von</strong> Persönlichkeitsmerkmalen 83<br />
Abbildung 25: Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und positiver<br />
Konsumerfahrung 87<br />
Abbildung 26: Hypothese des abnehmenden Grenznutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 91<br />
Abbildung 27: Zusammenfassende Darstellung des Zusammenhangs der<br />
Nutzenerwartungswerttheorie und dem Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> 105<br />
Abbildung 28: Antezedenzien und Konsequenzen der hedonistischen und<br />
utilitaristischen Dimension des Perceived Shopping Values 112<br />
Abbildung 29: Hedonistische und utilitaristische Nutzendimensionen <strong>von</strong> Sales<br />
Promotions 114<br />
Abbildung 30: Herausbildung eines Zufriedenheitsurteils: <strong>Der</strong> Zusammenhang<br />
<strong>von</strong> utilitaristischer und hedonistischer Produktbewertung,<br />
positivem und negativem Affekt und der Zufriedenheit 115<br />
Abbildung 31: Zusammenfassende Darstellung der Zusammenhänge des<br />
Shopping Hedonismus und des Nutzens <strong>von</strong> hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> 121<br />
Abbildung 32: Zusammenhang <strong>von</strong> Ähnlichkeit und Kovarianz <strong>von</strong> zwei<br />
Produkten und der Schwierigkeit der Entscheidung zwischen<br />
diesen 125<br />
Abbildung 33: Zusammenhang <strong>von</strong> Alternativenzahl und kognitivem<br />
Entscheidungs-aufwand bei verschiedenen<br />
Entscheidungsstrategien 130<br />
Abbildung 34: Zusammenfassende Darstellung des Zusammenhangs der<br />
Theorie der Cost of Thinking und der EIP-Methodik mit den<br />
Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 134<br />
XVI
Abbildung 35: Veranschaulichung der Entstehung und Lösung eines<br />
Appetenz-Appetenz-Konflikts und eines Appetenz-Aversions-<br />
Konflikts 138<br />
Abbildung 36: Zusammenfassende Darstellung des Zusammenhangs der<br />
Konflikttheorie und den Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 158<br />
Abbildung 37: Idealtypischer Verlauf der Regret-Funktion 161<br />
Abbildung 38: Die Auswirkungen <strong>von</strong> Regret auf die Zufriedenheit und die<br />
Wiederkaufsabsicht 167<br />
Abbildung 39: Zusammenfassende Darstellung des Zusammenhangs <strong>von</strong><br />
antizipiertem Regret und den Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 176<br />
Abbildung 40: Zusammenfassende Darstellung der aus den Theorien des<br />
Bezugs-rahmens abgeleiteten Zusammenhänge <strong>von</strong><br />
Determinanten, Facetten und Konsequenzen <strong>von</strong> Kosten und<br />
Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 177<br />
Abbildung 41 Gesamtmodell der in der Untersuchung berücksichtigten<br />
Konsequenzen und Determinanten des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 185<br />
Abbildung 42: Möglichkeiten der Konzeptualisierung <strong>von</strong> Konstrukten 189<br />
Abbildung 43: Pfaddiagramm eines <strong>St</strong>rukturgleichungsmodells mit formativer<br />
und reflektiver latenter Variable 191<br />
Abbildung 44: Reflektives und formatives Messmodell 192<br />
Abbildung 45: Konstrukte zweiter Ordnung mit formativen und reflektiven<br />
<strong>St</strong>rukturen 193<br />
Abbildung 46: MIMIC-Modell und Modell mit Phantomvariable zur<br />
Untersuchung der externen Validität formativ operationalisierter<br />
Konstrukte 202<br />
Abbildung 47: Vorgehensweise bei der Entwicklung eines Messinstruments für<br />
den <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 207<br />
Abbildung 48: Konzeptualisierung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> als<br />
zweidimensionales Konstrukt mit den Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> und dem Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> als<br />
unabhängige Dimensionen 209<br />
Abbildung 49: Konzeptualisierung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und seiner<br />
Dimensionen mit den jeweils zugrunde liegenden theoretischen<br />
Bezugspunkten 214<br />
XVII
Abbildung 50: Ergebnisse der qualitativen Konsumentenbefragung 216<br />
Abbildung 51: Operationalisierung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> als<br />
zweidimensionales, mehrfaktorielles Konstrukt mit reflektivem<br />
Messmodell auf Faktorenebene und formativem Messmodell auf<br />
Dimensionsebene 230<br />
Abbildung 52: Anpassungsmaße zur Gütebeurteilung <strong>von</strong> Kausalmodellen im<br />
Überblick 234<br />
Abbildung 53: Das mit 36 Produkten größte „künstliche Sortiment“ des Pretests 239<br />
Abbildung 54: PLS-Modell nach der Parameterschätzung 253<br />
Abbildung 55: Ablaufdiagramm des PLS-Schätzalgorithmus 254<br />
Abbildung 56: Von Wold entwickelte <strong>St</strong>ruktur zur Abbildung eines Konstrukts<br />
zweiter Ordnung in PLS 258<br />
Abbildung 57: Ebenen des Messmodells 260<br />
Abbildung 58: Umsetzung der vier Schritte der Operationalisierung formativer<br />
Konstrukte nach Diamantopoulos und Winklhofer 267<br />
Abbildung 59: Gütekriterien zur Beurteilung der Messmodelle <strong>von</strong> Kosten und<br />
Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> in der Hauptuntersuchung 272<br />
Abbildung 60: Verteilung der Käufer und Nicht-Käufer pro Geschäft 278<br />
Abbildung 61: Verteilung der Befragten auf die Produktgruppen 279<br />
Abbildung 62: Verteilung der <strong>St</strong>ichprobe nach Geschlecht 280<br />
Abbildung 63: Boxplots zur Veranschaulichung der Altersverteilung der drei<br />
Geschäfte 282<br />
Abbildung 64: Ergebnisse der PLS-Schätzung des formativen Messmodells der<br />
Nutzendimension mit Phantomvariable: Gütemaße und<br />
Parameterschätzungen (Ebene 2) 288<br />
Abbildung 65: Ergebnisse der PLS-Schätzung des formativen Messmodells der<br />
Kostendimension mit Phantomvariable: Gütemaße und<br />
Parameterschätzungen (Ebene 2) 296<br />
Abbildung 66: Gütemaße zur Beurteilung des Gesamtmodells 306<br />
Abbildung 67: Die Auswirkung <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf<br />
die Kaufabsicht, Ergebnisse der PLS-Parameterschätzung 308<br />
Abbildung 68: Pfaddiagramm der mittel- und langfristigen Konsequenzen <strong>von</strong><br />
Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 329<br />
XVIII
Abbildung 69: Anteil der Käufer und Nicht-Käufer <strong>von</strong> beratenen und nicht<br />
beratenen Konsumenten 349<br />
Abbildung 70: Erweitertes <strong>St</strong>rukturmodell unter Berücksichtigung <strong>von</strong><br />
Beratungszufriedenheit und Preisführerschaft 350<br />
Abbildung 71: Vorgehensweise bei der Untersuchung personenimmanenter<br />
Einflüsse 356<br />
Abbildung 72: In der empirischen Untersuchung berücksichtigte<br />
Sortimentsaspekte als potenzielle Einflussgrößen auf Kosten und<br />
Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 369<br />
Abbildung 73: Anzahl der Marken, Produkte und Preispunkte sowie<br />
Preisspannen der drei Geschäfte 370<br />
Abbildung 74: Vergleich der durch Konsumenten eingeschätzten und der<br />
tatsächlichen Anzahl der Produkte in den drei untersuchten<br />
Geschäften 371<br />
Abbildung 75: Ergebnisse der PLS-Parameterschätzung der Determinanten der<br />
Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 374<br />
Abbildung 76: Grafische Veranschaulichung des Zusammenhangs <strong>von</strong><br />
Produktanzahl und den <strong>Wert</strong>en der latenten Nutzen- und<br />
Kostenvariablen 381<br />
Abbildung 77: Abschnittweise PLS-Modelle des Zusammenhangs <strong>von</strong><br />
Alternativenzahl und Kosten- und Nutzenkonstrukt 383<br />
Abbildung 78: Die Ergebnisse der Überprüfung der Hypothesen zu den<br />
Konsequenzen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 391<br />
Abbildung 79: Determinanten <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 393<br />
Abbildung 80: Die neun einflussstärken Messmodellfaktoren und<br />
Determinanten zeigen effektive und effiziente Ansatzpunkte für<br />
Maßnahmen auf 398<br />
Abbildung 81: Aus den Untersuchungsergebnissen abgeleitete Maßnahmen und<br />
deren Ansatzpunkte im Überblick 409<br />
XIX
Tabellenverzeichnis<br />
Tabelle 1: Klassifikation und Beschreibung <strong>von</strong> Entscheidungsstrategien 22<br />
Tabelle 2: Ergebnisse der zweiten <strong>St</strong>udie <strong>von</strong> Gourville und Soman (1999) 56<br />
Tabelle 3: Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Produktnutzen 101<br />
Tabelle 4: Übersicht verschiedener Elementary Information Processes (EIPs) 129<br />
Tabelle 5: Gegenüberstellung der Eigenschaften <strong>von</strong> formativen und<br />
reflektiven Messmodellen 199<br />
Tabelle 6: Entscheidungskriterien zur Verwendung eines formativen oder<br />
reflektiven Messmodells 205<br />
Tabelle 7: Indikatoren des Nutzen-Faktors „Antizipierter Produktnutzen“ 218<br />
Tabelle 8: Indikatoren des Nutzen-Faktors „Erfolgsaussichten“ 219<br />
Tabelle 9: Indikatoren des Nutzen-Faktors „Informationsmöglichkeiten“ 220<br />
Tabelle 10: Indikatoren des Nutzen-Faktors „Spaß (am Einkauf)“ 221<br />
Tabelle 11: Indikatoren des Nutzen-Faktors „Positive Emotionen“ 222<br />
Tabelle 12: Indikatoren des Kosten-Faktors „Aufwand und Anstrengung“ 223<br />
Tabelle 13: Indikatoren des Kosten-Faktors „Verwirrung und Frustration“ 224<br />
Tabelle 14: Indikatoren des Kosten-Faktors „Antizipiertes Regret“ 226<br />
Tabelle 15: Gütekriterien des Pretests 237<br />
Tabelle 16: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors<br />
„Erfolgsaussichten“ 241<br />
Tabelle 17: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors „Antizipierter<br />
Produktnutzen“ 242<br />
Tabelle 18: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors<br />
„Informationsmöglichkeiten“ 243<br />
Tabelle 19: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors „Spaß“. 244<br />
Tabelle 20: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors „Positive<br />
Emotionen“ 245<br />
Tabelle 21: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors „Verwirrung<br />
und Frustration“ 246<br />
Tabelle 22: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors „Aufwand“ 247<br />
Tabelle 23: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors „Antizipiertes<br />
Regret“ 248<br />
XXI
Tabelle 24: Ergebnisse der Überprüfung des Fornell-Larcker-Kriteriums der<br />
Nutzen- und Kostendimension im Pretest 249<br />
Tabelle 25: Anzahl der Indikatoren pro Dimension und Faktor vor und nach dem<br />
Pretest 250<br />
Tabelle 26: Gütemaße und Kriterien der Hauptuntersuchung für die Ebene 1 des<br />
Messmodells (reflektives Messmodell) 266<br />
Tabelle 27: Gütemaße und Kriterien der Hauptuntersuchung für die Ebene 2 des<br />
Messmodells (formatives Messmodell) 271<br />
Tabelle 28: Verteilung <strong>von</strong> Kaufverhalten, Produktgruppe und Geschlecht in der<br />
Hauptuntersuchung 280<br />
Tabelle 29: Verteilung der (höchsten) Bildungsabschlüsse in der <strong>St</strong>ichprobe 281<br />
Tabelle 30: Verteilung der Berufsgruppen in der <strong>St</strong>ichprobe 281<br />
Tabelle 31: Kenngrößen zur Beschreibung der Altersstruktur der Befragten 282<br />
Tabelle 32: Ergebnisse der Analysen des Messmodells (Ebene 1) für die<br />
Nutzendimension 285<br />
Tabelle 33: Korrelationen zwischen manifesten und latenten Variablen der<br />
Nutzendimension 286<br />
Tabelle 34: Ergebnisse der Überprüfung des Fornell-Larcker-Kriteriums der<br />
Nutzendimension 287<br />
Tabelle 35: Ergebnisse der Analysen des Messmodells (Ebene 2) für die<br />
Nutzendimension 289<br />
Tabelle 36: Gütekriterien des Messmodells der reflektiv operationalisierten<br />
Phantomvariablen für die Nutzendimension 290<br />
Tabelle 37: Relativer Erklärungsbeitrag der einzelnen Faktoren der<br />
Nutzendimension 291<br />
Tabelle 38: Ergebnisse der Analysen des Messmodells (Ebene 1) der<br />
Kostendimension. 293<br />
Tabelle 39: Korrelationen zwischen manifesten und latenten Variablen der<br />
Kostendimension 295<br />
Tabelle 40: Ergebnisse der Überprüfung des Fornell-Larcker-Kriteriums der<br />
Kostendimension 295<br />
Tabelle 41: Ergebnisse der Analysen des Messmodells (Ebene 2) der<br />
Kostendimension 297<br />
XXII
Tabelle 42: Gütekriterien des Messmodells der Phantomvariable für die<br />
Kostendimension 298<br />
Tabelle 43: Relativer Erklärungsbeitrag der einzelnen Faktoren der<br />
Kostendimension zur Gesamtdimension 300<br />
Tabelle 44: Gütemaße zur Beurteilung der Wirkung der Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf die Kaufabsicht 309<br />
Tabelle 45: Operationalisierung des endogenen Konstrukts „Zufriedenheit mit<br />
dem Kaufprozess“ 312<br />
Tabelle 46: Operationalisierung des endogenen Konstrukts „Kognitive<br />
Dissonanz“ 313<br />
Tabelle 47: Operationalisierung des endogenen Konstrukts „Zufriedenheit mit<br />
dem gekauften Produkt“ 314<br />
Tabelle 48: Operationalisierung des endogenen Konstrukts „Loyalität zur<br />
gekauften Marke“ 315<br />
Tabelle 49: Operationalisierung des endogenen Konstrukts „Loyalität zum<br />
Geschäft“ 316<br />
Tabelle 50: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Konstrukts<br />
„Zufriedenheit mit dem Kaufprozess“ im Pretest 317<br />
Tabelle 51: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Konstrukts „Kognitive<br />
Dissonanz“ im Pretest 318<br />
Tabelle 52: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Konstrukts<br />
„Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt“ im Pretest 319<br />
Tabelle 53: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Konstrukts „Loyalität<br />
zur gekauften Marke“ im Pretest 320<br />
Tabelle 54: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Konstrukts „Loyalität<br />
zum Geschäft“ im Pretest 321<br />
Tabelle 55: Ergebnisse der Überprüfung des Fornell-Larcker-Kriteriums der<br />
Konsequenzgrößen im Pretest 322<br />
Tabelle 56: Anzahl der Indikatoren zur Messung der endogenen Konstrukte vor<br />
und nach dem Pretest 323<br />
Tabelle 57: Ergebnisse der Analysen des Messmodells (Ebene 1) für die<br />
endogenen Konstrukte 324<br />
Tabelle 58: Rotierte Faktorladungen der Konsequenzen. 326<br />
Tabelle 59: Korrelationen manifester und latenter Variablen der Konsequenzen 327<br />
XXIII
Tabelle 60: Ergebnisse der Überprüfung des Fornell-Larcker-Kriteriums der<br />
Konsequenzen 328<br />
Tabelle 61: Gütemaße des <strong>St</strong>rukturmodells (2. Ebene). 331<br />
Tabelle 62: Einflussstärke der KPV und NPV auf die Zufriedenheit mit dem<br />
Kaufprozess 333<br />
Tabelle 63: <strong>St</strong>ärke der direkten Einflussgrößen der Kognitiven Dissonanz. 334<br />
Tabelle 64: Einflussstärke <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf die<br />
Kognitive Dissonanz 335<br />
Tabelle 65: <strong>St</strong>ärke der direkten Einflussgrößen der Zufriedenheit mit dem<br />
gekauften Produkt. 336<br />
Tabelle 66: Einflussstärke <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf die<br />
Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt 337<br />
Tabelle 67: <strong>St</strong>ärke der direkten Einflussgrößen auf die Loyalität zum Geschäft 338<br />
Tabelle 68: Einflussstärke <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf die<br />
Loyalität zum Geschäft 338<br />
Tabelle 69: Gütemaße des Zielkonstrukts Loyalität zur Marke im erweiterten<br />
Modell 342<br />
Tabelle 70: Operationalisierung des Konstrukts Beratungszufriedenheit 344<br />
Tabelle 71: Gütekriterien des PLS-Messmodells der Beratungszufriedenheit 344<br />
Tabelle 72: Korrelationen manifester und latenter Variablen der Konsequenzen<br />
des erweiterten Modells 345<br />
Tabelle 73: Ergebnisse der Überprüfung des Fornell-Larcker-Kriteriums unter<br />
Berücksichtigung <strong>von</strong> Beratungszufriedenheit und Preisführerschaft 346<br />
Tabelle 74: Wirkung <strong>von</strong> Beratungszufriedenheit und Preisführerschaft auf die<br />
Kaufintention 348<br />
Tabelle 75: Gütemaße des erweiterten <strong>St</strong>rukturmodells unter Berücksichtigung<br />
<strong>von</strong> Beratungszufriedenheit und Preisführerschaft 351<br />
Tabelle 76: Operationalisierung <strong>von</strong> Expertise 356<br />
Tabelle 77: Ergebnisse der Clusteranalyse zur Expertise 357<br />
Tabelle 78: Ergebnisse des T-Tests <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
für Befragte mit hoher und geringer Expertise 357<br />
Tabelle 79: Operationalisierung des Optimum <strong>St</strong>imulation Levels 359<br />
XXIV
Tabelle 80: Ergebnisse der konfirmatorischen Faktorenanalyse des OSL im<br />
Pretest 360<br />
Tabelle 81: Gütekriterien des PLS-Messmodells der Hauptuntersuchung für das<br />
OSL 361<br />
Tabelle 82: Ergebnisse der Clusteranalyse zum Optimum <strong>St</strong>imulation Level 362<br />
Tabelle 83: Ergebnisse des T-Tests <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
für Befragte mit hohem und geringem OSL 362<br />
Tabelle 84: Operationalisierung der Einflussfaktoren 373<br />
Tabelle 85: Parameterschätzung und Gütemaße der Determinanten <strong>von</strong> Kosten<br />
und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 375<br />
Tabelle 86: Einflussstärke der betrachteten Sortimentseigenschaften auf Kosten<br />
und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 377<br />
Tabelle 87: Parameter und Gütemaße der PLS-Modelle der Subsamples „bis<br />
Optimum“ und „über Optimum“ 384<br />
XXV
XXVI
„Ne quid nimis 1 “ („nichts zu viel“)<br />
(Terenz, Andria 61, 171 v. Chr.)<br />
„Variety truly is the spice-of-life, but like any spice it<br />
must be used in moderation“<br />
(Kahn/Morales 2001, S. 76)<br />
1. <strong>Produktvielfalt</strong> und ihre Wirkung: Grundlagen und<br />
Zielsetzung der Arbeit<br />
1.1 Die Bedeutung der <strong>Produktvielfalt</strong> aus Marketingsicht<br />
Die hier vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Reaktion <strong>von</strong> Konsumenten auf<br />
die Höhe der <strong>Produktvielfalt</strong> (Product Variety) in einer Kaufsituation. Dazu wird<br />
untersucht, welche positiven und negativen Aspekte <strong>Produktvielfalt</strong> aus Sicht des<br />
Konsumenten hat und wie sich diese auf das Kaufverhalten, die nachgelagerte<br />
Evaluation <strong>von</strong> Kaufprozess und erworbenem Produkt sowie zukünftige Verhaltensabsichten<br />
auswirken.<br />
Funktionen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> hat für Konsumenten zwei grundlegende Funktionen (vgl.<br />
Kahn/Morales 2001, S. 64; Hoch/Bradlow/Wansink 1999, S. 528f.):<br />
1<br />
„Übersetzung eines griechischen, meist Solon zugeschriebenen Wortes bei Terenz, Andria 61.<br />
Wichtigster Grundsatz der griechischen Ethik und Ästhetik“ (Lamer/Kroh (1995): Wörterbuch der<br />
Antike, S. 495). Griechische Inschrift auf dem Apollontempel in Delphi: mädén ágan.<br />
1
• Vielfalt bei mehreren aufeinander folgenden Käufen (Variety-Seeking): „If<br />
decision makers are making many choices over time, the variety or depth in the<br />
choice-set will enable exploration and choice of different options over time”<br />
(Kahn/Morales 2001, S. 64)<br />
• Vielfalt bei einmaligen oder seltenen Käufen (Customization): „If the decision<br />
maker is making a single choice, then variety or breadth in the assortment will<br />
enable one to find the desirable customized option among those offered.”<br />
(Kahn/Morales 2001, S. 64)<br />
Variety-Seeking Funktion <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Variety-Seeking beschreibt das Bedürfnis nach Abwechslung, das durch Sättigungseffekte,<br />
dem Wunsch nach (intellektueller) Herausforderung und einer Art<br />
„natürlichem Instinkt“ verursacht wird (vgl. Kahn 1998, S. 46). Variety-Seeking kann<br />
tendenziell in Produktkategorien beobachtet werden, in denen Verbraucher im Laufe<br />
der Zeit viele Entscheidungen treffen, die Entscheidungen mit eher geringem Risiko<br />
verbunden sind, die Konsumenten mit den angebotenen Produkten vertraut sind und<br />
eher große Consideration Sets 2 haben. Das Bedürfnis nach Abwechslung ist v.a. bei<br />
Konsumgütern des täglichen Bedarfs (FMCG 3 ) ein bedeutungsvolles Markenwechselmotiv<br />
(vgl. Kahn/Kalwani/Morrison 1986, S. 97; Gi<strong>von</strong> 1984, S. 17; Tscheulin 1994,<br />
S. 60f.; Helmig 1996, S. 8f.). Die hier vorliegende Untersuchung fokussiert auf<br />
Produkte und Dienstleistungen, die eher selten gekauft werden und mit deren<br />
Kaufentscheidung sich Konsumenten intensiv beschäftigen. Das Variety-Seeking-<br />
Behavior spielt deshalb als Funktion <strong>von</strong> Vielfalt hier eine untergeordnete Rolle (siehe<br />
hierzu auch die Ausführungen zur Einschränkung des Untersuchungsgegenstands,<br />
S. 33ff.).<br />
Customization-Funktion <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Die Customization-Funktion <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>, die im Fokus dieser Untersuchung<br />
steht, basiert auf der sowohl in der Praxis als auch der Marketingforschung<br />
vorherrschenden Meinung, dass sich Konsumenten hinsichtlich ihrer Wünsche und<br />
2<br />
3<br />
2<br />
Nedungadi (1990) definiert Consideration Set als „(…) the set of brands brought to (consumer’s)<br />
mind on a particular choice occasion” (S. 264).<br />
Fast Moving Consumer Goods
Bedürfnisse unterscheiden (vgl. Fiuczynski 1961, S. 867; Raffée 1969, S. 112;<br />
Gutenberg 1984, S. 510) und diese durch hohe <strong>Produktvielfalt</strong> besser erfüllt werden<br />
können als durch geringe Vielfalt (vgl. Kahn 1998, S. 46, Hoch/Bradlow/Wansink<br />
1999; Loewenstein 1999, S. 1). Durch ein vielfältiges Angebot erhöht sich somit die<br />
Wahrscheinlichkeit, dass ein Konsument das findet, was er sucht (vgl. Shapiro 1977,<br />
Lancaster 1979, Connor 1981, Quelch/Kenny 1994, S. 153f.). Diese Argumentation<br />
gilt gleichermaßen für Produkthersteller und Handelsunternehmen:<br />
Aus der Sicht eines Herstellers heißt das: „a broader product line makes it more<br />
likely that at least one of the firm’s products will match any individual consumer’s<br />
preference“ (Bayus/Putsin 1999, S. 142). Ein Hersteller, der eine hohe Anzahl an<br />
Produkten und Produktvarianten am Markt anbietet, setzt somit auf den<br />
Partizipationseffekt, der besagt, dass es einem Unternehmen durch die Einführung<br />
zusätzlicher Produkte oder Produktvarianten gelingt Käufer hinzuzugewinnen, die<br />
bislang Konkurrenzprodukte erworben oder keine Käufe in der jeweiligen<br />
Produktkategorie getätigt haben (vgl. Gutenberg 1984, S. 547, Meffert 2000, S. 449).<br />
Aus Handelssicht erfüllt hohe <strong>Produktvielfalt</strong> zwei wesentliche Funktionen: Zum<br />
einen wird dadurch die Sortimentskompetenz des Händlers betont und zum anderen<br />
die positive Wahrnehmung des Geschäftes gestärkt (vgl. Louviere/Gaeth 1987;<br />
Craig/Ghosh/McLafferty 1984). Beide Aspekte spielen bei der Einkaufsstättenwahl<br />
eine wichtige Rolle: Konsumenten nennen die Sortimentsvielfalt nach der Lage und<br />
den Preisen eines Geschäfts als drittwichtigstes Auswahlkriterium(vgl.<br />
Hoch/Bradlow/Wansink 1999, S. 527). Sie bevorzugen (ceteris paribus) Geschäfte mit<br />
großer Angebotsvielfalt gegenüber solchen mit geringer Vielfalt (vgl. Arnold/Oum/<br />
Tiger 1983, S. 152) und sind diesen gegenüber vergleichsweise loyaler (vgl.<br />
Hoch/Bradlow/Wansink 1999, S. 528).<br />
Folgt man der Argumentation des Marketingkonzepts, so liegt „(...) der Schlüssel zur<br />
Erreichung unternehmerischer Ziele darin (...), die Bedürfnisse und Wünsche des<br />
Zielmarktes zu ermitteln und diese dann wirksamer und wirtschaftlicher zufriedenzustellen<br />
als die Wettbewerber“ (Kotler/Bliemel 1999, S. 25). In Kombination mit den<br />
obigen Argumenten impliziert dies, dass Hersteller und Händler, die ihr Produktangebot<br />
erweitern, gegenüber Wettbewerbern, die dies nicht tun, Marktanteile<br />
hinzugewinnen sollten (vgl. Gourville/Soman 1999, S. 1; Bayus/Putsin 1999,<br />
S. 140ff.). Die <strong>Produktvielfalt</strong> hat sich, dieser Argumentation folgend, in den letzen 20<br />
– 30 Jahren insbesondere bei Verbrauchs- und Gebrauchsgütern vervielfacht (vgl.<br />
Plewe 2000, S. 3; Esch/Wicke 2000, S. 12ff.; Bainbridge 1998, S. 37):<br />
3
So hat beispielsweise die Anzahl der in Deutschland angebotenen PKW-Varianten <strong>von</strong><br />
208 im Jahr 1981 auf 358 im Jahr 2000 zugenommen, was einem Zuwachs <strong>von</strong> 78%<br />
entspricht. <strong>Der</strong> Gesamtabsatz hat sich aber nicht im gleichen Maße erhöht, so dass der<br />
Marktanteil pro Produktvariante abgenommen hat. Abbildung 1 stellt die beiden<br />
Entwicklungen grafisch dar.<br />
Anzahl<br />
Varianten<br />
400<br />
Marktanteil<br />
pro Variante<br />
0,5%<br />
350<br />
300<br />
- 44%<br />
+ 78%<br />
0,4%<br />
250<br />
0,3%<br />
200<br />
150<br />
0,2%<br />
100<br />
0,1%<br />
50<br />
0<br />
0,0%<br />
1981<br />
1982<br />
1983<br />
1984<br />
1985<br />
1986<br />
1987<br />
1988<br />
1989<br />
1990<br />
1991<br />
1992<br />
1993<br />
1994<br />
1995<br />
1996<br />
1997<br />
1998<br />
1999<br />
2000<br />
Abbildung 1: Anzahl der PKW-Varianten und durchschnittlicher Marktanteil pro Variante in<br />
Deutschland <strong>von</strong> 1981 bis 2000: In Anlehnung an Marketing Systems GmbH, Essen 2001, S. 4<br />
Ein weiteres Beispiel für hohe <strong>Produktvielfalt</strong> ist die Anzahl der in Deutschland<br />
angebotenen Zahnpastamarken, die sich im Zeitraum <strong>von</strong> 1950 bis 2000 in etwa<br />
verfünffacht hat (14 auf 93) (Esch/Wicke 1999, S. 13). In den USA gibt es in dieser<br />
Produktkategorie allein 63 verschiedene Artikel 4 der Marke Crest und 58 der Marke<br />
Colgate (vgl. Kahn 1998, S. 49). Ähnlich stellt sich die Vielfalt in der Kategorie<br />
Frühstückscerialien dar, in der ein Supermarkt in den USA teilweise bis zu 200<br />
verschiedene Produkte anbietet (vgl. Assael 1998, S. 250). Eine beeindruckend große<br />
Vielfalt bietet beispielsweise auch die britische Kaffee-Kette Coffee Republic: Kunden<br />
können hier zwischen 6.000 verschiedenen Kaffeezubereitungen wählen (Random<br />
Sampling, in: Marketing News, 11. September 2000, S. 8). Die Anzahl <strong>von</strong> 40.000 in<br />
4<br />
4<br />
Als Artikel wird hier die Anzahl der SKUs (<strong>St</strong>ock Keeping Units) bezeichnet.
Deutschland erhältlichen Süßigkeiten (vgl. Mehler 1999, S.8) verdeutlicht wie auch<br />
die anderen Beispiele, dass Konsumenten in verschiedenen Produktkategorien und<br />
Kaufsituationen mit teilweise extrem hoher <strong>Produktvielfalt</strong> konfrontiert werden. Die<br />
positive Wirkung hoher Vielfalt hat aber Grenzen:<br />
Grenzen der positiven Wirkung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Huffmann und Kahn (1998) betonen, dass eine sehr hohe Vielfalt nicht notwendigerweise<br />
im Sinne der Konsumenten und daher auch nicht in dem <strong>von</strong> Herstellern oder<br />
Händlern ist: „(...) large assortment strategies (...) can backfire (...) if the complexity<br />
causes information overload such that a costumer feels overwhelmed and dissatisfied,<br />
or chooses not to make a choice at all“ (S. 491). Ähnlich äußert sich Schmidt (1990),<br />
der <strong>von</strong> „‚<strong>St</strong>ressgefühlen’ angesichts eines unüberschaubaren Angebots“ (S. 242)<br />
spricht. In der neueren Literatur wird hierbei häufig <strong>von</strong> „Verwirrung“ bzw.<br />
„confusion“ des Konsumenten gesprochen (vgl. Rudolph/Schweizer 2003, S. 23ff;<br />
Walsh 2002, S. 1ff.; Kahn 1998, S. 45ff.; Huffmann/Kahn 1998, S. 491ff.;<br />
Jackson/Shapiro 1979, S. 140). Goodman (1987, zitiert in Engel/Blackwell/Miniard<br />
1995, S. 159) geht hier noch einen Schritt weiter, indem er Einkaufen als<br />
„decision-making-marathon“ bezeichnet.<br />
Bosshart (2002) verdeutlicht das Verhältnis <strong>von</strong> Vielfalt, Entscheidungsbereitschaft<br />
und Wohlbefinden beispielhaft anhand der TV-Kanäle, die ein Haushalt empfängt:<br />
Können die Haushaltsmitglieder aus einer geringen Anzahl an Sendern wählen, so<br />
entsteht bei ihnen das Bedürfnis nach mehr Programmen. Empfängt man beispielsweise<br />
drei TV-Sender, wünscht man sich zehn, hat man zehn, will man zwanzig.<br />
„Aber spätestens bei fünfzig Sendern ändert sich die Ausgangslage. Man sieht nicht<br />
mehr fern, sondern zappt nur noch herum und ist am Ende frustriert, weil man nicht<br />
mehr gesehen hat. Die Chance steigt, dass dann gar nicht mehr ferngesehen wird“<br />
(Bosshart 2002, S. 17).<br />
Übertragen auf Kaufsituationen bedeutet dies, dass sich übermäßige <strong>Produktvielfalt</strong><br />
sowohl auf die Nachfrage als auch auf die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess und<br />
dem gekauften Produkt negativ auswirken kann und Konsumenten auf Grund der<br />
Vielfalt nicht glücklicher, sonder unglücklicher werden (vgl. Lane 2000, S. 19ff.).<br />
Obwohl eine Vielzahl <strong>von</strong> Untersuchungen die positive Wirkung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
auf die Nachfrage bei Herstellern und Händlern gezeigt hat (vgl. z. B.<br />
Robinson/Fornell 1985, Robinson 1988, Roberts/Samuelson 1988, Kekre/Srinivasan<br />
5
1990, Kadiyali et al. 1999, Bayus/Putsin 1999), wird die obige Argumentation durch<br />
Beispiele sowohl aus der Praxis als auch der Forschung unterstützt, die gezeigt haben,<br />
dass die Reduzierung hoher <strong>Produktvielfalt</strong> auf ein moderates Niveau positive<br />
Auswirkungen auf die Kaufwahrscheinlichkeit und somit auf den Absatz eines<br />
Unternehmens hat:<br />
• So reduzierte Procter & Gamble die Anzahl der Produktvarianten seiner<br />
Shampoo-Marke Head & Shoulders um 43% <strong>von</strong> 26 auf 15 und realisierte<br />
dabei ceteris paribus eine Umsatzsteigerung <strong>von</strong> 10% (vgl. Osnos, 1997).<br />
• Auch Apple senkte die Anzahl ihrer Macintosh-Submarken mit dem Ziel, die<br />
Verwirrung der Konsumenten zu reduzieren: <strong>Der</strong> Umsatz wurde durch diese<br />
Maßnahme ceteris paribus erhöht (vgl. Advertising Age, 18. Oktober 1993).<br />
• Broniarczyk, Hoyer und McAlister (1998) haben die Folgen reduzierter<br />
Produktauswahl wissenschaftlich untersucht und konnten feststellen, dass eine<br />
Herabsetzung der <strong>von</strong> einem Einzelhändler in einer Produktkategorie angebotenen<br />
Artikelzahl um 25% zu einer positiveren Einschätzung der angebotenen<br />
Auswahl und Vielfalt führt. Die Testpersonen bevorzugten dieses Geschäft bei<br />
ihrer Einkaufsstättenwahl und empfanden den Einkauf dort als einfacher<br />
(S. 173ff.).<br />
• Drèze, Hoch und Purk (1994) konnten in ihren Untersuchungen beobachten,<br />
dass eine Reduzierung der Artikelanzahl in einer Produktkategorie um 10%<br />
nicht zum Umsatzrückgang führt. Die stärkere Präsenz und bessere Organisation<br />
schnell drehender Artikel auf der konstant gehaltenen Fläche bewirkte<br />
ganz im Gegenteil eine Absatzsteigerung um 4% (S. 305ff.). Auf weitere<br />
Forschungsarbeiten wird in einem späteren Abschnitt detailliert eingegangen<br />
(siehe Kapitel 2.1, S. 42ff.).<br />
In der Literatur werden für die negative Wirkung hoher Vielfalt zwei Hauptgründe<br />
genannt:<br />
• Kognitive Informationsüberlastung (Information Overload) des Konsumenten<br />
(vgl. Jacoby/Speller/Kohn 1974; Malhotra/Jain/Lagakos, 1982; Best/Ursic<br />
1987) und<br />
• negative Emotionen, die der Konsument während der Entscheidung empfindet<br />
oder antizipiert (vgl. Anderson 2003, S. 160).<br />
Die Erkenntnisse aus Praxis und Forschung lassen insgesamt vermuten, dass<br />
Konsumenten <strong>von</strong> einer moderaten Vielfalt in der Entscheidungssituation am meisten<br />
6
profitieren, dieser den höchsten <strong>Wert</strong> beimessen und folglich zu einer Kaufentscheidung<br />
kommen, mit der sie sehr zufrieden sind. Die einleitenden Zitate auf<br />
Seite 1 verdeutlichen, dass dieses „Prinzip der Mäßigkeit“ bereits in der Antike<br />
Gültigkeit hatte und diese auch in der Gegenwart nicht verloren hat. Die Vermutung,<br />
dass hohe <strong>Produktvielfalt</strong> aus Konsumentensicht negative Aspekte hat und sich diese<br />
nachteilig auf sein Verhalten auswirken, widerspricht aber der Annahme der rationalen<br />
Entscheidungstheorie (Rational Theory of Choice), dass Vielfalt und Absatzhöhe in<br />
einem positiven Zusammenhang stehen (vgl. Luce 1959, 1977; Tversky/Shafir 1992,<br />
S. 358; siehe auch S. 43f.). Die Existenz dieser negativen Aspekte hoher Vielfalt<br />
theoretisch zu begründen und empirisch zu zeigen, ist ein wesentliches Ziel der<br />
vorliegenden Arbeit.<br />
Ansatzpunkte der vorliegenden Untersuchung zur Erklärung der Wirkung <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> auf das Konsumentenverhalten<br />
Loewenstein (1999) versucht die Wirkung <strong>von</strong> Vielfalt auf das Konsumentenverhalten<br />
zu erklären, indem er „Benefits of more choice“ und „Costs of more choice“ (S. 1f.)<br />
unterscheidet. Als Nutzen (Benefits) <strong>von</strong> Vielfalt führt er dabei im Wesentlichen<br />
Aspekte der oben erläuterten Customization-Funktion (S. 2ff.) an, stützt sich also auf<br />
die Argumentation, dass hohe Vielfalt aus Sicht eines Konsumenten die Wahrscheinlichkeit<br />
erhöht, ein Produkt zu finden, das seinen Vorstellungen entspricht und er<br />
dieses kauft. Zunehmende Vielfalt erhöht somit die Kaufwahrscheinlichkeit.<br />
Hinsichtlich der Kosten (Costs) unterscheidet er<br />
• Time costs – „the opportunity costs of spending time making decisions that<br />
could be used for other activities” (Loewenstein 1999, S. 2),<br />
• Error costs – „the tendency to choose badly when people lack expertise”<br />
(Loewenstein 1999, S. 2) und<br />
• Psychic costs – „anxiety about making decisions under conditions of uncertainty,<br />
and regret if they turn out badly” (Loewenstein 1999, S. 2).<br />
Die vorliegende Forschungsarbeit folgt diesem Kosten-Nutzen-Ansatz zur Erklärung<br />
der Wirkung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf das Konsumentenverhalten und unterscheidet<br />
entsprechend Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus Konsumentensicht. Diese<br />
Aspekte werden als Dimensionen eines gemeinsamen Konstrukts – dem <strong>Wert</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> – verstanden.<br />
7
<strong>Der</strong> Ansatz folgt auch Erkenntnissen und Schlussfolgerungen, die Kahn und Lehmann<br />
(1991) aus ihrer Untersuchung des „value of an assortment“ (S. 296) gezogen haben:<br />
„(...) customers evaluate an assortment in terms of their flexibility for future choice<br />
and the effort required to weed out the unacceptable alternatives“ (S: 296f.;<br />
Hervorhebung nicht im Original). Die <strong>Wert</strong>schätzung eines Sortiments durch<br />
Konsumenten hängt demzufolge <strong>von</strong> der Abwägung der mit der Vielfalt verbundenen<br />
positiven (Flexibilität) und negativen Aspekte (Entscheidungsaufwand) bei der<br />
Entscheidungsfindung ab. Auf die definitorischen Grundlagen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> wird im Definitionsteil detailliert eingegangen (siehe Kapitel<br />
1.2.1, S. 12f.).<br />
Ziel der Arbeit ist es, basierend auf Theorien der Psychologie, Soziologie und des<br />
Marketings, ein Messinstrument für Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus<br />
Konsumentensicht, die als unabhängige Dimensionen des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
verstanden werden, zu entwickeln, um so deren Zusammenhang mit dem<br />
Kaufverhalten, nachgelagerten Bewertungen <strong>von</strong> Kaufprozess und gekauftem<br />
Produkt und zukünftigen Verhaltensabsichten gegenüber Handel und Marke zu<br />
untersuchen. Ferner soll analysiert werden, welche quantitativen und qualitativen<br />
Eigenschaften des Sortiments Kosten und Nutzen <strong>von</strong> Vielfalt in welchem Maße<br />
beeinflussen, um so konkrete Ansatzpunkte für die Gestaltung <strong>von</strong> Produktsortimenten<br />
ableiten zu können. Dies soll zu einem besseren Verständnis des Umgangs<br />
<strong>von</strong> Konsumenten mit hoher <strong>Produktvielfalt</strong> in der Entscheidungssituation beitragen<br />
und Unternehmen Hinweise zur Optimierung der angebotenen Sortimente geben.<br />
Die Relevanz dieser Fragestellungen für Unternehmen entsteht aus dem direkten<br />
Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Absatzvolumen und wird aus den obigen<br />
Beispielen bereits deutlich (siehe S. 6). Demnach kann ein Unternehmen durch ein<br />
besseres Verständnis der Bedürfnisse <strong>von</strong> Konsumenten hinsichtlich der angebotenen<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> sowohl das Absatzvolumen als auch die Zufriedenheit <strong>von</strong><br />
Konsumenten steigern. Eine Aussage <strong>von</strong> Meffert (2000) betont die Relevanz des<br />
Untersuchungsgegenstands aus der Sicht der Marketingtheorie: Er bezeichnet die<br />
Produkt- und Programmpolitik eines Unternehmens, die „alle Entscheidungstatbestände,<br />
die sich auf die marktgerechte Gestaltung aller vom Unternehmen im<br />
Absatzmarkt angebotenen Leistungen beziehen“ (Meffert 2000, S. 327) als „‚Herz des<br />
Marketing’“ (Meffert 2000, S. 327). Die <strong>Produktvielfalt</strong> stellt demnach einen<br />
zentralen Bestandteil der marketingpolitischen Entscheidungstatbestände eines<br />
Herstellers und Handelsunternehmens dar.<br />
8
Um die aufgezeigten Fragestellungen um Laufe der Arbeit zu beantworten, präzisiert<br />
das nächste Kapitel zunächst den Untersuchungsgegenstand. Dazu werden grundlegende<br />
Begriffe geklärt und die Zielsetzung der Forschungsarbeit detailliert<br />
beschrieben. Anschließend wird die Thematik knapp in die Konsumentenverhaltensforschung<br />
eingeordnet und der Verlauf der weiteren Untersuchung beschrieben.<br />
1.2 Präzisierung des Untersuchungsgegenstands<br />
1.2.1 Begriffliche Grundlagen<br />
In der vorliegenden Untersuchung geht es im Wesentlichen um die Erklärung des<br />
Verhaltens <strong>von</strong> Konsumenten im Umgang mit (hoher) <strong>Produktvielfalt</strong>. Nachfolgend<br />
werden deshalb zunächst die Begriffe Konsumentenverhalten, Käuferverhalten,<br />
Kaufverhalten und <strong>Produktvielfalt</strong> erläutert. Anschließend wird das Konstrukt <strong>Wert</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> mit seinen Dimensionen Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Nutzen<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> inhaltlich präzisiert.<br />
Konsumentenverhalten und Käuferverhalten (Consumer Behavior)<br />
Das Käuferverhalten umfasst nicht nur den reinen Kauf, den Kuß (1987) als „den<br />
freiwilligen Austausch <strong>von</strong> Geld gegen Güter, Dienstleistungen, Rechte und<br />
Vermögenswerte durch Personen, Personengruppen und Organisationen“ (S. 11)<br />
definiert, sondern auch diesem vor- und nachgelagerte Prozesse und Tätigkeiten,<br />
sowie Faktoren, die diese beeinflussen (vgl. Kuß/Tomczak 2000, S. 9f.). Entsprechend<br />
lässt sich in der Literatur eine Vielzahl an Definitionen des Käuferverhaltens bzw.<br />
des synonym verwendeten Begriffs Konsumentenverhalten finden. Diese<br />
unterscheiden sich teils erheblich hinsichtlich der berücksichtigten Aspekte. Das<br />
Spektrum reicht hierbei <strong>von</strong> einer relativ engen und prozessorientierten Sichtweise <strong>von</strong><br />
Blackwell, Miniard und Engel (2001), die Konsumentenverhalten (Consumer<br />
Behavior) als „activities people undertake when obtaining, consuming, and disposing<br />
of products and services“ (S. 6), definieren, bis hin zu einem sehr weit gefassten<br />
Verständnis <strong>von</strong> Peter und Olson (1996), die sich bei ihrer Definition an derjenigen<br />
9
der American Marketing Association orientieren. Sie bezeichnen Konsumentenverhalten<br />
als „the dynamic interaction of affect and cognition, behavior, and the<br />
environment by which human beings conduct the exchange aspects of their lives“<br />
(Peter/Olson 2002, S. 6). Diese Bandbreite spiegelt sich auch in der Definition <strong>von</strong><br />
Kroeber-Riel und Weinberg (1996) wieder, die Konsumentenverhalten im engeren und<br />
Konsumentenverhalten im weiteren Sinn unterscheiden. Ersteres definieren sie als<br />
„das Verhalten der Menschen beim Kauf und Konsum <strong>von</strong> wirtschaftlichen Gütern“,<br />
letzteres als „ganz allgemein das Verhalten der ‚Letztverbraucher’ <strong>von</strong> materiellen<br />
und immateriellen Gütern“ (S. 3).<br />
Das Ziel dieser Untersuchung ist die Erklärung der Wirkung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf<br />
das Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten als Individuen 5 . Es ist deshalb ein relativ enges<br />
Verständnis des Konsumentenverhaltens sinnvoll, das die Entscheidungsprozesse bei<br />
der Kaufhandlung und unmittelbar nachgelagerte Evaluationsprozesse in den<br />
Mittelpunkt stellt. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass am Ende des Entscheidungsprozesses<br />
nicht notwendigerweise der Kauf eines Produkts stehen muss. <strong>Der</strong><br />
Konsument kann den Kaufprozess auch abbrechen und später fortsetzen oder ganz auf<br />
den Kauf verzichten. Da dies mögliche Reaktionsformen <strong>von</strong> Konsumenten auf hohe<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> sind (vgl. Tversky/Shafir 1992, S. 358ff.; Gourville/Soman 1999,<br />
S. 5ff.; Desmeules 2002, S. 10ff.; Anderson 2003, S. 146), werden sie auch als Teil<br />
des Konsumentenverhaltens verstanden.<br />
In Anlehnung an Kuß und Tomczak (2000, S. 12) wird in dieser Untersuchung unter<br />
Käufer- bzw. Konsumentenverhalten die Auswahl einer <strong>von</strong> mehreren<br />
Alternativen an Sachgütern, Dienstleistungen, Rechten und Vermögenswerten<br />
verstanden, wobei der (vorübergehende) Abbruch der Kaufentscheidung eine der<br />
möglichen Entscheidungsalternativen darstellt. Weiterhin schließt der Begriff alle zu<br />
dieser Entscheidung hinführenden und ihr folgenden Prozesse und Tätigkeiten, die<br />
künftige Käufe beeinflussen können, mit ein.<br />
<strong>Produktvielfalt</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> entspricht der in der englischsprachigen Literatur häufig zu findenden<br />
Bezeichnung „Product Variety“ (vgl. Bayus/Putsin 1999, S. 137; Gourville/Soman<br />
5<br />
Kaufverhalten <strong>von</strong> Organisationen wie z. B. Unternehmen spielt in dieser Untersuchung keine<br />
Rolle. Zur Unterscheidung vgl. z. B. Müller-Hagedorn 1986, S. 38ff.)<br />
10
1999, S. 1ff.). Synonym wird hierfür häufig der Term Assortment verwendet, der <strong>von</strong><br />
Levy und Weitz (1995) als „the number of different items in a merchandise category“<br />
(S. 30) definiert wird 6 .<br />
In der deutschsprachigen Literatur wird der Begriff der <strong>Produktvielfalt</strong> synonym mit<br />
der v.a. im Handelsmarketing gebräuchlichen Bezeichnung der Sortimentstiefe 7<br />
verwendet (vgl. Rudolph/Schweizer 2003, S. 48). Diese beschreibt die „Anzahl der<br />
Artikel, welche die Konsumenten im Hinblick auf die Befriedigung eines bestimmten<br />
Bedürfnisses als Substitute ansehen“ (Gümbel 1963, S. 64). Die Sortimentstiefe stellt<br />
„aus der Sicht des Kunden eine Auswahl alternativer Kaufmöglichkeiten“ dar (Theis<br />
1999, S. 550). Da die Arbeit nur die Vielfalt einer Produktkategorie betrachtet, wird<br />
im weiteren Verlauf anstatt Sortimentstiefe vereinfachend der Begriff Sortiment<br />
verwendet.<br />
Wie in Kapitel 1.2.3.3 (S. 33ff.) noch näher beschrieben wird, konzentriert sich diese<br />
Untersuchung auf Auswahlprobleme innerhalb einer Produktkategorie bzw.<br />
Produktgruppe. Hierunter würde beispielsweise der Kauf einer Digitalkamera durch<br />
einen Konsumenten in einem bestimmten Geschäft fallen.<br />
Im Rahmen dieser Analyse bezeichnet <strong>Produktvielfalt</strong> die Gesamtheit der bei einer<br />
Kaufentscheidung zur Auswahl stehenden Alternativen innerhalb einer<br />
Produktkategorie. Es werden sowohl quantitative (Anzahl der Produkte) als auch<br />
qualitative Aspekte (Ähnlichkeit der Produkte) unter dem Begriff <strong>Produktvielfalt</strong><br />
subsumiert. In dem oben genannten Beispiel des Digitalkamerakaufs wäre die<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> durch die Anzahl und Art aller in diesem Geschäft zum Kauf<br />
verfügbaren Digitalkameras bestimmt.<br />
Zur Vervollständigung sei erwähnt, dass die Produktalternativen im Handelsmarketing<br />
meist als Artikel einer bestimmten Sorte bezeichnet werden (vgl. Brockhoff 1966,<br />
6<br />
7<br />
Die Verwendung des Begriffes Assortment ist in der Forschung nicht einheitlich. So verwendet z.<br />
B. Kotler (2000) Assortment gleichbedeutend mit Product Mix und definiert dieses als „(...) the set<br />
of all products and items that a particular seller offers for sale to buyers“ (S. 396). Diese<br />
Verwendung entspricht inhaltlich dem Sortiment eines Handelsunternehmen (vgl. Schmidt 1990,<br />
S. 22). Diese Arbeit folgt der Definition <strong>von</strong> Levy und Weitz (1995) und versteht unter<br />
<strong>Produktvielfalt</strong>, Assortment und Product Variety jeweils die Anzahl der Artikel einer<br />
Produktkategorie.<br />
In Industrieunternehmen wird die Angebotspalette nicht wie im Handel als Sortiment, sondern als<br />
Produktionsprogramm bezeichnet. Unter dem Produkt(ions)programm versteht man die<br />
„Gesamtheit aller Produktlinien und Produkte, die ein Anbieter seinen jeweiligen Kunden zum<br />
Kauf anbietet“ (Haedrich/Tomczak 1996, S. 45). Entsprechend wird hier <strong>von</strong> der Tiefe des<br />
Produkt(ions)programms gesprochen, das die Anzahl der Varianten innerhalb einer Produktlinie<br />
beschreibt (vgl. Herrmann 1998, S. 5).<br />
11
S. 41; Kotler/Bliemel 1999, S. 673). In der englischsprachigen Literatur werden<br />
hierfür synonym die Begriffe <strong>St</strong>ock Keeping Unit (SKU), Item und Product Variant<br />
verwendet (vgl. Kotler 2000, S. 396).<br />
<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (WPV)<br />
Ausgangspunkt der Definition des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> sind in der<br />
Marketingliteratur gebräuchliche Definitionen des <strong>Wert</strong>-Begriffs. So definieren Flint,<br />
Woodruff und Gardial (1997): „(…) a value judgement is the customer’s assessment<br />
of the value that has been created for them by a supplier given the trade-off between<br />
all relevant benefits and sacrifices in a specific use situation” (Flint/Woodruff/Gardial<br />
1997, S. 167; Hervorhebungen nicht im Original). Nach dieser Definition entsteht aus<br />
Sicht des Konsumenten der <strong>Wert</strong> z. B. eines Produkts aus der Abwägung seiner<br />
positiven (Benefits) und negativen Aspekte (Sacrifices). Auch die Definition des<br />
wahrgenommenen <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> Zeithaml (1988) folgt dieser Logik: „Perceived Value is<br />
the consumer’s overall assessment of the utility of a product based on perceptions of<br />
what is received and what is given“ (Zeithaml 1988, S. 14; Hervorhebungen nicht im<br />
Original). Kotler und Bliemel (1999) führen den konzeptionell ähnlichen <strong>Wert</strong>gewinn<br />
eines Angebots ebenfalls auf entstandene Kosten und generierten Nutzen (hier als<br />
<strong>Wert</strong> bezeichnet) zurück (siehe Abbildung 2).<br />
Produktwert<br />
Begleitende<br />
Dienstleistungen<br />
<strong>Wert</strong> durch<br />
Mitarbeiter<br />
<strong>Wert</strong>summe<br />
<strong>Wert</strong> durch Image<br />
Monetäre<br />
Kosten<br />
Kosten für Zeit<br />
Kosten für Energie<br />
<strong>Wert</strong>gewinn<br />
Kostensumme<br />
Psychischer<br />
Aufwand<br />
Abbildung 2: <strong>Der</strong> <strong>Wert</strong>gewinn (Kotler/Bliemel 1999) wird durch die Nutzenaspekte (<strong>Wert</strong>summe)<br />
und Konsteanspekte (Kostensumme) bestimmt. Quelle: Kotler/Bliemel 1999, S. 49<br />
12
Aus den Definitionen geht hervor, dass sich ein „<strong>Wert</strong>“ aus zwei Dimensionen<br />
zusammensetzt: einer Kostendimension und einer Nutzendimension. Um dieses<br />
<strong>Wert</strong>konzept auf die <strong>Produktvielfalt</strong> zu übertragen, müssen Konsumenten mit<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> folglich Kosten- und Nutzenaspekte verbinden. Im Rahmen der<br />
vorliegenden Arbeit werden diese als Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
bezeichneten Aspekte theoretisch begründet. Weiterhin wird ein Messinstrument<br />
entwickelt, um die Konsequenzen und Determinanten der Kosten- und Nutzenfacetten<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> empirisch untersuchen zu können. Im Gegensatz zu obiger<br />
Definition des <strong>Wert</strong>gewinns <strong>von</strong> Kotler und Bliemel (1999) liegt die Betrachtungsebene<br />
des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf Ebene seiner Dimensionen Kosten und<br />
Nutzen, und nicht auf deren Verknüpfungsebene, welche die beiden Autoren als<br />
<strong>Wert</strong>gewinn bezeichnen. <strong>Der</strong> <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> wird somit als ein Konstrukt<br />
mit zwei unabhängigen Dimensionen – einer Kostendimension (Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong>) und einer Nutzendimension (Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>) –<br />
betrachtet. Eine ähnliche <strong>St</strong>ruktur mit zwei Dimensionen legen beispielsweise Babin,<br />
Darden und Griffin (1994, S. 653) zugrunde, dem <strong>von</strong> ihnen untersuchten Perceived<br />
Shopping Value, auf den in einem späteren Abschnitt noch detaillierter eingegangen<br />
wird (siehe S. 112ff.).<br />
<strong>Der</strong> <strong>Wert</strong> der <strong>Produktvielfalt</strong> besteht aus den für einen Konsumenten mit<br />
einer Kaufentscheidung verbundenen positiven und negativen,<br />
nicht-monetären Aspekten, die durch das Sortiment in einer Kaufsituation<br />
verursacht werden und sich auf das Verhalten des Konsumenten auswirken.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus Konsumentensicht (kurz: <strong>Wert</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong>) lässt sich damit folgendermaßen definieren:<br />
Das Konstrukt <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> stellt damit eine Art mediierende Variable<br />
dar, die psychische Reaktionen eines Konsumenten auf (hohe) <strong>Produktvielfalt</strong> bzw.<br />
ein (großes) Sortiment erfasst und einen Zusammenhang mit seinem Verhalten im<br />
Sinne des Entscheidungsausgangs, der Bewertung <strong>von</strong> Prozess und Produkt und den<br />
zukünftigen Verhaltensabsichten herstellt.<br />
Abbildung 3 verdeutlicht dies grafisch.<br />
13
<strong>Produktvielfalt</strong><br />
(Sortiment)<br />
Konsumentenverhalten<br />
<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Kosten<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
(KPV)<br />
Nutzen<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
(NPV)<br />
Ergebnis<br />
Kaufentscheidung<br />
Evaluation <strong>von</strong> Prozess<br />
und Produkt<br />
Zukünftiges<br />
Verhalten<br />
Abbildung 3: <strong>Der</strong> <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> als mediierendes Konstrukt zwischen Sortiment<br />
(<strong>Produktvielfalt</strong>) und Konsumentenverhalte<br />
Es sei nochmals betont, dass im Rahmen dieser Arbeit kein funktionaler<br />
Zusammenhang zur Abbildung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> in Abhängigkeit <strong>von</strong><br />
Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> entwickelt werden soll, da zunächst die<br />
Existenz <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> empirisch zu zeigen ist. Folglich<br />
ist die Analyseebene, insbesondere der empirischen Untersuchung, nicht der <strong>Wert</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>, sondern die ihm zugrunde liegenden Größen, also Kosten und<br />
Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>. Diese werden nachfolgend definiert.<br />
Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus Konsumentensicht (KNPV)<br />
Die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus Konsumentensicht (kurz: Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong>, KPV) bezeichnen den kognitiven und emotionalen,<br />
nicht-monetären Aufwand der Entscheidungsfindung eines Konsumenten<br />
während des Kaufprozesses, der durch die <strong>Produktvielfalt</strong> in der Kaufsituation<br />
verursacht wird. Sie umfassen somit alle mit der <strong>Produktvielfalt</strong> verbundenen<br />
negativen psychischen Aspekte für den Konsumenten während des<br />
Kaufentscheidungsprozesses.<br />
Unter dem Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus Konsumentenperspektive (kurz: Nutzen<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>, NPV) werden die aus der Sicht des Konsumenten<br />
nicht-monetären positiven Aspekte <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>, die auf die<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> in der Kaufsituation zurückzuführen sind, verstanden.<br />
14
Verwendete Kürzel<br />
Um die Lesbarkeit der Arbeit zu vereinfachen, werden im weiteren Verlauf folgende<br />
Kürzel verwendet:<br />
WPV:<br />
<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
KNPV: Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
KPV:<br />
NPV:<br />
Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
1.2.2 Identifikation relevanter Größen der Untersuchung: Ablauf <strong>von</strong><br />
Kaufentscheidungen und die Rolle der <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Ziel dieses Abschnitts ist die Identifikation wesentlicher und für die Erklärung des<br />
Zusammenhangs <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten relevanter Größen.<br />
Diese sollen als Ausgangsbasis der Untersuchung dienen. Hierzu wird ein<br />
einführender Überblick zum Umgang <strong>von</strong> Konsumenten mit <strong>Produktvielfalt</strong> im<br />
Entscheidungsprozess gegeben und mögliche Auswirkungen hoher <strong>Produktvielfalt</strong> auf<br />
das Verhalten aufgezeigt. <strong>Der</strong> Fokus liegt hierbei auf Größen und Zusammenhängen,<br />
die für die weitere Untersuchung relevant sind. Auf eine umfassende Darstellung der<br />
Erkenntnisse der Konsumentenverhaltensforschung wird an dieser <strong>St</strong>elle verzichtet.<br />
<strong>Der</strong> interessierte Leser sei diesbezüglich auf die ausführlichen <strong>St</strong>andardwerke der<br />
Konsumentenverhaltensforschung verwiesen 8 .<br />
Ausgangspunkt der Betrachtung ist das Consumer Decision Process (CDP)-Modell<br />
<strong>von</strong> Blackwell, Engel und Miniard, das den Ablauf <strong>von</strong> Kaufentscheidungen<br />
modellhaft beschreibt.<br />
Das CDP-Modell <strong>von</strong> Blackwell, Miniard und Engel<br />
Das Consumer Decision Process (CDP)-Modell <strong>von</strong> Blackwell, Engel und Miniard<br />
geht auf das erstmals 1968 veröffentlichte Entscheidungsprozessesmodell <strong>von</strong> Engel,<br />
Kollat und Blackwell zurück (vgl. Bänsch 1998, S. 131; Blackwell/Miniard/Engel<br />
8<br />
Deutschsprachig: z. B. Kroeber-Riel/Weinberg 1999, Trommsdorf 1998, Kuß/Tomczak 2000;<br />
englischsprachig: z. B. Blackwell/Miniard/Engel 2000, Peter/Olson 1996.<br />
15
2001, S. 71ff.). Das in Abbildung 4 dargestellte Modell „captures the activities that<br />
occur when decisions are made in a schematic format and shows how different<br />
internal and external forces interact and affect how consumers think, evaluate and<br />
act“ (Blackwell/Miniard/Engel 2001, S. 71).<br />
Das Modell ist neben dem <strong>von</strong> Howard und Sheth (1969) der bekannteste Vertreter<br />
kognitiver Totalmodelle, die im Gegensatz zu den ebenfalls zur Gruppe der<br />
<strong>St</strong>rukturmodelle gehörenden Partialmodellen (vgl. Bänsch 1998, S. 5) versuchen, „alle<br />
wesentlichen Kaufverhaltenskonstrukte und deren Beziehungen untereinander zu<br />
integrieren“ (Meffert 2000, S. 132). Das CDP-Modell berücksichtigt sowohl<br />
Umwelteinflüsse, wie z. B. Kultur und Familie, als auch individuelle Unterschiede <strong>von</strong><br />
Konsumenten, wie beispielsweise Involvement und Wissen als Einflussfaktoren auf<br />
den Ablauf und Ausgang <strong>von</strong> Kaufentscheidungen. Es unterscheidet sich<br />
diesbezüglich <strong>von</strong> dem Modell <strong>von</strong> Howard und Sheth (1969).<br />
Need<br />
recognition<br />
<strong>St</strong>imuli<br />
• Marketer<br />
dominated<br />
• Non-marketer<br />
dominated<br />
External search<br />
Exposure<br />
Attention<br />
Comprehension<br />
Acceptance<br />
Retention<br />
Internal<br />
search<br />
Memory<br />
Search<br />
Pre-purchase<br />
evaluation of<br />
alternatives<br />
Purchase<br />
Consumption<br />
Environmental influences<br />
• Culture<br />
• Social class<br />
• Personal influences<br />
• Family<br />
• Situation<br />
Individual differences<br />
• Consumer resources<br />
• Motivation and<br />
involvement<br />
• Knowledge<br />
• Attitudes<br />
• Personality, values and<br />
lifestyle<br />
Postconsumption<br />
evaluation<br />
Dissatisfaction<br />
Satisfaction<br />
Divestment<br />
Abbildung 4: Das Consumer-Decision-Process Modell <strong>von</strong> Engel, Blackwell und Miniard. Quelle:<br />
Blackwell/Miniard/Engel 2001, S. 83<br />
16
Im Zentrum des Erklärungsmodells stehen sieben Phasen, die ein Konsument bei einer<br />
Entscheidung durchläuft. Diese werden nachfolgend knapp beschrieben und in den<br />
Zusammenhang mit der <strong>Produktvielfalt</strong> gesetzt.<br />
Problemerkenntnis (Need Recognition)<br />
Am Anfang des Kaufentscheidungsprozesses steht die Phase der Problemerkenntnis.<br />
Eine Person nimmt die Existenz eines zu lösenden Problems in Form eines<br />
Bedürfnisses wahr, wenn sie zwischen ihrem derzeitigen Zustand und einem<br />
Idealzustand einen erheblichen Unterschied erkennt. Dieser kann auf zweierlei Arten<br />
entstehen (vgl. Solomon 1996, S. 271f.): Erstens durch die Verschlechterung des<br />
bisherigen Zustands, wenn z. B. ein Produkt aufgebraucht ist (leerer Kühlschrank) und<br />
zweitens durch die Veränderung des Idealzustands, was beispielsweise durch die<br />
Einführung eines neuen und besseren Produkts geschehen kann (vgl. Solomon/<br />
Bamossy/Askegaard 2001, S. 251).<br />
Übersteigt die Differenz <strong>von</strong> tatsächlichem und idealem Zustand einen gewissen<br />
Schwellenwert (Threshold), nimmt der Konsument ein Bedürfnis wahr, das<br />
anschließend einen Kaufprozess auslöst (vgl. Blackwell/Miniard/Engel 2001, S. 100).<br />
Voraussetzung hierfür ist, dass der Konsument über die notwendigen finanziellen<br />
Ressourcen verfügt und <strong>von</strong> einem entsprechenden Kauf eine Bedürfnisbefriedigung<br />
erwartet (vgl. Kuß/Tomczak 2000, S. 92).<br />
In der nächsten Phase wird informationsseitig die Grundlage für die Kaufentscheidung<br />
gelegt.<br />
Informationssuche (Search)<br />
Während dieser Phase werden die Informationen, die in den Entscheidungsprozess<br />
einfließen und die Basis für die Entscheidung bilden, gesucht und aufgenommen.<br />
Bevor hierauf näher eingegangen wird, ist zunächst zu klären, was unter dem Begriff<br />
Information zu verstehen ist:<br />
<strong>Der</strong> hier verwendete Informationsbegriff knüpft an die Konzeption <strong>von</strong> Chaffee und<br />
McLeod (1973, S. 385ff.) an, deren Kern die so genannte Entscheidungsmatrix ist.<br />
Diese besteht aus zwei Dimensionen – den Objekten und den Attributen. In einer<br />
Kaufsituation entsprechen die zur Verfügung stehenden Alternativen den Objekten<br />
17
(Spalten) und die Produkteigenschaften, wie beispielsweise Farbe oder Preis, den<br />
Attributen (Zeilen) der Entscheidungsmatrix (siehe Abbildung 5). Jedes Feld der<br />
Matrix kommt in dieser Konzeption einer Informationseinheit gleich (vgl.<br />
Kuß/Tomczak 2000, S. 109; Kuß 1987, S. 47).<br />
Alternativen<br />
Eigenschaften<br />
A 1 A 2 ... A m<br />
E 1<br />
Informationseinheit<br />
(1,1)<br />
IE (1,2) … IE (1,m)<br />
E 2 IE (2,1) IE (2,2) ... IE (2,m)<br />
...<br />
...<br />
... ...<br />
...<br />
E n IE (n,1) IE (n,2) ... IE (n,m)<br />
Abbildung 5: Entscheidungsmatrix in einer Kaufsituation<br />
Damit wird auch der Zusammenhang zur <strong>Produktvielfalt</strong> deutlich: Die Menge der<br />
verfügbaren Informationen in der Entscheidungssituation ist abhängig <strong>von</strong> der Anzahl<br />
der zur Auswahl stehenden Produkte und deren Anzahl an Attributen.<br />
Bei der Informationssuche stehen dem Konsumenten zwei Informationsquellen zur<br />
Verfügung: Er kann interne Informationen aus seinem Gedächtnis abrufen und<br />
externe Informationen aus verschiedenen Quellen wie z. B. der direkten Kaufumgebung<br />
oder Testberichten aufnehmen (vgl. Kuß/Tomczak 2000, S. 98). Dauer und<br />
Intensität einer aktiven Informationssuche hängen dabei beispielsweise <strong>von</strong> der<br />
Persönlichkeit, der sozialen Zugehörigkeit, dem Einkommen und der Erfahrung des<br />
Konsumenten ab, sowie der Zufriedenheit mit früheren Käufen, dem mit dem Kauf<br />
verbundenen (finanziellen) Risiko sowie der Wichtigkeit des Kaufs (vgl. Blackwell/<br />
Miniard/Engel 2001, S. 74, 108).<br />
Für den Kontext dieser Arbeit ist wichtig, dass nach obiger Definition die verfügbare<br />
Informationsmenge <strong>von</strong> der Anzahl der Alternativen in der Kaufsituation abhängt. Je<br />
größer die <strong>Produktvielfalt</strong> ist, desto mehr Informationen stehen dem Konsumenten<br />
(ceteris paribus) in der Entscheidungssituation zur Verfügung.<br />
18
Vor-Kauf-Bewertung der Alternativen (Pre-Purchase Evaluation of Alternatives)<br />
Ziel dieser Phase ist es, aus den vorhandenen Alternativen die aus der Sicht eines<br />
Konsumenten beste auszuwählen (vgl. Blackwell/Miniard/Engel 2001, S. 76). Dazu<br />
müssen zwei Aufgaben erfüllt werden: „The choice alternatives must be evaluated in<br />
terms of the choice criteria, and then one of the alternatives must be selected“<br />
(Peter/Olson 2002, S. 174). Herrmann (1998, S. 93) spricht in diesem Zusammenhang<br />
<strong>von</strong> einem „Beurteilungsprogramm zur Verarbeitung <strong>von</strong> Informationen“ und einem<br />
„Auswahlprogramm zur Selektion eines Objekts“.<br />
Hierbei besteht eine enge Verbindung mit der Phase der Informationsaufnahme, da<br />
durch die Verarbeitung der Informationen zur Beurteilung und Auswahl neue<br />
Informationsbedürfnisse entstehen können. Dies äußerst sich z. B. darin, dass<br />
Konsumenten den Kaufprozess in einem Geschäft abbrechen, um sich in anderen<br />
Geschäften weitere Informationen zu besorgen. Es wird deshalb <strong>von</strong> einem iterativen<br />
Prozess <strong>von</strong> Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung bis zur<br />
Entscheidung ausgegangen (vgl. Kuß 1987, S. 39).<br />
Durch die empirische Entscheidungsforschung, die sich mit dem Ablauf realer<br />
Kaufentscheidungen beschäftigt (vgl. Herrmann 1998, S. 96), konnten verschiedene<br />
Entscheidungsstrategien identifiziert werden, mit deren Hilfe Konsumenten<br />
Alternativen beurteilen und auswählen. Payne, Bettman und Johnson (1993) definieren<br />
eine Entscheidungsstrategie als „a sequence of mental and effector (actions on the<br />
environment) operations used to transform an initial state of knowledge into a final<br />
goal state of knowledge where the decision maker views the particular decision<br />
problem as solved” (S. 9). In der Literatur werden Entscheidungsstrategien häufig<br />
anhand <strong>von</strong> zwei Eigenschaften charakterisiert:<br />
• Hinsichtlich der Art, in der Konsumenten einzelne Merkmalsinformationen<br />
verbinden, um zu einer Entscheidung zu kommen und bezüglich<br />
• der Reihenfolge, in der „einzelne Informationen herangezogen (und integriert)<br />
werden“ (Bleicker 1983, S. 45).<br />
Hinsichtlich der Art der Informationsverknüpfung lassen sich kompensatorische und<br />
nicht-kompensatorische <strong>St</strong>rategien unterscheiden: Eine <strong>St</strong>rategie wird als<br />
kompensatorisch bezeichnet, wenn negative Eigenschaften eines Produkts bezüglich<br />
eines Merkmals durch andere positive Produkteigenschaften kompensiert werden<br />
können (vgl. Peter/Olson 2002, S. 174). Bei nicht-kompensatorischen Entscheidungsstrategien<br />
erfolgt keine „Aufrechnung“ positiver und negativer Attributeigenschaften.<br />
19
In Bezug auf die Reihenfolge, in der Konsumenten Produktinformationen verknüpfen,<br />
wird zwischen einer Auswahl nach Produkten (by Alternative, produktweise<br />
Beurteilung) und einer Auswahl nach Attributen (by Attribute, attributweise<br />
Beurteilung) unterschieden. Im ersten Fall werden die Merkmalsausprägungen jeder<br />
Produktalternative einzeln beurteilt und zu einem Gesamturteil kombiniert. Die<br />
Beurteilung selbst erfolgt dabei anhand individueller und situationsspezifischer<br />
Kriterien (vgl. Blackwell/Miniard/Engel 2001, S. 76), auf die aber hier nicht näher<br />
eingegangen wird. Die Wahl fällt auf das Produkt mit dem höchsten Gesamtwert (vgl.<br />
Bleicker 1983, S. 45). Bei einem attributweisen Vergleich beurteilt ein Konsument<br />
gleichzeitig alle Alternativen hinsichtlich der für ihn wichtigsten Merkmale.<br />
Konsumenten greifen bei der Entscheidungsfindung auf Heuristiken bzw.<br />
vereinfachende Entscheidungsregeln zurück (vgl. Herrmann 1998, S. 97), die „an<br />
adaptive response of a limited-capacity information processor to the demands of<br />
complex decision tasks“ darstellen (Payne/Bettman/Johnson 1993, S. 2). Die<br />
Entscheidungsstrategien unterscheiden dabei hinsichtlich des bei ihrer Anwendung<br />
erforderlichen kognitiven Aufwands (Effort) und der Richtigkeit der Entscheidung<br />
(Accuracy). Payne, Bettman und Johnson (1993) konnten zeigen, dass Konsumenten<br />
die <strong>St</strong>rategie zur Lösung eines Entscheidungsproblems nach dem Verhältnis <strong>von</strong><br />
kognitivem Aufwand und erzielbarer Genauigkeit auswählen (S. 13f, S. 92ff.). Sie<br />
habe diese Erkenntnisse in ihrem Accuracy-Effort-Framework, das in Abbildung 6<br />
veranschaulicht ist, zusammengefasst (vgl. Payne/Bettman/Johnson 1993, S. 72ff.).<br />
Die WADD (Weighted ADDitive) und die RC-<strong>St</strong>rategie (Random Choice) bilden<br />
dabei die Extremkombinationen <strong>von</strong> Genauigkeit und Aufwand. Während die<br />
WADD-<strong>St</strong>rategie durch ihre kompensatorische und vollständige Informationsverarbeitung<br />
die höchste Genauigkeit bei der Entscheidung bietet und dabei am<br />
aufwändigsten ist, liefert die Zufallswahl (RC) ungenauere <strong>Wert</strong>e, ist jedoch mit nur<br />
minimalem Aufwand verbunden. Payne und seine Kollegen gehen da<strong>von</strong> aus, dass<br />
Konsumenten abhängig <strong>von</strong> der Art und Wichtigkeit des Entscheidungsproblems<br />
bestimmte Unter- bzw. Obergrenzen hinsichtlich der erwarteten Genauigkeit und des<br />
Entscheidungsaufwandes haben und die anzuwendende <strong>St</strong>rategie entsprechend ihrer<br />
individuellen Präferenzfunktion hinsichtlich Genauigkeit und Aufwand wählen.<br />
20
Relative 100%<br />
Genauigkeit<br />
(% WADD)<br />
WADD<br />
Präferenzfunktion für<br />
Genauigkeit > Aufwand<br />
(Genauigkeit wichtiger<br />
als Aufwand)<br />
EQW<br />
75%<br />
50%<br />
MCD<br />
Genauigkeitsgrenze<br />
(problemspezifisch)<br />
LEX<br />
Präferenzfunktion für<br />
Genauigkeit < Aufwand<br />
(Aufwand wichtiger als<br />
Genauigkeit)<br />
EBA<br />
25%<br />
Aufwandsobergrenze<br />
(problemspezifisch)<br />
RC<br />
0%<br />
200<br />
180<br />
160<br />
140<br />
120<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
Aufwand (Anzahl EIPs)<br />
WADD = weighted additive; EQW = equal weight; EBA = elimination-by-aspects;<br />
LEX = lexicographic; MCD = majority of confirming dimensions; RD = Random choice<br />
Abbildung 6. Aufwand und Genauigkeit <strong>von</strong> Entscheidungsstrategien. Quelle:<br />
Payne/Bettman/Johnson 1993, S. 97<br />
Tabelle 1 stellt wichtige Entscheidungsstrategien sowie deren Charakterisierung<br />
hinsichtlich Aufwand und Genauigkeit im Überblick dar. Auf Einzelheiten soll an<br />
dieser <strong>St</strong>elle jedoch nicht eingegangen werden 9 .<br />
9<br />
Eine detaillierte Darstellung findet sich z. B. bei Bleicker (1983, S. 31ff.) und<br />
Payne/Bettman/Johnson (1993), S. 24ff.<br />
21
Art<br />
Reihenfolge<br />
Kompensatorische<br />
Modelle<br />
Nichtkompensatorische<br />
Modelle<br />
Zur Elimination <strong>von</strong><br />
Produkten<br />
Zur Wahl <strong>von</strong><br />
Produkten<br />
Merkmalsweise Beurteilung<br />
(by Attribute)<br />
Additives Differenzmodell<br />
(ADDIF – ADDitive DIFference)<br />
• Paarweiser Vergleich der Produkte je<br />
Merkmal<br />
• Abspeichern <strong>von</strong> Differenzwerten und<br />
Errechnen der Differenzsumme<br />
• Vergleich des besseren mit dem<br />
nächsten Produkt<br />
• Ergebnis: relative Einstellungen je<br />
Produkt<br />
Modell der aspektweisen Elimination<br />
(EBA – Elimination By Aspects)<br />
• Ordnung der Merkmale nach<br />
Wichtigkeit<br />
• Festlegung <strong>von</strong> <strong>St</strong>andard für<br />
wichtigstes Merkmal<br />
• Erfüllen Produkte den <strong>St</strong>andard? Wenn<br />
nein, eliminiert<br />
• ggf. Festlegung <strong>von</strong> <strong>St</strong>andard für<br />
zweitwichtigstes Merkmal<br />
• usw.<br />
Lexikografisches Modell<br />
(LEX – LEXicographic)<br />
• Ordnung der Merkmale nach<br />
Wichtigkeit<br />
• Vergleich aller Produkte hinsichtlich<br />
wichtigstem Merkmal<br />
• Wahl des Produkt mit bester<br />
Ausprägung<br />
• ggf. zweitwichtigstes Merkmal<br />
• usw.<br />
Produktweise Beurteilung<br />
(by Alternative)<br />
Additives Modell<br />
(WADD – Weighted ADDitive)<br />
• Summierung aller Merkmalsausprägungen<br />
je Produkt, evtl.<br />
Gewichtung<br />
• Vergleich der abgespeicherten<br />
Summen<br />
• Ergebnis: absolute Einstellungen je<br />
Produkt<br />
Konjunktives Modell<br />
(SAT – Satisficing)<br />
• Festlegung <strong>von</strong> <strong>St</strong>andards für alle<br />
Merkmale<br />
• Erfüllt erstes Produkt alle <strong>St</strong>andards?<br />
Wenn nein, eliminiert.<br />
• ggf. zweites Produkt<br />
• usw.<br />
Disjunktives Modell<br />
(DIS – DISjunctive)<br />
• Festlegung <strong>von</strong> <strong>St</strong>andards für alle<br />
Merkmale<br />
• Erfüllt erstes Produkt den <strong>St</strong>andard für<br />
ein Produkt? Wenn ja, akzeptiert.<br />
• ggf. zweites Produkt<br />
• usw.<br />
Tabelle 1: Klassifikation und Beschreibung <strong>von</strong> Entscheidungsstrategien. In Anlehnung an<br />
Bleicker (1983), S. 49<br />
Zusammenhang mit <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Konsumenten müssen mehr Informationen verarbeiten, wenn sie bei zunehmender<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> eine gleichbleibende Entscheidungsqualität erreichen wollen. <strong>St</strong>oßen<br />
sie dabei an die Kapazitätsgrenze der Informationsverarbeitung (siehe Kapitel 2.2.1.2,<br />
S. 70ff.), können sie darauf durch die Anwendung vereinfachender Entscheidungsstrategien<br />
reagieren (vgl. Payne/Bettman/Johnson 1993, S. 2ff.) oder im Extremfall<br />
den Kaufprozess abbrechen (vgl. Tversky/Shafir 1992, S. 358). Die Anwendung <strong>von</strong><br />
vereinfachenden Heuristiken, die auch darin bestehen können, nur noch einzelne<br />
Merkmale wie z. B. den Preis bei der Entscheidung zu berücksichtigen oder der<br />
Empfehlung eines Freundes oder des Verkäufers zu folgen (vgl. Peter/Olson 2002,<br />
22
S. 179) haben aber im Normalfall eine Reduzierung der Entscheidungsqualität zur<br />
Folge (siehe Ausführungen oben und Abbildung 6). Dies kann sich wiederum negativ<br />
auf das Vertrauen des Konsumenten in den Kaufprozess und das gekaufte Produkt<br />
auswirken und letztlich zur Unzufriedenheit mit dem Kaufprozess und dem<br />
erworbenen Produkt führen (vgl. z. B. Klein/Yadav 1989, S. 417f.; Schmidt 1990,<br />
S. 244; Sethi-Iyengar/Lepper 2000, S. 1003).<br />
Neben dieser rein kognitiven Betrachtung weist z. B. Oliver (1996, S. 243) darauf hin,<br />
dass durch die schwierige Entscheidung zwischen Alternativen, die jeweils<br />
verschiedene Vor- und Nachteile haben, Konflikte entstehen können, die <strong>von</strong> der<br />
Person als emotional unangenehm und schwierig empfunden werden und die sie<br />
deshalb reduzieren oder vermeiden möchten: „(...) at the moment when a decision is<br />
required the fact that each alternative has both advantages and disadvantages poses<br />
an impediment to the attainment of the most immediate subgoal – namely, escape from<br />
the unpleasant state of conflict induced by the decision problem itself“ (Shepard 1964,<br />
S. 277).<br />
Diese durch die Vielfalt verursachten „emotionalen Kosten“ können sich ebenfalls auf<br />
die Wahl der Entscheidungsstrategie auswirken und z. B. zur Anwendung einer<br />
Heuristik führen, die explizite Trade-Offs zwischen den Attributwerten einzelner<br />
Alternativen vermeidet (vgl. Payne/Bettman/Johnson 1993, S. 75). Tversky und Shafir<br />
(1992) haben in diesem Zusammenhang gezeigt, dass emotional schwierige Konflikte<br />
insbesondere zum Aufschub <strong>von</strong> Entscheidungen führen können (S. 358). Eine weitere<br />
Möglichkeit zur Reduktion oder Vermeidung negativer Emotionen ist die Delegation<br />
der Entscheidung an Dritte, z. B. an einen Verkäufer oder Freund (vgl.<br />
Beattie/Baron/Hershey 1994, S. 130f.; Brownstein 2003, S. 547f.).<br />
Vor beziehungsweise während der Entscheidung realisiert der Konsument außerdem<br />
„(...) that the purchase decision will leave the unchosen alternatives ‚on the table’<br />
where they may remain as a reminder that another purchase outcome could have been<br />
realized“ (Oliver 1996, S. 243). Dies kann zu dem „unguten Gefühl“ und der<br />
„dunklen Vorahnung“ (Apprehension) führen, dass der Konsument evtl. eine<br />
Entscheidung trifft, die er später bedauert. Die Antizipation dieses Bedauerns kann<br />
bewirken, dass der Konsument den Kauf aufschiebt oder ganz auf ihn verzichtet:<br />
„Whenever choice can induce regret consumers have an incentive to eliminate the<br />
choice“ (Thaler 1980, S. 52; vgl. Simonson 1992, S. 105ff.; Beattie/<br />
Baron/Hersehy/Spranca 1994, S. 131f.; Desmeules 2002, S 2). In verschiedenen<br />
Untersuchungen wurde gezeigt, dass zunehmende <strong>Produktvielfalt</strong> die Entstehung<br />
23
antizipierten Bedauerns fördert und zu verstärkten Entscheidungskonflikten und<br />
kognitiver Dissonanz führen kann (vgl. Sethi-Iyengar/Lepper 2000, S. 999;<br />
Brownstein 2003, S. 548; Oliver 1996, S. 252, Schmidt 1990, S. 244).<br />
Für den <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> bedeutet dies folgendes:<br />
Hinsichtlich der Nutzendimension ist festzuhalten, dass durch eine höhere<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> mehr Informationen bei der Beurteilung und Auswahl zur Verfügung<br />
stehen, was insgesamt zu einer besseren Entscheidung führen sollte. Dies gilt aber nur,<br />
wenn bei der Verarbeitung der Informationen die Kapazität des Informationsverarbeitungssystems<br />
des Entscheiders nicht überschritten wird (siehe S. 71ff.).<br />
In der Phase der Vor-Kauf-Bewertung sind mit hoher <strong>Produktvielfalt</strong> sowohl kognitive<br />
als auch emotionale „Aufwände“ verbunden. Diese manifestieren sich in kognitiver<br />
Anstrengung und negativen Emotionen, die durch die Antizipation <strong>von</strong> Bedauern und<br />
Entscheidungskonflikten entstehen. Auf diese Aspekte wird bei der Darstellung des<br />
theoretischen Bezugsrahmens im Rahmen der Theorie der Cost of Thinking (Kapitel<br />
2.3.2.1, S. 122ff.), der Konflikt Theorie (Kapitel 2.3.2.2, S. 134ff.) und der Theorie des<br />
Antizipierten Regrets (Kapitel 2.3.2.3, S. 158 ff.) detailliert eingegangen.<br />
Kauf (Purchase)<br />
Diese Phase manifestiert gewissermaßen das Ergebnis des Kaufentscheidungsprozesses:<br />
<strong>Der</strong> Konsument entscheidet sich endgültig, ob er das während der<br />
Vor-Kauf-Bewertung ausgewählte Produkt kauft und setzt diese Entscheidung in<br />
tatsächliches Verhalten um, indem er das ausgewählte Produkt erwirbt oder den Kauf<br />
abbricht und das Geschäft ohne Kauf verlässt. Die Unterscheidung zwischen den<br />
beiden Phasen der Vor-Kauf-Bewertung und dem Kauf wird getroffen, da die<br />
Entscheidung für ein bestimmtes Produkt nicht immer sofort in tatsächliches<br />
Kaufverhalten umsetzbar ist (z. B. aufgrund mangelnder Verfügbarkeit) (vgl. Kuß<br />
1987, S. 39) oder der Konsument sich „in letzter Sekunde“ beispielsweise wegen<br />
eines Sonderangebots anders entscheidet (vgl. Blackwell/Miniard/Engel 2001,<br />
S. 127f.).<br />
24
Nachkaufphasen: Konsum und Evaluation (Consumption & Evaluation)<br />
Mit dem Kauf entscheidet sich der Konsument nicht nur für das gekaufte, sondern<br />
auch gegen die nicht gekauften Produktalternativen. Die Inkonsistenz, die durch die<br />
Attraktivität der nicht gewählten Alternativen und der Entscheidung für ein<br />
bestimmtes Produkt hervorgerufen wird, kann zur Entstehung kognitiver Dissonanz<br />
führen. Diese beschreibt Festinger (1959) als einen „psychologically uncomfortable<br />
tension state“(Oliver 1996, S. 247). Kognitive Dissonanz entsteht besonders dann,<br />
wenn sich der Konsument nicht sicher ist, das optimale Produkt aus den vorhandenen<br />
Alternativen für sich gewählt zu haben. Es ist deshalb anzunehmen, dass hohe<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> die Entstehung kognitiver Dissonanz begünstigt (vgl. Oliver 1996,<br />
S. 252).<br />
Nach dem Kauf steht das Produkt zum Gebrauch zur Verfügung. In dem hier<br />
betrachteten Fall kognitiver Kaufentscheidungen (siehe S. 37) handelt es sich hierbei<br />
meist um Gebrauchsgüter, also um Produkte, die über einen längeren Zeitraum benutzt<br />
werden können.<br />
Während der Nutzung bewertet der Käufer das Produkt hinsichtlich seiner<br />
Erwartungen, was entweder zur Zufriedenheit oder zur Unzufriedenheit mit diesem<br />
führen kann (vgl. Blackwell/Miniard/Engel 2001, S. 71). Neben der Zufriedenheit<br />
spielen in dieser Phase auch Fragen bezüglich der Qualität und der Erfüllung der<br />
ursprünglichen Bedürfnisse eine Rolle (vgl. Oliver 1996, S. 243). Durch den Vergleich<br />
der nicht gewählten Alternative mit der gewählten kann es dabei ferner zum Bedauern<br />
(Regret) der Entscheidung kommen. Zeelenberg (1996) beschreibt dies als eine „(...)<br />
negative, cognitively determined emotion that we experience when realizing or<br />
imagining that our present situations would have been better, had we acted<br />
differently“ (S. 6). Regret kann als Reue und Enttäuschung der eigenen Entscheidung<br />
umschrieben werden (vgl. Simonson 1992, S. 105).<br />
Jacoby et al. (1974b, S. 39) und Scammon (1977) konnten weiterhin einen negativen<br />
Zusammenhang <strong>von</strong> hoher Informationsmenge (Alternativenzahl) und Vertrauen in die<br />
Qualität der eigenen Entscheidung, also die wahrgenommene Sicherheit der richtigen<br />
Wahl, feststellen. Kombiniert man dieses Ergebnis mit dem <strong>von</strong> Jacoby et al. (1974a,<br />
S. 68), das einen positiven Zusammenhang <strong>von</strong> Sicherheit und Zufriedenheit<br />
nachweisen konnte, so kann man schlussfolgern, dass Regret und Zufriedenheit in<br />
einem negativen Verhältnis stehen (vgl. hierzu auch Taylor 1997). Zusammengefasst<br />
bedeutet dies, dass hohe Vielfalt zu einer verminderten Entscheidungssicherheit und<br />
damit zu Regret und geringerer Zufriedenheit führen kann.<br />
25
Die Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt ist dahingehend <strong>von</strong> Interesse, da sie in<br />
Zusammenhang mit künftigem Verhalten steht: So existiert ein positiver<br />
Zusammenhang <strong>von</strong> Produktzufriedenheit und zukünftigen Kaufabsichten hinsichtlich<br />
der Marke (vgl. Fitzsimons/Greenleaf/Lehmann 1997, S. 7; Tsiros/Mittal 2000,<br />
S. 405f.; siehe auch Abbildung 38, S. 167).<br />
Neben dem gekauften Produkt bewerten Konsumenten den Prozess zu dessen Erwerb.<br />
Zhang und Fitzsimons (1999) bezeichnen die hierbei zugrunde liegene<br />
Bewertungsgröße als „Choice-Process Satisfaction“ (Kaufprozesszufriedenheit)<br />
(S. 193) und verstehen darunter „(...) consumers’ satisfaction with their experience in<br />
the decision and purchase experience leading up to, and including, the actual<br />
purchase transaction“ (Fitzsimons/Greenleaf/Lehmann 1997, S. 1). Es ist<br />
anzunehmen, dass ein Zusammenhang selbiger mit der <strong>Produktvielfalt</strong> besteht: So<br />
konnten Sethi-Iyengar und Lepper (2000) zeigen, dass Konsumenten mit einem<br />
gewählten Produkt unzufriedener sind, wenn sie es aus einem Set mit vergleichsweise<br />
hoher Vielfalt gewählt haben (30 Alternativen) (S. 1003). Zu ähnlichen Ergebnissen<br />
kommen auch andere Autoren wie z. B. Klein und Yadav (1989, S. 417f.) und Schmidt<br />
1990, S. 244). Ein gegenteiliges Verhältnis zeigten die Untersuchungen <strong>von</strong> Jacoby et<br />
al. (1974a), die einen positiven Zusammenhang <strong>von</strong> Markenzahl und Zufriedenheit mit<br />
der Wahlentscheidung festgestellt haben (S. 67). Hierzu ist anzumerken, dass die<br />
Testpersonen unter maximal 12 Alternativen und damit aus einer moderaten<br />
Alternativenzahl ausgewählt haben. In einer anderen Untersuchung bestätigten Jacoby<br />
und seine Mitarbeiter (1974b) den negativen Zusammenhang <strong>von</strong> hoher Markenzahl<br />
und Zufriedenheit (S. 39). Weiterhin konnten Chang und Fitzsimons (1999) zeigen,<br />
dass Konsumenten mit dem Kaufprozess zufriedener sind, wenn die verfügbaren<br />
Alternativen hinsichtlich wichtiger Attribute vergleichbar (alignable) sind, was die<br />
Autoren auf geringere emotionale und kognitive Kosten bei der Entscheidung<br />
zurückführen (S. 206).<br />
Insgesamt ist deshalb da<strong>von</strong> auszugehen, dass sich sowohl die Anzahl als auch die<br />
<strong>St</strong>ruktur der Alternativen auf die Kaufprozesszufriedenheit auswirken (vgl.<br />
Westbrook/Newman/Taylor 1978, S. 59; Fitzsimons/Greenleaf/Lehmann 1997,<br />
S. 5ff.).<br />
Die Kaufprozesszufriedenheit wirkt sich wiederum auf die Gesamtzufriedenheit sowie<br />
insbesondere auf die Loyalität gegenüber dem Geschäft aus. Letzteres ist darauf<br />
zurückzuführen, dass der Kaufprozess eher dem Geschäft als dem Hersteller<br />
zugeschrieben wird (vgl. Fitzsimons/Greenleaf/Lehmann 1997, S. 7).<br />
26
Festzuhalten ist, dass sich hohe <strong>Produktvielfalt</strong> sowohl auf die Zufriedenheit mit dem<br />
gekauften Produkt als auch mit dem Kaufprozess auswirkt, was wiederum die<br />
Loyalität hinsichtlich der gekauften Marke und des Geschäfts, in dem das Produkt<br />
erworben wurde, beeinflusst. Des Weiteren ist zu vermuten, dass hohe <strong>Produktvielfalt</strong><br />
die Entstehung kognitiver Dissonanz begünstigt. Diese stellt gewissermaßen das<br />
Bindeglied zwischen Kaufprozess und Produktzufriedenheit dar und wird häufig als<br />
eine der Antezedenzien selbiger bezeichnet (vgl. Oliver 1996, S. 259f.). Die<br />
aufgefühten Größen sollen folglich in dem zu entwickelnden Modell der<br />
Auswirkungen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen hoher <strong>Produktvielfalt</strong> berücksichtigt werden.<br />
Zusammenfassung<br />
Die Beschreibung der Phasen des Kaufprozesses hat verdeutlicht, dass die<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> insbesondere in zwei Phasen eine wichtige Rolle spielt: In der Phase<br />
der Vor-Kauf-Bewertung und der Nachkaufphase. Dies verwundert auch nicht<br />
weiter, da sich der Konsument in der Bewertungsphase der <strong>Produktvielfalt</strong> gegenüber<br />
sieht und deshalb in diesem Schritt der <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> in Form <strong>von</strong> Kosten<br />
und Nutzen entsteht. Die Nachkaufphase zeigt das Ergebnis der Entscheidung und<br />
somit die Konsequenzen des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>. Zu berücksichtigen ist hierbei,<br />
dass auch der Verzicht auf den Kauf bzw. dessen Verschiebung ein mögliches<br />
Ergebnis des Kaufprozesses ist. Das hier betrachtete Konstrukt <strong>Wert</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> kann mit seinen Dimensionen Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Kosten<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> somit der Phase der Vor-Kauf-Bewertung und seine<br />
Konsequenzen der Kauf- und Nachkauf-Phase zugeordnet werden.<br />
Als Konsequenzen sind hierbei in der weiteren Untersuchung insbesondere<br />
• die Kaufintention,<br />
• die Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt und dem Kaufprozess,<br />
• die kognitive Dissonanz als Bindeglied zwischen Kaufprozess und<br />
Produktzufriedenheit sowie<br />
• die Loyalität gegenüber Geschäft und Marke<br />
zu berücksichtigen.<br />
27
1.2.3 Zielsetzung, forschungsleitende Fragestellungen und Abgrenzung des<br />
Untersuchungsgegenstands<br />
1.2.3.1 Forschungsbedarf<br />
Dhar beschreibt die Ergebnisse bisheriger Untersuchungen zur Wirkung der<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> auf das Konsumentenverhalten als Beantwortung der Fragen „is?“ und<br />
„when?“ (Dhar 1997b, S. 126). Die Forschung hat sich bisher folglich vornehmlich<br />
damit beschäftigt, ob es einen Einfluss des Entscheidungskontextes, wie z. B. der<br />
Auswahlvielfalt auf das Entscheidungsverhalten gibt, und wann diese Effekte<br />
auftreten. In Kapitel 2.1 (S. 42ff.) werden einige der wichtigsten Untersuchungen<br />
detaillierter beschrieben.<br />
Weitgehend unbeantwortet ist dagegen die Frage „how?“, die erklärt, wie die Effekte<br />
zu <strong>St</strong>ande kommen und welche psychischen Prozesse sie verursachen (vgl. Dhar<br />
1997b, S. 127). Lehmann (1998) stellt zusätzlich den Forschungsbedarf hinsichtlich<br />
der Gesamtperspektive im Sinne der <strong>Wert</strong>schätzung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> durch<br />
Konsumenten und deren Umgang mit großen Sortimenten heraus: „(...) research on<br />
how much customers value variety (...) and the reactions of customers to large sets of<br />
options are (…) important areas for research” (S. 64).<br />
Forschungsbedarf besteht somit sowohl hinsichtlich der Makroebene, die sich mit der<br />
<strong>Wert</strong>schätzung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> durch Konsumenten beschäftigt, als auch<br />
hinsichtlich der Mikroebene, die die verschiedenen Aspekte und Prozesse, die zu<br />
dieser <strong>Wert</strong>schätzung führen, beleuchtet.<br />
<strong>Der</strong> in der Literatur genannte Forschungsbedarf konzentriert sich deshalb auf die<br />
Erklärung des beobachteten Konsumentenverhaltens und kann hierbei unter<br />
Einbeziehung der im Rahmen der Untersuchung verwendeten Begriffe Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> (KPV), Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (NPV) und <strong>Wert</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> (WPV) im Wesentlichen drei Themenbereichen zugeordnet werden:<br />
28
1. Besseres Verständnis der <strong>Wert</strong>schätzung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> durch<br />
Konsumenten. Dies beinhaltet insbesondere die theoretische Erklärung der<br />
zugrunde liegenden positiven und negativen sowie kognitiven und affektiven<br />
Reaktionen <strong>von</strong> Konsumenten auf (hohe) <strong>Produktvielfalt</strong> sowie deren<br />
Messung.<br />
• „(...) research on how much customers value variety (...) and the reactions<br />
of customers to large sets of options are (…) important areas for research“<br />
(Lehman 1998, S. 64).<br />
• „There is no consensus on a comprehensive principle that predicts<br />
decision difficulty, that provides measures of difficulty, or even on a definition“<br />
(Hastie 2000, S. 11).<br />
• „(…) future research should focus on the underlying cognitive processes<br />
that drive the negative impact of non-alignability on consumer choice“<br />
(Gourville/Soman 1999, S. 22).<br />
• „Additional research might investigate the role of affectively based<br />
assortment perceptions more thoroughly (…)”<br />
(Broniarczyk/Hoyer/McAlister 1998, S. 175).<br />
2. Untersuchung der Auswirkungen verschiedener Kosten- und Nutzenaspekte<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf das Konsumentenverhalten<br />
• „(…) how the aversive elements of decision making are offset by the<br />
positive elements of greater choice to account for the fact that decisions do<br />
get made“ (Dhar 1997a, S. 230).<br />
• „Further research should investigate the influences of anticipating<br />
decision errors on purchase timing and choices between brand name and<br />
price (…)“ (Simonson 1992, S. 117).<br />
• „(…) dissonance is integral to decision making and to consumption (…).<br />
Little work on the occurrence and reduction of dissonance in consumption<br />
is currently available, and managers are generally unable to determine the<br />
extent of dissonance experienced by their consumers or of the influence of<br />
dissonance on satisfaction“ (Oliver 1996, S. 261).<br />
29
3. Einfluss der Eigenschaften des Choice Sets auf Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong><br />
• „Of particular interest is how the characteristics of a choice set (i.e.<br />
perceived similarity/differences between choices) contribute to choice<br />
uncertainty“ (Urbany/Dickson/Wilkie 1989, S. 214).<br />
• „Additional research might derive a more specific quantitative model of<br />
assortment perceptions to the functional relationships between objective<br />
stimulus changes and subjective experiences in psychophysics“<br />
(Broniarczyk/Hoyer/McAlister 1998, S. 174).<br />
• „(…) further research will probably help define what kind of changes and<br />
variety consumers actually desire“ (Desmeules 2002, S. 14).<br />
Die Forschungslücke besteht somit vor allem. in der Erklärung des Zusammenhangs<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> in der Entscheidungssituation und dem Ergebnis des<br />
Kaufprozesses sowie den nachgelagerten Evaluationsprozessen, um so letztlich die<br />
Frage beantworten zu können „(...) when is too much variety too much?“ (Kahn<br />
1998, S. 52).<br />
Ansatzpunkt der vorliegenden Untersuchung ist es, diese Forschungslücke mit Hilfe<br />
der Konstrukte Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (KPV) und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
(NPV) als Dimensionen des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (WPV), zu schließen.<br />
Die Zielsetzung der Untersuchung lässt sich damit wie folgt formulieren:<br />
1.2.3.2 Ziele der Untersuchung und Forschungsfragen<br />
Im Hinblick auf die Wissenschaft soll mit Hilfe der Konstrukte Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> (KPV) und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (NPV) als unabhängige<br />
Dimensionen des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (WPV) der Zusammenhang <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> in der Entscheidungssituation und dem Ergebnis des Entscheidungsprozesses<br />
sowie nachgelagerten Bewertungsprozessen aufgezeigt werden. Dieser<br />
Zusammenhang wird mit Hilfe existierender Theorien erklärt.<br />
Darauf aufbauend wird das Konstrukt <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und seine Kosten- und<br />
Nutzendimension theoriebasiert konzeptualisiert und operationalisiert. Unter<br />
Konzeptualisierung wird dabei die Erarbeitung der relevanten Kosten- und<br />
Nutzenfacetten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus der Sicht des Konsumenten verstanden.<br />
30
Anschließend werden im Rahmen der Operationalisierung Methoden zur Messung der<br />
Eigenschaften dieser Facetten entwickelt (Homburg 1998, S. 4). Des Weiteren sollen<br />
die Auswirkungen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf das Kaufverhalten<br />
und die Bewertung des Kaufs, sowie des Kaufprozesses empirisch untersucht werden.<br />
Drittens soll schließlich der Einfluss der Charakteristika des Sortiments auf Kosten<br />
und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> untersucht werden. Hierbei werden sowohl<br />
quantitative Aspekte wie z. B. die Anzahl der Produkte im Sortiment, als auch<br />
qualitative Eigenschaften, wie beispielsweise Vergleichbarkeit und Unterscheidbarkeit<br />
der zur Wahl stehenden Alternativen, berücksichtigt.<br />
<strong>Der</strong> Unternehmenspraxis sollen damit Anhaltspunkte für die Optimierung des<br />
Produktprogramms zur <strong>St</strong>eigerung der Kaufintention <strong>von</strong> Konsumenten und damit zur<br />
Erhöhung des eigenen Absatzes gegeben werden. Weiterhin werden die<br />
Zusammenhänge <strong>von</strong> angebotener Vielfalt und der Zufriedenheit der Kunden mit<br />
dem Kaufprozess und dem gekauften Produkt näher untersucht. Unternehmen werden<br />
dadurch unterstützt, sowohl kurzfristige (Kaufintention) als auch mittelfristige<br />
(Zufriedenheit) Nachfrageeffekte <strong>von</strong> Vielfaltssenkungen und -steigerungen besser<br />
abschätzen zu können.<br />
Insgesamt hat die Untersuchung das Ziel, Zusammenhänge <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und<br />
Konsumentenverhalten zu beleuchten, um so Wissenschaft und Praxis durch ein<br />
besseres Verständnis der Bedürfnisse <strong>von</strong> Konsumenten hinsichtlich der Vielfalt in der<br />
Entscheidungssituation weiterführende Hinweise zur gestalterischen Verbesserung der<br />
am Markt angebotenen <strong>Produktvielfalt</strong> zu geben.<br />
31
Forschungsfragen<br />
Zusammenfassend kann der Untersuchungsgegenstand durch vier Forschungsfragen<br />
beschrieben werden:<br />
1. Wie kann der Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten<br />
insgesamt und aufgrund vielfaltsbedingter Kosten- und Nutzenaspekte<br />
theoretisch erklärt werden?<br />
2. Wie lassen sich Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> konzeptualisieren und<br />
messen?<br />
3. Im welchem Zusammenhang steht die Höhe <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> mit dem Ergebnis der Kaufentscheidung und der Bewertungen<br />
<strong>von</strong> Kaufprozess und gekauftem Produkt sowie zukünftigen Verhaltensabsichten<br />
gegenüber dem Geschäft und der gekauften Marke?<br />
4. Durch welche Eigenschaften des Sortiments werden Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> in welcher Höhe beeinflusst und welche Rolle spielt hier<br />
insbesondere die Anzahl der zur Wahl stehenden Produkte?<br />
Vereinfacht gesagt dienen die Forschungsfragen dazu, die „Blackbox des<br />
Konsumenten“ (vgl. Bänsch 1998, S. 4f.) ein <strong>St</strong>ück weit zu öffnen, um seine<br />
Reaktionen auf hohe <strong>Produktvielfalt</strong> besser zu verstehen. In Abbildung 7 werden die<br />
Forschungsfragen in Analogie zu einem S-O-R-Modell 10 veranschaulicht. Das Modell<br />
beschreibt dabei die Reaktion des Konsumenten (Objekt) auf den <strong>St</strong>imulus (in diesem<br />
Fall die <strong>Produktvielfalt</strong>) in Form <strong>von</strong> (Nicht)Kaufhandlung und Kaufbewertung (vgl.<br />
Meffert 2000, S. 99f.).<br />
10 <strong>St</strong>imulus-Object-Response-Modell<br />
32
<strong>St</strong>imulus<br />
(Sortiment in der<br />
Kaufsituation)<br />
Objekt<br />
(Konsument)<br />
Reaktion<br />
(Ergebnis Entscheidungsprozess)<br />
Ergebnis Kaufentscheidung<br />
"Blackbox"<br />
Evaluation und zukünftiges<br />
Verhalten<br />
"Öffnen der Blackbox"<br />
1 Theorie<br />
Größe und<br />
Eigenschaften des<br />
Sortiments<br />
<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Facette 1<br />
Ergebnis Kaufentscheidung<br />
• Kaufwahrscheinlichkeit<br />
4<br />
...<br />
Facette n<br />
Facette 1<br />
...<br />
Facette n<br />
Kosten<br />
2<br />
Nutzen<br />
3<br />
3<br />
Evaluation und zukünftiges<br />
Verhalten<br />
• Zufriedenheit<br />
- Kaufprozess<br />
- Produkt<br />
• Kognitive Dissonanz<br />
• Loyalität<br />
- Marke<br />
- Geschäft<br />
1 Theoretische<br />
Begründung 2<br />
Messung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> durch seine<br />
Kosten- und<br />
Nutzendimension<br />
3 Konsequenzen:<br />
Wirkung auf<br />
Konsumentenverhalten<br />
4 Determinanten:<br />
Einflussgrößen des<br />
Sortiments<br />
Abbildung 7: Grafische Veranschaulichung der Forschungsfragen<br />
Um die Realisierbarkeit dieser Forschungsziele zu gewährleisten, wird der<br />
Untersuchungsgegenstand einerseits hinsichtlich der berücksichtigten unternehmerischen<br />
Aspekte und andererseits hinsichtlich der Art der Kaufentscheidung<br />
eingegrenzt.<br />
1.2.3.3 Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands<br />
Eingrenzung der berücksichtigten unternehmerischen Aspekte<br />
Die Untersuchung konzentriert sich auf die Wirkung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf das<br />
Konsumentenverhalten und somit auf Nachfrageeffekte (vgl. Bayus/Putsin 1999,<br />
33
S. 137). Weitere Auswirkungen und Determinanten wie z. B. Kosteneffekte,<br />
strategische Effekte, unternehmensinterne und organisatorische Rahmenbedingungen<br />
sowie ökonomische Ziele wie Gewinn oder Deckungsbeitrag finden keine<br />
Berücksichtigung (vgl. hierzu z. B. Bayus/Putsin 1999, S. 137, Schuh/Schwenk 2001,<br />
S. 1ff.; Schmidt 1990, S. 1ff.; Prillmann 1996, S. 1ff.)<br />
Eingrenzung nach der Art der Kaufentscheidung<br />
Die vorherigen Abschnitte sind bereits auf die verschiedenen Aspekte der Kosten- und<br />
Nutzendimension des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> knapp eingegangen. Hierbei wurde<br />
deutlich, dass vor allem Kosteneffekte auf der hohen kognitiven Belastung der<br />
Informationsverarbeitung bei großer <strong>Produktvielfalt</strong> beruhen. Dies gilt jedoch nicht bei<br />
allen Arten <strong>von</strong> Kaufentscheidungen gleichermaßen. So ist die Intensität der<br />
Informationsverarbeitung und das Sicherheitsbedürfnis, die richtige Entscheidung zu<br />
treffen beim Kauf einer Frühstücksmarmelade sicherlich eine andere als beim Erwerb<br />
eines Autos oder langlebigen Konsumgutes wie einer Digitalkamera. Gleiches gilt<br />
auch für die Nutzenaspekte. Bei Verbrauchsgütern wie Marmelade spielt hier z. B. die<br />
Variation über die Zeit (Variety Seeking) eine wichtige Rolle, d. h. der Konsument<br />
möchte nicht jeden Tag dieselbe Marmeladesorte essen und profitiert folglich beim<br />
Kauf <strong>von</strong> großer Auswahl im Sinne der Verschiedenartigkeit der Produkte. Beim Kauf<br />
einer Waschmaschine ist dies offensichtlich vollkommen unbedeutend. Um diesen<br />
Unterschieden in der Art der gekauften Produkte Rechnung zu tragen, wird die<br />
Untersuchung entsprechend eingegrenzt. Die Eingrenzung erfolgt dabei aber nicht<br />
nach der Art der gekauften Produkte, sondern nach der Art der Kaufentscheidung.<br />
Dieser allgemeinere Ansatz kann entsprechend auf verschiedene Produktarten<br />
übertragen werden.<br />
Nachfolgend werden zunächst verschiedene Arten <strong>von</strong> Kaufentscheidungen<br />
charakterisiert um auf dieser Basis die Eigenschaften „echter Kaufentscheidungen“<br />
herauszuarbeiten, auf die diese Untersuchung eingegrenzt wird.<br />
34
Arten <strong>von</strong> Kaufentscheidungen<br />
Die in der Marketingliteratur sehr gebräuchliche Kaufentscheidungstypologie <strong>von</strong><br />
Katona und Howard/Sheth unterscheidet nach dem Grad der kognitiven Kontrolle vier<br />
idealtypische Kaufentscheidungsarten (vgl. z. B. Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 359;<br />
Herrmann 1998, S. 95f.; Meffert 2000, S. 102ff.; Kuß 1987, S. 18):<br />
• Extensive Entscheidungen<br />
• Limitierte Entscheidungen<br />
• Habitualisierte Entscheidungen und<br />
• Impulsive Entscheidungen<br />
Diese Typologisierung geht ursprünglich auf Georg Katona (1950/1960) zurück, der<br />
zwei Arten <strong>von</strong> Kaufentscheidungen unterschied:<br />
• echte Entscheidungen<br />
• habituelles Verhalten<br />
„Echte Entscheidungen werden nur gelegentlich getroffen (...) (und) (...) erfordern<br />
die Wahrnehmung einer neuen Situation und die Lösung des durch sie geschaffenen<br />
Problems“ (Katona 1960, S. 57, Hervorhebungen nicht im Original). Sie sind des<br />
Weiteren durch intensive Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung<br />
gekennzeichnet und finden vor allem beim Kauf <strong>von</strong> hochwertigen und langlebigen<br />
Gebrauchsgütern statt (vgl. Meffert 2000, S. 102; Kroeber-Riel/Weinberg 1996,<br />
S. 359).<br />
Im Gegensatz hierzu beschreibt das habituelle Verhalten das „übliche oder<br />
alltägliche Verhalten“ bei dem man das tut „was man vorher in einer ähnlichen<br />
Situation auch schon getan hat“ (Katona 1960, S. 57, Hervorhebung nicht im<br />
Original). Die Wahl <strong>von</strong> Produkten und Marken ist nicht kognitiv gesteuert, sondern<br />
erfolgt gewohnheitsmäßig. Habituelle Kaufentscheidungen finden sich vor allem. bei<br />
Gütern des täglichen Bedarfs (vgl. Meffert 2000, S. 102; Herrmann 1998, S. 96).<br />
Die beiden Kaufentscheidungsarten unterscheiden sich somit hauptsächlich.<br />
hinsichtlich des Neuigkeitsgrades der Situation für den Konsumenten, was sich nach<br />
Katona (1960, S. 57) insbesondere auf die psychischen Prozesse der Entscheidungsfindung<br />
auswirkt.<br />
35
Howard und Sheth (1969) haben diese Unterscheidung verfeinert und zwei weitere<br />
Kaufentscheidungsarten unterschieden:<br />
• Limitierte Entscheidungen und<br />
• Impulskäufe<br />
Die limitierten Entscheidungen liegen gewissermaßen zwischen den echten und den<br />
habitualisierten Kaufentscheidungen. Konsumenten können bei dieser Art der<br />
Entscheidung auf Erfahrungen in ähnlichen Situationen zurückgreifen und haben klar<br />
definierte Entscheidungskriterien, anhand derer die Produktwahl getroffen wird (vgl.<br />
Kuß 1987, S. 18). <strong>Der</strong> kognitive Aufwand ist dabei begrenzt und die Auswahl erfolgt<br />
weitgehend emotionslos (vgl. Herrmann 1998, S. 96; Kroeber-Riel/Weinberg 1996,<br />
S. 359).<br />
Die Impulskäufe unterscheiden sich <strong>von</strong> den anderen Entscheidungsarten in erster<br />
Linie durch den Zeitpunkt des Vorliegens eines Bedürfnisses: Während bei den bisher<br />
aufgeführten Auswahlarten das Bedürfnis bereits vor dem Betreten des Geschäfts<br />
beim Konsumenten existiert, reagiert der Konsument beim Impulskauf spontan auf<br />
Reize am Point of Sale, wie z. B. auf einen Wobbler oder eine auffällig gestaltete<br />
Verpackung (vgl. Meffert 2000, S. 102). Die Kaufentscheidung unterliegt nur einer<br />
geringen kognitiven Kontrolle und erfolgt meist affektgesteuert (vgl. Kuß 1987, S. 19;<br />
Herrmann 1998, S. 96; Meffert 2000, S. 102).<br />
Eingrenzung der Untersuchung auf „echte Kaufentscheidungen“ bzw.<br />
Auswahlprobleme<br />
Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> werden vor allem durch die kognitive Überforderung des<br />
Konsumenten bei der Kaufentscheidungsfindung (Information Overload) (vgl.<br />
Jacoby/Speller/Kohn 1974; Malhotra/Jain/Lagakos, 1982; Best/Ursic 1987) und<br />
während der Entscheidung empfundene oder antizipierte negative Emotionen (vgl.<br />
Anderson 2003, S. 160) verursacht. Sie setzen somit ein Mindestmaß an kognitiver<br />
Kontrolle und Informationsverarbeitung im Entscheidungsprozess voraus. Wie oben<br />
beschrieben, werden impulsive und habitualisierte Kaufentscheidungen weitgehend<br />
ohne kognitiven Aufwand getroffen, weshalb da<strong>von</strong> auszugehen ist, dass bei diesen<br />
Kaufentscheidungsarten mit hoher <strong>Produktvielfalt</strong> keine negativen Aspekte verbunden<br />
sind. <strong>Der</strong> Konsument würde auch bei einer großen Anzahl an Produkten ohne<br />
intensives Nachdenken entweder ein beliebiges oder sein „<strong>St</strong>amm-Produkt“, das er<br />
häufig kauft, erwerben.<br />
36
Um die „desirable depth of questioning“ (Westbrook/Newman/Taylor 1978, S. 55)<br />
des Konsumenten bei der Entscheidungsfindung sicherzustellen, wird die<br />
Untersuchung deshalb auf Auswahlprobleme bzw. echte Kaufentscheidungen<br />
eingeschränkt, d. h. auf Situationen, in denen ein Konsument „(...) auf der Basis <strong>von</strong><br />
Beurteilungen aus einer größeren Zahl <strong>von</strong> Möglichkeiten eine Alternative (...)“<br />
auswählt (Kuß 1987, S. 7). Die Produktwahl ist folglich das Ergebnis einer „;echten’<br />
Entscheidung“ in der „(...) der Konsument das Für und Wider einer Produktwahl<br />
überlegt, also bewusst auswählt“ (Kroeber-Riel 1992, S. 371). Kuß (1983) bezeichnet<br />
Entscheidungen, die dieser Bedingung genügen, als „kognitive Kaufentscheidungen“<br />
(S. 28), wobei der Begriff darauf zurückgeht, dass die während der Informationsaufnahme<br />
und -verarbeitung ablaufenden Prozesse den kognitiven Prozessen<br />
zugeordnet werden, was nicht bedeuten soll, dass affektive Reaktionen während der<br />
Kaufentscheidung keine Rolle spielen (vgl. Kuß 1983, S. 28).<br />
Zusammenfassende Charakterisierung echter bzw. kognitiver Kaufentscheidungen<br />
Hinsichtlich der Produkte lässt sich sagen, dass typischerweise langlebige<br />
Konsumgüter und höherwertige Produkte in die Kategorie der kognitiven Käufe fallen,<br />
während der Kauf <strong>von</strong> Gütern des täglichen Bedarfs eher den habitualisierten oder<br />
impulsiven Kaufentscheidungen zuzuordnen ist (vgl. Meffert 2000, S. 102;<br />
Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 359; Herrmann 1998, S. 96). Dies bedeutet auch, dass<br />
erstere Produkte meist teurer und komplexer sind sowie seltener gekauft werden (vgl.<br />
Solomon/Bamossy/Askegaard 2001, S. 250). Bei kognitiven Kaufentscheidungen sind<br />
die Produkte und Marken daher dem Käufer weniger bekannt (vgl. Solomon/<br />
Bamossy/Askegaard 2001, S. 250), weisen aber meist eine gewisse Verbindung zur<br />
Persönlichkeit und Selbsteinschätzung des Konsumenten auf, was den Kauf aus<br />
Konsumentensicht wichtiger macht (vgl. Assael 1981, S. 11; Meffert 2000, S. 112).<br />
Fritz und Hefner (1981, S. 233) konnten einen Zusammenhang der Produktart mit dem<br />
Informationsverhalten nachweisen und zeigen, dass der Informationsbedarf und die<br />
Informationsbeschaffung beim Kauf langlebiger Güter größer sind, als bei<br />
Lebensmitteln.<br />
<strong>Der</strong> Konsument sieht sich in der Kaufsituation bei einer kognitiven Entscheidung<br />
normalerweise einem relativ neuartigen Entscheidungsproblem gegenüber, für dessen<br />
Lösung ihm viele Informationen z. B. aus Werbung oder Testberichten oder vom<br />
Hersteller bzw. Händler zur Verfügung stehen. Die Dringlichkeit des Kaufs ist im<br />
Normalfall nicht sehr hoch, weshalb der Konsument nicht unter hohem Zeitdruck steht<br />
37
(vgl. Trommsdorff 1998, S. 308). Da die Produkte meist relativ teuer sind, können die<br />
Konsequenzen einer Fehlentscheidung bei einer echten Kaufentscheidung durchaus<br />
schwerwiegend sein (vgl. Desmeules 2002, S. 11). Dies führt dazu, dass der<br />
Konsument in der Entscheidungssituation ein hohes Risiko wahrnimmt (vgl. z. B.<br />
Assael 1981, S. 11; Solomon/Bamossy/Askegaard 2001, S. 250). Er ist daher relativ<br />
stark involviert, d. h. der Kauf hat eine große „Ich-Bedeutung“ für ihn (vgl. z. B.<br />
Assael 1981, S.11; Dellaert/Conlon/Soest 2001, S. 24f.). Auf die Rolle des<br />
Involvement wird in einem späteren Abschnitt noch detaillierter eingegangen (siehe<br />
S. 352ff.)<br />
In Abbildung 8 werden die beschriebenen Kaufentscheidungsarten sowie deren<br />
Eigenschaften im Überblick dargestellt.<br />
Fokus der Untersuchung<br />
Art der<br />
Entscheidung<br />
Impulsive<br />
Entscheidungen<br />
Habitualisierte<br />
Entscheidungen<br />
Limitierte<br />
Entscheidungen<br />
Echte/kognitive<br />
Kaufentscheidungen<br />
Extensive<br />
Entscheidungen<br />
Produkte<br />
Güter des täglichen Bedarfs,<br />
billige Produkte<br />
Geläufige Produkte<br />
und Marken<br />
Beziehung/Relevanz für Persönlichkeit<br />
Langlebige Konsumgüter,<br />
höherwertige, teure Produkte<br />
Weniger bekannte Produkte/Marken<br />
Neuartigkeit der Situation<br />
Situation<br />
Verfügbarkeit an Informationen<br />
Risiko/Konsequenzen einer Fehlentscheidung<br />
Involvement<br />
Schwierigkeit der Entscheidung<br />
Entscheidungsprozess<br />
Bedürfnis entsteht<br />
im Kaufprozess<br />
Informationsbeschaffung vor dem Kauf<br />
Intensität der Informationsverarbeitung<br />
Zeitbedarf<br />
Bedürfnis<br />
vor Kaufbeginn<br />
Prozesse<br />
Reaktiv<br />
emotional<br />
Kognitiv<br />
Abbildung 8: Eigenschaften verschiedener Arten <strong>von</strong> Kaufentscheidungen<br />
38
Beschränkung auf hohe <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Da die Arbeit das Ziel hat, die positiven und negativen Aspekte hoher <strong>Produktvielfalt</strong><br />
theoretisch zu begründen und empirisch zu untersuchen, werden die Ausführungen auf<br />
Kaufsituationen mit hoher Vielfalt eingeschränkt, also auf Situationen, in denen der<br />
Konsument ein Produkt aus einem großem Sortiment auswählen möchte.<br />
Weitere Einschränkungen<br />
Die Auswahlprobleme werden weiter auf so genannte Quantal Choice Problems bzw.<br />
All-or-Nothing-Responses eingeschränkt. Es geht also nicht um die Frage wie viel<br />
gekauft wird, sondern ob ein Produkt einer bestimmten Produktgruppe in einer<br />
spezifischen Kaufsituation gekauft wird (vgl. Shugan 1980, S. 99). Die Einschränkung<br />
auf das Quantal Choice Problem ist in der Konsumentenforschung häufig zu finden<br />
(vgl. Shugan 1980, S. 99 und die hierin zitierten Quellen).<br />
Des Weiteren spielen die einer Kaufentscheidung vorgelagerten Allokationsstufen, wie<br />
die Aufteilung des verfügbaren Kapitals in Spar- und Konsumanteil, sowie die<br />
Budgetierung des zum Konsum zur Verfügung stehenden Einkommens auf<br />
verschiedene Konsumsituationen bei der weiteren Betrachtung keine Rolle (vgl. Kuß<br />
1987, S. 10f).<br />
Die im Fokus dieser Untersuchung stehenden Entscheidungssituationen lassen sich<br />
somit folgendermaßen beschreiben:<br />
• Die Entscheidung wird durch ein Individuum für einen Haushalt getroffen.<br />
• Die Entscheidung hat einen gewissen Neuheitsgrad und wird nicht aus Routine<br />
getroffen (echte/kognitive Kaufentscheidungen).<br />
• <strong>Der</strong> Konsument kann sich zum Kauf (oder Nicht-Kauf) <strong>von</strong> genau einem<br />
Produkt entscheiden (Quantal Choice Problem).<br />
• Die grundsätzliche Entscheidung zum Kauf eines Produkts der Kategorie ist<br />
bereits im Vorfeld gefallen (keine Berücksichtigung vorgelagerter Allokationsstufen).<br />
39
1.3 <strong>St</strong>ruktur der weiteren Untersuchung<br />
Dieses Kapitel hat die Relevanz der <strong>Produktvielfalt</strong> für das Konsumentenverhalten<br />
dargestellt, die Zielsetzung dieser Untersuchung konkretisiert und grundlegende<br />
Begriffe erläutert. Des Weiteren wurde ein Überblick zu Erklärungsansätzen des<br />
Zusammenhangs <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten gegeben und<br />
relevante Größen der Untersuchung identifiziert.<br />
Im nächsten Kapitel der Arbeit werden die theoretischen Grundlagen der<br />
Untersuchung dargestellt. Hierbei wird im ersten Teil eine Bestandsaufnahme<br />
empirischer Forschungsergebnisse zum Umgang <strong>von</strong> Konsumenten mit <strong>Produktvielfalt</strong><br />
erstellt und bedeutende <strong>St</strong>udien in diesem Forschungsfeld beschrieben. <strong>Der</strong> zweite Teil<br />
geht auf Theorien, die den grundlegenden Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und<br />
Konsumentenverhalten beschreiben, ein. Im zweiten Teil werden die theoretischen<br />
Bezugspunkte zur Erklärung des Nutzens und der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus<br />
Konsumentensicht beschrieben. <strong>Der</strong> zuvor beschriebene Gesamteffekt wird hierbei<br />
gewissermaßen in einen Kosten- und einen Nutzeneffekt aufgegliedert, der dann<br />
jeweils theoretisch erklärt wird. Das Kapitel endet mit der Formulierung der aus der<br />
Theorie abgeleiteten Hypothesen.<br />
Das anschließende dritte Kapitel (S. 187ff.) befasst sich mit der Messung, d. h. der<br />
Konzeptualisierung und Operationalisierung des <strong>Wert</strong>s bzw. <strong>von</strong> Kosten und Nutzen<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>. Hierbei wird auf die methodischen Grundlagen und die<br />
Vorgehensweise bei der empirischen Untersuchung eingegangen. Ziel dieses Kapitels<br />
ist es, ein Messinstrumentarium für die beiden Konstrukte Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> zu entwickeln und dieses in einer empirischen <strong>St</strong>udie<br />
zu überprüfen. Das Kapitel geht hierbei auch auf methodische Hintergründe der<br />
verwendeten Verfahren (LISREL, PLS) ein.<br />
Im Fokus des vierten Kapitels (S. 302ff.) steht die Wirkung <strong>von</strong> Kosten und Nutzen<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf das Konsumentenverhalten: Hierbei werden die aus der<br />
Theorie abgeleiteten Hypothesen zum Einfluss der Kosten- und Nutzendimension des<br />
<strong>Wert</strong>konstrukts auf verschiede Größen des Konsumentenverhaltens einer empirischen<br />
Überprüfung unterzogen.<br />
Während sich das vierte Kapitel mit Konsequenzen der beiden zentralen Konstrukte<br />
beschäftigt, werden im fünften Kapitel (S. 366 ff.) die Determinanten <strong>von</strong> Kosten<br />
und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> näher untersucht. Hierzu werden die in Kapitel 2<br />
formulierten Hypothesen zu den Einflussgrößen empirisch überprüft.<br />
40
Die Arbeit endet mit einem zusammenfassenden sechsten Kapitel (S. 387ff.), das die<br />
Ergebnisse aus wissenschaftlicher Sicht zusammenfasst, weiteren Forschungsbedarf<br />
sowie Implikationen für die Unternehmenspraxis ableitet.<br />
In Abbildung 9 ist der Aufbau der Arbeit grafisch veranschaulicht.<br />
Kapitel 1<br />
Grundlagen und Zielsetzung der Arbeit<br />
Kapitel 2<br />
Theoretische Grundlagen der Untersuchung<br />
2.1<br />
2.2<br />
Bestandsaufnahme<br />
Theorien zur Erklärung des übergeordneten Zusammenhangs<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten<br />
2.3.1<br />
Theorien zur Erklärung<br />
2.3.2<br />
des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Theorien zur Erklärung<br />
der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Kapitel 5<br />
Determinanten<br />
Kapitel 3<br />
Messung<br />
Kapitel 4<br />
Konsequenzen<br />
Größe und Eigenschaften des<br />
Choice Sets<br />
Facette 1<br />
...<br />
Facette n<br />
Kosten<br />
Ergebnis<br />
Kaufentscheidung<br />
Facette 1<br />
...<br />
Facette n<br />
Nutzen<br />
Evaluation und<br />
zukünftiges Verhalten<br />
Kapitel 6<br />
Zusammenfassung aus Sicht der Wissenschaft<br />
und Implikationen für die Unternehmenspraxis<br />
Abbildung 9: Aufbau der Arbeit<br />
41
2. Theoretische Grundlagen der Untersuchung<br />
2.1 Bestandsaufnahme: Empirische Forschungsergebnisse<br />
ausgewählter <strong>St</strong>udien zum Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
und Konsumentenverhalten<br />
Ziel dieses Abschnitts ist es, einen Überblick zu wichtigen empirischen <strong>St</strong>udien zu<br />
geben, die den Zusammenhang der Höhe und <strong>St</strong>ruktur <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> in der<br />
Entscheidungssituation und im Kaufverhalten sowie Auswirkungen auf<br />
nachgelagerte Konstrukte, wie beispielsweise die Zufriedenheit mit dem<br />
Kaufprozess zum Untersuchungsgegenstand hatten. Die Darstellung erhebt dabei<br />
keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie soll vielmehr die Existenz empirischer<br />
Hinweise aufzeigen, welche die zentrale Hypothese dieser Arbeit stützen, dass<br />
Konsumenten mit hoher Auswahlvielfalt nicht nur positive (Nutzen) sondern auch<br />
negative (Kosten) Aspekte verbinden.<br />
2.1.1 Amos Tversky und Eldar Shafir (1992): Choice under Conflict: The<br />
Dynamics of Deferred Decision<br />
Die beiden Autoren untersuchten, als zwei der ersten in dieser <strong>St</strong>udie, die<br />
Auswirkungen der Alternativenanzahl auf das Kaufverhalten, insbesondere auf die<br />
Tendenz zum Kaufaufschub (Choice Deferral). Hierbei argumentieren Tversky und<br />
Shafir, dass durch zusätzliche (attraktive) Alternativen Konflikte beim Konsumenten<br />
entstehen, die zum Aufschub oder Abbruch der Entscheidung führen. Ursache hierfür<br />
sind schwierige Zielkonflikte (Trade-offs) zwischen den Attributen der<br />
Wahlalternativen: „Conflict arises because a person does not always know how to<br />
trade off costs against benefits, risk against value, and immediate satisfaction against<br />
future discomfort. As a consequence, it is often difficult to make important decisions<br />
(…)“ (Tversky/Shafir 1992, S. 358). Die Tendenz zum Kaufaufschub steigt folglich,<br />
wenn die Entscheidung zwischen attraktiven Alternativen zum Entscheidungskonflikt<br />
führt und einem Konsumenten deshalb schwer fällt. Dies widerspricht dem Prinzip der<br />
42
Nutzenmaximierung der rationalen Entscheidungstheorie, wonach ein Konsument eine<br />
Kaufentscheidung nur dann aufschiebt, wenn der Aufschub für ihn einen (subjektiv)<br />
höheren <strong>Wert</strong> hat, als die vorhandenen Alternativen, was beispielsweise dann der Fall<br />
ist, wenn er sich <strong>von</strong> der Suche nach weiteren Informationen oder Alternativen einen<br />
höheren Nutzen verspricht, als vom Kauf einer der verfügbaren Alternativen. Dies<br />
bedeutet aber, dass die Wahrscheinlichkeit des Kaufabbruchs nicht steigen kann, wenn<br />
einem Choice Set zusätzliche Alternativen hinzugefügt werden. In der<br />
Rationalitätstheorie wird dies als Regularitätsprinzip (Regularity) bezeichnet (vgl.<br />
Luce 1959, 1977; Gourville/Soman 1999, S. 5ff.).<br />
Formal ausgedrückt besagt es:<br />
Bezeichnet P(z; y) den Anteil der Konsumenten, die z aus einer Auswahl <strong>von</strong> {z, y}<br />
wählen und P(z; y, x) den Konsumentenanteil, die z wählen, wenn {z, y, x} zur Wahl<br />
stehen, dann gilt:<br />
P (z;y) ≥ P (z;y,x) (1)<br />
z, y, x Alternative Entscheidungsausgänge<br />
Wenn z den „Aufschub einer Kaufentscheidung“ bezeichnet, folgt aus dem<br />
Regularitätsprinzip, dass der Anteil an Konsumenten, die den Kauf aufschieben, nicht<br />
steigen kann, wenn zusätzlich zum Produkt y auch noch Produkt x verfügbar ist.<br />
Die Gültigkeit dieses Prinzips haben Tversky und Shafir getestet: Versuchspersonen<br />
wurden in zwei Gruppen unterteilt und mit einer fiktiven Kaufsituation konfrontiert.<br />
Einer Gruppe (N = 121) wurde dabei ein Produkt – ein CD-Player der Marke SONY –<br />
zur Wahl gestellt, eine zweite Testgruppe (N = 124) hatte zusätzlich zu diesem<br />
Produkt noch einen höherwertigen CD-Player der Marke AIWA zur Wahl. Die<br />
Testpersonen beider Gruppen konnten sich entweder für ein Produkt entscheiden oder<br />
den Kauf aufschieben, um mehr über die verschiedenen Produktmodelle in Erfahrung<br />
zu bringen. In der ersten Gruppe, der nur ein Produkt angeboten wurde, entschieden<br />
sich 66% für den CD-Player der Marke SONY und 34% für den Kaufaufschub. Von<br />
der zweiten Teilnehmergruppe wählten jeweils 27% den SONY und den AIWA<br />
CD-Player und 46% entschieden sich gegen den Kauf. <strong>Der</strong> Anteil der Nicht-Käufer ist<br />
durch die Verfügbarkeit einer zweiten Option also <strong>von</strong> 34% auf 46% gestiegen (siehe<br />
Abbildung 10, linker Teil (Experiment 1).<br />
43
Tversky und Shafir erklären diesen Anstieg damit, dass die zweite attraktive<br />
Alternative einen Entscheidungskonflikt verursacht hat. Die Erklärung gründet dabei<br />
auf der Beobachtung, dass der Anteil der Konsumenten, die den Kauf aufschieben,<br />
nicht steigt, wenn die zweite Alternative deutlich unattraktiver ist als die erste und<br />
deshalb keinen Konflikt verursacht (vgl. S. 360).<br />
In einem zweiten Experiment haben Tversky und Shafir untersucht, wie sich die<br />
Anzahl der verfügbaren attraktiven Alternativen auf die Wahrscheinlichkeit der<br />
Entscheidung für eine vorgegebene Option (Default Option) auswirkt. Dadurch<br />
konnten sie ausschließen, dass die obigen Ergebnisse der ersten <strong>St</strong>udie alternativ<br />
dadurch erklärt werden können, dass Konsumenten den Kauf aufschieben, weil sie die<br />
Existenz weiterer attraktiver Produkte am Markt vermuten.<br />
Versuchspersonen wurde in dieser Untersuchung als „Dankeschön“ für die Teilnahme<br />
an einer Befragung $1,50 (Default) in Aussicht gestellt. Nach dem Ausfüllen eines<br />
Fragebogens wurde einer Hälfte der Teilnehmer alternativ zu den $1,50 ein<br />
Metallkugelschreiber angeboten. Die andere Hälfte konnte alternativ zum Geldbetrag<br />
zwischen dem Metallkugelschreiber und zwei Plastikkugelschreibern wählen, hatte<br />
also neben der vorgegebenen Option ($1,50) statt einer zwei Wahlmöglichkeiten.<br />
Das Ergebnis gleicht dem der ersten <strong>St</strong>udie: In der ersten Gruppe entschieden sich<br />
25% der Konsumenten für den Geldbetrag, in der zweiten 53%. <strong>Der</strong> durch die größere<br />
Auswahl verursachte Konflikt hat nach der Erklärung der beiden Autoren dazu<br />
geführt, dass die Konsumenten auf eine „aktive“ Entscheidung zwischen den<br />
Optionen (Metallkugelschreiber oder zwei Plastikkugelschreiber) verzichtet und<br />
deshalb den <strong>St</strong>andard bzw. die vorgegebene Option gewählt (S. 361) haben. <strong>Der</strong> rechte<br />
Teil <strong>von</strong> Abbildung 10 verdeutlicht grafisch die Ergebnisse des zweiten Experiments.<br />
44
Experiment 1: Kauf vs. Kaufaufschub<br />
(N= 225)<br />
Experiment 2: Default Option vs. explizite Entscheidung<br />
(N= 80)<br />
Anteil 80%<br />
der<br />
Befragten 70%<br />
(in %)<br />
60%<br />
66%<br />
Anteil<br />
der<br />
Befragten<br />
(in %)<br />
90%<br />
80%<br />
70%<br />
75%<br />
50%<br />
46%*<br />
60%<br />
Zusammen 47% (1)<br />
53%*<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
34%<br />
27%<br />
27%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
25% 23,5% 23,5%<br />
10%<br />
10%<br />
0%<br />
SONY Aufschub SONY AIWA Aufschub<br />
0%<br />
MKS $ 1.50<br />
(Default)<br />
MKS 2 PKS $ 1.50<br />
(Default)<br />
Produktalternativen 1 2 1 2<br />
(1) Keine genauere Angabe vorhanden<br />
*: p < 0,05 MKS: Metallkugelschreiber PKS: Platsikkugelschreiber<br />
Abbildung 10: Ergebnisse der Untersuchungen <strong>von</strong> Tversky/Shafir (1992): Die Erhöhung der Anzahl<br />
der Alternativen reduziert die Bereitschaft der Konsumenten zur Entscheidung. Daten aus<br />
Tversky/Shafir 1992, S. 358ff.<br />
Die Untersuchungen <strong>von</strong> Tversky und Shafir haben gezeigt, dass mehr Vielfalt zum<br />
Verzicht des Konsumenten auf die aktive Entscheidung zwischen den Alternativen<br />
und damit zum Kaufaufschub oder zur Beibehaltung des <strong>St</strong>atus quo führen kann. Dies<br />
stellt eine Verletzung des Regularitätsprinzips der rationalen Entscheidungstheorie<br />
(vgl. Luce 1959, 1977; siehe S. 43) dar. Nach der Argumentation <strong>von</strong> Tversky und<br />
Shafir ist die Ursache hierfür ein durch die Alternativen verursachter Entscheidungskonflikt,<br />
den der Konsument nicht lösen kann oder will. <strong>Der</strong> Konflikt entsteht aber<br />
nur, wenn die Alternativen aus der Sicht des Konsumenten etwa gleich attraktiv und<br />
potenzielle „Kandidaten“ zur Bedürfnisbefriedigung sind. Dies führt dazu, dass der<br />
Konsument unschlüssig ist, welche der angebotenen Optionen er wählen soll. Die<br />
Ergebnisse der Untersuchungen verdeutlichen auch, dass sich nicht allein die Anzahl<br />
der Alternativen, sondern auch deren Art und Beziehung untereinander auf das<br />
Verhalten der Konsumenten auswirkt.<br />
45
2.1.2 Donald A. Redelmeier und Eldar Shafir (1995): Medical Decision Making<br />
in Situations That Offer Multiple Alternatives.<br />
Die <strong>St</strong>udie <strong>von</strong> Redelmeier und Shafir (1995) war eine der ersten – wenn nicht die<br />
erste –, die in einem medizinischen Umfeld die Hypothese getestet hat „(...) whether<br />
situations involving multiple options can paradoxically influence people to choose an<br />
option that would have been declined if fewer options were available“<br />
(Redelmeier/Shafir 1995, S. 302). Eine Besonderheit ist hierbei, dass Entscheidungen<br />
im medizinischen Bereich vergleichsweise schwer zu treffen sind, da sie aufgrund<br />
ihrer Komplexität und Dringlichkeit fehleranfällig sind und Fehlentscheidungen<br />
gleichzeitig weitreichende und teilweise irreparable Folgen für den Patienten haben<br />
(vgl. S. 302). Wesentliche Fragestellung dieser Untersuchung war der Einfluss der<br />
Alternativenzahl auf die Entscheidungswahrscheinlichkeit für die Beibehaltung des<br />
<strong>St</strong>atus quo oder für die Wahl einer vorgegebenen Option.<br />
In ihrem ersten Experiment untersuchten die Autoren, ob sich Ärzte hinsichtlich der<br />
Behandlung eines Patienten mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für die<br />
Beibehaltung des <strong>St</strong>atus quo entscheiden, wenn mehrere anstatt nur wenige alternative<br />
Behandlungsoptionen möglich sind. In einer zweiten <strong>St</strong>udie wurden Politiker vor ein<br />
ähnliches Entscheidungsproblem gestellt: Hierbei wurde untersucht, ob sich die<br />
Gesetzgeber eher für den <strong>St</strong>atus quo entscheiden, wenn ein politisches Problem<br />
hinsichtlich der Schließung medizinischer Einrichtungen mehrere anstatt nur wenige<br />
alternative Lösungen hat. Ziel der dritten Untersuchung war schließlich festzustellen,<br />
ob die Wahl einer bestimmten Alternative <strong>von</strong> der Anzahl und der Ähnlichkeit der<br />
anderen Optionen abhängt.<br />
Die Autoren stützen ihre Hypothese, dass die Präferenz <strong>von</strong> Entscheidern für die<br />
Beibehaltung des <strong>St</strong>atus quo mit steigender Alternativenzahl zunimmt, auf die<br />
Konflikttheorie. Demnach versuchen Personen Konflikte zu lösen, die durch die<br />
gleichzeitige Verfügbarkeit mehrerer ähnlich attraktiver Alternativen entstehen, indem<br />
sie entweder beim <strong>St</strong>atus quo bleiben oder eine Alternative wählen, die quasi den<br />
„Weg des geringsten Widerstands“ darstellt. Dadurch können sie eine explizite<br />
Lösung des Konflikts der konkurrierenden Alternativen vermeiden.<br />
Zur Überprüfung der Hypothese haben die Autoren in einem ersten Experiment 287<br />
Ärzte befragt, wie sie einen Patienten, dessen Krankheitsbild detailliert im Fragebogen<br />
beschrieben war, behandeln würden. <strong>Der</strong> Hälfte der Ärzte standen hierzu zwei<br />
alternative Behandlungsformen zur Auswahl, die andere Hälfte konnte zwischen drei<br />
Optionen wählen. Die erste Gruppe konnte entweder den bereits mit dem Patienten<br />
46
abgestimmten Behandlungsweg beibehalten (<strong>St</strong>atus quo) oder alternativ ein bisher<br />
vom Patienten noch nicht angewandtes Medikament (Ibuprofen) zur Behandlung<br />
vorschlagen. <strong>Der</strong> zweiten Hälfte der Ärzte stand neben der Beibehaltung des<br />
<strong>St</strong>atus quo und dem Ibuprofen noch ein zweites Medikament (Piroxicam) zur<br />
Auswahl. Die Ergebnisse haben dabei gezeigt, dass <strong>von</strong> der ersten Gruppe 53% beim<br />
abgestimmten Vorgehen geblieben sind, wohingegen 72% der Ärzte diese<br />
Entscheidung getroffen haben, wenn nicht ein, sondern zwei alternative Medikamente<br />
zur Wahl standen (p < 0,001) (vgl. S. 304). <strong>Der</strong> linke Teil <strong>von</strong> Abbildung 11 zeigt die<br />
Ergebnisse in grafischer Form.<br />
Anteil<br />
der Befragten<br />
(in %)<br />
100%<br />
90%<br />
Experiment 1<br />
(N= 287)<br />
Experiment 2<br />
(N= 352 )<br />
Experiment 3<br />
(N= 41)<br />
80%<br />
72%***<br />
70%<br />
60%<br />
53%<br />
62%<br />
58%***<br />
64%<br />
50%<br />
40%<br />
38%<br />
42%<br />
30%<br />
26%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
<strong>St</strong>atus quo <strong>St</strong>atus quo Patient 1 Patient 2 Patient 1<br />
(1)<br />
oder 3<br />
Patient 2<br />
keine<br />
Entsch.<br />
keine<br />
Entsch.<br />
Anzahl Alternativen<br />
2 3 2 3 1 2<br />
(1) Sehr ähnliches Krankheitsbild<br />
*: p < 0,05 ***: p < 0,001<br />
Abbildung 11: Auswirkung verschieden hoher Alternativenzahl auf das Entscheidungsverhalten bei<br />
medizinischen Entscheidungen. Quelle: Daten aus Redelmeier/Shafir 1995, S. 302ff.<br />
Im zweiten Experiment mussten insgesamt 352 Ärzte entscheiden, welchen der<br />
beschriebenen Patienten sie als Ersten operieren würden, wenn aufgrund äußerer<br />
Bedingungen nur ein Patient operiert werden kann. Die Anzahl der OP-Kandidaten<br />
variierte je nach Szenario zwischen zwei und drei. Entscheidend war hierbei, dass der<br />
im letzten Fall hinzugefügte dritte Patient dem ersten hinsichtlich Alter,<br />
Krankheitsbild und Lebenssituation sehr ähnlich war. Redelmeier und Shafir haben<br />
jeweils etwa die Hälfte der 352 Ärzte mit einem der Szenarien konfrontiert und dabei<br />
festgestellt, dass sich im Fall <strong>von</strong> drei Patienten mehr Ärzte für die Operation <strong>von</strong><br />
47
Patient 2 entscheiden, als im Szenario mit zwei Patienten. Sie führen dieses Verhalten<br />
darauf zurück, dass es den Ärzten Schwierigkeiten bereitet hat, sich zwischen den<br />
beiden sehr ähnlichen Patienten 1 und 3 zu entscheiden und sie diesen Konflikt gelöst<br />
haben, indem sie sich für Patient 2 entschieden haben, der den beiden anderen sehr<br />
unähnlich war. Die Operation des zweiten Patienten kann der Arzt somit vor sich<br />
selbst und anderen leichter rechtfertigen (vgl. Redelmeier/Shafir 1995, S. 304) (siehe<br />
Abbildung 11, mittlere Grafik).<br />
Das dritte Experiment brachte vergleichbare Ergebnisse wie das erste hervor: In einem<br />
der ersten <strong>St</strong>udie ähnlichen Design wurden 41 Politiker befragt, wie sie hinsichtlich<br />
der Schließung eines Krankenhauses entscheiden würden, wenn entweder ein oder<br />
zwei Krankenhäuser zur Wahl stünden. In beiden Fällen konnten die Politiker die<br />
Entscheidung „verweigern“ und angeben, dass sie keine Empfehlung aussprechen<br />
wollen, ob bzw. welches Haus geschlossen werden soll (Default Option). Auch hier<br />
hat sich gezeigt, dass mehr Personen die Entscheidung ablehnen und keine<br />
Empfehlung abgeben, wenn zwei Optionen anstatt einer verfügbar sind (64% vs. 26%,<br />
p < 0,05) (vgl. S. 304). <strong>Der</strong> rechte Teil <strong>von</strong> Abbildung 11 stellt die Ergebnisse grafisch<br />
dar.<br />
Die Untersuchungen <strong>von</strong> Redelmeier und Shafir sind für diese Arbeit besonders<br />
interessant, da sie ein Entscheidungsproblem zum Gegenstand hatten, das mit<br />
weitreichenden Konsequenzen verbunden ist. Es ist deshalb da<strong>von</strong> auszugehen, dass<br />
die Person entsprechend versucht, eine möglichst gute Entscheidung zu treffen, indem<br />
sie Zeit und Energie aufwendet, um die Optionen miteinander zu vergleichen und<br />
deren Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen. Damit fällt diese Art der<br />
Entscheidung in die hier betrachtete Kategorie der echten bzw. kognitiven<br />
Kaufentscheidungen (siehe 37ff.). Die Ergebnisse der Experimente haben gezeigt, dass<br />
durch Hinzufügen einer attraktiven Alternative ein Konflikt verursacht wird, der das<br />
Entscheidungsverhalten der Testpersonen verändert: Diese haben den Konflikt gelöst,<br />
indem sie den „Weg des geringsten Widerstands“ gegangen sind und sich für den<br />
<strong>St</strong>atus quo oder eine klar unterscheidbare Alternative entschieden haben.<br />
Interpretiert man die Alternativen einer Entscheidung als Äste eines Entscheidungsbaums,<br />
lassen sich die obigen Ergebnisse damit erklären, dass der Entscheider bei<br />
einem Konflikt den Ast auswählt, der eine einfachere oder leichter zu begründende<br />
Lösung des Entscheidungskonflikts darstellt, als die anderen Äste. Überträgt man dies<br />
auf Kaufsituationen, so kann man vermuten, dass ein Konsument bei einer großen<br />
Anzahl an etwa gleich attraktiven Alternativen eher zum Nicht-Kauf tendiert und<br />
48
somit im Normalfall den <strong>St</strong>atus quo beibehält. Kauft der Konsument ein Produkt, so<br />
steigt mit der Alternativenzahl auch die Wahrscheinlichkeit, dass er eine<br />
„vorgegebene“ Option, wie z. B. ein besonders hervorgehobenes Produkt<br />
(„Bestseller“) wählt.<br />
2.1.3 Ravi Dhar (1997): Consumer Preference for a No-Choice Option<br />
Dhar hat in insgesamt sieben <strong>St</strong>udien untersucht, wie sich die Attraktivität einer<br />
zweiten verfügbaren Alternative in der Kaufsituation auf die Kaufintention auswirkt.<br />
Basierend auf den Ideen der Theorie der Präferenz-Unsicherheit (Preference<br />
Uncertainty) (Payne/Bettman/Johnson 1992; Slovic 1995) argumentiert der Autor,<br />
dass Konsumenten eher zum Kaufaufschub neigen, wenn mehrere in etwa gleich<br />
attraktive Alternativen zur Auswahl stehen, verglichen mit einer Entscheidungssituation<br />
in der nur eine attraktive Alternative verfügbar ist. Demnach führen<br />
Situationen zur Verwirrung, in denen der Konsument nicht weiß, welche der<br />
Alternativen er präferiert, es kein klar dominierendes Produkt im Sortiment gibt und er<br />
sich gleichzeitig aber auch nicht sicher ist, dass alle Optionen seine Bedürfnisse gleich<br />
gut erfüllen. Als Folge dieser Verwirrung verzichtet der Nachfrager auf die<br />
Entscheidung oder verschiebt diese (vgl. S. 216; Scholnick/Wing 1988; zitiert nach<br />
Dhar 1997a, S. 216). Dhar formuliert als zentrale Hypothese, dass die Kaufintention<br />
des Konsumenten sinkt, wenn einem Choice Set mit einer Alternative eine zweite, in<br />
etwa gleich attraktive Alternative hinzugefügt wird. Ist die zweite Wahlmöglichkeit<br />
dagegen weniger attraktiv, steigt die Kaufintention (vgl. Dhar 1997a, S. 218).<br />
Zur Überprüfung seiner Hypothese wurden in einer ersten Laborstudie 190 <strong>St</strong>udenten<br />
mit einer fiktiven Kaufentscheidung in vier verschiedenen Produktkategorien<br />
(Regallautsprecher, Anrufbeantworter, Laptop, Elektrorasierer) konfrontiert. Die<br />
Testpersonen hatten dabei, je nach Versuchsbedingung, entweder ein Produkt oder<br />
zwei Produkte zur Auswahl, wobei im letzten Fall entweder gleich attraktive<br />
Alternativen oder eine dominierende und eine unterlegene Alternative zur Verfügung<br />
standen. Die „Konsumenten“ konnten sich entweder zum Kauf entscheiden oder eine<br />
„Nicht-Kauf-Option“ wählen (A: mehr Informationen sammeln oder B: nach weiteren<br />
Alternativen suchen). Übereinstimmend mit seiner Hypothese konnte Dhar feststellen,<br />
dass der Anteil der Testpersonen, die sich für eine der „Nicht-Kauf-Optionen“<br />
entschieden, im Durchschnitt über die vier Produktarten um 11%<br />
(χ 2 (1) = 6,7, p < 0,01) gestiegen ist, wenn zwei in etwa gleich attraktive Alternativen<br />
49
zur Auswahl standen. Wurde hingegen eine deutlich unattraktivere Alternative<br />
hinzugefügt, lag die Kaufhäufigkeit um 14% (χ 2 (1) = 8,7, p < 0,01) höher, als bei der<br />
Verfügbarkeit <strong>von</strong> nur einer Option (vgl. S. 219f.).<br />
Personen, die<br />
gekauft haben<br />
= P( Kauf)<br />
90%<br />
80%<br />
70%<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
62%<br />
52%**<br />
50%**<br />
Experiment 1: Einfluss der Anzahl der Alternativen und Trade-offs auf die<br />
Kaufwahrscheinlichkeit (N= 199)<br />
64%<br />
77%**<br />
70%**<br />
58% 58% 58%<br />
52%<br />
50%<br />
48%<br />
45%*<br />
44%<br />
42%*<br />
74%**<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
Produkt<br />
0%<br />
Lautsprecher Anrufbeantworter Laptop Elektrorasierer<br />
Alternativen 1 2<br />
1 2 1 2 1 2<br />
1 Alternative Hohe Anzahl Trade-offs Geringe Anzahl Trade-offs Eine dominierende Alternative<br />
Personen, die<br />
gekauft haben<br />
= P( Kauf)<br />
100%<br />
90%<br />
80%<br />
70%<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
64%<br />
Experiment 2: Einfluss der Anzahl der Alternativen und deren Attraktivität auf die<br />
Kaufwahrscheinlichkeit (N= 300)<br />
79%*<br />
60%<br />
52%** 52%*<br />
82%**<br />
68%<br />
52%**<br />
88%**<br />
66%<br />
54%*<br />
78%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
Produkt<br />
0%<br />
Schnurloses Telefon Kopfhörer Laptop Kamera<br />
Alternativen 1 2 1 2 1 2 1 2<br />
1 Alternative Gleich attraktive Alternativen Eine dominierende Alternative<br />
*: p < 0,1 **: p < 0,05<br />
Abbildung 12: <strong>Der</strong> Anteil der Käufer in verschiedenen Produktkategorien ist abhängig <strong>von</strong> Anzahl<br />
und Art der verfügbaren Alternativen. Daten aus Dhar 1997a, S. 218ff.<br />
50
Eine zweite nur leicht modifizierte <strong>St</strong>udie mit 300 <strong>St</strong>udenten bestätigte die Ergebnisse:<br />
<strong>Der</strong> Anteil der Testpersonen, die den Kauf aufgeschoben haben, lag hier im Vergleich<br />
mit der Situation, die nur eine Option enthielt, um durchschnittlich 12%<br />
(χ 2 (1) = 6,6, p < 0,01) höher, wenn eine zweite, gleich attraktive Alternative zur Wahl<br />
stand, und um 19% (χ 2 (1) = 26,2 p < 0,01) niedriger, wenn eine zweite, weniger<br />
attraktive Alternative wählbar war (vgl. S. 221). In Abbildung 12 sind die Ergebnisse<br />
der beiden <strong>St</strong>udien für die einzelnen Produktgruppen grafisch dargestellt. Zu erkennen<br />
ist hierbei die im Vergleich zur Situation mit nur einer Alternative deutliche Abnahme<br />
des Käuferanteils (entspricht der Kaufwahrscheinlichkeit über alle Käufer), wenn eine<br />
zweite attraktive Alternative verfügbar ist, sowie der Anstieg des Käuferanteils, wenn<br />
die zweite Alternative der ersten eindeutig in ihrer Attraktivität unterlegen ist.<br />
Die beiden <strong>St</strong>udien <strong>von</strong> Dhar haben gezeigt, dass die Erweiterung der Produktauswahl<br />
um eine zweite attraktive Alternative zu einem deutlichen Anstieg des Kaufaufschubs<br />
bzw. Kaufverzichts und somit zu einer Senkung der Kaufintention führen kann. Das<br />
Gegenteil ist der Fall, wenn die hinzugefügte Alternative weniger attraktiv ist, als die<br />
erste. Dhar führt diese Effekte auf die Präferenzunsicherheit des Konsumenten zurück,<br />
die entsteht, wenn dieser keine Dominanzstruktur in der Produktauswahl erkennen<br />
kann, d. h. er kein Produkt findet, das dem anderen eindeutig überlegen ist (vgl.<br />
S. 229). Die Ergebnisse widersprechen damit einer der Annahmen der rationalen<br />
Entscheidungstheorie, wonach ein Konsument stets das für ihn beste Produkt in einem<br />
Sortiment identifizieren kann (vgl. Dhar 1997a, S. 215).<br />
Interessant an den Ergebnissen der <strong>St</strong>udien <strong>von</strong> Dhar ist insbesondere, dass der<br />
Ausgang einer Kaufentscheidung vom Zusammenspiel der Anzahl und Art der<br />
Wahlalternativen beeinflusst wird. Dies verdeutlicht, dass sich sowohl quantitative, als<br />
auch qualitative Aspekte des Sortiments auf das Konsumentenverhalten auswirken und<br />
im Fortgang der Untersuchung als Determinanten <strong>von</strong> Kosten und Nutzen<br />
entsprechend zu berücksichtigen sind.<br />
2.1.4 John Gourville und Dilip Soman (1999): Is More Choice Always Better?<br />
The Effect of Assortment Type on Consumer Choice<br />
Gourville und Soman (1999) stellten in ihren Untersuchungen fest, dass die Erhöhung<br />
der <strong>Produktvielfalt</strong> den Marktanteil einer Marke verringern kann, wenn die<br />
Alternativen nur schwer miteinander vergleichbar sind. Dies bedeutet eine Verletzung<br />
des Regularitätsprinzips und damit einer der zentralen Annahmen der rationalen<br />
51
Entscheidungstheorie (vgl. Luce 1959, 1977). Gourville und Soman führen das<br />
Konstrukt „Assortment Type“ ein, das die Vergleichbarkeit der Produkte innerhalb<br />
einer Produktlinie beschreibt und als moderierende Größe den beobachteten<br />
Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Marktanteil erklärt.<br />
Die Autoren unterscheiden hierbei die Extreme „vergleichbare Produktlinie“<br />
(Alignable Assortment) und „nicht-vergleichbare Produktlinie“ (Non-alignable<br />
Assortment) und haben gezeigt, dass die Erhöhung der <strong>Produktvielfalt</strong> einer Marke zu<br />
einer Marktanteilssteigerung führt, wenn die Produktlinie vergleichbar ist und das<br />
Gegenteil eintritt, wenn es sich um ein Non-alignable Assortment, d. h. ein nicht<br />
vergleichbares Produktangebot handelt.<br />
Die zentrale Hypothese des moderierenden Effekts der „Vergleichbarkeit einer<br />
Produktlinie“ (Alignable vs. Non-alignable Assortment) gründet auf Forschungsergebnissen<br />
hinsichtlich der „Attribute Alignability“ <strong>von</strong> Markman und seinen<br />
Kollegen (siehe z. B. Markman/Medin 1995; Zhang/Markman 1998; Zhang/Markman<br />
1999). Diese haben vorgeschlagen, dass bei einem Produktvergleich die Attribute der<br />
Alternativen in „vergleichbare Unterschiede“ (Alignable Differences) und<br />
„nicht-vergleichbare Unterschiede“ (Non-alignable Differences) klassifiziert werden<br />
können. Sie definieren diese als „(...) attributes or dimensions that are readily<br />
comparable between the two alternatives“ bzw. „(...) attributes or dimensions that are<br />
possessed by one alternative but not by the other“ (Gourville/Soman 1999, S. 6). So<br />
wäre beispielsweise die Motorleistung <strong>von</strong> zwei zur Wahl stehenden Autos eine<br />
Alignable difference (z. B. 150 vs. 200 KW); hat dagegen das eine Auto ein<br />
Schiebedach, das zweite dafür eine Klimaautomatik und kein Schiebedach, so würden<br />
diese Attribute in die Gruppe der Non-alignable differences fallen. Abbildung 13<br />
verdeutlicht die Unterschiede grafisch.<br />
In verschiedenen Forschungsarbeiten wurde gezeigt, dass Personen bei der<br />
Entscheidung zwischen zwei Alternativen vergleichbare Unterschiede in Relation zu<br />
nicht-vergleichbaren Unterschieden mehr Gewicht beimessen (Markman/Medin 1995),<br />
sich an diese besser erinnern (Zhang/Markman 1998) und ihnen deren kognitive<br />
Verarbeitung leichter fällt (Zhang/Fitzsimons 1999).<br />
Gourville und Soman haben das Alignability-Prinzip <strong>von</strong> der Attributebene auf die<br />
Produktlinien- bzw. Sortimentsebene übertragen und definieren entsprechend eine<br />
vergleichbare Produktlinie (Alignable Assortment) als „(...) a set of product variants<br />
that differ along a readily comparable dimension, such that each variant has a unique<br />
quantity of that attribute“ und eine nicht-vergleichbare Produktlinie (Non-alignable<br />
52
Assortment) als „(...) a set of variants that simultaneously vary along non-comparable<br />
or discrete attributes, such that any particular variant possesses a unique feature or<br />
option that is not possessed by the other“ (Gourville/Soman 1999, S. 6).<br />
Vergleichbare Produkteigenschaften<br />
(Alignable Assortment)<br />
Nicht vergleichbare Produkteigenschaften<br />
(Non-alignable Assortment)<br />
Preis<br />
Produkt D<br />
Preis<br />
Produkt C<br />
Produkt C<br />
Produkt B<br />
Produkt A<br />
Produkt B<br />
Produkt A<br />
Nein<br />
Ja<br />
Klimaautomatik<br />
Ja<br />
Leistung (KW)<br />
Schiebedach<br />
Abbildung 13: Vergleichbare Produktlinie (Alignable Assortment) und nicht-vergleichbare<br />
Produktlinie (Non-alignable Assortment)<br />
Folgt man den Argumenten der rationalen Entscheidungstheorie (vgl. Luce 1959,<br />
1977; Schmidt 1995), so sollte ein Hersteller durch die Erweiterung seines Sortiments<br />
– unabhängig <strong>von</strong> dessen Art und <strong>St</strong>ruktur – seinen Marktanteil steigern können.<br />
Demgegenüber argumentieren Gourville und Soman, basierend auf verschiedenen<br />
Forschungsergebnissen (z. B. Payne/Bettman/Johnson 1993; Lehmann 1998, Shugan<br />
1980), dass hohe <strong>Produktvielfalt</strong> für den Konsumenten mit Kosten verbunden ist.<br />
Diese Hypothese stützt sich auf Vorschläge <strong>von</strong> Loewenstein (1999), der argumentiert,<br />
dass hohe Vielfalt für Konsumenten mit „Time costs“, „Error costs“ und „Psychic<br />
costs“ (S. 2) verbunden ist (siehe hierzu die Ausführungen auf S. 7f.). Hauptthese der<br />
beiden Autoren ist, dass diese Kosten bei einem vergleichbaren Sortiment geringer<br />
sind, als bei einem nicht-vergleichbaren. Sie begründen dies damit, dass bei einem<br />
Alignable Assortment Kompromisse (Trade-offs) leichter fallen, da sich die<br />
Alternativen nur innerhalb einer Dimension unterscheiden. Gleichzeitig sind die<br />
Abstände zwischen den Optionen geringer, so dass die Folgen einer suboptimalen<br />
Entscheidung weniger bedeutsam sind, als bei einer nicht-vergleichbaren<br />
Produktauswahl.<br />
Im Gegensatz hierzu müssen die Konsumenten bei einem nicht-vergleichbaren<br />
Sortiment sowohl innerhalb als auch zwischen Attributen Trade-offs eingehen, was<br />
53
insbesondere dann schwer fällt, wenn es sich hierbei um „Alles-oder-nichts“-<br />
Entscheidungen handelt. So muss ein Konsument bei dem in Abbildung 13 gezeigten<br />
Beispiel des PKW-Kaufs beim Vergleich der Autos A und B zwischen<br />
Klimaautomatik und Schiebedach abwägen. Im Vergleich zu einem Alignable<br />
Assortment sind daher die Folgen einer Fehlentscheidung (Error Costs) gravierender,<br />
was insbesondere auch die Angst vor der Entscheidung und die Gefahr des Bedauerns<br />
selbiger erhöht (Psychic Costs) (vgl. Gourville/Soman 1999, S. 8).<br />
Gourville und Soman konnten ihre Hypothese hinsichtlich des moderierenden Effekts<br />
der Produktlinienvergleichbarkeit in zwei <strong>St</strong>udien bestätigen:<br />
Im ersten Experiment wurden insgesamt 300 Erwachsene gebeten, ein<br />
Mikrowellengerät aus einem Sortiment mit Produkten <strong>von</strong> zwei verschiedenen<br />
Herstellern auszuwählen. Dabei wurde <strong>von</strong> einer Marke immer nur ein Produkt<br />
angeboten und die Anzahl und Art der Produkte der anderen Marke (Zielmarke) in<br />
einem 5 (Alternativenzahl) x 2 (Art des Sortiments) Design verändert. Die<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> variierte in Einerschritten zwischen 1 und 5 und die Sortimentart<br />
zwischen „vergleichbar“ und „nicht-vergleichbar“. Untersucht wurde, wie sich die<br />
Anzahl und Art der Alternativen auf die Wahrscheinlichkeit auswirkt, dass die<br />
Konsumenten die Zielmarke auswählen. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass die<br />
Kaufwahrscheinlichkeit der Zielmarke zunimmt, wenn deren Produkte vergleichbar<br />
waren, und diese sinkt, wenn die Produktlinie nicht-vergleichbar war (siehe Abbildung<br />
14). Ein Gruppenvergleich (klein: n = 1,2; groß: n = 4,5) hat einen signifikanten<br />
positiven Effekt der <strong>Produktvielfalt</strong> gezeigt, wenn die Produktlinie vergleichbar war<br />
(P klein/vergleichbar = 57% vs. P groß/vergleichbar = 77%; χ 2 (1) = 5,40, p < 0,005) und einen<br />
signifikanten negativen Effekt, wenn die Produktlinie nicht-vergleichbar war<br />
(P klein/nicht-vergleichbar = 58% vs. P groß/nicht-vergleichbar = 40%; χ 2 (1) = 4,03, p < 0,005). Die<br />
Hypothese wurde auch durch eine anschließende logistische Regression 11 gestützt<br />
(vgl. S. 11).<br />
11 Independent logistic regression<br />
54
Wahrscheinlichkeit<br />
der Wahl der Zielmarke<br />
90%<br />
80%<br />
Alignable Assortment<br />
70%<br />
60%<br />
50%<br />
Non-alignable Assortment<br />
40%<br />
30%<br />
0 1 2 3 4 5 6<br />
Anzahl Alternativen<br />
Abbildung 14: Kaufwahrscheinlichkeit bei einem vergleichbaren und nicht-vergleichbaren Sortiment.<br />
Quelle: Gourville/Soman 1999, S. 31<br />
Die Ergebnisse der ersten <strong>St</strong>udie konnten Gourville und Soman in einer zweiten<br />
Untersuchung bestätigen. In dieser wurde den Testpersonen jede Alternative sowohl in<br />
einem vergleichbaren als auch in einem nicht-vergleichbaren Sortiment angeboten.<br />
Dadurch haben die Autoren ausgeschlossen, dass Konsumenten die Produkteigenschaften,<br />
die das Sortiment in der ersten Untersuchung nicht-vergleichbar<br />
machten, negativ bewertet und deshalb das Produkt im nicht-vergleichbaren Sortiment<br />
nicht gekauft haben.<br />
Das Vorgehen war dem der ersten Untersuchung ähnlich, allerdings wurden die<br />
<strong>St</strong>imuli in einem 2 (Produktkategorie) x 4 (Choice Set) Design manipuliert. Als<br />
Produkte dienten Laptop Computer und Mikrowellengeräte. Jedes Sortiment wurde<br />
wiederum aus einem Produkt einer Marke und mehreren Produkten der Zielmarke<br />
kombiniert. In den ersten drei Sortimenten {A, B 1 , B 2 }, {A, B 3 , B 4 } und {A, B 5 , B 6 }<br />
konnten die Konsumenten aus jeweils drei Produkten wählen: Dem „Einzelprodukt“<br />
A und einem Alignable Assortment der Zielmarke B. <strong>Der</strong> vierte – nicht-vergleichbare<br />
– Choice Set {A, B 1 , B 2 , B 3 , B 4 , B 5 , B 6 } bestand aus insgesamt sieben Alternativen,<br />
dem Einzelprodukt A und den sechs verschiedenen Produkten B 1-6 . Dem<br />
Regularitätsprinzip (siehe S. 43) folgend, sollte die Wahrscheinlichkeit, dass sich<br />
Konsumenten für ein Produkt der Marke B aus dem vierten Sortiment entscheiden<br />
nicht kleiner sein als die Wahrscheinlichkeit, dass sie Marke B wählen, wenn einer der<br />
drei kleineren Sortimente zur Wahl steht. <strong>Der</strong> Haupthypothese folgend sollte im<br />
Gegensatz hierzu die Wahrscheinlichkeit, dass der Konsument sich für ein Produkt der<br />
55
Zielmarke B entscheidet, größer sein, wenn er aus einem kleineren vergleichbaren,<br />
anstatt einem größeren nicht-vergleichbaren Sortiment wählt.<br />
Wie aus Tabelle 2 hervorgeht, konnte diese Hypothese auch nach der zweiten<br />
Untersuchung aufrechterhalten werden. So haben sich im Fall der Mikrowellengeräte<br />
62,5%, 60% bzw. 70% der Befragten für die Zielmarke B entschieden, wenn sie aus<br />
einem der ersten drei kleineren vergleichbaren Sortimente gewählt haben, wohingegen<br />
sich mit 32,5% signifikant weniger Testpersonen für die Zielmarke aus dem größeren<br />
nicht-vergleichbaren Set entschieden haben (χ 2 (1) = 12,22, p < 0,001). Ein ähnliches<br />
Resultat ergab sich auch bei der Produktkategorie Laptop Computer<br />
(χ 2 (1) = 4,16, p < 0,05).<br />
Sortiment (Optionen) Abhängige Variable Mikrowellengeräte Laptop Computer<br />
Choice Set 1: {A, B 1 , B 2 } P (Wahl <strong>von</strong> B 1 oder B 2 ) 62,5% (25 <strong>von</strong> 40) 62,5% (25 <strong>von</strong> 40)<br />
Choice Set 2: {A, B 3 , B 4 } P (Wahl <strong>von</strong> B 3 oder B 4 ) 60,0% (24 <strong>von</strong> 40) 62,5% (25 <strong>von</strong> 40)<br />
Choice Set 3: {A, B 5 , B 6 } P (Wahl <strong>von</strong> B 5 oder B 6 ) 70,0% (28 <strong>von</strong> 40) 65,0% (26 <strong>von</strong> 40)<br />
Choice Set 4: {A, B 1 – B 6 } P (Wahl <strong>von</strong> B 1 – B 6 ) 32,5% (13 <strong>von</strong> 40) 45,0% (18 <strong>von</strong> 40)<br />
Tabelle 2: Ergebnisse der zweiten <strong>St</strong>udie <strong>von</strong> Gourville und Soman (1999): Wahrscheinlichkeit,<br />
die Zielmarke B aus einem Sortiment zu wählen. In Anlehnung an Gourville/Soman 1999, S 28<br />
In einer dritten <strong>St</strong>udie, deren Ergebnisse hier aber nur kurz erwähnt werden sollen,<br />
haben die Autoren die Auswirkung der Alignability der Produktlinie einer Marke auf<br />
die Wahl innerhalb selbiger untersucht. Sie haben dabei festgestellt, dass die<br />
Konsumenten zu extremen Optionen der Produktlinie neigen, also minimal bzw.<br />
maximal ausgestattete Produktalternativen wählen, wenn die Anzahl der Alternativen<br />
in einem Non-alignable Assortment erhöht wird (siehe Abbildung 15). Dieses Ergebnis<br />
widerspricht dem gut dokumentierten Compromise Effect (Simonson 1989), wonach<br />
Käufer zu einer Kompromisswahl tendieren, also nicht das billigste oder teuerste,<br />
sondern ein Produkt „in der Mitte“ wählen. Die Autoren begründen das<br />
Untersuchungsergebnis damit, dass ein Konsument bei der Wahl einer mittleren<br />
Produktalternative schwierige Trade-offs innerhalb und zwischen Attributen machen<br />
muss, diese aber umgehen kann, indem er eine Vereinfachungsstrategie anwendet und<br />
entweder die Minimal- oder die Maximalversion des Sortiments wählt.<br />
56
Wahrscheinlichkeit<br />
der Wahl einer<br />
Extremoption<br />
90,0%<br />
80,0%<br />
70,0%<br />
60,0%<br />
Vollversion<br />
Basisversion<br />
61,7%<br />
82,5%<br />
45,0%<br />
50,0%<br />
40,0%<br />
40,9%<br />
35,0%<br />
30,0%<br />
21,7%<br />
20,0%<br />
10,0%<br />
19,2%<br />
26,7%<br />
37,5%<br />
0,0%<br />
3 (N = 120) 4 (N = 120) 5 (N =120)<br />
Anzahl Alternativen<br />
Abbildung 15: Die Auswirkung der Größe eines nicht-vergleichbaren Sortiments auf die<br />
Wahrscheinlichkeit, dass Konsumenten eine extreme Option auswählen. Quelle: Gourville/Soman<br />
1999, S. 32<br />
Im Zusammenhang mit Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> sind besonders zwei<br />
Punkte dieser <strong>St</strong>udie <strong>von</strong> Interesse:<br />
Gourville und Soman konnten in ihren Untersuchungen zum einen zeigen, dass sich<br />
erhöhte Vielfalt einer Marke negativ auf deren Marktanteil auswirken kann. Sie<br />
begründen dies damit, dass durch die Verfügbarkeit zusätzlicher nicht-vergleichbarer<br />
Alternativen die emotionalen und kognitiven Entscheidungskosten des Konsumenten<br />
steigen und er deshalb auf Lösungen des Entscheidungsproblems zurückgreift, die<br />
diese reduzieren. In den Untersuchungen der beiden Autoren waren dies die Wahl<br />
einer Marke mit nur einer Alternative im Sortiment und die Entscheidung für eine<br />
extreme Option. Entscheidend für den hier betrachteten Zusammenhang ist aber nicht,<br />
welche Lösungsstrategie der Konsument zur Senkung der Entscheidungsschwierigkeit<br />
verwendet hat, sonder dass er eine Reduktionsstrategie angewendet hat. Die Autoren<br />
konnten damit durch ihre Untersuchungen indirekt die Existenz vielfaltsbedingter<br />
Entscheidungskosten und deren Konsequenzen zeigen.<br />
<strong>Der</strong> zweite interessante Punkt bezieht sich auf die Einflussgrößen der Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong>. So wurde deutlich, dass nicht allein die Anzahl, sondern auch die<br />
<strong>St</strong>ruktur und Abhängigkeit der Alternativen des Sortiments die Entscheidungskosten<br />
<strong>von</strong> Konsumenten und dadurch ihr Verhalten beeinflussen. Mit der Vergleichbarkeit<br />
(Alignability) der Alternativen wurde dabei ein vermutlich wesentlicher Einflussfaktor<br />
der Kostendimension identifiziert.<br />
57
2.1.5 Sheena S. Iyengar und Mark R. Lepper (2000): When Choice is<br />
Demotivating: Can One Desire Too Much of a Good Thing?<br />
In ihrer viel zitierten <strong>St</strong>udie untersuchten Iyengar und Lepper die Auswirkung der<br />
Größe des Sortiments sowohl auf die Kauf- bzw. Handlungswahrscheinlichkeit als<br />
auch auf die nachfolgende Zufriedenheit. Sie konnten zeigen, dass mehr Vielfalt<br />
Konsumenten zunächst begeistert, sie dadurch aber letztlich bei der Entscheidungsfindung<br />
überfordert werden und im Nachhinein unzufriedener sind.<br />
Die ihrer <strong>St</strong>udie zugrunde liegende Hypothese, die Iyengar und Lepper als Choice<br />
Overload Hypothesis bezeichnen, besagt „(...) that, although the provision of<br />
extensive choices may sometimes still be seen as initially desirable, it may also prove<br />
unexpectedly demotivating in the end“ (Iyengar/Lepper 2000, S. 996).<br />
Die Autoren formulierten diese Hypothese einerseits auf der Basis der Erkenntnisse<br />
der psychologischen Forschung, „that has repeatedly demonstrated (...) a link between<br />
the provision of choice and increases in intrinsic motivation, perceived control, task<br />
performance, and life satisfaction“ (S. 995) und andererseits auf den Erkenntnissen<br />
neuerer <strong>St</strong>udien (u. a. den in diesem Kapitel beschriebenen), die gezeigt haben, dass<br />
durch hohe Vielfalt überforderte Konsumenten zum Kaufaufschub neigen oder die<br />
Entscheidung durch die Anwendung vereinfachender <strong>St</strong>rategien (Heuristiken) treffen.<br />
Iyengar und Lepper prüften ihre Hypothese in einem ersten Feldexperiment, bei dem<br />
sie Konsumenten in einem Supermarkt in einem Versuchsaufbau 6 (limitierte<br />
<strong>Produktvielfalt</strong>) und im anderen 24 (extensive <strong>Produktvielfalt</strong>) verschiedene<br />
Marmeladesorten einer Marke zum Test anboten. Sie untersuchten dabei, wie stark die<br />
Anziehungskraft des Probierstands auf die vorbeikommenden Konsumenten in<br />
Abhängigkeit <strong>von</strong> der Anzahl der Testprodukte ist und ob die Tester anschließend ein<br />
Produkt der probierten Marke kaufen.<br />
Die Ergebnisse zeigen, dass Konsumenten <strong>von</strong> höherer Vielfalt zunächst stärker<br />
angesprochen werden, letztlich aber seltener kaufen:<br />
So blieben im Fall der größeren Auswahl (24 Marmeladesorten) <strong>von</strong> 242<br />
vorbeikommenden Konsumenten 60% (145) am Probierstand stehen, bei geringerer<br />
Auswahl (6 Sorten) stoppten 40% (104) der 260 Passanten. Die Konsumenten wurden<br />
<strong>von</strong> der höheren <strong>Produktvielfalt</strong> somit stärker angezogen, als <strong>von</strong> der geringeren<br />
(χ 2 (1) = 19,89, p < 0,001). Die Anzahl der probierten Marmeladesorten variierte<br />
hingegen nicht signifikant zwischen den beiden Bedingungen (F(1,245) = 0,83, ns).<br />
58
Entscheidend ist aber, dass das anschließende Kaufverhalten der Tester <strong>von</strong> der<br />
angebotenen <strong>Produktvielfalt</strong> am Probierstand abhängig war: Von den 104 Personen,<br />
die bei einer Auswahl <strong>von</strong> 6 Marmeladen am Probierstand waren, haben anschließend<br />
30% (31) eine Marmelade dieser Marke gekauft. In der Bedingung der extensiven<br />
Produktauswahl waren dies nur 3% (4) (χ 2 (1) = 32,34, p < 0,0001). Die Nettokaufrate<br />
lag insgesamt bei limitierter <strong>Produktvielfalt</strong> mit 12% rund siebenmal so hoch wie bei<br />
extensiver <strong>Produktvielfalt</strong> (1,7%) (vgl. S. 995ff.).<br />
In Abbildung 16 sind die Ergebnisse dieser sowie der nachfolgend beschriebenen<br />
<strong>St</strong>udien <strong>von</strong> Iyengar und Lepper grafisch verdeutlicht<br />
Anteil<br />
(in %)<br />
100<br />
90<br />
80<br />
Experiment 1:<br />
Marmeladen<br />
N= 502<br />
Experiment 2: Essays<br />
N= 197<br />
8,04<br />
74%<br />
7,59*<br />
Experiment 3: Schokoladen<br />
N= 134<br />
10<br />
9<br />
8<br />
Subjektive<br />
Einschätzung<br />
(1: gering<br />
bis<br />
10: sehr hoch)<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
40%<br />
12%<br />
60%***<br />
1,7%***<br />
60%*<br />
48%<br />
4,72<br />
2,24<br />
3,3<br />
6,28<br />
12%***<br />
6,02***<br />
3,2**<br />
4,45***<br />
7<br />
5,46***<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
0<br />
(1)<br />
Interesse<br />
(2)<br />
Kauf<br />
Interesse<br />
Kauf<br />
Eingereicht<br />
Qualität<br />
Eingereicht<br />
Qualität<br />
Kauf<br />
unterhaltsam<br />
frustrierend<br />
schwierig<br />
Zufriedenheit<br />
Kauf<br />
unterhaltsam<br />
frustrierend<br />
schwierig<br />
Zufriedenheit<br />
1<br />
Alternativen<br />
6 24 6 30 6 30<br />
*: p < 0,05 **: p < 0,01 ***: p < 0,001<br />
(1) Anteil der Passanten, die am Probierstand stehen geblieben sind<br />
(2) Anteil der Passanten, die ein Produkt der Testmarke probiert und gekauft haben (Nettokaufrate)<br />
Abbildung 16: Ergebnisse der <strong>St</strong>udien <strong>von</strong> Iyengar und Lepper 2000. Daten aus Iyengar/Lepper 2000,<br />
S. 995ff.<br />
Das erste Experiment <strong>von</strong> Iyengar und Lepper hat gezeigt, „(...) that an extensive<br />
array of options can at first seem highly appealing to consumers, yet can reduce their<br />
subsequent motivation to purchase the product“ (Iyengar/Lepper 2000, S. 997).<br />
Im Zusammenhang dieser <strong>St</strong>udie ist vor allem interessant, dass mit Vielfalt<br />
offensichtlich positive und negative Elemente verbunden sind – also Nutzen und<br />
Kosten –, wobei bei zu hoher Vielfalt die Kosten den Nutzen übersteigen und dadurch<br />
die Kaufwahrscheinlichkeit sinkt.<br />
59
Iyengar und Lepper konnten die Ergebnisse der ersten <strong>St</strong>udie in einer zweiten<br />
bestätigen. Hier hatten <strong>St</strong>udenten die Möglichkeit, durch das Schreiben eines<br />
zweiseitigen Essays zusätzliche Punkte (Credits) für einen Kurs zu erhalten. Die<br />
<strong>St</strong>udenten konnten dabei in der ersten Versuchsbedingung unter 6 möglichen<br />
Essaythemen wählen, in einer zweiten Bedingung standen 30 Themen zur Verfügung.<br />
Untersucht wurde, wie sich die Themenanzahl auf die intrinsische Motivation der<br />
<strong>St</strong>udenten auswirkt. Dies erfolgte, indem die Anteile der <strong>St</strong>udenten, die unter der<br />
jeweiligen Bedingung (6 oder 30 Themen) einen Essay geschrieben haben und die<br />
Qualität der Aufsätze miteinander verglichen wurden.<br />
Hierbei hat sich gezeigt, dass <strong>von</strong> den <strong>St</strong>udenten, die 6 Themen zur Auswahl hatten<br />
74% einen Essay geschrieben haben, wohingegen dies nur 60% der <strong>St</strong>udenten taten,<br />
die aus 30 Themen wählen konnten (χ 2 (1, N = 193) = 3,93, p < 0,05). Interessant ist,<br />
dass sich die Themenvielfalt auch signifikant auf die Qualität der Essays ausgewirkt<br />
hat. So wurden die Essays der <strong>St</strong>udenten, die ursprünglich aus weniger Themen<br />
gewählt hatten im Durchschnitt mit 8,04 (SD = 1,33) Punkten bewertet 12 , wohingegen<br />
die Aufsätze der <strong>St</strong>udenten, denen 30 Themen zur Wahl standen, nur 7,59 (SD = 1,02)<br />
<strong>von</strong> 10 möglichen Punkten erreicht haben (F(1, 124) = 5,65, p < 0,02) (vgl.<br />
Iyengar/Lepper 2000, S. 999).<br />
In einer dritten <strong>St</strong>udie untersuchten die Autoren neben der Wirkung unterschiedlich<br />
hoher Produktauswahl auf das Kaufverhalten auch affektive Reaktionen der<br />
Konsumenten während und nach der Entscheidung wie z. B. Spaß, Schwierigkeit und<br />
Frust während der Entscheidungsfindung, sowie die antizipierte und erfahrene<br />
Zufriedenheit mit dem gewählten Produkt. <strong>St</strong>udenten konnten dabei, je nach<br />
Bedingung, entweder aus 6 oder 30 verschiedene Sorten Schokolade eine auswählen<br />
und füllten anschließend einen Fragebogen hinsichtlich verschiedener affektiver<br />
Reaktionen aus. Anschließend durften sie die gewählte Schokolade probieren. Als<br />
Dankeschön für die Teilnahme hatten die <strong>St</strong>udenten schließlich die Wahl zwischen $5<br />
und einer Packung Schokolade im <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> $5. Dies diente als Operationalisierung<br />
des Kaufverhaltens, wobei die Wahl der Schokolade als Kauf und die Entscheidung<br />
für das Geld als Nicht-Kauf gewertet wurde.<br />
Die Ergebnisse zeigen, dass die Anzahl der Alternativen keinen Einfluss auf die<br />
wahrgenommene Entscheidungsqualität (Wahl einer zufrieden stellenden Schokolade<br />
12 Die Bewertung erfolgte auf einer Skala <strong>von</strong> 1 (extremely poor) bis 10 (excellent) durch zwei<br />
unabhängige Prüfer, denen die Bedingung, unter denen die <strong>St</strong>udenten die Arbeit geschrieben hatten<br />
und die Fragestellung der Untersuchung unbekannt war (vgl. S. 999).<br />
60
vs. Wahl einer der besten Schokoladen), die antizipierte Zufriedenheit mit der<br />
Produktwahl und das wahrgenommene Level der Informiertheit hat. Die Testpersonen<br />
haben bei großer <strong>Produktvielfalt</strong> den Entscheidungsprozess aber als unterhaltsamer<br />
(F(1, 132) = 47,01, p < 0,0001), schwieriger (F(1, 132) = 16,38, p < 0,0001) und<br />
frustrierender (F(1, 123) = 7,61, p < 0,007) empfunden. Nach der Interpretation <strong>von</strong><br />
Iyengar und Lepper scheint es, „(...) that people can indeed find choosing among too<br />
many alternatives to be both enjoyable and overwhelming“ (Iyengar/Lepper 2000,<br />
S. 1002).<br />
Hinsichtlich der Zufriedenheit mit der Produktwahl zeigen die Ergebnisse, dass<br />
Versuchpersonen, die aus 30 Sorten ausgewählt haben, mit ihrer getesteten<br />
Produktwahl unzufriedener sind als Personen, die aus 6 Schokoladesorten wählten<br />
(F(1, 122) = 28,02, p < 0,0001).<br />
Was das Kaufverhalten angeht wurden die Ergebnisse der ersten beiden <strong>St</strong>udien<br />
bestätigt: Von den Teilnehmern, die aus 30 Schokoladensorten wählten, haben 12% als<br />
Giveaway für die Teilnahme die Schokolade gewählt. In der Bedingung der limitierten<br />
Auswahl waren dies 48% (χ 2 (2, N=134) = 21,84, p < 0,0001) (vgl. S. 1003).<br />
Interessant ist, dass sich dieses Verhalten auch in der Gesamtbewertung 13 der<br />
angebotenen Auswahl widerspiegelt: So gaben Konsumenten mit extensiver Auswahl<br />
durchschnittlich an, „zu viele“ Alternativen bekommen zu haben, wohingegen<br />
Personen mit limitierter Vielfalt die angebotene Auswahlauswahl im Schnitt als<br />
„genau richtig“ (F(1, 132) = 43,68, p < 0,0001) bewerteten.<br />
Zusammenfassend haben die <strong>St</strong>udien <strong>von</strong> Iyengar und Lepper gezeigt, dass<br />
Konsumenten eine große Auswahl einerseits attraktiv und anziehend finden und ihnen<br />
der Entscheidungsprozess mehr Freude bereitet als bei limitierter Auswahl.<br />
Andererseits empfinden Konsumenten den Entscheidungsprozess bei großen<br />
Sortimenten auch als schwieriger und frustrierender. <strong>Produktvielfalt</strong> ist für<br />
Konsumenten somit mit Kosten und Nutzen verbunden.<br />
Für Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> sind insbesondere drei Ergebnisse dieser<br />
<strong>St</strong>udien <strong>von</strong> Interesse:<br />
13 Die Testpersonen konnten auf einer Skala <strong>von</strong> 1 bis 5 (1 = too few, 3 = just right, 5 = too many)<br />
angeben, wie sie die ihnen angebotene Auswahl beurteilen. Die Bewertung bei sechs Alternativen<br />
war dabei durchschnittlich 3,61 (SD = 1,01) und bei 30 Alternativen 4,88 (SD = 1,20) (vgl. S. 1002)<br />
61
Erstens wurde gezeigt, dass Konsumenten <strong>Produktvielfalt</strong> einerseits gut und attraktiv<br />
finden, sie also einen Nutzen für sie hat, andererseits durch sie aber die<br />
Entscheidungsschwierigkeit und somit der Kostenaspekt erhöht wird.<br />
Zweitens haben alle drei <strong>St</strong>udien – in jeweils unterschiedlichem Kontext – gezeigt,<br />
dass Konsumenten bei hoher Produktauswahl seltener kaufen.<br />
Drittens haben die <strong>St</strong>udien gezeigt, dass sich zu hohe Vielfalt auch negativ auf die<br />
Nachkaufbewertung, insbesondere auf die Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt,<br />
auswirken kann. Die Produktzufriedenheit soll deshalb als Konsequenz <strong>von</strong> Kosten<br />
und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> in dem zu entwickelnden Modell berücksichtigt<br />
werden.<br />
2.1.6 Sheena Iyengar, Wei Jiang und Gur Huberman (2003): How Much Choice<br />
is Too Much? Contributions to 401(k) Retirement Plans<br />
In diesem erst kürzlich veröffentlichten Workingpaper des Pension Research Council<br />
beschreiben die Autoren die Ergebnisse einer <strong>St</strong>udie, in der sie mit Daten <strong>von</strong> 800.000<br />
US-Arbeitnehmern die Hypothese getestet haben, dass die Teilnahmequote an einer<br />
betrieblichen Altersvorsorge fällt, wenn die Anzahl der möglichen Fonds, in die<br />
Arbeitnehmer einzahlen können, erhöht wird. Dabei hat sich gezeigt, dass bei<br />
Pensionsplänen, die eine relativ überschaubare Anzahl an Investitions-Möglichkeiten<br />
(3 – 6) bieten, die Teilnahmequote deutlich höher ist, als bei Plänen, die zehn oder<br />
mehr alternative Fonds zur Wahl stellen.<br />
Hintergrund der Fragestellung war, dass sich die Anzahl angebotener Pensionspläne in<br />
den USA <strong>von</strong> unter 100.000 im Jahr 1990 auf über 400.000 im Jahr 2002 mehr als<br />
vervierfacht hat (vgl. Mottola/Utkus 2003, zitiert nach Iyengar/Jiang/Hubermann<br />
2003, S. 1) und die Teilnahmequote der Arbeitnehmer an diesen gleichzeitig gesunken<br />
ist. So haben z. B. Ende 2001 71% der Arbeitnehmer in einen Pensionsplan einzahlt,<br />
ein Jahr später waren es noch 68,8% (vgl. Iyengar et al. 2003, S. 6).<br />
Theoretische Basis der Hypothese abnehmender Teilnahmequoten mit zunehmender<br />
Alternativenzahl war die bereits oben dargestellte Choice Overload Hypothese (siehe<br />
S. 58ff.), wonach Konsumenten durch zu viele Optionen verwirrt werden und ihnen<br />
die Entscheidung so schwer fällt; dass sie es vorziehen, sie zu verschieben oder ganz<br />
auf sie zu verzichten.<br />
62
Hauptunterschiede dieser Untersuchung zu den bisher dargestellten sind zum einen die<br />
Datengrundlage und zum anderen die Art des Entscheidungsproblems:<br />
So wurden zur Überprüfung der Hypothese reale Daten einer Investmentgesellschaft<br />
(Vanguard Group) <strong>von</strong> 800.000 Arbeitnehmern in den USA verwendet. Diese<br />
enthielten u. a. Informationen darüber, ob ein Arbeitnehmer im Jahr 2001 in einen<br />
Pensionsplan eingezahlt hat. Die als 401(k) 14 bezeichnete Form der betrieblichen<br />
Altersvorsorge wird Arbeitnehmern vom Arbeitgeber angeboten und ermöglicht es<br />
diesen, Teile 15 ihres Einkommens steuervergünstigt in einen der angebotenen Fonds<br />
einzuzahlen. Dabei müssen die Arbeitnehmer entscheiden, ob sie einen Pensionsplan<br />
abschließen und wenn ja, in welche(n) der angebotenen Fonds sie investieren wollen.<br />
Hinsichtlich der Art des Entscheidungsproblems unterscheidet sich diese<br />
Untersuchung <strong>von</strong> den bisher beschriebenen (mit Ausnahme <strong>von</strong> Tversky/Shafir 1992)<br />
dahingehend, dass die Entscheidung für den Arbeitnehmer mit deutlich weiter<br />
reichenden Konsequenzen verbunden ist, als dies bei den meisten bisherigen<br />
Untersuchungen der Fall war (z. B. Schokolade, Marmelade). Es ist deshalb da<strong>von</strong><br />
auszugehen, dass der Konsument intensiver über die Wahl nachdenkt und die<br />
Alternativen detaillierter miteinander vergleicht, was den Choice Overload-Effekt<br />
verstärken kann. Die Problemstellung fällt damit in die Kategorie der echten bzw.<br />
kognitiven Kaufentscheidungen (siehe S. 37ff.), weshalb diese <strong>St</strong>udie für den im<br />
Rahmen dieser Arbeit betrachteten Zusammenhang besonders interessant ist.<br />
Die Autoren haben die Hypothese überprüft, indem sie den Einfluss der Anzahl der im<br />
Rahmen eines 401(k) Plans angebotenen Fonds auf die Teilnahmewahrscheinlichkeit<br />
eines Arbeitnehmers an diesem Plan mit Hilfe einer Regressionsanalyse getestet<br />
haben. Berücksichtigt wurde dabei neben der Anzahl der Fonds auch der Einfluss<br />
weiterer Faktoren auf Arbeitnehmerebene (z. B. Gehalt, Geschlecht, Alter), sowie<br />
Informationen auf Pensionsplanebene, wie z. B. ob Aktien des Arbeitgebers erworben<br />
werden können.<br />
Die Ergebnisse der Regressionsanalyse haben gezeigt, dass die Hypothese <strong>von</strong> Jyengar<br />
et al. aufrechterhalten werden kann. Demnach fällt die Wahrscheinlichkeit, dass ein<br />
Arbeitnehmer einen Pensionsplan abschließt, mit jeweils zehn zusätzlich verfügbaren<br />
Anlageoptionen ceteris paribus um 1,5% bis 2% 16 . So liegt z. B. die Abschluss-<br />
14 Bezeichnet nach dem Abschnitt 401(k) des „Internal Revenue Code” (S. 1)<br />
15 Bis zu 25% des Jahreseinkommens, aber nicht mehr als $12.000 (<strong>St</strong>and 2003)<br />
16 Die Autoren haben vier verschiedene Modellspezifikationen (u. a. Linear Probability, Probit)<br />
angewendet, die aber alle zu ähnlichen Ergebnissen geführt haben.<br />
63
wahrscheinlichkeit für einen Pensionsplan mit zwei alternativen Anlageformen bei<br />
rund 75%. Bietet der Plan hingegen 59 verschiedene Fonds an, fällt diese auf rund<br />
60% (vgl. Iyengar et al. 2003, S. 9). Abbildung 17 verdeutlicht den Zusammenhang<br />
grafisch.<br />
Teilnahmequote<br />
80%<br />
75%<br />
70%<br />
65%<br />
95% Konfidenzintervall<br />
60%<br />
55%<br />
50%<br />
0 3 6 9 12 15 18 21 24 27 30 33 36 39 42 45 48 51 54 57 60<br />
N = 800.000<br />
Anzahl angebotener Fonds<br />
Abbildung 17: Zusammenhang der Anzahl angebotener Fonds und Teilnahmequote an betrieblichem<br />
Pensionsplan. Quelle: Iyengar et al. 2003, S. 15<br />
Die <strong>St</strong>udie <strong>von</strong> Jyengar et al. zeigt, wie sich hohe Vielfalt negativ auf das<br />
Entscheidungsverhalten auswirken kann. Die Ergebnisse sind dahingehend <strong>von</strong><br />
besonderer Bedeutung, als dass sie auf realen Verhaltensdaten <strong>von</strong> rund 800.000<br />
Arbeitnehmern in den USA beruhen und ein Entscheidungsproblem zum Gegenstand<br />
haben, das mit weitreichenden Folgen verbunden ist. Die Konsequenzen einer<br />
„Fehlentscheidung“ in Form einer nicht getroffenen Entscheidung („Choose not to<br />
choose“ (S. 11)) sind in dem hier untersuchten Zusammenhang offensichtlich und<br />
verdeutlichen, dass sich hohe Produktauswahl nicht nur negativ auf das Kaufverhalten,<br />
sondern auch auf das längerfristige Gesamtwohl einer Person auswirken kann.<br />
Demzufolge kann es für den Entscheider aus mittel- und längerfristiger Perspektive<br />
vorteilhaft sein, wenn die Auswahl – und damit seine Entscheidungsfreiheit – begrenzt<br />
wird. Thaler und Sunstein (2003) haben hierfür kürzlich den zunächst als Oxymoron<br />
anmutenden Begriff Libertarian Paternalism – freiheitliche Bevormundung – geprägt<br />
und verstehen hierunter „(...) an approach that preserves freedom of choice but that<br />
authorizes both public and private institutions to steer people in directions that will<br />
promote their welfare“ (S. 179).<br />
64
Interpretiert man dies in dem hier betrachteten Kontext des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>,<br />
so lässt sich dieser nach der Argumentation <strong>von</strong> Thaler und Sunstein steigern, wenn<br />
die Auswahl auf ein überschaubares Maß beschränkt wird. Als Folge wird der Nutzen<br />
der Vielfalt für den Entscheider auf einem hohen Niveau gehalten, die Kosten im<br />
Sinne <strong>von</strong> kognitiver und emotionaler Entscheidungsschwierigkeit gleichzeitig<br />
reduziert. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit einer überlegten und zielgerichteten<br />
Entscheidung, <strong>von</strong> der Konsumenten und Unternehmen kurz- und mittelfristig<br />
profitieren.<br />
2.1.7 Zusammenfassung der <strong>St</strong>udien<br />
Die dargestellten <strong>St</strong>udien haben in unterschiedlichem Kontext – <strong>von</strong> der Wahl einer<br />
Marmelade bis zur medizinischen Entscheidung – gezeigt, dass erhöhte Auswahl das<br />
Verhalten <strong>von</strong> Entscheidern beeinflussen kann. Resultate höherer <strong>Produktvielfalt</strong><br />
waren hierbei insbesondere:<br />
• Geringere Kaufwahrscheinlichkeit (Tversky/Shafir 1992; Dhar 1997a;<br />
Gourville/Soman 1999; Iyengar/Lepper 2000; Iyengar et al. 2003)<br />
• Beibehaltung des <strong>St</strong>atus quo (Redelmeier/Shafir 1995)<br />
• Wahl der <strong>St</strong>andardoption (Default) (Tversky/Shafir 1992)<br />
• Wahl einer Konflikt vermeidenden, einfach zu rechtfertigenden Wahlmöglichkeiten<br />
(Redelmeier/Shafir 1995)<br />
• Geringere Zufriedenheit mit dem Kaufprozess und der gewählten Alternative<br />
(Iyengar/Lepper 2000)<br />
Gleichzeitig hat sich aber auch gezeigt, dass höherer Vielfalt anziehend auf<br />
Konsumenten wirkt und ihnen Freude bereitet (Iyengar/Lepper 2000).<br />
Damit lässt sich insgesamt schlussfolgern, dass es empirische Hinweise für sowohl<br />
negative als auch positive Aspekte <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus der Sicht <strong>von</strong><br />
Konsumenten gibt. Die Untersuchungen haben ferner gezeigt, dass sich diese im<br />
direkten (Kauf)Verhalten und in der nachgelagerten Bewertung <strong>von</strong> Kaufprozess<br />
und erworbenem Produkt manifestieren.<br />
Weiterhin wurde deutlich, dass nicht allein die Anzahl der verfügbaren Alternativen<br />
das Verhalten der Konsumenten beeinflusst, sondern auch deren <strong>St</strong>ruktur: So konnten<br />
negative Effekte <strong>von</strong> höherer Vielfalt nur festgestellt werden, wenn die Alternativen in<br />
65
etwa gleich attraktiv waren und für den Konsumenten relevante Optionen zur<br />
Bedürfnisbefriedigung darstellten und deshalb einen Entscheidungskonflikt ausgelöst<br />
haben (vgl. Dhar 1997a, S. 215ff.). Des Weiteren haben die <strong>St</strong>udien gezeigt, dass auch<br />
die Vergleichbarkeit (Alignability) der Alternativen die Entscheidungsschwierigkeit<br />
des Konsumenten wesentlich beeinflusst (vgl. Soman/Gourville 1999, S. 7ff.).<br />
Insgesamt lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass neben den quantitativen<br />
Eigenschaften eines Sortiments auch dessen qualitative Charakteristika den <strong>Wert</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> bzw. dessen Kosten- und Nutzendimension beeinflussen. Beide<br />
Eigenschaftsarten sind deshalb als Determinanten im zu entwickelnden Gesamtmodell<br />
zu berücksichtigen.<br />
Auch wenn die vorgestellten <strong>St</strong>udien in erster Linie einen Überblick über das<br />
Spektrum der Wirkung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf das Kaufverhalten <strong>von</strong> Konsumenten<br />
geben sollten und daher kein Anspruch auf Vollständigkeit besteht, wird dennoch<br />
deutlich, dass der Konsument in seiner Reaktion auf (hohe) <strong>Produktvielfalt</strong> in der<br />
Literatur bisher als „Blackbox“ behandelt wurde. Nach dem Kenntnisstand des Autors<br />
liegen bisher keine empirischen Ergebnisse vor, die explizit die aus Konsumentensicht<br />
positiven und negativen Aspekte großer Sortimente im Sinne eines Kosten-<br />
Nutzen-Ansatzes <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> erfassen und in Beziehung zum Verhalten des<br />
Konsumenten gesetzt haben. <strong>Der</strong> dieser Arbeit zugrunde liegende<br />
Kosten-Nutzen-Ansatz versucht diese Forschungslücke zu schließen, um so ein<br />
besseres Verständnis des Umgangs <strong>von</strong> Konsumenten mit (hoher) <strong>Produktvielfalt</strong> zu<br />
ermöglichen.<br />
Weitere Vorgehensweise<br />
In den nächsten beiden Kapiteln wird der theoretische Bezugsrahmen der Arbeit<br />
entwickelt. Hierzu werden zunächst drei theoretische Ansätze zur Erklärung des<br />
übergeordneten Zusammenhangs <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten<br />
gegeben:<br />
1. Die Hypothesen <strong>von</strong> Informationsdefizit und Informationsüberlastung,<br />
2. die Theorie des Optimum <strong>St</strong>imulation Level und<br />
3. der Tyranny of Freedom.<br />
66
Im Anschluss daran wird der Gesamteffekt in einen Kosten- und einen Nutzeneffekt<br />
„aufgegliedert“. Beide Effekte werden unter Rückgriff auf verschiedene Theorien<br />
begründet.<br />
Zur theoretischen Erklärung der Nutzenaspekte <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> dienen hierbei<br />
• die Nutzenerwartungswerttheorie,<br />
• die klassische Entscheidungstheorie und<br />
• der Hedonic Shopping Value<br />
Die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> werden auf der Basis <strong>von</strong> den drei Theorien bzw.<br />
theoretischen Konzepten begründet:<br />
• der Cost of Thinking,<br />
• der Konflikt-Theorie und<br />
• der Theorie des antizipierten Regrets.<br />
.<br />
Abbildung 18 veranschaulicht die <strong>St</strong>ruktur des nachfolgenden Theorieteils.<br />
2.2<br />
Theorien zur Erklärung des übergeordneten Zusammenhangs<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten<br />
"<strong>Wert</strong>"<br />
2.3.1<br />
Theorien zur Erklärung<br />
des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
2.3.1<br />
Theorien zur Erklärung<br />
der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
"Nutzen"<br />
"Kosten"<br />
Facetten der KPV und NPV Hypothesen zu Konsequenzen Hypothesen zu Determinanten<br />
Abbildung 18: <strong>St</strong>ruktur des Theorieteils<br />
67
2.2 Grundlegende theoretische Perspektiven zur Erklärung des<br />
Zusammenhangs <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten<br />
Die oben beschriebenen empirischen Forschungsergebnisse haben verdeutlicht, dass<br />
hohe <strong>Produktvielfalt</strong> für Konsumenten mit negativen Aspekten verbunden sein kann<br />
und sich diese nachteilig auf das kurzfristige (Kaufintention) und mittel- bzw.<br />
langfristige Konsumentenverhalten (Zufriedenheit, Loyalität) auswirken können. Da<br />
hohe <strong>Produktvielfalt</strong> für Konsumenten aber auch Vorteile hat, liegt die Vermutung<br />
nahe, dass moderate Auswahlvielfalt aus Konsumentensicht besser ist, als sehr hohe<br />
oder sehr geringe. <strong>Der</strong> bereits in der Einleitung der Untersuchung zitierte Ausspruch<br />
<strong>von</strong> Kahn und Morales (2001) verdeutlicht dies bildhaft:<br />
„Variety truly is the spice-of-life, but like any spice it must be used in moderation“<br />
(Kahn/Morales 2001, S. 76).<br />
Die nachfolgenden Kapitel dienen dazu, diese Annahme, die im Widerspruch zu den<br />
Thesen der rationalen Entscheidungstheorie (vgl. Luce 1959, 1977; Tversky/Shafir<br />
1992, S. 358) steht, mittels verschiedener Theorien und theoretischer Konzepte zu<br />
begründen.<br />
2.2.1 Die gegensätzlichen Hypothesen <strong>von</strong> Informationsdefizit und<br />
Informationsüberlastung<br />
Die Hypothese der Informationsüberlastung (Information Overload) geht im<br />
Wesentlichen auf drei <strong>von</strong> Jacoby und seinen Mitarbeitern Anfang der 70er-Jahre<br />
durchgeführte <strong>St</strong>udien zurück (vgl. Jacoby/Speller/Berning 1974, Jacoby/Speller/Kohn<br />
1974) und steht der Hypothese des Informationsdefizits gegenüber. Letztere fußt auf<br />
den Grundideen der mikroökonomischen Haushaltstheorie zum Modell des „Homo<br />
oeconomicus“. Diesem liegt die Annahme zugrunde „je mehr Informationen desto<br />
besser die Entscheidung“ (vgl. Berndt 1983, S. 22f.).<br />
Die nächsten zwei Abschnitte stellen die beiden konträren Hypothesen dar.<br />
68
2.2.1.1 Die Hypothese des Informationsdefizits<br />
Ausgangspunkt der Hypothese des Informationsdefizits ist das mikroökonomische<br />
Idealbild des Konsumenten, der Homo oeconomicus. Er kann als „zweckrationales<br />
Wesen, das nach Nutzenmaximierung strebt und dieses Ziel aufgrund besonderer<br />
Fähigkeiten auch erreichen kann“ (Berndt 1983, S. 45) beschrieben werden. Hierbei<br />
wird insbesondere da<strong>von</strong> ausgegangen, dass der Homo oeconomicus bei einer<br />
Kaufentscheidung über vollkommene Informationen hinsichtlich aller Marktdaten<br />
wie z. B. Alternativen, Preise und Eigenschaften <strong>von</strong> Produkten verfügt, diese<br />
uneingeschränkt verarbeiten kann und sich hinsichtlich seiner eigenen Präferenzen<br />
stets im Klaren ist (vgl. Berndt 1983, S. 45; Rosenstiel/Ewald 1979, S. 19f.).<br />
Da der reale Konsument im Gegensatz zum Ideal des Homo oeconomicus nicht über<br />
vollkommene Information verfügt, sollen ihm nach der „Hypothese des<br />
Informationsdefizits“ (Berndt 1983, S. 22) in der Entscheidungssituation möglichst<br />
viele Informationen angeboten werden, um so eine gute Entscheidung zu ermöglichen<br />
(vgl. Sproles et al. 1980, zitiert nach Berndt 1983, S. 23).<br />
Folgt man dieser Argumentation, bedeutet das für die Thematik der <strong>Produktvielfalt</strong>,<br />
dass Konsumenten sowohl möglichst viele Produktalternativen, als auch<br />
Informationen angeboten werden sollten. Ziel ist es, dem Konsumenten die<br />
Möglichkeit zu geben, sich einen guten Überblick zu den am Markt verfügbaren<br />
Produkten und deren Eigenschaften zu verschaffen.<br />
Aus der Modellannahme der Verfügbarkeit vollkommener Information folgt, dass<br />
Konsumenten unendliche Informationsverarbeitungskapazität besitzen. Diese ist aber<br />
sehr unrealistisch und kann deshalb das tatsächliche Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten nur<br />
eingeschränkt erklären (vgl. Berndt 1983, S. 46; Jacoby/Speller/Kohn 1974, S. 63ff.;<br />
Bleicker 1983, S. 10; Jacoby/Speller/Berning 1974, S. 33ff.). Einzelne Annahmen des<br />
Modells der mikroökonomischen Entscheidungstheorie wurden deshalb aufgehoben,<br />
was z. B. zum „Prinzip der begrenzten Rationalität“ (vgl. Simon 1957) geführt hat.<br />
Dieses legt dem Kaufverhalten nicht mehr das Rationalitätsprinzip 17 als oberste<br />
Handlungsmaxime zugrunde, sondern erlaubt die Wahl einer zufrieden stellenden<br />
17 Das Rationalitätsprinzip besagt, dass entweder ein bestimmtes Ziel mit möglichst geringem<br />
Ressourceneinsatz erreicht (Minimalprinzip) oder bei gegebenem Mitteleinsatz ein möglichst hoher<br />
Nutzen erzielt werden soll (Maximalprinzip) (vgl. Gabler Wirtschafts Lexikon).<br />
69
Alternative 18 , wobei der „(...) Grund dafür, dass Menschen sich mit suboptimalen<br />
Ergebnissen (...) zufriedengeben, (...) in unserer begrenzten Informationsverarbeitungs-Kapazität<br />
zu suchen (...)(ist)“ (Rhenius 1979, S. 388). Kirsch (1977)<br />
bemerkt diesbezüglich, dass Konsumenten sich auch dann nicht im Sinne der<br />
Nutzenmaximierung verhalten könnten, wenn sie dies wollten, da dies aufgrund der<br />
begrenzten menschlichen Informationsverarbeitungskapazität zu einem<br />
„unerträglichen kognitiven <strong>St</strong>ress“ (S. 70) führen würde.<br />
<strong>Der</strong> Mensch neigt daher zur Abkehr vom Prinzip der Nutzenmaximierung, was aber<br />
eine Verschlechterung der Entscheidungsqualität zur Folge hat. Dies ist eine der<br />
wesentlichen Folgerungen der Hypothese der Informationsüberlastung, die<br />
nachfolgend erläutert wird.<br />
2.2.1.2 Die Hypothese der Informationsüberlastung (Information Overload)<br />
„Information overload 19 refers to the fact that there are finite limits to the<br />
ability of human beings to assimilate and process information during any<br />
given unit of time. Once these limits are surpassed, the system is said to be<br />
‘overloaded’ and human performance (including decisionmaking) becomes<br />
confused, less accurate and less effective” (Jacoby 1977, S. 569).<br />
Informationsüberlastung(en) entstehen folglich, „wenn Informationsmengen, die dem<br />
Empfänger zur Aufnahme und Verarbeitung angeboten werden, die Belastungsgrenzen<br />
seines Informationsaufnahme und –verarbeitungssystems überschreiten“ (Raffée/Fritz<br />
1990, S. 83). Jacoby und seine Mitarbeiter untersuchten in den 70er Jahren, ob in einer<br />
Konsum- bzw. Entscheidungssituation Informationsüberlastung (Information<br />
Overload) auftritt und zu einer Minderung der Entscheidungsqualität führt (vgl.<br />
Jacoby/Speller/Berning 1974, Jacoby/Speller/Kohn 1974). Die Forscher stützten ihre<br />
Hypothesen dabei auf Ergebnisse psychologischer Untersuchungen hinsichtlich der<br />
Grenzen der menschlichen Informationsverarbeitungskapazität. Ein Beispiel hierfür ist<br />
der viel zitierte Artikel „The magical number seven, plus or minus two“ <strong>von</strong> Miller<br />
(1956), in dem er – auch unter Rückgriff auf frühere <strong>St</strong>udien anderer Autoren (z. B.<br />
18 Unter zufrieden stellend (satisficing) ist dabei eine Übereinstimmung der Ausprägungen der<br />
gewählten Alternative mit dem Anspruchsniveau des Entscheiders zu verstehen (vgl. Berndt 1983,<br />
S. 46).<br />
70
Pollack 1952; Beebe-Center/Rogers/O’Connell 1955) – aufzeigt, dass der Mensch nur<br />
ca. sieben alternative <strong>St</strong>imuli gleichzeitig verarbeiten kann (vgl. Miller 1956, S. 84ff.).<br />
Als Erklärungsmodell für die begrenzte menschliche Informationsverarbeitungskapazität<br />
wird häufig das so genannte Drei-Speicher-Modell der Informationsverarbeitung<br />
verwendet (vgl. z. B. Silberer 1981, S. 37).<br />
Das Drei-Speicher-Modell der Informationsverarbeitung<br />
Nach dem Drei-Speicher-Modell erfolgt die Informationsaufnahme und -verarbeitung<br />
durch drei Subsysteme des menschlichen Gedächtnisapparats, die als „Speicher“ oder<br />
Gedächtnisarten bezeichnet werden (Koeber-Riel/Weinberg 1996, S. 225) (siehe<br />
Abbildung 19):<br />
• Sensorischer Speicher (Ultrakurzzeitspeicher)<br />
• Kurzzeitspeicher (Arbeitsgedächtnis)<br />
• Langzeitspeicher (Langzeitgedächtnis) (vgl. z. B. Silberer 1981, S. 37;<br />
Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 225; Trommsdorff 1998, S. 238)<br />
Informationsverarbeitungssystem (Drei-Speicher-Modell)<br />
Sensorischer<br />
Speicher<br />
Kurzzeitspeicher/<br />
Arbeitsspeicher<br />
Lernen<br />
Umwelt<br />
(<strong>St</strong>imuli)<br />
Sensorischer<br />
Filter<br />
Optisch<br />
Akustisch<br />
.<br />
.<br />
.<br />
Wahrnehmung/<br />
Aufmerksamkeit<br />
Prozesse:<br />
• Memorieren<br />
• Verschlüsselung<br />
• Entscheidung<br />
• Zugriff zum<br />
Gedächtnis<br />
• ...<br />
Memorieren<br />
Langzeitspeicher/<br />
permanenter<br />
Speicher<br />
Abrufen/<br />
Haptisch<br />
Vergessen<br />
Verhalten<br />
Abbildung 19: Informationsaufnahme und -verarbeitung im Drei-Speicher-Modell. In Anlehnung an<br />
Kuß/Tomczak 2000, S. 26, 30; Bettman 1979, S. 140<br />
19 Jacoby greift bei der Definition <strong>von</strong> „information load“ auf die <strong>von</strong> MacCormick (1970) zurück, der<br />
„information load“ als „the variety of stimuli (in type and number) to which the receiver must<br />
attend“ (zitiert nach Jacoby 1977, S. 569) definiert.<br />
71
Ausgangspunkt der Informationsverarbeitung ist die Umwelt des Konsumenten, aus<br />
der er mit Hilfe seiner Sinnesorgane z. B. optische, akustische oder haptische<br />
Eindrücke aufnimmt und diese für sehr kurze Zeit 20 im sensorischen Speicher behält.<br />
<strong>Der</strong> sensorische Speicher dient also der unmittelbaren und kurzen Speicherung einer<br />
großen Menge <strong>von</strong> aus der Umwelt wahrgenommenen Reizen (vgl. Silberer 1981,<br />
S. 37).<br />
Teile dieser Reize, deren Auswahl wesentlich <strong>von</strong> ihrem Aktivierungspotenzial<br />
abhängt (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 226), gelangen in den Kurzzeitspeicher<br />
und werden dort interpretiert und verarbeitet. <strong>Der</strong> Prozess der Aufnahme und<br />
Selektion <strong>von</strong> Reizen, sowie deren Organisation und Interpretation wird dabei als<br />
Wahrnehmung bezeichnet (vgl. Harrell 1986, S. 66): „Ergebnis der Wahrnehmung<br />
ist ein subjektiv gefärbtes Bild der Realität, das dem Handeln in einer aktuellen<br />
Situation oder dem Aufbau eines Wissens- und Erfahrungsschatzes für Handeln in<br />
künftigen Situationen dient“ (Bänsch 1998, S. 71).<br />
Das Kurzzeitgedächtnis stellt in gewisser Weise den „Arbeitsspeicher“<br />
(Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 226) der Informationsverarbeitung dar und verfügt<br />
über entsprechende Verarbeitungsmöglichkeiten. So werden dort z. B. Informationen<br />
memoriert und kodiert, Informationen aus dem Langzeitspeicher abgerufen und<br />
beobachtbares Verhaltens wie z. B. das Treffen einer Kaufentscheidung und deren<br />
Umsetzung gesteuert (vgl. Kuß/Tomczak 2000, S. 27). Die Kodierung <strong>von</strong><br />
Informationen bezeichnet dabei die kognitiven Verarbeitungsprozesse bei der<br />
Übersetzung der wahrgenommenen Reize in gedankliche Einheiten (vgl.<br />
Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 334). Dies geschieht, indem neue Informationen zu<br />
vorhandenem Wissen in Beziehung gesetzt werden. Das Ausmaß in dem dies erfolgt,<br />
bezeichnet dabei ein sehr wichtiges Konstrukt der psychologischen Forschung, die<br />
Verarbeitungstiefe, die in der Konsumentenforschung häufig im Zusammenhang<br />
(teilweise auch synonym) mit dem Begriff des Involvement verwendet wird. Darunter<br />
wird die „Ich-Beteiligung bzw. das gedankliche Engagement und die damit<br />
verbundene Aktivierung, mit der sich jemand einem Sachverhalt oder einer Aktivität<br />
zuwendet“ (Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 338) verstanden. Auf die Bedeutung des<br />
Involvement wird später noch näher eingegangen (siehe S. 352ff.).<br />
Wesentliches Kennzeichen des Kurzzeitspeichers ist dessen flexible, aber stark<br />
begrenzte Informationsverarbeitungskapazität. So hat Miller bereits 1956 erkannt,<br />
20 Die Speicherdauer beträgt zwischen 0,1 und 1 Sekunde (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 226).<br />
72
dass das menschliche „Arbeitsgedächtnis“ nur rund sieben so genannte „Information<br />
Chunks“ gleichzeitig verarbeiten kann (vgl. Silberer 1981, S. 38; Solomon/<br />
Bamossy/Askegaard 2001, S. 103). Information Chunks stellen Informationseinheiten<br />
dar, die man sich als zu Blöcken zusammengefasste Einzelinformationen vorstellen<br />
kann (vgl. Bänsch 1998, S. 75). So werden z. B. mit dem Markennamen Informationen<br />
wie Preis, Design und Qualität verbunden.<br />
Mit der Übernahme der im Kurzzeitspeicher verarbeiteten Informationen in den<br />
Langzeitspeicher findet ein Lernprozess und somit der Aufbau <strong>von</strong> Wissen statt (vgl.<br />
Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 334). <strong>Der</strong> Langzeitspeicher entspricht dem<br />
Gedächtnis des Menschen, dient der langfristigen Speicherung <strong>von</strong> Informationen und<br />
somit dem Aufbau <strong>von</strong> Wissen und Erfahrung. Wissen und Erfahrung beeinflussen<br />
wiederum die Informationsverarbeitung und können somit auch Einfluss auf den <strong>Wert</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>, insbesondere auf die Kostendimension haben.<br />
Sensorischer Speicher<br />
Langzeitspeicher<br />
Kurzzeitspeicher<br />
Speichermenge<br />
0,1 – 1 Sek. einige Sek. (sehr) lange<br />
Speicherzeit<br />
Abbildung 20: Kurzzeitspeicher ist Engpass bei der menschlichen Informationsverarbeitung<br />
(schematische Darstellung). In Anlehnung an Kuß/Tomczak 2000, S. 29<br />
Die begrenzte menschliche Informationsverarbeitungskapazität lässt sich anhand der<br />
drei-Speicher-<strong>St</strong>ruktur erklären: Diese besteht mit dem sensorischen und dem<br />
Langzeitspeicher aus zwei Speichern, die über sehr große Verarbeitungskapazität,<br />
aber unterschiedliche Speicherdauer verfügen. Sie sind durch einen Speicher mit<br />
begrenzter Kapazität, dem Kurzzeitspeicher verbunden (vgl. Kuß/Tomczak 2000,<br />
73
S. 28) (siehe Abbildung 20). Die Übertragung <strong>von</strong> Informationen vom<br />
Kurzzeitgedächtnis in den Langzeitspeicher und die dortige Kodierung und<br />
Speicherung erfordert einen Zeitaufwand <strong>von</strong> einigen Sekunden, was in Kombination<br />
mit der begrenzten Verarbeitungskapazität den Kurzzeitspeicher zum „Engpass der<br />
menschlichen Informationsverarbeitung“ macht (Kuß/Tomczak 2000, S. 28).<br />
Übertragen auf die hier behandelte Fragestellung heißt dies: Wollen Konsumenten aus<br />
einer großen Anzahl <strong>von</strong> Produktalternativen eine auswählen, kann die während des<br />
Vergleichsprozesses zu verarbeitende Informationsmenge die Verarbeitungskapazität<br />
des Entscheiders überschreiten und ihn dadurch überfordern. Dies kann zur<br />
Anwendung vereinfachender Entscheidungsregeln durch den Konsumenten und einer<br />
damit verbundenen Verschlechterung der Entscheidungsqualität führen (vgl.<br />
Payne/Bettman/Johnson 1993, S. 2f.). Die Informationsüberlastung kann weiterhin zu<br />
„feelings of anxiety and unpleasantness associated with the decision-making process“<br />
(Hausman 2000, S. 410) führen, worauf Konsumenten u. a. mit impulsiven<br />
Kaufentscheidungen reagieren (vgl. Hausman 2000, S. 410ff.).<br />
Jacoby und seine Kollegen (1974a,b; 1977) haben den Zusammenhang <strong>von</strong><br />
Informationsmenge und Entscheidungsqualität in mehreren Experimenten untersucht.<br />
Empirische Untersuchungen zum Information Overload Effekt<br />
Im ersten Experiment <strong>von</strong> Jacoby, Speller und Kohn (1974, S. 63ff.) erhielten<br />
Konsumenten Informationen zu einzelnen Produkten und deren Attribute in Form<br />
einer Information-Display-Matrix (Merkmale x Alternativen – Matrix) und wurden<br />
aufgefordert, unter Beachtung aller in der Matrix enthaltenen Informationen ein<br />
Produkt auszuwählen. Jacoby et al. operationalisierten die unabhängige Variable<br />
„Informationsmenge“ dabei als Produkt <strong>von</strong> Alternativenzahl und Merkmalsinformation<br />
und variierten diese, indem sie einerseits die Anzahl der Alternativen (4, 8<br />
oder 12 Waschmittelmarken) und andererseits die Anzahl der Merkmale pro Produkt<br />
(2, 4 oder 6 Attribute pro Produkt) veränderten. Demnach musste beispielsweise ein<br />
Konsument bei acht verfügbaren Alternativen, die jeweils durch vier Merkmalen<br />
beschrieben sind, eine Informationsmenge <strong>von</strong> insgesamt 32 (= 4 x 8) Informationseinheiten<br />
verarbeiten.<br />
Die abhängige Variable „Entscheidungsqualität“ wurde gemessen als Anteil der<br />
„richtigen Entscheidungen“. Eine Entscheidung galt als „richtig“, wenn die gewählte<br />
Alternative der auf individuell erhobenen Merkmalsausprägungen und<br />
74
Merkmalswichtigkeiten basierenden Idealmarke des Konsumenten besser entsprach,<br />
als alle anderen Alternativen.<br />
<strong>Der</strong> Zusammenhang <strong>von</strong> Informationsmenge und Entscheidungsqualität, den die<br />
Experimente gezeigt haben, lässt sich als „Mehr ist nicht besser!“ (Bleicker 1983,<br />
S. 10) zusammenfassen und ist in Abbildung 21 dargestellt. Die Grafik verdeutlicht,<br />
dass die Entscheidungsqualität zunächst mit zunehmender Informationsmenge steigt<br />
und dann, nach dem Überschreiten eines Optimums, fällt.<br />
Anzahl<br />
richtiger<br />
Entscheidungen<br />
10<br />
9<br />
8<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
0 8 16 24 32 48 72<br />
Informationsmenge<br />
(Attribute x Marken)<br />
Abbildung 21: <strong>Der</strong> Information Overload Effekt: Zusammenhang <strong>von</strong> Entscheidungsqualität und<br />
Informationsmenge. In Anlehnung an Jacoby/Speller/Kohn 1974, S. 66<br />
Für den hier betrachteten Zusammenhang ist in erster Linie nicht der Einfluss der<br />
Gesamtinformationsmenge, sondern der Einfluss der Alternativenanzahl <strong>von</strong> Interesse.<br />
Hierfür muss die Wirkung <strong>von</strong> Attribut- und Alternativenzahl getrennt betrachtet<br />
werden. In Abbildung 22 erfolgt dies grafisch für die erste Untersuchung <strong>von</strong> Jacoby<br />
et al. (Jacoby/Speller/Kohn 1974, S. 63ff.) und eine im Versuchsaufbau leicht<br />
modifizierte 21 zweite <strong>St</strong>udie (Jacoby/Speller/Berning 1974, S. 33ff.).<br />
21 4 x 4, anstatt 3 x 3 Matrix mit maximal 256 statt 72 Informationseinheiten<br />
75
Anteil der Personen,<br />
die die "richtige"<br />
Marke wählten<br />
(%)<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
Anzahl<br />
Attribute<br />
16<br />
6<br />
12<br />
Mit Vielfalt sinkende Qualität<br />
Mit Vielfalt zunächst steigende, dann<br />
sinkende Qualität<br />
Mit Vielfalt steigende Qualität<br />
50<br />
40<br />
4<br />
30<br />
4<br />
20<br />
10<br />
8<br />
2<br />
0<br />
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17<br />
Anzahl Alternativen<br />
Abbildung 22 Die Entscheidungsqualität in Anhängigkeit der Merkmals- und Alternativenzahl. Daten<br />
aus Bleicker 1983, S. 12<br />
Die Abbildung veranschaulicht, dass die Entscheidungsqualität bei geringer<br />
Alternativenanzahl mit der Anzahl verfügbarer Attributinformationen steigt. Erhöht<br />
sich die Anzahl der Produkte, so nimmt die Entscheidungsqualität mit Ausnahme des<br />
Zwei-Attribut-Falls tendenziell ab. Bei Produkten mit 4 und 8 Attributen steigt sie<br />
zunächst bei der Erhöhung <strong>von</strong> 4 auf 8 Alternativen, fällt aber auch dann bei einer<br />
weiteren Erhöhung der Alternativenzahl. Die Entscheidungsqualität sinkt laut der<br />
Ergebnisse <strong>von</strong> Jacoby et al. somit für Produkte mit mehr als zwei Attributen nach<br />
Überschreiten eines Optimums mit zunehmender Alternativenzahl.<br />
<strong>Der</strong> Gesamteffekt im Sinne einer multiplikativen Verknüpfung <strong>von</strong> Marken- und<br />
Merkmalsanzahl ergab den in Abbildung 21 (S.75) dargestellten nicht-linearen Verlauf<br />
der Entscheidungsqualität in Abhängigkeit <strong>von</strong> der Gesamtinformation in Form einer<br />
zunächst zunehmenden und nach einem Optimum abnehmenden Kurve. Diese<br />
Grundform der Abhängigkeit fand sich auch bei einer modifizierten Operationalisierung<br />
der Entscheidungsqualität 22 (vgl. Jacoby/Speller/Berning 1974, S. 37f.).<br />
22 Anstatt des oben beschriebenen „Most Preferred Brand Accuracy“ verwendeten Jacoby et al. einen<br />
mittels des Kendall’schen Konkordanzkoeffizienten errechneten „Rank Order Accuracy“, welcher<br />
die Korrelation zwischen der Rangreihe der tatsächlichen Wahl und der Rangreihe, die sich aus der<br />
Beschreibung der Idealmarke ergibt (vgl. Berndt 1983, S. 98), wiedergibt.<br />
76
In einem weiteren Experiment haben Jacoby, Szybillo und Busato-Schach (1977,<br />
S. 209ff.) die Realitätsnähe erhöht, indem sie es den Testpersonen freistellten, wie<br />
viele Merkmalsinformationen sie zu den vier, acht bzw. zwölf Marken haben wollten.<br />
Dabei konnten sie einen ähnlichen Verlauf der Entscheidungsqualität in Abhängigkeit<br />
<strong>von</strong> der Alternativenzahl feststellen, wie dies vorher für die Gesamtinformationsmenge<br />
der Fall war. Ferner konnten sie beobachteten, dass die Versuchspersonen,<br />
unabhängig <strong>von</strong> der Anzahl der verfügbaren Marken, durchschnittlich nur 5,05<br />
Informationen pro Marke wünschten.<br />
Die <strong>St</strong>udien <strong>von</strong> Jacoby und seinen Kollegen haben in der Fachwelt heftige und<br />
kontroverse Diskussionen ausgelöst und wurden teilweise stark kritisiert. Im Zentrum<br />
der Kritik standen dabei Definition und Operationalisierung der Informationslast, die<br />
Marken und Attribute als gleich wichtig betrachtet (vgl. z. B. Wilkie 1974, S. 463ff.).<br />
Summers (1974) bemerkt hierzu, dass die Entscheidungsqualität <strong>von</strong> der <strong>St</strong>ruktur der<br />
Informationsmenge abhängig ist 23 und insbesondere <strong>von</strong> der Alternativenstruktur<br />
beeinflusst wird. So ist es sicherlich leichter, aus einem Sortiment mit einer eindeutig<br />
dominierenden Alternative zu wählen, verglichen mit einer Produktset, das aus vielen<br />
gleichwertigen Alternativen besteht, die sich nur geringfügig unterscheiden (vgl.<br />
Summers 1974, S. 467ff.). Ferner wurde auch die nicht-lineare Abhängigkeit der<br />
Entscheidungsqualität <strong>von</strong> der Informationslast, und somit das Gesamtergebnis der<br />
<strong>St</strong>udien angezweifelt, da die Datenmenge unzureichend („A trend based on a single<br />
point is hardly convincing“ (Russo 1974, S. 68)) und die verwendeten statistischen<br />
Verfahren (Chi-Quadrat-Test, Varianzanalyse) ungeeignet seien (Malhotra et al. 1982,<br />
S. 29ff.). Bezieht man die teils kontroversen Ergebnisse früherer und auch späterer<br />
Untersuchungen 24 (vgl. z. B. <strong>St</strong>reufert/Driver 1965; Anderson et al. 1966,<br />
Jacoby/Speller/Kohn 1974; Patton 1981; Scammon 1977, <strong>St</strong>anley 1977; Ratchford/van<br />
Raaij 1980; Witte 1972; Bronner/Witte/Wissodlo 1972) in die Diskussion mit ein, so<br />
kann man folgern, dass der Effekt der Informationsüberlastung nicht eindeutig<br />
nachgewiesen werden konnte (vgl. Berndt 1983, S. 112).<br />
Jacoby (1984) fasst die Diskussion folgendermaßen zusammen:<br />
23 Er führt hierzu als Beispiel an, dass bei einer Informationslast <strong>von</strong> 16 und gleicher Samplegröße<br />
einmal 3 und ein andermal 6 „korrekte“ Entscheidungen getroffen wurden, abhängig da<strong>von</strong>, ob 8<br />
Marken mit jeweils 2 Attributen oder 4 Marken mit jeweils 4 Attributen zur Wahl standen (vgl.<br />
Summers 1974, S. 467).<br />
24 Berndt (1983, S. 103ff.) gibt eine detailliertere Darstellung der Ergebnisse der einzelnen<br />
Untersuchungen.<br />
77
„Can consumers be overloaded? Yes, they can. Will consumers be<br />
overloaded? Generally speaking, no, they will not. (sic!) This is because they<br />
are highly selective in how much and just which information they access, and<br />
tend to stop well short of overloading themselves“ (Jacoby 1984, S. 435).<br />
<strong>Der</strong> Autor geht damit auf die Kritik ein, dass die Versuchspersonen in seinen <strong>St</strong>udien<br />
angehalten waren, alle verfügbaren Informationen, d. h. alle Marken und Attribute bei<br />
ihrer Entscheidung zu berücksichtigen und diese kompensatorisch zu verarbeiten. In<br />
der Realität können Konsumenten aber wählen, wie viele Marken und Attribute sie bei<br />
der Wahl berücksichtigen und wie sie die Informationen verarbeiten.<br />
In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass Konsumenten die Art der Informationsverarbeitung<br />
abhängig <strong>von</strong> der Komplexität und der zu erzielenden Genauigkeit der<br />
Entscheidung wählen, indem sie entsprechende Entscheidungsstrategien bzw.<br />
Heuristiken anwenden (vgl. Payne/Bettman/Johnson 1993, S. 13f., S. 92ff.; siehe<br />
hierzu auch die Ausführungen zu Heuristiken ab Seite 20). In Bezug auf die Wirkung<br />
hoher <strong>Produktvielfalt</strong> bedeutet dies folgendes:<br />
Werden Konsumenten <strong>von</strong> der angebotenen Vielfalt überfordert, können sie die<br />
Entscheidungskomplexität verringern, indem sie die bei der Entscheidung<br />
berücksichtigten Alternativen und Attribute auf eine überschaubare Anzahl reduzieren.<br />
Abbildung 23 veranschaulicht die Ergebnisse verschiedener <strong>St</strong>udien, die die Anzahl<br />
der verfügbaren und bei der Entscheidung berücksichtigten Produkte gegenüberstellt.<br />
Dabei wird deutlich, dass Konsumenten beim Kauf <strong>von</strong> teuren (PKW, Kamera) oder<br />
wichtigen (Kopfschmerzmittel) Produkten zwischen 50% und 100% der Alternativen<br />
bei der Entscheidung berücksichtigen, wobei dieser Anteil mit zunehmender<br />
Alternativenanzahl tendenziell sinkt. Bei Produkten des täglichen Bedarfs (Kaffee,<br />
Frühstücksflocken) wird dagegen nur rund ein Drittel der Alternativen in die<br />
Entscheidung einbezogen 25 . Hierbei wird meist impulsiv oder habitualisiert<br />
entschieden (siehe auch S. 34ff.) (vgl. hierzu auch Raffée et al. 1979, S. 122).<br />
Dennoch zeigt sich, dass Käufer auch in diesem Fall bis zu 25% der Alternativen bei<br />
ihrer Entscheidung nicht berücksichtigen.<br />
25 Die Ergebnisse hinsichtlich des Kaufs <strong>von</strong> Margarine sind deshalb schwer nachvollziehbar.<br />
78
Anzahl<br />
berücksichtigte<br />
Alternativen<br />
20<br />
100% Berücksichtigung<br />
(Alternativen)<br />
15<br />
Trend<br />
Kopfschmerzmittel<br />
10<br />
5<br />
PKW<br />
Kamera<br />
Kamera<br />
Kaffeemaschine<br />
Margarine<br />
Kaffee<br />
50% Berücksichtigung<br />
(Alternativen)<br />
Frühstückflocken<br />
0<br />
0 5 10 15 20<br />
Anzahl verfügbare Alternativen<br />
Abbildung 23: Vergleich verfügbarer und bei der Entscheidung berücksichtigter Alternativenzahl für<br />
verschiedene Produktarten. Daten aus Bleicker 1983, S. 16<br />
Zusammenfassung und Bezug zur vorliegenden Untersuchung<br />
Im Hinblick auf Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> lässt sich aus den<br />
Ergebnissen der beschriebenen <strong>St</strong>udien <strong>von</strong> Jacoby und seinen Kollegen<br />
schlussfolgern, dass Konsumenten, die sich einer großen <strong>Produktvielfalt</strong> gegenüber<br />
sehen, aufgrund der hohen kognitiven Last, die zu deren vollständiger Verarbeitung<br />
notwendig wäre, die Betrachtung auf eine überschaubare Anzahl <strong>von</strong> Alternativen und<br />
Attributen reduzieren. Bei der Entscheidung nicht berücksichtigte Produkte können<br />
dem Konsumenten somit aber auch keinen Nutzen stiften. Die Experimente <strong>von</strong><br />
Jacoby und seinen Kollegen konnten sogar das Gegenteil zeigen: Die Entscheidungsqualität<br />
hat mit der Anzahl der verfügbaren Alternativen nach dem Überschreiten eines<br />
Optimums abgenommen.<br />
Berndt (1983) spricht deshalb in Analogie zum ersten Gossen’schen Gesetz der<br />
mikroökonomischen Haushaltstheorie vom abnehmenden Grenznutzen <strong>von</strong><br />
Informationen: „Hat jede zusätzlich beschaffte Informationseinheit einen geringeren<br />
Grenznutzen, so steigt der Gesamtnutzen der Informationen in immer geringer<br />
werdenden Raten bis zu einem Maximum (‚Sättigungspunkt’), <strong>von</strong> wo ab er wieder<br />
sinkt; der Grenznutzen wird dann negativ“ (Berndt 1983, S. 47). <strong>Der</strong> Grund hierfür<br />
liegt in der begrenzten menschlichen Informationsverarbeitungskapazität: Zusätzlich<br />
verfügbare Informationen erbringen immer weniger zusätzlichen Nutzen, da der<br />
Entscheider sie aufgrund seiner eingeschränkten Verarbeitungskapazität nicht mehr<br />
79
effizient verarbeiten kann. Letztlich kommt es so zur Überforderung des Organismus<br />
und der Grenznutzen wird negativ (vgl. Berndt 1983, S: 47f.).<br />
Aus den Ausführungen zur Hypothese zum Informationsdefizit folgt aber gleichzeitig,<br />
dass hohe Vielfalt Konsumenten die Möglichkeit gibt, sich umfassend über Produkte<br />
und ihre Eigenschaften zu informieren und so einen guten Marktüberblick zu<br />
bekommen. Die so gewonnene breite Informationsbasis kann die Entscheidungsqualität<br />
verbessern, so lange der Konsument dabei nicht überfordert wird.<br />
Die nachfolgend erläuterte Theorie des Optimum <strong>St</strong>imulation Level geht <strong>von</strong> ähnlichen<br />
Zusammenhängen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten aus, erklärt diese<br />
aber nicht auf der Basis der Informationsverarbeitung, sondern mit Hilfe der<br />
Motivationstheorien. Hierbei steht die motivierende Kraft zu hoher bzw. zu geringer<br />
<strong>St</strong>imulation z. B. eines Sortiments im Vordergrund.<br />
2.2.2 Die Theorie des Optimum <strong>St</strong>imulation Level<br />
Grundannahme der Theorie des Optimum <strong>St</strong>imulation Level (OSL) ist, dass die<br />
affektive Reaktion einer Person auf interne oder durch die Umwelt induzierte<br />
<strong>St</strong>imulation einem umgekehrt-u-förmigen Verlauf folgt, mit „intermediate levels of<br />
stimulation perceived as the most satisfying“ (<strong>St</strong>eenkamp/Baumgartner 1992, S. 434).<br />
In einer Produktwahlsituation kann die Höhe der <strong>St</strong>imulation nach Berlyne (1960,<br />
1968, zitiert nach Menon/Kahn 1995, S. 286) insbesondere durch die Neuigkeit<br />
(Novelty), Komplexität (Complexity), Unsicherheit (Uncertainty), Mehrdeutigkeit<br />
(Ambiguity), die Unvereinbarkeit (Incongruity), die Unterschiedlichkeit (Change) und<br />
das Überraschungspotenzial (Surprise) der <strong>St</strong>imuli oder der Situation und damit<br />
insbesondere auch durch die Art und die Höhe der <strong>Produktvielfalt</strong> beeinflusst<br />
werden.<br />
Die Theorie des Optimum <strong>St</strong>imulation Level geht auf Arbeiten <strong>von</strong> Hebb (1955) und<br />
Leuba (1955) zur Erklärung des Lernverhaltens <strong>von</strong> Individuen zurück und hat zum<br />
Ziel, die Erklärungslücke „between a modified reinforcement theory and classical<br />
conditioning“ (Leuba 1955, S. 32) zu schließen. Im Gegensatz zu den oben erläuterten<br />
Hypothesen des Informationsdefizits und der Informationsüberlastung, die auf die<br />
kognitiven Aspekte der Informationsverarbeitung zur Erklärung des menschlichen<br />
Verhaltens fokussieren, ist die Theorie des OSL eher den Motivationstheorien<br />
80
zuzuordnen, welche die affektive Komponente als zentrale Triebkraft des Verhaltens<br />
betrachten (vgl. <strong>St</strong>eenkamp/Baumgartner 1992, S. 434, Kroeber-Riel/Weinberg 1996,<br />
S. 141ff.).<br />
Die OSL-Theorie geht da<strong>von</strong> aus, dass ein Individuum versucht, ein für sich optimales<br />
Niveau an <strong>St</strong>imulation zu erreichen. Weicht die momentane <strong>St</strong>imulation <strong>von</strong> diesem<br />
Optimum ab, führt dies zu entsprechendem Verhalten des Konsumenten, der – je nach<br />
momentanem <strong>St</strong>imulationsniveau – dieses entweder erhöht oder reduziert: „The<br />
organism tends to acquire those reactions which, when over-all stimulation is low, are<br />
accompanied by increasing stimulation; and when over-all stimulation is high, those<br />
which are accompanied by decreasing stimulation“ (Leuba 1955, S: 29; vgl. auch<br />
Jones 1969, Raju 1980, S. 272).<br />
Menon und Kahn (1995) greifen diese Argumentation zur Erklärung des Bedürfnisses<br />
<strong>von</strong> Konsumenten nach Vielfalt (Variety Seeking) und deren Umgang mit zu hoher<br />
Vielfalt auf:<br />
„ (...) when an environment provides low stimulation (below the optimum<br />
level), the individual is bored and the desire for increased stimulation rises.<br />
This leads to exploration, novelty seeking, or variety seeking, whereby the<br />
individual seeks to increase stimulation from any source in the environment.<br />
Conversely, if the environment provides very high stimulation (above the<br />
optimal level), the individual seeks more moderate situations by reducing or<br />
simplifying input from the environment by means such as avoidance of novelty<br />
or variety” (S. 286).<br />
Das Niveau der <strong>St</strong>imulation, das ein Individuum als optimal empfindet, ist<br />
intra-individuell relativ stabil, variiert aber inter-individuell (vgl. Mittelstaedt et al.<br />
1976, S. 86). Raju (1980) beschreibt das OSL folglich als „property that characterizes<br />
an individual in terms of his general response to environmental stimuli“ (S. 272). In<br />
empirischen Untersuchungen konnte ein positiver Zusammenhang zwischen dem OSL<br />
einer Person und deren Neigung zu explorativem Verhalten 26 wie z. B.<br />
Risikofreudigkeit, Markenwechselneigung, Variety-Seeking, Adaption neuer Produkte<br />
und Informationssuche festgestellt werden (vgl. Raju 1980; Joachimsthaler/Lastovicka<br />
26 Berlyne (1963) definiert exploratives Verhalten (Exploratory Behavior) als „behavior with the sole<br />
function of changing the stimulus field“ (S. 288) und konkretisiert dessen Zweck als „(…) (to)<br />
afford access to environmental information that was not previously available” (Berlyne 1960,<br />
S. 79).<br />
81
1984; Wahlers/Dunn/Etzel 1986, S. 389ff.; <strong>St</strong>eenkamp/Baumgartner 1992;<br />
Mittelstaedt et al. 1976, Menon/Kahn 1995). Ferner hat sich gezeigt, dass das OSL im<br />
Zusammenhang mit demografischen Variablen steht, negativ mit dem Alter und<br />
positiv mit dem Ausbildungsniveau korreliert (vgl. Raju 1980, S. 277, Kisch/Busse<br />
1968; Robertson 1971). Eine Person mit hohem OSL lässt sich damit als „one who has<br />
a stronger than average need to seek and approach situations, activities, and ideas<br />
which are novel, changing, complex, surprising, and more intense“<br />
(Kish/Donnenwerth 1969, S. 49) charakterisieren.<br />
Für diese Arbeit ist insbesondere der <strong>von</strong> Raju (1980) gezeigte Zusammenhang<br />
zwischen dem OSL und dem Wunsch nach Vielfalt und Abwechslung einer Person<br />
<strong>von</strong> Interesse: Demnach neigen Personen mit hohem OSL eher dazu „to seek change<br />
or variety“ (S. 276). Ferner beschreibt Raju, dass Personen mit hohem OSL „feel less<br />
threatened by ambiguous stimuli and are more likely to respond rather than withdraw<br />
from such stimuli“ (Raju 1980, S. 280). Individuen mit hohem OSL reagieren folglich<br />
auf uneindeutige <strong>St</strong>imuli in einer Kaufsituation, wie z. B. eine Produktauswahl ohne<br />
dominierende Alternative, nicht mit sofortigem Kaufabbruch, sondern empfinden den<br />
hohen <strong>St</strong>imulationsgrad evtl. sogar als angenehm.<br />
<strong>Der</strong> <strong>von</strong> der Theorie des Optimum <strong>St</strong>imulation Levels postulierte Zusammenhang <strong>von</strong><br />
<strong>St</strong>imulationshöhe und affektiver Reaktion des Konsumenten gleicht der <strong>von</strong> Berlyne<br />
(1971) untersuchten Abhängigkeit des Hedonic Value <strong>von</strong> der Höhe des<br />
Erregungspotenzials (Arousal Potential) einer Situation. <strong>Der</strong> Hedonic Value beschreibt<br />
dabei „the pleasure and the reward value people receive from increasing or<br />
decreasing arousal“ (Hank/Prinkey 1986, S. 124). Diese Größe stellt somit ebenfalls<br />
eine affektive Reaktion auf die Höhe des <strong>St</strong>imulationsniveaus einer Situation dar. <strong>Der</strong><br />
Theorie <strong>von</strong> Berlyne (1971) folgend, führt eine Erhöhung des Arousal Potentials<br />
zunächst zu einem höherem positiven Hedonic Value, bis dieser nach einem<br />
bestimmten Punkt, der als „optimum arousal level“ (Hank/Prinkey 1986, S. 124)<br />
bezeichnet werden kann, mit weiter steigendem Erregungspotential sinkt und<br />
schließlich negativ wird. Hank und Prinkey (1986) konnten zeigen, dass der<br />
Optimalpunkt <strong>von</strong> den Persönlichkeitsmerkmalen des Konsumenten (Introverts vs.<br />
Extroverts) abhängig ist und somit interpersonell schwankt (vgl. Hank/Prinkey 1986,<br />
S. 128ff.). Abbildung 24 stellt den Zusammenhang grafisch dar.<br />
82
Positive<br />
Hedonic<br />
Value<br />
Introverts<br />
Extroverts<br />
Arousal<br />
Potential<br />
Negative<br />
Hedonic<br />
Value<br />
Abbildung 24: Zusammenhang <strong>von</strong> Erregungspotenzial (Arousal Potential) und Hedonic Value und<br />
deren Abhängigkeit <strong>von</strong> Persönlichkeitsmerkmalen (Extroverts im Vergleich zu Introverts). Quelle:<br />
Hank/Prinkey 1986, S. 126)<br />
Eine ähnliche Erklärung des Konsumentenverhaltens liefert auch das auf Faison (1977,<br />
S. 172ff.) zurückgehende theoretische Konzept „The variety drive“, das ebenfalls<br />
da<strong>von</strong> ausgeht, dass der Mensch einen gewissen „Spannungszustand“ als ideal<br />
empfindet. Hierauf soll aber an dieser <strong>St</strong>elle nicht näher eingegangen werden.<br />
Zusammenfassung und Bezug zur Untersuchung<br />
Fasst man die obigen Erläuterungen und Ergebnisse zusammen, so lassen sich daraus<br />
im Wesentlichen zwei Konsequenzen für diese Untersuchung ableiten:<br />
Zum einen bietet die Theorie des Optimum <strong>St</strong>imulation Level einen motivationstheoretischen<br />
und somit affektiv begründeten Ansatz zur Erklärung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong>. Die Theorie stellt insbesondere einen Bezug zu bestimmten<br />
Verhaltensweisen <strong>von</strong> Konsumenten bei zu geringer bzw. zu großer Vielfalt her. So<br />
kann zu geringe Produktauswahl in einem Geschäft Konsumenten dazu motivieren, ein<br />
weiteres Geschäft mit einer größeren Auswahl aufzusuchen und somit zum<br />
vorläufigen Abbruch bzw. Aufschub der Kaufhandlung führen. Auf zu hohe<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> reagiert der Konsument im (für den Anbieter) besten Fall damit, dass<br />
er einen Teil der Produkte oder Produktinformationen nicht beachtet und dadurch die<br />
<strong>St</strong>imulation reduziert, im schlimmsten Fall tut er dies, indem er das Geschäft verlässt<br />
und den Kauf in einem anderen Geschäft mit geringerer Auswahl fortsetzt. Insgesamt<br />
83
liefert die Theorie des Optimum <strong>St</strong>imulation Level Hinweise dafür, dass sehr hohe<br />
Auswahlvielfalt das Kaufverhalten und die Kauf(prozess)bewertung negativ<br />
beeinflussen. Will man auf einen funktionalen Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>,<br />
Kaufintention und Zufriedenheitsurteilen schließen, so legt diese Theorie die<br />
Annahme eines umgekehrt-u-förmigen Zusammenhangs nahe. Die Ableitung einer<br />
funktionalen Abbildungsvorschrift <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und deren <strong>Wert</strong> aus<br />
Konsumentensicht ist aber nicht Bestandteil der vorliegenden Untersuchung.<br />
<strong>Der</strong> zweite wichtige Punkt für diese Untersuchung ergibt sich aus dem<br />
inter-individuellen Unterschied des OSL: Personen empfinden ein unterschiedlich<br />
hohes Niveau an <strong>St</strong>imulation als optimal. Übertragen auf Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> bedeutet dies, dass Nutzen- und Kostenaspekte <strong>von</strong> Person zu Person<br />
schwanken, abhängig da<strong>von</strong>, ob die vorgefundene <strong>Produktvielfalt</strong> unterhalb, oberhalb<br />
oder im Optimum des Konsumenten liegt. Es bietet sich deshalb an, das OSL als<br />
personenspezifischen Moderator in die Untersuchung einzubeziehen.<br />
2.2.3 <strong>Produktvielfalt</strong> und „The Tyranny of Freedom”<br />
Barry Schwartz (2000) argumentiert in seinem vielbeachteten Artikel<br />
„Self-Determination: The Tyranny of Freedom“, dass „freedom, autonomy and<br />
self-determination can become excessive, and that when that happens, freedom can be<br />
experienced as a kind of tyranny“ (S. 79). Schwartz stellt dabei insbesondere die <strong>von</strong><br />
der rationalen Entscheidungstheorie (Rational Theory of Choice) angenommene<br />
positive Wirkung der durch Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten entstandene<br />
Freiheit, Autonomie und Selbstbestimmtheit auf das (psychische) Wohlbefinden eines<br />
Individuums in Frage (vgl. Schwartz 2000, S. 80f). The Tyranny of Freedom<br />
beschäftigt sich somit im Kern mit der Fragestellung, ob es für einen Konsumenten<br />
vorteilhaft ist, sehr viele Optionen zur Wahl zu haben, anstatt aus einer<br />
überschaubaren Menge an Alternativen zu wählen. Schwartz kommt hierbei zu dem<br />
Schluss, dass sich eine übermäßige Anzahl an Optionen zur Allokation <strong>von</strong> Geld und<br />
Zeit negativ auf den Entscheidungsprozess und das emotionale Wohlbefinden des<br />
Konsumenten auswirken kann (vgl. S. 84).<br />
Zur Begründung seiner Folgerung stellt Schwartz die allgemeine Gültigkeit<br />
zentraler Annahmen der rationalen Entscheidungstheorie in Frage. Hierzu gehören<br />
beispielsweise die Annahme geordneter Präferenzen und vollständiger Information<br />
des Konsumenten und dessen Nutzenmaximierungsziel bei der Entscheidung.<br />
84
So argumentiert er z. B., dass die Annahme geordneter Präferenzen hinsichtlich aller<br />
mit einem bestimmten Ressourceneinsatz erzielbarer Optionen sowohl vollständige<br />
Informationen über alle Optionen, als auch die Möglichkeit zur Verarbeitung dieser<br />
Informationen durch den Konsumenten voraussetzt (vgl. Schwartz 2000, S. 81ff.).<br />
Schwartz kommt deshalb zu folgendem Schluss:<br />
„The idea that people are rational choosers is on the one hand too rich, by<br />
giving people credit for more calculation and flexibility than they possess, and<br />
on the other hand too impoverished, by failing to appreciate a range of<br />
influences on decision making that are not themselves amenable to rational<br />
calculation“ (Schwarz 2000, S. 83).<br />
<strong>Der</strong> Autor betont weiterhin, dass sich zu hohe Vielfalt nicht nur negativ auf den<br />
Kaufprozess, sondern auch auf die affektiven Reaktionen nach dem Kauf auswirken<br />
kann. Kaufentscheidungen hinterlassen bei Konsumenten dann ein „dissatisfied<br />
feeling that they might have done better“ (S. 84).<br />
Um seine Theorie empirisch zu untermauern, greift Schwartz auf die Theorie der<br />
Learned Helplessness zurück (vgl. Schwartz 2000, S. 85). Diese besagt, dass<br />
<strong>St</strong>euerbarkeit (Control) und Autonomie (Autonomy) des eigenen Handelns wichtige<br />
Voraussetzungen für die mentale Gesundheit sind (z. B. Abramson/Metalsky/Alloy<br />
1989; Peterson/Maier/Seligmann 1993; zitiert nach Schwartz 2000, S. 85). Fehlen<br />
diese, können dadurch unter bestimmten Umständen Depressionen entstehen. Im<br />
Umkehrschluss, so Schwartz, bedeutet dies, „that having control over significant<br />
things in one’s life is important to preventing clinical depression“ (S. 85).<br />
Dieser Theorie folgend, ist es nach Schwartz verwunderlich, dass sich in den USA,<br />
dem sprichwörtlichen „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ mit fast unbegrenzten<br />
Wahlmöglichkeiten, die Anzahl der an Depressionen leidenden Personen seit der<br />
Jahrhundertwende in etwa verzehnfacht hat (vgl. Schwartz 2000, S. 85). <strong>Der</strong> Autor<br />
führt diese Entwicklung auf drei Gründe zurück (vgl. Schwartz 2000, S. 85f.):<br />
Erstens hat die zunehmende (Wahl)freiheit zu übertriebenen und unrealistischen<br />
Erwartungen geführt, die stets <strong>von</strong> Perfektion ausgehen. Individuen haben diesen<br />
hohen Anspruch insbesondere auch gegen sich selbst. In diesem Zusammenhang hat<br />
die Individualisierung der (amerikanischen) Gesellschaft, die Schwarz als zweiten<br />
Grund anführt, dazu beigetragen, dass eine Person die Schuld für – unvermeidbares –<br />
suboptimales Verhalten in erster Linie bei sich selbst sucht. Drittens hat die Betonung<br />
<strong>von</strong> Autonomie und eigener <strong>St</strong>euerung zur Abnahme der Zugehörigkeit und Bindung<br />
85
an soziale Gruppen geführt, wodurch eine der wichtigsten „Abwehrmöglickeiten“ <strong>von</strong><br />
Depressionen an Einfluss verloren hat.<br />
Auf Basis dieser Argumentation kommt Schwarz (2000) zum Schluss, dass „freedom<br />
of choice is not all it’s cracked up to be, at least not with respect to psychological<br />
well-being“ (S. 86).<br />
Die theoretischen Überlegungen <strong>von</strong> Schwarz beziehen sich auf verschiedene<br />
Lebenssituationen, in denen Individuen eine <strong>von</strong> vielen Alternativen wählen können.<br />
In dem im nächsten Abschnitt beschriebenen „theoretischen Konzept“ überträgt<br />
Desmeules (2002) die Überlegungen <strong>von</strong> Schwartz auf die Wirkung <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> in einer Kaufentscheidungssituation.<br />
The Impact of Variety on Consumer Happiness: Marketing and the Tyranny of<br />
Freedom (Desmeules 2002)<br />
Desmeules (2002) greift in seinem Artikel auf Erkenntnisse und Annahmen der<br />
Tyranny of Freedom (Schwartz 2000, S. 79ff.) zur Erklärung der Wirkung <strong>von</strong> Vielfalt<br />
auf das Konsumerlebnis einer Person zurück. Er leitet daraus einen<br />
umgehehrt-u-förmigen Zusammenhang <strong>von</strong> Vielfalt und dem <strong>von</strong> ihm als<br />
„positiveness of consumption experience“ (S. 9) bezeichneten (positiven)<br />
Konsumerlebnis ab. In Abbildung 25 wird dieser grafisch dargestellt. Die Verwendung<br />
der Bezeichnung „positiveness of consumption experience“ an <strong>St</strong>elle <strong>von</strong> z. B.<br />
Zufriedenheit begründet der Autor damit, dass – wie später gezeigt wird – übermäßige<br />
Vielfalt aufgrund <strong>von</strong> Bedauern und Frustration zum Kaufabbruch führen kann und<br />
Zufriedenheit auf der Basis des Expectation-Disconfirmation Modells dann nicht mehr<br />
messbar ist (S. 9).<br />
86
Positiveness of<br />
consumption<br />
experience<br />
(Consumer<br />
Happiness)<br />
Erwartungen<br />
Risiko<br />
Involvement<br />
Erfahrung<br />
"Nutzeneffekte"<br />
• höherer Bedürfniserfüllungsgrad<br />
• mehr Spaß<br />
"Kosteneffekte"<br />
• Komplexe Informationsverarbeitung<br />
• Mehr Verwirrung und<br />
Frustration<br />
• Antizipiertes Regret<br />
1 2 3<br />
Point of<br />
Satisfaction<br />
Point of<br />
Regret<br />
Variety<br />
Abbildung 25: Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und positiver Konsumerfahrung. In Anlehnung an<br />
Desmeules 2002, S. 10<br />
<strong>Der</strong> in Abbildung 25 dargestellte Graph, der den Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
und positivem Konsumerlebnis darstellt besteht aus drei Abschnitten:<br />
• Einem ansteigenden Teil (1),<br />
• einem relativ flachen Plateau (2)<br />
• und einem abfallenden Abschnitt (3).<br />
Die drei Teile des Graphen werden dabei durch die als Point of Satisfaction bzw.<br />
Point of Regret bezeichneten <strong>St</strong>ellen auf der x-Achse <strong>von</strong>einander getrennt.<br />
<strong>Der</strong> Anstieg des Kurvenverlaufs im ersten Abschnitt bis zum Point of Satisfaction ist<br />
darauf zurückzuführen, dass durch die Verfügbarkeit mehrerer Optionen einerseits der<br />
Erfüllungsgrad der Bedürfnisse des Konsumenten steigt (S. 9) und sich die Auswahl<br />
andererseits positiv auf den hedonistische <strong>Wert</strong> des Einkaufserlebnisses auswirkt, d. h.<br />
das Einkaufen macht aufgrund der größeren Wahlmöglichkeiten mehr Spaß (S. 8). Ist<br />
mit dem Point of Satisfaction der Beginn des Plateaus (2) erreicht, wird durch weitere<br />
Optionen das positive Einkaufserlebnis weder gesteigert noch gemindert, bis mit dem<br />
Point of Regret das Ende des Plateaus erreicht ist: „Increased variety is an advantage<br />
to a consumer only up to a point“ (Baumol/ Ide 1956, S. 96).<br />
Im Bereich des Plateaus kann der Konsument die zusätzlichen Optionen<br />
berücksichtigen oder ignorieren, ohne dass sich dadurch die (positive) Wahrnehmung<br />
des Kaufprozesses verändert. Vom Point of Regret an beginnt die Kurve zu fallen, da<br />
„stress, frustration, disengagement from the process, or anticipated/experienced<br />
87
egret caused by heightened expectations and/or an inability to conduct all the<br />
evaluations and calculations (mathematically or otherwise) necessary to arrive at a<br />
choice“ (S. 9) das positive Erleben des Entscheidungsprozesses mindern und im<br />
Extremfall zu dessen Abbruch führen können.<br />
Den negativen Effekt hoher Vielfalt auf das Kauferlebnis erklärt Desmeules (2002,<br />
S. 10) auf Basis derTheorie der „Tyranny of Freedom“ (Schwartz 2000): Die hohe<br />
Vielfalt und der damit verbundene Beurteilungsaufwand überfordern den<br />
Konsumenten, was dazu führt, dass dieser die erste „zufrieden stellende“ Option wählt<br />
und dadurch das Risiko eingeht, eine bessere Alternative auszuschlagen (vgl.<br />
Muraven/Baumeister 2000, S. 247ff.; Keinan 1987, S. 639ff.). <strong>Der</strong> Rückgriff auf eine<br />
vereinfachende Heuristik führt zu einem Verlust der Kontrolle über den<br />
Entscheidungsprozess seitens des Käufers und kann als gelernte Hilflosigkeit (Learned<br />
Helplessness) (siehe S. 85) und somit als Teil der Theorie der „Tyranny of Freedom“<br />
interpretiert werden (vgl. Desmeules 2002, S. 10; Schwarz 2000; Schwarz et al. 2002).<br />
Nach der Argumentation <strong>von</strong> Desmeules (2002) führt hohe Vielfalt außerdem dazu,<br />
dass Kunden ihre Erwartungen und Ziele zu hoch stecken und dann <strong>von</strong> sich selbst<br />
enttäuscht sind, wenn sich diese nicht erfüllen bzw. sie diese nicht erreichen: „These<br />
poor self-evaluations then produced emotional distress (...)“ (Desmeules 2002, S. 10).<br />
Unterstützt wird die Schlussfolgerung des Autors auch durch die Untersuchungen <strong>von</strong><br />
Baumeister/Heatherton/Tice (1994), die zeigen, dass unrealistische Ziele zu einem<br />
Versagen der Selbstkontrolle (Self-Regulation) und dadurch zu negativen Emotionen<br />
führen.<br />
Die Lage des Point of Regret auf der x-Achse und damit der Beginn der negativen<br />
Wirkung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> hängt nach Desmeules (2002, S. 11) vor allem <strong>von</strong> der<br />
Erfahrung und Expertise des Konsumenten, dessen Erwartungen, Involvement und<br />
wahrgenommenem Risiko ab. So ist da<strong>von</strong> auszugehen, dass der Point of Regret eines<br />
Konsumenten, der mit der Produktkategorie vertraut ist, weiter rechts auf der x-Achse<br />
liegt, als der eines unerfahrenen Konsumenten. <strong>Der</strong> erfahrene Käufer kann damit mehr<br />
Vielfalt „verarbeiten“ als der unerfahrene. Dies ist damit zu begründen, dass ein<br />
„Experte“ die (für sich) entscheidungsrelevanten Attribute eines Produktes kennt und<br />
auf dieser Basis die verfügbaren Optionen schnell auf eine überschaubare und<br />
verarbeitbare Anzahl an Alternativen, die für den Kauf in Frage kommen<br />
(Consideration Set), reduzieren kann (vgl. z. B. Huffmann/Kahn 1998, S. 492ff.;<br />
Bettman/Park 1980, S. 242ff., Rao/Monroe 1988, S. 254ff.).<br />
88
Höhere Erwartungen, größeres Risiko und höheres Involvement bewirken nach<br />
Desmeules (2002, S. 11.) eine Verschiebung des Point of Regret nach links:<br />
Hohe Erwartungen, die durch die Vielfalt selbst oder durch Werbung gefördert<br />
werden (vgl. Richins 1991), können, wie bereits erläutert, zur Enttäuschung über die<br />
eigene Unfähigkeit, das beste Produkt zu finden, und dadurch zur Antizipation <strong>von</strong><br />
Bedauern führen. <strong>Der</strong> Point of Regret <strong>von</strong> Personen, die sehr hohe Erwartungen haben<br />
– Schwartz et al. (2002) bezeichnen diese als „Maximizers“ (S. 1178) – sollte folglich<br />
im Vergleich zu Personen mit geringeren Erwartungen („Satisficers“) weiter links auf<br />
der x-Achse liegen.<br />
Markman, Zhang und Moreau (2000) konnten zeigen, dass in Situationen mit hohem<br />
(finanziellen) Risiko die Entscheider größere Consideration Sets haben und daher<br />
leichter überfordert werden. Gleiches gilt für Kaufsituationen, in denen der<br />
Konsument hohes Involvement empfindet: <strong>Der</strong> Konsument möchte „Herr der Lage“<br />
sein und die Kontrolle über den eigenen Entscheidungsprozess haben. Führt hohe<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> zu einem schwierigen und frustrierenden Entscheidungsprozess,<br />
empfindet dies ein hoch involvierter Käufer als Verlust der Kontrolle, wofür er sich<br />
selbst die Schuld gibt. Trifft der Konsument dennoch eine Kaufentscheidung,<br />
projiziert er die Schuld eines eventuellen Fehlkaufs auf sich und empfindet dadurch<br />
stärkeres Regret (vgl. Desmeules 2002, S. 11).<br />
Sowohl die Expertise als auch das Involvement einer Person haben somit<br />
zusammenfassend Einfluss auf deren Reaktion auf <strong>Produktvielfalt</strong> und somit auch auf<br />
die mit Vielfalt verbundenen Kosten- und Nutzenaspekte.<br />
Zusammenfassung und Bezug zur vorliegenden Untersuchung<br />
Die Theorie der „Tyranny of Freedom“ <strong>von</strong> Schwartz (2000) und deren Anwendung<br />
auf eine hohe <strong>Produktvielfalt</strong> in Kaufsituationen durch Desmeules (2002) zeigen<br />
Ansatzpunkte sowohl für die positiven als auch für die negativen Aspekte <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong>. Interessant ist hierbei vor allem, dass die Theorie die Auswirkungen<br />
<strong>von</strong> Vielfalt auf das Kaufverhalten und auf das affektive Erlebnis des Kaufprozesses<br />
beschreibt. Damit stellt sie einen expliziten Zusammenhang <strong>von</strong> Vielfalt,<br />
Kaufverhalten und Nachkaufbewertung her und gibt Hinweise auf das zu<br />
entwickelnde Gesamtmodell der Wirkung <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
auf das Kaufverhalten und die nachgelagerten Evaluationsprozesse und -ergebnisse.<br />
89
Desmeules (2002) hat weiterhin den Einfluss personenspezifischer Merkmale wie<br />
Involvement und Expertise auf die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> betont. Diese können<br />
als Anhaltspunkte für personenspezifischen Moderatoren der Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> dienen (siehe Kapitel 4.4.3, S. 352).<br />
2.2.4 Zusammenfassung<br />
Die dargestellten Theorien des Optimum <strong>St</strong>imulation Level und der Tyranny of<br />
Freedom und die Hypothesen zum Informationsdefizit und zur Informationsüberlastung<br />
geben mit verschiedenen Ansätzen und Schwerpunkten Hinweise für die<br />
Reaktion <strong>von</strong> Konsumenten auf unterschiedlich hohe <strong>Produktvielfalt</strong> und damit auf<br />
Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>. Gemeinsam ist allen drei Ansätzen, dass sie<br />
insgesamt <strong>von</strong> einem umgekehrt-u-förmigen Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und<br />
positivem Kaufverhalten bzw. Kauf(prozess)bewertung ausgehen. Dies lässt sich in<br />
einer Hypothese zum abnehmenden Grenznutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
zusammenfassen:<br />
Hypothese zum abnehmenden Grenznutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Nach dem Gesetz des abnehmenden Grenznutzens nimmt der Nutzen eines Gutes mit<br />
dessen zunehmendem Konsum ab (vgl. Woll 1978, S. 91). Interpretiert man die<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> in der Entscheidungssituation nicht als gegeben, sondern als<br />
nachfragbares Gut, dann lässt sich das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen auf<br />
Basis der beschriebenen Theorien auch auf den <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> übertragen<br />
(vgl. Berndt 1983, S. 47):<br />
<strong>Der</strong> <strong>Wert</strong> einer zusätzlichen Alternative nimmt mit zunehmender Anzahl bereits zur<br />
Verfügung stehender Wahlmöglichkeiten ab, d. h. jede zusätzlich verfügbare<br />
Produktalternative hat einen geringeren Grenznutzen (in der hier verwendeten<br />
Terminologie einen geringeren Grenzwert). <strong>Der</strong> Gesamtwert der <strong>Produktvielfalt</strong> steigt<br />
somit in immer geringer werdenden Raten mit dem Angebot zusätzlicher Alternativen<br />
bis zu einem Optimum an, <strong>von</strong> wo ab er sinkt. Ebenso argumentierten bereits 1956<br />
Baumol und Ide: „An increased number of items will at first yield increasing average<br />
returns, then decreasing marginal and average returns. Finally, it will yield negative<br />
marginal returns“ (Baumol/ Ide 1956, S. 98). <strong>Der</strong> Grenznutzen einer zusätzlichen<br />
Produktalternative wird demzufolge ab einer bestimmten <strong>St</strong>elle negativ. Zu einem<br />
90
ähnlichen Ergebnis in der Domäne des Konsumentenverhaltens kommt auch Bucklin<br />
(1967), der den Zusammenhang der Größe eines Einkaufscenters und seinem Nutzen<br />
aus der Sicht <strong>von</strong> Konsumenten untersucht hat: „(...) as the downward sloping<br />
character of the curve suggests, additional size has a negative effect upon utility. (...)<br />
Very large centers above the size necessary for maximum economics of scale for price<br />
competition, are likely to repel these shoppers“ (S. 42).<br />
Abbildung 26 stellt den angenommenen Kurvenverlauf <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und dessen<br />
<strong>Wert</strong> aus Konsumentensicht grafisch darf.<br />
Betrachteter Bereich<br />
<strong>Wert</strong>, Nutzen, Kosten<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
"Nutzen"<br />
"<strong>Wert</strong>"<br />
"Kosten"<br />
δ <strong>Wert</strong><br />
δ # Alternativen<br />
Produktanzahl<br />
Abbildung 26: Hypothese des abnehmenden Grenznutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>. In Anlehnung an<br />
Berndt 1983, S. 47 (Die Untersuchung wird insgesamt auf den grau unterlegten Bereich hoher<br />
Vielfalt eingeschränkt.)<br />
Verdeutlichen kann man den Kurvenverlauf <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und dessen <strong>Wert</strong> für<br />
Konsumenten, indem man den Gesamteffekt in einen „Nutzeneffekt“ und einen<br />
„Kosteneffekt“ aufteilt. Aus den beschriebenen theoretischen Überlegungen kann<br />
dann der Schluss gezogen werden, dass mit zunehmender Vielfalt der Nutzen zunächst<br />
ansteigt und sich dann asymptotisch einem Grenzwert nähert (Gossen’sches Gesetz,<br />
vgl. Woll 1978, S. 91). Im Gegensatz hierzu sind die Kosten <strong>von</strong> Vielfalt anfänglich<br />
relativ gering, steigen dann aber mit zunehmender Vielfalt stark an, was insgesamt zu<br />
91
einem negativen Grenznutzen (Grenzwert) zusätzlicher Produktalternativen führen<br />
kann.<br />
Die Kurvenverläufe begründen die beschriebenen Theorien unterschiedlich: So wird<br />
der steigende Nutzen <strong>von</strong> größerer Auswahl durch die bessere Informationsbasis bei<br />
der Entscheidung (Hypothese des Informationsdefizits), die Erfüllung des<br />
<strong>St</strong>imulationsbedürfnisses (Optimum <strong>St</strong>imulation Level) und den höheren<br />
Erfüllungsgrad <strong>von</strong> funktionalen und hedonistischen Erwartungen (Tyranny of<br />
Freedom) erklärt. Im Gegensatz hierzu begründen die Theorien den Verlauf der<br />
Kostenkurve relativ ähnlich: Im Wesentlichen sind die mit höherer <strong>Produktvielfalt</strong><br />
steigenden kognitiven und emotionalen Aufwände auf eine Überforderung des<br />
Konsumenten bei der Informationsverarbeitung und Bewertung der Alternativen sowie<br />
auf Entscheidungskonflikte zurückzuführen. <strong>Der</strong> Käufer reagiert auf diese psychischen<br />
Kosten mit der (bewussten) Anwendung vereinfachender Heuristiken, was wiederum<br />
das Risiko einer Fehlentscheidung erhöht und dem Konsumenten das Gefühl gibt, die<br />
Kontrolle über die Entscheidung zu verlieren. Dadurch kann antizipiertes und<br />
wahrgenommenes Regret entstehen, das sich nicht nur auf den Ausgang der<br />
Kaufentscheidung, sondern auch auf die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess und dem<br />
evtl. gekauften Produkt auswirkt.<br />
Insgesamt haben die beschriebenen theoretischen Überlegungen mit unterschiedlichen<br />
Erklärungsansätzen Hinweise dafür gegeben, dass hohe Vielfalt aus Konsumentensicht<br />
nicht nur positive, sondern auch negative Aspekte hat.<br />
Das Aufzeigen der Existenz dieser negativen Facetten hoher <strong>Produktvielfalt</strong>, die<br />
in dieser Arbeit als Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (KPV) bezeichnet werden, ist das<br />
zentrale Ziel der vorliegenden Arbeit.<br />
Dies lässt sich in der zentralen Hypothese der vorliegenden Untersuchung wie folgt<br />
zusammenfassen:<br />
Hypothese 1: Hohe <strong>Produktvielfalt</strong> ist für Konsumenten nicht nur mit Nutzensondern<br />
auch mit Kostenaspekten verbunden. Diese beeinflussen den Ausgang<br />
der Kaufentscheidung und die Nachkaufbewertung aus Unternehmenssicht in<br />
negativer Weise.<br />
Da die Arbeit das Ziel hat, die Existenz negativer Effekte hoher <strong>Produktvielfalt</strong><br />
aufzuzeigen, konzentriert sie sich folglich auf den rechten, grau unterlegten Teil der<br />
Abbildung 26, d. h. den Bereich des abnehmenden Grenznutzens bzw. Grenzwerts.<br />
92
Entsprechend muss bei der empirischen Untersuchung ein Design gewählt werden, in<br />
dem Konsumenten aus einem großen Sortiment mit hoher Vielfalt wählen können. Um<br />
die Hypothese zu überprüfen, ist zu untersuchen, ob sich die gemessenen<br />
Kostenaspekte negativ auf das Kaufverhalten und die Nachkaufbewertung auswirken.<br />
Die letzten Abschnitte haben auf Basis unterschiedlicher theoretischer Überlegungen<br />
ein Spektrum der Nutzen- und Kostenkomponenten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
aufgezeigt. Im nächsten Kapitel werden darauf aufbauend verschiedene Theorien<br />
beschrieben, die eine theoretische Erklärung <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> im Hinblick auf das Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten geben. Die<br />
dargestellten Theorien und theoretischen Konzepte dienen als Argumentationsgrundlage<br />
für die Herleitung der Facetten der Kosten- und Nutzendimension des<br />
<strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>, sowie deren Konsequenzen und Determinanten.<br />
93
2.3 Theoretische Bezugspunkte zur Erklärung <strong>von</strong> Kosten und<br />
Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
2.3.1 Theorien zur Erklärung des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
„Je mehr, desto besser“<br />
(deutsches Redensart)<br />
Dieses Kapitel stellt Theorien zu theoretischen Erklärungen des Nutzens <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> aus Konsumentensicht dar. Hierbei werden in der Literatur meist zwei<br />
Aspekte unterschieden:<br />
„Most classifications (...) of consumer benefits start with the distinction<br />
between utilitarian (extrinsic) and hedonic (intrinsic) benefits (...). Utilitarian<br />
benefits are primarily instrumental, functional and cognitive; they provide<br />
consumer value by being a means to and end. Hedonic benefits are noninstrumental,<br />
experiential, and affective; they are appreciated for their own sake,<br />
without further regard to their practical purposes“ (Chandon/<br />
Wansink/Laurent 2000, S. 66; Hervorhebungen nicht im Original).<br />
Die utilitaristischen, nutzenorientierten Gesichtspunkte beziehen sich somit auf den<br />
mit höherer <strong>Produktvielfalt</strong> steigenden Erfüllungsgrad der individuellen Bedürfnisse<br />
und Präferenzen eines Konsumenten. Dies wurde im Einführungsteil der Arbeit als<br />
Customization Funktion <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> bezeichnet (siehe S. 2). Die hedonistische<br />
Komponente <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> könnte, vereinfacht gesagt, als „Spaß an der<br />
<strong>Produktvielfalt</strong>“ bezeichnet werden. Mano und Oliver (1993) kontrastieren die beiden<br />
Aspekte als „thinking versus feeling“ (S. 452), womit diese den „archetypal<br />
constructs of emotion and reason“ (Chaudhuri/Holbrook 2001. S. 85) entsprechen.<br />
94
Die Nutzenerwartungswerttheorie und die Theorie des Hedonic Shopping Value<br />
dienen als Basis zur Erklärung der utilitaristischen und der hedonistischen<br />
Komponente des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und werden nachfolgend beschrieben.<br />
2.3.1.1 Nutzenerwartungswerttheorie und rationale Entscheidungstheorie<br />
„de gustibus non est disputandum“<br />
(lateinisches Sprichwort unbekannter Herkunft)<br />
„Geschmäcker und Ohrfeigen sind verschieden.“<br />
(deutsches Sprichwort)<br />
„(...) a high-variety strategy (or customisation strategy) increases the likelihood that<br />
each consumer will find exactly what she or he wants“ (Kahn 1998, S. 46).<br />
Barbara Kahn umschreibt mit diesem Satz die zentrale Hypothese der rationalen<br />
Entscheidungstheorie (Rational Theory of Choice) (vgl. Luce 1959, 1977;<br />
Tversky/Shafir 1992, S. 358; Schmidt 1995; siehe auch S. 43f.) zum Zusammenhang<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten: Mit der Anzahl an Produktalternativen<br />
steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Konsument unter den verfügbaren<br />
Optionen eine findet, die seinen Vorstellungen entspricht und er diese deshalb kauft.<br />
Hierbei liegen u. a. die Annahmen zugrunde, dass Konsumenten erstens das Ziel<br />
haben, ihren Nutzen zu maximieren und die beste Option wählen, und sie zweitens<br />
die Alternativen bewerten sowie ihre Präferenzen bestimmen können (vgl.<br />
Desmeules 2002, S. 1). Auf diese Funktion <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> wurde in der Literatur<br />
an vielen <strong>St</strong>ellen hingewiesen (vgl. z. B. Iyengar/Lepper 2000, S. 996; Baumol/Ide<br />
1956, S. 93; Desmeules 2002, S. 4; Schmidt 1990, S. 245; Wright/Barbour 1975,<br />
S. 248; Kaish 1967, S. 31; Billot/Thisse 1999, S. 519).<br />
95
Das Grundmodell der Nutzenerwartungswerttheorie<br />
In diesem Abschnitt werden die Grundannahmen der rationalen Entscheidungstheorie<br />
(Rational Theory of Choice) kurz skizziert. Dabei geht es um die Modellierung <strong>von</strong><br />
Situationen, in denen sich ein Konsument für eine der zur Wahl stehenden<br />
Alternativen entscheidet (Quantal Choice Problem, siehe S. 39). Die Alternativenmenge<br />
enthält dabei alle verfügbaren, sich gegenseitig ausschließenden<br />
Handlungsoptionen, was auch die Option des Kaufabbruchs oder der Beibehaltung des<br />
<strong>St</strong>atus quo beinhaltet. Formal werden die in einer Entscheidungssituation zur<br />
Verfügung stehenden Alternativen durch die Alternativenmenge F, mit den<br />
Elementen f 1 , f 2 , ... f n bezeichnet (vgl. Schmidt 1995, S. 24ff.):<br />
F = {f 1 , f 2 , ... f n }<br />
Die Konsequenzen, die mit der Entscheidung für eine Alternative verbunden sind,<br />
hängen dabei vom jeweiligen Umweltzustand ab. So hat beispielsweise der Kauf eines<br />
Cabrios unterschiedliche Konsequenzen, je nachdem, ob es regnet oder die Sonne<br />
scheint. Zur formalen Beschreibung des Entscheidungsmodells ist deshalb eine<br />
endliche Umstandsmenge Z, welche die in einer Entscheidungssituation relevanten<br />
Umstände beschreibt, und eine endliche Konsequenzenmenge C zur Beschreibung der<br />
möglichen Konsequenzen der Handlungen erforderlich:<br />
Z = {A, B , ... }<br />
C = { c 1 , c 2 , ... }<br />
Damit lässt sich die intuitiv nachvollziehbare Annahme, dass Handlungsalternativen<br />
unter verschiedenen Umständen unterschiedliche Konsequenzen haben, formal wie<br />
folgt darstellen: Jedes Element f der Alternativenmenge F kann als eine Funktion <strong>von</strong><br />
der Zustands- in die Konsequenzenmenge aufgefasst werden, d. h. für jedes f ∈ F gilt:<br />
f : Z a<br />
z a<br />
C<br />
f ( z )<br />
Im Grundmodell der Nutzenerwartungswerttheorie geht es nun im Kern um die Frage,<br />
welche Alternative in einer Entscheidungssituation ein Individuum gemäß rationaler<br />
96
Kriterien wählen soll. Da dem Entscheider die zukünftigen Umstände unbekannt sind<br />
und er deshalb eine Entscheidung unter Unsicherheit treffen muss, geht die<br />
Nutzenerwartungswerttheorie da<strong>von</strong> aus, dass einem Individuum eine subjektive<br />
Wahrscheinlichkeitsfunktion P, die die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines<br />
Umstands angibt, zugeschrieben werden kann:<br />
P:Z<br />
a<br />
[ 0,1]<br />
A a<br />
P( A )<br />
Dem Individuum wird ferner eine Nutzenfunktion U zugeordnet, die der jeweiligen<br />
Konsequenz eine reelle Zahl, den „Nutzen“ zuordnet:<br />
U: C a<br />
c a<br />
R<br />
U( c )<br />
<strong>Der</strong> Erwartungswert des Nutzens einer Alternative f x ∈ F ergibt sich somit wie folgt:<br />
E( U ( f )) = U ( f ( z))<br />
⋅ P({<br />
z})<br />
(2)<br />
x<br />
∑<br />
z∈Z<br />
x<br />
Damit lässt sich das Grundprinzip der Nutzenerwartungswerttheorie formulieren:<br />
„Wähle diejenige Alternative, für die der Erwartungswert des Nutzens maximal ist“<br />
(Schmidt 1995, S. 32). Dieses Prinzip der Maximierung des Nutzenerwartungswerts ist<br />
im vereinfachten Fall <strong>von</strong> zwei Handlungsalternativen f 1 und f 2 genau dann erfüllt,<br />
wenn gilt:<br />
∑<br />
z∈Z<br />
∑<br />
f 1 ≥ f2<br />
⇔ U( f1(<br />
z )) ⋅ P({ z }) ≥ U( f2(<br />
z )) ⋅ P({ z })<br />
(3)<br />
z∈Z<br />
wobei „f 1 ≥ f 2 “ bedeutet, dass „f 1 gegenüber f 2 schwach vorgezogen wird“ (vgl.<br />
Schmidt 1995, S. 33). Dieses Grundprinzip ist nicht auf zwei Alternativen beschränkt<br />
und kann z. B. durch paarweise Vergleiche auf beliebig große Alternativenmengen<br />
angewendet werden.<br />
Die folgenden Ausführungen basieren auf diesem Grundmodell der Nutzenerwartungswerttheorie<br />
bzw. der „klassischen Entscheidungstheorie“.<br />
97
Produktnutzen und Produktwahlverhalten<br />
Zentraler Aspekt der Rational Theory of Choice ist der vom Konsumenten erwartete<br />
Nutzen eines Produkts. Er kann als ein „subjektives Maß der Attraktivität eines<br />
Resultats“ (Seilheimer 2001, S. 8) bezeichnet werden, wobei unter „Resultat“ die<br />
Entscheidung für ein Produkt, sowie dessen anschließender Konsum zu verstehen ist.<br />
<strong>Der</strong> erwartete Produktnutzen ist dabei nicht auf die funktionalen Aspekte des<br />
Produkts, die aus dessen physikalisch-chemisch-technischen Eigenschaften folgen<br />
(vgl. Herrmann 1992, S. 25), begrenzt, sondern „summarize(s) the desirability of<br />
alternatives“ (McFadden 1986, S. 280) und beinhaltet damit auch Produkteigenschaften<br />
wie „Prestige, Geltung und <strong>St</strong>atus“ (Herrmann 1998, S. 14).<br />
Die Ansätze der rationalen Entscheidungstheorie basieren auf der Annahme, dass das<br />
Konsumentenverhalten „aus dem Prozess der multiattributiven Produktbeurteilung<br />
abzuleiten“ (Herrmann 1998, S. 102) ist. Im vereinfachten, diskreten Entscheidungsmodell<br />
hängt der Nutzen, den das Produkt i dem Konsumenten k stiftet, demnach <strong>von</strong><br />
dessen persönlichen, marketingpolitischen Merkmalen s k und den <strong>von</strong> ihm als<br />
entscheidungsrelevant wahrgenommenen Produktmerkmalen z ik ab (vgl. Herrmann<br />
1998, S. 104):<br />
U ik = U ik (z ik , s k ) (4)<br />
U ik<br />
z ik<br />
s k<br />
Nutzen <strong>von</strong> Produkt i für Konsument k<br />
Vektor der vom Konsument k als entscheidungsrelevant wahrgenommenen Eigenschaften<br />
(Attribute) <strong>von</strong> Produkt i<br />
Vektor der persönlichen Merkmale <strong>von</strong> Konsument k<br />
Je nachdem, ob bei der Produktbeurteilung <strong>von</strong> konstanten, dem Konsumenten<br />
bekannten Nutzenwerten oder <strong>von</strong> probabilistischen Nutzenwerten für die Alternativen<br />
ausgegangen wird, spricht man vom Konstantnutzen- oder Zufallsnutzenmodell der<br />
Entscheidungstheorie. Im letzteren Fall resultiert die Nutzenbewertung einer<br />
Alternative neben den persönlichen Merkmalen des Entscheiders und den<br />
Produkteigenschaften auch aus einem Zufallsterm zur Erfassung zufälliger Einflüsse<br />
auf die Nutzenbewertung (vgl. Herrmann 1998, S. 106ff.). Die Unterschiede dieser<br />
98
Modelle sind für die weitere Argumentation nicht relevant und werden deshalb an<br />
dieser <strong>St</strong>elle nicht vertieft 27 .<br />
Entscheidend ist vielmehr der Zusammenhang <strong>von</strong> Nutzenbewertung und<br />
Produktwahlverhalten, der sich aus dem Prinzip der Maximierung des Nutzenerwartungswerts<br />
ergibt und wie folgt darstellen lässt (vgl. Herrmann 1998, S. 106):<br />
P ik = P ik (U ik ≥ U jk ) (5)<br />
P ik<br />
U ik , U jk<br />
Wahrscheinlichkeit, dass der Konsument k das Produkt i wählt<br />
Nutzen <strong>von</strong> Option i bzw. Option j<br />
Demnach ist die Wahrscheinlichkeit, mit der sich ein Konsument für eine verfügbare<br />
Option entscheidet gleich der Wahrscheinlichkeit, dass der Nutzen dieser Option<br />
mindestens so groß ist wie der Nutzen einer anderen Option (vgl. Herrmann 1998,<br />
S. 106). Die Wahrscheinlichkeit der Wahl einer Alternative ist folglich proportional zu<br />
deren Nutzen.<br />
Ein wichtiger Aspekt der rationalen Entscheidungstheorie soll an dieser <strong>St</strong>elle<br />
nochmals betont werden: Ein Element der Kaufentscheidung wie z. B. ein zur Wahl<br />
stehendes Produkt, stiftet dem Entscheider ausschließlich Nutzen „by being a means<br />
to and end“ (Chandon/Wansink/Laurent 2000, S. 66). Die means-end Theorie greift<br />
diesen Grundgedanken der Zielorientierung des Konsumentenverhaltens auf und<br />
erklärt dies mit Hilfe <strong>von</strong> Mittel-Ziel (means-end) Ketten (vgl. Herrmann 1998,<br />
S. 31). Demnach kommt „die Motivation zum Kauf eines Produkts (...) dadurch<br />
zustande, dass ein Konsument das Produkt als geeignetes Mittel wahrnimmt<br />
(=kognitiver Vorgang), um angenehme Gefühle zu verwirklichen und seine Triebe<br />
zu befriedigen (...)“ (Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 147). Ein Konsument erwirbt<br />
nach den Ideen der means-end Theorie ein Produkt mit bestimmten Eigenschaften<br />
(z. B. Laufschuh mit Fersenstütze), um durch dessen funktionalen Nutzen (z. B.<br />
schneller laufen) erstrebenswerte Zielzustände zu erreichen. Letztere werden durch<br />
relativ stabile instrumentale (z. B. körperliche Fitness) und terminale<br />
<strong>Wert</strong>haltungen (z. B. Selbstachtung) des Individuums generiert (vgl. Herrmann<br />
1998, S. 31ff.). Da der Zielzustand nur durch den Kauf des Produkts erreicht werden<br />
kann, dient dieses letztlich als „Mittel zum Zweck“.<br />
27 Eine ausführliche Darstellung verschiedener Modelle findet sich beispielsweise bei McFadden<br />
1985, S. 275ff. und 1981, S. 198ff. oder bei Herrmann 1992, S. 85ff.<br />
99
Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Produktnutzen<br />
Die Annahme der rationalen Entscheidungstheorie, „(…) that an increase in variety<br />
will be accompanied by an increase in the likelihood that consumers find exactly what<br />
they are looking for“ (Desmeules 2002, S. 1) lässt sich folgendermaßen<br />
veranschaulichen:<br />
Geht man da<strong>von</strong> aus, dass sich ein Produkt als ein Bündel <strong>von</strong> Eigenschaften<br />
beschreiben und spezifizieren lässt und ein Konsument einen „Idealpunkt“<br />
hinsichtlich der Ausprägungen dieser Eigenschaften hat, dann nimmt die Bewertung<br />
(Evaluation) eines Produkts ab „as the ‚distance’ between its specification and that of<br />
consumer’s ideal good increases“ (Lancaster 1990, S. 197). Da die <strong>Wert</strong>schätzung<br />
eines Objekts <strong>von</strong> dessen relativer Lage zum Idealpunkt im Attributraum abhängig ist,<br />
wird diese Modellart auch als Locational, Locational analog, oder Neo-Hotelling<br />
Models bezeichnet (vgl. Lancaster 1990, S. 191, 198f.). Wie sich zunehmende Vielfalt<br />
unter diesen Annahmen auf die Produktbewertung durch Konsumenten auswirkt,<br />
verdeutlicht Lehmann (1998) anhand des folgenden schematischen Beispiels:<br />
Nimmt man an, dass die Präferenzen <strong>von</strong> Konsumenten in Form ihrer Idealpunkte<br />
gleichmäßig auf einer <strong>St</strong>recke zwischen 0 und 1 verteilt sind und sich die<br />
konsumentenspezifische Nachteiligkeit eines Produkts (Disutility) als Abstand<br />
zwischen dem Idealpunkt eines Konsumenten und einer Produktausprägung messen<br />
lässt und unterstellt man weiterhin, dass Hersteller und Handel aus Kundensicht<br />
optimale Produkte anbieten, dann nimmt der durchschnittliche Abstand zwischen dem<br />
„nächstgelegenen“ Produkt und dem Idealpunkt eines Konsumenten mit steigender<br />
Anzahl an Alternativen ab.<br />
Daraus folgt, dass „(...) the expected maximum utility increases with the number of<br />
alternatives (…)“ (Billot/Thisse 1999, S. 519), wobei der Grenznutzen einer<br />
zusätzlichen Alternative sinkt (vgl. Lehmann 1998, S. 64). Tabelle 3 verdeutlicht<br />
diesen Zusammenhang.<br />
100
Verfügbare<br />
Optionen<br />
Produktausprägungen<br />
Durchschnittliche<br />
Distanz<br />
Inkrementeller<br />
<strong>Wert</strong><br />
1 0,5 0,25<br />
2 0,25, 0,75 0,125 0,125<br />
3 0,167; 0,5; 0,833 0,083 0,042<br />
4 0,125; 0,375; 0,625; 0,875 0,0625 0,0205<br />
5 0,1; 0,3; 0,5; 0,7; 0,9 0,050 0,0125<br />
...<br />
10 0,05; 0,15; ... 0,025<br />
...<br />
100 0,005; 0,015; ... 0,0025<br />
Tabelle 3: Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Produktnutzen. In Anlehnung an<br />
Lehmann 1998, S. 64<br />
Auch wenn die Annahme, dass Unternehmen aus Konsumentensicht optimale<br />
Produkte anbieten z. B. <strong>von</strong> der Spieltheorie widerlegt wurde (vgl. Desmeules 2002,<br />
S. 8) und konstante (monetäre) Kosten als weitere Annahme eher unrealistisch sind<br />
(vgl. Lehmann 1998, S. 64), verdeutlicht das Beispiel die Beziehung <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> und Nutzen, wie sie aus der Nutzentheorie folgt.<br />
Den angenommenen positiven Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und antizipiertem<br />
Nutzen konnten Kahn und Wansink (2004) auch empirisch zeigen. Sie haben den<br />
Einfluss der Alternativenanzahl sowie deren Organisation auf den antizipierten Nutzen<br />
des Sortiments durch Konsumenten untersucht und dabei festgestellt, dass „the<br />
perceived variety influences the anticipated consumption utility that a consumer<br />
believes the assortment will deliver“ (S. 529). Obwohl demnach nicht die absolute<br />
Anzahl an Alternativen, sondern die vom Konsumenten wahrgenommene Vielfalt<br />
entscheidend ist, besteht ein positiver Zusammenhang zwischen <strong>Produktvielfalt</strong> und<br />
dem (erwarteten) Nutzen der Produkte eines Sortiments. Dies lässt den Schluss zu,<br />
dass Entscheider „(…) may intuitively realize (…) that a larger pool (of alternatives)<br />
increases his chance for an optimal choice while adding to his processing effort”<br />
(Wright/Barbour 1975, S. 248).<br />
101
Auf eine wesentliche Vorraussetzung des dargestellten Zusammenhangs <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> und dessen utilitaristischen Nutzen soll an dieser <strong>St</strong>elle nochmals<br />
explizit hingewiesen werden:<br />
Höhere <strong>Produktvielfalt</strong> führt nur dann durchschnittlich zu höherem maximalen<br />
Nutzen, wenn sich die Präferenzen der Konsumenten erheblich unterscheiden, d. h.<br />
wenn sie verschiedene Idealvorstellungen hinsichtlich der Attributausprägungen eines<br />
Produkts haben. Diese Unterschiede müssen dabei aus Konsumentensicht so<br />
bedeutend sein, dass „(...) individuals consider themselves to be better off (or have a<br />
higher welfare) when they have a product which exactly fits their view of the ideal<br />
design for that class of products than when they do not“ (Lancaster 1979, S. 5f.). Hohe<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> ist aus Unternehmenssicht folglich nur dann sinnvoll, wenn die<br />
Geschmäcker der Konsumenten tatsächlich verschieden sind, diese die bessere<br />
Erfüllung ihrer Vorstellungen schätzen und demzufolge das entsprechende Produkt<br />
kaufen (vgl. Lancaster 1990, S. 190). Letzteres folgt aus dem oben dargestellten<br />
Zusammenhang <strong>von</strong> Produktnutzen und Produktwahlverhalten.<br />
Diese Argumentation setzt implizit voraus, dass Individuen die eigenen Präferenzen<br />
kennen. Untersuchungen haben aber gezeigt, dass „people do not always have a<br />
well-defined preference order“ (Tversky 1996, S. 17). Unter diesen Umständen bietet<br />
hohe <strong>Produktvielfalt</strong> einen weiteren Vorteil: In der Entscheidungssituation kann der<br />
Konsument lange flexibel bleiben, die eigenen Vorlieben und Präferenzen erkunden<br />
und dann entsprechend wählen (vgl. Billot/Thisse 1999, S. 519). Diese Flexibilität<br />
stellt im Sinne eines Optionswerts einen weiteren utilitaristischen Nutzenaspekt <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> dar (vgl. Hoch/Bradlow/Wansink 1999, S. 528).<br />
Betrachtet man nochmals die Beziehung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Kaufwahrscheinlichkeit<br />
bzw. –absicht, so stellt sich die Frage, wie sich der bewusste Aufschub bzw.<br />
Abbruch einer Kaufentscheidung aus nutzentheoretischer Sicht darstellen lässt. Nach<br />
den Worten <strong>von</strong> Dhar (1997) kann man dies erreichen, indem man „no choice as just<br />
another option“ (S. 216) betrachtet und damit in die Alternativenmenge einbezieht.<br />
<strong>Der</strong> Nutzen der „Nicht-Kauf Option“ entspricht dabei der Beibehaltung des <strong>St</strong>atus quo<br />
bzw. dem erwarteten Nutzen des Produkts, das ein Konsument durch die Fortsetzung<br />
der Suche erwartet zu finden. Eine Person entscheidet sich folglich für den Abbruch<br />
der Kaufentscheidung, wenn „none of the alternatives appears attractive, or when the<br />
decision maker expects to find better alternatives by continuing to search“ (Dhar<br />
1997a, S. 216). Hierbei liegt jedoch die Annahme zugrunde, dass der Konsument über<br />
vollkommene Informationen verfügt und deren Verarbeitung weder mit monetären,<br />
102
noch mit psychischen Kosten (z. B. geistige Anstrengung) verbunden ist (vgl. Dhar<br />
1997a, S. 216).<br />
Betrachtet man den Aufschub als mögliche Entscheidungsoption, folgt aus der<br />
Nichtnegativität der Nutzenfunktion (vgl. McFadden 1981, S. 206) und dem<br />
Regularitätsprinzip (vgl. Luce 1959, 1977; Gourville/Soman 1999, S. 5ff., siehe auch<br />
S. 43f.), dass die Wahrscheinlichkeit, mit der sich ein Konsument für den Aufschub<br />
entscheidet, nicht zunehmen kann, wenn einem Sortiment Produkte hinzugefügt<br />
werden. Obwohl diese Folgerung nicht so stark ist wie die, dass höhere Vielfalt aus<br />
Konsumentensicht besser ist, bedeutet sie doch, dass „(...) increasing variety should<br />
never harm a brand“ (Gourville/Soman 1999, S. 4).<br />
Ohne späteren Ausführungen zu den Kostenaspekten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> vorzugreifen,<br />
soll bereits hier darauf hingewiesen werden, dass diese Sichtweise rein utilitaristisch<br />
ist, nur die positiven Aspekte <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> betrachtet und negative<br />
Konsequenzen hoher <strong>Produktvielfalt</strong>, wie kognitive und emotionale Kosten sowie<br />
Suchkosten unberücksichtigt lässt. Da diese Annahmen unrealistisch sind, kann damit<br />
das reale Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten nicht ausreichend erklärt werden (vgl. z. B.<br />
Desmeules 2002, S. 4). Das Regularitätsprinzip wurde deshalb auch empirisch<br />
mehrfach widerlegt (vgl. z. B. Tversky/Shafir 1992, S. 358ff., Gourville 1999, S. 10ff.,<br />
siehe auch S. 42ff.). Eine mögliche Erklärung hierfür geben die später dargestellten<br />
Theorien zur Erklärung der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (siehe Kapitel 2.3.2, S. 122ff.).<br />
Zusammenfassung und Bezug zur vorliegenden Untersuchung<br />
Die dargestellten utilitaristischen Aspekte des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> lassen sich<br />
wie folgt zusammenfassen: Konsumenten haben unterschiedliche Geschmäcker und<br />
verschiedene Vorstellungen da<strong>von</strong>, welche Eigenschaften ein aus ihrer Sicht ideales<br />
Produkt einer bestimmten Produktkategorie haben soll. Die Wahrscheinlichkeit, dass<br />
ein Konsument ein Produkt findet, das seinen Vorstellungen entspricht und dieses<br />
deshalb kauft, sollte unter oben erläuterten Annahmen mit der Anzahl der verfügbaren<br />
Alternativen steigen oder zumindest nicht abnehmen. Diese Argumentation hat sich<br />
<strong>von</strong> den Anfängen der Marketingforschung bis in deren Gegenwart kaum verändert:<br />
„(...) ... the greater the number of items carried by the store (…), the greater,<br />
ordinarily, is the consumer’s reason for expecting that the shopping trip will<br />
(…be) successful” (Baumol/ Ide 1956, S. 93).<br />
103
„Greater variety and larger assortments increase the probability of a perfect<br />
match” (Hoch/Bradlow/Wansink 1999, S. 528).<br />
„(…)in preference-matching contexts, in which people enter hoping to find<br />
some particular product or service they already know themselves to prefer,<br />
larger number of options should increase the likelihood that they will be<br />
successful in their search”. (Iyengar/Lepper 2000, S. 996).<br />
Hohe <strong>Produktvielfalt</strong> bietet aus Konsumentensicht somit zusammenfassend vier<br />
wesentliche Nutzenaspekte:<br />
• Durch ein großes Sortiment besteht tendenziell eine hohe Chance ein Produkt<br />
zu finden, das den eigenen Vorstellungen entspricht und einen entsprechend<br />
hohen antizipierten Produktnutzen aufweist.<br />
• Dies impliziert, dass Konsumenten mit großen Sortimenten eine hohe<br />
Wahrscheinlichkeit verbinden, den Kaufprozess erfolgreich mit dem Kauf<br />
eines Produktes abzuschließen und so ihr Bedürfnis, das zur Auslösung der<br />
Kaufhandlung geführt hat, befriedigen können.<br />
• Aus dem hohen antizipierten Produktnutzen und der daraus resultierenden<br />
Erfüllung der Erwartungen des Konsumenten resultiert außerdem eine erhöhte<br />
Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt. <strong>Der</strong> Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
kann sich somit positiv auf die Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt<br />
auswirken.<br />
• Da sich der erfolgreiche Abschluss der Kaufhandlung außerdem positiv auf die<br />
Zufriedenheit mit dem Kaufprozess auswirkt, ist weiterhin da<strong>von</strong><br />
auszugehen, dass sich die Nutzenaspekte erhöhter <strong>Produktvielfalt</strong> positiv auf<br />
die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess auswirken können.<br />
Dieser Logik folgend lassen sich Kaufintention und die Zufriedenheit mit dem<br />
gekauften Produkte ceteris paribus durch eine Ausdehnung des Angebots erhöhen.<br />
In Abbildung 27 sind die für diese Untersuchung wesentlichen Aspekte der<br />
Nutzenerwartungswerttheorie zusammengefasst. Die Darstellungsform wird auch für<br />
alle nachfolgenden Theorien beibehalten. Sie stellt die zentralen Zusammenhänge der<br />
104
eschriebenen Theorie und den Kosten- bzw. Nutzen <strong>von</strong> hoher <strong>Produktvielfalt</strong> in<br />
kompakter Form dar und wird nachfolgend kurz erläutert.<br />
Determinanten<br />
Nutzendimension<br />
Konsequenzen<br />
Facetten des Nutzens hoher PV<br />
Quantitativ<br />
Qualitativ<br />
Anzahl der<br />
Produkte<br />
Argumentationslogik der Wirkung<br />
+<br />
• Konsumenten haben verschiedene<br />
Präferenzen<br />
Kaufintention +<br />
• Je höher die Anzahl der Produkte,<br />
desto höher ist der antizipierter<br />
Produktnutzen und desto<br />
Zufriedenheit<br />
wahrscheinlicher ist es, ein<br />
• Prozess<br />
passendes Produkt zu finden und<br />
den Kauf erfolgreich abzuschließen<br />
• Produkt<br />
Nutzen<br />
Ausgang d.<br />
Entscheidung<br />
Bewertung<br />
+<br />
+<br />
Facetten des Nutzens hoher PV<br />
antizipierter<br />
Produktnutzen<br />
Erfolgsaussichten<br />
Abbildung 27: Zusammenfassende Darstellung des Zusammenhangs der Nutzenerwartungswerttheorie<br />
und des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Im Abbildungsschema werden vier aus der jeweiligen Theorie abgeleitete Aspekte<br />
<strong>von</strong> Kosten bzw. Nutzen der <strong>Produktvielfalt</strong> dargestellt:<br />
1. Determinanten: Es werden die aus der beschriebenen Theorie abgeleiteten<br />
qualitativen und quantitativen Eigenschaften des Sortiments abgebildet, die<br />
Kosten bzw. Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> beeinflussen.<br />
2. Konsequenzen: Die abgeleiteten Auswirkungen auf den Ausgang der<br />
Kaufentscheidung und die nachgelagerte Bewertung <strong>von</strong> Kaufprozess und<br />
gekauftem Produkt, die aus der beschriebenen Theorie gefolgert werden<br />
können.<br />
3. Argumentationslogik, die die Determinanten und die Konsequenzen nach der<br />
Argumentation der Theorie verbindet.<br />
4. Facetten der jeweiligen Dimension: Die durch die Theorie aufgezeigten<br />
Facetten der Kosten- oder Nutzendimension, die in der Konzeptualisierung zu<br />
berücksichtigen sind.<br />
105
Positive Zusammenhänge werden hierbei durch ein + symbolisiert, negative<br />
entsprechend durch ein _ bzw.<br />
In der oberen Abbildung wirkt sich folglich die Anzahl der Produkte positiv auf den<br />
Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus, d. h. je höher die Anzahl der Produkte, desto höher<br />
der Nutzen. Als Konsequenz folgt nach der Logik der Erwartungsnutzentheorie, dass<br />
aufgrund des höheren Nutzens die Kaufintention sowie die Zufriedenheit mit dem<br />
gekauften Produkt und dem Kaufprozess steigen. Dies ist damit zu begründen, dass<br />
sich durch die höhere Vielfalt der antizipierte Produktnutzen und dadurch auch die<br />
Wahrscheinlichkeit ein passendes Produkt zu finden, erhöhen. Die Nutzenerwartungswerttheorie<br />
hat damit aufgezeigt, dass der Antizipierte Produktnutzen und<br />
die Erfolgsaussichten zwei wesentliche Facetten des Nutzens hoher <strong>Produktvielfalt</strong><br />
sind.<br />
2.3.1.2 Hedonic Shopping Value<br />
Die klassische Konsumentenverhaltensforschung, in deren Tradition auch die oben<br />
dargestellte Theorie der rationalen Entscheidungstheorie steht, betrachtet den<br />
Konsumenten stets als Problemlöser, der als logisch und rational handelndes Wesen<br />
auf der Basis verfügbarer Informationen ein Entscheidungsproblem löst, indem er ein<br />
entsprechendes Produkt kauft (vgl. Holbrook/Hirschman 1982, S. 132). Die<br />
Motivation zum Einkauf ist demnach allein auf den Kauf eines Produkts zur<br />
Befriedigung eines Bedürfnisses zurückzuführen (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 1996,<br />
S. 147).<br />
Das Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten kann aber durch diesen reinen Akquisitionsfokus<br />
nicht vollkommen erklärt werden. So haben Untersuchungen gezeigt, dass<br />
Konsumenten beispielsweise ein Einkaufserlebnis nicht nur nach den „instrumental<br />
benefits of shopping (e.g., acquiring some specific item)“ (Babin/Darden 1995, S. 49),<br />
sondern auch nach dessen hedonistischen <strong>Wert</strong> beurteilen: Diesen umschreiben<br />
Babin und Darden (1995) wie folgt: „(...) hedonic or intrinsic, value reflects more<br />
experiential benefits provided directly by a shopping experience itself (e.g., fun,<br />
novelty, etc.)“ (S. 49).<br />
Ein Individuum misst demnach nicht nur dem Erwerb eines Produkts, sondern auch<br />
dem Kauferlebnis einen <strong>Wert</strong> bei. Dieser ist weitgehend unabhängig vom Ausgang des<br />
Kaufprozesses (vgl. Babin/Darden/Griffin 1994, S. 646). Damit lässt sich<br />
106
eispielsweise auch die Vorliebe vorwiegend weiblicher Konsumenten für<br />
ausgedehnte Shoppingtrips mit Freundinnen erklären, in deren Verlauf ausgiebig<br />
anprobiert und betrachtet, aber nicht notwendigerweise auch gekauft wird. Das<br />
Positive dieses Einkaufserlebnisses – der Hedonic Shopping Value – „(...) reflects<br />
shopping’s potential entertainment and emotional worth“ (Babin/Darden/Griffin<br />
1994, S. 646). <strong>Der</strong> Kauf <strong>von</strong> Produkten ist hierfür keine notwendige Voraussetzung:<br />
„People buy so they can shop, not shop so they can buy“ (Langrehr 1991, S. 428).<br />
Theoretischer Hintergrund<br />
<strong>Der</strong> hedonistische Aspekt des Konsumentenverhaltens geht auf Hirschman und<br />
Holbrook (1982) zurück (vgl. Hirschman/Holbrook 1982; Holbrook/Hirschman 1982).<br />
Ausgangspunkt der Überlegungen der beiden Autoren war dabei die Konzentration der<br />
Konsumentenverhaltensforschung auf die Informationsverarbeitungsperspektive, die<br />
den Konsumenten in der Tradition der mikroökonomischen Theorie als Homo<br />
oeconomicus betrachtet, der als logischer Denker Probleme löst, um eine<br />
Kaufentscheidung zu treffen (siehe S. 69). Die Dominanz der Informationsverarbeitungsperspektive<br />
in der Verhaltensforschung wurde u. a. <strong>von</strong> Holbrook und<br />
Hirschman (1982) „(...) on the grounds that it may neglect important consumption<br />
phenomena“ wie z. B. „(…) various playful leisure activities, sensory pleasures,<br />
daydreams, esthetic enjoyment, and emotional responses (…)“(Holbrook/Hirschman<br />
1982, S. 132) kritisiert.<br />
Die Autoren gründen ihre Hypothesen und theoretischen Aussagen auf Erkenntnisse<br />
<strong>von</strong> Teilbereichen verschiedener verhaltenswissenschaftlicher Forschungsgebiete,<br />
wie z. B. der Ästhetik als Teilbereich der Philosophie (Jaeger 1945), dem<br />
Forschungsgebiet der affektiven Reaktion (affective Response) innerhalb der<br />
Psycholinguistik (Osgood/Suci/Tannenbaum 1957) sowie auf verschiedene Teilgebiete<br />
der Soziologie und Psychologie. Des Weiteren greifen sie auf die Marketingforschung<br />
und hierbei insbesondere auf Erkenntnisse zur Motivationsforschung (vgl.<br />
Dichter 1960) und zum Produktsymbolismus (Grubb/Grathwohl 1967; Levy 1959)<br />
zurück (vgl. Hirschman/Holbrook 1982, S. 93 und die hierin zitierten Quellen).<br />
Auf Basis dieser Theorien haben die beiden Autoren die hedonistischen Aspekte des<br />
Produktkonsums untersucht, die sie als „hedonic consumption“<br />
(Hirschman/Holbrook 1982, S. 92) bzw. als „experiential view“<br />
(Holbrook/Hirschman 1982, S. 132) bezeichnen. Letzterer steht dem vorherrschenden<br />
107
„information processing view“ gegenüber. Unter Hedonic Consumption bzw. dem<br />
Experiential View subsumieren die Autoren dabei „(...) consumers’ multisensory<br />
images, fantasies and emotional arousal“ (Hirschman/Holbrook 1982, S. 93), die<br />
durch die Produktnutzung entstehen und einen „steady flow of fantasies, feelings, and<br />
fun“ (Holbrook/Hirschman 1982, S. 132) umfassen. Im Zusammenhang dieser Arbeit<br />
sind hierbei vor allem die emotionalen Reaktionen des Konsumenten während des<br />
Konsums <strong>von</strong> Interesse. Diese haben (kauf)motivierenden Charakter und umfassen<br />
Gefühle wie z. B. Freude, Spaß, Beigeisterung, aber auch Angst, und gehen über die<br />
affektiven Komponenten der Präferenzvariablen (Nutzen) hinaus (vgl.<br />
Hirschman/Holbrook 1982, S. 92f.). Die beiden Autoren betonen, dass es sich bei den<br />
Gefühlen um Ergebnisse primärer mentaler Prozesse handelt. Diese sind primär in<br />
dem Sinn, dass sie ein „(...) immediate pleasure or gratification“<br />
(Holbrook/Hirschman 1982, S. 135) als Reaktion auf ein Ereignis oder Erlebnis<br />
darstellen, das dem Verhalten eines Kleinkindes ähnelt und deshalb als primär<br />
bezeichnet werden. Im Gegensatz hierzu sind sekundäre Prozesse als Ergebnis der<br />
Sozialisation erlernt und umfassen vor allem die Informationsverarbeitung mit dem<br />
Ziel einer optimalen Produktwahl (vgl. Holbrook/Hirschman 1982, S. 135).<br />
<strong>Der</strong> Experiential View und der Information Processing View unterscheiden sich<br />
folglich auch und vor allem im Ergebnis einer Kauf- bzw. Konsumhandlung:<br />
Aus der Sicht der Informationsverarbeitungsperspektive werden die Folgen einer<br />
Kaufentscheidung primär durch die funktionalen Aspekte und die „economic benefits“<br />
(Holbrook/Hirschman 1982, S. 138) des erworbenen Produkts bestimmt. Die Kriterien<br />
zur Bewertung einer Kaufentscheidung bauen folglich in erster Linie auf dem<br />
Produktnutzen auf.<br />
Im Gegensatz hierzu äußern sich die hedonistischen Aspekte des Konsums<br />
„(…) in the fun that a consumer derives from a product – the enjoyment that it<br />
offers and the resulting feeling of pleasure that it evokes. (…) (they) hinge on<br />
an appreciation of the product for its own sake, apart from any utilitarian<br />
function that it may or may not perform” (Holbrook/Hirschman 1982, S. 138).<br />
Batra und Ahtola (1991) bringen die Unterscheidung <strong>von</strong> hedonistischer und<br />
utilitaristischer Dimension auf die einfache Formel: „(...) the hedonic determinant of<br />
overall evaluations is presumed to be based on the consumer’s assessment of how<br />
much pleasure he gets; his utilitarian determinant is based on his assessment about<br />
108
the instrumental value of (...) functional attributes“ (S. 161, Hervorhebungen nicht im<br />
Original).<br />
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die hedonistische Perspektive die<br />
unmittelbaren emotionalen Reaktionen des Konsumenten auf bestimmte <strong>St</strong>imuli in<br />
der Kauf- oder Konsumsituation beschreibt und Gefühle wie Freude, Spaß und<br />
Begeisterung umfasst. Diese Perspektive soll die traditionellen, auf die<br />
Informationsverarbeitung ausgerichteten Theorien des Konsumentenverhaltens nach<br />
Ansicht <strong>von</strong> Hirschman und Holbrook (1982, S. 100) nicht ersetzten, sondern um dort<br />
nicht berücksichtigte Aspekte ergänzen. Da die hedonistischen Elemente für den<br />
Fortgang der Untersuchung <strong>von</strong> hoher Bedeutung sind, werden nachfolgend einige<br />
Forschungsergebnisse zur Koexistenz <strong>von</strong> utilitaristischen und hedonistischen<br />
Aspekten in verschiedenen Phasen und Gesichtspunkten des Konsumentenverhaltens<br />
vorgestellt.<br />
Beispiele für hedonistische und utilitaristische Aspekte des Konsumentenverhaltens<br />
Die Koexistenz hedonistischer und utilitaristischer Elemente konnte in verschiedenen<br />
Aspekten und Phasen des Konsumentenverhaltens empirisch gezeigt werden. Diese<br />
reichen <strong>von</strong> der Motivation zum Einkauf, über die Beurteilung des Einkaufserlebnisses<br />
bis hin zur Produktbewertung und der damit verbundenen Herausbildung eines<br />
Zufriedenheitsurteils:<br />
Motivation zum Einkaufen<br />
„Why Do People Shop? Do people shop simply to make purchases? Are shopping trips<br />
motivated by considerations that are unrelated to an actual purchase?“ Mit diesen<br />
Fragen hat Tauber (1972, S. 46) seinen Artikel im Journal of Marketing begonnen und<br />
damit eine Reihe <strong>von</strong> <strong>St</strong>udien initiiert, die sich mit der Untersuchung der<br />
Beweggründe <strong>von</strong> Konsumenten zum Einkaufen befasst haben. Er vertrat dabei die<br />
Hypothese, dass die Einkaufsmotivation nicht ausschließlich mit dem funktionalen<br />
Erwerb <strong>von</strong> Produkten zu erklären ist. Tauber entwickelte deshalb theoriegeleitet eine<br />
Reihe <strong>von</strong> psychosozialen Einkaufmotiven, die in persönliche und soziale Motive<br />
klassifiziert werden können. Als persönliche Motive führt er dabei z. B. das Lernen<br />
neuer Trend soder sensorische <strong>St</strong>imulation an, sowie Ablenkung als Möglichkeit, der<br />
109
täglichen Routine zu entkommen und die Absicht, sich selbst etwas Gutes zu tun<br />
(Selbst-Belohnung (Self-gratification)). Soziale Erfahrungen außerhalb des Hauses,<br />
Kommunikation mit anderen Personen mit ähnlichen Interessen und den Ausdruck <strong>von</strong><br />
<strong>St</strong>atus und Autorität nennt der Autor als Beispiele für soziale Einkaufsmotive (vgl.<br />
Tauber 1972, S. 47f.).<br />
Westbrook und Black (1985, S. 80ff.) haben die Ideen <strong>von</strong> Tauber (1972) aufgegriffen<br />
und diese mit Ergebnissen der Motivationsforschung kombiniert (McGuire 1974). Sie<br />
kommen zu dem Schluss, dass Individuen primär aus drei Gründen shoppen:<br />
1. um ein Produkt zu kaufen (z. B. antizipierter Nutzen)<br />
2. um das gewünschtes Produkt zu kaufen und dabei gleichzeitig Bedürfnisse zu<br />
befriedigen, die nichts mit dem Produkt zu tun haben (z. B. verhandeln) und<br />
3. um Ziele zu erreichen, die nicht mit dem Kauf eines Produkts verbunden sind<br />
(z. B. <strong>St</strong>imulation).<br />
Die Ergebnisse der Untersuchungen <strong>von</strong> Westbrook und Black (1985) haben<br />
verdeutlicht, dass Konsumenten nicht nur vom beabsichtigten, funktional getriebenen<br />
Erwerb eines Produkts zum Einkaufen motiviert werden, sondern hierbei auch andere<br />
Ziele verfolgen. Die Triologie dieser Ziele, die Westbrook und Black (1985)<br />
vorgeschlagen hatten, hat sich aber in der Marketingforschung nicht durchgesetzt,<br />
„(...) most typologies consider instrumental and hedonic motivations as fundamental<br />
to understanding consumer shopping behavior because they maintain a basic<br />
underlying presence across consumption phenomena“ (Childers/Carr/Peck/Carson<br />
2001, S. 513; Hervorhebungen nicht im Original).<br />
Arnolds und Reynolds (2003) haben in einer neueren Untersuchung eine Skala zur<br />
Messung der hedonistischen Einkaufsmotivation entwickelt und dabei die Existenz<br />
<strong>von</strong> sechs verschiedenen Faktoren der hedonistischen Komponente zeigen können.<br />
Diese ähneln denen <strong>von</strong> Taubner (1972) und reichen <strong>von</strong> Abenteuer über Belohnung<br />
bis hin zur Information über neueste Trends und Produkte (Idea Shopping) (vgl.<br />
Arnold/Reynolds 2003, S. 79ff.) 28 .<br />
Interessant ist hierbei insbesondere, dass auch Informationen hedonistische Aspekte<br />
beinhalten. Zu einer ähnlichen Erkenntnis kommen auch Bloch, Sherrell und Ridgway<br />
28 Die Faktoren sind im Einzelnen: „adventure, gratification, role, value, social und idea shopping“<br />
(Arnold/Reynolds, S. 95). Eine Erklärung dieser Faktoren findet sich dort auf S. 80f.<br />
110
(1986): Sie konnten feststellen, dass Konsumenten im Wesentlichen aus zwei Gründen<br />
kontinuierlich und unabhängig <strong>von</strong> einem beabsichtigten Kauf Informationen zu<br />
bestimmten Produkten suchen: „to augment stores of product knowledge and to<br />
experience pleasure“ (S. 125; Hervorhebungen nicht im Original).<br />
Wie Childers et al. (2001) gezeigt haben, ist die hedonistische Motivationskomponente<br />
aber nicht nur für das „herkömmliche“ Einkaufsverhalten <strong>von</strong> Bedeutung, sondern<br />
auch für den Online-Einkauf. Die Autoren untersuchten, wie die Nützlichkeit<br />
(Usefulness) und Bedienungsfreundlichkeit (Ease of Use) einer Webseite, sowie der<br />
bei der Nutzung erlangte Spaß (Enjoyment), die Einstellung und Nutzungsabsicht<br />
beeinflussen. Dabei kamen sie zu der Erkenntnis, dass „while the instrumental aspects<br />
of the new media are important predictors of online attitude, the more immersive,<br />
hedonic aspects of the new media play at least an equal role” (Childers et al. 2001,<br />
S. 527).<br />
Somit kann festgehalten werden, dass Konsumenten sowohl <strong>von</strong> funktionalen<br />
Aspekten des Erwerbs eines Produkts als auch <strong>von</strong> hedonistischen Aspekten, die sich<br />
vornehmlich auf das während des Einkaufserlebnisses erlangte Vergnügen beziehen,<br />
zum Einkaufen und der Informationssuche motiviert werden.<br />
Diese Aspekte wirken sich aber nicht nur auf die Motivation zum Einkaufen aus,<br />
sondern haben auch entsprechenden Einfluss auf die nachgelagerte Beurteilung des<br />
Einkaufserlebnisses.<br />
Beurteilung eines Einkaufserlebnisses<br />
Babin, Darden und Griffin (1994) haben untersucht, anhand welcher Kriterien<br />
Konsumenten den „<strong>Wert</strong> eines Einkaufserlebnisses“ (Shopping Experience)<br />
bestimmen und dabei zwei verschiedene Bewertungskategorien identifiziert:<br />
Utilitarian und hedonic. <strong>Der</strong> utilitaristische <strong>Wert</strong> des Einkaufserlebnisses wird im<br />
Wesentlichen da<strong>von</strong> bestimmt, ob „(...) the particular consumption need stimulating<br />
the shopping trip was accomplished“ (Babin/Darden/Griffin 1994, S. 646). Im<br />
Gegensatz hierzu resultiert der hedonistische <strong>Wert</strong> „(...) more from fun and<br />
playfulness than from task completion“ und „(...) reflects shopping’s potential<br />
entertainment and emotional worth“ (Babin/Darden/Griffin 1994, S. 646). Er wird<br />
charakterisiert durch „increased arousal, perceived freedom and/or fantasy<br />
fulfillment“ (Haytko/Baker 2004, S. 77).<br />
111
Babin et al. (1994) konnten diese beiden Aspekte des Einkaufserlebnisses anhand der<br />
Dimensionalität der <strong>von</strong> ihnen entwickelten Personal Shopping Value-Skala empirisch<br />
veranschaulichen. Demzufolge beurteilen Konsumenten ein Konsumerlebnis einerseits<br />
nach der Effizienz und Effektivität des Produktkaufs, andererseits nach dem Spaß und<br />
der Unterhaltsamkeit des Kaufprozesses selbst und können deshalb „(be) portrayed, in<br />
a shopping context, as both intellectual and emotional“ (Babin/Darden/Griffin 1994,<br />
S. 653).<br />
In späteren <strong>St</strong>udien konnten Griffin, Babin und Modianos (2000) sowie Babin und<br />
Attaway (2000) die zweidimensionale <strong>St</strong>ruktur des Perceived Shopping Value<br />
bestätigen und dessen Einfluss auf das Kaufverhalten <strong>von</strong> Konsumenten zeigen. Sie<br />
stellten fest, dass der Perceived Shopping Value zwischen den positiven und negativen<br />
Emotionen, die durch die Atmosphäre in einem Geschäft ausgelöst werden<br />
(Environmental Affect) und dem Anteil der Einkäufe in einer Produktgruppe, die ein<br />
Konsument in diesem Geschäft tätigt (Customer Share), moderiert (Babin/Attaway<br />
2000, S. 97). Die Ergebnisse der <strong>St</strong>udie sind in Abbildung 28 anhand des<br />
identifizierten <strong>St</strong>rukturmodells grafisch veranschaulicht.<br />
Perceived Shopping<br />
Value<br />
Positive<br />
Affect<br />
0,62 (t=6,1)<br />
Hedonic<br />
Shopping<br />
Value<br />
0,32 (t=5,5)<br />
- 0,26 (t=2,6)<br />
0,23 (t=2,3)<br />
- 0,19 (t=2,5)<br />
Customer<br />
Share<br />
Negative<br />
Affect<br />
- 0,46 (t=4,0)<br />
Utilitarian<br />
Shopping<br />
Value<br />
0,37 (t=3,5)<br />
Abbildung 28: Antezedenzien und Konsequenzen der hedonistischen und utilitaristischen Dimension<br />
des Perceived Shopping Values. In Anlehnung an Babin/Attaway 2000, S. 96<br />
<strong>Der</strong> Einfluss utilitaristischer und hedonistisches Aspekte auf das Verhalten <strong>von</strong><br />
Konsumenten wird auch <strong>von</strong> Untersuchungsergebnissen zur Beurteilung <strong>von</strong><br />
Einkaufszentren durch Konsumenten bestätigt. So konnten z. B. Wakefield und Baker<br />
(1998) zeigen, dass die Aufenthaltsdauer in und die Loyalität zu einem<br />
Einkaufszentrum (Repatronage) wesentlich da<strong>von</strong> abhängt, wie aufregend ein<br />
112
Individuum das Einkaufserlebnis findet (vgl. S. 533). Diese positive Aufregung<br />
(Excitement) kann als hedonistische Komponenten des Einkaufserlebnisses<br />
interpretiert werden, da es einen „positive emotional state that consists of high levels<br />
of pleasure and arousal“ (Wakefield/Baker 1998, S. 519) beschreibt. Zu einem<br />
ähnlichen Ergebnis kommen auch Haytko und Baker (2004, S. 77ff.).<br />
Hedonisitische und utilitaristischer Aspekte wirken sich aber nicht nur auf die<br />
Beurteilung des gesamten Einkaufserlebnisses, sondern auch auf Einzelaspekte wie<br />
beispielsweise die Beurteilung <strong>von</strong> verkaufsfördernden Maßnahmen (Sales<br />
Promotions) aus:<br />
Beurteilung des Nutzens <strong>von</strong> verkaufsfördernden Maßnahmen (Sales Promotions)<br />
Nach den Ergebnissen <strong>von</strong> Chandon, Wansink und Laurent (2000) können<br />
Konsumenten sowohl hinsichtlich hedonistischer als auch utilitaristischer Aspekte <strong>von</strong><br />
verkaufsfördernden Maßnahmen (Sales Promotions) wie z. B. Rabatten profitieren.<br />
Abbildung 29 zeigt das Ergebnis der konfirmatorischen Faktorenanalyse (second<br />
order) des Nutzens <strong>von</strong> Sales Promotions aus Konsumentensicht. Wie erkennbar ist,<br />
hat sowohl die utilitaristische als auch die hedonistische Nutzendimension eine<br />
dreifaktorielle <strong>St</strong>ruktur (vgl. Chandon/Wansink/Laurent 2000, S. 65). Dabei fällt<br />
weiter auf, dass die beiden Dimensionen relativ stark korrelieren (r = 0,67). Trotz<br />
dieses hohen <strong>Wert</strong>s ist aber die Diskriminanzvalidität der beiden Dimensionen<br />
gegeben 29 .<br />
Dies erlaubt den Schluss, dass „sales promotions can provide consumers with an<br />
array of hedonic and utilitarian benefits beyond monetary savings“ (Chandon/<br />
Wansink/Laurent 2000, S. 77). Sie sind ein weiteres Beispiel für die Koexistenz<br />
utilitaristischer und hedonistischer Nutzenaspekte.<br />
29 Da das Konfidenzintervall der Korrelation den <strong>Wert</strong> 1 nicht beinhaltet und die Höhe der<br />
gemeinsamen Varianz zwischen den second-order Faktoren geringer ist als die durchschnittliche,<br />
für jedem Faktor extrahierte Varianz, ist die Diskriminanzvalidität gegeben (vgl.<br />
Chandon/Wansink/Laurent 2000, S. 67).<br />
113
0,67<br />
Utilitarian<br />
Hedonic<br />
0,83<br />
0,74 0,78 0,41 0,46 0,45 0,75<br />
δ<br />
δ<br />
δ<br />
δ<br />
δ<br />
δ<br />
Savings Quality Convenience<br />
Value<br />
Expression<br />
Entertainment<br />
Exploration<br />
0,88<br />
0,80 0,84<br />
0,66<br />
0,78 0,61<br />
0,53<br />
0,66 0,56<br />
0,76<br />
0,69 0,76<br />
0,85<br />
0,86 0,65<br />
0,80<br />
0,86 0,72<br />
s1 s2 s3<br />
q1 q2 q3<br />
c1 c2 c3<br />
ve1 ve2 ve3<br />
e1 e2 e3<br />
x1 x2 x3<br />
δ δ δ<br />
δ δ δ<br />
δ δ δ<br />
δ δ δ<br />
δ δ δ<br />
δ δ δ<br />
Abbildung 29: Hedonistische und utilitaristische Nutzendimensionen <strong>von</strong> Sales Promotions. Quelle:<br />
Chandon/Wansink/Laurent 2000, S. 70. (χ 2 127 =565; p < 0,05, GFI = 0,881, AGFI = 0,840, RMSEA =<br />
0,087)<br />
<strong>Der</strong> Einfluss hedonistischer und utilitaristischer Aspekte konnte auch bei der<br />
Produktbewertung und der damit verbundenen Herausbildung eines Zufriedenheitsurteils<br />
gezeigt werden.<br />
Produktbewertung und Zufriedenheit<br />
Mano und Oliver (1993) haben bei ihrer Untersuchung der Bewertungskriterien eines<br />
gekauften Produkts festgestellt, dass Konsumenten Produkte anhand <strong>von</strong> zwei<br />
Dimensionen bewerten – einer utilitaristischen und einer hedonistischen (Mano/Oliver<br />
1993, S. 457). Die erste entspricht in der Konzeption <strong>von</strong> Mano und Oliver der<br />
„traditional notion of instrumental or utilitarian performance whereby the product is<br />
seen as performing a useful function“. Die hedonistische Komponente der<br />
Produktbeurteilung „is that of hedonic or aesthetic performance (…) whereby<br />
products are valued for their intrinsically pleasing properties“ (beide Mano/Oliver<br />
1993, S. 453). Die Autoren greifen zur Erklärung dieser Dimensionalität u. a. auf<br />
Untersuchungsergebnisse <strong>von</strong> Batra und Ahtola (1991) zurück, die gezeigt haben, dass<br />
„attitudes towards brands and behaviors have at least two distinct components,<br />
hedonic and utitarian“ (S. 168). Die in Abbildung 30 grafisch dargestellten<br />
Ergebnisse der Untersuchung verdeutlichen die Koexistenz der utilitaristischen und<br />
hedonistischen Bewertungsdimension als Determinanten der Zufriedenheit mit einem<br />
gekauften Produkt. Von Interesse ist hierbei insbesondere auch der Zusammenhang<br />
114
dieser Dimensionen mit den affektiven Reaktionen des Konsumenten. So hat sich<br />
gezeigt, dass die hervorgerufene emotionale Erregung (Arousal) die <strong>St</strong>ärke der<br />
positiven bzw. negativen Emotionen beeinflusst, wobei die Höhe des Arousals vor<br />
allem <strong>von</strong> der hedonistischen Bewertung abhängt. Im Vergleich zu utilitaristischen<br />
Faktoren ist der Einfluss hedonistischer Aspekte auf die affektiven Reaktionen<br />
insgesamt größer. Weiterhin hat sich gezeigt, dass die Zufriedenheit sowohl <strong>von</strong> der<br />
utilitaristischen Dimension, als auch <strong>von</strong> den affektiven Reaktionen (positiv, negativ)<br />
beeinflusst wird und die hedonistische Bewertungskomponente gleichzeitig keinen<br />
direkten Einfluss auf die Zufriedenheit hat, sondern nur über den positiven Affekt<br />
wirkt. Die Autoren interpretieren dies als Hinweis darauf, dass „hedonic evaluation is<br />
mostly affective while utilitarian evaluation is mostly cognitive“ (Mano/Oliver 1993,<br />
S. 464).<br />
0,306<br />
Need<br />
0,739<br />
Value<br />
0,974<br />
Utilitarian<br />
-0,256<br />
0,209<br />
0,450<br />
Negative<br />
Affect<br />
- 0,489<br />
Hedonic<br />
-0,207<br />
0,080<br />
Satisfaction<br />
Interrest<br />
Positive<br />
0,813<br />
0,858<br />
0,515<br />
Hedonic<br />
0,585<br />
0,287<br />
Positive<br />
Affect<br />
0,345<br />
Appeal<br />
0,739<br />
0,161<br />
Abbildung 30: Herausbildung eines Zufriedenheitsurteils: <strong>Der</strong> Zusammenhang <strong>von</strong> utilitaristischer<br />
und hedonistischer Produktbewertung, positivem und negativem Affekt und der Zufriedenheit. Quelle:<br />
Mano/Oliver 1993, S. 455<br />
Die Ergebnisse <strong>von</strong> Mano und Oliver (1993) zeigen, dass bei der Produktbeurteilung<br />
neben den funktionalen, die hedonistischen Aspekte eine wichtige Rolle spielen. Dabei<br />
wirken sich letztere insbesondere auf die affektiven Reaktionen in Folge des<br />
Produktkaufs aus. Insgesamt führt dies dazu, dass die Wirkung der hedonistischen<br />
Komponenten auf die Zufriedenheit vornehmlich affektiver Natur ist, während jene<br />
der utilitaristischen Aspekte in erster Linie kognitiv geprägt sind.<br />
115
Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse zu hedonistischen und<br />
utilitaristischen Aspekten im Konsumentenverhalten<br />
Emotionen wie Freude und Spaß sind neben funktionalen Aspekten wie z. B.<br />
erwartetem Produktnutzen wichtige Bestimmungsfaktoren des Konsumentenverhaltens.<br />
Die dargestellten Untersuchungsergebnisse haben dabei verdeutlicht, dass<br />
beide Komponenten in der Vorphase des Einkaufs (Motivation zum Einkaufen,<br />
Informationssuche) sowie während (Benefits <strong>von</strong> Promotions) und nach diesem<br />
(Beurteilung des Einkaufserlebnisses und des gekauften Produkts) <strong>von</strong> Bedeutung<br />
sind.<br />
Es liegt deshalb die Vermutung nahe, dass analog hierzu auch <strong>Produktvielfalt</strong> für<br />
Konsumenten mit utilitaristischen und hedonistischen Aspekten verbunden ist. Erstere<br />
wurden bereits erläutert (siehe S. 100ff.) und beziehen sich darauf, dass mit steigender<br />
Vielfalt auch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass das Produkt den eigenen<br />
Vorstellungen entspricht und einen entsprechend hohen Nutzen hat.<br />
Die hedonistischen Aspekte <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> umfassen die durch die<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> hervorgerufenen positiven Emotionen wie Freude, Freiheitsgefühl<br />
und Spaß. Dieser Zusammenhang wird nachfolgend näher erläutert.<br />
Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Hedonismus im Kaufprozess<br />
Kahn und Wansink (2004) legen ihren Untersuchungen die in der Marketingliteratur<br />
weit verbreitete Annahme zugrunde, dass „variety is generally considered positive (...)<br />
and may result in consumers feeling more positive affect“ (S. 521). <strong>Produktvielfalt</strong><br />
kann demzufolge zur Entstehung positiver Emotionen und damit zur <strong>St</strong>eigerung des<br />
hedonistischen Kauferlebnisses führen. Wie oben erläutert, setzt dies nicht voraus,<br />
dass ein Konsument tatsächlich ein Produkt erwirbt, vielmehr geht es um die positiven<br />
Emotionen, die unabhängig vom Ausgang der Kaufentscheidung durch die Vielzahl<br />
der verfügbaren Optionen ausgelöst werden.<br />
An dieser <strong>St</strong>elle soll die Unterscheidung zwischen Emotionen, die während der<br />
Entscheidungsfindung entstehen (Process Emotions) und solchen, die unabhängig<br />
da<strong>von</strong> sind, betont werden. So haben beispielsweise Iyengar und Lepper (2000) in<br />
ihren Untersuchungen festgestellt, dass „an extensive array of options can at first<br />
seem highly appealing to consumers, yet can reduce their subsequent motivation to<br />
purchase the product“ (Iyengar/Lepper 2000, S. 997). Obwohl Konsumenten die<br />
116
große Produktauswahl als attraktiv und anziehend empfunden haben, ist ihnen die<br />
Kaufentscheidung schwer gefallen und hat zu negativen Emotionen, wie<br />
empfundenem oder antizipiertem Regret, und dadurch zum teilweisen Verzicht auf die<br />
Kaufentscheidung geführt (siehe hierzu auch die Ausführungen zu den emotionalen<br />
Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>, Kapitel 2.3.2.3, S. 158ff.). Positive Emotionen im Vorfeld<br />
der Entscheidung und negative Emotionen während der Entscheidungsfindung<br />
schließen sich somit nicht aus. Zu diesem Ergebnis kommen auch Iyengar und<br />
Lepper (2002) und argumentieren „that people can indeed find choosing among<br />
too many alternatives to be both enjoyable and overwhelming“ (S. 1002). In<br />
diesem Abschnitt wird der Schwerpunkt der Betrachtung aber auf die (positiven)<br />
Emotionen gelegt, die im Vorfeld der Kaufentscheidung durch hohe<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> entstehen, (zur Entstehung und Wirkung negativer Emotionen siehe<br />
Kapitel 2.3.2.2, S. 134ff. und Kapitel 2.3.2.3, S. 158ff.).<br />
Beginnt man die Überlegungen zu deren Ursachen damit, dass sich hedonistische<br />
Konsumaspekte, wie oben erläutert, durch „increased arousal, perceived freedom<br />
and/or fantasy fulfillment“ (Haytko/Baker 2004, S. 77) charakterisieren lassen, so<br />
besteht zwischen <strong>Produktvielfalt</strong> und Perceived Freedom ein offensichtlicher<br />
Zusammenhang: Je mehr Produkte dem Konsumenten zur Wahl stehen, desto größer<br />
ist seine Entscheidungsfreiheit. Reibstein, Youngblood und Fromkin (1975) konnten<br />
entsprechend zeigen, dass Konsumenten, die aus vier verschiedenen Produkten<br />
wählen, größere Entscheidungsfreiheit empfinden als diejenigen, die zwei Alternativen<br />
zur Wahl haben. Die Autoren schlussfolgern daraus, dass „an enlarged choice set<br />
leads to greater perceived decision freedom“ (Reibstein/Youngblood/Fromkin 1975,<br />
S. 435).<br />
Die Entstehung dieser positiven Emotion lässt sich auch mit Hilfe der<br />
Reaktanztheorie (Brehm 1980) erklären. Demnach ist ein Individuum bemüht, die<br />
subjektiv erlebte Entscheidungs- und Wahlfreiheit (vgl. Fischer/Wiswede 1997,<br />
S. 312) aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (vgl. Brehm/Wicklund 1970, S. 6).<br />
Wird die Entscheidungsfreiheit eingeschränkt, kann dadurch ein motivationaler<br />
Erregungszustand entstehen, der als Reaktanz bezeichnet wird (vgl. Brehm 1980,<br />
S. 29). Kleine Sortimente, die den Entscheidungsspielraum des Kunden einengen,<br />
können deshalb Reaktanzeffekte hervorrufen (vgl. Silberer 1990, S. 390). Im<br />
Umkehrschluss bedeutet dies, dass Konsumenten, denen eine hohe Anzahl an<br />
Produkten zur Wahl steht, eine Erweiterung ihrer persönlichen Wahlfreiheiten<br />
empfinden. Dadurch kann eine Art „inverser Reaktanzeffekt“ entstehen, der mit<br />
117
positiven Emotionen verbunden ist oder zumindest die Entstehung negativer<br />
Emotionen vermeidet.<br />
Iyengar und Lepper (2002) weisen in diesem Zusammenhang auf das Gefühl der<br />
Kontrolle hin, das dem der Wahlfreiheit ähnlich ist und dessen Abhängigkeit <strong>von</strong> der<br />
<strong>Produktvielfalt</strong>: „the provision of choice enhances feelings of personal control“ (S. 3).<br />
Wie Lefcourt (1973) betont, hat dieses Gefühl positive Valenz: „the sense of control,<br />
the illusion that one can exercise personal choice, has a definite and a positive role in<br />
sustaining life“ (S. 424). Einen Zusammenhang <strong>von</strong> Entscheidungsfreiheit und<br />
Kontrolle konnten auch Thompson, Locander und Pollio (1990) in ihrer Untersuchung<br />
des Einkaufsverhaltens <strong>von</strong> Frauen feststellen: „(...) being free of restrictions, being in<br />
control, and being deliberate are experienced by participants as conducive to free<br />
choices (...)“ (S. 358). Demnach bedingen und verstärken sich die Gefühle <strong>von</strong><br />
Entscheidungsfreiheit und Kontrolle gegenseitig, wobei Entscheidungsfreiheit <strong>von</strong><br />
Konsumenten insbesondere dann als positiv empfunden wird, wenn sie gleichzeitig<br />
das Gefühl haben, die Situation zu kontrollieren. Verlieren sie die Kontrolle, kann es<br />
während der Entscheidungsphase zu negativen Emotionen kommen (siehe hierzu auch<br />
die Ausführungen auf Seite 134 ff.) (vgl. Thompson et al. 1990, S. 358). Im Vorfeld<br />
der Kaufentscheidung wird die Wahlfreiheit demnach als positiv empfunden.<br />
Durch das Angebot einer hohen Anzahl an Produktalternativen steigt somit<br />
zusammenfassend das (positive) Gefühl der Kontrolle und Selbstbestimmtheit<br />
(Self-Determination) des Entscheiders, was sich wiederum positiv auf die Höhe der<br />
intrinsischen Motivation und damit auf die Qualität der Entscheidung und die<br />
Zufriedenheit mit dieser auswirkt (vgl. Iyengar/Lepper 2000, S. 995).<br />
Neben den Gefühlen der Kontrolle und Selbstbestimmtheit, die als Folge der<br />
empfundenen Wahlfreiheit entstehen, fördert <strong>Produktvielfalt</strong> auch die Phantasie in<br />
Form der Vorstellung, verschiedene Produkte zu besitzen. Die mit der Anzahl<br />
verfügbarer Optionen zunehmenden positiven Emotionen beschreibt Desmeules<br />
(2002) als das „pleasure of anticipation“ (S. 8).<br />
Ein weiteres Argument für den Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und der<br />
Entstehung positiver Emotionen geht aus der oben aufgeführten Einkaufsmotivation<br />
nach Tauber (1972) hervor. Demnach ist das Erlangen sensorischer <strong>St</strong>imulation eines<br />
der hedonistischen Motive, die Personen veranlassen einkaufen zu gehen. Die Höhe<br />
der <strong>St</strong>imulation nimmt offensichtlich mit der Anzahl der Produktalternativen zu. Dies<br />
bewirkt die Erfüllung des hedonistischen Motivs der <strong>St</strong>imulation und damit die<br />
Entstehung positiver Emotionen. Auch Punj und <strong>St</strong>aelin (1983) schlussfolgern nach<br />
118
dieser Logik, dass „consumers get pleasure (benefit) from trying out numerous brands<br />
within a product class or from seeking out information about them“ (S. 368f.).<br />
Verbraucher haben folglich Spaß an der <strong>St</strong>imulation durch das Ausprobieren einer<br />
Vielzahl <strong>von</strong> Produkten.<br />
Die positive Wirkung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf hedonistische Aspekte des<br />
Konsumerlebnisses kann schließlich auch damit erklärt werden, dass Konsumenten<br />
durch ein großes Produktangebot mehr Möglichkeiten haben, ihre eigenen<br />
Präferenzen zu lernen. Häufig kennt ein Verbraucher seine Wünsche und<br />
Präferenzen vor einer Kaufentscheidung nicht (vgl. Dhar 1997a, S: 216 Tversky 1996,<br />
S. 17) und konkretisiert diese erst bei der Besichtigung des Vorhandenen (vgl.<br />
Schmidt 1990, S. 246). Wie Kahn (1998) gezeigt hat, haben Entscheider hieran<br />
grundsätzlich Freude und sind dadurch nach und mit dem Einkauf zufriedener (vgl.<br />
Kahn 1998, S. 51). Da mit der Anzahl der verfügbaren Produktalternativen auch die<br />
Lernmöglichkeiten der eigenen Präferenzen steigen „(…) enjoy (customers) asserting<br />
their preferences within a large assortment (…)“ (Desmeules 2002, S. 6).<br />
Fasst man die aufgeführten Argumentationsstränge zusammen, so kann man<br />
annehmen, dass Konsumenten der <strong>Produktvielfalt</strong> einen hedonistischen <strong>Wert</strong><br />
beimessen, der sich im Empfinden positiver Emotionen, wie z. B. empfundener<br />
Wahlfreiheit, Freude und Spaß manifestiert. Zurückzuführen ist dies auf die<br />
• mit der Vielfalt zunehmende Wahlfreiheit,<br />
• Gefühle der Kontrolle und Selbstbestimmtheit,<br />
• zunehmende <strong>St</strong>imulation und<br />
• (Präferenz)Lernmöglichkeiten sowie<br />
• inversen Reaktanzeffekte.<br />
Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Desmeules (2002), der mit dem „potential<br />
benefit of variety on the hedonic value of shopping“ den Zusammenhang <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> und hedonistischem Einkaufserlebnis betont und insgesamt folgert,<br />
dass „(…) large assortments support a pleasant shopping experience, and thus create<br />
a stream of positive affect experiences (…)“ (Desmeules 2002, S. 8).<br />
119
Auswirkungen des positiven Affekts auf das Konsumentenverhalten<br />
Folge der positiven Emotionen während des Einkaufs ist, dass „people evaluate nearly<br />
everything more positively“ (Kahn/Wansink 2004, S. 521). Kahn und Wansink (2004)<br />
erklären dies damit, dass Konsumenten erstens in einer positiven <strong>St</strong>immung eher<br />
positive Informationen aus dem Gedächtnis abrufen und sie zweitens ihre positiven<br />
Emotionen als Information und Grundlage für die Beurteilung einzelner Produkte<br />
nutzen. Sind sie positiv gestimmt, beurteilen sie folglich einen <strong>St</strong>imulus positiver. Als<br />
drittes Argument führen die Autoren an, dass Entscheider die empfundenen Gefühle<br />
nutzen, um ihre künftigen Emotionen zu antizipieren: „(...) if increases in perceived<br />
variety increase positive feelings, people should also anticipate a higher enjoyment of<br />
the items to be consumed (…)” (Kahn/Wansink 2004, S. 521).<br />
Als kurzfristige Konsequenz steigt durch die <strong>von</strong> der <strong>Produktvielfalt</strong> verursachten<br />
positiven Emotionen die Kaufintention des Konsumenten, mittelfristig sollte durch<br />
die positive Produktbeurteilung die Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt<br />
zunehmen. Da Konsumenten wie oben erläutert dem „act of purchasing itself“<br />
(Babin/Darden/Griffin 1994, S. 646) einen hedonistischen <strong>Wert</strong> beimessen und dieser<br />
durch die Anzahl der Alternativen gesteigert werden kann, sollte sich eine erhöhte<br />
Anzahl an Alternativen auch positiv auf die Beurteilung des Einkaufserlebnises, und<br />
damit auf die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess auswirken.<br />
Abbildung 31 stellt die aus den Ausführungen zum Shopping Hedonismus abgeleiteten<br />
Zusammenhänge im Überblick dar.<br />
120
Determinanten<br />
Nutzendimension<br />
Konsequenzen<br />
Facetten des NPV<br />
Quantitativ<br />
Qualitativ<br />
Anzahl der<br />
Produkte<br />
+<br />
Nutzen<br />
Argumentationslogik der Wirkung<br />
Entstehung positiver Emotionen durch<br />
• Entscheidungsfreiheit/ "inverse Reaktanz"<br />
• Kontrolle und Selbsbestimmtheit<br />
• Sensorische <strong>St</strong>imulation<br />
• Vorstellung, Produkt zu besitzen<br />
• Spass am Informationsgewinn und Lernen<br />
der eigenen Präferenzen<br />
Durch positive Emotionen positive Bewertung<br />
<strong>von</strong> Produkt und Prozess<br />
Ausgang d.<br />
Entscheidung<br />
Bewertung<br />
Kauintention<br />
Zufriedenheit<br />
• Prozess<br />
• Produkt<br />
+<br />
+<br />
+<br />
Facetten des NPV<br />
Spaß am<br />
Einkauf<br />
positive<br />
Emotionen<br />
Abbildung 31: Zusammenfassende Darstellung der Zusammenhänge des Shopping Hedonismus und<br />
dem Nutzen <strong>von</strong> hoher <strong>Produktvielfalt</strong><br />
2.3.1.3 Zusammenfassung<br />
In diesem Kapitel wurden durch die theoretischen Ausführungen zur Nutzenerwartungswerttheorie<br />
und dem Shopping Hedonismus verschiedene Aspekte der positiven<br />
Wirkung hoher <strong>Produktvielfalt</strong> aufgezeigt. Hierbei wurde deutlich, dass sich hohe<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> positiv auf den Ausgang der Kaufentscheidung und die Bewertung<br />
<strong>von</strong> Kaufprozess und gekauftem Produkt auswirken kann. Dieser vermutete<br />
Wirkungszusammenhang basiert sowohl auf kognitiven als auch auf affektiven<br />
Nutzenfacetten hoher <strong>Produktvielfalt</strong>. Erstere folgen vor allem aus der<br />
Nutzenerwartungswerttheorie und beziehen sich auf den mit zunehmender<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> steigenden antizipierten Produktnutzen und der dadurch zunehmenden<br />
Erfolgsaussicht. Die affektiven Aspekte basieren auf dem Shopping Hedonismus und<br />
erklären die positive Wirkung hoher <strong>Produktvielfalt</strong> durch die dadurch hervor<br />
gerufenenen positiven Emotionen und den Spaß am Einkauf. Die aus den Theorien<br />
abgeleiteten Hypothesen werden zusammenfassend in Kapitel 2.3.3 (S. 176ff.)<br />
beschrieben.<br />
Nach der theoretischen Begründung der Nutzenaspekte hoher <strong>Produktvielfalt</strong> in<br />
diesem Kapitel, wird im nächsten Abschnitt aus verschiedenen Theorien die negative<br />
Wirkung hoher <strong>Produktvielfalt</strong> auf das Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten abgeleitet.<br />
121
2.3.2 Theorien zur Erklärung der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Nachfolgend werden Theorien zur Erklärung der mit der <strong>Produktvielfalt</strong> verbundenen<br />
Kosten aus Konsumentensicht dargestellt. Dabei werden sowohl kognitive als auch<br />
affektive Aspekte berücksichtigt. Die Theorie der Cost of Thinking dient der<br />
Erklärung der kognitiven Kostenwirkung der <strong>Produktvielfalt</strong>. Die affektive<br />
Komponente wird durch die Konflikttheorie und die Theorie des antizipierten Regrets<br />
abgedeckt. Dadurch werden sowohl antizipierte als auch im Prozess entstandene und<br />
erlebte Emotionen als Basis der Erklärung der negativen Wirkung <strong>von</strong> hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> auf das Konsumentenverhalten verwendet.<br />
2.3.2.1 The Cost of Thinking<br />
„To most people nothing is more troublesome than the effort of thinking”<br />
(James Bryce, The American Commonwealth 1888, zitiert nach<br />
Shugan 1980, S. 99)<br />
Shugan (1980) schlägt in seiner Theorie der „Cost of Thinking“ eine Methodik vor,<br />
wie der kognitive Aufwand der Entscheidungsfindung für verschiedene<br />
Entscheidungsstrategien quantifiziert werden kann, indem er ein „(...) measurable<br />
(i.e., well-defined and calculable) unit of thought (...)“ (Shugan 1980, S. 100)<br />
definiert. Diese Gedankeneinheit – das „unit of thought“ (Shugan 1980, S. 100) –<br />
legte er fest als den kognitiven Aufwand, den ein Entscheider beim Vergleich <strong>von</strong><br />
zwei Alternativen hinsichtlich eines Attributs hat (vgl. Payne/Bettman/Johnson 1993,<br />
S. 76).<br />
Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist dabei, dass ein Konsument, der erstmalig aus<br />
einem Sortiment mit M Alternativen wählt, insgesamt M – 1 Vergleiche <strong>von</strong> jeweils<br />
zwei Alternativen machen muss, um das aus seiner Sicht optimale Produkt zu<br />
identifizieren. Shugan legt seiner Theorie damit Entscheidungsmodelle zugrunde, die<br />
auf binären Vergleichen <strong>von</strong> Alternativen basieren, was die allgemeine Anwendbarkeit<br />
seiner Theorie aber deutlich einschränkt (vgl. Payne/Bettman/Johnson 1993, S. 76).<br />
Einen Entscheidungsprozess, der auf binären Vergleichen basiert, kann man sich als<br />
eine Art „Turnier“ vorstellen: <strong>Der</strong> Entscheider ermittelt zunächst aus zwei<br />
(beliebigen) Alternativen die aus seiner Sicht bessere und vergleicht diese<br />
122
anschließend mit der nächsten Alternative. Er wählt wiederum die bessere und verfährt<br />
nach diesem Prinzip so lange, bis nur noch ein Produkt übrig bleibt. Dieses ist dann<br />
das aus seiner Sicht beste.<br />
Ist der Vergleich <strong>von</strong> zwei Alternativen mit dem kognitiven Aufwand f i verbunden, so<br />
entstehen durch die Entscheidung insgesamt kognitive Kosten (Thinking Costs) c <strong>von</strong><br />
M<br />
∑ − 1<br />
f i<br />
p=<br />
1<br />
c =<br />
(6)<br />
M<br />
f i<br />
c<br />
Anzahl der Alternativen<br />
Geistiger Aufwand beim Vergleich <strong>von</strong> zwei Alternativen<br />
Kognitive Kosten (Thinking Costs)<br />
Kognitiver Aufwand bei der Wahl eines <strong>von</strong> zwei Produkten<br />
Shugan geht da<strong>von</strong> aus, dass die Vergleichskosten <strong>von</strong> zwei Alternativen f i <strong>von</strong> der<br />
Anzahl der Attributvergleiche abhängt, die ein Konsument machen muss, um mit<br />
entsprechender Sicherheit zu wissen, das bessere der beiden Produkt zu wählen. Er<br />
postuliert, dass drei Faktoren diese Vergleichsanzahl bestimmen:<br />
Bezeichnet z r die Nutzendifferenz <strong>von</strong> zwei Produkten hinsichtlich des zufällig<br />
gewählten Attributs r, so ist die Anzahl der Vergleiche abhängig <strong>von</strong>:<br />
1. Dem Durchschnittlichen Nutzenunterschied der Alternativen: Ist das Attribut<br />
r zufällig gewählt so entspricht dies dem Erwartungswert E(z).<br />
2. Dem Konfidenzniveau α mit dem die Entscheidung getroffen wird<br />
(Wahrscheinlichkeit, keine Fehlentscheidung zu treffen)<br />
3. <strong>Der</strong> Schwankung (Variability) der Nutzenunterschiede über die Attribute r: Ist<br />
r zufällig gewählt, wird diese durch die Varianz Var(z) beschrieben (vgl.<br />
Shugan 1980, S. 101).<br />
1. Nutzenunterschiede [E(z)]: Haben zwei Alternativen aus Sicht des Konsumenten<br />
deutlich unterschiedliche Nutzenwerte, dominiert also beispielsweise eine Alternative<br />
alle anderen, so fällt dem Konsumenten die Entscheidung relativ leicht. Die Höhe des<br />
durchschnittlichen Nutzenunterschieds ist folglich umgekehrt proportional zur<br />
Entscheidungsschwierigkeit.<br />
123
2. Konfidenzniveau (α): Im Gegensatz hierzu wird die Entscheidung schwieriger,<br />
wenn der Konsument das Risiko einer Fehlentscheidung reduzieren möchte und somit<br />
das Konfidenzniveau α erhöht. Als Folge unternimmt der Konsument mehr<br />
Attributvergleiche. Wichtig ist, dass α ein exogener Einflussfaktor ist und nicht <strong>von</strong><br />
der Anzahl und Art der Alternativen bestimmt wird. Das Konfidenzniveau ist vielmehr<br />
vom Involvement des Konsumenten in der Entscheidung (Felt Involvement) und damit<br />
z. B. vom Ressourcenbedarf und der Wichtigkeit anderer Entscheidungen abhängig<br />
(vgl. Shugan 1982, S. 173). Konfidenzniveau und Entscheidungsschwierigkeit sind<br />
somit direkt proportional zueinander.<br />
3. Nutzenunterschiede [Var(z)]: <strong>St</strong>eigt die Schwankung der Nutzenunterschiede, so<br />
erhöht sich auch die Entscheidungsschwierigkeit, Var(z) und die Entscheidungskosten<br />
sind damit direkt proportional. Die Varianz Var(z) kann dabei als „(...) perceptual<br />
difficulty in comparing the two products (...)“ (Shugan 1980, S. 102) interpretiert<br />
werden. Deutlich wird dies, wenn man die Varianz in ihre Komponenten zerlegt:<br />
var(z) = var(U j ) + var(U k ) – 2 cov(U j , U k ) (7)<br />
U j,k<br />
Nutzen der Alternativen j, k<br />
Die ersten beiden Terme var(U j ) und var(U k ) können als Fehlen eines Halo-Effekts 30<br />
<strong>von</strong> Produkt j bzw. k interpretiert werden: Ist ein Produkt j hinsichtlich aller Alttribute<br />
sehr attraktiv, dann ist die Varianz des Nutzens var(U j ) relativ gering und das Produkt<br />
besitzt einen ausgeprägten Halo-Effekt. Bei der Wahl dieses Produkts muss der<br />
Konsument keine Kompromisse eingehen und negative Aspekte in Kauf nehmen, was<br />
die Entscheidung erleichtert. Besitzt Produkt j dagegen attraktive und weniger<br />
attraktive Attribute (Appetenz-Aversions-Konflikt, siehe hierzu auch die Ausführungen<br />
auf S. 136ff.), dann ist die Varianz des Produktnutzens var(U j ) hoch und ein<br />
Halo-Effekt fehlt. Da ein Konsument mit dem Kauf dieses Produkt neben den<br />
positiven Aspekten auch die negativen realisiert, fällt die Entscheidung zu Gunsten des<br />
Produkts schwer. Je ähnlicher ein Produkt in allen Attributen ist, je stärker also sein<br />
Halo-Effekt, desto einfacher ist die Entscheidung.<br />
30 Einfluss der allgemeinen Einstellung zu einem Produkt auf die Wahrnehmung einzelner<br />
Produktattribute. Halo kommt aus dem Englischen und bedeutet Heiligenschein. Für das Produkt<br />
und dessen Wahrnehmung bedeutet dieser Effekt, dass man bei Produkten, die man mag und<br />
schätzt, auch alle Eigenschaften dieses Produktes für gut hält (vgl. Herrmann 1998, S. 95).<br />
124
Die Kovarianz cov(U j , U k ) kann als wahrgenommene Ähnlichkeit der Produkte j und<br />
k interpretiert werden und ist indirekt proportional zur Entscheidungsschwierigkeit. Je<br />
unähnlicher sich die Produkte hinsichtlich ihrer Attributausprägungen sind, desto<br />
schwerer ist folglich die Entscheidung. Shugan verdeutlicht dies an einem Beispiel,<br />
das in Abbildung 32 dargestellt ist:<br />
Abbildung A<br />
Einfache Entscheidung: positive Kovarianz<br />
Abbildung A:<br />
Schwierige Entscheidung: negative Kovarianz<br />
Nutzen<br />
6<br />
(cov [U A , U B ] = 1,56) (cov [U A , U B ] = -0,78)<br />
Nutzen<br />
6<br />
5<br />
Produkt A<br />
5<br />
Produkt C<br />
4<br />
Produkt B<br />
4<br />
Produkt D<br />
3<br />
3<br />
2<br />
2<br />
1<br />
1<br />
0<br />
1 2 3<br />
Produktattribute<br />
0<br />
1 2 3<br />
Produktattribute<br />
Abbildung 32: Zusammenhang <strong>von</strong> Ähnlichkeit und Kovarianz <strong>von</strong> zwei Produkten und der<br />
Schwierigkeit der Entscheidung zwischen diesen. In Anlehnung an Shugan 1980, S. 103<br />
In Abbildung A werden zwei Produkte mit je drei Attributen miteinander verglichen.<br />
Produkt A ist Produkt B in allen Eigenschaften überlegen. Die Kovarianz ist positiv<br />
und die Thinking Cost daher ceteris paribus gering. In Abbildung B werden die<br />
Produkte C und D miteinander verglichen. Diese haben mit 10 (=3+2+5) bzw. 7<br />
(=4+2+1) Nutzeneinheiten sowohl denselben Nutzenwert als auch dieselbe<br />
Nutzendifferenz wie die Produkte A (10=2+5+3) und B (7=1+4+2) in Abbildung A.<br />
Die Kovarianz ist aber negativ, da sowohl Produkt C als auch Produkt D dem anderen<br />
in jeweils einer Eigenschaft überlegen sind. <strong>Der</strong> Konsument muss daher die<br />
Eigenschaften 1 und 3 gegeneinander abwägen und hinsichtlich dieser einen<br />
Kompromiss (Trade-off) bei der Entscheidung eingehen. Dies macht die Entscheidung<br />
schwerer 31 (vgl. Shugan 1980, S. 103). Das nächste Kapitel geht auf die affektive<br />
Wirkung <strong>von</strong> Trade-offs detailliert ein.<br />
Shugan sieht damit nicht nur die Anzahl der Altnernativen und deren Attribute,<br />
sondern auch deren <strong>St</strong>ruktur als wesentliche Bestimmungsfaktoren der<br />
31 Vergleiche hierzu auch die Ausführungen zur Konflikttheorie auf S. 134ff.<br />
125
Entscheidungskosten. Beide Aspekte sollen deshalb als Einflussgrößen der Kosten<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> in dem zu entwickelnden Gesamtmodell berücksichtigt werden.<br />
Zusammenfassend ist die Anzahl notwendiger Attributvergleiche beim Vergleich <strong>von</strong><br />
zwei Produkten und damit die Entscheidungsschwierigkeit<br />
• indirekt proportional zum durchschnittlichen Nutzenunterschied der<br />
Alternativen,<br />
• direkt proportional zum Konfidenzniveau α und<br />
• direkt proportional zur Ähnlichkeit sowohl eines Produkts hinsichtlich der<br />
Attraktivität seiner Attribute, als auch zwischen den Produkten hinsichtlich der<br />
Ausprägung ihrer Attribute.<br />
Ein Konsument vergleicht so viele Attribute <strong>von</strong> zwei Alternativen miteinander, bis er<br />
mit einer Wahrscheinlichkeit <strong>von</strong> α die aus seiner Sicht bessere wählen kann.<br />
Shugan leitet auf Basis der obigen Ausführungen eine Obergrenze f p für die<br />
minimale Anzahl an notwenigen Attributvergleichen <strong>von</strong> zwei Produkten bei einem<br />
Konfidenzniveau <strong>von</strong> α ab:<br />
f p<br />
var()<br />
z<br />
( 1−α<br />
)[ E( z)<br />
] 2<br />
= (8)<br />
f p<br />
potenzielle Kosten beim Vergleich <strong>von</strong> zwei Alternativen<br />
Obige Gleichung besagt, dass die Wahrscheinlichkeit für eine richtige Entscheidung<br />
mindestens α ist, wenn f p Attribute der beiden Optionen miteinander verglichen<br />
werden (vgl. Shugan 1980, S. 103) (Theorem 1).<br />
Diese potenziellen Kosten f p bei der Entscheidung zwischen zwei Alternativen bilden<br />
den Grundbaustein für die Schätzung kognitiver Kosten bei der Auswahl eines<br />
Produkts aus mehreren Produkten.<br />
126
Kognitiver Aufwand bei der Wahl eines <strong>von</strong> mehreren Produkten<br />
Besteht ein Sortiment aus M Alternativen, aus denen die beste unter der Verwendung<br />
einer kompensatorischen Entscheidungsstrategie (Nutzenmaximierung!) gewählt<br />
werden soll, ist dies nach der Methodik <strong>von</strong> Shugan mit folgendem kognitiven<br />
Entscheidungsaufwand c verbunden:<br />
M 1<br />
∑ − p<br />
p = 1<br />
( M − 1) f<br />
c = f =<br />
(9)<br />
f<br />
durchschnittliche binäre Vergleichskosten <strong>von</strong> zwei Alternativen<br />
Da die Verteilung <strong>von</strong> z r (Nutzendifferenz <strong>von</strong> zwei Produkten hinsichtlich Attribut r)<br />
unbekannt ist, können die durchschnittlichen Vergleichskosten f durch die<br />
potenziellen durchschnittlichen Vergleichskosten<br />
f<br />
p<br />
ersetzt werden. Sowohl f als<br />
auch f<br />
p<br />
hängen <strong>von</strong> der Reihenfolge ab, in der die Alternativen miteinander<br />
verglichen werden. Shugan geht <strong>von</strong> einer optimalen, d. h. kostenminimalen<br />
Vergleichsreihenfolge aus und definiert auf dieser Basis die Thinking Costs c p als:<br />
c<br />
p<br />
*<br />
( M − 1) f<br />
= (10)<br />
p<br />
*<br />
f<br />
p<br />
durchschnittliche Vergleichskosten <strong>von</strong> zwei Alternativen bei optimaler<br />
Vergleichsreihenfolge (vgl. Shugan 1980, S. 104).<br />
Synonym zur Bezeichnung Thinking Costs verwendete Shugan auch den Begriff<br />
Confusion Index. Wie aus obiger Formel zu erkennen ist, steigen die Thinking Cost<br />
linear mit der Anzahl der verfügbaren Alternativen. Shugan trifft bei der<br />
Berechnung die Annahme, dass die durchschnittlichen Vergleichskosten <strong>von</strong> zwei<br />
Alternativen unabhängig <strong>von</strong> der Anzahl der Alternativen M sind. Empirische<br />
Untersuchungen haben aber gezeigt, dass der Vergleichsaufwand aufgrund der<br />
geringer werdenden Unterschiede der Alternativen steigt, wenn der Choice Set im<br />
Laufe der Entscheidung kleiner wird (vgl. Payne 1976; Payne/Bettman/Johnson 1993,<br />
S. 76).<br />
Die <strong>von</strong> Shugan vorgeschlagene Methodik zur Messung des kognitiven Aufwands bei<br />
einer Entscheidung hat, wie schon erwähnt, einen Schwachpunkt: Die Messeinheit, das<br />
127
Unit of Thought, ist definiert als der kognitive Aufwand beim Vergleich <strong>von</strong> zwei<br />
Alternativen hinsichtlich eines Attributs. Dadurch kann diese Methodik zur Messung<br />
des kognitiven Auswahlaufwands nur auf Entscheidungsregeln angewendet werden,<br />
die auf dem binären Vergleich <strong>von</strong> Alternativen basieren (vgl. Payne/Bettman/Johnson<br />
1993, S. 76). Aus diesem Grund wurden alternative Methoden entwickelt, die eine<br />
Entscheidung in mehrere verschiedene Komponenten zerlegen, die so genannten<br />
Elementary Information Processes (EIPs).<br />
Methodik der Elementary Information Processes (EIPs)<br />
Basierend auf den Arbeiten <strong>von</strong> Newell und Simon (1972) haben Huber (1980) und<br />
Johnson (1979) eine Methodik zur Messung des kognitiven Aufwands bei der<br />
Anwendung verschiedener Entscheidungsstrategien vorgeschlagen. Hauptunterschied<br />
dieser Methodik zu der <strong>von</strong> Shugan (1980) ist, dass Entscheidungsprozesse nicht wie<br />
bei den Thinking Costs nach Shugan durch eine Komponente, sondern durch die<br />
Abfolge mehrerer verschiedener Komponenten beschrieben werden. Diese werden<br />
als Elementary Information Processes (EIPs) bezeichnet. Ein EIP beschreibt mentale<br />
Prozesse wie z. B. das Lesen des <strong>Wert</strong>s einer Alternative in das Kurzzeitgedächtnis<br />
(READ), den Vergleich <strong>von</strong> zwei Alternativen hinsichtlich eines Attributs<br />
(COMPARE) oder den Ausschluss einer Alternative <strong>von</strong> der weiteren Betrachtung<br />
(ELIMINATE). Die „Bausteine“ wie auch die gesamte Methodik erinnert dabei an die<br />
aus der Informatik bekannte Beschreibung <strong>von</strong> Algorithmen oder Informationsverarbeitungsprozessen.<br />
Tabelle 4 beschreibt die am häufigsten verwendeten EIPs.<br />
128
EIP (Elementary<br />
Information Process)<br />
READ<br />
COMPARE<br />
DIFFERENCE<br />
ADD<br />
PRODUCT<br />
ELIMINATE<br />
MOVE<br />
CHOOSE<br />
Beschreibung des Prozessschrittes<br />
Lese den <strong>Wert</strong> eines Attributs einer Alternative ins Kurzzeitgedächtnis ein.<br />
Vergleiche zwei Alternativen hinsichtlich eines Attributs<br />
Berechne die Höhe des Unterschieds zweier Alternativen hinsichtlich eines Attributs<br />
Addiere die <strong>Wert</strong>e eines Attributs im Kurzzeitgedächtnis<br />
Gewichte einen <strong>Wert</strong> mit einem anderen (Multiplikation)<br />
Schließe eine Alternative oder ein Attribut <strong>von</strong> der weiteren Betrachtung aus<br />
Gehe zum nächsten Element der „Umwelt“ (external environment)<br />
Gib die gewählte Alternative bekannt und beende den Prozess<br />
Tabelle 4: Übersicht verschiedener Elementary Information Processes (EIPs), die zur<br />
Beschreibung des Ablaufs einer Kaufentscheidung dienen. Quelle: Bettman/Johnson/Payne 1990,<br />
S. 114 (Übersetzung durch Verfasser)<br />
<strong>Der</strong> kognitive Gesamtaufwand einer Entscheidung ergibt sich aus der Summe an EIPs,<br />
wobei diese entweder gleich (Equal-weighted EIP Model) oder je nach Prozessschritt<br />
individuell (Weighted EIP Model) gewichtet werden können. Da Konsumenten<br />
einzelne Schritte im Entscheidungsprozess als schwerer empfinden als andere, hat sich<br />
das Weighted EIP Model als überlegen erwiesen (vgl. Bettman/Johnson/Payne 1990,<br />
S. 134). Payne, Bettman und Johnson (1990, 1993) haben mit Hilfe der EIP-Methodik<br />
den kognitiven Aufwand einer Produktwahl untersucht und dabei festgestellt, dass<br />
dieser im Wesentlichen <strong>von</strong> drei Faktoren bestimmt wird (vgl. Payne/Bettman/Johnson<br />
1993, S. 79):<br />
1. Größe des Entscheidungsproblems (Anzahl der Alternativen und Attribute)<br />
2. Art der verwendeten Entscheidungsstrategie<br />
3. Spezifische <strong>Wert</strong>e der einzelnen Alternativen<br />
Abbildung 33 zeigt die Forschungsergebnisse im Hinblick auf die ersten beiden<br />
Faktoren.<br />
129
A: Gemessener Zeitaufwand<br />
B: Empfundener Aufwand<br />
C: Berechneter kognitiver Aufwand<br />
Sek. 180<br />
160<br />
140<br />
120<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
1 2 3 4 5 6 7<br />
Anzahl Alternativen<br />
Skala<br />
(0-10)<br />
10<br />
9<br />
8<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
1 2 3 4 5 6 7<br />
Anzahl Alternativen<br />
EIPs 300<br />
250<br />
200<br />
150<br />
100<br />
50<br />
0<br />
1 2 3 4 5 6 7 8 9<br />
Anzahl Alternativen<br />
Verwendete <strong>St</strong>rategie<br />
WADD<br />
EBA LEX<br />
Abbildung 33: Zusammenhang <strong>von</strong> Alternativenzahl und kognitivem Entscheidungsaufwand bei<br />
verschiedenen Entscheidungsstrategien. Daten 32 aus Bettman/Johnson/Payne (1990, 1993)<br />
Die Abbildung verdeutlicht, dass der kognitive Aufwand mit zunehmender<br />
Alternativenzahl tendenziell steigt. Die Autoren haben hierbei Konsumenten vor<br />
verschieden große Entscheidungsprobleme gestellt und zur Messung des kognitiven<br />
Aufwands, deren Zeitbedarf für die Entscheidung und die dabei empfundene<br />
Anstrengung (Effort) 33 erfasst.<br />
In der Grafik ist außerdem zu erkennen, wie durch die Anwendung vereinfachender<br />
<strong>St</strong>rategien (EBA und LEX) der Aufwand im Vergleich zum normativen Fall (WADD)<br />
erheblich reduziert werden kann. Damit geht jedoch eine Verschlechterung der<br />
Entscheidungsqualität und deshalb eine Zunahme des Fehlerrisikos einher. Die drei<br />
Autoren haben diese Beziehung in ihrem Effort-Accuracy Framework zusammengefasst.<br />
Dieses besagt, dass ein Entscheider diejenige <strong>St</strong>rategie wählt, die aus seiner<br />
Sicht das für die Entscheidung beste Kosten-Nutzen-Verhältnis (Effort-Accuracy) hat,<br />
also den besten Kompromiss aus Entscheidungsaufwand und Entscheidungsqualität<br />
darstellt (vgl. Payne/Bettman/Johnson 1993, S. 94ff.) (siehe hierzu auch die<br />
Ausführungen auf S. 20 ff.)<br />
Aus dem Vergleich <strong>von</strong> Grafik A und B mit Grafik C ist zu erkennen, dass sich der<br />
kognitive Aufwand einer Entscheidung gemessen in Entscheidungszeit und<br />
empfundener Anstrengung durch ein EIP-Modell gut annähern lässt. Bettman und<br />
seine Kollegen konnten zeigen, dass insbesondere das Weighted EIP Model, das<br />
unterschiedliche Gewichtungen der Prozesskomponenten (EIPs) vorsieht, einen guten<br />
32 Die beiden linken Grafiken zeigen die Ergebnisse für den Fall, dass die Alternativen jeweils drei<br />
Attribute hatten (vgl. Bettman/Payne/Johnson 1990, S. 128f.).<br />
130
Fit sowohl für die Entscheidungszeit (R 2 = 0,75) als auch den berichteten<br />
Entscheidungsaufwand (R 2 = 0,59) hat (vgl. Bettman/Johnson/Payne 1990, S. 130).<br />
Die Autoren ziehen daraus den Schluss „(…) that a small number of simple operations<br />
can be viewed as the fundamental components from which decision rules are<br />
constructed. However, the results do suggest significant individual differences in the<br />
effort associated with individual EIPs“ (Bettman/Payne/Johnson 1990, S. 135).<br />
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Methodik der Zerlegung eines<br />
Produktwahlprozesses in eine Abfolge verschiedener Prozesskomponenten (EIPs)<br />
weitere theoretische Argumente dafür geliefert hat, dass die kognitive Belastung<br />
einer Entscheidung mit der Höhe der <strong>Produktvielfalt</strong> steigt. Die <strong>St</strong>udien <strong>von</strong><br />
Payne, Bettman und Johnson haben hierfür empirische Belege erbracht und<br />
gleichzeitig aufgezeigt, dass Konsumenten durch die Anwendung vereinfachender<br />
Heuristiken die kognitive Belastung reduzieren können, wenn sie bereit sind, hierfür<br />
eine suboptimale Entscheidung zu riskieren.<br />
Zusammenfassung und Schlussfolgerung<br />
Shugan (1980) hat in seiner Theorie der Cost of Thinking eine Methodik<br />
vorgeschlagen, wie der kognitive Aufwand einer Alternativenauswahl z. B. bei einer<br />
Kaufentscheidung, für Entscheidungsstrategien, die auf binären Attributvergleichen<br />
basieren, geschätzt werden kann 34 . Als Messeinheit hat er hierfür den kognitiven<br />
Aufwand beim Vergleich <strong>von</strong> zwei Alternativen hinsichtlich eines Attributs definiert<br />
(vgl. Shugan 1980, S. 100ff.). Die Methodik der EIPs basiert auf der gleichen<br />
Grundüberlegung, geht aber <strong>von</strong> mehreren Prozesskomponenten aus, die sich<br />
hinsichtlich Inhalt und kognitiver Belastung unterscheiden (vgl. z. B. Bettman/<br />
Payne/Johnson 1990, S. 114ff.).<br />
Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass sowohl die Theorie der Cost of<br />
Thinking (Shugan 1980), als auch die Methodik der EIPs (Huber 1980; Johnson<br />
1979; Bettman/Johnson/Payne 1990; Payne/Bettman/Johnson 1993) theoriebasierte<br />
Argumente für die Entstehung kognitiver Kosten durch (hohe) <strong>Produktvielfalt</strong><br />
liefern.<br />
33 Skala <strong>von</strong> 0 (gering) bis 10 (hoch)<br />
34 Im obigen Abschnitt wurden nur die Ergebnisse bei der Anwendung einer kompensatorischen<br />
<strong>St</strong>rategie gezeigt. Für die Aufwandsschätzungen verschiedener anderer <strong>St</strong>rategien sei der<br />
interessierte Leser auf Shugan 1980, S. 105ff. verwiesen.<br />
131
Im Hinblick auf die kognitiven Aspekte der Kostendimension des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> lassen sich aus der Theorie der Cost of Thinking und der Methodik der<br />
EIPs zusammenfassend folgende Punkte ableiten:<br />
1. <strong>Der</strong> kognitive Aufwand der Entscheidung nimmt mit der Anzahl der zur Wahl<br />
stehenden Alternativen zu.<br />
2. Durch die Anwendung vereinfachender Entscheidungsstrategien<br />
(Heuristiken) kann der Konsument die kognitiven Kosten der <strong>Produktvielfalt</strong><br />
reduzieren, geht hierfür aber das Risiko einer suboptimalen Entscheidung ein.<br />
Dies kann zur Entstehung <strong>von</strong> antizipiertem oder empfundenen Regret<br />
führen und die Entscheidung dadurch emotional schwieriger machen. (siehe<br />
hierzu auch Kapitel 2.3.2.3, S. 158ff.). Durch die empfundene Suboptimalität<br />
der Entscheidung kann außerdem die Zufriedenheit mit dem<br />
Entscheidungsprozess und dem Produkt negativ beeinflusst werden.<br />
3. <strong>Der</strong> kognitive Entscheidungsaufwand ist vom Attraktivitätsunterschied der<br />
Alternativen abhängig: Ist beispielsweise der Gesamtnutzen <strong>von</strong> zwei<br />
Alternativen in etwa gleich hoch, dann stellen beide relevante Optionen zur<br />
Bedürfnisbefriedigung dar und die Entscheidung fällt dem Konsumenten relativ<br />
schwer.<br />
4. Die <strong>St</strong>ruktur der Alternativen beeinflusst die Entscheidungskosten: Shugan<br />
(1980) hat gezeigt, dass bei der Verwendung einer kompensatorischen<br />
Entscheidungsstrategie der kognitive Aufwand <strong>von</strong> der Kovarianz des Nutzens<br />
der Alternativen und damit <strong>von</strong> der Anzahl und Größe der Trade-offs<br />
zwischen diesen abhängt.<br />
5. Die kognitiven Ressourcen, die der Konsument in die Entscheidung investiert,<br />
richten sich nach seinem Involvement und seiner Risikobereitschaft: Je höher<br />
das Involvement, desto geringer ist die Bereitschaft, das Risiko einer<br />
Fehlentscheidung einzugehen. Hohes Involvement ist deshalb mit größeren<br />
Ressourceneinsatz bei der Entscheidungsfindung verbunden.<br />
132
6. Die Entscheidungskosten sind abhängig <strong>von</strong> der Reihenfolge der<br />
Produktvergleiche und damit <strong>von</strong> der Erfahrung bzw. dem spezifischen<br />
Wissen und den Fähigkeiten des Konsumenten: Dies ist darauf<br />
zurückzuführen, dass ein erfahrener Entscheider den „kostenminimalen<br />
Entscheidungspfad“ zur Elimination suboptimaler Produkte kennt oder diesen<br />
erschließen kann. Dadurch hat er im Vergleich zum unerfahrenen<br />
Konsumenten, der die Reihenfolge eher zufallsbasiert wählt, im Durchschnitt<br />
geringere Entscheidungskosten.<br />
Die beiden Theorien geben insgesamt theoriebasierte Hinweise dafür,<br />
• daß der kognitive Entscheidungsaufwand ein wichtiger Kostenaspekt hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> ist,<br />
• welche Eigenschaften des Sortiments die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
beeinflussen und deshalb als Bestimmungsgrößen im Modell zu<br />
berücksichtigen sind (z. B. geringe Nutzenunterschiede der Produkte, hohe<br />
Anzahl an Alternativen, schwierige Trade-offs zwischen Alternativen, schlechte<br />
Identifizierbarkeit der besten Alternative),<br />
• welche verhaltensrelevanten Konsequenzen die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
haben (z. B. Kaufaufschub, Kaufverzicht, Anwendung <strong>von</strong> Heuristiken) und<br />
• welche personenspezifischen Eigenschaften die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
beeinflussen können und als Moderatoren ins Wirkungsmodell einbezogen<br />
werden können (z. B. Expertise, Involvement).<br />
In Abbildung 34 sind die wichtigsten Determinanten, Argumentationsstränge und<br />
Konsequenzen, sowie die aus den Theorien abgeleiteten Kostenfacetten<br />
zusammenfassend dargestellt.<br />
133
Determinanten<br />
Kostendimension<br />
Konsequenzen<br />
Facetten der KPV<br />
Quantitativ<br />
Qualitativ<br />
Anzahl der Produkte<br />
Klare Produktunterschiede<br />
Kompromissnotwendigkeit<br />
(wechselseitige Vor- und<br />
Nachteile der Produkte)<br />
+<br />
_<br />
+<br />
Kosten<br />
Argumentationslogik der Wirkung<br />
• <strong>Der</strong> kognitive Aufwand der Entscheidung<br />
steigt mit der Anzahl der Produkte<br />
• Wechselseitige Vor- und Nachteile <strong>von</strong><br />
Produkten verlangen vom Konsumenten<br />
Kompromisse und die Anwendung<br />
kompensatorischer<br />
Entscheidungsstrategien. Dadurch steigt<br />
der Aufwand bei der Entscheidung oder<br />
das Fehlentscheidungsrisiko.<br />
Ausgang d.<br />
Entscheidung<br />
Bewertung<br />
Kaufintention<br />
Zufriedenheit<br />
• Prozess<br />
• Produkt<br />
_<br />
_<br />
_<br />
Facetten der KPV<br />
Aufwand und<br />
Anstrengung<br />
Antizipiertes<br />
Regret<br />
Abbildung 34: Zusammenfassende Darstellung des Zusammenhangs der Theorie der Cost of Thinking<br />
und der EIP-Methodik mit den Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Neben dem kognitivem Aufwand einer Entscheidung spielen auch die emotionalen<br />
Prozesse und Reaktionen während dieser eine wichtige Rolle für das<br />
Konsumentenverhalten: „In an emotion-laden decision, it is not just this cognitive<br />
effort that will be considered but also the emotional toll of the decision“<br />
(Luce/Payne/Bettman 2001, S. 21).<br />
Die nächsten beiden Kapitel stellen mit der Konflikt- und der Regret-Theorie<br />
Grundlagen emotionaler Reaktionen und Prozesse dar, die gemeinsam die Grundlage<br />
für die emotionalen Kostenaspekte hoher <strong>Produktvielfalt</strong> bilden.<br />
2.3.2.2 Konflikt-Theorie<br />
„The experience of conflict is the price one pays for the freedom to choose“<br />
(Tversky/Shafir 1992, S. 358)<br />
Ein intrapersoneller Konflikt entsteht aus der „(...) simultaneous presence of at least<br />
two mutually incompatible response tendencies“ (Festinger 1964, S. 3). Bei der hier<br />
zugrunde liegenden Art <strong>von</strong> Kaufentscheidungen (Quantal Quoice Problem, siehe<br />
S. 39) muss ein Konsument aus mehreren sich gegenseitig ausschließenden<br />
134
Alternativen eine auswählen, wobei diese typischerweise jeweils verschiedene<br />
Entscheidungskriterien besser erfüllen (vgl. Luce/Jia/Fischer 2003, S. 464f.). Luce,<br />
Payne und Bettman (2000) definieren den daraus resultierenden<br />
Entscheidungskonflikt (Decision Conflict) in einer Kaufsituation als „competing<br />
response tendencies arising when one of a set of multiple alternatives must be chosen“<br />
(S. 275). Sie bezeichnen diesen als den „most basic aspect of decision making, for an<br />
active decision is necessary only when there is some conflict between alternatives“<br />
(S. 275).<br />
Motivationale und kognitive Konflikte<br />
Kroeber-Riel und Weinberg (1996) unterscheiden motivationale und kognitive<br />
Konflikte. Motivationale Konflikte gehen auf Antriebskräfte zu widersprüchlichen<br />
Handlungstendenzen zurück. Kognitive Konflikte sind im Gegensatz hierzu eher dem<br />
assoziativen Bereich zuzuordnen und führen zur Umorganisation <strong>von</strong> kognitiven<br />
Elementen. Die Wahl einer <strong>von</strong> zwei Produktalternativen, die der Konsument<br />
gleichermaßen attraktiv findet, ist ein Beispiel für einen motivationalen Konflikt.<br />
Das empfinden kognitiver Dissonanz nach einer Kaufentscheidung ist ein Beispiel<br />
eines kognitiven Konflikts (vgl. Krober-Riel/Weinberg 1996, S. 160). Kognitive<br />
Konflikte sind der Entscheidung nachgelagert und sind folglich eher als eine<br />
Konsequenz denn eine Facette der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> zu verstehen. Da die<br />
kognitive Dissonanz gewissermaßen das Bindeglied zwischen Kaufprozess und<br />
Produktbewertung darstellt (vgl. Oliver 1996, S. 242ff.), wird sie als<br />
Konsequenzkonstrukt der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> im Wirkungsmodell<br />
berücksichtigt (siehe S. 178). Die weiteren Ausführungen in diesem Kapitel beziehen<br />
sich auf die für die Phase der Kaufentscheidung relevanten motivationalen Konflikte.<br />
Motivation bezeichnet einen Prozess, der Menschen dazu veranlasst, auf bestimmte<br />
Art und Weise zu handeln (vgl. Solomon/Bamossy/Askegaard 2001, S. 120).<br />
Demzufolge können durch die Entscheidungssituation ausgelöste motivationale<br />
Konflikte zu bestimmten Verhaltensweisen des Konsumenten führen. Hierbei werden<br />
zwei grundsätzliche Verhaltenstendenzen unterschieden: Appetenz und Aversion<br />
(vgl. Miller 1944, 1959; Solomon/Bamossy/Askegaard 2001, S. 120;<br />
Luce/Payne/Bettman 2000, S. 276ff.).<br />
Als Appetenzverhalten – oder kurz Appetenz (approach) – wird die Annäherung<br />
eines Individuums an ein ihn subjektiv anziehendes Verhaltensziel bezeichnet.<br />
135
Entsprechend versteht man unter Aversion Verhaltenstendenzen, die zur Vermeidung<br />
eines Ziels führen (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S 160). Appetenz und Aversion<br />
bezeichnen somit gegenteilige Verhaltenstendenzen eines Konsumenten. Ein Beispiel<br />
für Appetenz ist das Bestreben eines Philatelisten, in den Besitz einer seltenen<br />
Briefmarke zu kommen. Dagegen kann der hohe Preis des Produkts<br />
Aversionsverhalten bewirken und zur Vermeidung der Anschaffung führen.<br />
Resultierend aus der Unterscheidung <strong>von</strong> positiven und negativen<br />
Verhaltenstendenzen, ergeben sich drei Arten <strong>von</strong> Konflikten (vgl. Miller 1944,<br />
1959; Solomon/Bamossy/Askegaard 2001, S. 120; Luce/Payne/Bettman 2000,<br />
S. 276ff.):<br />
1. Appetenz-Appetenz-Konflikt<br />
2. Aversions-Aversions-Konflikt<br />
3. Appetenz-Aversions-Konflikt.<br />
Konfliktarten<br />
Appetenz-Appetenz-Konflikte (Approch-Approach Conflicts) entstehen wenn ein<br />
Konsument in einer Kaufsituation zwei Alternativen gleichermaßen attraktiv findet<br />
und beide aus seiner Sicht nur positive Eigenschaften besitzen. Ein Beispiel hierfür ist<br />
eine Situation, in der ein Konsument die Wahl zwischen zwei CDs hat, die er beide<br />
gleichermaßen gut findet, er aber nur eine kaufen kann.<br />
Ein Konsument empfindet einen Aversions-Aversions-Konflikt, wenn er <strong>von</strong> zwei<br />
Produkten das „kleinere Übel“ wählen muss, und beispielsweise die Wahl zwischen<br />
der Reparatur einer kaputten Waschmaschine und dem Kauf einer neuen hat.<br />
Appetenz-Aversions-Konflikte entstehen, wenn eine Produktalternative sowohl<br />
erwünschte als auch unerwünschte Eigenschaften hat. <strong>Der</strong> Entscheider wird also<br />
gleichzeitig <strong>von</strong> den positiven Eigenschaften eines Produkts angezogen (Appetenz)<br />
und dessen negativen, wie z. B. dem hohen Preis abgestoßen (Aversion) (vgl.<br />
Chatterjee/Heath 1996, S. 145).<br />
Ein bekanntes Beispiel eines Lösungsversuchs dieses Konflikts ist der Claim „Weil Sie<br />
es sich wert sind“ <strong>von</strong> L’Oréal. Das Unternehmen versucht, durch diese<br />
Kommunikationsmaßnahme der Aversion (Kaufverzicht, Kauf einer anderen billigeren<br />
Marke), die durch den vergleichsweise hohen Preis ausgelöst wird, entgegenzutreten<br />
und stärkt die Appetenz mit dem Argument „sich etwas Gutes zu tun“. Durch die<br />
136
Verstärkung der positiven Verhaltenstendenzen sollen diese die negativen übersteigen<br />
und zum Kauf führen. (vgl. Solomon/Bamossy/Askegaard 2001, S. 125).<br />
Konflikte können somit sowohl innerhalb einer Wahlalternative<br />
(Within-Alternative) in Form eines Appetenz-Aversions-Konflikts (z. B. Qualität vs.<br />
Preis) als auch zwischen Produktalternativen (Between-Alternatives) in Form <strong>von</strong><br />
Aversions-Aversions- oder Appetenz-Appetenz-Konflikten entstehen (vgl.<br />
Luce/Jia/Fischer 2003, S. 464).<br />
In einer Kaufsituation muss sich der Käufer normalerweise zwischen mehreren<br />
Alternativen mit verschiedenen Vor- und Nachteilen entscheiden, wobei auch jede<br />
Alternative für sich positive und negative Eigenschaften haben kann (vgl.<br />
Luce/Jia/Fischer 2003, S. 464f.). Mit der Entscheidung für eine bestimmte Alternative<br />
sind für den Konsumenten also sowohl direkte negative Folgen durch deren negative<br />
Eigenschaften, als auch Opportunitätskosten durch den Verzicht auf die positiven<br />
Eigenschaften der nicht gewählten Alternativen verbunden. Bei der Kaufentscheidung<br />
muss der Konsument folglich die positiven Eigenschaften einer Alternative gegen die<br />
direkten und indirekten negativen Folgen einer Entscheidung selbiger abwägen. <strong>Der</strong><br />
dadurch notwendige Kompromiss kann zur Entstehung eines Entscheidungskonflikts<br />
führen (vgl. Scholten 2002, S. 686). Dieser für eine Kaufsituation typische Konflikt<br />
wird als mehrfacher Appetenz-Aversions-Konflikt bezeichnet, da sowohl zwischen<br />
den Alternativen (Between-Alternative Conflict) als auch innerhalb einer Alternative<br />
(Within-Alternative Conflict) ein Konflikt besteht (vgl. Trommsdorff 1998, S. 122).<br />
Hinsichtlich Entstehung und Lösung der drei grundlegenden Konfliktarten hat Miller<br />
(1964) u. a. folgende Hypothesen formuliert (vgl. Miller 1964, S. 99f., zitiert nach<br />
Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 161):<br />
1. Die <strong>St</strong>ärke der Verhaltenstendenz (positiv und negativ) nimmt mit der Zielnähe<br />
zu.<br />
2. Die <strong>St</strong>ärke des Aversionsverhaltens ist mit zunehmender Nähe zum Ziel stärker<br />
als die Appetenzreaktion (Verlustaversion).<br />
3. Von zwei einander entgegenstehender Verhaltenstendenzen setzt sich in einem<br />
Konflikt die stärkere durch.<br />
Auf der Basis dieser Hypothesen lassen sich Konfliktarten sowie deren Entstehung<br />
und Lösung mit Hilfe sog. Zielgradienten grafisch veranschaulichen. Diese<br />
beschreiben die Beziehung zwischen Zieldistanz und <strong>St</strong>ärke der Verhaltenstendenz<br />
137
(siehe Abbildung 35). Die Pfeilrichtung des Zielgradienten verdeutlicht die Richtung<br />
der Verhaltenstendenz.<br />
A: Appetenz-Appetenz-Konflikt B: Appetenz-Aversions- Konflikt<br />
Verhaltenstendenz<br />
V +<br />
1<br />
V 2<br />
+ V +<br />
V - G 1<br />
-<br />
3<br />
G 1<br />
+ G 2<br />
+<br />
G 1<br />
+<br />
V - > V + 2<br />
3<br />
V 1 + > V 2<br />
+<br />
2<br />
6<br />
1<br />
1 4<br />
5<br />
V + > V -<br />
Z 1 K '<br />
1 K<br />
Z 1<br />
Z K 1<br />
' K K 2<br />
'<br />
V + 1,2 : <strong>St</strong>ärke der positiven Verhaltenstendenz G + 1,2 : Zielgradient der positiven Verhaltenstendenz<br />
V 1,2- : <strong>St</strong>ärke der negativen Verhaltenstendenz G 1,2- : Zielgradient der negativen Verhaltenstendenz<br />
Z 1,2 : Ziele Richtung des gewünschten Verhaltens (Verhaltenstendenz)<br />
Abbildung 35: Veranschaulichung der Entstehung und Lösung eines Appetenz-Appetenz Konflikts und<br />
eines Appetenz-Aversions Konflikts. In Anlehnung an Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 163<br />
Entstehung <strong>von</strong> Konflikten<br />
Teil A <strong>von</strong> Abbildung 35 zeigt einen Appetenz-Appetenz-Konflikt. Die Zielgradienten<br />
G + 1 und G + 2 geben jeweils die positive Verhaltenstendenz zu den Zielen Z 1 bzw. Z 2 an.<br />
An der Schnittstelle der beiden Zielgradienten sind die Verhaltenstendenzen in beide<br />
Zielrichtungen gleich groß und es entsteht ein motivationaler Konflikt K.<br />
<strong>Der</strong> im Teil B dargestellte Appetenz-Aversions-Konflikt beruht darauf, dass im Punkt<br />
K die positive Verhaltenstendenz zum Ziel Z gleich groß ist, wie die Aversion<br />
gegenüber diesem. Zum besseren Verständnis der Grafik sei nochmals betont, dass der<br />
Zielgradient G − eine negative Verhaltenstendenz darstellt, der Entscheider möchte sich<br />
also vom Ziel Z z. B. aufgrund des hohen Preises entfernen.<br />
138
Lösung <strong>von</strong> Konflikten<br />
Appetenz-Appetenz-Konflikte sind im Vergleich zu Appetenz-Aversions Konflikten<br />
leicht zu lösen, da der Konsument bei einer Entscheidung für eine Alternative keine<br />
unerwünschten Eigenschaften in Kauf nehmen muss. Sowohl Appetenz-Aversions<br />
Konflikte, als auch Aversions-Aversions-Konflikte sind für den Konsumenten<br />
potenziell mit negativen Konsequenzen und deshalb mit größeren Schwierigkeiten<br />
verbunden und schwerer zu lösen (vgl. Miller 1959; Chatterjee/Heath 1996, S. 145;<br />
Anderson 2003, S. 159; Luce/Jia/Fischer 2003, S. 464f.). Insgesamt wird eine<br />
Entscheidung schwerer, wenn den Wahlmöglichkeiten Elemente hinzugefügt werden,<br />
die der Konsument als nicht wünschenswert erachtet und deshalb vermeiden möchte<br />
(vgl. Luce/Payne/Bettman 2000, S. 276).<br />
Anhand <strong>von</strong> Abbildung 35 kann die Schwierigkeit der Lösung verschiedner<br />
Konfliktarten veranschaulicht werden. Betrachtet man zunächst den Appetenz-Appetenz-Konflikt<br />
im linken Teil: Bewegt sich ein Entscheider ein kleines <strong>St</strong>ück<br />
in Richtung Z 1 ( 1 ), so überwiegt die Verhaltenstendenz V +<br />
1 gegenüber der<br />
Verhaltenstendenz V + 2 ( 2 ) und setzt sich gemäß der Hypothese <strong>von</strong> Miller (1964,<br />
S. 99f.) gegen diese durch. <strong>Der</strong> Konsument löst den Konflikt und realisiert das Ziel Z 1<br />
( 3 ). Im vorherigen Beispiel des Kaufs einer <strong>von</strong> zwei gleich attraktiven CDs reicht die<br />
Empfehlung z. B. eines Freundes aus, um den Entscheidungskonflikt zu lösen, indem<br />
der Konsument die empfohlene CD kauft (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 165).<br />
Im Gegensatz hierzu fällt die Lösung eines Appetenz-Aversions-Konflikts relativ<br />
schwer: Bewegt sich der Entscheider auf das Ziel Z zu ( 1 ), überwiegt die negative<br />
Verhaltenstendenz V − der positiven V + ( 2 ), was dazu führt, dass der Entscheider sich<br />
wieder vom Ziel Z entfernt ( 3 ). Bewegt er sich dabei über den Konfliktpunkt K<br />
hinaus weg vom Ziel ( 4 ), dann ist die Appetenz größer als die Aversion ( 5 ) und er<br />
nähert sich dem Ziel wieder an ( 6 ). <strong>Der</strong> Konflikt ist somit stabil und daher relativ<br />
schwer zu lösen. Beispiel hierfür ist der Kauf eines teuren, prestigeträchtigen<br />
Produkts. Bewegt sich der Konsument in Richtung der Entscheidung für den Kauf des<br />
Produkts, so wird ihm der hohe Preis besonders bewusst, was dazu führen kann, dass<br />
er sich den Kauf nochmals überlegt und sich somit wieder vom Ziel entfernt. Entfernt<br />
er sich weit vom Ziel, überwiegt die Anziehungskraft des Produkts, was beispielsweise<br />
ein gesteigertes Interesse an Informationen über das Produkt bewirkt. <strong>Der</strong> Konsument<br />
bewegt sich in diesem Fall wieder in Richtung Produktkauf (vgl. Kroeber-Riel/<br />
Weinberg 1996, S. 164).<br />
139
Die Pioniere der Konfliktforschung Lewin (1933) und Miller (1944) unterscheiden<br />
entsprechend der Schwierigkeit der Konfliktlösung „stable and unstable<br />
equilibriums“ (Houston/Sherman/Baker 1990, S. 413). Da Aversions-Aversions- und<br />
Aversions-Appetenz-Konflikte schwer zu lösen und daher stabil sind, fallen sie in die<br />
erste Kategorie. Die leicht lösbaren Appetenz-Appetenz-Konflikte gehören<br />
entsprechend zur Gruppe der Unstabilen Gleichgewichte (vgl. Houston/Sherman/<br />
Baker 1990, S. 413).<br />
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine Kaufentscheidung mit mehreren<br />
attraktiven Alternativen zur Entstehung <strong>von</strong> (mehrfachen) Appetenz-Aversions-<br />
Konflikten führen kann (vgl. Tversky/Shafir 1992, S. 358). Abhängig <strong>von</strong> deren<br />
Lösung führt die Entscheidung zu verschiedenen Ergebnissen. Größe und Art <strong>von</strong><br />
Konflikten haben somit Einfluss auf das Entscheidungsverhalten eines Konsumenten.<br />
Für die weitere Betrachtung gilt es nun, Ursachen und Wirkungen <strong>von</strong> Konflikten<br />
näher zu beleuchten und den Einfluss der <strong>Produktvielfalt</strong> darzustellen.<br />
Erscheinungsmerkmale und Folgen <strong>von</strong> Konflikten<br />
Kroeber-Riel und Weinberg (1996) beschreiben Konflikte als „motivationale<br />
Spannungen (...)“, die im Allgemeinen dazu führen, „(...) dass der Konsument in der<br />
Entscheidungssituation verunsichert wird und die Entscheidung unterbricht“ (S. 166).<br />
Die Verunsicherung bezieht sich hierbei darauf, welche Alternative er wählen soll,<br />
weshalb in der Literatur die Begriffe Konflikt und Präferenzunsicherheit (Preference<br />
Uncertainty) teilweise synonym verwendet werden (vgl. Scholten 2002, S. 685).<br />
Diese Art der Unschlüssigkeit (Vacillation) hat Miller (1944, 1959) bereits in frühen<br />
Phasen der Konfliktforschung anhand <strong>von</strong> Tierexperimenten untersucht:<br />
Unschlüssigkeit ist ein Zustand, in dem „organisms (...) either (would) falter in their<br />
intentional movements and halt, or would move towards one goal, slow their<br />
approach, and retreat, only to cease retreat and begin approaching again“ (Anderson<br />
2003, S. 159). Die Erkenntnisse <strong>von</strong> Miller lassen sich gut auf menschliches<br />
Entscheidungsverhalten in Konsumsituationen übertragen (vgl. Anderson 2003,<br />
S. 159; Luce/Payne/Bettman 2000, S. 276): Demnach befindet sich ein Konsument<br />
während einer Kaufentscheidung in einem Zustand, in dem er zwischen mehreren<br />
attraktiven Alternativen hin und her gerissen wird und deshalb unschlüssig ist, für<br />
welche er sich entscheiden soll. Er bewegt sich ähnlich den Tieren in Millers (1944,<br />
1959) Experimenten auf einzelne Alternativen zu, indem er z. B. mehr Informationen<br />
140
zu ihnen sammelt und verarbeitet, entfernt sich aber wieder <strong>von</strong> ihnen und stellt<br />
beispielsweise die Notwendigkeit des Kaufs in Frage. Individuen empfinden diesen,<br />
durch den Entscheidungskonflikt ausgelösten Zustand der Unschlüssigkeit als<br />
emotional unangenehm und schwierig und möchten ihn deshalb vermeiden oder lösen<br />
(vgl. Payne/Bettman/Johnson 1993, S. 30). Dieser Antriebscharakter motivationaler<br />
Konflikte ist für diese Untersuchung zentral, da er eine Verbindung zwischen den<br />
Eigenschaften des Sortiments und Handlungen des Konsumenten herstellt.<br />
<strong>Der</strong> Entscheidungskonflikt äußert sich neben dem<br />
• Gefühl der Unentschlossenheit auch in einer<br />
• größeren Anzahl an Gedanken des Entscheiders hinsichtlich der Alternativen<br />
(Dhar 1997; Simonson 1989),<br />
• in längerer Entscheidungszeit (Festinger 1964; Fischer et al. 2000), in einer<br />
• größeren empfundenen Schwierigkeit der Entscheidungsfindung<br />
(Chatterjee/Heath 1996, S. 149ff.; Bettman/Johnson/Luce/Payne 1993;<br />
Tversky/Shafir 1992, S. 358), in<br />
• geringerem Vertrauen in die Entscheidung (vgl. Tversky 1972; Fischer et al.<br />
2000; Luce/Jia/Fischer 2003, S. 469f.; Zakay 1985, S. 79) und in<br />
• stärkeren (negativen) Emotionen während der Entscheidung<br />
(Luce/Bettman/Payne 1997, 2000).<br />
Obwohl in der Literatur keine formale und allgemein anerkannte Definition <strong>von</strong><br />
Entscheidungskonflikten existiert (vgl. Tversky/Shafir 1992, S. 358; Dhar 1997a,<br />
S. 217), lässt sich dieser zusammenfassend als ein <strong>von</strong> einem Entscheider als negativ<br />
empfundener motivationaler Zustand charakterisieren, der entsteht, wenn ein<br />
Konsument nicht weiß, für welche der verfügbaren Alternativen eines Sortiments<br />
er sich entscheiden soll.<br />
<strong>Der</strong> Motivationscharakter und die negative Valenz des Entscheidungskonflikts führen<br />
dazu, dass Individuen den Konflikt vermeiden wollen. Nach dem Konfliktmodell <strong>von</strong><br />
Janis und Mann (1977) hat ein Konsument hierfür zwei Möglichkeiten:<br />
Wenn der Entscheider nicht unter Zeitdruck steht, kann er die Entscheidung<br />
aufschieben, um durch Aufnahme weiterer Informationen eine bessere<br />
Entscheidungsbasis zu schaffen. Muss die Entscheidung dagegen unter Zeitdruck und<br />
deshalb schnell getroffen werden, kann der Konsument durch die Delegation der<br />
Verantwortung für die Entscheidung an eine andere Person, wie z. B. den Verkäufer<br />
141
oder einen Freund, den psychischen <strong>St</strong>ress des Entscheidungskonflikts vermeiden (vgl.<br />
Beattie/Baron/Hershey 1994, S. 130f.; Brownstein 2003, S. 547f.). Möchte<br />
beispielsweise ein Ehepaar eine neue Waschmaschine kaufen, weil ihre schon etwas<br />
älter ist, dann kann durch ein großes Sortiment des besuchten Geschäfts ein<br />
Entscheidungskonflikt hervorgerufen werden. Als Folge dieses Konflikts ist es<br />
möglich, dass das Paar den Kauf unterbricht, um in anderen Geschäften nach weiteren<br />
Produktalternativen zu suchen. Ist dagegen die alte Waschmaschine kaputt, steht die<br />
Familie unter Entscheidungsdruck. Dies kann dazu führen, dass sie einen Berater in<br />
die Entscheidung einbezieht oder einen Freund mit entsprechender Expertise um Rat<br />
fragt. Dadurch kann die Familie die Verantwortung für die Entscheidung und somit<br />
den Entscheidungskonflikt reduzieren.<br />
Auch Tversky und Shafir (1992) konnten die durch einen Konflikt hervorgerufene<br />
Neigung zum Entscheidungsaufschub beobachten (siehe S. 42ff.): In einem ihrer<br />
Experimente haben sich 34% der Konsumenten für den Kaufaufschub entschieden,<br />
wenn nur eine Alternative zur Wahl stand. Wurde zusätzlich eine zweite attraktive<br />
Option angeboten, stieg der Anteil der Personen, die sich gegen den Kauf entschieden<br />
auf 46% (vgl. Tversky/Shafir 1992, S. 360). In einem ähnlichen Szenarium stellten<br />
Redelmeier und Shafir (1995) (siehe S. 46 ff.) fest, dass Entscheider den derzeitigen<br />
<strong>St</strong>atus (<strong>St</strong>atus quo), eine vorgegebene (Default Option) oder eine sich klar <strong>von</strong> den<br />
anderen Alternativen unterscheidende Option (Distinctive Option) wählen, wenn die<br />
Anzahl der Alternativen erhöht wird. Die Autoren begründen dieses Verhalten damit,<br />
dass der Entscheidungskonflikt durch die zusätzliche(n) Alternative(n) erhöht wurde<br />
(vgl. Redelmeier/Shafir 1995, S. 302ff.; Tversky/Shafir 1992, S. 361).<br />
<strong>Der</strong> Wirkungszusammenhang <strong>von</strong> Entscheidungskonflikten und entscheidungs- bzw.<br />
konfliktvermeidenden Verhaltensweisen wird in der Literatur mit Hilfe verschiedener<br />
Hypothesen erklärt (vgl. Anderson 2003, S. 144ff.):<br />
• Justification Hypothese<br />
• Hypothese der negativen Emotionen<br />
• Preference Uncertainty Hypothese<br />
Da mittels dieser Hypothesen später der Zusammenhang mit der <strong>Produktvielfalt</strong><br />
verdeutlicht wird, geht der nachfolgende Abschnitt hierauf näher ein.<br />
142
Hypothesen zum Wirkungszusammenhang <strong>von</strong> Entscheidungskonflikten und<br />
Konsumentenverhalten<br />
Justification Hypothese<br />
Die Conflict oder Justification Hypothese basiert auf der Erkenntnis, dass<br />
Konsumenten das Bedürfnis haben, eine Entscheidung für ein bestimmtes Produkt vor<br />
sich und anderen rechtfertigen zu können. Sie entscheiden sich deshalb für das<br />
Produkt, für dessen Wahl es eindeutige Gründe gibt (vgl. Simonson 1989, S. 159;<br />
Tyszka 1998, S. 192). So argumentiert Montgomery (1983), dass Konsumenten erst<br />
dann bereit sind, eine Kaufentscheidung zu treffen, wenn sie Argumente – „strong<br />
enough for making a decision“ (S. 343) – haben. Tyszka (1998) spricht in diesem<br />
Zusammenhang <strong>von</strong> der „distinctness motivation“ (S. 202ff.), dem Antrieb, das<br />
Produkt zu wählen, das sich klar <strong>von</strong> den anderen unterscheidet und dessen Wahl<br />
deshalb vor sich und anderen leicht zu rechtfertigen ist. Simonson (1989) erklärt dieses<br />
Rechtfertigungsbedürfnis unter Rückgriff auf verschiedene theoretische Erkenntnisse<br />
wie z. B. dem Wunsch nach Selbstachtung (Self-Esteem) (Hall/Lindzey 1978), der<br />
eigenen Wahrnehmung als rational handelndes Wesen (Abelson 1964, S. 159) und den<br />
Theorien der Self-presentation (Baumeister 1982), Impression Management<br />
(Schlenker 1980), Social Exchange (Blau 1964), Conformity (Deutsch/Gerard 1955)<br />
und Ingratiation (Jones 1964) (vgl. Simonson 1989, S. 159).<br />
<strong>Der</strong> Zusammenhang zwischen einem Konflikt und der Schwierigkeit der<br />
Kaufentscheidung besteht darin, dass ein „conflict makes justification more difficult<br />
(...)“ (Anderson 2003, S. 144). Dies kann dazu führen, dass Konsumenten den Kauf<br />
aufschieben (Deferred Decision) oder den <strong>St</strong>atus quo wählen, um so ihre<br />
Verantwortung und damit den Rechtfertigungsdruck für die Entscheidung zu<br />
reduzieren.<br />
<strong>Der</strong> Entscheidungskonflikt wirkt sich nach dieser Hypothese über die empfundene<br />
Schwierigkeit der Rechtfertigung einer bestimmten Wahl auf das Konsumentenverhalten<br />
aus (vgl. Anderson 2003, S. 144).<br />
Hypothese der negativen Emotionen (Trade-off Hypothese)<br />
Die Hypothese der negativen Emotionen gründet auf den Erkenntnissen, dass<br />
„conflicts in a decision (...) often lead to negative emotion“ (Anderson 2003, S. 144).<br />
143
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, diese vor oder während der Entscheidung<br />
empfundenen Emotionen wie Furcht, Angst, Verwirrung und Verzweiflung (vgl.<br />
Loewenstein et al. 2001, S. 267ff.) <strong>von</strong> antizipierten Emotionen wie z. B. Regret, die<br />
in Kapitel 2.3.2.3 (Seite 158ff.) näher betrachtet werden, zu unterscheiden.<br />
Phänomenologisch beziehen sich beide Emotionen auf potenzielle zukünftige<br />
Entscheidungskonsequenzen; der Unterschied besteht aber darin, dass im<br />
Zusammenhang mit einem Entscheidungskonflikt auftretende Emotionen während<br />
der Entscheidung entstehen und empfunden werden, während der Entscheider bei<br />
antizipierten Emotionen seine zukünftigen affektiven Reaktionen voraussieht und<br />
diese bei der Entscheidung berücksichtigt.<br />
Anderson (2003) unterscheidet deshalb „anticipatory“ (vorwegnehmende) und<br />
„anticipated“ (vorweggenommene, vorausgesehene) Emotionen (S. 141ff.). Hastie<br />
(2000) bezeichnet erstere als „decision process emotions“ oder kurz „process<br />
emotions“ (S. 21), während Luce (1998) hierfür die Bezeichnung „task-related<br />
emotion“ (S. 410) verwendet und darunter „relatively short-lived affective states<br />
directly resulting from and focused on a choice with which one is currently engaged“<br />
versteht (S. 410). Es handelt sich also um Emotionen, die aufgrund der Charakteristika<br />
des Entscheidungsproblems während des Entscheidungsprozesses entstehen.<br />
Sowohl antizipierte als auch im Prozess erlebte Emotionen sind klar <strong>von</strong> <strong>St</strong>immungen<br />
zu unterscheiden, die z. B. durch Hintergrundmusik und Farbgebung im Geschäft<br />
verursacht werden und vom Choice Set unabhängig sind (vgl. Isen 2001), weshalb<br />
diese hier nicht weiter betrachtet werden.<br />
Nahezu jede Entscheidung erfordert vom Konsumenten Kompromisse (Trade-offs):<br />
„(…) any decision requires that the decision maker give (sic!) up some considerations<br />
to maximize others“ (Luce/Payne/Bettman 2001, S. 19). Sie sind maßgeblich für die<br />
Entstehung eines Entscheidungskonflikts verantwortlich, wobei deren Intensität vom<br />
Grad „(...) to which the alternatives under consideration have different advantages<br />
and disadvantages“ (Dhar 1997a, S. 217) abhängt.<br />
Anhand eines Beispiels lässt sich dies verdeutlichen: Ein Konsument hat die Wahl<br />
zwischen zwei Autos, die sich hinsichtlich der Produktmerkmale Leistung und<br />
Zuverlässigkeit unterscheiden. Beide Eigenschaften sind dem Entscheider wichtig.<br />
Angenommen, das erste Auto ist laut Pannenstatistik sehr zuverlässig (<strong>Wert</strong> 10 auf<br />
einer Skala <strong>von</strong> 1 bis 10) und leistet 130 kW, während der zweite PKW weniger<br />
zuverlässig ist (<strong>Wert</strong> 5), aber eine Leistung <strong>von</strong> 200 kW hat. <strong>Der</strong> Käufer muss in<br />
diesem Fall bei seiner Entscheidung die Attribute Leistung und Zuverlässigkeit<br />
144
gegeneinander abwägen, sich also überlegen, ob er bereit ist, auf Zuverlässigkeit zu<br />
verzichten (5 Skalenpunkte), um mehr Leistung (70 kW) zu bekommen und<br />
umgekehrt. Dieser notwendige Trade-off zwischen den Attributen Zuverlässigkeit und<br />
Leistung kann zu negativen Emotionen führen.<br />
Die <strong>St</strong>ärke eines Entscheidungskonflikts hängt sowohl <strong>von</strong> der Art, als auch <strong>von</strong> den<br />
<strong>Wert</strong>en der Attribute abhinsichtlich derer ein Konsument einen Kompromiss<br />
eingehen muss (vgl. Chatterjee/Heath 1996, S. 146).<br />
Bezüglich der Art der Produkteigenschaften lässt sich sagen, dass die negativen<br />
Emotionen des Konsumenten umso stärker sind, je wichtiger ihm die vom<br />
Kompromiss betroffenen Attribute sind (vgl. Luce 1998, S. 411; Tetlock 1991;<br />
Tetlock/Peterson/Lerner 1997; Luce/Payne/Bettman 2001, S. 24).<br />
Die <strong>Wert</strong>e der Attribute beeinflussen einerseits die Austauschrate der<br />
Kompromissattribute und andererseits die Höhe der Trade-offs (vgl. Chatterjee/Heath<br />
1996, S. 146; Scholten 2002, S. 690ff.). Kann ein Konsument beispielsweise durch<br />
eine Preiserhöhung um 2% eine Qualitätssteigerung <strong>von</strong> 80% erreichen (Austauschrate<br />
1:40), ist die Entscheidung relativ leicht. Sind die Unterschiede der Attributwerte der<br />
Alternativen sehr hoch, wird sowohl die Appetenz als auch die Aversion gegenüber<br />
diesen verstärkt, wobei dieser Appetenz-Aversions-Konflikt durch die Verlustaversion<br />
des Konsumenten noch gesteigert werden dürfte (vgl. Chatterjee/Heath 1996, S. 146;<br />
Luce/Jia/Fischer 2003, S. 465; Scholten 2002, S. 690ff.).<br />
Negative Emotionen können aber nicht nur entstehen, wenn verschiedene<br />
Alternativen unterschiedliche Vor- und Nachteile haben (Between-Alternative<br />
Conflict), sondern auch dann, wenn eine Alternative sowohl positive als auch<br />
negative Eigenschaften besitzt (Within-Alternative Conflict) (vgl. Chatterjee/Heath<br />
1996, S. 145; Luce/Payne/Bettman 2000, S. 276ff.). Des Weiteren können Konflikte<br />
dadurch verursacht werden, dass „(...) a person does not know how to trade off costs<br />
against benefits, risk against value, and immediate satisfaction against future<br />
discomfort“ (Tversky/Shafir 1992, S. 358). <strong>Der</strong> Entscheidungskonflikt entsteht in<br />
diesem Fall aus der schwierigen Vergleichbarkeit der Attribute und hat zur Folge „(...)<br />
(that) it is often difficult to make important (...) as well as insignificant decisions (…)“<br />
(Tversky/Sharif 1992, S. 358). Insgesamt lässt sich die Trade-off Hypothese somit<br />
sowohl auf Within-Alternative als auch auf Between-Alternative Konflikte (siehe auch<br />
S. 136) anwenden.<br />
Die Handlungsrelevanz der Trade-off Hypothese basiert darauf, dass Entscheider die<br />
durch die Kompromissnotwendigkeit entstandenen negativen Emotionen als<br />
145
unangenehm empfinden und sie deshalb vermeiden oder reduzieren wollen (vgl. Luce<br />
1998, S. 409). Da Kompromisse (Trade-offs) die primäre Quelle der negativen<br />
Emotionen sind, wird die Hypothese der negativen Emotionen auch als Trade-off<br />
Avoidance Hypothese bezeichnet (vgl. Anderson 2003, S. 145).<br />
Die Wahl einer „avoidant option“ (Luce/Payne/Bettman 2001, S. 33) stellt für den<br />
Konsumenten eine Möglichkeit dar, die explizite Entscheidung und somit die<br />
negativen Emotionen zu vermeiden (Luce 1998, S. 409f.; Luce/Payne/Bettman 2001,<br />
S. 26f.). Luce untersuchte diese Hypothese sehr ausführlich und konnte in seinen<br />
<strong>St</strong>udien u. a. feststellen, dass der Wahl einer entscheidungsvermeidenden Option<br />
(Avoidant Option) mehr und intensivere negative Emotionen vorangingen, und die<br />
Konsumenten nach der Wahl weniger negative Emotionen erlebten, als bei anderen<br />
Entscheidungen (vgl. Luce 1998, S. 419ff.). Entscheidungsvermeidende Optionen, wie<br />
der Kaufaufschub zur weiteren Informationssuche (Milgram et al. 1988;<br />
Greenleaf/Lehman 1995, S. 188), die Beibehaltung des <strong>St</strong>atus quo (vgl.<br />
Luce/Payne/Bettman 2001, S. 33) oder die Wahl einer dominierenden Alternative<br />
(vgl. Luce 1998, S. 419) stellen für den Konsumenten verschiedene Möglichkeiten dar,<br />
die durch Entscheidungskonflikte ausgelösten negativen Emotionen zu reduzieren<br />
oder zu vermeiden (vgl. Anderson 2003, S. 145; Luce 1998, S. 419).<br />
Abschließend sei noch bemerkt, dass Kompromisse bzw. Trade-offs sowohl mit<br />
kognitivem als auch mit emotionalem Aufwand für den Konsumenten verbunden<br />
sind. Er will diese daher sowohl aus dem einen, als auch aus dem anderen Grund<br />
vermeiden: „(...) trade-offs may be avoided to save cognitive effort and/or to cope with<br />
negative emotion“ (Luce/Payne/Bettman 2001, S. 21). Für die hier betrachteten<br />
Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> bedeutet dies, dass sich die Trade-off Hypothese sowohl<br />
auf affektive als auch auf kognitive Kostenaspekte übertragen lässt. So erschwert die<br />
Notwendigkeit zum Kompromiss auch laut der Theorie der Cost of Thinking die<br />
Entscheidung (siehe hierzu auch die Ausführungen zu den Cost of Thinking (Shugan<br />
1980) (S. 122ff.)).<br />
Preference Uncertainty Hypothese<br />
Dhar und seine Kollegen (Dhar 1996, 1997; Dhar/Nowlis 1999, S. 369ff.;<br />
Dhar/Nowlis/Sherman 1999; Dhar/Simonson 1999), die diese Hypothese formuliert<br />
haben, gehen da<strong>von</strong> aus, dass der Entscheidungskonflikt durch die Präferenzunsicherheit<br />
(Preference Uncertainty) des Konsumenten ausgelöst wird (vgl. Dhar<br />
146
1997a, S. 215). Unter Preference Uncertainty versteht man dabei einen Zustand „in<br />
which decision makers do not feel they can determine with accuracy which option best<br />
meets their goals“ (Anderson 2003, S. 145). Im Unterschied zur Hypothese der<br />
negativen Emotionen geht die Preference Uncertainty Hypothese da<strong>von</strong> aus, dass der<br />
Entscheidungskonflikt nicht <strong>von</strong> der Höhe und der Anzahl der Trade-offs zwischen<br />
wichtigen Attributen verschiedener Alternativen abhängt, sondern <strong>von</strong> den<br />
Unterschieden der Produkte hinsichtlich ihrer Gesamtattraktivität für den<br />
Konsumenten. Gelingt es einem Konsumenten nicht, eine Alternative zu finden, die in<br />
seinen Augen deutlich attraktiver ist als die anderen, hat das zur Folge, dass die<br />
dadurch entstandene „preference uncertainty may lead to choice deferral“ (Dhar<br />
1997a, S. 215).<br />
Folgt man den Annahmen der rationalen Theorien, so entscheidet sich ein rational<br />
handelnder Konsument für den Entscheidungsaufschub nur dann, wenn ihm entweder<br />
keine der vorhandenen Alternativen attraktiv erscheint, oder wenn er erwartet, durch<br />
die Suche nach weiteren Alternativen eine noch bessere als die verfügbaren zu finden<br />
(vgl. Karni/Schwarz 1977; Beattie/Barlas 1992; Tversky/Shafir 1992, S. 358).<br />
Implizite Annahme der rationalen Entscheidungstheorien ist dabei, dass ein<br />
Konsument in der Lage ist, unabhängig vom Entscheidungskontext diejenige<br />
Alternative zu identifizieren, die aus seiner Sicht den größten Nutzen hat.<br />
Voraussetzung hierfür ist, dass er „well-articulated preferences“<br />
(Luce/Payne/Bettman 2001, S. 21), also eine feste Präferenzordnung zwischen zwei<br />
Alternativen besitzt, so dass er stets sagen kann, ob die eine Alternative mindestens so<br />
gut ist wie die andere (vgl. Herrmann 1998, S. 93f.). Dhar (1997) stellt diese<br />
Annahmen in Frage:<br />
„In practice, one often arrives at decisions not with well-established and<br />
clearly ranked preferences but, rather, with the need to determine one’s<br />
preferences (....). In such situations, not knowing which of the alternatives is<br />
most preferred, while not being certain that one wants them equally, may<br />
result in indecision and a tendency to avoid commitment” (Dhar 1997a,<br />
S. 216).<br />
Dhar und seine Kollegen führen also den Entscheidungskonflikt und das daraus<br />
resultierende averse Entscheidungsverhalten, wie beispielsweise den Aufschub einer<br />
Kaufentscheidung, auf die Unfähigkeit eines Entscheiders zurück, die beste<br />
Alternative zu identifizieren. Ähnlich argumentiert beispielsweise auch Montgomery<br />
(1989, S. 23ff.), der in seinem „Dominance-Search Model“ (S. 25) vorschlägt, dass<br />
147
Konsumenten eine Entscheidung aufgeben oder verschieben, wenn sie nicht in der<br />
Lage sind, eine Dominanzstruktur in den vorhandenen Alternativen zu identifizieren.<br />
Präferenzunsicherheit und Entscheidungsverzicht können nach Ansicht <strong>von</strong> Dhar und<br />
seinen Kollegen durch Alternativen, die nur geringe Attraktivitätsunterschiede<br />
besitzen, erhöht werden (vgl. Anderson 2003, S. 145). Dhar (1997) konnte diese<br />
Hypothese in seinen viel beachteten und bereits an früherer <strong>St</strong>elle beschriebenen<br />
<strong>St</strong>udien untermauern (siehe S. 49 ff.): So stellte er fest, dass der Anteil der<br />
Testpersonen, die den Kauf abgebrochen oder aufgeschoben haben, durchschnittlich<br />
um 11% (χ 2 (1) = 6,7, p < 0,01) gestiegen ist, wenn sie zwei in etwa gleich attraktive<br />
Alternativen zur Auswahl hatten, verglichen mit einer Entscheidungssituation, in der<br />
nur eine Alternative zur Wahl stand. Wurde einer Alternative hingegen eine deutlich<br />
unattraktivere zweite Alternative hinzugefügt, lag die Kaufhäufigkeit um 14%<br />
(χ 2 (1) = 8,7, p < 0,01) höher, als bei Verfügbarkeit <strong>von</strong> nur einer Option (vgl. Dhar<br />
1997a, S. 219f.).<br />
Daraus lässt sich folgern, dass die Präferenzunsicherheit eines Konsumenten steigt,<br />
wenn das Sortiment aus einer Vielzahl <strong>von</strong> in etwa gleich attraktiven Alternativen<br />
besteht. Dadurch stehen dem Entscheider mehrere potenzielle Wege zur<br />
Bedürfniserfüllung offen und es fällt ihm schwer, den für ihn optimalen zu<br />
identifizieren. Diese Unsicherheit kann dazu führen, dass sich der Konsument avers<br />
verhält und die Entscheidung abbricht und/oder auf später verschiebt. Abschließend<br />
sei nochmals betont, dass dies dem Regularitätsprinzip der rationalen Entscheidungstheorie<br />
widerspricht, wonach die Wahrscheinlichkeit der Wahl einer zurückgewiesenen<br />
Alternative nicht durch das Hinzufügen weiterer Alternativen erhöht<br />
werden kann (vgl. Scholten 2002, S. 686; Tversky/Shafir 1992, S. 358; siehe auch die<br />
Erläuterungen zum Regularitätsprinzip auf S. 43f.).<br />
Zusammenfassung der Hypothesen<br />
Mit der Justification Hypothese, der Hypothese der negativen Emotionen und der<br />
Preference Uncertainty Hypothese wurden drei Erklärungsansätze zur Entstehung und<br />
Wirkung <strong>von</strong> Entscheidungskonflikten vorgestellt.<br />
148
Alle drei Hypothesen gehen da<strong>von</strong> aus, dass Charakteristika des Sortiments zu<br />
negativen Emotionen führen, die der Konsument vermeiden möchte und deshalb<br />
Konflikt vermeidende Entscheidungen trifft, indem er<br />
• den Kaufprozess aufschiebt oder abbricht,<br />
• den <strong>St</strong>atus quo beibehält oder<br />
• die Entscheidung an andere Personen wie z. B. Verkäufer oder Freunde<br />
delegiert.<br />
Für den hier betrachteten Zusammenhang ist dabei <strong>von</strong> Interesse, dass alle drei<br />
Hypothesen das Verhalten eines Konsumenten durch dessen emotionale Reaktionen<br />
auf Sortimentseigenschaften während des Entscheidungsprozesses erklären. Sie<br />
bilden somit eine gemeinsame Grundlage zur Entstehung negativer Emotionen als<br />
Reaktion auf Entscheidungskonflikte, die durch Eigenschaften der zur Wahl stehenden<br />
Alternativen ausgelöst werden.<br />
Die Hypothesen unterscheiden sich aber in ihrer Argumentation bezüglich der<br />
Entstehung der negativen Konfliktemotionen:<br />
So geht die Justification Hypothese da<strong>von</strong> aus, dass Konsumenten das Bedürfnis<br />
haben, den Kauf eines bestimmten Produkts vor sich und anderen durch<br />
„schlagkräftige“ Argumente rechtfertigen zu können. Empfindet es der Konsument als<br />
schwer, diese Argumente zu finden, entsteht durch sein Bedürfnis nach Rechtfertigung<br />
ein innerer unangenehmer Spannungszustand, der dazu führen kann, dass er den Kauf<br />
abbricht oder delegiert.<br />
Im Gegensatz hierzu macht die Hypothese der negativen Emotionen die Aversion des<br />
Konsumenten gegenüber negativen Emotionen für dessen Konflikt vermeidendes<br />
Verhalten verantwortlich. Dieser Hypothese liegt die Annahme zugrunde, dass<br />
Trade-offs zwischen den Alternativen hinsichtlich bedeutender Attribute zu negativen<br />
Emotionen wie z. B. Angst und Verzweiflung (in abgemilderter Form) führen. Da der<br />
Konsument diese als unangenehm empfindet, versucht er sie zu vermeiden bzw. zu<br />
reduzieren, indem er eine explizite Entscheidung zwischen den Alternativen vermeidet<br />
und z. B. den <strong>St</strong>atus quo wählt oder die Entscheidung abbricht.<br />
Die Preference Uncertainty Hypothese erklärt die Wirkung des Entscheidungskonflikts<br />
über die Entstehung eines Unsicherheitsgefühls des Konsumenten, wenn<br />
sich dieser nicht in der Lage sieht, das für ihn beste Produkt zu identifizieren. Dieses<br />
Gefühl wird hervorgerufen, wenn sich ein Konsument hinsichtlich der eigenen<br />
Präferenzen nicht sicher ist und mehrere in etwa gleich attraktive Alternativen zur<br />
149
Wahl stehen (vgl. Tyszka 1998, S. 192). Die negative Valenz der Unsicherheit<br />
hinsichtlich der eigenen Präferenzen führt ebenfalls dazu, dass der Konsument diese<br />
reduzieren will, indem er entweder die Entscheidung vermeidet (Deferral) oder sich<br />
für eine hinsichtlich eines bestimmten Aspekts dominierende Alternative entscheidet.<br />
Die drei Hypothesen sind nicht überschneidungsfrei und ergänzen sich teilweise.<br />
Anderson (2003) schlägt deshalb vor, dass die drei Konzepte „can be consolidated by<br />
(…) a common mediating variable“ (Anderson 2003, S. 146). Diese gemeinsame<br />
Größe bezeichnet er als Entscheidungsschwierigkeit (Selection Difficulty) und<br />
umschreibt diese wie folgt: „Selection difficulty is (..) experienced when individuals<br />
find it difficult to choose a particular course of action, but it may occur in the absence<br />
of uncertain preferences or negative emotion, although these are strong correlates of<br />
difficulty“ (Anderson 2003, S. 154).<br />
Das <strong>von</strong> Anderson vorgeschlagene Konstrukt „Entscheidungsschwierigkeit“<br />
subsumiert folglich alle negativen Emotionen, die während der Entscheidung <strong>von</strong><br />
Konsumenten empfunden und durch die Charakteristika der Entscheidungssituation,<br />
insbesondere durch Eigenschaften des Sortiments, verursacht werden.<br />
Für diese Untersuchung liefert die Konflikttheorie zusammen mit den drei Hypothesen<br />
theoretische Hinweise für die Entstehung negativer Emotionen als Reaktion des<br />
Konsumenten auf Charakteristika des Sortiments. Hierbei interessiert insbesondere der<br />
Einfluss der Anzahl und der Art der Produktalternativen, welcher nachfolgend<br />
verdeutlicht wird.<br />
Einfluss <strong>von</strong> Anzahl und Art der Produktalternativen auf die Entscheidungsschwierigkeit<br />
Betrachtet man zunächst den Einfluss der Anzahl der Alternativen auf die<br />
Entscheidungsschwierigkeit, so kann die Grundthese, dass eine höhere Anzahl an<br />
Alternativen den Entscheidungskonflikt und damit die Entstehung negativer<br />
Emotionen erhöht, unter Rückgriff auf die drei vorgestellten Hypothesen begründet<br />
werden:<br />
Justification Hypothese<br />
Die Justification Hypothese besagt, dass Konsumenten dann eine Entscheidung<br />
treffen, wenn sie diese auf der Basis guter Gründe vor sich und anderen rechtfertigen<br />
150
können, aber „(...) these (reasons) become more scarce as the number of options<br />
increases“ (Anderson 2003, S. 144). Erhöht sich die Anzahl der Alternativen, wird das<br />
Sortiment dadurch tendenziell homogener und die spezifischen Gründe, die für eine<br />
bestimmte Alternative sprechen, nehmen ab. Angenommen wird hierbei, dass die<br />
zusätzlichen Alternativen ebenfalls attraktiv sind. Würde ein Choice Set aus 20<br />
unattraktiven und nur einer attraktiven Alternative bestehen, gäbe es genügend<br />
Gründe, die für diese eine Option sprächen und die Entscheidung wäre leicht (vgl.<br />
Tversky/Shafir 1992, S. 358). Besteht die Alternativenmenge dagegen aus zehn<br />
Produkten, die alle in etwa gleich attraktiv sind, so ist da<strong>von</strong> auszugehen, dass die<br />
Anzahl der Gründe, die für eine und gegen die anderen Optionen spricht, relativ gering<br />
ist; die Entscheidungsschwierigkeit wäre dann hoch. Damit bleibt festzuhalten, dass<br />
aufgrund der zunehmenden Homogenität des Sortiments die Anzahl der Argumente,<br />
mit deren Hilfe der Konsument eine Entscheidung vor sich und anderen rechtfertigen<br />
kann, mit der Anzahl der attraktiven Alternativen im Sortiment abnimmt, was zur<br />
Entstehung negativer Emotionen führt und dadurch die Entscheidungsschwierigkeit<br />
erhöht.<br />
Preference Uncertainty Hypothese<br />
Obige Argumentation lässt sich auch auf die Preference Uncertainty Komponente<br />
übertragen: „(…) adding attractive alternatives can increase choice uncertainty (…)“<br />
(Dhar 1996, S. 266). Werden einem Choice Set zusätzliche attraktive Alternativen<br />
hinzugefügt, nimmt die Überlegenheit einzelner Produkte dadurch tendenziell ab. <strong>Der</strong><br />
Konsument ist dann gezwungen, die Eigenschaften, anhand derer er den subjektiven<br />
Nutzen der Alternativen bestimmen will, zu priorisieren, um so das aus seiner Sicht<br />
optimale Produkt zu identifizieren. „This process is complicated as options are added,<br />
making it more difficult to discriminate between the subjective utilities of options (…)“<br />
(Anderson 2003, S. 158). Voraussetzung für die Priorisierung der Produktattribute ist<br />
zudem, dass der Konsument seine eigenen Präferenzen kennt. Dies ist aber nicht<br />
immer der Fall; häufig müssen Konsumenten ihre eigenen Präferenzen in<br />
Entscheidungssituation zunächst erst einmal selbst bestimmen (vgl. Dhar 1997a,<br />
S. 216).<br />
Es entsteht daher sowohl aufgrund der Unsicherheit hinsichtlich der eigenen<br />
Attribut-Präferenzen, als auch aufgrund der geringer werdenden diskriminierenden<br />
Unterschiede der Produktalternativen beim Konsumenten ein Unsicherheitsgefühl<br />
darüber, ob er das zur Erfüllung seiner Bedürfnisse beste Produkt identifizieren kann.<br />
151
<strong>Der</strong> Konsument empfindet die Entscheidung deshalb bei steigender Alternativenzahl<br />
als unangenehmer und somit als schwieriger.<br />
Erwähnenswert ist, dass Festinger (1957) <strong>von</strong> einem gegenteiligen Zusammenhang<br />
ausgeht: Er argumentiert, dass der Konflikt abnimmt, wenn durch zusätzliche<br />
Alternativen die Ähnlichkeit der Wahlalternativen und damit der Überschneidungsbereich<br />
der Alternativen zunimmt. Für den Konsumenten nimmt dann das Risiko einer<br />
Fehlentscheidung und somit der Entscheidungskonflikt ab. Im Gegensatz hierzu<br />
behauptet Dhar (1997, S. 217), dass die Präferenzunsicherheit auf die Attraktivitätsunterschiede<br />
der Alternativen zurückgeht und diese geringer werden, wenn die Anzahl<br />
der Alternativen steigt. Er kann diese Hypothese in verschiedenen Experimenten<br />
untermauern (vgl. Dhar 1997a, S. 216ff.). Sie wird aber auch <strong>von</strong> <strong>St</strong>udien gestützt, die<br />
beispielsweise gezeigt haben, dass die Kaufwahrscheinlichkeit durch das Hinzufügen<br />
einer unterlegenen Alternative zum Sortiment erhöht werden kann (vgl.<br />
Huber/Payne/Puto 1982, S. 90ff.; vgl. auch Dhar 1997a, S. 216ff.), und die Anzahl der<br />
aufgenommenen Informationen steigt, wenn die Ähnlichkeit der Alternativen zunimmt<br />
(vgl. <strong>St</strong>one/Schkade 1994, S. 261ff.). Diese Effekte lassen sich auf der Basis der<br />
Argumentation <strong>von</strong> Festinger (1957) nicht erklären (vgl. Dhar 1997a, S. 217). Die<br />
vorliegende Arbeit folgt deshalb der Begründung <strong>von</strong> Dhar und geht <strong>von</strong> einem mit<br />
der Anzahl attraktiver Alternativen steigenden Entscheidungskonflikt aus.<br />
Wie oben bereits betont wurde, beeinflusst neben der Anzahl der Alternativen auch<br />
deren Art die Entscheidungsschwierigkeit. So wird beispielsweise die Entscheidung<br />
durch die Erweiterung des Sortiments nur dann schwieriger, wenn diesem attraktive<br />
Alternativen hinzugefügt werden und dadurch die Unterschiede der Alternativen<br />
hinsichtlich ihrer Gesamtattraktivität abnehmen: „Smaller differences in attractiveness<br />
of options produces more preference uncertainty. This uncertainty tends to cause<br />
greater difficulty in selection, motivating decision avoidance“ (Anderson 2003,<br />
S. 158).<br />
Im Hinblick auf die Fragestellungen dieser Untersuchungen heißt dies, dass nicht<br />
allein die Anzahl, sondern auch die Attraktivität der Alternativen die Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> beeinflusst.<br />
Trade-off Avoidance Hypothese (Hypothese der negativen Emotionen)<br />
Den Einfluss der Kombination aus Anzahl und Art der Produkte auf die Schwierigkeit<br />
der Entscheidung verdeutlicht auch die Trade-off Hypothese: Wie oben erläutert, sind<br />
152
Kompromisse dann erforderlich, wenn eine Option nicht hinsichtlich aller<br />
Produkteigenschaften besser ist als alle anderen verfügbaren Alternativen<br />
(Between-Alternative Conflict) und/oder wenn eine Alternative sowohl positive als<br />
auch negative Eigenschaften aufweist (Within-Alternative Conflict). Nimmt die Anzahl<br />
der attraktiven Alternativen im Choice Set zu, so ist zu erwarten, dass auch die<br />
Homogenität der Alternativen zu- und somit die Überlegenheit einzelner Produkte<br />
abnimmt. Dies führt dazu, dass der Konsument zur Identifikation der besten<br />
Alternative eine größere Anzahl an Attributvergleichen machen muss und „the more<br />
such comparisons are required (...) the more trade-offs are required to reach a<br />
choice“ (Anderson 2003, S. 159). Da die Anzahl und die Höhe der Trade-off sowie die<br />
Art der Attribute, die sie betreffen, für die Intensität der negativen Emotionen<br />
ausschlaggebend ist (vgl. z. B. Luce 1998, S. 411, Luce/Payne/Bettman 2001, S. 24;<br />
Payne/Bettman/Johnson 1993, S. 201ff.; Chatterjee/Heath 1996, S. 154), kann<br />
gefolgert werden, dass mit der Anzahl der Alternativen auch die negativen<br />
Emotionen zunehmen und somit die Entscheidungsschwierigkeit steigt.<br />
In der Literatur lassen sich Hinweise darauf finden, dass dieser Effekt noch dadurch<br />
verstärkt wird, dass mit zunehmender Vielfalt auch die Erwartungen der<br />
Konsumenten an das gewählte Produkt steigen (vgl. Desmeules 2002, S. 9f.; Schwartz<br />
2000, S. 85f.). Die Vielzahl an Alternativen bedingt, dass der Entscheider erwartet, ein<br />
für sich optimales Produkt zu finden. Dadurch nimmt seine Kompromissbereitschaft<br />
ab, was zu einer Intensivierung der mit einem Trade-off verbundenen negativen<br />
Emotionen führt. Höhere <strong>Produktvielfalt</strong> wirkt sich somit in doppelter Hinsicht<br />
negativ aus: Einerseits erhöht sie die Anzahl der Trade-offs und somit die<br />
Hauptursache negativer Emotionen. Anderseits reduziert sie die Kompromissbereitschaft,<br />
steigert also die Aversion gegenüber Kompromissen und verstärkt<br />
dadurch die aufgetretenen negativen Emotionen.<br />
Ähnlich wie bei der Präferenzunsicherheit spielt aber auch hier die Art der<br />
Alternativen eine wichtige Rolle. So konnten Gourville und Soman (1999) in ihrer an<br />
früherer <strong>St</strong>elle schon beschriebenen <strong>St</strong>udie (siehe S. 51 ff.) zeigen, dass der Einfluss<br />
der <strong>Produktvielfalt</strong> auf das Kaufverhalten <strong>von</strong> der Vergleichbarkeit (Alignability) der<br />
Alternativen abhängt: Variieren die Produktalternativen hinsichtlich nicht<br />
vergleichbarer Attribute, so nimmt die Kaufintention mit zunehmender<br />
Alternativenzahl ab (vgl. Gourville/Soman 1999, S. 11). Die Autoren begründen diese<br />
Erkenntnis damit, dass der Konsument bei steigender Alternativenzahl mehr und<br />
schwierigere Trade-offs machen muss, wenn die Produktalternativen nicht<br />
vergleichbar sind (vgl. Gourville/Soman 1999, S. 8f.). Verdeutlichen lässt sich dies an<br />
153
einem Beispiel: Im ersten Fall hat ein Konsument die Wahl zwischen zwei Computern<br />
A und B einer bestimmten Marke. A hat einen Prozessor mit 3,5 GHz Taktfrequenz,<br />
eine Festplatte mit 40 GB und kostet € 1.500. Computer B hat eine Taktfrequenz <strong>von</strong><br />
3,5 GHz, eine Festplatte mit 60 GB und kostet € 1.600. Bei der Entscheidung muss der<br />
Käufer „nur“ überlegen, ob er €100 für den zusätzlichen Festplattenspeicherplatz ausgeben<br />
will. Im zweiten Fall ist Computer A identisch zu dem im ersten Fall, Computer<br />
B hat aber einen Prozessor mit 3,3 GHz, eine Festplatte mit 60 GB und zusätzlich<br />
bekommt der Käufer einen Tintenstrahldrucker. Computer B kostet € 1.700. Die<br />
beiden Computer sind im zweiten Fall schwieriger zu vergleichen als im ersten, da der<br />
Käufer jetzt Kompromisse hinsichtlich der Prozessorleistung, der Festplattengröße und<br />
des Preises machen muss und zusätzlich den Drucker zu berücksichtigen hat. <strong>Der</strong><br />
Entscheidungskonflikt und somit die Entscheidungsschwierigkeit nimmt also sowohl<br />
aufgrund der gestiegenen Anzahl an Trade-offs, als auch aufgrund der<br />
Nicht-Vergleichbarkeit der Alternativen zu (vgl. March/Simon 1993, S. 133).<br />
Zusammenfassend gibt die Trade-off Hypothese mehrere Anhaltspunkte dafür, dass<br />
mit der Anzahl attraktiver Alternativen die Entstehung negativer Emotionen<br />
begünstigt wird und dadurch die Entscheidungsschwierigkeit steigt. Dies ist<br />
insbesondere dann der Fall, wenn gleichzeitig die Vergleichbarkeit der Alternativen<br />
untereinander (Alignability) abnimmt. Beide Größen sollen deshalb bei der<br />
Untersuchung der Einflussfaktoren des Sortiments auf Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> berücksichtigt werden.<br />
In den Worten <strong>von</strong> Dhar (1996) lässt sich der Einfluss (zu) hoher <strong>Produktvielfalt</strong> auf<br />
den emotionalen Zustand und das Verhalten des Konsumenten wie folgt<br />
zusammenfassen: „(...) when the decision situation offers many equally acceptable<br />
alternatives and none that can easily be verified as the best, it may create feelings of<br />
confusion leading to a reluctance to commit to an action“ (Dhar 1996, S. 216).<br />
154
Konsequenzen negativer Emotionen während der Entscheidung<br />
Die Folgen negativer Prozessemotionen und der damit verbundenen hohen<br />
Entscheidungsschwierigkeit wurden schon mehrfach erwähnt und sollen an dieser<br />
<strong>St</strong>elle nochmals kurz zusammengefasst werden: In verschiedenen, teilweise in Kapitel<br />
2.1 (S. 42ff.) detailliert beschriebenen Untersuchungen wurde gezeigt, dass negative<br />
Emotionen und hohe Entscheidungsschwierigkeit zu Entscheidungs vermeidendem<br />
Verhalten (Avoidant Options) des Konsumenten führt. Demzufolge reagiert ein<br />
Konsument auf Situationen mit hoher Entscheidungsschwierigkeit mit<br />
• Kaufaufschub zur weiteren Informationssuche (Tversky/Shafir 1992, S. 358;<br />
Dhar 1996; Dhar/Sherman 1996; Dhar 1997a; Luce et al. 1997; Dhar/Nowlis<br />
1999, S. 381; Dhar et al. 1999; Beattie/Barlas 2001; Milgram et al. 1988;<br />
Greenleaf/Lehman 1995, S. 188; Brownstein 2003, S. 547f.), der<br />
• Beibehaltung des <strong>St</strong>atus quo (vgl. Luce/Payne/Bettman 2001, S. 33;<br />
Redelmeier/Sharif 1995; Riis/Schwarz 2000; Baron/Ritov 1994), der<br />
• Wahl einer dominierenden Alternative (vgl. z. B. Anderson 2003, S. 145;<br />
Luce 1998, S. 419) oder der<br />
• Delegation der Verantwortung an eine andere Person wie z. B. den Verkäufer<br />
oder einen Freund (vgl. Beattie/Baron/Hershey 1994, S. 130f.; Brownstein<br />
2003, S. 547f.).<br />
Neben diesen unmittelbaren Folgen für den Entscheidungsausgang wirkt sich die<br />
emotionale Schwierigkeit einer Entscheidung auch auf Nachkaufprozesse,<br />
insbesondere auf die Evaluation des Kaufs und des Kaufprozesses aus:<br />
• Schwierige Entscheidungen mit hohem Entscheidungskonflikt reduzieren das<br />
Vertrauen in die Richtigkeit der eigenen Entscheidung (vgl. Tversky 1972;<br />
Fischer et al. 2000; Luce/Jia/Fischer 2003, S. 469f.; Zakay 1985,<br />
S. 79).Dadurch wird die Entstehung kognitiver Dissonanz nach dem Kauf<br />
begünstigt (vgl. Anderson/Taylor/Holloway 1966, S. 62ff.; Oliver 1996,<br />
S. 252f.). Diese wiederum steht in engem Zusammenhang mit der Herausbildung<br />
<strong>von</strong> Zufriedenheitsurteilen hinsichtlich des gekauften Produkts und des<br />
Kaufprozesses (Oliver 1996, S. 261).<br />
• Hohe Entscheidungsschwierigkeit führt deshalb zu reduzierter Zufriedenheit<br />
mit dem Kaufprozess und dem gekauften Produkt (vgl. Houston/Sherman/<br />
Baker 1991, S. 427f.).<br />
155
Zusammenfassend lässt sich hinsichtlich der Folgen <strong>von</strong> Entscheidungskonflikten<br />
festhalten: Ist ein Konsument mit einer schwierigen Entscheidung konfrontiert, wie<br />
dies z. B. bei hoher <strong>Produktvielfalt</strong> der Fall ist, können dadurch sowohl sein<br />
Kaufverhalten als auch die nachgelagerten Bewertungsprozesse negativ beeinflusst<br />
werden.<br />
Zusammenfassung<br />
In diesem Kapitel wurde auf Basis der Konflikttheorie aufgezeigt, wie sich Anzahl<br />
und Art der verfügbaren Produkte in einer Entscheidungssituation auf das<br />
Konsumentenverhalten auswirken können und welche Anhaltspunkte sich daraus für<br />
die Kostendimension des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> ergeben. Die Annahme, dass<br />
höhere <strong>Produktvielfalt</strong> den Entscheidungskonflikt verstärkt, zu negativen Emotionen<br />
und zu Entscheidungs vermeidendem Verhalten des Konsumenten führt wurde dabei<br />
auf drei Hypothesen gestützt:<br />
1. Die Justification Hypothese besagt, dass Konsumenten eine Entscheidung vor<br />
sich und anderen begründen können möchten. Für die Wahl einer bestimmten<br />
Alternative muss es deshalb „gute Gründe“ geben, die für diese und gegen<br />
andere Optionen sprechen. Nimmt die Anzahl der (attraktiven) Alternativen zu,<br />
steigt tendenziell auch die Homogenität des Sortiments an, weshalb die Gründe<br />
für oder gegen eine Alternative abnehmen. Eine Erhöhung der <strong>Produktvielfalt</strong><br />
führt deshalb zu einer schwierigeren Entscheidung.<br />
2. Ähnlich ist die Argumentation der Preference Uncertainty Hypothese: Hier<br />
wird entgegen der rationalen Entscheidungstheorie angenommen, dass<br />
Konsumenten keine vorab festgelegten Präferenzen hinsichtlich aller Alternativen<br />
und deren Attribute haben, wenn sie eine Entscheidung beginnen. Sieht<br />
sich ein Konsument in einer Entscheidungssituation einer großen Anzahl <strong>von</strong><br />
Alternativen gegenüber, entsteht aufgrund der fehlenden Präferenzen ein<br />
Gefühl der Präferenzunsicherheit, das einen Zustand „in which decision<br />
makers do not feel they can determine with accuracy which option best meets<br />
their goals“ (Anderson 2003, S. 145) beschreibt.<br />
3. Annahme der Trade-off Hypothese ist, dass Konsumenten bei einer Entscheidung<br />
Kompromisse (Trade-offs) eingehen müssen. Diese können sich sowohl auf<br />
positive und negative Aspekte einer Alternative als auch auf einzelne Attribute<br />
verschiedener Alternativen beziehen. Kompromisse hinsichtlich bedeutender<br />
156
Produkteigenschaften führen zu negativen Emotionen, die der Konsument als<br />
unangenehm empfindet und deshalb vermeiden möchte. <strong>St</strong>eigt die Anzahl der<br />
Alternativen, so nimmt tendenziell die Überlegenheit einzelner Produkte ab und<br />
der Entscheider ist gezwungen, die Produkte intensiver miteinander zu<br />
vergleichen und Kompromisse bei der Entscheidung einzugehen. Dadurch führt<br />
die höhere Anzahl an (attraktiven) Alternativen zur verstärkten Entstehung<br />
negativer Emotionen und erschwert so die Entscheidung.<br />
Da die drei erklärenden Hypothesen nicht überschneidungsfrei sind und an vielen<br />
<strong>St</strong>ellen eher ergänzenden Charakter haben, wurde, der theoretischen Konzeption <strong>von</strong><br />
Anderson (2003) folgend vorgeschlagen, die drei Hypothesen unter einem<br />
gemeinsamen Konzept der emotionalen Entscheidungsschwierigkeit (Decision<br />
Difficulty) zusammenzufassen. Diese beschreibt Emotionen mit negativer Valenz, die<br />
eine affektive Reaktion auf Charakteristika der Entscheidungssituation, wie z. B. die<br />
Anzahl der Alternativen, darstellen. Zu betonen ist hierbei, dass diese negativen<br />
Emotionen im Entscheidungsprozess entstehen und erlebt werden und deshalb <strong>von</strong><br />
antizipierten Emotionen zu unterscheiden sind.<br />
Die Verhaltensrelevanz negativer Emotionen basiert darauf, dass der Konsument<br />
negative Emotionen als unangenehm empfindet, ihnen gegenüber deshalb avers ist und<br />
sie vermeiden möchte. Er wählt folglich Verhaltenweisen, die ihm dies ermöglichen.<br />
Beispiele hierfür sind der Kaufaufschub, die Wahl des <strong>St</strong>atus quo oder einer klar<br />
unterscheidbaren Alternative, sowie die Delegation der Entscheidung an andere, wie<br />
z. B. den Verkäufer.<br />
Neben diesen unmittelbaren Konsequenzen auf das Kaufverhalten wirken sich<br />
Kaufsituationen, die mit negativen Emotionen im Entscheidungsprozess verbunden<br />
sind, auch negativ auf die nachgelagerten Bewertungsprozesse aus. So wurde<br />
aufgezeigt, dass eine Entscheidung mit emotionaler Entscheidungsschwierigkeit zu<br />
einer reduzierten Zufriedenheit mit dem Kaufprozess und dem gekauften Produkt<br />
führen kann und die Entstehung kognitiver Dissonanz begünstigt.<br />
Die für diese Untersuchung wichtigsten aus der Konflikttheorie ableitbaren Aspekte<br />
sind in Abbildung 36 zusammengefasst.<br />
157
Determinanten<br />
Kostendimension<br />
Konsequenzen<br />
Facetten der KPV<br />
Quantitativ<br />
Qualitativ<br />
Anzahl der Produkte<br />
Vergleichbarkeit<br />
Klare Produktunterschiede<br />
+<br />
_<br />
_<br />
Kompromissnotwendigkeit +<br />
Kosten<br />
Argumentationslogik der Wirkung<br />
Entstehung negativer Emotionen und Erhöhung<br />
der Entscheidungsschwierigkeit<br />
• Gründe, die für ein Produkt sprechen<br />
nehmen mit zunehmender Vielfalt ab<br />
• Präferenzunsicherheit nimmt mit<br />
zunehmender Vielfalt zu<br />
• Überlegenheit einzelner Produkte nimmt ab<br />
und macht Kompromissen notwendig<br />
Verhaltensrelevanz entsteht aus der Aversion<br />
des Konsumenten gegen negative Emotionen<br />
Ausgang d.<br />
Entscheidung<br />
Bewertung<br />
Kaufintention<br />
Zufriedenheit<br />
• Prozess<br />
• Produkt<br />
_<br />
kognitive<br />
Dissonanz +<br />
_<br />
Facetten der KPV<br />
negative<br />
Emotionen<br />
Aufwand und<br />
Anstrengung<br />
Abbildung 36: Zusammenfassende Darstellung des Zusammenhangs der Konflikttheorie und den<br />
Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Mit der detaillierten Betrachtung der Antizipation <strong>von</strong> Regret aufgrund <strong>von</strong> hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> steht ebenfalls eine affektive Reaktion des Konsumenten im<br />
Mittelpunkt des nächsten Kapitels.<br />
2.3.2.3 Antizipiertes Regret<br />
„Anticipation of regret is likely to favor inaction and routine behavior“<br />
(Kahneman/Tversky 1982, S. 171)<br />
Kahneman und Tversky (1982) bringen mit obigen Zitat die für diese Arbeit zentrale<br />
Hypothese hinsichtlich der Wirkung <strong>von</strong> antizipiertem Regret zum Ausdruck: Die<br />
Antizipation <strong>von</strong> Regret (Bedauern) während einer Kaufentscheidung kann zu deren<br />
Aufschub oder Verzicht führen. Anschließend wird auf Basis der Regret-Theorie<br />
aufgezeigt, dass hohe <strong>Produktvielfalt</strong> die Entstehung antizipierten Regrets fördern<br />
kann. Hierzu werden zunächst die theoretischen Grundlagen zur Entstehung und<br />
Wirkung <strong>von</strong> Regret knapp dargestellt und darauf aufbauend auf die Ursachen und<br />
158
verhaltensrelevanten Konsequenzen <strong>von</strong> antizipiertem Regret eingegangen. Dabei<br />
wird insbesondere der Einfluss der <strong>Produktvielfalt</strong> verdeutlicht.<br />
Die Regret-Theorie<br />
Bedauern (Regret) ist eine in Konsumsituationen sehr häufig vorkommende Emotion<br />
(vgl. Shimanoff 1984, S. 514), die durch eine vom Entscheider wahrgenommene<br />
„(...) difference in value between the assets actually received and the highest level of<br />
assets produced by other alternatives“ (Bell 1982, S. 963) hervorgerufen wird. Regret<br />
entsteht in Konsumsituationen folglich dann, wenn ein Konsument die <strong>von</strong> ihm<br />
gewählte Alternative mit den anderen, ausgeschlagenen, vergleicht und dabei zu dem<br />
Schluss kommt, dass ein anderes Produkt die bessere Wahl gewesen wäre.<br />
Voraussetzung für das Empfinden <strong>von</strong> Bedauern wäre demnach ein Feed-back über<br />
die Performance der abgelehnten Alternativen. In Untersuchungen (vgl. z. B. Bell<br />
1983, S. 1156; Larrick/Boles 1995, S. 95) wurde aber gezeigt, dass Individuen auch<br />
Entscheidungen bedauern, bei denen die Ergebnisse der nicht gewählten Optionen<br />
unbekannt sind; Konsumenten also kein Feed-back zur Performance der nicht<br />
gewählten Alternativen bekommen.<br />
Zeelenberg (1996) berücksichtigt dies in seiner umfassenden Regret-Definition, die<br />
den folgenden Ausführungen zugrunde gelegt wird. Er definiert Bedauern als „(...) a<br />
negative, cognitively determined emotion that we experience when realizing or<br />
imagining that our present situation would have been better, had we acted differently“<br />
(S. 6). Hierin kommt neben der negativen Valenz der Empfindung <strong>von</strong> Bedauern auch<br />
dessen kognitiver Ursprung zum Ausdruck. Die gedanklichen Prozesse beinhalten<br />
dabei einerseits den Ergebnisvergleich der gewählten Alternative mit den<br />
ausgeschlagenen Optionen und andererseits die geistige Aufbereitung des<br />
Entscheidungsprozesses (vgl. Seilheimer 2001, S. 4).<br />
Die zentrale These der Regret-Theorie ist, dass der vom Konsumenten empfundene<br />
Gesamtnutzen einer Entscheidung nicht nur vom Nutzen des gewählten Produkts,<br />
sondern auch <strong>von</strong> der nachträglichen realen oder imaginären Beurteilung der<br />
zurückgewiesenen Alternativen abhängt.<br />
159
Dies gilt sowohl im positiven als auch im negativen Sinne:<br />
• Schneidet beim Vergleich das gewählte Produkt positiv ab, ist sich der<br />
Entscheider also sicher, das beste Produkt aus den verfügbaren gewählt zu<br />
haben, so empfindet er Freude (Rejoicing) über den Kauf.<br />
• Ergibt der Vergleich aber, dass eine andere Option die bessere Wahl gewesen<br />
wäre, so entsteht Bedauern (Regret) (vgl. Loomes/Sugden 1987, S. 119).<br />
<strong>Der</strong> Gesamtnutzen der gewählten Alternative wird entsprechend nachträglich erhöht<br />
oder reduziert, wenn der Konsument aufgrund des Vergleichs Rejoicing bzw. Regret<br />
empfindet. <strong>Der</strong> Einfluss der zurückgewiesenen Alternativen auf den Gesamtnutzen der<br />
Entscheidung stellt den wesentlichen Unterschied der Regret-Theorie zur<br />
Erwartungsnutzen-Theorie dar, die da<strong>von</strong> ausgeht, dass der Gesamtnutzen der<br />
Entscheidung unabhängig <strong>von</strong> den nicht gewählten Optionen ist (vgl.<br />
Herrmann/Huber/Seilheimer 2003, S. 226).<br />
Hinsichtlich der Folgen des Regret bzw. Rejoicing ist entscheidend, dass Menschen<br />
das Bedauern einer schlechten Wahl als schlimmer empfinden, als die Freude über<br />
eine gute Wahl (vgl. Zeelenberg/van Dijk 1997, S. 684; Mellers/Schwartz/Ritov 1999,<br />
S. 338). Dieses Phänomen ist aus der Prospect-Theorie bekannt (vgl. Kahneman/<br />
Tversky 1979, S. 277ff.) und wird dort als Verlustaversion (Loss Aversion)<br />
bezeichnet: „Loss aversion refers to the human tendency to weight outcomes viewed<br />
as loss from an arbitrary reference point more heavily than equivalent gains“<br />
(Anderson 2003, S. 151). Analog hierzu wird die Abneigung gegenüber dem Regret<br />
als Regret-Aversion bezeichnet (vgl. Anderson 2003, S. 151). In der grafischen<br />
Darstellung der Regret-Funktion (siehe Abbildung 37) wird dies aus dem steileren<br />
Verlauf des Graphen im negativen Bereich der x-Achse deutlich. Erkennbar ist hieraus<br />
außerdem, dass der Nutzen der gewählten Alternative den Referenzpunkt der<br />
Regret-Funktion bildet und – im Gegensatz zur Prospect-Theorie – das Bedauern bzw.<br />
die Freude überproportional zur Abweichung der gewählten Alternative <strong>von</strong> diesem<br />
wächst (vgl. Sugden 1992, S. 172; Seilheimer 2001, S. 13).<br />
160
Freude<br />
(Rejoicing)<br />
Gewählte Alternative<br />
(Referenzpunkt)<br />
R (x 2<br />
)<br />
R (x 1<br />
)<br />
-x 2<br />
-x 1<br />
x 1 x 2<br />
R (-x 1<br />
)<br />
Abweichung der gewählten<br />
Alternative zur<br />
ausgeschlagenen Option<br />
R (-x 2<br />
)<br />
Bedauern<br />
(Regret)<br />
Abbildung 37: Idealtypischer Verlauf der Regret-Funktion. In Anlehnung an Seilheimer 2001, S. 14<br />
Obiger Darstellung liegt die entscheidungstheoretisch geprägte Annahme der<br />
Regret-Theorie zugrunde, dass allein die Differenz des Nutzens der gewählten und der<br />
ausgeschlagenen Alternativen die Ursache für Bedauern bzw. Freude sind. Dadurch<br />
kann aber die Entstehung, die Höhe und die Wirkung des Regrets nicht adäquat erklärt<br />
werden (vgl. Herrmann/Huber/Seilheimer 2003, S. 226). Vielmehr spielen die Art der<br />
Entscheidungsfindung und die Charakteristika des Entscheidungsproblems<br />
hierbei eine wichtige Rolle (vgl. z. B. Kahneman/Tversky 1982, S. 201ff.). Auf diese<br />
für den Zusammenhang mit der <strong>Produktvielfalt</strong> wichtigen Antezedenzien des Regrets<br />
wird nachfolgend näher eingegangen. Hierbei wird der Argumentation <strong>von</strong> Herrmann,<br />
Huber und Seilheimer folgend, insbesondere auf die Theorie des Counterfactual<br />
Thinking eingegangen (vgl. Herrmann/Huber/Seilheimer 2003, S. 226).<br />
161
Antezedenzien des Regret<br />
Die Theorie des Counterfactual Thinking<br />
Roese (2000) definiert Counterfactual Thinking wie folgt: „Counterfactual thinking<br />
refers to imaginings of alternatives to past outcomes. These thoughts of what might<br />
have been often take the form of a conditional proposition, as in ¸If only I had bought<br />
a Ford instead of a Chrysler, I would have saved a lot of money’ ” (Roese 2000,<br />
S. 277). Wörtlich übersetzt bedeutet der Begriff Counterfactual „gegensätzlich zu den<br />
Fakten“. Als Counterfactuals werden folglich Gedanken bezeichnet, die durch<br />
mentale Simulation alternative hypothetische Szenarien zu realen zurückliegenden<br />
Ereignissen schaffen (vgl. Tsiros/Mittal 2000, S. 403).<br />
Wie bereits oben erwähnt, können Menschen auch dann Bedauern bzw. Freude<br />
empfinden, wenn sie keine Informationen hinsichtlich der Ergebnisse zurückgewiesener<br />
Alternativen haben. Erklärt werden kann dies durch die Theorie des<br />
Counterfactual Thinking: „People undertake counterfactuals in an attempt to provide<br />
a comparison standard to reality“ (Tsiros/Mittal 2000, S. 403). Hat ein Individuum<br />
nach einer Entscheidung nur Informationen über die Performance der gewählten<br />
Option, kann es sich durch die Generierung <strong>von</strong> Counterfactuals „künstliche“<br />
Vergleichspunkte schaffen, mit denen es die gewählte Alternative vergleicht. Diese<br />
können besser (Upward Counterfactuals) oder schlechter (Downward<br />
Counterfactuals) als das tatsächlich ausgesuchte Produkt sein und dementsprechend zu<br />
Regret oder Rejoicing führen. Für die Art der empfundenen Emotion (Regret oder<br />
Rejoicing) ist demzufolge die Richtung der generierten Counterfactuals<br />
verantwortlich. Die <strong>St</strong>ärke der emotionalen Reaktion wird durch die Anzahl der<br />
Counterfactuals bestimmt (vgl. Zeelenberg et al. 1998, S. 118; Tsiros/Mittal 2000,<br />
S. 405).<br />
Die Motivation und Fähigkeit, Counterfactuals zu erzeugen, hängt vom Risiko und<br />
der empfundenen Verantwortung, sowie <strong>von</strong> situationsspezifischen Eigenschaften<br />
der Entscheidung, wie der Umkehrbarkeit und Valenz des Ergebnisses ab. Ebenso ist<br />
entscheidend, ob mit der Wahl der Alternative eine Veränderung des <strong>St</strong>atus quo<br />
einhergegangen ist (vgl. z. B. Tsiros/Mittal 2000, S. 404ff.; Gilovich/Medvec 1994,<br />
S. 359). Entsteht ein Zustand durch die Veränderung des <strong>St</strong>atus quo, so führt dies zu<br />
stärkeren kognitiven und emotionalen Reaktionen und damit zu mehr Counterfactuals,<br />
als wenn derselbe Zustand durch die Beibehaltung des bisherigen <strong>St</strong>atus erreicht<br />
162
würde(vgl. Kahneman 1985; Kahneman/Tversky 1982; Landman 1987). Erklärt<br />
werden kann dies nach Tsiros und Mittal (2000) auf Basis der Informationsverarbeitungs-<br />
und der Attributionstheorie:<br />
Aus der Perspektive der Informationsverarbeitung wird die Veränderung des<br />
<strong>St</strong>atus quo vom Konsumenten deutlicher wahrgenommen und dadurch besser erinnert<br />
als der Verbleib beim derzeitigen Zustand. Es ist ferner leichter, sich die<br />
Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands vorzustellen, als dessen Veränderung<br />
(vgl. Tsiros/Mittal 2000, S. 404). <strong>Der</strong> Argumentation der Attributionstheorien<br />
folgend „(...) (may) people attribute a stronger link between their decision to change<br />
the <strong>St</strong>atus quo and their attitudes and beliefs than their decision to retain the<br />
<strong>St</strong>atus quo and their attitudes and beliefs“ (Tsiros/Mittal 2000, S. 404). Ursache<br />
hierfür ist, dass ein Konsument eine Aktion, sprich die Veränderung des <strong>St</strong>atus quo,<br />
auf sich attribuiert und sich deshalb für die Entscheidung verantwortlich fühlt (interner<br />
Lokus). Untätigkeit hingegen (beibehalten des <strong>St</strong>atus quo) lässt sich leichter extern<br />
attribuieren (vgl. Herrmann/Huber/Seilheimer 2003, S. 229). Die affektive und<br />
kognitive Reaktion und damit auch die Generierung <strong>von</strong> Counterfactuals ist stärker,<br />
wenn sich der Konsument selbst für die Entscheidung verantwortlich fühlt und diese<br />
folglich auf sich attribuiert (vgl. Weiner 1982, S. 185ff.; Folkes 1988, S. 557). Es<br />
besteht daher ein enger Zusammenhang <strong>von</strong> Verantwortung und Regret: „A sense of<br />
personal responsibility is central to the experience of regret“ (Gilovich/Medvec 1994,<br />
S. 359; vgl. auch Simonson 1992, Zeelenberg/van Dijk/Manstead 1998).<br />
Zusammenfassend lässt sich damit sagen, dass die Veränderung des <strong>St</strong>atus quo die<br />
Generierung <strong>von</strong> Counterfactuals und die Entstehung <strong>von</strong> Regret bzw. Rejoicing<br />
begünstigt. Dies ist in dem hier betrachteten Zusammenhang <strong>von</strong> besonderem<br />
Interesse, da Kaufentscheidungen typischerweise nicht mit der Beibehaltung des<br />
<strong>St</strong>atus quo, sondern durch den Kauf eines neuen Produkts mit dessen Veränderung<br />
verbunden sind und daher eher zu Regret führen können (vgl. Kahneman/Miller 1986,<br />
S. 136ff.).<br />
Neben der Veränderung bzw. dem Beibehalten des <strong>St</strong>atus quo und der Verantwortung<br />
wurden oben das Risiko sowie die Umkehrbarkeit und Valenz des Ergebnisses als<br />
Einflussfaktoren auf die Entstehung <strong>von</strong> Counterfactuals und Regret genannt.<br />
Ist die Entscheidung mit hohem finanziellen und/oder sozialem Risiko verbunden,<br />
geht es also z. B. um den Kauf eines teuren oder prestigeträchtigen Produkts, setzt sich<br />
der Konsument intensiv mit der Kaufentscheidung auseinander, indem er die<br />
Alternativen während des Entscheidungsprozesses gründlich miteinander vergleicht.<br />
163
Hierzu versucht er auch die Zukunft mental zu simulieren, indem er Counterfactuals –<br />
bzw. korrekter – Prefactuals (siehe S. 168ff.) generiert (vgl. Tsiros/Mittal 2000,<br />
S. 403). Bleibt das Ergebnis der Kaufentscheidung hinter den Erwartungen zurück,<br />
versucht der Käufer mit Nachdruck hierfür eine Erklärung zu finden, indem er<br />
Counterfactuals produziert (vgl. Herrmann/Huber/Seilheimer 2003, S. 229; Gleicher et<br />
al. 1990, S. 293). Je höher somit das vom Konsumenten empfundene Risiko einer<br />
Entscheidung, desto wahrscheinlicher ist die Entstehung <strong>von</strong> Counterfactuals. Bei der<br />
hier betrachteten Art der „echten“ Kaufentscheidungen (siehe S. 37ff.), die mit einem<br />
gewissen finanziellen Risiko verbunden sind, ist die Entstehung <strong>von</strong> Counterfactuals<br />
deshalb wahrscheinlich.<br />
Ist eine Entscheidung umkehrbar, verhält sich der Konsument eher passiv und ist<br />
nicht motiviert, kognitiven Aufwand in die mentale Simulation alternativer Szenarien<br />
zu investieren (vgl. Tsiros/Mittal 2000, S. 404). Ist das Ergebnis einer Entscheidung<br />
hingegen nicht umkehrbar, ist die Entscheidung mit größerem Risiko verbunden, was<br />
wiederum die Entstehung <strong>von</strong> Counterfactuals und Regret begünstigt (s.o.).<br />
Die Valenz einer Entscheidung wirkt sich dahingehend auf die Generierung <strong>von</strong><br />
Counterfactuals aus, dass „negative outcomes stimulate more counterfactual thinking<br />
than positive outcomes“ (Tsiros/Mittal 2000, S. 405). Ein Grund für dieses<br />
asymmetrische Verhalten ist, dass sich Individuen bemühen, einen positiven Zustand<br />
zu erhalten, wohingegen sie versuchen, einen negativen Zustand zu verbessern (vgl.<br />
Isen/Geva 1987). Folglich sind Konsumenten, die das Ergebnis einer Entscheidung<br />
positiv beurteilen, kaum motiviert, alternative Szenarien in Form <strong>von</strong> Counterfactuals<br />
zu generieren. Ist das Entscheidungsergebnis hingegen schlechter als erwartet,<br />
versucht der Entscheider durch mentale Simulation eine geeignete Alternative zu<br />
finden, um in Zukunft bessere Entscheidungen treffen zu können (vgl. Tsiros/Mittal<br />
2000, S. 405).<br />
164
Zusammenfassend wird die Generierung <strong>von</strong> Counterfactuals und die damit<br />
verbundene Entstehung <strong>von</strong> Regret oder Rejoicing im Wesentlichen <strong>von</strong><br />
• der Valenz und Umkehrbarkeit des Ergebnisses sowie<br />
• dem Risiko und der<br />
• empfundenen Verantwortung bei der Entscheidung beeinflusst.<br />
• Des Weiteren entstehen Counterfactuals ceteris paribus insbesondere dann,<br />
wenn die Entscheidung mit einer Veränderung des derzeitigen Zustands, des<br />
<strong>St</strong>atus quo verbunden ist. Dieser Aspekt ist für den hier betrachteten Zusammenhang<br />
<strong>von</strong> besonderer Relevanz und wird in einem späteren Abschnitt zum<br />
antizipierten Regret noch vertieft (siehe S. 173f.).<br />
<strong>Der</strong> Einfluss der Vielfalt in der Entscheidungssituation auf die Entstehung <strong>von</strong><br />
Regret<br />
Im letzten Abschnitt wurden die in der Literatur als wesentlich erachteten<br />
Antezedenzien <strong>von</strong> Regret beschrieben. Für die Fragestellung dieser Arbeit interessiert<br />
insbesondere, welchen Einfluss die <strong>Produktvielfalt</strong> in der Entscheidungssituation auf<br />
die Entstehung <strong>von</strong> Regret hat. Zentrale Annahme ist hierbei, dass höhere Vielfalt zu<br />
mehr Regret führt. Diese Hypothese stützt sich im Wesentlichen auf drei<br />
Argumentationsstränge:<br />
Hohe <strong>Produktvielfalt</strong> in der Entscheidungssituation führt erstens dazu, dass dem<br />
Konsumenten die hohe Wahrscheinlichkeit einer Fehlentscheidung, sowie deren<br />
Folgen besonders deutlich werden (vgl. Amir o.J., S. 5). Zurückzuführen ist dies<br />
darauf, dass die Generierung <strong>von</strong> Counterfactuals durch die vielen Alternativen<br />
wahrscheinlicher und leichter ist und in Folge dessen das Bewusstsein (Awareness) für<br />
das Fehlentscheidungsrisiko steigt (vgl. Kahneman/Tversky 1982; Amir o.J., S. 4f.).<br />
Dadurch wird die mentale Simulation alternativer Szenarien nochmals verstärkt (siehe<br />
hierzu die Ausführungen zum wahrgenommenen Risiko). Insgesamt fördert diese<br />
verstärkte Generierung <strong>von</strong> Counterfactuals die Entstehung <strong>von</strong> Regret oder Rejoicing<br />
(vgl. Simonson 1992; Gilovich/Medvec 1995; Bell 1985; Gul 1991; Tsiros/Mittal 2000).<br />
Als zweites Argument kann angeführt werden „(...) that as consumers perceive more<br />
variety, they may set their expectations, and thus their goals too high“ (Desmeules<br />
2002, S. 10; Hervorhebung nicht im Original). Wenn der Konsument anschließend das<br />
Ergebnis des Kaufs mit diesen zu hohen Erwartungen vergleicht, fällt die Beurteilung<br />
165
der eigenen Entscheidung meist negativ aus. Da „negative outcomes stimulate more<br />
counterfactual thinking than positive outcomes“ (Tsiros/Mittal 2000, S. 405) kann<br />
angenommen werden, dass durch (zu) hohe <strong>Produktvielfalt</strong> Regret entstehen kann.<br />
Schließlich haben drittens Untersuchungen gezeigt, dass „choice-makers in<br />
extensive-choice contexts might feel more responsible for their choices given the<br />
potential opportunity of finding the very best option (…)“ (Sethi-Iyengar/Lepper 2000,<br />
S. 999; Hervorhebung nicht im Original). Wie oben gezeigt wurde, generiert der<br />
Konsument mehr Counterfactuals und schafft damit die Voraussetzung für die<br />
Entstehung <strong>von</strong> Regret, wenn er sich für eine Entscheidung verantwortlich fühlt (siehe<br />
S. 163f.).<br />
Insgesamt lässt sich damit vermuten, dass die Entstehung <strong>von</strong> Regret wahrscheinlicher<br />
ist, wenn ein Konsument aus einem großen Sortiment wählt. Verglichen damit sollte<br />
die Wahl aus einer moderaten Anzahl an Alternativen zu weniger Bedauern führen.<br />
Konsequenzen des Regret<br />
Regret steht in engem Zusammenhang mit der Zufriedenheit und wird in der Literatur<br />
als deren Antezedenz bezeichnet (vgl. Oliver 1997; Inman et al. 1997). So konnten<br />
z. B. Tsiros und Mittal (2000) zeigen, dass ein höheres Maß an Regret zu einer<br />
signifikanten Reduktion der Zufriedenheit führt (siehe auch Abbildung 38). Dies ist<br />
dadurch zu erklären, dass Konsumenten bei der Herausbildung eines Zufriedenheitsurteils<br />
die Performance des gewählten Produkts einerseits mit ihren Erwartungen<br />
vergleichen, andererseits aber auch die zurückgewiesenen Alternativen als<br />
Vergleichsmaßstab verwenden (vgl. Herrmann/Huber/Wricke 1999, S. 677ff.; Taylor<br />
1997, S. 229ff.). Entspricht das gewählte Produkt hierbei zwar den Erwartungen des<br />
Konsumenten, hätte eine andere Alternative diese aber deutlich übertroffen, so ist<br />
da<strong>von</strong> auszugehen, dass der Konsument mit seinem Kauf unzufrieden ist (vgl.<br />
Herrmann/Huber/Seilheimer 2003, S. 230f.). Zusammenfassend ist also <strong>von</strong> einem<br />
negativen Zusammenhang <strong>von</strong> Regret und Zufriedenheit auszugehen (vgl.<br />
Tsiros/Mittal 2000, S. 408).<br />
Regret beeinflusst neben der Zufriedenheit auch die Loyalität bzw. die<br />
Wiederkaufsabsicht des Konsumenten. Da zwischen Zufriedenheit und dem<br />
Wiederkaufverhalten ein positiver Zusammenhang besteht (vgl. Oliver 1980; Fornell<br />
1992, S. 14, Anderson/Sullivan 1993; S. 141), reduziert Regret indirekt über die<br />
Zufriedenheit die Wiederkaufabsicht (vgl. Herrmann/Huber/Seilheimer 2003, S. 213;<br />
166
Tsiros/Mittal 2000, S. 405). Regret kann sich aber auch direkt auf die Wiederkaufsintention<br />
auswirken: Ist ein Kunde mit dem <strong>von</strong> ihm gewählten Produkt zwar<br />
zufrieden, stellt er mittels realem oder imaginärem Vergleich (Counterfactuals) im<br />
Nachhinein aber fest, dass die Wahl eines anderen Produkts zu einem besseren<br />
Ergebnis geführt hätte, so ist es wahrscheinlich, dass er bei der nächsten<br />
Kaufgelegenheit zu diesem anderen Produkt wechselt. Er verhält sich also illoyal,<br />
obwohl er mit dem Kauf zufrieden ist (vgl. Tsiros/Mittal 2000, S. 408). Ein höheres<br />
Maß an Regret reduziert damit die Wiederkaufsabsicht sowohl direkt als auch indirekt<br />
über eine geminderte Zufriedenheit. Tsiros und Mittal (2000) konnten in ihren<br />
Experimenten diese Zusammenhänge empirisch zeigen (S. 408). Ihre Untersuchungsergebnisse<br />
sind in Abbildung 38 in Form eines Pfaddiagramms dargestellt.<br />
Regret 1 Regret 2 Regret 3<br />
0,88* 0,84* 0,79*<br />
- 0,38*<br />
Regret<br />
Satisfaction<br />
0,09 NS<br />
0,43*<br />
-0,33*<br />
-0,41 *<br />
Repurchase<br />
Complaint<br />
0,97* 0,94* 0,89*<br />
Satisfaction 1 Satisfaction 2 Satisfaction 3<br />
*: p < 0,05; NS: nicht signifikant<br />
Abbildung 38: Die Auswirkungen <strong>von</strong> Regret auf die Zufriedenheit und die Wiederkaufsabsicht. In<br />
Anlehnung an Tsiros/Mittal 2000, S. 408<br />
Die bisherigen Ausführungen zum Regret haben Einflussgrößen und Konsequenzen<br />
<strong>von</strong> Regret verdeutlicht und den Bezug zur <strong>Produktvielfalt</strong> hergestellt. Diese durch<br />
Counterfactuals hervorgerufenen Emotionen sind aber nicht direkt entscheidungsrelevant,<br />
da sie erst nach der Kaufentscheidung entstehen und das Wohlbefinden, wie<br />
z. B. die Zufriedenheit des Konsumenten beeinflussen (vgl. Seilheimer 2001, S. 67).<br />
Die Regret-Aversion wirkt sich aber auch auf das Kaufverhalten aus „(...) because<br />
the possibility of regret is anticipated (by consumers, d. V.), and subsequently taken<br />
into account when making decisions“ (Zeelenberg 1999, S. 101). Konsumenten<br />
können Regret bzw. Rejoicing folglich antizipieren und auf diese Weise in die<br />
167
Entscheidung einbeziehen (vgl. Mellers/Schwartz/Ritov 1999, S. 333). Hierauf geht<br />
der nächste Abschnitt genauer ein.<br />
Antizipiertes Regret<br />
Counterfactuals spielen, wie oben gezeigt wurde, bei der Entstehung <strong>von</strong> Regret eine<br />
wichtige Rolle, da sie durch mentale Simulation Alternativen zu zurückliegendem<br />
Entscheidungsverhalten erzeugen können, d. h. der Konsument stellt sich vor, wie er<br />
sich in der Gegenwart (nach dem Kauf) fühlen würde, wenn er sich für ein anderes<br />
Produkt entschieden hätte. Konsumenten verhalten sich während einer<br />
Kaufentscheidung analog hierzu und „(...) imagine the costs and benefits of one world<br />
in which the product is purchased and the costs and benefits of another world in which<br />
the product is not purchased“ (McConnel/Niedermeier/Leibold/El-Alayli/Chin 2000,<br />
S. 282). Da sich diese mentalen Simulationen auf zukünftige Ereignisse beziehen,<br />
werden sie als Prefactuals(wörtlich übersetzt „vor den Fakten“) bezeichnet (vgl.<br />
McConnel et al. 2000, S. 282).<br />
Mit Hilfe <strong>von</strong> Prefactuals stellen sich Konsumenten während der Kaufentscheidung in<br />
alternativen Szenarien den Erfüllungsgrad ihrer Bedürfnisse und ihre daraus<br />
resultierenden affektiven Reaktionen mit den in Frage kommenden Produkten vor (vgl.<br />
Dunning/Madey 1995, S. 124ff.) und beziehen diese antizipierten Emotionen in den<br />
Kaufprozess ein (vgl. Mellers/Schwartz/Ritov 1999, S. 337; Loomes/Sugden 1982,<br />
S. 820). Begründet werden kann dieses Verhalten durch die Choice Certainty Theory<br />
(Mills 1968), wonach sich Konsumenten sicher sein wollen, die beste Alternative zu<br />
wählen und deshalb versuchen, durch mentale Simulation der Zukunft ihre<br />
Entscheidungssicherheit zu erhöhen (vgl. Brownstein 2003, S. 549).<br />
Die Prefactuals sind dabei typischerweise nach oben gerichtet (Upward Prefactuals),<br />
wodurch diese die „(...)anxiety during and after a purchase“ erhöhen (McConnel et<br />
al. 2000, S. 287): Nach oben gerichtete Prefectuals führen zu einem schlechten<br />
Abschneiden der jeweils aktuell betrachteten Optionen, da diese immer mit einer noch<br />
besseren imaginären Alternative verglichen werden und verursachen dadurch die<br />
Antizipation <strong>von</strong> Regret (vgl. Miller/Taylor 1995, S. 314; McConnel et al. 2000,<br />
S. 284ff.).<br />
168
Einfluss <strong>von</strong> Anzahl und Art der Produktauswahl auf die Generierung <strong>von</strong><br />
Prefectuals und die Entstehung <strong>von</strong> antizipiertem Regret<br />
Janis und Mann (1977) haben das Vorhandensein <strong>von</strong> mehr als einer attraktiven<br />
Alternative als einen wesentlichen Einflussfaktor auf die Entstehung und die <strong>St</strong>ärke<br />
<strong>von</strong> antizipiertem Regret bezeichnet (vgl. Brownstein 2003, S. 548). Analog zu dem<br />
bereits aufgezeigten Einfluss der <strong>Produktvielfalt</strong> auf die Entstehung <strong>von</strong> Regret (siehe<br />
S. 165f.) kann dies dadurch erklärt werden, dass hohe <strong>Produktvielfalt</strong> die Generierung<br />
<strong>von</strong> Prefactuals erleichtert und dadurch die Entstehung <strong>von</strong> antizipiertem Regret<br />
fördert (vgl. Miller/Taylor 1995, S. 314). Die verstärkte Generierung <strong>von</strong> Prefactuals<br />
durch hohe <strong>Produktvielfalt</strong> lässt sich unter Rückgriff auf die oben angeführten<br />
Argumente wie folgt begründen:<br />
Hohe <strong>Produktvielfalt</strong> macht die Entstehung <strong>von</strong> Prefactuals leichter und<br />
wahrscheinlicher, da dem Konsumenten viele Optionen zur Simulation alternativer<br />
Szenarien zur Verfügung stehen (vgl. Amir o.J., S. 5). Dadurch wird dem Individuum<br />
die Wahrscheinlichkeit einer Fehlentscheidung bewusst, was die Generierung <strong>von</strong><br />
Prefactuals nochmals verstärkt (vgl. Kahneman/Tversky 1982; Miller/Taylor 1995,<br />
S. 314ff.). Diese Prefactuals sind dabei vornehmlich aufwärts gerichtet, da der<br />
Konsument aufgrund der Vielzahl an Alternativen sehr hohe Erwartungen an das<br />
Ergebnis der Entscheidung hat (vgl. Desmeules 2002, S. 10). Vergleicht der<br />
Konsument in mentalen Simulationen die Wahl alternativer Produkte mit diesem<br />
hohen Referenzpunkt, führt dies tendenziell zu einer negativen Beurteilung der<br />
einzelnen Optionen und somit zur Entstehung <strong>von</strong> antizipiertem Regret. Interessant ist<br />
hierbei vor allem die gegenseitig verstärkende Wirkung dieser Einzeleffekte in einer<br />
Art emotionaler Abwärtsspirale, die insgesamt zu einer vermehrten Generierung <strong>von</strong><br />
Prefactuals führt: Große Auswahl erhöht, wie oben beschrieben, das wahrgenommene<br />
Risiko und führt zu überhöhten Erwartungen und dadurch zu einer negativen<br />
Beurteilung der Alternativen. Dadurch entstehen auf der Basis mentaler Simulation<br />
(Prefactuals) negative Ergebnisse, die wiederum die Generierung <strong>von</strong> Prefactuals<br />
stimulieren (vgl. Tsiros/Mittal 2000, S. 405). Es entstehen somit einander gegenseitig<br />
verstärkende Effekte.<br />
Die Möglichkeit, aufgrund der großen Auswahl eine optimale Entscheidung zu treffen<br />
führt außerdem dazu, dass Konsumenten eine größere Verantwortung für die<br />
Entscheidung empfinden (vgl. Shety-Iyengar/Lepper 2000, S. 999). Wie bereits<br />
erwähnt (vgl. S. 163f.), steht diese in engem Zusammenhang mit der Entstehung und<br />
169
der <strong>St</strong>ärke <strong>von</strong> Regret (Gilovich/Medvec 1994, S. 359; Simonson 1992,<br />
Zeelenberg/van Dijk/Manstead 1998).<br />
Auf Basis dieser Argumente kann vermutet werden, dass hohe <strong>Produktvielfalt</strong> zur<br />
Antizipation <strong>von</strong> Regret führen kann. In der Literatur können aber auch Hinweise<br />
dafür gefunden werden, dass zu geringe <strong>Produktvielfalt</strong> ebenfalls zu antizipiertem<br />
Regret führt. So kann der Aufschub einer Kaufentscheidung daher kommen, dass der<br />
Konsument hofft, in einer späteren Entscheidungssituation bessere Alternativen zur<br />
Wahl zu haben (vgl. Simonson 1992; Anderson 2003, S. 151). Erwartet er<br />
beispielsweise in einem anderen Geschäft eine bessere Auswahl vorzufinden, würde er<br />
den sofortigen Kauf später eventuell bereuen.<br />
Die Antizipation des Bedauerns kann somit dazu führen, dass ein Konsument seine<br />
Entscheidung verschiebt und weitere Geschäfte aufsucht. Dieses Argument wird auch<br />
<strong>von</strong> Untersuchungen gestützt, die gezeigt haben, dass die Antizipation <strong>von</strong> Regret<br />
steigt, wenn der Entscheider ein Feed-back hinsichtlich seiner Entscheidungsqualität<br />
erwartet (vgl. Zeelenberg 1998, S. 97ff.; Inman/Dyer/Jia 1997; Ritov/Baron 1995;<br />
Taylor 1997). Sucht ein Käufer nach der Entscheidung ein weiteres Geschäft auf, kann<br />
er die dort vorhandenen Alternativen mit dem <strong>von</strong> ihm gewählten Produkt vergleichen<br />
und erhält somit ein Feed-back für seine Entscheidung. Erwartet ein Konsument, bei<br />
einem anderen Händler eine größere Auswahl vorzufinden, die ihm eine bessere<br />
Entscheidung ermöglicht, so kann dies zur Antizipation <strong>von</strong> Regret führen und der<br />
Konsument verschiebt die Entscheidung aufgrund zu geringer bzw. zu unattraktiver<br />
Auswahl (vgl. Anderson 2003, S. 152).<br />
Da sowohl zu geringe als auch zu hohe <strong>Produktvielfalt</strong> die Generierung <strong>von</strong><br />
Prefactuals und antizipiertem Regret fördert, liegt die Vermutung eines u-förmigen<br />
Zusammenhangs <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und antizipiertem Regret nahe. Da im Zentrum<br />
dieser Arbeit die Wirkung hoher <strong>Produktvielfalt</strong> steht, spielt hier die Entstehung <strong>von</strong><br />
Regret bei zu geringer Vielfalt keine Rolle.<br />
Neben der Größe des Sortiments beeinflusst auch deren Zusammensetzung die<br />
Entstehung <strong>von</strong> antizipiertem Regret. So argumentiert Zeelenberg (1998), dass<br />
antizipiertes Regret insbesondere dann auftritt, wenn „the most preferred alternative is<br />
not necessarily superior to another“ (S. 102). In diesem Fall kann der Konsument die<br />
Entscheidung nur schwer treffen und muss sich geistig intensiv mit dieser auseinander<br />
setzen, was die Generierung <strong>von</strong> Prefactuals begünstigt. Die Entscheidungsschwierigkeit<br />
resultiert dabei aus der Zusammensetzung des Choice Sets und den<br />
Eigenschaften der Alternativen. Demnach antizipiert der Konsument insbesondere<br />
170
dann Regret, wenn Alternativen in etwa gleich attraktiv sind (z. B. hinsichtlich ihres<br />
erwarteten Nutzens) oder die Entscheidung einen Kompromiss (Trade-off) hinsichtlich<br />
wichtiger Attribute erforderlich macht (vgl. Zeelenberg 1998, S. 102). Im letzten Fall<br />
ist die Entscheidunge schwerer, was die Generierung <strong>von</strong> Prefactuals wahrscheinlicher<br />
macht (vgl. Zeelenberg 1998, S. 102).<br />
Zusammenfassend können somit große Sortimente, die aus vielen attraktiven<br />
Produkten mit jeweils unterschiedlichen Vor- und Nachteilen bestehen und deshalb<br />
einen Kompromiss bei der Entscheidung erfordern, die Entstehung <strong>von</strong> antizipiertem<br />
Regret begünstigen.<br />
Konsequenzen <strong>von</strong> antizipiertem Regret<br />
Aufgrund ihrer Regret-Aversion (siehe Abbildung 37, S. 161) versuchen Konsumenten<br />
eine Lösung des Entscheidungsproblems zu finden, die das antizipierte Regret<br />
minimiert (vgl. Anderson 2003, S. 148). Voraussetzung für einen systematischen<br />
Einfluss des antizipierten Regrets auf die Kaufentscheidung ist dabei, dass sich die<br />
Entscheidungsalternativen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit und/oder Intensität der<br />
Generierung <strong>von</strong> Prefactuals und antizipiertem Regret unterscheiden und der<br />
Konsument durch seine Wahl die Höhe des antizipierten Regrets reduzieren kann (vgl.<br />
Simonson 1992, S. 117). Neben den Produktalternativen des Sortiments stehen dem<br />
Konsumenten in einer Kaufsituation verschiedene alternative Entscheidungsausgänge<br />
zur Wahl, wodurch er die Regret-<strong>St</strong>ärke reduzieren kann:<br />
Eine Möglichkeit hierfür ist der Verzicht auf die Entscheidung: „Whenever choice<br />
can induce regret consumers have an incentive to eliminate the choice“ (Thaler 1980,<br />
S. 52). Antizipation <strong>von</strong> Regret kann somit zur Entscheidungsaversion führen (vgl.<br />
Beattie/Baron/Hersehy 1994, S. 132). Anderson (2003, S. 138) unterscheidet drei<br />
Formen, wie eine Entscheidung vermieden werden kann: <strong>St</strong>atus quo, Omission und<br />
Deferral.<br />
Wie bereits oben erläutert wurde (vgl. S. 162), führt die Veränderung des <strong>St</strong>atus quo<br />
zu intensiveren kognitiven und emotionalen Reaktionen und begünstigt dadurch die<br />
Generierung <strong>von</strong> Prefactuals und somit die Entstehung <strong>von</strong> antizipiertem Regret (vgl.<br />
Kahneman 1995; Kahneman/Tversky 1982; Landman 1987). Die Beibehaltung des<br />
<strong>St</strong>atus quo stellt somit eine Regret reduzierende Option dar (vgl. Tsiros/Mittal 2000;<br />
Redelmeier/Shafir 1995). Als weiteres Argument mit direktem Bezug zur<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> kann hier angeführt werden, dass Konsumenten versuchen,<br />
171
Entscheidungen vor sich und anderen zu rechtfertigen und dies ist „usually easier for<br />
situations having few rather than many options“ (Redelmeier/Shafir 1995, S. 304). Da<br />
der <strong>St</strong>atus quo leichter zu rechtfertigen ist und dadurch die Wahrscheinlichkeit der<br />
Antizipation <strong>von</strong> Regret reduziert wird, kann erhöhte Vielfalt zur Beibehaltung des<br />
<strong>St</strong>atus quo führen (vgl. Inman/Zeelenberg 2002).<br />
Omission – das „Nichts tun“ – unterscheidet sich <strong>von</strong> der Beibehaltung des <strong>St</strong>atus quo<br />
dadurch, dass letzteres bewusst gewählt wird, wohingegen bei einer Omission der<br />
Konsument sich weder für noch gegen eine Alternative entscheidet und „einfach“<br />
nicht handelt. <strong>Der</strong> so genannte Action Effect, der auch als Exaggeration Effect oder<br />
Emotional Amplification bezeichnet wird (Kahneman/Miller 1986, Zeelenberg et al.<br />
2002), besagt, dass „(...) actions (...) provoke more counterfactual thinking than<br />
inactions“ (Mellers/Schwartz/Ritov 1999, S. 341). Durch das „Nichts tun“ kann<br />
folglich die Höhe des antizipierten Regrets reduziert werden (vgl. Ritov/Baron 1990;<br />
1995, 1999; Baron Ritov 1994, Spranca et al. 1991).<br />
„A situation in which an individual chooses not to choose for the time being is a<br />
choice deferral“ (Anderson 2003, S. 144). Konsumenten verschieben Entscheidungen<br />
(Deferral) und vermeiden oder reduzieren dadurch die Regret-Antizipation, wenn sie<br />
auf neue Informationen hoffen, die die Entscheidung erleichtern (vgl. Zeelenberg<br />
1999a, S. 329; Cooke/Meyvis/Schwartz 2001). Ein anderer Grund für dieses Verhalten<br />
kann auch sein, dass der Konsument hofft, in einer späteren Entscheidungssituation<br />
bessere Alternativen zur Wahl zu haben (vgl. Simonson 1992; Anderson 2003,<br />
S. 151). Erwartet er beispielsweise in einem anderen Geschäft ein besseres Sortiment<br />
vorzufinden, würde er den sofortigen Kauf später vielleicht bereuen. Er verschiebt<br />
daher die Entscheidung und sucht weitere Geschäfte auf. Dieses Argument<br />
verdeutlicht, dass Regret auch dann entstehen kann, wenn sehr wenige Alternativen im<br />
Sortiment vorhanden sind. Es kann daher, wie schon erwähnt, ein u-förmiger<br />
Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und antizipiertem Regret vermutet werden.<br />
Die aufgeführten drei Optionen zur Regret-Vermeidung haben gemeinsam, dass der<br />
Konsument die explizite Entscheidung vermeidet, indem er letztlich nicht kauft.<br />
Simonson (1992) weißt darauf hin, dass die Wahl einer „Default Option“ – einer<br />
vorgegebenen Alternative – ebenfalls eine Regret reduzierende Entscheidung darstellt<br />
(vgl. Simonson 1992, S. 117). Durch die Vorgabe einer <strong>St</strong>andardalternative wie z. B.<br />
die Markierung eines Produkts als „besondere Empfehlung“ kann ein Einzelhändler<br />
folglich die Entscheidungskosten des Konsumenten reduzieren und dadurch die<br />
Wahrscheinlichkeit eines Kaufs erhöhen. Eine weitere Möglichkeit, antizipiertes<br />
172
Regret zu vermeiden, ist aus der vorherigen Erörterung der Antezedenzien des Regret<br />
abzuleiten: Die Entstehung <strong>von</strong> Regret ist wahrscheinlicher, wenn sich ein Individuum<br />
für die Entscheidung selbst verantwortlich fühlt (siehe S. 163). Um die persönliche<br />
Verantwortung zu reduzieren, kann der Konsument die Entscheidung an andere, z. B.<br />
an den Käufer oder an einen Freund delegieren (vgl. Seilheimer 2001, S. 34). Eine<br />
Alternative hierzu stellt der Erwerb einer teureren und bekannteren Marke dar,<br />
wodurch ein Entscheider neben der Verantwortung auch das wahrgenommene Risiko<br />
reduzieren kann (vgl. Simonson 1992, S. 107).<br />
Zusammenfassend kann ein Konsument die Antizipation <strong>von</strong> Regret, die z. B. durch<br />
hohe <strong>Produktvielfalt</strong> in der Entscheidungssituation verursacht wird, im Wesentlichen<br />
auf drei Arten reduzieren bzw. vermeiden:<br />
1. Er bezieht weitere Personen in die Entscheidung mit ein und reduziert dadurch<br />
seine persönliche Verantwortung.<br />
2. Er kann auf die explizite Entscheidung verzichten, indem er den <strong>St</strong>atus quo<br />
beibehält, nichts tut oder den Kauf auf einen späteren Zeitpunkt verschiebt.<br />
3. Er kann durch die Wahl einer <strong>St</strong>andardoption (Default Option) oder einer<br />
teuren Marke sowohl sein empfundenes Risiko als auch seine wahrgenommene<br />
Verantwortung reduzieren.<br />
Neben diesen unmittelbaren Konsequenzen für das Kaufverhalten kann sich<br />
antizipiertes Regret aber auch auf die der Kaufentscheidung nachgelagerten Prozesse<br />
der Kaufbewertung auswirken. Dies kann aus der beschriebenen Wirkung <strong>von</strong> Regret<br />
auf die Zufriedenheit und die Wiederkaufabsicht geschlussfolgert werden (vgl.<br />
S. 166f.). Analog zur Wirkung <strong>von</strong> erfahrenem Regret auf die Zufriedenheit mit dem<br />
Kauf kann vermutet werden, dass sich die Antizipation <strong>von</strong> Regret auf die<br />
Zufriedenheit mit dem Kaufprozess (Choice Process Satisfaction) auswirkt (vgl.<br />
Zhang/Fitzsimons, 1999, S. 192ff.; Fitzsimons/Greenleaf/Lehmann 1997, S. 1ff.):<br />
Führt eine Kaufsituation zur Antizipation <strong>von</strong> Regret, ist der Käufer demnach<br />
vermutlich mit dem Kaufprozess weniger zufrieden, verglichen mit einem<br />
Entscheidungsprozess, während dessen er kein Bedauern antizipiert.<br />
Ergänzend soll noch erwähnt werden, dass die beschriebenen kognitiven Prozesse des<br />
Counterfactual und Prefactual Thinking neben der Antizipation <strong>von</strong> Regret auch zur<br />
Antizipation <strong>von</strong> Tadel (Blame) führen kann: „Even if decision makers refuse to<br />
consider their own potential regret as an important variable, the blame resulting when<br />
others evaluate their decision and make the same cognitive processes may still be<br />
173
important to avoid“ (Anderson 2003, S. 148ff.). Die gedankliche Vorwegnahme<br />
möglichen Tadels durch andere aufgrund einer falschen Entscheidung tritt vor allem<br />
dann auf, wenn sich die Entscheidung auch auf andere Personen auswirkt. Ein Beispiel<br />
hierfür ist der Kauf einer Waschmaschine durch einen Familienvater, der bei einem<br />
Fehlkauf anschließend <strong>von</strong> seiner Frau „getadelt“ wird. Die Antizipation <strong>von</strong> Tadel<br />
hat ähnliche Antezedenzien und führt zu ähnlichen Verhaltensweisen wie die<br />
Antizipation <strong>von</strong> Regret und ist daher ergänzend zu dieser zu sehen (vgl. Anderson<br />
2003, S. 148ff.).<br />
Zusammenfassung<br />
Auf der Basis <strong>von</strong> Regret- und Counterfactual-Theorie wurden Ursachen und<br />
Konsequenzen <strong>von</strong> antizipiertem Regret (und Tadel (Blame)) veranschaulicht.<br />
Ursachen der Entstehung <strong>von</strong> antizipiertem Regret<br />
Die obigen Ausführungen haben verdeutlicht, dass antizipiertes Regret eine kognitiv<br />
determinierte, vorweggenommene negative Emotion darstellt, die aufgrund hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> entstehen und sich negativ auf das Kaufverhalten sowie die<br />
Kaufbewertung auswirken kann. Neben der Anzahl spielt aber auch die Art der<br />
Produkte im Sortiment eine wichtige Rolle. So ist die Entstehung <strong>von</strong> antizipiertem<br />
Regret besonders wahrscheinlich, wenn die Produktauswahl mehrere in etwa gleich<br />
attraktive Alternativen enthält und/oder die Entscheidung das Abwägen (Trade-off)<br />
wichtiger, wechselseitig vorhandener Produkteigenschaften der Alternativen vom<br />
Konsumenten verlangt (vgl. Zeelenberg 1998, S. 102). Zurückzuführen ist dies darauf,<br />
dass eine Entscheidungssituation mit hoher <strong>Produktvielfalt</strong> die Generierung <strong>von</strong> nach<br />
oben gerichteten (upward) Prefactuals und dadurch die Entstehung <strong>von</strong> antizipiertem<br />
Regret fördert (vgl. McConnel et al. 2000, S. 284). Da auch zu geringe <strong>Produktvielfalt</strong><br />
zur Antizipation <strong>von</strong> Regret führen kann, wenn der Konsument z. B. erwartet, in<br />
einem anderen Geschäft bessere Produkte zu finden (vgl. Simonson 1992; Anderson<br />
2003, S. 151), liegt insgesamt die Vermutung eines u-förmigen Zusammenhangs <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> und antizipiertem Regret nahe. Die Untersuchung des funktionalen<br />
Zusammenhangs soll aber in dieser Untersuchung nicht weiter vertieft werden.<br />
174
Konsequenzen <strong>von</strong> antizipiertem Regret<br />
Die Verhaltensrelevanz der auf der Basis mentaler Simulation entstandener und<br />
vorweggenommener Emotion entsteht aus der Regret Aversion: Individuen versuchen<br />
Regret zu vermeiden und wählen deshalb Optionen oder Alternativen, die dieses<br />
reduzieren bzw. minimieren. Hierbei stehen dem Konsumenten im Wesentlichen drei<br />
Handlungsalternativen zur Verfügung:<br />
1. Er bezieht weitere Personen in die Entscheidung mit ein und kann dadurch<br />
seine Verantwortung für diese reduzieren.<br />
2. Er verzichtet auf die Entscheidung, indem er den <strong>St</strong>atus quo beibehält, nichts<br />
tut oder den Kauf auf einen späteren Zeitpunkt verschiebt.<br />
3. Er kauft ein teures, ihm bekanntes Markenprodukt oder wählt eine<br />
<strong>St</strong>andardoption (Default Option).<br />
Damit kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Kaufintention in einer<br />
Konsumsituation mit hoher <strong>Produktvielfalt</strong>, welche die Generierung <strong>von</strong> Prefactuals<br />
und damit die Entstehung <strong>von</strong> antizipiertem Regret fördert, geringer ist als in einer<br />
Situation mit mäßiger Produktauswahl. Neben der kurzfristigen Wirkung auf den<br />
Ausgang der Kaufentscheidung wurden auch Konsequenzen des antizipierten Regrets<br />
auf die der Kaufentscheidung nachgelagerten Prozesse der Kaufbewertung<br />
aufgezeigt. So kann vermutet werden, dass die Antizipation <strong>von</strong> Regret zur<br />
Reduktion der Kaufprozesszufriedenheit und zu einer geringeren Zufriedenheit mit<br />
dem gekauften Produkt führt.<br />
In Abbildung 39 werden die für diese Untersuchung relevanten Zusammenhänge, die<br />
sich aus der Antizipation <strong>von</strong> Regret für die Kostendimension ergeben,<br />
zusammenfassend dargestellt.<br />
175
Determinanten<br />
Kostendimension<br />
Konsequenzen<br />
Facetten der Kosten hoher PV<br />
Quantitativ<br />
Qualitativ<br />
Anzahl der Produkte<br />
Klare Produktunterschiede<br />
Kompromissnotwendigkeit<br />
(wechselseitige Vor- und<br />
Nachteile der Produkte)<br />
+<br />
_<br />
+<br />
Kosten<br />
Argumentationslogik der Wirkung<br />
Entstehung <strong>von</strong> antizipiertem Regret<br />
• hohe <strong>Produktvielfalt</strong> fördert die Entstehung<br />
<strong>von</strong> nach oben gerichteten simulierten<br />
Vergleichspunkten (upward prefactuals) und<br />
dadurch die Entstehung <strong>von</strong> Regret<br />
Konsequenzen <strong>von</strong> antizipiertem Regret<br />
• Regretaversion: Konsumenten wollen<br />
Antizipation <strong>von</strong> Regret vermeiden und<br />
wählen entsprechende Optionen wie<br />
Kaufverzicht und Kaufaufschub<br />
Ausgang d.<br />
Entscheidung<br />
Bewertung<br />
Kaufintention<br />
Zufriedenheit<br />
• Prozess<br />
• Produkt<br />
_<br />
_<br />
_<br />
Facetten der Kosten hoher PV<br />
antizipiertes<br />
Regret<br />
negative<br />
Emotionen<br />
Abbildung 39: Zusammenfassende Darstellung des Zusammenhangs <strong>von</strong> antizipiertem Regret und den<br />
Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
In den letzten Kapiteln wurden unterschiedliche Kosten- und Nutzenaspekte hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> aus verschiedenen Theorien abgeleitet und in Zusammenhang mit dem<br />
Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten gesetzt. Im folgenden Abschnitt werden auf dieser Basis<br />
die zentralen Hypothesen formuliert und das Gesamtmodell der Untersuchung<br />
entwickelt.<br />
2.3.3 Hypothesen und Modellentwicklung<br />
Die übergeordnetet Hypothese der Arbeit (Hypothese 1, S. 92), die besagt, dass hohe<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> aus Konsumentensicht nicht nur mit Nutzen- sondern auch mit<br />
Kostenaspekten verbunden ist und diese den Ausgang der Kaufentscheidung und die<br />
Nachkaufbewertung aus Unternehmenssicht negativ beeinflussen können, wurde<br />
bereits beschrieben.<br />
Nachfolgend werden nun die aus den Theorien abgeleiteten Hypothesen zu direkten<br />
Konsequenzen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> formuliert. Im Anschluss<br />
daran werden diese um Hypothesen zu Beziehungen zwischen den bisherigen und<br />
zwei weiteren Konstrukten, die aus Erkenntnissen des Relationship-Marketing<br />
abgeleitet werden, erweitert. Dadurch ergibt sich das Gesamtmodell der<br />
Untersuchung im Hinblick auf die betrachteten Konsequenzen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>. Abschließend werden, wiederum basierend auf dem theoretischen<br />
176
Bezugsrahmen, die Hypothesen zu den Determinanten der beiden Dimensionen des<br />
<strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> formuliert.<br />
Die Hypothesen der Untersuchung sollen möglichst kompakt dargestellt werden, da<br />
die vermuteten Zusammenhänge zwischen Determinanten, Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> und deren Konsequenzen <strong>von</strong> diesen bereits im Rahmen der einzelnen<br />
Theorien ausführlich beschrieben wurden. Die aus den Theorien abgeleiteten<br />
Zusammenhänge sind in Abbildung 40 zusammengefasst.<br />
Determinanten<br />
Facetten<br />
Konsequenzen<br />
Theorien<br />
Anzahl Produkte<br />
+<br />
Klare Unterschiede<br />
Vergleichbarkeit<br />
Aufwand und<br />
Anstrengung<br />
Negative Emotionen<br />
Antizipiertes Regret<br />
Kaufintention<br />
Zufriedenheit<br />
Prozess<br />
Zufriedenheit<br />
Produkt<br />
Kognitive<br />
Dissonanz<br />
_ _<br />
_ _ _<br />
+ +<br />
Cost of<br />
Thinking<br />
X<br />
X X X X X X<br />
Kosten<br />
X X X<br />
X X X X X<br />
X X X X X X X<br />
X<br />
Kompromissnotwendigkeit<br />
Konflikttheorie<br />
antizipiertes<br />
Regret<br />
Nutzenerwartungswert<br />
Shopping<br />
Hedonismus<br />
X<br />
Nutzen<br />
X X<br />
X X X<br />
X X X<br />
X X X<br />
antizipierter<br />
Produktnutzen<br />
Erfolgsausichten<br />
Spaß am Einkauf<br />
positive<br />
Emotionen<br />
+ + +<br />
Kaufintention<br />
Zufriedenheit<br />
Prozess<br />
Zufriedenheit<br />
Produkt<br />
Abbildung 40: Zusammenfassende Darstellung der aus den Theorien des Bezugsrahmens abgeleiteten<br />
Zusammenhänge <strong>von</strong> Determinanten, Facetten und Konsequenzen der Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong><br />
Aus obiger Darstellung ist zu erkennen, dass die Theorien bzw. theoretischen<br />
Konzepte jeweils verschiedene Facetten der KNPV erklären. So ist beispielsweise die<br />
Theorie der Cost of Thinking die Erklärungsgrundlage für den Aufwands- und<br />
177
Anstrengungsaspekt der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>. Dieser Aspekt wirkt sich negativ<br />
auf die Kaufintention, die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess und die Zufriedenheit<br />
mit dem Produkt aus. Die Kosten entstehen laut dieser Theorie aufgrund der Anzahl<br />
der Produkte, der Unterschiede der Produkte im Sortiment und der Kompromissnotwendigkeit<br />
bei der Entscheidung. Die Richtung der Wirkung wird durch die<br />
Zeichen +<br />
_<br />
bzw. verdeutlicht. So nehmen die Kosten mit zunehmender<br />
Produktanzahl zu und steigen, je höher die Notwendigkeit zum Kompromiss ist. Sie<br />
sinken dagegen, wenn die Produkte im Sortiment klare Unterschiede aufweisen.<br />
Entsprechend des Beispiels werden nachfolgend die Hypothesen zu den<br />
Konsequenzen und Determinanten <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
formuliert.<br />
2.3.3.1 Hypothesen zu Konsequenzen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong><br />
Hypothesen zu direkten Konsequenzen der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (KPV)<br />
Hypothese 2: Die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (KPV) wirken sich negativ auf<br />
die Kaufintention aus, d. h. je höher die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> eines<br />
Konsumenten sind, desto geringer ist seine Kaufintention.<br />
Hypothese 3: Die KPV wirken sich negativ auf die Zufriedenheit mit dem<br />
Kaufprozess aus, d. h. je höher die KPV eines Konsumenten sind, desto<br />
geringer ist seine Zufriedenheit mit dem Kaufprozess.<br />
Hypothese 4: Die KPV wirken sich negativ auf die Zufriedenheit mit dem<br />
gekauften Produkt aus, d. h. je höher die KPV eines Konsumenten sind, desto<br />
geringer ist seine Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt.<br />
Hypothese 5: Die KPV wirken sich positiv auf die Entstehung kognitiver<br />
Dissonanz aus, d. h. je höher die KPV eines Konsumenten sind, desto höher ist<br />
seine kognitive Dissonanz.<br />
178
Hypothesen zu direkten Konsequenzen des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Hypothese 6: <strong>Der</strong> Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (NPV) wirkt sich positiv auf<br />
die Kaufintention aus, d. h. je höher der NPV eines Konsumenten ist, desto<br />
höher ist seine Kaufintention.<br />
Hypothese 7: <strong>Der</strong> NPV wirkt sich positiv auf die Zufriedenheit mit dem<br />
Kaufprozess aus, d. h. je höher der NPV eines Konsumenten ist, desto höher ist<br />
seine Zufriedenheit mit dem Kaufprozess.<br />
Hypothese 8: <strong>Der</strong> NPV wirkt sich positiv auf die Zufriedenheit mit dem<br />
gekauften Produkt aus, d. h. je höher der NPV eines Konsumenten ist, desto<br />
höher ist seine Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt.<br />
Mit der Loyalität zum Geschäft soll ein weiterer Aspekt, der nicht unmittelbar aus den<br />
beschriebenen Theorien folgt, aus Unternehmenssicht aber relevant ist, zusätzlich als<br />
direkte Konsequenz des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> berücksichtigt werden (siehe<br />
hierzu auch die Ausführungen auf S. 181). Hintergrund ist, dass aus empirischen<br />
Forschungsergebnissen bekannt ist, dass Sortimentsvielfalt nach der Lage und den<br />
Preisen eines Geschäfts für Konsumenten das drittwichtigste Kriterium bei der Wahl<br />
der Einkaufsstätte ist (vgl. Hoch/Bradlow/Wansik 1999, S. 527). Sie bevorzugen<br />
(ceteris paribus) Geschäfte mit großer Angebotsvielfalt gegenüber solchen mit<br />
geringer Vielfalt (vgl. Arnold/Oum/Tiger 1983, S. 152) und sind diesen gegenüber<br />
loyaler (vgl. Hoch/Bradlow/Wansik 1999, S. 528). Die höhere Loyalität zum Geschäft<br />
aufgrund der Angebotsvielfalt sollte im Wesentlichen auf die positiven Aspekte <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> zurückzuführen sein. Es lässt sich deshalb folgende Hypothese<br />
formulieren:<br />
Hypothese 9: <strong>Der</strong> NPV wirkt sich positiv auf Loyalität zum (betrachteten)<br />
Handelsunternehmen aus, d. h. je höher der NPV eines Konsumenten im<br />
(betrachteten) Handelsunternehmen ist, desto höher ist seine Loyalität<br />
gegenüber diesem.<br />
179
Hypothesen zu den Beziehungen der Konstrukte<br />
In Hypothese 3 und Hypothese 5 wurde der angenommene Zusammenhang zwischen<br />
den Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und der Zufriedenheit mit dem Kaufprozess ( _ ) sowie<br />
der kognitiven Dissonanz (+ ) formuliert. Es wird folglich vermutet, dass beide<br />
Konstrukte direkte Konsequenzen der KPV sind. In der Marketingforschung wird die<br />
kognitive Dissonanz gleichzeitig als Antezedenz der Zufriedenheit mit dem gekauften<br />
Produkt betrachtet (vgl. Oliver 1996, S. 259f.). Sie entsteht dadurch, dass die<br />
Entscheidung inkonsistentes Wissen hinterlässt: „Es ist das Wissen, auf den Genuss<br />
positiver Aspekte ausgeschlagener Optionen verzichten zu müssen, während die<br />
Nachteile der gewählten Alternative hinzunehmen sind“ (Krober-Riel/Weinberg 1996,<br />
S. 184). Befürchtet der Konsument, die falsche Entscheidung getroffen und das falsche<br />
Produkt gewählt zu haben, entsteht kognitive Dissonanz. Ist die Entscheidung in<br />
gewisser Weise einmalig oder für längere Zeit „bindend“, wie z. B. beim Kauf <strong>von</strong><br />
einer Digitalkamera, ist die Entstehung kognitiver Dissonanz besonders<br />
wahrscheinlich (Raffée et al. 1973, S. 156 ff.; Seilheimer 2001, S. 42). Wenn der<br />
Käufer die empfundene Dissonanz kurz nach dem Kauf nicht unmittelbar reduzieren<br />
kann, ruft dies eine Phase des Bedauerns hervor (vgl. Fischer/Wiswede 1997, S. 231).<br />
Wie empirische Untersuchungen gezeigt haben, kann Bedauern wiederum die<br />
Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt signifikant reduzieren (vgl. Herrmann/<br />
Huber/Wricke 1999a, S. 687; Taylor 1997, S 232). Insgesamt kann damit der <strong>von</strong><br />
Oliver (1996, S. 259f.) beschriebene Zusammenhang <strong>von</strong> kognitiver Dissonanz und<br />
Produktzufriedenheit wie folgt nachvollzogen werden: Entsteht unmittelbar nach dem<br />
Kauf kognitive Dissonanz, so wird dadurch die Zufriedenheit mit dem gekauften<br />
Produkt gemindert. Diese Beziehung soll im Untersuchungsmodell berücksichtigt<br />
werden und wird in folgender Hypothese verankert:<br />
Hypothese 10: Die kognitive Dissonanz wirkt sich negativ auf die Zufriedenheit<br />
mit dem gekauften Produkt aus, d. h. je höher die empfundene kognitive<br />
Dissonanz eines Konsumenten ist, desto geringer ist seine Zufriedenheit mit<br />
dem gekauften Produkt.<br />
Die kognitive Dissonanz stellt den obigen Ausführungen zufolge gewissermaßen das<br />
Bindeglied zwischen Kaufprozess und Produktzufriedenheit dar. Es ist folglich<br />
<strong>von</strong> einem Zusammenhang zwischen der Zufriedenheit mit dem Kaufprozess und der<br />
kognitiven Dissonanz auszugehen:<br />
180
Hypothese 11: Die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess wirkt sich negativ auf<br />
die kognitive Dissonanz aus, d. h. je zufriedener ein Konsument mit seinem<br />
Kauf- und Entscheidungsprozess ist, desto geringer ist die <strong>von</strong> ihm empfundene<br />
kognitive Dissonanz.<br />
Neben dem vermuteten indirekten Zusammenhang zwischen der Zufriedenheit mit dem<br />
Kaufprozess und der Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt über die kognitive<br />
Dissonanz ist auch eine direkte Beziehung zwischen den beiden ersten Konstrukten<br />
wahrscheinlich: Fitzsimons, Greenleaf und Lehmann (1997, S. 6f.) begründen diese<br />
damit, dass Konsumenten, die einen zufrieden stellenden Kauf- und Entscheidungsprozess<br />
durchlaufen, zum einen mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Produkt wählen, das<br />
ihren Erwartungen entspricht und damit folglich zufrieden sind, und sie zum anderen<br />
die positive Wahrnehmung des Prozesses auf das gekaufte Produkt übertragen. Die<br />
Autoren ziehen diese Schlussfolgerung aus einer Analogie zur Rechtsprechung.<br />
Demnach beurteilen Verurteilte, ob ihr Urteil gerecht ist, zum einen durch Vergleiche<br />
mit Urteilen <strong>von</strong> anderen Personen mit ähnlichem „Hintergrund“ (Distributive<br />
Justice) und zum anderen anhand des Ablaufs und der Fairness des gerichtlichen<br />
Prozesses (Procedural Justice) (vgl. Sheppard/Lewicki/Minton 1992). Fitzsimons und<br />
seine Kollegen argumentieren, dass analog hierzu die Zufriedenheit mit der<br />
Kaufentscheidung die Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt beeinflusst (vgl.<br />
Fitzsimons/Greenleaf/Lehmann 1997, S. 6). Diese Beziehung wird im Gesamtmodell<br />
untersucht und durch folgende Hypothese zusammengefasst:<br />
Hypothese 12: Die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess wirkt sich positiv auf<br />
die Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt aus, d. h. je zufriedener ein<br />
Konsument mit seinem Kaufprozess ist, desto größer ist seine Zufriedenheit mit<br />
dem gekauften Produkt.<br />
Fitzsimons und seine Kollegen (1997, S. 18) haben in ihrer Untersuchung außerdem<br />
zeigen können, dass sich die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess positiv auf die<br />
Loyalität zum Geschäft auswirkt, wohingegen die Zufriedenheit mit dem gekauften<br />
Produkt in Beziehung zur Loyalität zur Marke des gekauften Produkts steht. Sie<br />
beziehen mit der Loyalität zum Geschäft und zur Marke zwei aus Unternehmenssicht<br />
sehr wichtige Aspekte in ihre Betrachtung ein: In der Marketingforschung wird die<br />
Loyalität bzw. Kundenbindung als zentraler Aspekt des Relationship Marketings<br />
betrachtet (vgl. Reichheld/Schefter 2000). <strong>Der</strong> Begriff des Relationship Marketings<br />
geht auf Berry (1983, S. 25) zurück und „(…) stresses attracting, maintaining and<br />
181
enhancing long-term customer relationships instead of focusing on individual transactions“<br />
(Muniz/O’Guinn 2001, S. 427). Ziel eines Unternehmens sollte es nach den<br />
Ideen des Relationship Marketings sein, langfristige Beziehungen zu seinen Kunden<br />
aufzubauen, anstatt den Fokus auf die Einzeltransaktion zu richten (Siems 2003, S. 2).<br />
Begründet wird dies damit, dass sich die Bindung <strong>von</strong> Kunden positiv auf den<br />
Unternehmenserfolg auswirkt, da das Halten <strong>von</strong> bestehenden Kunden nur einen<br />
Bruchteil der Akquisition neuer Kunden kostet (vgl. Galbreath 2002, S. 119).<br />
Die beiden Konstrukte Loyalität zum Geschäft und Loyalität zur Marke sollen<br />
aufgrund ihrer Relevanz für die Unternehmenspraxis im Gesamtmodell der<br />
Untersuchung berücksichtigt werden. Wie bereits erwähnt, konnten Fitzsimons und<br />
seine Kollegen (1997, S. 18) zeigen, dass sich die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess<br />
positiv auf die Loyalität zum Geschäft auswirkt und die Zufriedenheit mit dem<br />
gekauften Produkt in positiver Beziehung zur Loyalität zur Marke des gekauften<br />
Produkts steht. Sie konnten jedoch weder einen Zusammenhang <strong>von</strong> der Zufriedenheit<br />
mit dem gekauften Produkt und der Loyalität zum Geschäft, noch einen zwischen<br />
Zufriedenheit mit dem Kaufprozess und der Loyalität zur Marke feststellen. Sie<br />
begründen dies damit, dass die Konsumenten den Einkaufprozess auf das Geschäft<br />
attribuieren, d. h. sie machen im Wesentlichen das Geschäft für den Ablauf der<br />
Kaufentscheidung verantwortlich. Die Verantwortung für das gekaufte Produkt sehen<br />
die Käufer dagegen beim Hersteller und somit bei der Marke. Ist ein Konsument mit<br />
seinem Kaufprozess zufrieden, attribuiert er seine Zufriedenheit auf das Geschäft, was<br />
seine Loyalität gegenüber diesem erhöht. Analog gilt für die Zufriedenheit mit dem<br />
gekauften Produkt, dass sie sich positiv auf die Loyalität zur Marke auswirkt. Dieser<br />
positive Zusammenhang konnte in zahlreichen <strong>St</strong>udien gezeigt werden (vgl. z. B.<br />
Söderlund 1998, S. 169 ff.; Anderson/Sullivan 1993; Taylor/Baker 1994).<br />
182
Es können somit folgende zwei Hypothesen formuliert werden:<br />
Hypothese 13: Die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess wirkt sich positiv auf<br />
die Loyalität zum Geschäft aus, d. h. je zufriedener ein Konsument mit seinem<br />
Kaufprozess in einem Geschäft ist, desto höher ist seine Loyalität gegenüber<br />
diesem.<br />
Hypothese 14: Die Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt wirkt sich<br />
positiv auf die Loyalität zur Marke aus, d. h. je zufriedener ein Konsument mit<br />
dem gekauften Produkt ist, desto höher ist seine Loyalität gegenüber dessen<br />
Marke.<br />
Es sind damit sowohl alle vermuteten Auswirkungen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> als auch alle angenommenen Beziehungen der in der Untersuchung<br />
berücksichtigten Konstrukte, die der Kaufentscheidung nachgelagert sind, in Form <strong>von</strong><br />
Hypothesen beschrieben worden. <strong>Der</strong> nächste Abschnitt dient nun der Formulierung<br />
der Hypothesen zu den Determinanten der beiden <strong>Wert</strong>dimensionen und beschreibt<br />
damit die aus der Theorie abgeleiteten Einflüsse der Sortimentseigenschaften.<br />
2.3.3.2 Hypothesen zu den Determinanten <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong><br />
Die Hypothesen zu den Determinanten werden wiederum auf Basis der Theorien des<br />
Bezugsrahmens formuliert. In Abbildung 40 (S. 177), die bereits Grundlage der<br />
Hypothesenformulierung zu den Konsequenzen war, sind auch die abgeleiteten<br />
Determinanten der Kosten- bzw. Nutzendimension pro Theorie dargestellt. Diese<br />
beschreiben Eigenschaften des Sortiments, welche die KPV bzw. NPV in<br />
entsprechender Richtung beeinflussen. So folgt beispielsweise aus der Theorie der<br />
Cost of Thinking, dass die Kostenaspekte durch die Anzahl der Produkte und die<br />
Kompromissnotwendigkeit bei der Entscheidung erhöht und durch klare Unterschiede<br />
der Alternativen vermindert werden.<br />
Entsprechend dieses Beispiels können folgende Hypothesen zu den Determinanten<br />
der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus den<br />
Theorien des Bezugsrahmens abgeleitet werden:<br />
183
Hypothese 15: Die Anzahl der Produkte steht in positivem Zusammenhang<br />
mit den Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>, d. h. je höher die Anzahl der Produkte im<br />
Sortiment ist, desto höher sind die vom Konsumenten empfundenen KPV.<br />
Hypothese 16: Weisen die Produkte im Sortiment klare Unterschiede auf,<br />
werden dadurch die vom Konsumenten empfundenen KPV reduziert, d. h.<br />
klare Unterschiede der Produktalternativen und Kosten stehen in negativem<br />
Zusammenhang.<br />
Hypothese 17: Die Vergleichbarkeit steht in negativem Zusammenhang mit<br />
den KPV, d. h. je höher die Vergleichbarkeit der Produkte im Sortiment ist,<br />
desto geringer sind die vom Konsumenten empfundenen KPV.<br />
Hypothese 18: Die Kompromissnotwendigkeit steht in positivem Zusammenhang<br />
mit den KPV, d. h. je höher die Kompromissnotwendigkeit bei der<br />
Entscheidung ist, desto höher sind die vom Konsumenten empfundenen KPV.<br />
Die letzte Hypothese zu den Determinanten <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> bezieht sich mit dem Zusammenhang <strong>von</strong> Produktanzahl und<br />
Nutzendimension auf einen zentralen Aspekt der Untersuchung. Aus den theoretischen<br />
Ausführungen ging diesbezüglich hervor, dass sich die Anzahl der Produkte positiv<br />
auf den Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auswirkt. In nachfolgender Hypothese wird dies<br />
formuliert.<br />
Hypothese 19: Die Anzahl der Produkte steht in positivem Zusammenhang<br />
mit dem Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>, d. h. je höher die Anzahl der Produkte im<br />
Sortiment ist, desto höher ist der vom Konsumenten empfundene NPV.<br />
Damit wurden alle Determinanten, Konsequenzen und Beziehungen zwischen den<br />
Konstrukten, die aus den beschriebenen Theorien folgen und in dieser Untersuchung<br />
berücksichtigt werden sollen in Form <strong>von</strong> Hypothesen formuliert. Das Gesamtmodell<br />
der Untersuchung ist damit erstellt und lässt sich wie folgt zusammenfassen:<br />
184
Das Gesamtmodell der Untersuchung im Überblick<br />
Abbildung 41 veranschaulicht in grafischer Form die Hypothesen und Beziehungen<br />
der in dieser Untersuchung berücksichtigten Konsequenzen und Determinanten <strong>von</strong><br />
Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> sowie die Beziehungen der Konsequenzgrößen<br />
untereinander. Die vermutete Richtung des Zusammenhangs zwischen zwei<br />
Konstrukten wird hierbei durch das + bzw. _ Zeichen dargestellt, das eine positive<br />
bzw. negative Abhängigkeit der Konstrukte symbolisiert.<br />
Evaluation und zukünftige Verhaltensabsicht<br />
+<br />
Loyalität<br />
Geschäft<br />
LG<br />
Loyalität<br />
Marke<br />
LM<br />
H 5<br />
ZPr<br />
+ H 13<br />
Prozess<br />
H 9 _<br />
KD<br />
_<br />
H 10<br />
+<br />
Zufriedenheit<br />
H 12<br />
H 8 +<br />
ZP H 11<br />
kognitive _<br />
H 4<br />
+<br />
H 14<br />
Dissonanz<br />
Zufriedenheit<br />
Produkt<br />
Verhalten<br />
Determinanten Konstrukt<br />
Nutzen<br />
NPV<br />
#Pr<br />
Anzahl<br />
Produkte<br />
+<br />
H 6<br />
+<br />
PU<br />
H<br />
_<br />
7 H 3<br />
KI<br />
Kaufintention<br />
Ver<br />
Kosten<br />
KPV<br />
+ H 19<br />
H 15 +<br />
_<br />
H<br />
_<br />
16 H 17 + H 18<br />
_<br />
H 2<br />
+<br />
Kom<br />
klare Produktunterschiede<br />
Vergleichbarkeit<br />
Kompromissnotwendigkeit<br />
Abbildung 41 Gesamtmodell der in der Untersuchung berücksichtigten Konsequenzen und<br />
Determinanten des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
185
Zusammenfassung<br />
Mit der Formulierung der Hypothesen ist der theoretische Teil dieser Arbeit<br />
abgeschlossen. Es wurde der <strong>St</strong>and der Forschung dargestellt, indem verschiedene<br />
empirische Forschungsarbeiten zum Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und<br />
Konsumentenverhalten beschrieben wurden. Hierfür sind im Anschluss mögliche<br />
theoretische Erklärungen gegeben worden, indem zunächst mit den gegensätzlichen<br />
Hypothesen <strong>von</strong> Informationsdefizit und Informationsüberlastung, der Theorie des<br />
Optimum <strong>St</strong>imulation Level und der Tyranny of Freedom grundlegende theoretische<br />
Perspektiven zum Umgang <strong>von</strong> Konsumenten mit hoher <strong>Produktvielfalt</strong> vorgestellt<br />
wurden. <strong>Der</strong> Gesamtzusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten<br />
wurde anschließend in einen Kosten- und einen Nutzeneffekt „aufgegliedert“. Die<br />
Erklärungsgrundlage <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> bildeten insgesamt<br />
fünf Theorien bzw. theoretische Konzepte. <strong>Der</strong> Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> wurde<br />
durch die Nutzenerwartungswerttheorie und den Hedonic Shopping Value<br />
begründet. Die Begründung für die Existenz verschiedener Kostenaspekte hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> lieferten die Cost of Thinking, die Konflikt-Theorie und die Theorie<br />
des antizipierten Regrets. Diese fünf Theorien bilden zusammen mit den zuvor<br />
beschriebenen grundlegenden Theorien insgesamt den theoretischen Bezugsrahmen<br />
zur Erklärung <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>. Auf ihrer Basis wurden<br />
schließlich Hypothesen zu den Konsequenzen und Determinanten der Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> sowie zu Beziehungen der abgeleiteten<br />
Größen untereinander formuliert. Das Gesamtmodell der Untersuchung (siehe<br />
Abbildung 41) fasst diese zusammen.<br />
Zur Überprüfung der Hypothesen des Untersuchungsmodells wird im nächsten<br />
Abschnitt ein Instrument zur Messung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und seiner<br />
Dimensionen entwickelt und empirisch getestet. Dieses ist die Basis für die in Kapitel<br />
4 und 5 beschriebene Überprüfung der abgeleiteten Hypothesen.<br />
186
3. Messung <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Das Kapitel geht zunächst auf die Grundlagen der Konstruktmessung ein, im<br />
Anschluss daran erfolgt die Konzeptualisierung und Operationalisierung der Kosten<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> – den zentralen Konstrukten<br />
dieser Arbeit. Diese Messinstrumente werden sowohl einem Pretest als auch einer<br />
großen empirischen Untersuchung unterzogen, deren Ergebnisse im Hinblick auf<br />
Methodik, Gütekriterien, Gesamtbeurteilung und Interpretation ausführlich dargestellt<br />
werden.<br />
3.1 Grundlagen der Messung <strong>von</strong> Konstrukten<br />
Seit in den 70er Jahren eine Reihe <strong>von</strong> Forschern auf die Problematik der Validität und<br />
Reliabilität <strong>von</strong> Instrumenten zur Messung komplexer Marketingkonstrukte<br />
aufmerksam gemacht haben (vgl. vor allem Jacoby 1978; Bagozzi 1979; Churchill<br />
1979; Peter 1979), sind Methoden zur Sicherung <strong>von</strong> validen und reliablen<br />
Messergebnissen zentraler Bestandteil empirischer Forschungsarbeiten. In diesem<br />
Abschnitt werden deshalb die Grundlagen der Konstruktmessung sowie die in dieser<br />
Arbeit verwendeten Methoden und Verfahren zur Erlangung <strong>von</strong> reliablen und validen<br />
Ergebnissen dargestellt. Hierzu sollen zunächst die grundlegenden Begriffe im<br />
Zusammenhang mit der Konstruktmessung erläutert werden.<br />
3.1.1 Grundlagen der Konstruktmessung<br />
3.1.1.1 Begriffliche Grundlagen<br />
Edwards und Bagozzi (2000) bezeichnen ein Konstrukt als „a conceptual term used<br />
to describe a phenomenon of theoretical interest” (S. 156f.). Aus dieser Definition<br />
wird deutlich, dass es sich bei einem Konstrukt um ein theoretisches Gebilde handelt,<br />
das das interessierende Phänomen beschreibt. Die beiden Autoren betonen weiterhin,<br />
dass es sich hierbei um ein real existierendes Phänomen handeln muss, das entweder<br />
187
eobachtbar oder unbeobachtbar ist. In beiden Fällen dient das Konstrukt als „an<br />
abstract term that describes the phenomenon“ (Edwards/Bagozzi 2000, S. 157). Da es<br />
sich bei einem komplexen Marketingkonstrukt meist um „ (...) an abstract entity<br />
which represents the ‚true’, nonobservable state or nature of a phenomen (...)“<br />
(Bagozzi/Fornell 1982, S. 24) handelt, das folglich nicht direkt messbar ist, wird ein<br />
theoretisches Konstrukt häufig als latente Variable bezeichnet (vgl. Homburg/Giering<br />
1996, S. 6). Beispiele für komplexe Konstrukte sind Kundenzufriedenheit,<br />
Preiswahrnehmung, Loyalität und die in dieser Arbeit zu untersuchenden Phänomene<br />
<strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>.<br />
Ziel der Konstruktmessung ist es, ein Messinstrument für das nicht direkt messbare,<br />
durch das Konstrukt bezeichnete Phänomen zu entwickeln, indem Beziehungen<br />
zwischen Konstrukt und beobachtbaren, messbaren Variablen spezifiziert werden. Mit<br />
Hilfe dieser Variablen, die als Indikatorvariablen, Indikatoren oder Items<br />
bezeichnet werden, lässt sich somit ein „(...) observed score gathered through<br />
self-report, interview, observation or some other means“ (Edwards/Bagozzi 2000,<br />
S. 156) für das zu untersuchende Phänomen gewinnen (vgl. hierzu auch Backhaus et<br />
al. 2003, S. 344).<br />
<strong>Der</strong> Entwicklungsprozess des Konstruktmessinstruments wird als Operationalisierung<br />
bezeichnet. Inhalt der Operationalisierung ist zum einen die Generierung der<br />
Indikatoren, und zum anderen die Festlegung der Art der Beziehung zwischen<br />
Indikatoren und Konstrukt. Spiegeln die Indikatoren die Ausprägung des Konstrukts<br />
wider, spricht man <strong>von</strong> reflektiven Indikatoren. Ist die Wirkungsrichtung umgekehrt,<br />
bestimmen also die Indikatoren die Ausprägung der latenten Variablen, bezeichnet<br />
man die Indikatoren als formativ (vgl. Jarvis/ MacKenzie/Podsakoff 2003, S. 200;<br />
Homburg/Giering 1996, S. 6). Abschnitt 3.1.2 (S. 192ff.) geht auf die Unterschiede<br />
<strong>von</strong> formativen und reflexiven Indikatoren näher ein. Die Art der Operationalisierung<br />
wirkt sich auf die Bezeichnung des resultierenden Messinstruments eines Konstrukts<br />
aus: Basiert dieses auf reflektiven Indikatoren, so wird es als Skala bezeichnet. Wird<br />
das Konstrukt mit Hilfe formativer Indikatoren gemessen, so bezeichnet man das<br />
Messinstrument als Index (vgl. Diamantopoulos/Winklhofer 2001, S. 269).<br />
Die Operationalisierung mittels Indikatoren gründet auf der Konzeptualisierung des<br />
Konstrukts, welche die theoriebasierte Ermittlung der Dimensionen und<br />
Teildimensionen eines Konstrukts zum Ziel hat (vgl. Homburg/Giering 1996, S. 5;<br />
Bruhn/Homburg 2001, S. 306).<br />
188
Homburg und Giering (1996) unterscheiden hinsichtlich der Konzeptualisierung<br />
einfaktorielle und mehrfaktorielle Konstrukte (siehe Abbildung 42).<br />
Einfaktoriell<br />
Eindimensional<br />
Mehrfaktoriell<br />
Mehrdimensional<br />
Konstrukt<br />
= Faktor<br />
Konstrukt<br />
Konstrukt<br />
...<br />
Indikatoren<br />
Faktor 1<br />
...<br />
Faktor n<br />
Dimension 1<br />
...<br />
Dimension n<br />
... ...<br />
Faktor 1,1<br />
... ...<br />
Faktor 1,m Faktor n,1 Faktor n,m<br />
... ... ... ...<br />
Abbildung 42: Möglichkeiten der Konzeptualisierung <strong>von</strong> Konstrukten. In Anlehnung an<br />
Homburg/Gierung 1996, S. 6<br />
Bei einfaktoriellen Konstrukten entspricht das Konstrukt genau einem Faktor und die<br />
Indikatoren lassen sich diesem direkt zuordnen. Mehrfaktorielle Konstrukte bestehen<br />
aus mehreren Faktoren. Können diese Faktoren alle einer theoretischen Einheit bzw.<br />
Dimension zugeordnet werden, so spricht man <strong>von</strong> einem eindimensionalen<br />
Konstrukt. Ist dies nicht möglich, können also die verschiedenen Dimensionen des<br />
Konstrukts nicht direkt über Indikatoren abgebildet werden, liegt ein mehrdimensionales<br />
Konstrukt vor. In diesem Fall bilden die Dimensionen eine zusätzliche<br />
Konstrukt-Ebene, auf der Faktoren, die zu einer theoretischen Domäne gehören,<br />
jeweils zu einer Dimension zusammenfasst werden.<br />
Wie bereits oben erwähnt, ist es zur Gewährleistung der Qualität der Konstruktmessung<br />
<strong>von</strong> zentraler Bedeutung, bei der Entwicklung des Instruments wesentliche<br />
Gesichtspunkte hinsichtlich der Reliabilität und Validität der Messung zu beachten.<br />
<strong>Der</strong> Begriff Reliabilität bezeichnet dabei die Zuverlässigkeit einer Messung, d. h.<br />
inwieweit diese frei <strong>von</strong> zufälligen Messfehlern ist (vgl. Backhaus et al. 2003, S. 371).<br />
Peter (1979) bezeichnet die Validität einer Messung als „sine qua non of science“<br />
(S. 6) und definiert diese als „(...) the degree to which instruments truly measure the<br />
construct which they are intended to measure“ (S. 6). Man spricht also dann <strong>von</strong> einer<br />
validen Konstruktmessung, wenn durch das Messverfahren auch das Konstrukt<br />
gemessen wird, das gemessen werden soll (vgl. Böhler 1992, S. 102).<br />
189
Die Gütekriterien und Verfahren zur Bewertung der Reliabilität und Validität einer<br />
Messung sind abhängig da<strong>von</strong>, ob das betreffende Konstrukt auf Basis eines<br />
formativen oder reflektiven Messmodells operationalisiert wurde. Die allgemeinen<br />
und in der Untersuchung verwendetet Gütemaße werden deshalb in den<br />
entsprechenden nachfolgenden Abschnitten beschrieben. Bevor im nächsten Kapitel<br />
näher auf Eigenschaften und Charakteristika <strong>von</strong> Messmodellen eingegangen wird,<br />
sollen diese zunächst in den Kontext <strong>von</strong> <strong>St</strong>rukturgleichungsmodellen eingeordnet<br />
werden, um so die Bedeutung der Messung der Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
im Zusammenhang mit der Gesamtuntersuchung zu verdeutlichen.<br />
3.1.1.2 Das Messmodell im Kontext <strong>von</strong> <strong>St</strong>rukturgleichungsmodellen<br />
Die Untersuchung kausaler Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
und Konsumentenverhalten bildet den Kern dieser Arbeit. Hierbei spielt insbesondere<br />
die Erklärung <strong>von</strong> Zusammenhängen zwischen latenten, d. h. nicht direkt<br />
beobachtbaren Variablen, wie beispielsweise den Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>, dem<br />
Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und der Kaufprozesszufriedenheit eine wichtige Rolle. Die<br />
Überprüfung dieser Abhängigkeiten erfolgt mit Hilfe eines <strong>St</strong>rukturgleichungsmodells<br />
(<strong>St</strong>ructural Equation Model (SEM)) (vgl. Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 1).<br />
<strong>St</strong>rukturgleichungs- oder Kausalmodelle finden seit Anfang der 70er Jahre<br />
zunehmende Anwendung in der empirischen Wirtschafts- und Sozialforschung (vgl.<br />
Homburg/Baumgartner 1996, S. 140f.; <strong>St</strong>eenkamp/Baumgartner 2000, S. 195f.) und<br />
stellen eine Verbindung <strong>von</strong> regressions- und faktoranalytischen Ansätzen dar (vgl.<br />
Ringle 2004, S. 5). Für die Schätzung der Modellparameter sind hierbei kovarianzund<br />
varianzbasierte Verfahren gebräuchlich. Während kovarianzbasierte Verfahren<br />
die Modellparameter schätzen, indem sie die empirische Kovarianzmatrix der<br />
Indikatoren bestmöglich nachbilden, versuchen varianzbasierte Verfahren, die<br />
Indikatorwerte optimal zu reproduzieren (vgl. Herrmann/Huber/Kressmann 2004,<br />
S. 5). Auf Verfahrensdetails wird in späteren Abschnitten noch eingegangen (siehe<br />
Kapitel 3.3.1 (S. 231) und Kapitel 3.4.1.2 (S. 253)). Kausal- bzw. <strong>St</strong>rukturgleichungsmodelle<br />
werden auch als Verfahren der zweiten Generation bezeichnet und<br />
unterscheiden sich <strong>von</strong> den Verfahren der ersten Generation vor allem dadurch, dass<br />
sie die gleichzeitige Modellierung mehrerer unabhängiger und mehrerer abhängiger<br />
Variablen erlauben (vgl. Gesen/<strong>St</strong>raub/Boundreau 2000, S. 4).<br />
190
Ein <strong>St</strong>rukturgleichungsmodell besteht grundsätzlich aus drei Submodellen (vgl.<br />
Backhaus et al. 2003, S. 350f.):<br />
• Das <strong>St</strong>rukturmodell bzw. innere Modell bildet die aus der Theorie<br />
abgeleiteten Beziehungen zwischen den latenten exogenen und endogenen<br />
Variablen ab. Dabei werden die endogenen (abhängigen) Variablen durch die<br />
exogenen (unabhängigen) Variablen mittels der im Modell spezifizierten<br />
kausalen Beziehungen erklärt.<br />
• Das exogene Messmodell enthält die aus der Operationalisierung der<br />
unabhängigen (endogenen) latenten Variablen hervorgegangenen<br />
Indikatoren. Abhängig <strong>von</strong> der Kausalitätsrichtung zwischen Indikatoren und<br />
Konstrukt wird ein Konstrukt formativ oder reflektiv operationalisiert (vgl.<br />
Kapitel 3.1.2, S. 192ff.).<br />
• Das Messmodell der latenten endogenen Variablen umfasst analog zum<br />
exogenen Messmodell die Indikatorvariablen zur Messung der endogenen<br />
(abhängigen) latenten Variablen, einschließlich der vermuteten Zusammenhänge<br />
zwischen diesen Items und dem zu messenden Konstrukt.<br />
Abbildung 43 veranschaulicht die drei Komponenten eines <strong>St</strong>rukturgleichungsmodells<br />
anhand eines Pfaddiagramms.<br />
Messmodell der latenten exogenen Variablen<br />
Formatives<br />
Messmodell<br />
Reflektives<br />
Messmodell<br />
Indikator x 1<br />
Indikator x 2<br />
Indikator x 3<br />
δ Indikator x 1<br />
4<br />
δ Indikator x 2<br />
5<br />
δ 3<br />
ξ 2<br />
Indikator x 6<br />
ξ 1<br />
δ ξ1<br />
<strong>St</strong>rukturmodell<br />
Messmodell der latenten endogenen Variablen<br />
η<br />
ζ η<br />
Indikator y 1<br />
ε 1<br />
Indikator y 2 ε 2<br />
Indikator y 3<br />
ε 3<br />
Reflektives<br />
Messmodell<br />
Abbildung 43: Pfaddiagramm eines <strong>St</strong>rukturgleichungsmodells mit formativer und reflektiver latenter<br />
Variable. In Anlehnung an Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 7<br />
191
Ziel dieses Kapitels ist es, ein Messinstrument für Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> zu entwickeln, weshalb das Messmodell im Zentrum der Betrachtung<br />
steht. Hierauf geht das nächste Kapitel im Detail ein.<br />
3.1.2 Das Messmodell<br />
Durch das Messmodell wird die Beziehung zwischen Indikatoren und dem zugrunde<br />
liegenden Konstrukt bzw. Faktor spezifiziert. Wie bereits erläutert, werden hierbei in<br />
Abhängigkeit der Richtung dieser Beziehung formative und reflektive Indikatoren<br />
bzw. Messmodelle unterschieden (vgl. Jarvis/MacKenzie/Podsakoff 2003, S. 200;<br />
Homburg/Giering 1996, S. 6; Diamantopoulos/Winklhofer 2001, S. 269ff.;<br />
Bollen/Lennox 1991, S. 305.). Abbildung 44 verdeutlicht die Unterschiede der beiden<br />
Messmodellarten des Messmodells anhand eines einfaktoriellen Konstrukts ξ mit drei<br />
Indikatorvariablen x 1 , x 2 und x 3 . Die Pfeile symbolisieren die Beziehungsrichtung<br />
zwischen dem Konstrukt und seinen Indikatoren.<br />
Reflektives Messmodell<br />
Formatives Messmodell<br />
r r<br />
13<br />
13<br />
δ 1<br />
δ 2<br />
δ 3<br />
ξ<br />
δ<br />
ξ<br />
λ 1<br />
λ 2<br />
λ 3<br />
λ 1<br />
λ 2<br />
λ 3<br />
x 1<br />
x 2<br />
x 3<br />
x 1<br />
x 2<br />
x 3<br />
r 12<br />
r 23<br />
r 12<br />
r 23<br />
Abbildung 44: Reflektives und formatives Messmodell. In Anlehnung an Götz/Liehr-Gobbers 2004,<br />
S. 11<br />
Im Fall des reflektiven Messmodells (linker Teil) werden die Indikatoren vom<br />
Konstrukt verursacht, d. h. Veränderungen des zugrunde liegenden Konstrukts<br />
bewirken Veränderungen der Messitems (vgl. Jarvis/MacKenzie/Podsakoff 2003,<br />
192
S. 200). In Abbildung 44 wird dies durch den Pfeil vom Konstrukt zu den<br />
Indikatorvariablen symbolisiert.<br />
Umgekehrt ist der Ursache-Wirkungs-Zusammenhang beim formativen Messmodell:<br />
Wie durch die Pfeilrichtung verdeutlicht, wird beim formativen Messmodell da<strong>von</strong><br />
ausgegangen, dass Veränderungen der Indikatoren Veränderungen des zugrunde<br />
liegenden Konstrukts verursachen. In der englischsprachigen Literatur werden<br />
formative Indikatoren deshalb auch als „cause indicators“ oder „composite<br />
indicators“ bezeichnet (Bollen/Lennox 1991, S. 306). Die Indikatoren bilden in der<br />
Summe das Konstrukt ab, d. h. jeder Indikator stellt eine Facette des Konstrukts dar<br />
und trägt einen Teil zu dessen konzeptioneller und empirischer Bedeutung bei (vgl.<br />
Jarvis/MacKenzie/Podsakoff 2003, S. 201).<br />
Abbildung 44 stellt ein reflektives und formatives Messmodell eines einfaktoriellen<br />
Konstrukts einander gegenüber und beschreibt damit den einfachsten Fall der<br />
Konstruktkonzeptualisierung. Auch mehrfaktorielle Konstrukte können formative<br />
und/oder reflektive <strong>St</strong>rukturen aufweisen. So kann beispielsweise bei einem<br />
zweifaktoriellen Konstrukt die Faktorenebene reflektiv und die Konstruktebene<br />
formativ operationalisiert sein. In Abbildung 45 sind die möglichen Kombinationen<br />
aus formativen und reflektiven <strong>St</strong>rukturen eines mehrfaktoriellen, eindimensionalen<br />
Konstrukts dargestellt. Da die Faktoren eine zweite <strong>St</strong>rukturebene bilden, spricht man<br />
hier auch <strong>von</strong> einem Konstrukt zweiter Ordnung (Second Order Model).<br />
Konstruktebene<br />
Reflektiv<br />
Formativ<br />
Reflektiv<br />
Konstrukt<br />
ζ 1<br />
Faktor1<br />
...<br />
X 11<br />
ε 11<br />
X 12 ε 12<br />
X 13 ε 13<br />
X n1<br />
ε n1<br />
Konstrukt<br />
Faktor1<br />
...<br />
X 11<br />
ε 11<br />
X 12 ε 12<br />
X 13 ε 13<br />
X n1<br />
ε n1<br />
Faktor n<br />
X n2<br />
ε n2<br />
Faktor n<br />
X n2<br />
ε n2<br />
X n3<br />
ε n3<br />
X n3<br />
ε n3<br />
Faktorebene<br />
ζ 1<br />
X 11<br />
ζ 1<br />
X 11<br />
Faktor1<br />
X 12<br />
ζ n<br />
ζ η<br />
Faktor1<br />
X 12<br />
Formativ<br />
Konstrukt<br />
ζ n<br />
...<br />
X 13<br />
X n1<br />
ζ η<br />
Konstrukt<br />
ζ n<br />
...<br />
X 13<br />
X n1<br />
Faktor n<br />
X n2<br />
Faktor n<br />
X n2<br />
X n3<br />
X n3<br />
Abbildung 45: Konstrukte zweiter Ordnung (Second Order Model) mit formativen und reflektiven<br />
<strong>St</strong>rukturen. In Anlehung and Jarvis et al. 2003, S. 205<br />
193
Die Gütekriterien zur Sicherstellung valider und reliabler Messergebnisse<br />
unterscheiden sich je nach Messmodellart. Diese werden nachfolgend, aufbauend auf<br />
den grundlegenden Beschreibungen des jeweiligen Modells, dargestellt.<br />
3.1.2.1 Das reflektive Messmodell<br />
Wie bereits erläutert, geht das reflektive Messmodell da<strong>von</strong> aus, dass das<br />
hypothetische Konstrukt die zugeordneten Indikatoren verursacht.<br />
Ein reflektives Messmodell lässt sich formal in folgender Form darstellen:<br />
x i = λ i ξ + δ i (11)<br />
x i<br />
λ i<br />
ξ<br />
Indikatorvariable i<br />
Ladungskoeffizient der <strong>von</strong>ξ auf den Faktor x i<br />
zugrunde liegende latente Variable (Konstrukt)<br />
δ i<br />
Messfehler der Indikatorvariablen x i<br />
Die Indikatoren (x 1 , ..., x n ) stellen demnach eine fehlerbehaftete Messung der latenten<br />
Variable ξ dar. Aus dem zugrunde liegenden Kausalitätszusammenhang folgt, dass die<br />
Indikatorvariablen eine Funktion des Konstrukts ξ sind (vgl. Bollen/Lennox 1991,<br />
S. 305). Ändert sich dessen <strong>Wert</strong>, so ändern sich auch die Ausprägungen aller seiner<br />
Indikatoren x 1 , ..., x n (vgl. Eggert/Fassot 2003, S. 4).<br />
Hierbei liegt die Prämisse zugrunde, dass reflektive Indikatoren, die demselben<br />
Konstrukt zugeordnet werden können, aus Konsistenzgründen stark miteinander<br />
korrelieren (vgl. Bollen/Lennox 1991, S. 306). Würde das Konstrukt fehlerfrei durch<br />
die Indikatoren abgebildet werden, hätten die Items untereinander einen<br />
Korrelationskoeffizienten <strong>von</strong> 1 (vgl. Eggert/Fassot 2003, S. 4). Damit verbunden ist<br />
auch die Austauschbarkeit der Indikatoren: Da alle manifesten Variablen gleichsam<br />
valide Messungen des Konstrukts darstellen, können gleich reliable Indikatoren<br />
beliebig gegeneinander ausgetauscht werden. Das bedeutet auch, dass die<br />
Konstruktvalidität unverändert bleibt, wenn ein Indikator entfernt wird (vgl.<br />
Jarvis/MacKenzie/Podsakoff 2003, S. 200).<br />
Die Messung eines Konstrukts durch Indikatoren ist aber immer mit Messfehlern<br />
behaftet (vgl. Churchill 1979, S. 65). Um reliable und valide Messungen zu erhalten,<br />
194
ist es deshalb erforderlich, dass Messmodelle bestimmte Kriterien hinsichtlich ihrer<br />
Validität und Reliabilität erfüllen.<br />
Kriterien zur Beurteilung der Güte reflektiver Messmodelle<br />
Zunächst soll der Zusammenhang <strong>von</strong> Messfehlern, Validität und Reliabilität<br />
verdeutlicht werden. Churchill (1979, S. 65) stellte hierzu folgende Gleichung auf:<br />
X O = X T + X S + X R (12)<br />
Die Messung des Konstrukts liefert den beobachteten <strong>Wert</strong> X O (O = Observed). Dieser<br />
entspricht dem tatsächlichen, wahren <strong>Wert</strong> des Konstrukts X T (T = True) zuzüglich<br />
eines systematischen Messfehlers X S (S = Systematic) und eines zufälligen<br />
Messfehlers X R (R = Random).<br />
<strong>Der</strong> systematische Fehler X S ist unabhängig <strong>von</strong> zufälligen Einflussfaktoren und tritt<br />
bei jeder Wiederholung der Messung in gleicher Höhe auf. So kann beispielsweise die<br />
Reihenfolge der Fragen in einem Fragebogen die Messergebnisse systematisch<br />
beeinflussen.<br />
Im Gegensatz hierzu tritt der zufällige Fehler X R ohne erkennbare Systematik auf und<br />
variiert <strong>von</strong> Messung zu Messung. So können beispielsweise die Fragen eines<br />
Fragebogens <strong>von</strong> Probanden unterschiedlich interpretiert werden und deshalb zu<br />
Messfehlern führen. <strong>Der</strong> Zusammenhang der beiden Fehlerarten mit der Reliabilität<br />
und Validität <strong>von</strong> Konstruktmessungen wird nun deutlich:<br />
Peter und Churchill (1986) definieren den Begriff der Reliabilität als „(...) the degree<br />
to which measures are free from random error (...)“ (S. 4). Die Reliabilität gibt<br />
folglich an, inwieweit eine Messung frei <strong>von</strong> zufälligen Messfehlern ist, und<br />
bezeichnet somit deren Zuverlässigkeit (vgl. Backhaus et al. 2003, S. 371). Ein<br />
Konstrukt wird demnach dann absolut reliabel gemessen, wenn der zufällige<br />
Messfehler X R null ist.<br />
Die Validität (Gültigkeit) einer Messung gibt an, zu welchem Grad durch das<br />
Messinstrument das gemessen wird, was gemessen werden soll (vgl. Peter 1979,<br />
S. 6). Eine Messung ist folglich dann vollkommen valide, wenn der beobachtete <strong>Wert</strong><br />
X O dem wahren Konstruktwert X T entspricht, die Messung somit vollkommen frei <strong>von</strong><br />
Messfehlern ist und die Fehlerterme X S und X R den <strong>Wert</strong> 0 haben. Reliabilität ist<br />
195
somit eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Validität einer<br />
Messung (vgl. Homburg/Giering 1996, S. 7; Peter 1979, S. 6).<br />
In der Literatur werden vier Arten <strong>von</strong> Validität für reflektive Messmodelle<br />
unterschieden (vgl. u. a. Peter/Churchill 1986, S. 1ff.; Churchill 1979, S 65ff.;<br />
Homburg/Giering 1996, S. 7f.):<br />
• Inhaltsvalidität<br />
• Konvergenzvalidität<br />
• Diskriminanzvalidität<br />
• Nomologische Validität<br />
Die Inhaltsvalidität, die auch als Content oder Face Validity bezeichnet wird, gibt an,<br />
inwieweit die Indikatoren eines Konstrukts mit dessen theoretischen Rahmen<br />
konsistent sind und alle Facetten und Bedeutungsinhalte abbilden. Alle<br />
Indikatorvariablen müssen folglich dem „inhaltlich-semantischen Bereich des<br />
Konstrukts angehören“ (Homburg/Giering 1996, S. 7).<br />
Konvergenzvalidität beschreibt den Grad, zu dem „(...) two measures designed to<br />
measure the same construct are related“ (Bearden/Netemeyer 1999, S. 5). Die<br />
Konvergenzvalidität beschreibt somit die interne Konsistenz verschiedener Items<br />
eines Konstrukts. Dies gilt auf Faktor- und Konstruktebene: Sowohl die Indikatoren<br />
eines Faktors als auch die Faktoren einer Dimension müssen eine starke Beziehung<br />
untereinander aufweisen (vgl. Homburg/Giering 1996, S. 7).<br />
Die Diskriminanzvalidität gibt an, inwieweit „(...) measures of distinct concepts<br />
differ“ (Bagozzi, Phillips 1982, S. 469). Diskriminanzvalidität liegt also dann vor,<br />
wenn die Messmodelle inhaltlich verschiedener Konzepte auch unterschiedliche<br />
Messergebnisse erzeugen. Die Beurteilung der Diskriminanzvalidität erfolgt bei<br />
mehrdimensionalen Konstrukten genau wie bei der Konvergenzvalidität sowohl auf<br />
Faktoren als auch auf Konstruktebene: Auf Faktorenebene wird gefordert, dass die<br />
Zusammenhänge zwischen den Indikatoren eines Faktors stärker sind als die<br />
Zusammenhänge zwischen Indikatoren verschiedener Faktoren. Gleiches gilt auf<br />
Konstruktebene: Hier müssen die Assoziationen zwischen den Faktoren, die derselben<br />
Dimension angehören, stärker sein als die Assoziationen <strong>von</strong> Faktoren, die zu<br />
verschiedenen Dimensionen gehören.<br />
Bearden und Netemeyer (1999) definieren nomologische Validität in dem <strong>von</strong> ihnen<br />
herausgegebenen Handbook of Marketing Scales als „the degree to which predictions<br />
196
from a formal theoretical network containing the concept under scrutiny are<br />
confirmed“ (S. 5). Zur Überprüfung der nomologischen Validität eines Konstrukts<br />
muss dieses folglich in einen übergeordneten theoretischen Rahmen eingebettet<br />
werden. Nomologische Validität liegt dann vor, wenn die aus der Theorie abgeleiteten<br />
Zusammenhänge des zu untersuchenden Konstrukts mit anderen (validen) Konstrukten<br />
empirisch nachgewiesen werden können (vgl. Homburg/Giering 1996, S. 7f).<br />
Insgesamt ist die Messung eines Konstrukts nur dann als valide zu bezeichnen, wenn<br />
das zugehörige Messmodell allen vier Validitätsarten gerecht wird.<br />
Die Methoden und Gütemaße zur Überprüfung der Reliabilität und Validität<br />
reflektiver Messmodelle sind abhänig zum zugrunde liegenden Ananlyseverfahren.<br />
Auf die in dieser <strong>St</strong>udie verwendeten Gütemaße wird im Rahmen der Methodikbeschreibung<br />
des Pretests (S. 231ff.) und der empirischen Hauptuntersuchung<br />
(S. 260ff.) eingegangen.<br />
3.1.2.2 Das formative Messmodell<br />
Das formative Messmodell geht <strong>von</strong> einer umgekehrten Einflussrichtung <strong>von</strong><br />
Indikatoren und Konstrukt aus, als sie das reflektive Modell aufweist: In einem<br />
formativen Modell verursachen die gemessenen Indikatoren die latente Variable, d. h.<br />
die Veränderung eines Indikators bewirkt eine Veränderung der Konstruktausprägung.<br />
Formal lässt sich das formative Messmodell folgendermaßen darstellen (vgl.<br />
Edwards/Bagozzi 2000, S. 162):<br />
=∑ i<br />
+<br />
i<br />
ξ λ i<br />
x δ<br />
(13)<br />
ξ<br />
λ i<br />
x i<br />
δ<br />
zugrunde liegende latente Variable (Konstrukt)<br />
Gewichtungskoeffizient (Regressionskoeffizient) des Indikators x i auf die latente<br />
Variable ξ<br />
gemessener <strong>Wert</strong> der Indikatorvariable i<br />
Messfehler auf Konstruktebene<br />
<strong>Der</strong> <strong>Wert</strong> der latenten Variablen ξ ergibt sich demnach als Summe der Produkte aller<br />
gemessenen Indikatorwerte x i mit ihrem jeweiligen Regressions- bzw. Gewichtungskoeffizient<br />
λ i . <strong>Der</strong> Parameter λ i gibt hierbei die Gewichtung der Indikatorvariablen x i<br />
197
ei ihrer linearkombinatoren Verrechnung zur latenten Variable ξ an (vgl.<br />
Eggert/Fassot 2003, S. 4). <strong>Der</strong> Messfehler δ repräsentiert den Teil der latenten<br />
Variable, der durch die Indikatoren nicht erklärt werden kann. Im Gegensatz hierzu<br />
wird die Messung der Indikatorvariablen x i als fehlerfrei angenommen (vgl.<br />
(Edwards/Bagozzi 2000, S. 162).<br />
Aus der im Vergleich zum reflektiven Modell gegensätzlichen Kausalitätsrichtung<br />
zwischen Indikatorvariablen und Konstrukt ergeben sich folgende weitere<br />
Unterschiede zwischen reflektivem und formativem Messmodell (vgl.<br />
Diamantopoulos/Winklhofer 2001, S. 270f.):<br />
Erstens sind im Gegensatz zu reflektiven Modellen bei formativen Modellen die<br />
Indikatoren nicht austausch- oder entfernbar, da jeder Indikator eine Facette des<br />
Konstrukts abbildet: „Omitting an indicator is omitting a part of the construct“<br />
(Bollen/Lennox 1991, S. 308).<br />
Ein zweiter Unterschied besteht hinsichtlich der Korrelationen zwischen den<br />
Indikatoren, die in Abbildung 44 (S. 192) durch die Pfeile zwischen den Indikatoren<br />
symbolisiert sind: Im Unterschied zum reflektivem Modell werden beim formativen<br />
Modell die Korrelationen zwischen den Items nicht durch das Messmodell erklärt.<br />
Eng damit verbunden ist ein dritter Unterschied: Bei einem formativen Messmodell<br />
kann keine Aussage darüber gemacht werden, ob, in welcher Richtung und in<br />
welcher Höhe die Indikatoren eines Faktors bzw. die Faktoren einer Dimension<br />
miteinander korrelieren: „(...) internal consistency is of minimal importance because<br />
two variables that might even be negatively related can both serve as meaningful<br />
indicators of a construct“ (Nunnally/Bernstein 1994, S. 489). Als unmittelbare<br />
Konsequenz daraus ergibt sich, dass die Güte eines formativen Modells nicht anhand<br />
seiner internen Konsistenz beurteilt werden kann (vgl. Rossiter 2002, S. 307f.)<br />
Viertens haben formative Indikatoren keine Fehlerterme. Die Fehlervarianz wird<br />
ausschließlich durch den Fehlerterm δ auf Konstruktebene repräsentiert. Dieser<br />
korreliert nicht mit den Indikatorvariablen (d. h. cov [x i ;δ] = 0).<br />
Im Gegensatz zum reflektiven Modell ist ein formatives Messmodell<br />
unteridentifiziert. Konsequenz dieses fünften Unterschieds ist, dass die Parameter<br />
eines formativen Messmodells nur im Kontext eines größeren Modells schätzbar sind.<br />
Bei einem reflektiven Modell können sie hingegen mit Hilfe einer konfirmatorischen<br />
Faktorenanalyse geschätzt werden.<br />
198
Selbst wenn ein formatives Konstrukt in ein Gesamtmodell eingebettet ist, kann die<br />
Identifikation aller Parameter immer noch problematisch sein. Dies führen<br />
Diamantopoulos und Winklhofer (2001) als sechsten Unterschied <strong>von</strong> reflektivem und<br />
formativem Messmodell an.<br />
Formative und reflektive Messmodelle unterscheiden sich demnach erheblich in ihren<br />
Eigenschaften. Tabelle 5 stellt die Eigenschaften <strong>von</strong> reflektiven und formativen<br />
Messmodellen zusammenfassend gegenüber.<br />
Eigenschaft Reflektives Messmodell Formatives Messmodell<br />
Richtung der Kausalität Von Konstrukt zu Indikator Von Indikator zu Konstrukt<br />
Austauschbarkeit der<br />
Indikatoren<br />
Indikatoren sind austauschbar<br />
Indikatoren sind nicht austauschbar.<br />
Korrelationen der<br />
Indikatoren eines Faktors<br />
Korrelation der Indikatorvariablen wird<br />
durch das Messmodell erklärt<br />
Indikatoren müssen stark positiv<br />
korrelieren<br />
Korrelation der Indikatorvariablen wird<br />
nicht durch das Messmodell erklärt<br />
Indikatoren müssen nicht korrelieren<br />
Fehlerterme Ein Fehlerterm pro Indikator Nur ein Fehlerterm auf Faktorenebene<br />
Identifizierbarkeit des<br />
Modells<br />
Modell ist identifizierbar<br />
(z. B. konfirmatorische<br />
Faktorenanalyse)<br />
Modell kann unterbestimmt sein.<br />
Parameter können nur bei Einbettung<br />
in größeres Modell geschätzt werden.<br />
Tabelle 5:<br />
Gegenüberstellung der Eigenschaften <strong>von</strong> formativen und reflektiven Messmodellen<br />
Im Hinblick auf die Reliabilitäts- und Validitätsbeurteilung folgt aus den<br />
Eigenschaften formativer Messmodelle, dass „(...) traditional validity assessments and<br />
classical test theory do not cover cause indicators“ (Bollen 1989, S. 222). Die im<br />
vorherigen Abschnitt dargestellten Validitätsanforderungen reflektiver Messmodelle<br />
sind folglich nicht auf Modelle mit formativen Indikatoren übertragbar. Nachfolgend<br />
werden Anforderungskriterien an formative Messmodelle zur Gewährleistung reliabler<br />
und valider Konstruktmessungen beschrieben.<br />
Kriterien zur Beurteilung der Güte formativer Messmodelle<br />
Bei der Entwicklung einer Skala (reflektives Modell) kann auf etablierte Kriterien und<br />
Verfahren zur Gewährleistung einer reliablen und validen Konstruktmessung<br />
zurückgegriffen werden (vgl. z. B. Churchill 1979, S. 67ff; Homburg/Giering 1996,<br />
S. 11ff.). Aufgrund der Dominanz reflektiver Messmodelle in der empirischen<br />
Marketingforschung (vgl. Jarvis/MacKenzie/Podsakoff 2003, S. 200) existieren aber<br />
199
für die Indexentwicklung (formatives Messmodell) weder etablierte Vorgehensweisen<br />
noch bewährte Gütekriterien zur Validitätsbeurteilung (vgl. Diamantopoulos/<br />
Winklhofer 2001, S. 271). Die nachfolgenden Ausführungen repräsentieren den<br />
momentanen Forschungsstand in der empirischen Marketingforschung (2004).<br />
Durch eine umfassende Literaturanalyse konnten Diamantopoulos und Winklhofer<br />
(2001, S. 271f.) vier Kriterien für eine erfolgreiche Indexentwicklung identifizieren:<br />
• Inhaltsspezifikation (Content Specification)<br />
• Indikatorspezifikation (Indicator Specification)<br />
• Indikatorkollinearität (Indicator Collinearity)<br />
• Externe Validität (External Validity)<br />
Ziel der Inhaltsspezifikation ist eine präzise Beschreibung des inhaltlichen Umfangs<br />
des vom Index zu erfassenden Konstrukts. Da bei formativen Messmodellen das<br />
Konstrukt durch die Indikatorvariablen verursacht wird, ist es hierbei insbesondere<br />
wichtig, dieses in seiner gesamten inhaltlichen Breite zu erfassen: „breadth of<br />
definition is extremely important to causal indicators“ (Nunnally/Bernstein 1994,<br />
S. 484). Nur wenn im Rahmen der Inhaltsspezifikation alle wesentlichen<br />
Konstruktfacetten berücksichtigt werden, können die auf der Inhaltspezifikation<br />
basierenden Indikatoren das Konstrukt vollständig und valide abbilden.<br />
Die Indikatorspezifikation basiert auf der Inhaltsspezifikation und beinhaltet die<br />
Generierung der Indikatorvariablen des Index. Hierbei ist es analog zur<br />
Inhaltsspezifikation für die Qualität der Konstruktmessung entscheidend, alle<br />
Facetten des Konstrukts durch entsprechende Indikatoren abzubilden, was zu einer<br />
großen Anzahl an Indikatoren führen kann. Es sei an dieser <strong>St</strong>elle nochmals darauf<br />
hingewiesen, dass die vollständige Abbildung aller Konstruktfacetten durch<br />
entsprechende Indikatoren bei reflektiven Messmodellen keine Rolle spielt, da „the set<br />
of items ‚is chosen randomly from the universe of items relating to the construct of<br />
interest’“ (Diamantopoulos/Winklhofer 2001, S. 271).<br />
Das Kriterium der Indikatorkollinearität gründet auf der <strong>St</strong>ruktur formativer<br />
Messmodelle: Wie aus der formellen Darstellung des formativen Messmodells<br />
hervorgeht (siehe S. 197), beruht dieses auf einer multiplen Regression. Dies bedingt,<br />
dass die <strong>St</strong>abilität der Indikator-Koeffizienten (λ i ) einerseits <strong>von</strong> der <strong>St</strong>ichprobengröße<br />
und andererseits <strong>von</strong> der <strong>St</strong>ärke der Indikatorkorrelationen abhängt. Im Falle perfekter<br />
Multikollinearität sind die Regressoren linear abhängig, d. h. ein Regressor ist als<br />
Linearkombination der anderen Regressoren darstellbar. Die multiple Regression ist<br />
200
dann nicht durchführbar (vgl. Backhaus 2003, S. 88f.). Besteht zwischen den<br />
Indikatoren zwar keine perfekte, aber dennoch starke lineare Abhängigkeit, liegt also<br />
ein hoher Grad an Kollinearität vor, kann der Einfluss jedes einzelnen Indikators x i auf<br />
die latente Variable ξ nicht mehr festgestellt werden. Im Zusammenhang der<br />
Gütebetrachtung sind damit zwei Aspekte verbunden (Diamantopoulos/Winklhofer<br />
2001, S. 272):<br />
Zum einen stellen die Indikator-Koeffizienten λ i den Einfluss der Indikatorvariablen x i<br />
auf die latente Variable ξ dar und können daher als Validitätskoeffizienten interpretiert<br />
werden. Liegt eine starke Multikollinearität vor, führt dies dazu, dass die Schätzung<br />
der Indikator-Koeffizienten λ i nicht stabil ist und folglich die Beurteilung der<br />
Indikatorreliabilität problematisch ist. Zum anderen kann bei starker linearer<br />
Abhängigkeit eines Indikators dieser nahezu perfekt als Linearkombination anderer<br />
Indikatoren dargestellt werden. Das Item trägt somit redundante Informationen und ist<br />
ggf. <strong>von</strong> der Analyse auszuschließen.<br />
<strong>Der</strong> Untersuchung der externen Validität kommt bei formativen Messmodellen eine<br />
besondere Bedeutung zu, da die interne Konsistenz aufgrund der nicht notwendigen<br />
Abhängigkeit der zu einem Faktor gehörenden Indikatoren nicht untersucht werden<br />
kann. Bagozzi (1994) unterstreicht dies: „the best we can do (...) is to examine how<br />
well the index relates to measures of other variables“ (S. 333). Da es hierfür in der<br />
Literatur keine etablierten Verfahren und Kriterien gibt und die Elimination <strong>von</strong><br />
Indikatoren aus theoretischer Sicht problematisch, aus praktischer aber sinnvoll ist,<br />
schlagen Diamantopoulos und Winklhofer (2001, S. 272) alternativ die Anwendung<br />
eines so genannten MIMIC-Modells (Multiple Indicators and MultIple Causes) vor.<br />
Wie aus Abbildung 46a hervorgeht, bildet ein MIMIC-Modell ein Konstrukt<br />
gleichzeitig durch formative und reflektive Indikatoren ab. Wird dieses Modell mit<br />
Hilfe kovarianzbasierter Verfahren wie z. B. LISREL einem simultanen Test<br />
unterzogen, kann die Güte der Operationalisierung ganzheitlich anhand der Fitindizes<br />
des Modells abgeschätzt werden. Erweist sich der Gesamtfit des Modells als<br />
akzeptabel, kann daraus geschlossen werden, dass der Index das Konstrukt<br />
angemessen abbildet. Erklären weiterhin die verwendeten Indikatoren einen<br />
beachtlichen Teil der Varianz der reflektiven Indikatoren, weist das zu untersuchende<br />
Konstrukt eine hohe Inhaltsvalidität und eine gute nomologische Validität auf (vgl.<br />
Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 18). Des Weiteren kann anhand der<br />
Regressionskoeffizienten die Einflussstärke und Signifikanz einzelner Indikatoren des<br />
Index bewertet werden (vgl. Diamantopoulos/Winklhofer 2001, S. 272).<br />
201
Die Spezifizierung einer Variablen durch ein MIMIC-Modell wird <strong>von</strong> einigen<br />
PLS-Verfahren wie beispielsweise PLS-Graph, das in dieser Untersuchung zur<br />
Anwendung kommt, nicht unterstützt. Die Einführung einer reflektiv<br />
operationalisierten Phantomvariable ermöglicht die Lösung dieser Problematik (siehe<br />
Abbildung 46b). Kann dabei der angenommene starke und signifikante<br />
Zusammenhang zwischen formativ operationalisiertem Konstrukt und reflektiv<br />
operationalisierter Phantomvariable gezeigt werden und erklärt das formative<br />
Konstrukt gleichzeitig einen erheblichen Anteil der Varianz der Phantomvariable,<br />
kann externe Validität angenommen werden (vgl. Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 22;<br />
Diamantopoulos/Winklhofer 2001, S. 273).<br />
MIMIC Modell<br />
Zwei-Konstrukt Modell<br />
(mit Phantomvariable)<br />
δ 1<br />
δ 2<br />
δ 3<br />
δ 1<br />
δ 2<br />
δ 3<br />
y 2<br />
y 1<br />
y 3<br />
y 1<br />
y 2<br />
y 3<br />
λ 1<br />
λ 2<br />
λ 3<br />
λ 1<br />
ζ 1<br />
λ 2<br />
λ 3<br />
η<br />
ζ 1<br />
η<br />
r 12<br />
r 23<br />
π 1<br />
π 2 π 3<br />
δ = 0<br />
γ 21<br />
ξ<br />
π 1<br />
π 2 π 3<br />
x 1<br />
x 3<br />
x 2<br />
r 13<br />
x 1<br />
x 2<br />
x 3<br />
r 12<br />
r 23<br />
r 13<br />
Abbildung 46: MIMIC-Modell und Modell mit Phantomvariable zur Untersuchung der externen<br />
Validität formativ operationalisierter Konstrukte. In Anlehnung an Diamantopoulos/Winklhofer 2001,<br />
S. 272<br />
Die in dieser Arbeit verwendeten Methoden und Gütemaße zur Beurteilung<br />
formativer Messmodelle werden im entsprechenden Abschnitt der Beschreibung der<br />
empirischen Untersuchung dargestellt (siehe Kapitel 3.4.1.3, S. 259ff.).<br />
202
Zusammenfassung<br />
In den letzten beiden Abschnitten wurden Gütekriterien reflektiver und formativer<br />
Modelle zur Gewährleistung reliabler und valider Konstruktmessungen beschrieben.<br />
Vergleicht man die Kriterien der beiden Messmodellarten, so wird deutlich, dass <strong>von</strong><br />
vier Gütekriterien reflektiver Messmodelle (Inhaltsvalidität, Konvergenzvalidität,<br />
Diskriminanzvalidität und nomologische Validität) bei formativen Modellen nur zwei<br />
Kriterien relevant sind: Inhaltsvalidität und nomologische Validität. Konvergenz- und<br />
Diskriminanzbetrachtungen sind dagegen aufgrund der linear-additiven <strong>St</strong>ruktur<br />
formativer Messmodelle nicht sinnvoll. Bei der Konstruktion eines Index ist hingegen<br />
insbesondere auf die vollständige und umfassende Abbildung des zu erfassenden<br />
Konstrukts durch entsprechende Indikatoren zu achten. Bleiben relevante<br />
Konstruktfacetten unberücksichtigt, kann das Konstrukt durch den Index nicht valide<br />
gemessen werden. Die Gegenüberstellung der Grundlagen und Eigenschaften<br />
reflektiver und formativer Messmodelle hat verdeutlicht, dass mit der Operationalisierung<br />
eines Konstrukts weitreichende Folgen verbunden sind. Es ist folglich <strong>von</strong><br />
zentraler Bedeutung, ein Konstrukt inhaltlich richtig durch ein formatives oder<br />
reflektiven Modells zu operationalisieren.<br />
Die Notwendigkeit, sich bei der Entwicklung eines Messinstruments intensiv mit der<br />
Art des zugrunde liegenden Messmodells auseinanderzusetzen, haben die<br />
Untersuchungen <strong>von</strong> Jarvis, MacKenzie und Podsakoff (2003) und Eggert und Fassot<br />
(2003) verdeutlicht: Letztere arbeiteten heraus, dass alle Konstrukte der in der<br />
Zeitschrift Marketing ZFP veröffentlichten <strong>St</strong>rukturgleichungsmodelle reflektiv<br />
operationalisiert wurden, 79,6% der Messmodelle aber eher formativen als reflektiven<br />
Charakter haben (S. 9f.). Zu einem ähnlichen, wenn gleich nicht so extremen Ergebnis<br />
kamen Jarvis, MacKenzie und Podsakoff (2003). Sie untersuchten die Konstrukte in<br />
<strong>St</strong>rukturgleichungsmodellen, die im Zeitraum <strong>von</strong> 1977 bis 2000 in einem der<br />
führenden amerikanischen Marketing Zeitschriften (Journal of Consumer Research,<br />
Journal of Marketing, Journal of Marketing Research und Marketing Science)<br />
veröffentlicht wurden. Dabei stellten sie fest, dass 96% aller Konstrukte reflektiv<br />
operationaliert wurden, bei 28% der Konstrukte aus messtheoretischer Sicht aber eine<br />
formative Operationalisierung angebracht gewesen wäre. Die Autoren konnten ferner<br />
mit Hilfe einer Monte-Carlo Simulation zeigen, dass „(...) measurement model<br />
misspecification of even one formatively measured construct within a typical<br />
structural equation model can have very serious consequences for the theoretical<br />
conclusions drawn from that model“ (Jarvis/MacKenzie/Podsakoff 2003, S. 212).<br />
203
Um eine aus messtheoretischer Sicht richtige Modellspezifikation des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> und seinen Dimensionen, der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und des<br />
Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> zu gewährleisten, werden nachfolgend Kriterien<br />
beschrieben, anhand derer entschieden werden kann, ob ein Konstrukt formativ oder<br />
reflektiv zu operationalisieren ist.<br />
3.1.2.3 Entscheidungskriterien zur Verwendung formativer oder reflektiver<br />
Messmodelle<br />
Motiviert durch die Ergebnisse ihrer bereits erwähnten Untersuchung (siehe S. 203)<br />
haben Jarvis, MacKenzie und Podsakoff (2003) einen Fragenkatalog entwickelt, mit<br />
dessen Hilfe entschieden werden kann, ob ein Konstrukt formativen oder reflektiven<br />
Charakter hat. <strong>Der</strong> Fragenkatalog gliedert sich in vier Themenbereiche, denen die<br />
jeweiligen Fragen zugeordnet sind. In Tabelle 6 ist dieser in übersetzter Form<br />
dargestellt.<br />
Im ersten Teil des Fragenkatalogs geht es um die Richtung der Kausalität zwischen<br />
Indikatoren und Konstrukt. Bei einem formativen Messmodell wird das Konstrukt <strong>von</strong><br />
den Indikatoren bestimmt und die Kausalitätsrichtung verläuft <strong>von</strong> den Indikatoren<br />
zum Konstrukt. Erfolgt die Operationalisierung reflektiv, verläuft die Kausalitätsrichtung<br />
umgekehrt. Die zweite Fragenkategorie befasst sich mit der Austauschbarkeit<br />
der Indikatoren. Im Gegensatz zu formativen Modellen müssen diese bei reflektiven<br />
Messmodellen austauschbar sein. Beim dritten Kriterium geht es um die Kovariation<br />
(Covariation) der Indikatorvariablen. Während reflektive Indikatoren notwendigerweise<br />
untereinander kovariieren müssen, ist dies im formativen Fall nicht erforderlich.<br />
<strong>Der</strong> vierte und letzte Teil des Fragenkatalogs befasst sich mit dem nomologischen<br />
Netz des Konstrukts, d. h. mit dessen Antezedenzien und Konsequenzen. Bei einem<br />
reflektiven Messmodell müssen diese für alle Indikatoren identisch sein, wohingegen<br />
die formativen Indikatoren eines Konstrukts verschiedene Antezedenzien und<br />
Konsequenzen haben können.<br />
204
Kriterium/Frage Formatives Messmodell Reflektives Messmodell<br />
1. Richtung der Kausalität zwischen<br />
Indikatoren und Konstrukt,<br />
impliziert durch die konzeptionelle<br />
Konstruktdefinition<br />
Sind die Indikatoren<br />
a) definierende Merkmale<br />
(Characteristics) oder<br />
b) Erscheinungsformen<br />
(Manifestations)<br />
des Konstrukts?<br />
Würden Veränderungen der<br />
Ausprägungen der Indikatoren zu<br />
Verändungen des Konstrukts<br />
führen?<br />
Würden Veränderungen des<br />
Konstrukts zu Verändungen der<br />
Ausprägungen der Indikatoren<br />
führen?<br />
2. Austauschbarkeit der<br />
Indikatorvariablen<br />
Sollten die Indikatoren denselben<br />
oder ähnlichen Inhalt haben? Haben<br />
die Indikatoren ein gemeinsames<br />
Thema?<br />
Würde der Ausschluss eines<br />
Indikators den konzeptionellen<br />
Rahmen des Konstrukts verändern?<br />
Von den Indikatoren zum<br />
Konstrukt<br />
Indikatoren sind definierende<br />
Merkmale (Characteristics) des<br />
Konstrukts<br />
Veränderungen der<br />
Ausprägungen der Indikatoren<br />
sollten zu Verändungen des<br />
Konstrukts führen.<br />
Veränderungen des Konstrukts<br />
führen nicht zu Verändungen<br />
der Indikatoren.<br />
Indikatoren müssen nicht<br />
austauschbar sein.<br />
Indikatoren müssen nicht<br />
denselben oder ähnlichen Inhalt<br />
haben/Indikatoren müssen kein<br />
gemeinsames Thema haben.<br />
<strong>Der</strong> Ausschluss eines Indikators<br />
könnte den konzeptionellen<br />
Rahmen des Konstrukts<br />
verändern.<br />
Vom Konstrukt zu den<br />
Indikatoren<br />
Indikatoren sind<br />
Erscheinungsformen<br />
(Manifestations) des Konstrukts<br />
Veränderungen der<br />
Ausprägungen der Indikatoren<br />
sollten nicht zu Verändungen<br />
des Konstrukts führen.<br />
Veränderungen des Konstrukts<br />
führen zu Verändungen der<br />
Indikatoren.<br />
Indikatoren sollten<br />
austauschbar sein.<br />
Indikatoren sollten denselben<br />
oder ähnlichen Inhalt<br />
haben/Indikatoren sollten ein<br />
gemeinsames Thema haben.<br />
<strong>Der</strong> Ausschluss eines Indikators<br />
sollte den konzeptionellen<br />
Rahmen des Konstrukts nicht<br />
verändern.<br />
3. Kovariation zwischen den<br />
Indikatoren<br />
Sollte eine Änderung eines<br />
Indikators zur Änderung der anderen<br />
Indikatoren führen?<br />
4. Nomologisches Netz der<br />
Indikatoren<br />
Sollten die Indikatoren dieselben<br />
Antezedenzien und Konsequenzen<br />
haben?<br />
Indikatoren müssen nicht<br />
notwendigerweise kovariieren.<br />
Nicht unbedingt<br />
Nomologisches Netz der<br />
Indikatoren kann sich<br />
unterscheiden.<br />
Indikatoren müssen nicht<br />
dieselben Antezedenzien und<br />
Konsequenzen haben.<br />
Indikatoren sollten kovariieren.<br />
Ja<br />
Nomologisches Netz der<br />
Indikatoren sollte sich nicht<br />
unterscheiden.<br />
Indikatoren müssen dieselben<br />
Antezedenzien und<br />
Konsequenzen haben.<br />
Tabelle 6: Entscheidungskriterien zur Verwendung eines formativen oder reflektiven<br />
Messmodells. Quelle: Jarvis/MacKenzie/Podsakoff 2003, S. 203 (Übersetzung durch den Verfasser)<br />
Die <strong>von</strong> Jarvis und seinen Kollegen vorgeschlagene Vierteilung suggeriert, dass es<br />
sich um vier <strong>von</strong>einander unabhängige Entscheidungskriterien handelt. Herrmann,<br />
Huber und Kressmann (2004) haben jedoch gezeigt, dass sich alle vier Kriterien auf<br />
die Frage reduzieren lassen „ob eine Veränderung des Konstruktes eine Veränderung<br />
aller Indikatoren bewirkt (reflektiv) oder die Veränderung eines Indikators eine<br />
205
Veränderung der Konstruktausprägungen evoziert (formativ)“ (S. 13). Ähnlich wie<br />
Herrmann und seine Kollegen argumentiert auch Chin (1998a): Er schlägt vor, dass<br />
die Entscheidung, ob ein Konstrukt formativ oder reflektiv zu operationalisieren ist,<br />
anhand folgender Frage beantwortet werden kann: „Is it necessarily true that if one of<br />
the items (assuming all coded in the same direction) were to suddenly change in a<br />
particular direction, the others will change in a similar manner?“ (S. IX). Kann die<br />
Frage bejaht werden, handelt es sich um ein reflektives Konstrukt. Die <strong>von</strong> Chin<br />
vorgeschlagene Frage zielt auf die Kovariation der Indikatoren ab und entspricht der<br />
dritten Kategorie des Fragenkatalogs <strong>von</strong> Jarvis, MacKenzie und Podsakoff (2003).<br />
Diese folgt aber im Wesentlichen aus der Kausalitätsrichtung reflektiver Messmodelle<br />
(vom Konstrukt zu den Indikatoren), die bedingt, dass die Variation reliabler<br />
reflektiver Indikatoren nahezu ausschließlich auf die Variation des Konstrukts<br />
zurückzuführen ist. Reflektive Indikatoren müssen deshalb stark korreliert sein (vgl.<br />
Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 14).<br />
Zusammenfassend kann man festhalten, dass es bei der Entscheidung der<br />
Operationalisierungsart im Kern um die Frage der Kausalität geht: Verändert das<br />
Konstrukt die Indikatoren (reflektiv) oder die Indikatoren das Konstrukt (formativ)?<br />
Sowohl der <strong>von</strong> Jarvis und seinen Kollegen entwickelte Fragenkatalog, als auch das<br />
<strong>von</strong> Chin vorgeschlagene Gedankenexperiment sind eher zu Orientierungszwecken<br />
und zur Verdeutlichung der Unterschiede <strong>von</strong> formativen und reflektiven Messmodellen<br />
geeignet. <strong>Der</strong> Forscher kann anhand dieser Kriterien seine Entscheidung<br />
überprüfen. Die Ausführungen haben weiterhin verdeutlicht, dass die Entscheidung,<br />
ob zur Messung eines Konstrukts ein formatives oder reflektives Modell anzuwenden<br />
ist, allein auf Basis der theoretischen Konzeption des Konstrukts getroffen werden<br />
kann (vgl. Edwards/Bagozzi 2000, S. 171).<br />
Damit sind die Grundlagen der Konstruktmessung gelegt worden. Im nächsten<br />
Abschnitt wird die Vorgehensweise bei der Entwicklung eines Messinstruments für<br />
Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> als zentrale Konstrukte dieser Untersuchung<br />
vorgestellt.<br />
206
3.1.3 Vorgehensweise bei der Entwicklung eines Messinstruments für den<br />
<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und seiner Dimensionen<br />
Die Entwicklung des Messinstruments für den <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> erfolgt durch<br />
Triangulation <strong>von</strong> Theorie, qualitativen und quantitativen Forschungsmethoden in vier<br />
Schritten. Schematisch ist die Vorgehensweise in Abbildung 47 dargestellt.<br />
Basis/Methodik<br />
KONZEPTUALISIERUNG<br />
Schritt 1<br />
• Entwicklung der Dimensions- und<br />
Faktorstruktur<br />
• Basis: Theoretischer Bezugsrahmen<br />
(Theorien und theoretische Konzepte)<br />
Schritt 2<br />
OPERATIONALISIERUNG<br />
• Generierung einer Ausgangsmenge an<br />
Indikatoren<br />
• Definition der Messmodellart<br />
• Quellen: Theorie, Experteninterviews,<br />
Konsumenteninterviews<br />
PRETEST (auf Faktorebene)<br />
Theorie<br />
qualitative empirische<br />
Forschungsmethoden<br />
Schritt 3<br />
Schritt 4<br />
• Optimierung der Messinstruments auf<br />
Faktorebene<br />
• Exploratorische und konfirmatorische<br />
Faktorenanalyse<br />
HAUPTUNTERSUCHUNG (Gesamtmodell)<br />
• Empirische Überprüfung des vollständigen<br />
Messmodells<br />
• Validitäts- und Reliabilitätsbeurteilung des<br />
Gesamtmodells mittels entsprechender<br />
Gütemaße<br />
quantitative empirische<br />
Forschungsmethoden<br />
Abbildung 47: Vorgehensweise bei der Entwicklung eines Messinstruments für den <strong>Wert</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong><br />
Im ersten Schritt wird das Konstrukt konzeptualisiert, indem eine geeignete<br />
Dimension- und/oder Faktorstruktur entwickelt wird. Basis hierfür sind die in<br />
Kapitel 2 beschriebenen Theorien und theoretischen Konzepte.<br />
Die nächste Phase dient der Operationalisierung des Konstrukts und seiner<br />
Dimensionen. Hierzu wird eine Ausgangsmenge an Indikatoren generiert und die Art<br />
der Messmodelle (formativ oder reflektiv) für die Dimensions- und Faktorenebene<br />
207
festgelegt. Quellen für die Generierung der Items sind die Theorien des<br />
Bezugsrahmens (Kapitel 2) sowie Konsumenten- und Experteninterviews.<br />
Die so entstandenen Messmodelle der Faktoren der Konstrukte werden im dritten<br />
Schritt einem Pretest unterzogen um sie im Hinblick auf die anschließende<br />
Hauptuntersuchung zu optimieren. Hierzu werden die Faktoren mittels<br />
exploratorischer und konfirmatorischer Faktorenanalysen (LISREL) ersten Validitätsund<br />
Reliabilitätsprüfung unterzogen und nicht geeignete Items entfernt.<br />
Im vierten und letzen Schritt wird das vollständige Messmodell des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> im Rahmen der Hauptuntersuchung einer großen empirischen<br />
Überprüfung unterzogen. Hierbei wird sowohl die Faktor- als auch die<br />
Dimensionsebene mittels geeigneter Verfahren und Gütekriterien auf Validität und<br />
Reliabilität überprüft. Ergebnis dieser letzten Phase sind die endgültigen<br />
Messinstrumente für die KPV und NPV, welche Grundlage für die anschließende<br />
Untersuchung der Konsequenzen und Determinanten der KNPV sind.<br />
3.2 Konzeptualisierung und Operationalisierung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> und seiner Kosten- und Nutzendimension<br />
Ziel dieses Abschnitts ist es, auf Basis der in Kapitel 2 beschriebenen Theorien ein<br />
Instrument zur Messung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und seiner unabhängigen<br />
Dimensionen, der Kosten <strong>von</strong> Produkvielfalt und des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> zu<br />
entwickeln, um dieses dann einer empirischen Prüfung zu unterziehen. Hierzu wird<br />
das zu untersuchende Konstrukt zunächst konzeptualisiert, d. h. es wird die<br />
Dimensions- bzw. Faktorstruktur aus den theoretischen Ausführungen abgeleitet. Im<br />
nächsten Schritt erfolgt die Operationalisierung, die zum einen die Generierung und<br />
Beschreibung der Indikatorvariablen und zum anderen die Bestimmung der Art des<br />
Messmodells zum Ziel hat. Hierbei ist festzulegen, ob ein formatives oder reflektives<br />
Modell zur Messung der jeweiligen Ebene geeignet ist.<br />
208
3.2.1 Konzeptualisierung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Wie bereits dargestellt, beinhaltet die Konzeptualisierung eines Konstrukts die<br />
theoriebasierte Ermittlung seiner Dimensionen und Teildimensionen (vgl.<br />
Homburg/Giering 1996, S. 5; Bruhn/Homburg 2001, S. 306; siehe auch S. 188).<br />
Ausgangspunkt der Konzeptualisierung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> als zentrales<br />
Konstrukt dieser Untersuchung sind daher die in Kapitel 2 beschriebenen Theorien.<br />
Grundlegendes Ziel vorliegenden Arbeit ist es, die positiven und negativen Aspekte<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> durch das zwischen Sortimentsstimuli und Konsumentenverhalten<br />
mediierende Konstrukt <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> theoretisch zu begründen und<br />
empirisch aufzuzeigen. Dieses wird deshalb als übergeordnetes Konstrukt der<br />
unabhängigen Dimensionen Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> konzeptualisiert. Zu begründen ist dieser Kosten-Nutzen-Ansatz vor<br />
allem auf Basis der Forschungsfragen: Die Arbeit hat das Ziel, die Existenz der<br />
positiven und negativen Seiten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus Konsumentensicht und deren<br />
Konsequenzen und Determinanten aufzuzeigen. Um sowohl die Nutzen- als auch<br />
Kostenaspekte aufzeigen zu können, müssen diese isoliert betrachtet werden. Die<br />
Konzeptualisierung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> durch eine Kosten- und eine<br />
Nutzendimensionen, die als unabhängig betrachtet werden und deren Konsequenzen<br />
und Determinanten folglich ebenfalls isoliert untersucht werden können, ist deshalb<br />
naheliegend. Die Betrachtungsebene der weiteren Analysen ist folglich nicht eine<br />
Verknüpfungsebene, sondern die als unabhängig betrachteten Dimensionen Kosten<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (siehe hierzu auch die<br />
Ausführungen im Definitionsteil auf S. 12f.). Abbildung 48 veranschaulicht die<br />
Konzeptualisierung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> als mediierendes zweidimensionales<br />
Konstrukt nochmals grafisch.<br />
<strong>Produktvielfalt</strong><br />
(Sortiment)<br />
Konsumentenverhalten<br />
<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Kosten<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
(KPV)<br />
Nutzen<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
(NPV)<br />
Ergebnis<br />
Kaufentscheidung<br />
Evaluation <strong>von</strong> Prozess<br />
und Produkt<br />
Zukünftiges<br />
Verhalten<br />
Abbildung 48: Konzeptualisierung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> als zweidimensionales Konstrukt mit<br />
den Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und dem Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> als unabhängige Dimensionen<br />
209
Die Dimensionen des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> werden weitgehend als eigene<br />
Konstrukte betrachtet, weshalb sie teilweise als Kosten- und Nutzenkonstrukt<br />
bezeichnet werden. In den nächsten Abschnitten wird zunächst die Faktorstruktur der<br />
Nutzendimension und anschließend die der Kostendimensione abgeleitet.<br />
3.2.1.1 Konzeptualisierung des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Die dargestellten Theorien haben auf verschiedene Art die positive Wirkung hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> erklärt. Dadurch wurde deutlich, dass der NPV für Konsumenten<br />
verschiedene Facetten hat. Abbildung 40 (S. 177), die auch Grundlage der<br />
Hypothesenformulierung war, hat die aus der jeweiligen Theorie abgeleiteten<br />
Nutzenfacetten zusammengefasst und in Beziehung zu Determinanten und<br />
Konsequenzen gesetzt.<br />
Durch die Nutzenerwartungswerttheorie wurden die Facetten Antizipierter<br />
Produktnutzen und Erfolgsaussichten aufgezeigt; d. h. aus hoher Vielfalt folgt für<br />
den Konsumenten ein hoher antizipierter Produktnutzen, da durch die vorhandene<br />
Vielfalt der Konsument annimmt, dass das Sortiment mindestens ein Produkt enthält,<br />
das seinen Idealvorstellungen sehr nahe kommt und folglich einen hohen Nutzen für<br />
ihn hat. Durch den Aspekt Erfolgsaussichten wird zusätzlich noch die Transaktion<br />
selbst berücksichtigt: <strong>Der</strong> Konsument hat bei großer Vielfalt eine entsprechend hohe<br />
Chance, den beabsichtigten Kauf erfolgreich abschließen zu können und dadurch seine<br />
Bedürfnisse, die zur Auslösung der Kaufhandlung geführt haben, zu befriedigen.<br />
Dieser Handlungsgesichtspunkt unterscheidet die Erfolgsaussichten vom antizipierten<br />
Produktnutzen.<br />
Die Ausführungen zum Shopping Hedonismus haben aufgezeigt, dass Einkaufen für<br />
Konsumenten aber nicht nur aus der reinen Transaktion zur Bedürfnisbefriedigung<br />
besteht, sondern sie dem Einkaufsprozess selbst einen hedonistischen <strong>Wert</strong> beimessen.<br />
So haben Kunden durch hohe <strong>Produktvielfalt</strong> tendenziell mehr Spaß am Einkauf, was<br />
u. a. auf die ausgeprägten Lern-, Test- und Informationsmöglichkeiten bei hoher<br />
Vielfalt zurückzuführen ist. Neben Spaß als starker und „aktiver“ Emotion können<br />
durch ein großes Sortiment auch allgemein positive Emotionen hervorgerufen werden,<br />
die eher mit der Anmutung der Warenvielfalt zu tun haben. So kann, wie aus der<br />
Theorie folgt, hohe Vielfalt z. B. ansprechend sein, Langeweile vermeiden und ein<br />
Gefühl der Entscheidungsfreiheit vermitteln. Spaß und allgemeine positive Emotionen<br />
sind folglich qualitativ unterschiedliche affektive Nutzenfacetten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>.<br />
210
Ein weiterer positiver Aspekt hoher <strong>Produktvielfalt</strong> wurde durch die Hypothese des<br />
Informationsdefizits aufgezeigt (siehe Kapitel 2.2.1.1, S. 69). Demnach haben<br />
Konsumenten bei einem großen Sortiment eine bessere Informationsbasis für die<br />
Entscheidung als bei einem kleinen und sind folglich eher bereit, sich für den Kauf zu<br />
entscheiden. Gleichzeitig erreichen sie durch ihre bessere Informiertheit eine höhere<br />
Entscheidungsqualität. Demzufolge erhöhen die Informationsmöglichkeiten hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> die Kaufintention des Konsumenten und, aufgrund der höheren<br />
Qualität der Entscheidung, vermutlich auch die Zufriedenheit mit dem gekauften<br />
Produkt. Die Informationsmöglichkeiten stellen folglich einen weiteren wichtigen<br />
Nutzenaspekt hoher <strong>Produktvielfalt</strong> dar.<br />
Insgesamt können damit aus den theoretischen Ausführungen fünf Facetten des<br />
Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> abgeleitet werden. Sie beinhalten sowohl kognitive als<br />
auch affektive Aspekte:<br />
• Antizipierter Produktnutzen (kognitiv)<br />
• Erfolgsaussichten (kognitiv)<br />
• Spaß (am Einkaufen) (affektiv)<br />
• Positive Emotionen und (affektiv)<br />
• Informationsmöglichkeiten (kognitiv)<br />
Diese fünf Facetten werden aufgrund ihrer weitgehenden Eigenständigkeit als<br />
Faktoren des Nutzenkonstrukts definiert. Eine weitere Untergliederung der fünf<br />
Faktoren scheint nicht sinnvoll.<br />
<strong>Der</strong> Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> werden folglich als eindimensionales Konstrukt<br />
mit fünf Faktoren konzeptualisiert.<br />
3.2.1.2 Konzeptualisierung der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Analog zu den Nutzenfacetten können, wie in Abbildung 40 (S. 177) verdeutlicht, aus<br />
dem theoretischen Bezugsrahmen auch die verschiedenen Aspekte der Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> abgeleitet werden:<br />
Die Cost of Thinking haben verdeutlich, dass hohe <strong>Produktvielfalt</strong> für den<br />
Konsumenten mit hohem Aufwand bei der Entscheidungsfindung verbunden ist.<br />
Dieser muss, um zu einer Entscheidung zu kommen, bei vielen verfügbaren<br />
Alternativen eine große Menge an Informationen verarbeiten. Die Informations-<br />
211
verarbeitung ist für ihn mit zeitlichem und kognitivem Aufwand verbunden und<br />
erfordert entsprechende Anstrengungen.<br />
Wie die Konflikt-Theorie gezeigt hat, können in einer Entscheidungssituation negative<br />
Emotionen entstehen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn mehrere gleich<br />
attraktive Alternativen zur Wahl stehen und die Entscheidung vom Konsumenten<br />
aufgrund wechselseitig positiver und negativer Eigenschaften der Alternativen einen<br />
Kompromiss verlangt. Diese Emotionen entstehen direkt im Entscheidungsprozess,<br />
weshalb sie als „process emotions“ (Hastie 2000, S. 21) bezeichnet werden.<br />
Durch die Ausführungen zum antizipierten Regret wurde aufgezeigt, dass<br />
Konsumenten Emotionen, die erst nach der Kaufentscheidung entstehen, mittels<br />
geistiger Simulation des Nachkaufzustands vorwegnehmen und in die Kaufentscheidung<br />
einbeziehen können. Anderson (2003) bezeichnet diese Art der Emotionen<br />
deshalb als Anticipatory (vorwegnehmende) oder Anticipated Amotions<br />
(vorweggenommene, vorausgesehene) (S. 141ff.). Antizipiertes Regret ist folglich <strong>von</strong><br />
den negativen Prozessemotionen zu unterscheiden und beschreibt eine eigene Facette<br />
der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>.<br />
Auch die drei in Kapitel 2.2 (S. 68ff.) dargestellten grundlegenden theoretischen<br />
Perspektiven zum Umgang <strong>von</strong> Konsumenten mit <strong>Produktvielfalt</strong> haben verschiedene<br />
Facetten der KPV aufgezeigt: So hat die Hypothese <strong>von</strong> der Informationsüberlastung<br />
Hinweise dafür gegeben, dass hohe Vielfalt für Entscheider mit kognitivem Aufwand<br />
verbunden ist und zu dessen Überforderung führen kann. Erkennt der Konsument<br />
seine eigene Überforderung, begünstigt dies die gleichzeitige Entstehung negativer<br />
Emotionen wie Verwirrtheit und Frustration. Ähnlich wurde durch die Theorie des<br />
Optimum <strong>St</strong>imulation Level die Entstehung eines „inneren Spannungszustandes“ bei<br />
zu hoher <strong>St</strong>imulation, sprich zu hoher <strong>Produktvielfalt</strong>, begründet. <strong>Der</strong> Tyranny of<br />
Freedom hat schließlich ebenfalls die Überforderung und Entstehung <strong>von</strong><br />
antizipiertem Regret als Ursache für die zunehmend negative Wirkung übermäßig<br />
hoher <strong>Produktvielfalt</strong> genannt.<br />
212
Insgesamt können damit aus den theoretischen Ausführungen drei Facetten der<br />
Kosten hoher <strong>Produktvielfalt</strong> abgeleitet werden:<br />
• Aufwand und Anstrengung (kognitiv)<br />
• Negative Emotionen/Verwirrung und Frustration (affektiv) und<br />
• Antizipiertes Regret (affektiv)<br />
Die verschiedenen Facetten der KPV decken sowohl kognitive als auch affektive<br />
Negativaspekte hoher <strong>Produktvielfalt</strong> ab. Da die drei Facetten weitgehend<br />
überschneidungsfrei sind und sich inhaltlich und konzeptionell <strong>von</strong>einander<br />
unterscheiden, werden sie jeweils als ein Faktor der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
betrachtet.<br />
Die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> werden somit insgesamt als eindimensionales<br />
Konstrukt mit drei Faktoren konzeptualisiert.<br />
Zusammenfassung<br />
Abbildung 49 zeigt die Gesamtstruktur des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und die<br />
Faktorstrukturen der Kosten- und Nutzendimension zusammen mit den theoretischen<br />
Bezugspunkten, die den jeweiligen Faktor inhaltlich erklären. Die Faktoren der<br />
Kostendimension werden hierbei hauptsächlich <strong>von</strong> den drei Theorien Cost of<br />
Thinking, Konflikt-Theorie und Antizipiertes Regret begründet. Liegt die Vielfalt über<br />
dem „Optimum“ des Konsumenten, erhöhen die in „zweiter Reihe“ angeführten<br />
theoretischen Konzepte die Bedeutung einzelner Kostenfaktoren zusätzlich.<br />
213
Dimensionen<br />
Nutzen<br />
<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Kosten<br />
Faktoren<br />
NPV<br />
KPV<br />
Antizipierter<br />
Produktnutzen<br />
kognitiv affektiv kognitiv affektiv<br />
Erfolgsaussichten<br />
Informationsmöglichkeiten<br />
Spaß<br />
Positive<br />
Emotionen<br />
Aufwand und<br />
Anstrengung<br />
Negative Emotionen/<br />
Verwirrung und<br />
Frustration<br />
Antizipiertes<br />
Regret<br />
AP EA IM Sp PE<br />
AA VF AR<br />
Nutzenerwartungswerttheorie<br />
Hypothese vom<br />
Informationsdefizit<br />
Hedonic<br />
Shopping<br />
Value<br />
Cost of<br />
Thinking<br />
Konflikt-<br />
Theorie<br />
Antizipiertes<br />
Regret<br />
Theorien und theoretische Konzepte<br />
Hypothese der<br />
Informationüberlastung<br />
Tyranny of<br />
Freedom<br />
Optimum<br />
<strong>St</strong>imulation<br />
Level<br />
Abbildung 49: Konzeptualisierung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und seiner Dimensionen mit den<br />
jeweils zugrunde liegenden theoretischen Bezugspunkten<br />
Die Verschiedenartigkeit der Faktoren der jeweiligen Dimension deutet bereits auf die<br />
formative Beziehung zwischen den Faktoren und der zugehörigen Dimension hin. In<br />
der Abbildung ist dies durch die gestrichelten Pfeile zwischen den Faktoren und dem<br />
Gesamtkonstrukt angedeutet. Im Rahmen der Operationalisierung wird die<br />
Kausalitätsrichtung sowohl auf Faktor- als auch auf Dimensionsebene noch<br />
ausführlicher diskutiert (siehe Kapitel 3.2.2.4, S. 226).<br />
<strong>Der</strong> nächste Abschnitt beschreibt die Operationalisierung der Dimensionen, die im<br />
Wesentlichen die Generierung der Indikatoren der Faktoren zum Inhalt hat.<br />
3.2.2 Operationalisierung<br />
3.2.2.1 Vorgehensweise und Quellen zur Generierung der Indikatoren<br />
Da es sich beim <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und seinen Dimensionen um bisher in dieser<br />
Form in der Literatur nicht existierende Konstrukte handelt, kann nicht auf etablierte<br />
Skalen oder Indizes zurückgegriffen werden. Die Indikatoren zur Messung der<br />
einzelnen Faktoren müssen deshalb neu generiert werden. Hierfür wurden durch die<br />
Verwendung <strong>von</strong> drei Arten an Quellen verschiedene Forschungsmethoden<br />
214
(Triangulation) kombiniert, um eine breite Abdeckung der Konstruktinhalte<br />
sicherzustellen (vgl. Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 17): Als Quellen dienten<br />
1. Literaturrecherche<br />
2. Experteninterviews<br />
3. Kundeninterviews.<br />
Im Rahmen einer intensiven Literaturrecherche konnten einige Indikatoren zu<br />
bestimmten Faktoren aus empirischen Untersuchungen zu den in Kapitel 2<br />
beschriebenen Theorien entnommen werden. Diese wurden um Items ergänzt, die aus<br />
verschiedenen Literaturquellen zu der jeweiligen Theorie entnommen oder aus<br />
theoretischen Überlegungen abgeleitet wurden.<br />
Um die theoriebasierte Itemliste zu erweitern, wurden Interviews mit Experten und<br />
Kunden geführt. Diese qualitative Forschungsmethode gewährleistet, dass alle aus<br />
Unternehmens- und Konsumentensicht wesentlichen Aspekte <strong>von</strong> Kosten und Nutzen<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> im Messinstrument berücksichtigt werden. Insgesamt wurden acht<br />
Experten und 25 Kunden befragt. Vier der Experten kommen aus dem Umfeld des<br />
kooperierenden Handelsunternehmens, die anderen vier sind Unternehmensberater, die<br />
sich schwerpunktmäßig mit Handelsmarketing beschäftigen.<br />
Beide Personengruppen wurden nach den aus ihrer Sicht wesentlichen positiven und<br />
negativen Aspekten hoher Vielfalt und geringer Vielfalt gefragt. Kehrt man letztere<br />
um, erhält man wiederum positive und negative Aspekte hoher Vielfalt. Durch diese<br />
Art der Befragung können auch Aspekte identifiziert werden, die nicht als positiv<br />
empfunden werden, so lange sie vorhanden sind, aber als negativ wahrgenommen<br />
werden, wenn sie fehlen. Ein Beispiel hierfür ist das Gefühl eines Konsumenten, dass<br />
es in anderen Geschäften bessere Angebote gibt, wenn er sich in einem Geschäft mit<br />
relativ geringer Vielfalt befindet. Bei Aspekten, die <strong>von</strong> Experten oder Konsumenten<br />
genannt, auf Basis theoretischer Überlegungen aber noch keine Berücksichtigung<br />
fanden, wurde nach der Begründung für diesen Aspekt gefragt. Die Konsumenten<br />
wurden im Rahmen der Interviews erst angesprochen, nachdem sie sich entscheiden<br />
haben, ob sie ein Produkt kaufen oder nicht, so dass sie zusätzlich nach den Gründen<br />
für ihre Kaufentscheidung gefragt werden konnten.<br />
Zur Auswertung der aufgezeichneten Experten- und Kundeninterviews wurden die<br />
genannten Aspekte zunächst den acht Faktoren der KNPV zugeordnet und<br />
anschließend pro Faktor kategorisiert. Bis auf zwei Aspekte (Beratungs- und<br />
Informationsbedarf), die nicht einem der Faktoren zuzuordnen waren, konnten alle<br />
215
genannten Punkte jeweils einem Faktor zugeordnet werden. Die beiden Aspekte<br />
werden indirekt über den Entscheidungsausgang (Informationsbedarf) und die<br />
Berücksichtigung der Beratungszufriedenheit in einem erweiterten Modell (siehe<br />
S. 343ff.) in die Untersuchung einbezogen.<br />
Wie in Abbildung 50 zu erkennen ist, nannten Konsumenten die Vergleichsmöglichkeiten,<br />
die empfundene Entscheidungsfreiheit und die allgemeine<br />
Bedürfniserfüllung, sowie die Chance, ein Produkt mit optimalem Preis-Leistungs-<br />
Verhältnis zu finden, als häufigste Nutzenaspekte großer Sortimente. Die<br />
meistgenannten Kostenaspekte waren die Dauer und Anstrengung der Entscheidungsfindung,<br />
die Schwierigkeit des Produktvergleichs sowie die Unsicherheit über die<br />
Richtigkeit der Entscheidung und das Gefühl der Überforderung.<br />
Häufigkeit<br />
Nennung Antizipierter<br />
Produktnutzen<br />
18<br />
Nutzendimension<br />
Erfolgsaussichten<br />
Informationsmöglichkeiten<br />
Spaß<br />
Positive<br />
Emotionen<br />
Aufwand und<br />
Anstrengung<br />
Kostendimension<br />
Negative<br />
Emotionen<br />
Antizipiertes<br />
Regret<br />
16<br />
14<br />
AP EA Sp PE<br />
IM AA 16 VF AR<br />
15<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
6<br />
6<br />
5<br />
8 8<br />
7<br />
8<br />
2<br />
0<br />
3<br />
3 3<br />
2<br />
3<br />
2 2<br />
1<br />
1<br />
3<br />
1<br />
3<br />
2<br />
.Bedürfniserfüllung algem<br />
Bedürfniserfüllung Design<br />
Produktkauf mit optimalem<br />
.Preis-Leistungs Verh<br />
Hohe Kaufchancen<br />
Keine besseren Prod. in<br />
anderen Geschäften<br />
Info über neue Attribute<br />
.Erkennen entsch.rel<br />
Attribute<br />
Marktübersicht<br />
Vergleichsmöglichkeiten<br />
Spass am Schauen<br />
Spass am Testen/Anfassen<br />
Entscheidungsfreiheit<br />
Inspiration<br />
Optimismus/guter Deal<br />
Schwierigkeit Vergleich<br />
Dauer/Aufwand<br />
Komplexität<br />
Frustration<br />
Überforderung<br />
Verwirrung<br />
Bedauern/Fehlentscheidung<br />
Un)Sicherheit)<br />
Abbildung 50: Ergebnisse der qualitativen Konsumentenbefragung<br />
Die aus der Literaturrecherche und den Experten- und Konsumenteninterviews<br />
entstandene „Long-list“ an Indikatoren wurde schließlich pro Faktor nochmals<br />
kategorisiert und <strong>von</strong> Redundanzen befreit. So ist eine Sammlung an Indikatoren<br />
entstanden, die sowohl auf Erkenntnissen der Theorie, als auch auf Meinungen und<br />
Wahrnehmungen <strong>von</strong> Experten und Konsumenten beruht. Dieses Ausgangs-<br />
Messinstrument wird im Anschluss konstruktweise beschrieben.<br />
216
3.2.2.2 Operationalisierung des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Die nachfolgend dargestellten Indikatoren bzw. Fragen des verwendeten Fragebogens<br />
beziehen sich auf die Produktkategorie Digitalkameras. Die Itembatterie der zweiten<br />
in der empirischen Untersuchung einbezogenen Produktart (DVD-Player und<br />
DVD-Recorder) soll an dieser <strong>St</strong>elle nicht zusätzlich aufgeführt werden.<br />
Antizipierter Produktnutzen<br />
Die Indikatoren zur Messung des antizipierten Produktnutzens lehnen sich inhaltlich<br />
an eine Skala <strong>von</strong> Kahn und Wansink (2004, S. 531) an, die die Autoren im Kontext<br />
<strong>von</strong> Süßigkeitenkäufen verwendeten. Die Itembatterie wurde auf die hier betrachtete<br />
Kategorie der echten Kaufentscheidungen und den empirischen Rahmen des<br />
Digitalkamerakaufs angepasst. Da die rationale Entscheidungstheorie da<strong>von</strong> ausgeht,<br />
dass der Konsument das Produkt mit dem für ihn höchsten Nutzen kauft, wird nicht<br />
nach dem durchschnittlichen, sondern dem maximalen Nutzen gefragt. Die Fragen<br />
sind deshalb so formuliert, dass das Sortiment mindestens eine Digitalkamera<br />
enthält, welche die jeweilige Nutzensausprägung erfüllt.<br />
<strong>Der</strong> Faktor antizipierter Nutzen manifestiert sich in verschiedenen Aspekten, <strong>von</strong><br />
denen folgende in dieser Untersuchung relevant sind:<br />
• Die antizipierte Erfüllung des kaufauslösenden Bedürfnisses durch das<br />
Produkt (kognitiv),<br />
• die antizipierte Freude (affektiv),<br />
• der antizipierte funktionale Nutzen (kognitiv) und<br />
• die antizipierte Zufriedenheit (kognitiv und affektiv).<br />
<strong>Der</strong> antizipierte Nutzen kommt sowohl in kognitiven als auch affektiven Aspekten<br />
zum Ausdruck. Bis auf den funktionalen Nutzenaspekt, der <strong>von</strong> Experten als<br />
bedeutsam für den Kauf <strong>von</strong> Elektronikprodukten genannt wurde, finden sich die<br />
Inhalte auch in der Skala <strong>von</strong> Kahn und Wansink (2004). Von Konsumenten wurde in<br />
den Interviews die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse hinsichtlich wünschenswerter<br />
Produkteigenschaften besonders häufig angeführt. <strong>Der</strong> Indikator AnUt1 bildet diesen<br />
Aspekt mit ab.<br />
Tabelle 7 stellt die Indikatoren des Faktors antizipierter Produktnutzen dar.<br />
217
Bezeichnung Item Inhalt Quelle<br />
AnUt1<br />
Das Sortiment enthält mindestens eine<br />
Digitalkamera, die meine Bedürfnisse optimal<br />
erfüllt und genau die Eigenschaften hat, die ich<br />
mir wünsche.<br />
Bedürfnisserfüllung<br />
und wünschenswerte<br />
Eigenschaften<br />
In Anlehnung an<br />
Kahn/Wansink 2004,<br />
S. 531<br />
AnUt2<br />
Das Sortiment enthält mindestens eine<br />
Digitalkamera, die mir viel Freude bereiten<br />
wird.<br />
Antizipierte Freude<br />
AnUt3<br />
Das Sortiment enthält mindestens eine<br />
Digitalkamera, die mir viel nützen wird.<br />
Antizipierter<br />
funktionaler Nutzen<br />
Experteninterviews<br />
AnUt4<br />
Das Sortiment enthält mindestens eine<br />
Digitalkamera, mit der ich sehr zufrieden sein<br />
werde.<br />
Antizipierte<br />
Zufriedenheit<br />
In Anlehnung an<br />
Kahn/Wansink 2004,<br />
S. 531<br />
Tabelle 7:<br />
Indikatoren des Nutzen-Faktors „Antizipierter Produktnutzen“<br />
Erfolgsaussichten<br />
<strong>Der</strong> Faktor Erfolgsaussichten beschreibt, wie der Name schon sagt, die Chance des<br />
Konsumenten, die Transaktion durch den Kauf eines Produkts erfolgreich zu beenden.<br />
Wie die Konsumenteninterviews gezeigt haben, manifestieren sich diese vor allem im<br />
Finden eines Produkts mit möglichst gutem Preis-Leistungs-Verhältnis. Dieser<br />
Argumentation folgen auch Wright und Barbour (1975), die argumentieren, dass ein<br />
Konsumtent „(…) may intuitively realize (…) that a larger pool (of alternatives)<br />
increases his chance for an optimal choice (…)” (Wright/Barbour 1975, S. 248). Das<br />
Item Erfolg1 bildet diesen Aspekt ab. Die Erfolgsaussicht, d. h. die Möglichkeit, ein<br />
Produkt zu finden, das den eigenen Vorstellungen entspricht, ist eine weitere<br />
Ausdrucksmöglichkeit des Faktorinhalts, der durch Erfolg2 abgebildet wird. Dieses<br />
Item basiert auf der Argumentation <strong>von</strong> Hocht et al. (1999): „Greater variety and<br />
larger assortments increase the probability of a perfect match”<br />
(Hoch/Bradlow/Wansink 1999, S. 528). Eines der Hauptargumente des Handels für<br />
große Sortimente kommt in der letzten Frage zum Ausdruck: Demnach hat ein<br />
Konsument, der sich einem großen Sortiment gegenüber sieht, nicht das Gefühl, ein<br />
besseres Angebot eines anderen Geschäfts zu verpassen. Er hat folglich geringere<br />
„Opportunitätskosten“. Dhar (1997a, S. 216) spricht in diesem Zusammenhang vom<br />
erwarteten Nutzen der Produktsuche. Er argumentiert, dass ein Konsument dann in<br />
anderen Geschäften nach weiteren Alternativen sucht, „when (...he) expects to find<br />
better alternatives by continuing to search“ (S. 216). Die Opportunitätskosten können<br />
218
demnach als erwarteter Produktnutzen der durch die Weitersuche gefundenen<br />
Alternativen interpretiert werden.<br />
<strong>Der</strong> Faktor Erfolgsaussichten wird insgesamt durch die drei in Tabelle 8<br />
beschriebenen Indikatoren gemessen.<br />
Bezeichnung Item Inhalt Quelle<br />
Erfolg1<br />
Hier kann ich eine Digitalkamera mit<br />
dem optimalen Preis-Leistungs<br />
Verhältnis finden.<br />
Erfolg hinsichtlich<br />
Preis-Leistung<br />
In Anlehnung an<br />
Wright/Barbour 1975, S. 248;<br />
Experten- und<br />
Kundeninterviews<br />
Erfolg2<br />
Ich kann hier wahrscheinlich nicht<br />
finden, was ich suche, und muss<br />
deshalb noch in weitere Geschäfte<br />
gehen. (Invers)<br />
Übereinstimmung mit<br />
eigenen<br />
Vorstellungen<br />
Experten- und<br />
Kundeninterviews<br />
Erfolg3<br />
In anderen Geschäften gibt es bestimmt<br />
noch bessere Digitalkameras und<br />
Angebote. (Invers)<br />
Vermiedene<br />
Opportunität<br />
In Anlehnung an<br />
Dhar (1997a, S. 216) ;<br />
Experten- und<br />
Kundeninterviews<br />
Tabelle 8:<br />
Indikatoren des Nutzen-Faktors „Erfolgsaussichten“<br />
Informationsmöglichkeiten<br />
Dieser Faktor wird durch insgesamt sechs Items gemessen, die vornehmlich auf<br />
verschiedenen Literaturquellen basieren (siehe Tabelle 9). Demnach bestehen die<br />
Informationsmöglichkeiten durch hohe <strong>Produktvielfalt</strong> darin, dass sich Konsumenten<br />
einen Überblick über die am Markt verfügbaren Produkte verschaffen können (Info1),<br />
sich direkt vor Ort auf Basis des Sortiments informieren können und hierfür (Info2)<br />
und sie aufgrund der verfügbaren Informationen eine gute Grundlage für die<br />
Entscheidung haben (Info 3). Weiterhin kommen die Möglichkeiten zur<br />
Informationsgewinnung dadurch zum Ausdruck, dass (potenzielle) Kunden die<br />
entscheidungsrelevanten Produktattribute erkennen bzw. lernen können (Info4) und<br />
sich über Marktneuheiten informieren können (Info5). <strong>Der</strong> Indikator Info6 bezieht sich<br />
schließlich auf die Möglichkeit, aufgrund der großen Vielfalt, Produkte, Marken und<br />
Preise miteinander vergleichen zu können. Dies war der <strong>von</strong> Konsumenten in der<br />
qualitativen Befragung am häufigsten genannte positive Aspekt hoher <strong>Produktvielfalt</strong>.<br />
In nachfolgender Tabelle ist die Itembatterie des Faktors zusammengefasst.<br />
219
Bezeichnung Item Inhalt Quelle<br />
Info1<br />
Ich bekomme durch das Sortiment einen<br />
guten Überblick über verschiedene<br />
Produkte, Marken und Preise.<br />
Marktüberblick<br />
In Anlehnung an<br />
Babin/Darden/Griffin<br />
1994, S. 646<br />
Info2<br />
Ich kann mich hier gut informieren und<br />
spare mir den Weg in andere Geschäfte.<br />
Informationsmöglichkeiten<br />
und reduzierter Aufwand<br />
Experten- und<br />
Kundeninterviews<br />
Info3<br />
Das Sortiment bietet mir alle<br />
Informationen, die ich für eine gute<br />
Entscheidung brauche.<br />
Schaffung einer guten<br />
Entscheidungsbasis<br />
In Anlehnung an<br />
Huffmann/Kahn<br />
1998, S. 510<br />
Info4<br />
Durch die verschiedenen Produkte kann<br />
ich feststellen, auf welche<br />
Produkteigenschaften ich beim Kauf<br />
besonders achten muss.<br />
Identifikation<br />
entscheidungsrelevanter<br />
Produktattribute<br />
In Anlehnung an<br />
Walsh 2002, S. 203<br />
Info5<br />
Ich kann mich durch das Sortiment über<br />
Neuheiten am Markt informieren.<br />
Informationen über<br />
Neuheiten am Markt<br />
In Anlehnung an<br />
Arnold/Reynolds<br />
2003, S. 80<br />
Info6<br />
Die Vielfalt an Digitalkameras gibt mir<br />
die Möglichkeit, Preise und Produkte zu<br />
vergleichen.<br />
Vergleichsmöglichkeiten<br />
Experten- und<br />
Kundeninterviews<br />
Tabelle 9:<br />
Indikatoren des Nutzen-Faktors „Informationsmöglichkeiten“<br />
Spaß (am Einkauf)<br />
<strong>Der</strong> Nutzenfaktor Spaß wird anhand <strong>von</strong> vier Indikatorvariablen gemessen (siehe<br />
Tabelle 10). Das Item Spaß1 geht auf Argumente <strong>von</strong> Arnold und Reynolds (2003,<br />
S. 80) zurück, wonach Konsumenten Spaß daran haben, Neues über Produkte zu<br />
erfahren. Dies ist konform mit den Personal Shopping Motives <strong>von</strong> Taubner (1972)<br />
und empirischen Erkenntnissen <strong>von</strong> Bloch, Sherrell und Ridgway (1986, S. 125): Die<br />
drei Autoren konnten zeigen, dass Konsumenten fortlaufend und unabhängig <strong>von</strong><br />
Kaufabsichten Informationen zu Produkten sammeln und Wissen über sie erwerben,<br />
weil sie daran Spaß haben und dadurch positive Emotionen empfinden. Das Item<br />
Spaß3 bildet einen ähnlichen Aspekt ab wie das erste Item, betont hierbei aber stärker<br />
den Neuheitsaspekt. <strong>Der</strong> Indikator Spaß2 geht auf die Argumentation <strong>von</strong> Desmeules<br />
(2002, S. 8) zurück, wonach Konsumenten Spaß daran haben, sich vorzustellen, eines<br />
der verfügbaren Produkte zu besitzen. Bei großen Sortimenten gibt es hierfür mehr<br />
Möglichkeiten als bei kleinen, weshalb diese Variable den Spaßfaktor großer<br />
Sortimente zum Ausdruck bringen kann. Ein weiterer in den Konsumenteninterviews<br />
genannter und auch <strong>von</strong> Punj und <strong>St</strong>aelin (1983) angeführter Aspekt dieses Faktors ist<br />
die Möglichkeit, verschiedene Produkte anschauen, anfassen und ausprobieren zu<br />
können: „Consumers get pleasure (benefit) from trying out numerous brands within a<br />
220
product class or from seeking out information about them“ (Punj/<strong>St</strong>aelin 1983,<br />
S. 368f.). Das Item Spaß4 misst diesen Aspekt.<br />
Bezeichnung Item Inhalt Quelle<br />
Spaß1<br />
Spaß2<br />
Spaß3<br />
Spaß4<br />
Tabelle 10:<br />
Es macht mir Spaß, hier während des<br />
Einkaufens mehr über Digitalkameras<br />
zu erfahren.<br />
Es macht mir Spaß, mir vorzustellen,<br />
eine der verschiedenen Kameras des<br />
Sortiments zu besitzen.<br />
Es macht mir Spaß, hier neue<br />
Digitalkameras und Eigenschaften<br />
<strong>von</strong> Digitalkameras zu entdecken.<br />
Es macht mir Spaß, hier die<br />
verschiedenen Digitalkameras<br />
anschauen, anfassen und ausprobieren<br />
zu können.<br />
Spaß durch Lernen<br />
Spaß durch<br />
Vorstellung/Phantasie<br />
Spaß durch Entdecken <strong>von</strong><br />
Neuem<br />
Spaß durch „Touch and<br />
Feel“<br />
Indikatoren des Nutzen-Faktors „Spaß (am Einkauf)“<br />
In Anlehnung an<br />
Arnold/Reynolds 2003,<br />
S. 80<br />
In Anlehnung an<br />
Desmeules 2002, S. 8<br />
In Anlehnung an<br />
Babin/Darden/Griffin<br />
1994, S. 649;<br />
Chandon/Wansink/Laurent<br />
2000, S. 69<br />
In Anlehnung an<br />
Punj/<strong>St</strong>aelin 1983,<br />
S. 368f.;<br />
Konsumenteninterviews<br />
Positive Emotionen<br />
<strong>Der</strong> Faktor positive Emotionen wird durch eine Batterie <strong>von</strong> sieben Items<br />
operationalisiert (siehe Tabelle 11). Bei der Generierung der Indikatoren ist zu<br />
beachten, dass ein weites Spektrum <strong>von</strong> Emotionen, die im Kontext <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> entstehen können, in der Skala zum Ausdruck kommt. Fünf der sieben<br />
Indikatoren stammen deshalb aus existierenden Emotionsskalen aus dem<br />
Konsumkontext. Die Items PoEm1, PoEm2 und PoEm4 basieren auf dem<br />
Consumption Emotions Set (CES) <strong>von</strong> Richins (1997) und PoEm5 sowie PoEm7 aus<br />
der <strong>von</strong> Mano und Oliver 1993 (S. 649) entwickelten Skala. Ergänzt werden diese<br />
Items durch die auf Iyengar und Lepper (2002, S. 72ff.) und Reibstein et al. (1975,<br />
S. 435) zurückgehende empfundene Entscheidungsfreiheit (PoEm3) und die schon im<br />
Zusammenhang mit der Informationsgewinnung erwähnten positiven Emotionen durch<br />
neue Erfahrungen (PoEm6).<br />
221
Bezeichnung Item Inhalt Quelle<br />
PoEm1<br />
Das Digitalkamerasortiment ist<br />
ansprechend.<br />
Sortimentsanmutung<br />
Consumption Emotions Set<br />
(CES) (Richins 1997,<br />
S. 127ff.) 35<br />
PoEm2<br />
Das Digitalkamerasortiment ist<br />
aufregend.<br />
Excitement/Reiz<br />
Consumption Emotions Set<br />
(CES) (Richins 1997,<br />
S. 127ff.)<br />
PoEm3<br />
Das Digitalkamerasortiment gibt mir<br />
das Gefühl, selbst bestimmen zu<br />
können, was ich kaufen will.<br />
Entscheidungsfreiheit/<br />
Selbstbestimmtheit<br />
In Anlehnung an<br />
Iyengar/Lepper 2002,<br />
S. 72ff.;<br />
Reibstein/Youngblood/<br />
Fromkin 1975, S. 435<br />
PoEm4<br />
Das Digitalkamerasortiment stimmt<br />
mich optimistisch.<br />
Optimismus<br />
Consumption Emotions Set<br />
(CES) (Richins 1997,<br />
S. 127ff.)<br />
PoEm5<br />
Das Digitalkamerasortiment langweilt<br />
mich.<br />
Unterhaltung<br />
In Anlehung an<br />
Babin/Attaway 2000, S. 94;<br />
Mano/Oliver 1993, S. 456<br />
PoEm6<br />
Das Digitalkamerasortiment bietet mir<br />
neue interessante Erfahrungen.<br />
Neue Erfahrungen<br />
In Anlehnung an<br />
Babin/Darden/Griffin 1994,<br />
S. 649<br />
PoEm7<br />
Das Digitalkamerasortiment inspiriert<br />
mich.<br />
(Kauf)Inspiration<br />
In Anlehnung an<br />
Mano/Oliver 1993, S. 456<br />
Tabelle 11:<br />
Indikatoren des Nutzen-Faktors „Positive Emotionen“<br />
Damit sind alle Faktoren des Nutzenkonstrukts mittels geeigneter Fragen<br />
operationalisiert. <strong>Der</strong> nächste Abschnitt beschreibt die Operationalisierung der Kosten<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>.<br />
3.2.2.3 Operationalisierung der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Aufwand und Anstrengung<br />
<strong>Der</strong> erste Faktor der Kostendimension wird durch sechs Indikatoren gemessen (siehe<br />
Tabelle 12). Die Dauer und der Aufwand der Entscheidung wurden <strong>von</strong> Konsumenten<br />
am häufigsten als negative Aspekte hoher <strong>Produktvielfalt</strong> genannt (siehe Abbildung<br />
50, S. 216). Dieser auch <strong>von</strong> Loewenstein (1999, S. 2) angeführte Negativaspekt wird<br />
durch das Item Aufw1 erfasst. <strong>Der</strong> Autor argumentierte, dass sich der Entscheidungsaufwand<br />
bei großer Vielfalt auch im hohen Zeitaufwand niederschlägt, der mittels<br />
35 In: Bearden/Netemeyer/Mobley, M. F. (1999): Handbook of marketing scales, S. 236ff.<br />
222
Aufw3 gemessen wird. Angela Hausman (1996, S. 345f.) hat den Aufwand bei der<br />
Entscheidung zum einen global („I put forth a great deal of effort making this<br />
decision“) und zum anderen in Bezug auf die kognitive Anstrengung („I thought very<br />
hard about which product I chose“) gemessen. Die Indikatoren Aufw2 und Aufw4<br />
entsprechen diesen zwei Gesichtspunkten. Neben der empfundenen Anstrengung und<br />
Mühe (Aufw6) ist auch die wahrgenommene Komplexität bzw. Schwierigkeit (Aufw5)<br />
ein Maß für den durch Vielfalt verursachten Entscheidungsaufwand.<br />
Bezeichnung Item Inhalt Quelle<br />
Aufw1<br />
Aufw2<br />
Aufw3<br />
Aufw4<br />
Ich muss viel Zeit und Energie in die<br />
Entscheidung investieren, welche die<br />
beste Digitalkamera für mich ist.<br />
Insgesamt ist die Entscheidung mit<br />
großem Aufwand verbunden.<br />
Es dauert lange, die richtige<br />
Digitalkamera zu finden.<br />
Ich muss viel nachdenken, um die<br />
richtige Entscheidung zu treffen.<br />
Zeit- und<br />
Energieaufwand<br />
Aufwand global<br />
Zeitaufwand<br />
Kognitiver<br />
Aufwand<br />
Aufw5 Die Entscheidung ist kompliziert. Schwierigkeit/<br />
Kompliziertheit<br />
Aufw6<br />
Ich finde die Entscheidung sehr mühsam<br />
und anstrengend.<br />
Mühe und<br />
Anstrengung<br />
In Anlehung an Loewenstein<br />
1999, S. 2<br />
Konsumenteninterviews<br />
In Anlehnung an Hausman<br />
1996, S. 345f.<br />
In Anlehung an Loewenstein<br />
1999, S. 2<br />
In Anlehnung an Hausman<br />
1996, S. 345f.<br />
In Anlehunge an<br />
Huffmann/Kahn 1998, S. 510;<br />
Laurent/Kapferer 1985 36<br />
Experteninterviews<br />
Tabelle 12:<br />
Indikatoren des Kosten-Faktors „Aufwand und Anstrengung“<br />
Negative Emotionen /Verwirrung und Frustration<br />
Wie auch beim Faktor positive Emotionen des Nutzenkonstrukts, wird bei der<br />
Operationalisierung der negativen Emotionen vornehmlich auf bestehende<br />
Emotionsskalen zurückgegriffen. In der Literatur werden mit hoher Vielfalt vor allem<br />
die Emotionen Verwirrung und Frustration in Zusammenhang gebracht (vgl.<br />
Huffmann/Kahn 1998, S. 510ff.; Klein/Yadav 1989, S. 414; Walsh 2002, S. 223ff.;<br />
Fitzsimons/Greenleaf/Lehmann 1997, S. 34ff.). <strong>Der</strong> Faktor negative Emotionen wird<br />
nachfolgend deshalb zur besseren Interpretierbarkeit als Verwirrung und Frustration<br />
bezeichnet. Durch die Indikatoren VerFr1, VerFr3, VerFr4, VerFr5 und VerFr6,<br />
werden diese beiden Emotionen in der Skala operationalisiert. Sie wurden in<br />
223
Anlehnung an das Consumer <strong>St</strong>yle Inventory (CSI) (vgl. Sproles/Kendal 1990), die<br />
<strong>St</strong>udie <strong>von</strong> Klein und Yadav (1989, S. 414), sowie der schon verwendeten CES<br />
(Richins 1997) formuliert. Auch Jacoby, Speller und Kohn (1974, S. 64) maßen bei<br />
ihrer Untersuchung zur Informationsüberlastung die empfundene Verwirrung der<br />
Befragungsteilnehmer (VerFr1). Aus den Interviews mit Kunden und Experten ging<br />
außerdem hervor, dass sich Konsumenten durch Vielfalt häufig überfordert fühlen.<br />
Das Item VerFr2 integriert diese Emotion in die Skala. Da Verwirrung und Frustration<br />
im Extremfall durch Entscheidungsangst zum Ausdruck kommen, wurde auch dieses<br />
Gefühl in die Operationalisierung des Faktors aufgenommen (VerFr7).<br />
Bezeichnung Item Inhalt Quelle<br />
VerFr1<br />
VerFr2<br />
VerFr3<br />
Die vielen Digitalkameras<br />
verwirren mich etwas.<br />
Ich fühle mich <strong>von</strong> der<br />
Entscheidung überfordert.<br />
Ich fühle mich<br />
durcheinander.<br />
Verwirrung<br />
Überforderung<br />
Verwirrung<br />
VerFr4 Ich fühle mich frustiert. Frustration<br />
VerFr5 Ich fühle mich genervt. Frustration<br />
In Anlehnung an Jacoby/<br />
Speller/Kohn 1974, S. 64;<br />
Consumer <strong>St</strong>yle Inventory (CSI)<br />
(Sproles/Kendal 1990) 37<br />
Konsumenten- und<br />
Experteninterviews<br />
In Anlehnung an<br />
Walsh 2002, S. 223;<br />
Klein/Yadav 1989, S. 414<br />
Consumption Emotions Set (CES)<br />
(Richins 1997, S. 127ff.) 38<br />
VerFr6 Ich fühle mich deprimiert. Frustration<br />
VerFr7<br />
Ich fürchte mich vor der<br />
Entscheidung.<br />
Angst<br />
Tabelle 13:<br />
Indikatoren des Kosten-Faktors „Verwirrung und Frustration“<br />
Antizipiertes Regret<br />
Bei diesem Faktor kann nur in geringem Maß auf etablierte Emotionsskalen<br />
zurückgegriffen werden, da antizipiertes Regret eine spezielle Emotionsform darstellt,<br />
die bisher in empirischen Untersuchungen wenig Beachtung fand. Es werden deshalb<br />
einzelne Aspekte des antizipierten Regrets aus verschiedenen Skalen übernommen und<br />
36 In: Bearden/Netemeyer/Mobley, M. F. (1999): Handbook of marketing scales, S. 180f.<br />
37 In: Bearden/Netemeyer/Mobley, M. F. (1999): Handbook of marketing scales, S. 260f.<br />
224
durch Ergebnisse der Konsumenten- und Experteninterviews ergänzt. Aus letzteren<br />
wurde der Indikator AnReg1 abgeleitet, der die Antizipation <strong>von</strong> Regret in einfacher<br />
Art und Weise umschreibt. Jacoby, Speller und Kohn (1974, S. 64) verwendeten eine<br />
ähnliche Frage, um das Empfinden <strong>von</strong> Regret während der Entscheidung zu messen.<br />
Gleiches gilt für das Item AnReg2, das mit der empfundenen Entscheidungsunsicherheit<br />
eine nahverwandte Emotion des antizipierten Regrets in die Skala<br />
einbezieht. Dieser Punkt wurde außerdem <strong>von</strong> Konsumenten häufig als negativer<br />
emotionaler Aspekt hoher Vielfalt genannt und findet sich auch im Consumer<br />
Involvement Profile (CIP) <strong>von</strong> Laurent und Kapferer (1985). Da Regret antizipiert und<br />
in den Entscheidungsprozess einbezogen wird, kann es sich auch in Form eines<br />
„unguten Gefühls“ bei der Entscheidung äußern, das durch AnReg3 abgebildet wird.<br />
Sweeney, Hausknecht und Soutar (2000, S. 281) führen dieses ungute Gefühl auf<br />
kognitive Dissonanzen während der Entscheidung zurück, die wiederum zu Regret<br />
bzw. antizipiertem Regret führen können (vgl. Seilheimer 2001, S. 41ff.). Das<br />
auftretende ungute Gefühl kann folglich Ausdruck antizipierten Regrets sein. Während<br />
durch die Indikatorvariable AnReg4 die Möglichkeit des Auftretens <strong>von</strong> Regret direkt<br />
erfragt wird, beschreibt die Variable AnReg6 eine Antezedenz <strong>von</strong> Regret. Hohe<br />
Erwartungen fördern die Entstehung <strong>von</strong> (antizipiertem) Regret (vgl. Desmeules<br />
2002, S. 10) und werden deshalb in die Skala einbezogen. Das Item AnReg5 integriert<br />
schließlich mit dem antizipierten Tadel eine Emotion, die auf dieselben<br />
Entstehungsprozesse wie das antizipierte Regret zurückzuführen ist und folglich einen<br />
Randaspekt hier<strong>von</strong> abdecken kann (vgl. Anderson 2003, S. 148ff.). Tabelle 14 stellt<br />
die verwendete Itembatterie dar.<br />
38 In: Bearden/Netemeyer/Mobley, M. F. (1999): Handbook of marketing scales, S. 236ff.<br />
225
Bezeichnung Item Inhalt Quelle<br />
AnReg1<br />
AnReg2<br />
AnReg3<br />
AnReg4<br />
AnReg5<br />
AnReg6<br />
Tabelle 14:<br />
Wenn ich später merke, dass ich mich<br />
besser für eine andere Digitalkamera<br />
entschieden hätte, bedauere ich meine<br />
Entscheidung schon jetzt.<br />
Während der Entscheidung war ich<br />
mir immer ganz sicher, die für mich<br />
beste Digitalkamera zu kaufen.<br />
(Invers)<br />
Ich habe bei der Entscheidung alles in<br />
allem ein ungutes Gefühl.<br />
Es kann durchaus sein, dass ich<br />
meinen Kauf später bereue.<br />
Für meine Entscheidung könnte ich<br />
<strong>von</strong> anderen kritisiert werden.<br />
Die Auswahl an Produkten weckt in<br />
mir die Erwartung, dass ich genau das<br />
Produkt finde, das ich suche.<br />
Bedauern bei<br />
Erkenntnis der<br />
Fehlentscheidung<br />
Entscheidungsunsich<br />
erheit<br />
Ungutes Gefühl<br />
(antizipiertes Regret)<br />
Mögliches Auftreten<br />
<strong>von</strong> Bedauern<br />
Antizipierter Tadel<br />
Hohe Erwartungen<br />
als Antezedenz <strong>von</strong><br />
antizipiertem Regret<br />
Indikatoren des Kosten-Faktors „Antizipiertes Regret“.<br />
In Anlehnung an<br />
Jacoby/Speller/Kohn 1974,<br />
S. 64;<br />
Konsumenten- und<br />
Experteninterviews<br />
In Anlehnung an<br />
Laurent/Kapferer 1985 39 ;<br />
Jacoby/Speller/Kohn 1974,<br />
S. 64; Konsumenteninterviews<br />
In Anlehungen an<br />
Sweeney/Hausknecht/Soutar<br />
2000, S. 281; 16/176;<br />
Feigs 1976, S. 24ff.<br />
In Anlehnung an<br />
Chatterjee/Heath 1996, S. 148f.<br />
In Anlehnung an<br />
Anderson 2003, S. 147ff.<br />
In Anlehnung an<br />
Desmeules 2002, S. 10<br />
Es sind damit für alle Faktoren der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> Itembatterien erstellt<br />
worden. Im nächsten Schritt ist nun festzulegen, ob die Messmodelle formativen oder<br />
reflektiven Charakter haben.<br />
3.2.2.4 Art der Messmodelle<br />
Die Dimensionsebene, d. h. die Beziehungen zwischen den Faktoren und der Nutzenbzw.<br />
Kostendimension wird, wie bereits angedeutet, formativ operationalisiert. Auf<br />
Faktorenebene kommen dagegen reflektive Messmodelle zur Anwendung. Die<br />
Begründung hierfür erfolgt nachfolgend getrennt für die beiden Ebenen anhand der auf<br />
Jarvis et al. (2003, S. 203) zurückgehenden, in Kapitel 3.1.2.3 beschriebenen und in<br />
Tabelle 6 (S. 205) zusammengefassten vier Kriterien<br />
• Richtung der Kausalität<br />
• Austauschbarkeit der Indikatoren<br />
• Kovariation zwischen den Indikatoren und<br />
• nomologisches Netz der Indikatoren.<br />
39 Teil des Consumer Involvement Profiles (CIP): Probability of Mispurchase; In:<br />
Bearden/Netemeyer/Mobley, M. F. (1999): Handbook of marketing scales, S. 180f.<br />
226
Begründung für ein formatives Messmodell auf Dimensionsebene<br />
Richtung der Kausalität zwischen Faktoren und der jeweiligen Dimension<br />
Die Faktoren der Kosten- und Nutzendimension wurden aus den in Kapitel 2<br />
dargestellten Theorien als verschiedene Facetten der jeweiligen Dimension abgeleitet.<br />
Sie stellen definierende Merkmale der Dimensionsebene dar, da jeder Faktor<br />
unterschiedliche Nutzen- bzw. Kostenaspekte beschreibt. Nimmt beispielsweise der<br />
<strong>Wert</strong> des Faktors Antizipiertes Regret zu, führt dies zur Erhöhung der<br />
(Entscheidungs)Kosten. Umgekehrt führt eine Veränderung auf Dimensionsebene<br />
nicht automatisch zur Veränderung aller Faktoren. So kann z. B. ein höherer Nutzen<br />
sowohl auf höhere Informationsmöglichkeiten als auch auf stärker ausgeprägte<br />
positive Emotionen zurückzuführen sein.<br />
Austauschbarkeit der Indikatoren bzw. Faktoren<br />
Bei der Verwendung eines reflektiven Messmodells müssen die Indikatoren der<br />
Faktoren austauschbar sein, d. h. denselben oder ähnlichen Inhalt haben. Gleiches gilt<br />
auf Konstruktebene für die Faktoren; diese sollten bei reflektiver Operationalisierung<br />
austauschbar sein. Da die Faktoren sowohl auf Kosten- als auch Nutzenseite jeweils<br />
unterschiedliche Inhalte darstellen, können die Faktoren nicht gegenseitig ausgetauscht<br />
werden. So unterscheiden sich beispielsweise die Faktoren der Nutzendimension<br />
antizipierter Produktnutzen und Spaß offensichtlich hinsichtlich ihres Inhalts. Würde<br />
ein Faktor eliminiert werden, würde dadurch der Inhalt der Dimension verändert<br />
werden. Eine reflektive Operationalisierung wäre deshalb inhaltlich falsch.<br />
Kovariation zwischen den Indikatoren bzw. Faktoren<br />
Wie bereits verdeutlicht, führt die Erhöhung eines Faktors nicht automatisch zur<br />
Erhöhung der anderen Faktoren; ferner sind diese nicht gegen einander austauschbar,<br />
was auf eine Kovariation der Faktoren hindeuten würde. Die Begründung dafür, dass<br />
die Faktoren des jeweiligen Konstrukts nicht, wie bei einem reflektiven Messmodell<br />
gefordert, kovariieren, liegt in erster Linie an ihren unterschiedlichen Inhalten. So<br />
führt eine Erhöhung des Faktors Antizipiertes Regret z. B. nicht automatisch zu<br />
erhöhtem Aufwand.<br />
227
Nomologisches Netz der Faktoren<br />
Bei einem formativen Messmodell müssen die Faktoren im Gegensatz zum reflektiven<br />
Modell nicht notwendigerweise auf dieselben Ursachen zurückzuführen sein. Da die<br />
Facetten <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus verschiedenen Theorien und<br />
theoretischen Konzepten abgeleitet wurden, haben sie folglich auch unterschiedliche<br />
Antezedenzien.<br />
Alle vier Kriterien zeigen, dass auf Dimensionsebene für beide Konstrukte – Nutzen<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> – ein formatives Messmodell<br />
inhaltlich begründet ist.<br />
Begründung für die Verwendung reflektiver Messmodelle auf Faktorenebene<br />
Richtung der Kausalität zwischen Indikatoren und dem jeweiligen Faktor<br />
Im Gegensatz zur Konstruktebene sind die Indikatoren Manifestationen des jeweiligen<br />
Faktors, d. h. die Kausalität verläuft vom Faktor zu den manifesten Variablen. Die<br />
Indikatorvariablen bringen hierbei unterschiedliche Äußerungsformen eines Faktors<br />
zum Ausdruck, weshalb sie sich inhaltlich leicht <strong>von</strong>einander entscheiden. Diese<br />
inhaltlichen Unterschiede könnten zunächst auf ein formatives Messmodell schließen<br />
lassen. Man kann dies widerlegen, indem man sich überlegt, wie sich eine<br />
Veränderung des Faktorwerts auf die zugehörigen Indikatoren auswirkt: Erhöht sich<br />
z. B. der <strong>Wert</strong> des antizipierten Produktnutzens, so führt dies dazu, dass der<br />
Konsument da<strong>von</strong> ausgeht, dass seine Bedürfnisse besser erfüllt werden (AnUt1), er<br />
mehr Freude am Produkt hat (AnUt2), die Digitalkamera ihm mehr nützt (AnUt3) und<br />
er mit ihr zufriedener ist (AnUt4). <strong>Der</strong> <strong>Wert</strong> aller vier Indikatoren würde folglich in<br />
ähnlicher Höhe zunehmen wie der des Konstrukts. Dies spricht für ein reflektives<br />
Messmodell. Durch ähnliche Überlegungen kommt man zum Schluss, dass bei allen<br />
betrachteten Faktoren die Kausalität vom Faktor zu den Indikatoren verläuft.<br />
Austauschbarkeit der Indikatoren<br />
Die Indikatoren unterscheiden sich inhaltlich zwar leicht, haben aber alle ein eng<br />
eingegrenztes gemeinsames Thema. Wird ein Item entfernt, wird deshalb der<br />
konzeptionelle Rahmen des Faktors nicht verändert. <strong>St</strong>eigt beispielsweise der<br />
228
Aufwand der Entscheidung, so dürfte sich dies sowohl im Zeitaufwand, in der<br />
kognitiven Anstrengung und der empfundenen Komplexität der Entscheidung äußern.<br />
Wird ein Aspekt entfernt, wird der Inhalt des Konstrukts dadurch aber nicht verändert.<br />
Kovariation zwischen den Indikatoren<br />
Dieser Aspekt ist eng mit der Austauschbarkeit der manifesten Variablen verbunden:<br />
Sind die Items austauschbar, sollten sie auch kovariieren. Es ist beispielsweise da<strong>von</strong><br />
auszugehen, dass ein Konsument, der sich überfordert fühlt, auch Verwirrung und<br />
Frustration empfindet.<br />
Nomologisches Netz der Indikatoren<br />
Jeder Faktor wurde im Wesentlichen aus einer Theorie abgeleitet. Somit beruhen auch<br />
seine Indikatoren jeweils auf einer oder wenigen Theorien. Folglich haben alle Items<br />
dieselben Antezedenzien und auch Konsequenzen. Dieser Punkt spricht, wie auch die<br />
anderen, für ein reflektives Messmodell.<br />
Alle Faktoren erfüllen die Kriterien zur Verwendung eines reflektiven Messmodells<br />
und werden folglich reflektiv operationalisiert. Das Messmodell des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> mit seiner Kosten- und Nutzendimension kann damit zusammenfassend<br />
wie folgt dargestellt werden.<br />
Zusammenfassende Darstellung des Messmodells <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong><br />
Abbildung 51 stellt die Konzeptualisierung und Operationalisierung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> als zentrales Konstrukt der Untersuchung zusammenfassend dar. Zu<br />
erkennen ist, dass die Faktorenebene (Ebene 1), d. h. die Beziehungen zwischen den<br />
Indikatoren und den Faktoren reflektiv operationalisiert sind. Die Dimensionsebene<br />
(Ebene 2), welche die Beziehungen der Faktoren zur Nutzen- bzw. Kostendimension<br />
beschreibt, wird durch ein formatives Messmodell operationalisiert. Zu erkennen ist<br />
wieterhin, dass die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> als<br />
unabhängige Dimensionen des übergeordneten <strong>Wert</strong>konstrukts konzeptualisiert<br />
wurden (siehe S. 209f.).<br />
229
Konstruktebene<br />
Nutzen<br />
NPV<br />
<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Kosten<br />
KPV<br />
Ebene 2<br />
(formativ)<br />
Antizipierter<br />
Produktnutzen<br />
Erfolgsaussichten<br />
Informationsmöglichkeiten<br />
Spaß<br />
Positive<br />
Emotionen<br />
Aufwand und<br />
Anstrengung<br />
Negative<br />
Emotionen<br />
Antizipiertes<br />
Regret<br />
AP EA IM Sp PE<br />
AA VF AR<br />
Ebene 1<br />
(refklektiv)<br />
... ... ... ... ... ... ... ...<br />
Abbildung 51: Operationalisierung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> als zweidimensionales,<br />
mehrfaktorielles Konstrukt mit reflektivem Messmodell auf Faktorenebene und formativem<br />
Messmodell auf Dimensionsebene<br />
Dieses Messmodell wurde einem Pretest unterzogen, dessen Ablauf, Untersuchungsdesign<br />
und Ergebnisse nachfolgend beschrieben werden.<br />
3.3 Pretest<br />
Ziel des Pretests ist es, die Messmodelle der KPV und NPV für die Hauptuntersuchung<br />
im Hinblick auf die Länge des dort zu verwendenden Fragebogens zu optimieren.<br />
Hierzu werden Indikatoren, die überflüssig sind, nicht eindeutig einem Faktor<br />
zugeordnet werden können oder keinen wesentlichen Erklärungsbeitrag zu einem<br />
Faktor leisten, aus dem Messmodell entfernt.<br />
Ansatzpunkt und Betrachtungsebene ist hierbei die reflektiv operationalisierte<br />
Faktorenebene des Gesamtkonstrukts. Die formativ operationalisierte<br />
Dimensionsebene eignet sich nicht für eine Optimierungsmaßnahme, da die Faktoren<br />
jeweils einzelne Facetten der Dimension darstellen, die aus der Theorie abgeleitet<br />
wurden und deshalb nicht ohne Weiteres aufgrund statistischer Kriterien entfernt<br />
werden dürfen: „Omitting an indicator 40 is omitting a part of the construct“<br />
(Bollen/Lennox 1991, S. 308). Im Rahmen der Beschreibung des formativen<br />
Messmodells wurde hierauf bereits ausführlich eingegangen (siehe S. 198ff.). Die<br />
40 Im Fall der KPV und NPV bezieht sich dies auf die Faktoren der formativ operationalisierten<br />
Dimensionsebene und nicht auf die Indikatoren des Faktors.<br />
230
Analysen des Pretests fokussieren deshalb auf die insgesamt acht reflektiv<br />
operationalisierten Faktoren der Nutzen- und Kostendimension. Die<br />
Gütebeurteilung des formativen Teils des Gesamtmessmodells (Ebene 2) ist Teil der<br />
Hauptuntersuchung (siehe S 287ff. (NPV) und S. 296ff. (KPV)).<br />
Anschließend werden die verwendeten Analyseverfahren, insbesondere die<br />
konfirmatorische Faktorenanalyse mit den entsprechenden Gütemaßen kurz erläutert.<br />
Im Anschluss folgen die Beschreibungen des Designs und der Analyseergebnisse der<br />
empirischen Untersuchung.<br />
3.3.1 Methodik und Gütekriterien<br />
Zur Analyse der einzelnen Faktoren des Messmodells (Ebene 1) kommen im Pretest<br />
zwei Verfahren zur Anwendung:<br />
• Die exploratorische Faktorenanalyse (EFA) und<br />
• die konfirmatorische Faktorenanalyse (KFA).<br />
Beide Methoden sind in der empirischen Sozialforschung und insbesondere in der<br />
Marketingforschung weit verbreitet, weshalb auf deren ausführliche Darstellung an<br />
dieser <strong>St</strong>elle verzichtet wird 41 . Die nachfolgenden Ausführungen konzentrieren sich<br />
auf eine Beschreibung der Vorgehensweise und der verwendeten Gütekriterien bei<br />
der Analyse, sowie eine knappe Darstellung des Methodenhintergrunds.<br />
Vorgehensweise und Methodenhintergrund<br />
Da nur die Ebene 1 des Messmodells im Rahmen des Pretests untersucht wird, erfolgt<br />
die Gütebeurteilung für jeden Faktor separat. Eine Ausnahme bildet dabei das<br />
Fornell-Larcker-Kriterium, das Faktor übergreifend ist und der Überprüfung der<br />
Diskriminanzvalidität dient.<br />
Die Analyse des Messmodells beginnt für jeden der acht Faktoren mit einer<br />
exploratorischen Faktorenanalyse. Diese dient in erster Linie der Überprüfung der<br />
Unidimensionalität des Faktors, die im Hinblick auf die Konvergenzvalidität ein<br />
zentraler Aspekt ist (vgl. Homburg/Giering 1996, S. 8). Hierzu wird untersucht, ob die<br />
231
einem Faktor zugeordneten Indikatoren auch tatsächlich nur auf einen Faktor laden.<br />
Beurteilen lässt sich dies anhand der ermittelten Eigenwerte der Korrelationsmatrix<br />
der manifesten Variablen: Ein häufig verwendetes Kriterium ist dabei das so genannte<br />
Kaiser-Kriterium, das besagt, dass die Anzahl der extrahierten Faktoren der Anzahl<br />
der Faktoren mit einem Eigenwert über 1 entspricht (vgl. Backhaus et al. 2003,<br />
S. 295). Als Extraktionsverfahren kommt in der vorliegenden Untersuchung dabei die<br />
Hauptachsenanalyse zum Einsatz. Hat ein Faktor mehrere Eigenwerte über 1, führt<br />
dies zur Aufnahme der zusätzlichen Faktoren.<br />
Im Gegensatz zur exploratorischen Faktorenanalyse, deren Ziel die Aufdeckung <strong>von</strong><br />
Faktorstrukturen ist, dient die konfirmatorische Faktorenanalyse (KFA) der<br />
Überprüfung vermuteter Faktorstrukturen, die vorab aus der Theorie, aus<br />
Expertengesprächen oder aus empirischen Voruntersuchungen abgeleitet wurden. Eine<br />
konfirmatorische Faktorenanalyse kommt folglich dann zum Einsatz, „(...) when the<br />
researcher has some knowledge about the unterlying latent variable structure“ (Byrne<br />
1998, S. 5). Da die Faktorstruktur der Kosten- und Nutzendimension im Rahmen der<br />
Konzeptualisierung und Operationalisierung sowohl aus der Theorie als auch aus<br />
Experten- und Kundeninterviews abgeleitet wurde, ist die Anwendung der<br />
konfirmatorischen Faktorenanalyse zulässig und sinnvoll um die vermuteten<br />
Faktorstrukturen zu überprüfen.<br />
Die KFA stellt einen Spezialfall der Kausalanalyse dar, in der „auf der Grundlage <strong>von</strong><br />
empirisch gemessenen Varianzen und Kovarianzen <strong>von</strong> Indikatorvariablen durch<br />
Parameterschätzung Rückschlüsse auf Abhängigkeitsbeziehungen zwischen zugrunde<br />
liegenden latenten Variablen“ (Homburg/Pflesser 1999b, S. 635) gezogen werden. In<br />
Abbildung 43 (S. 191) wurde bereits ein vereinfachtes <strong>St</strong>rukturmodell mit der für die<br />
Kausalanalyse typischen Unterscheidung <strong>von</strong> Mess- und <strong>St</strong>rukturmodell<br />
veranschaulicht (für eine detaillierte Darstellung siehe Kapitel 3.1.1.2, S. 190ff.). Die<br />
KFA ist insofern ein Spezialfall der Kausalanalyse, da sie nur die Beziehungen<br />
zwischen den latenten Variablen und den zugehörigen Indikatoren, nicht aber die<br />
Abhängigkeiten der latenten Variablen untereinander untersucht. Sie stellt somit eine<br />
separate Analyse des Messmodells dar (vgl. Byrne 1998, S. 18).<br />
In dieser Untersuchung wird die KFA mit Hilfe <strong>von</strong> LISREL (8.54) durchgeführt.<br />
LISREL (LInear <strong>St</strong>ructural RELations) ist ein in der Marketingforschung häufig<br />
verwendetes Softwarepaket zur Abbildung und Analyse <strong>von</strong> Kausalmodellen, das <strong>von</strong><br />
41 Eine ausführliche Beschreibung findet sich z. B. bei Homburg/Giering 1996, Homburg 1995;<br />
232
Jöreskog und Sörbom (1982, S. 404ff.) entwickelt wurde. Die Bezeichnung LISREL<br />
ist darauf zurückzuführen, dass sich die Messmodelle und das <strong>St</strong>rukturmodell als<br />
lineare Gleichungssysteme darstellen lassen, weshalb man in diesem Zusammenhang<br />
auch <strong>von</strong> einem linearen <strong>St</strong>rukturgleichungsmodell spricht (vgl. Backhaus et al. 1996,<br />
S. 327). Die Schätzung der Modellparameter (Faktorladungen, Varianzen und<br />
Kovarianzen der Faktoren, Varianzen der Messvariablen) erfolgt hierbei mit dem Ziel,<br />
eine möglichst gute Übereinstimmung der vom Modell reproduzierten<br />
Kovarianzmatrix der Indikatorvariablen mit der empirischen Kovarianzmatrix der<br />
Indikatoren zu erreichen (vgl. Homburg/Faßnacht/Werner 2002, S. 520). LISREL<br />
gehört folglich der Kategorie der kovarianzbasierten Verfahren an.<br />
Das Programm ermöglicht die Anwendung <strong>von</strong> sieben verschiedenen Schätzverfahren<br />
zur Bestimmung der Modellparameter, <strong>von</strong> denen die Maximum-Likelihood (ML)<br />
Methode die bekannteste und wohl auch am häufigsten verwendete ist. Diese setzt<br />
aber eine zumindest annähernde Normalverteilung der manifesten Variablen voraus,<br />
was explizit vor Durchführung der KFA zu überprüfen ist. In dieser Untersuchung<br />
wird deshalb der KFA der Kolmogorow-Smirnow-Test zum Test der<br />
Normalverteilungsannahme der Indikatoren vorgelagert (vgl. Bellgardt 2004, S. 84f.).<br />
Ab einem Signifikanzniveau < 0,05 ist die Normalverteilungsannahme abzulehnen. Ist<br />
dies der Fall, kann die ML-Methode nicht mehr angewendet werden und es kommt<br />
entsprechend der Empfehlungen in der Literatur das Unweighted-Least-Squares (ULS)<br />
Verfahren als Schätzmethode zum Einsatz (vgl. Backhaus et al. 2003, S. 363ff.;<br />
Herrmann/Huber/Wricke 1999, S. 685, Homburg/Hildebrand 1998, S. 22).<br />
Notwendige Voraussetzung für die Identifizierbarkeit des Modells einer KFA ist<br />
außerdem, dass die Anzahl der Indikatoren größer ist als 3 (vgl. Kline 1998,<br />
S. 203). Besteht ein Faktor folglich aus weniger als vier Items, ist für diesen keine<br />
KFA durchführbar.<br />
Gütemaße<br />
Für die Beurteilung der Güte des resultierenden Modells, genauer gesagt der Güte der<br />
Anpassung der geschätzten Kovarianz- bzw. Korrelationsmatrix an die empirische<br />
Kovarianz bzw. Korrelationsmatrix, stellt LISREL als Verfahren der zweiten<br />
Generation verschiedene Anpassungsmaße zur Verfügung. Hierbei wird zwischen<br />
Algesheimer 2004, Byrne 1998 und Kline 1998.<br />
233
lokalen und globalen Gütemaßen unterschieden. Während erstere der Überprüfung<br />
<strong>von</strong> Modellteilen, wie beispielsweise der Beziehung zwischen einer latenten Variablen<br />
und einzelnen Indikatoren dienen, erfolgt mittels globaler Gütemaße die Beurteilung<br />
des Gesamtmodells – im Fall der KFA also des gesamten Messmodells. Sowohl lokale<br />
als auch globale Anpassungsmaße sind bei der Gütebeurteilung im Rahmen der KFA<br />
zu berücksichtigen (vgl. Homburg/Baumgartner 1995, S. 1103). Abbildung 52 gibt<br />
einen Überblick zu verschiedenen Anpassungsmaßen. Auf eine detaillierte Darstellung<br />
und Beschreibung soll an dieser <strong>St</strong>elle verzichtet werden. <strong>Der</strong> interessierte Leser sei<br />
auf Algesheimer (2004, S. 195ff.) und Homburg/Pflesser (1999a, S. 425ff.; 1999b,<br />
S. 646ff.) verwiesen.<br />
Anpassungsmaße<br />
Globale<br />
Anpassungsmaße<br />
Lokale<br />
Anpassungsmaße<br />
Anpassungsmaße mit<br />
Vergleichsstandards<br />
(Relative globale<br />
Anpassungsmaße)<br />
Anpassungsmaße für das<br />
<strong>St</strong>rukturgleichungsmodell<br />
Anpassungsmaße für das<br />
Messmodell<br />
<strong>St</strong>and-Alone<br />
Anpassungsmaße<br />
Beispiel:<br />
• Quadrierte multiple<br />
Korrelation<br />
Beispiele:<br />
• t-<strong>Wert</strong><br />
(Faktorladungen)<br />
• Indikatorreliabilität<br />
• Faktorreliabilität<br />
• DEV<br />
Inferenzstatistische<br />
Anpassungsmaße<br />
Deskriptive<br />
Anpassungsmaße<br />
Inkrementelle<br />
Anpassungsmaße<br />
Anpassungsmaße, die<br />
Freiheitsgrade nicht<br />
berücksichtigen<br />
Anpassungsmaße, die<br />
Freiheitsgrade<br />
berücksichtigen<br />
Anpassungsmaße, die<br />
Freiheitsgrade nicht<br />
berücksichtigen<br />
Anpassungsmaße, die<br />
Freiheitsgrade<br />
berücksichtigen<br />
Beispiele:<br />
• χ 2 -Differenztest<br />
• RMSEA<br />
Beispiel:<br />
• GFI<br />
Beispiele:<br />
• χ 2 /df<br />
• AGFI<br />
Beispiel:<br />
• NNFI<br />
Beispiel:<br />
• CFI<br />
Abbildung 52: Anpassungsmaße zur Gütebeurteilung <strong>von</strong> Kausalmodellen im Überblick. In Anlehnung<br />
an Homburg/Pflesser 1999b, S. 648<br />
Verwendete Gütemaße<br />
Die Gütebeurteilung des Pretests erfolgt anhand <strong>von</strong> Kriterien, die nach Empfehlungen<br />
<strong>von</strong> Homburg/Giering (1996, S. 13), Algesheimer (2004, S. 218), und Bauer et al.<br />
(2001, S. 352) zusammengestellt wurden. Zu beachten ist hierbei, dass bei der<br />
234
Auswahl der Gütemaße der KFA da<strong>von</strong> ausgegangen wurde, dass die Indikatoren<br />
keiner Normalverteilung folgen und folglich das ULS- und nicht das ML-Verfahren<br />
zum Einsatz kommt. Die Verteilungsannahme ist aber für jeden Indikator im Vorfeld<br />
der Analyse mittels eines Kolmogorow-Smirnow-Tests zu überprüfen. Kommt – wie<br />
vermutet – das ULS-Verfahren zur Anwendung, können „keine <strong>St</strong>andartschätzfehler,<br />
keine t-<strong>Wert</strong>e und kein Chi-Quadrat-Test herangezogen werden“ (Bauer et al. 2001,<br />
S. 351; vgl. Backhaus et al. 2003, S. 364f.), weshalb Gütemaße, die hierauf beruhen, in<br />
dieser Untersuchung nicht berücksichtigt werden.<br />
Die lokale Anpassung des Modells wird mittels der Indikatorreliabilität, der<br />
durchschnittlich erfassten Varianz (DEV) und der Faktorreliabilität beurteilt.<br />
Während die ersten beiden Kriterien ab einem <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,50 als erfüllt gelten, wird<br />
für die Faktorreliabilität ein Mindestwert <strong>von</strong> 0,60 gefordert. Die Indikatorreliabilität<br />
gibt an, „welcher Anteil der Varianz eines Indikators durch die zugrunde liegende<br />
latente Variable erklärt werden kann“ (Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 13).<br />
Erstrebenswert ist, dass mindestens 50% der Varianz eines Indikators durch die<br />
zugehörige latente Variable erklärt wird, was gleichzeitig bedeutet, dass die<br />
gemeinsame Varianz zwischen latenter und zugehöriger manifester Variable<br />
(Indikator) größer ist als die Varianz des entsprechenden Messfehlers (vgl.<br />
Carmines/Zeller 1979, S. 27). Da die Varianz des Messfehlers des Indikators i var(ε i )<br />
durch 1-λ 2 i definiert ist (λ i bezeichnet die Ladung zwischen der latenten Variable und<br />
dem Indikator i) gilt, dass genau dann mehr als 50% der Varianz des Indikators i durch<br />
die entsprechende latente Variable verursacht werden, wenn die Ladung λ i größer als<br />
die Wurzel aus 0,50 (≈0,707) ist. Aus diesem Grund wird eine Faktorladung <strong>von</strong><br />
mindestens 0,7 als primäres Eliminationskriterium für Indikatoren verwendet:<br />
Indikatoren mit einer Faktorladung <strong>von</strong> weniger als 0,7 werden entfernt und <strong>von</strong> der<br />
weiteren Analyse ausgeschlossen. Während die Indikatorreliabilität ein Maß zur<br />
Beurteilung der Reliabilität eines einzelnen Indikators ist, geben die Faktorreliabilität<br />
und die DEV Auskunft darüber, „wie gut der Faktor durch alle ihm zugeordneten<br />
Indikatoren gemeinsam gemessen wird“ (Homburg/Giering 1996, S. 10).<br />
<strong>Der</strong> globale Fit des Messmodells wird anhand des Goodness of Fit Index (GFI), des<br />
Adjusted Goodness of Fit Index (AGFI), des Normed Fit Index (NFI), des<br />
Comparative Fit Index (CFI) und des Root Mean Square Residual (RMR) beurteilt.<br />
Während für die vier erstgenannten Größen ein Mindestwert <strong>von</strong> 0,90 gefordert wird,<br />
soll das RMR den <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,10 nicht überschreiten. <strong>Der</strong> GFI gibt an, „welcher<br />
Anteil der Ausgangsvarianzen an der gesamten Ausgangsvarianz durch die<br />
235
Modellstruktur erklärt wird“ (Algesheimer 2004, S. 202) und entspricht quasi dem<br />
Bestimmtheitsmaß in der Regressionsanalyse (vgl. Siems 2003, S. 139). <strong>Der</strong> AGFI<br />
berücksichtigt zusätzlich die Anzahl der Freiheitsgrade und entgegnet damit einem<br />
Hauptkritikpunkt des GFI, der durch eine Überparameterisierung des Modells positiv<br />
beeinflussbar ist (vgl. Algesheimer 2004, S. 203). Auch der NFI und der CFI tragen<br />
dieser Kritik Rechnung und berücksichtigen die Anzahl der Freiheitsgrade bei der<br />
Güteschätzung eines Modells. <strong>Der</strong> RMR misst schließlich die durchschnittliche<br />
Restvarianz eines Modells und ist demnach ein Maß für die im Durchschnitt durch das<br />
Modell nicht erklärten Kovarianzen und Varianzen (vgl. Backhaus et al. 1996, S. 400).<br />
Aufgrund der weiten Verbreitung in der Literatur wird schließlich noch das<br />
Cronbachs Alpha eines Faktors angegeben. Dieses misst als der am häufigsten<br />
verwendete Reliabilitätskoeffizient der ersten Generation „die Reliabilität einer<br />
Gruppe <strong>von</strong> Indikatoren, die einen Faktor messen“ (Homburg/Giering 1996, S. 8). Als<br />
Mindestwert wird in dieser Untersuchung der Empfehlung <strong>von</strong> Nunnally (1978,<br />
S. 245) folgend ein <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,70 gefordert.<br />
Zur Beurteilung der Diskriminanzvalidität der Faktoren, die dann vorliegt, wenn die<br />
Messmodelle inhaltlich verschiedener Konzepte auch unterschiedliche Ergebnisse<br />
erzeugen (vgl. Bagozzi/Phillips 1982, S. 469), wird abschließend überprüft, ob alle<br />
latenten Variablen auf Ebene 1 des Messmodells das Fornell-Larcker-Kriterium<br />
erfüllen (vgl. Fornell/Larcker 1981, S. 46; siehe auch die Ausführungen auf S. 264).<br />
Dieses besagt, dass dann <strong>von</strong> Diskriminanzvalidität ausgegangen werden kann, wenn<br />
die durchschnittlich erfasste Varianz einer latenten Variablen größer ist als sämtliche<br />
quadrierten Korrelationen dieser Variablen mit allen anderen Konstrukten im<br />
Messmodell (vgl. Fornell/Larcker 1981, S. 46). Ist das Fornell-Larcker-Kriterium<br />
erfüllt, so ist die gemeinsame Varianz einer latenten Variablen mit ihren manifesten<br />
Variablen größer als die gemeinsame Varianz mit anderen Konstrukten des Modells.<br />
Damit ist der Ablauf der Analysen des Pretests mit allen verwendeten Gütemaßen und<br />
Beurteilungskriterien vorgestellt worden. Tabelle 15 stellt diese nochmals im<br />
Überblick dar. Im nächsten Abschnitt wird das Untersuchungsdesign des Pretests und<br />
im Anschluss daran die Analyseergebnisse beschrieben.<br />
236
Gütekriterien im Pretest auf Ebene 1<br />
Konstrukt<br />
NPV<br />
<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
KPV<br />
Pretest<br />
Ebene 2<br />
(formativ)<br />
Ebene 1<br />
(refklektiv)<br />
Antizipierter<br />
Produktnutzen<br />
Erfolgsaussichten<br />
Informationsmöglichkeiten<br />
Spaß<br />
Positive<br />
Emotionen<br />
Aufwand und<br />
Anstrengung<br />
Negative<br />
Emotionen<br />
Antizipiertes<br />
Regret<br />
AP EA IM Sp PE<br />
AA VF AR<br />
... ... ... ... ... ... ... ...<br />
Hauptuntersuchung<br />
Analyse Inhalt/Kategorie Gütemaß Kriterium<br />
Exploratorische Faktorenanalyse<br />
(Hauptachsenanalyse)<br />
Überprüfung auf Unidimensionalität<br />
(nur ein Faktor wird extrahiert)<br />
Eigenwerte (EW) der Faktoren<br />
1. EW > 1<br />
2. EW < 1<br />
Kolmogorow-Smirnow Test<br />
Konfirmatorische<br />
Faktorenanalyse<br />
Test auf Normalverteilung der<br />
Indikatoren eines Faktors<br />
(Ablehung<br />
Normalverteilungsannahme)<br />
Lokale Anpassungsmaße<br />
Globale Anpassungsmaße<br />
Signifikanzniveau < 0,05<br />
Indikatorreliabilität<br />
(Faktorladung)<br />
> 0,50<br />
(> 0,70)<br />
Faktorreliabilität > 0,60<br />
DEV > 0,50<br />
GFI > 0,90<br />
AGFI > 0,90<br />
NFI > 0,90<br />
CFI > 0,90<br />
RMR < 0,10<br />
Exploratorische Faktorenanalyse Deskriptives Reliabilitätsmaß Cronbachs Alpha > 0,70<br />
Fornell-Larcker-Kriterium<br />
Überprüfung der<br />
Diskriminanzvalidität der Faktoren<br />
DEV i > als jede quadrierte Korrelationen <strong>von</strong><br />
Konstrukt i mit allen anderen Konstrukten<br />
Tabelle 15:<br />
Gütekriterien des Pretests<br />
3.3.2 Untersuchungsdesign<br />
<strong>Der</strong> Pretest erfolgte als Experiment mit einer anschließenden schriftlichen Befragung<br />
mittels Fragebogen. Als <strong>St</strong>imuli wurden hierbei, wie auch bei der Hauptuntersuchung,<br />
Digitalkameras verwendet. Diese sind einerseits gut für ein Experiment geeignet, da<br />
sie sich anhand eines Bildes und weniger Produkteigenschaften gut in Schriftform<br />
beschreiben lassen. Andererseits ist aufgrund ihres relativ hohen Preises da<strong>von</strong><br />
auszugehen, dass die Auswahl mit der für die hier betrachtete Kategorie der „echten“<br />
bzw. „kognitiven“ Kaufentscheidungen (siehe S. 37) erforderlichen Tiefe der<br />
237
Auseinandersetzung erfolgt. Im Rahmen der Beschreibung der Hauptuntersuchung<br />
wird hierauf noch detaillierter eingegangen (siehe S. 273ff.).<br />
Um die erwünschte Varianz in der Ausprägung der Indikatoren zu erreichen, wurden<br />
vier verschiedene „künstliche Sortimente“ mit einer hohen (36), mittleren (21),<br />
geringen (12) bzw. sehr geringen (6) Anzahl an Digitalkameras verwendet. Jede<br />
Digitalkamera wurde anhand <strong>von</strong> einem Bild und neun tabellarisch aufgeführten<br />
Produktattributen (Marke, Typ, Preis, Auflösung, Optisches Zoom, Objektiv,<br />
Belichtung, Speicher und Besonderheiten) beschrieben. Dadurch konnten sowohl<br />
quantitative Aspekte, wie die Anzahl der Produkte und Marken, als auch qualitative<br />
Eigenschaften des Sortiments, wie etwa die Vergleichbarkeit der Produkte und die<br />
Kompromissnotwendigkeit bei der Entscheidung durch die Zusammenstellung des<br />
<strong>St</strong>imulussets manipuliert werden.<br />
Die Befragungsteilnehmer erhielten eines der vier Digitalkamerasets in Papierform.<br />
Sie wurden gebeten, sich vorzustellen, dass sie dieses „künstliche“ Sortiment in einer<br />
realen Kaufsituation vorfinden. Anschließend sollte jeder Teilnehmer versuchen, die<br />
aus seiner Sicht beste Kamera zu identifizieren. Wie bei einer echten Kaufentscheidung<br />
wurde den Befragten die Möglichkeit gegeben, sich für oder gegen den<br />
Kauf zu entscheiden. Entsprechende Antwortmöglichkeiten wurden zur Wahl gestellt.<br />
Nach ihrer Entscheidung füllten die Teilnehmer den Fragebogen aus. In Abbildung 53<br />
ist das größte Produktsortiment mit 36 Digitalkameras, wie es den Teilnehmern<br />
präsentiert wurde, veranschaulicht.<br />
238
Marke<br />
Typ<br />
Canon<br />
Ixus 400<br />
Canon<br />
Ixus 500<br />
Canon<br />
Ixus II<br />
Canon Canon<br />
PowerShot A300 PowerShot A60<br />
Canon<br />
PowerShot G3<br />
Canon Canon Casio<br />
PowerShot S1 IS PowerShot S50 Exilim Pro EX-<br />
P600<br />
Fuji<br />
FinePix A210<br />
Fuji<br />
FinePix A310<br />
Fuji<br />
FinePix F610<br />
Preis<br />
Auflösung<br />
Optisches Zoom<br />
Objektiv<br />
Belichtung*<br />
Speicher<br />
Besonderheiten<br />
€ 380<br />
4,0 Megapixel<br />
3fach<br />
36 - 108 mm<br />
P*<br />
CompactFlash<br />
Typ I (32MB)<br />
€ 400<br />
5,0 Megapixel<br />
3fach<br />
36 -108 mm<br />
P*<br />
CompactFlash<br />
Typ I (32 MB)<br />
<strong>St</strong>ativgewinde<br />
€ 290<br />
3,2 Megapixel<br />
2fach<br />
35 - 70 mm<br />
P*<br />
MultiMediaCard<br />
(16MB)<br />
Fernsteuerung<br />
vom PC<br />
€ 180<br />
3,2 Megapixel<br />
n. a.<br />
33 mm<br />
P*<br />
CompactFlash<br />
Typ I (16MB)<br />
n. a.<br />
€ 200<br />
2,0 Megapixel<br />
3fach<br />
35 - 105 mm<br />
P, H, MP, M*<br />
CompactFlash<br />
Typ I (16MB)<br />
Selbstauslöser<br />
€ 660<br />
4,0 Megapixel<br />
4fach<br />
35 - 140 mm<br />
P, H, MP, M*<br />
CF Typ I/II<br />
(32 MB)<br />
Anschluss für<br />
externen Blitz<br />
€ 470<br />
3,2 Megapixel<br />
10fach<br />
38 - 380 mm<br />
P, H, MP, M*<br />
CF Typ I/II<br />
(32 MB)<br />
Anschluss für<br />
externen Blitz<br />
Blitz-Langzeitsynchronisation<br />
€ 390<br />
5,0 Megapixel<br />
3fach<br />
35 - 105 mm<br />
P, H, MP, M*<br />
CompactFlash<br />
Typ I (32 MB)<br />
Direkt-Druck-<br />
Funktion<br />
€ 520<br />
6 Megapixel<br />
4fach<br />
33 - 132 mm<br />
P, H, MP, M*<br />
Secure Digital<br />
(9 MB)<br />
Selbstauslöser<br />
€ 190<br />
2,0 Megapixel<br />
3fach<br />
36 - 108 mm<br />
P*<br />
xD Card<br />
(16 MB)<br />
n. a.<br />
€ 210<br />
3,1 Megapixel<br />
3fach<br />
38 - 114 mm<br />
P*<br />
xD Card<br />
(16 MB)<br />
n. a.<br />
€ 500<br />
6,3 Megapixel<br />
3fach<br />
35 - 105 mm<br />
P, H, MP, M*<br />
xD Card<br />
(16 MB)<br />
Direkt-Druck-<br />
Funktion<br />
Marke<br />
Typ<br />
Fuji<br />
FinePix F700<br />
Hewlett- Kodak<br />
Packard EasyShare<br />
Photosmart 735<br />
DX6490<br />
Minolta<br />
DiMAGE F200<br />
Olympus Olympus Olympus Olympus<br />
Camedia C-5050 Camedia C-740<br />
Ultra Zoom<br />
Camedia C-750<br />
Ultra Zoom<br />
Camedia C-760<br />
Ultra Zoom<br />
Panasonic Panasonic<br />
Lumix DMC-FX5 Lumix DMC-<br />
FZ10<br />
Panasonic Panasonic<br />
Lumix DMC-FZ2 Lumix<br />
DMC-LC 33<br />
Preis<br />
Auflösung<br />
Optisches Zoom<br />
Objektiv<br />
Belichtung*<br />
Speicher<br />
Besonderheiten<br />
€ 650<br />
3,1 Megapixel<br />
3fach<br />
35 - 105 mm<br />
P, H, MP, M*<br />
xD Card<br />
(16 MB)<br />
Bluetooth<br />
€ 200<br />
3,2 Megapixel<br />
3fach<br />
38 - 114 mm<br />
P, H, MP*<br />
MulitMediaCard<br />
(16 MB)<br />
€ 365<br />
4,0 Megapixel<br />
10fach<br />
38 - 380 mm<br />
P, H, MP, M*<br />
MultiMediaCard<br />
(16 MB)<br />
€ 320<br />
4,0 Megapixel<br />
3fach<br />
38 - 114 mm<br />
P, H, MP, M*<br />
MultiMediaCard<br />
(32MB)<br />
€ 700<br />
5,0 Megapixel<br />
3fach<br />
35 - 105 mm<br />
P, H, MP, M*<br />
CF Typ I/II<br />
(32 MB)<br />
€ 340<br />
3,2 Megapixel<br />
10fach<br />
38 - 380 mm<br />
P, H, MP, M*<br />
xD Card<br />
(16 MB)<br />
n. a.<br />
Bildstabilisierung Direkt-Druck- Bildstabilisierung, <strong>St</strong>ativgewinde<br />
Funktion Fernsteuerung<br />
€ 435<br />
4,0 Megapixel<br />
10fach<br />
38 - 380 mm<br />
P, H, MP, M*<br />
xD Card<br />
(16 MB)<br />
Anschluss für<br />
externen Blitz<br />
€ 370<br />
3,2 Megapixel<br />
10fach<br />
42 - 420 mm<br />
P, H, MP, M*<br />
xD Card<br />
(16 MB)<br />
Fernbedienung<br />
€ 400<br />
4,0 Megapixel<br />
3fach<br />
25 - 105 mm<br />
P, MP*<br />
MultiMediaCard<br />
(16MB)<br />
Direkt-Druck<br />
Funktion<br />
€ 590<br />
4,0 Megapixel<br />
12fach<br />
35 - 420 mm<br />
P, H, MP, M*<br />
MultiMediaCard<br />
(16MB)<br />
<strong>St</strong>ativgewinde,<br />
Bluetooth<br />
€ 360<br />
2,0 Megapixel<br />
12fach<br />
35 - 420 mm<br />
P, H, MP*<br />
MultiMediaCard<br />
(8MB)<br />
Fernbedienung<br />
am PC<br />
€ 240<br />
3,2 Megapixel<br />
3fach<br />
25 - 105 mm<br />
P, MP<br />
MultiMediaCard<br />
(16MB)<br />
n. a.<br />
Marke<br />
Typ<br />
Pentax<br />
Optio 33L<br />
Pentax<br />
Optio 555<br />
Pentax<br />
Optio S4i<br />
Sanyo Sony<br />
Xacti VPC-J2EX Cyber-shot<br />
DSC-P10<br />
Sony<br />
Cyber-shot<br />
DSC-P100<br />
Sony<br />
Cyber-shot<br />
DSC-P72<br />
Sony<br />
Cyber-shot<br />
DSC-P8<br />
Sony<br />
Cyber-shot<br />
DSC-T1<br />
Sony<br />
Cyber-shot<br />
DSC-V1<br />
Sony Yahica-<br />
Cyber-shot DSC- Kyocera<br />
P92<br />
Finecam S5R<br />
Preis<br />
Auflösung<br />
Optisches Zoom<br />
Objektiv<br />
Belichtung*<br />
Speicher<br />
Besonderheiten<br />
€ 330<br />
3,2 Megapixel<br />
3fach<br />
28 - 114 mm<br />
P, MP*<br />
€ 470<br />
5,0 Megapixel<br />
5fach<br />
37,5 - 187,5 mm<br />
P, H, MP, M*<br />
€ 390<br />
4,0 Megapixel<br />
3fach<br />
35 - 105 mm<br />
P, MP*<br />
€ 270<br />
3,2 Megapixel<br />
2,8fach<br />
37 - 104 mm<br />
P, MP*<br />
€ 360<br />
5,0 Megapixel<br />
3fach<br />
38 - 114 mm<br />
P, MP*<br />
CompactFlash MultiMediaCard Memory <strong>St</strong>ick Pro MultiMediaCard Memory <strong>St</strong>ick Pro<br />
Typ I (16MB) (16MB)<br />
(10 MB) (16MB)<br />
(32 MB)<br />
Objektiv/Monitor<br />
schwenkbar<br />
Blitz-Langzeitsynchronisation<br />
Fernbedienung Fernbedienung 24 Direkt-Druck<br />
Funktion<br />
€ 430<br />
5,1 Megapixel<br />
3fach<br />
38 - 114 mm<br />
P, MP*<br />
€ 230<br />
3,2 Megapixel<br />
3fach<br />
39 - 117 mm<br />
P, MP*<br />
€ 250<br />
3,2 Megapixel<br />
3fach<br />
39 - 117mm<br />
P, MP*<br />
€ 480<br />
5,0 Megapixel<br />
3fach<br />
38 - 114 mm<br />
P, MP*<br />
€ 470<br />
5,0 Megapixel<br />
4fach<br />
34 - 136 mm<br />
P, H, MP, M*<br />
€ 310<br />
5,0 Megapixel<br />
3fach<br />
29 - 117 mm<br />
P, MP*<br />
€ 360<br />
5,0 Megapixel<br />
3fach<br />
35 - 105mm<br />
P, H, MP*<br />
Memory <strong>St</strong>ick Pro Memory <strong>St</strong>ick Pro Memory <strong>St</strong>ick Pro Memory <strong>St</strong>ick Pro Memory <strong>St</strong>ick Pro Memory <strong>St</strong>ick Pro MultiMediaCard<br />
(32 MB)<br />
Selbstauslöser<br />
(16 MB)<br />
n. a.<br />
(16 MB)<br />
Fernbedienung<br />
(32 MB)<br />
Bildstabilisator<br />
(32 MB)<br />
Bluetooth<br />
(16 MB)<br />
Fernsteuerung<br />
vom PC<br />
(16MB)<br />
Selbstauslöser<br />
*) P = Programmautomaitk, H = Halbautomatik, MP = Motivprogramme, M = Manuelle Belichtung<br />
Abbildung 53: Das mit 36 Produkten größte „künstliche Sortiment“ des Pretests<br />
<strong>Der</strong> Pretest wurde an einer deutschen <strong>Universität</strong> mit einem <strong>St</strong>udentensample<br />
durchgeführt. Die Nutzung <strong>von</strong> so genannten Convenience Samples, die <strong>St</strong>ichproben<br />
bezeichnen, zu denen man relativ leichten Zugang hat, ist in der empirischen<br />
Sozialforschung sehr gebräuchlich aber nicht unproblematisch (vgl. Peterson 2001,<br />
S. 450ff.; Rotfeld 2003, S. 192; Ferber 1977, S. 57f.). So weist Peterson (2001, S. 458)<br />
darauf hin, dass die Antworten <strong>von</strong> <strong>St</strong>udentensamples homogener sind, als die der<br />
Gesamtbevölkerung. <strong>St</strong>udenten bieten sich deshalb vor allem für explorative<br />
Forschungszwecke als <strong>St</strong>ichprobe an, wobei aber auch hier explizit darauf zu achten<br />
ist, dass sie eine relevante Grundgesamtheit für die Fragestellung darstellen (vgl.<br />
Ferber 1977, S. 58.; Peterson 2001, S. 458). Da <strong>St</strong>udenten potenzielle Käufer <strong>von</strong><br />
Digitalkameras sind, ist dies hier gegeben. Für die Durchführung des Pretests, der in<br />
erster Linie der Überprüfung und Optimierung der entwickelten Skalen im Hinblick<br />
auf die Hauptuntersuchung dient, ist ein <strong>St</strong>udentensample deshalb geeignet.<br />
Insgesamt haben 126 <strong>St</strong>udenten an der Befragung teilgenommen. Neun der<br />
Fragebögen enthielten fehlende <strong>Wert</strong>e und wurden deshalb bei den Analysen nicht<br />
berücksichtigt. Insgesamt lag die <strong>St</strong>ichprobengröße damit bei 117, was für einen<br />
239
Pretest als sinnvolle Größenordnung betrachtet werden kann. Die Teilnehmer waren<br />
zwischen 19 und 33 Jahre alt. <strong>Der</strong> Durchschnitt lag bei 23,6 Jahren (SD = 2,4). 70%<br />
der Befragten waren Frauen. Ingesamt hat die <strong>St</strong>ichprobe damit die erwarteten<br />
soziodemografischen Charakteristika einer <strong>St</strong>udentenbefragung im Marketingfachbereich.<br />
3.3.3 Ergebnisse der Analysen<br />
Die Analyseergebnisse werden nachfolgend für jeden Faktor einzeln beschrieben. Die<br />
Betrachtung des Fornell-Larcker-Kriteriums erfolgt am Ende.<br />
3.3.3.1 Faktoren der Nutzendimension<br />
Erfolgsaussichten<br />
<strong>Der</strong> Faktor Erfolgsaussichten besteht aus drei Indikatoren, eine konfirmatorische<br />
Faktorenanalyse ist folglich nicht möglich (vgl. S. 233). Es stehen deshalb nur<br />
Gütemaße der exploratorischen Faktorenanalyse zur Verfügung. Bei dieser wurde nur<br />
ein Faktor extrahiert, da der erste Eigenwert mit einem <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 2,37 über und der<br />
zweite Eigenwert (0,38) deutlich unter 1 liegt. Die Faktorladungen der drei manifesten<br />
Variablen überschreiten alle den Grenzwert <strong>von</strong> 0,70. Entsprechend liegt auch die<br />
Indikatorreliabilität der drei Indikatoren über 0,50. Auf Konstruktebene überschreitet<br />
die DEV mit einem <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,69 genauso wie die Faktorreliabilität die vorgegebene<br />
Untergrenze <strong>von</strong> 0,50 bzw. 0,60. Das Cronbachs Alpha ist mit 0,87 als gut<br />
einzustufen.<br />
Das Messmodell für den Faktor Erfolgsaussichten erfüllt damit alle verwendeten<br />
Gütekriterien und kann unverändert in die Hauptuntersuchung eingehen.<br />
240
Indikatorenebene<br />
DEV<br />
Indikator Ladung Indikatorreliabilität<br />
Faktorreliab.<br />
Faktorebene<br />
Globale<br />
Anpassungsmaße<br />
Cronbachs<br />
Alpha<br />
Kriterium > 0,70 > 0,50 > 0,50 > 0,60 > 0,9 < 0,1 > 0,70<br />
Erfolg1 0,86 0,74<br />
Erfolg2 0,87 0,76<br />
Erfolg3 0,75 0,56<br />
0,69 0,87 GFI: n.a.<br />
AGFI: n.a.<br />
NFI: n.a.<br />
CFI: n.a.<br />
RMR: n.a. 0,87<br />
Tabelle 16:<br />
Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors „Erfolgsaussichten“<br />
Antizipierter Produktnutzen<br />
<strong>Der</strong> Faktor Antizipierter Produktnutzen besteht aus vier Indikatoren, eine KFA ist<br />
folglich möglich. Die exploratorische Faktorenanalyse hat zur Extraktion <strong>von</strong> nur<br />
einem Faktor geführt (1. Eigenwert 3,00; 2. Eigenwert 0,47), es kann also <strong>von</strong><br />
Unidimensionalität ausgegangen werden. Die Indikatoren sind nicht normalverteilt,<br />
was der Kolmogorov-Smirnov-Test gezeigt hat (p < 0,001). Folglich kommt bei der<br />
KFA die ULS-Methode zum Einsatz. Tabelle 17 stellt die Ergebnisse der<br />
Parameterschätzungen und die entsprechenden Gütemaße der KFA dar.<br />
Die Faktorladungen aller Indikatoren haben <strong>Wert</strong>e über 0,70, entsprechend<br />
überschreiten auch die Indikatorreliabilitäten den Grenzwert <strong>von</strong> 0,50. Auf<br />
Konstruktebene nehmen die DEV und die Faktorreliabilität <strong>Wert</strong>e <strong>von</strong> 0,67 bzw. 0,89<br />
an und liegen damit deutlich über dem Mindestwert. Die Berechnung der globalen<br />
Gütemaße GFI, AGFI, NFI und CFI hat jeweils den möglichen Maximalwert vom 1,0<br />
ergeben und das RMR unterschreitet mit 0,02 den maximal zulässigen <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,1<br />
sehr deutlich. Schließlich deutet auch das Cronbachs Alpha <strong>von</strong> 0,88 auf eine hohe<br />
Reliabilität der Messung hin, so dass insgesamt <strong>von</strong> Validität des Messmodells dieses<br />
Faktors ausgegangen werden kann.<br />
Das Messungmodell des Faktors Antizipierter Produktnutzen erfüllt alle verwendeten<br />
Gütekriterien eindeutig und wird in unveränderter Form in der Hauptuntersuchung<br />
eingesetzt.<br />
241
Indikatorenebene<br />
DEV<br />
Indikator Ladung Indikatorreliabilität<br />
Faktorreliab.<br />
Faktorebene<br />
Globale<br />
Anpassungsmaße<br />
Cronbachs<br />
Alpha<br />
Kriterium > 0,70 > 0,50 > 0,50 > 0,60 > 0,9 < 0,1 > 0,70<br />
AnUt1 0,73 0,53<br />
AnUt2 0,88 0,77<br />
AnUt3 0,75 0,56<br />
AnUt4 0,90 0,81<br />
0,67 0,89 GFI: 1,00<br />
AGFI: 1,00<br />
NFI: 1,00<br />
CFI: 1,00<br />
RMR: 0,02 0,88<br />
Tabelle 17:<br />
Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors „Antizipierter Produktnutzen“<br />
Informationsmöglichkeiten<br />
Die exploratorische Faktorenanalyse hat zur Extraktion <strong>von</strong> nur einem Faktor geführt,<br />
da die <strong>Wert</strong>e des ersten bzw. zweiten Eigenwerts bei 3,23 bzw. 0,66 liegen. Die<br />
Normalverteilungsannahme aller Indikatoren musste aufgrund des Kolmogorov-<br />
Smirnow Tests abgelehnt werden (p < 0,05), so dass bei der anschließenden KFA das<br />
ULS-Verfahren angewendet wurde.<br />
Bis auf den Indikator Info1 (Ich bekomme durch das Sortiment einen guten Überblick<br />
über verschiedene Produkte, Marken und Preise) haben alle manifesten Variablen<br />
Faktorladungen über 0,70. Das Item Info1 wird daher eliminiert und <strong>von</strong> den weiteren<br />
Analysen ausgeschlossen. Ursache für die geringe Ladung könnte sein, dass die<br />
Konsumenten aufgrund der hohen Vielfalt Schwierigkeiten haben, sich einen<br />
Überblick über den Markt zu verschaffen und daher diesem Punkt weniger<br />
Zustimmung entgegen bringen als den anderen. Die restlichen fünf Indikatoren<br />
erreichen eine DEV <strong>von</strong> 0,56 und eine Faktorreliabilität <strong>von</strong> 0,86 und erfüllen diese<br />
Kriterien. Gleiches gilt für die Gütemaße zur Beurteilung des globalen Fits des<br />
Messmodells, die ebenfalls alle über den genannten Mindestwerten liegen.<br />
Anzumerken ist, dass das RMR mit einem <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,099 den maximal zulässigen<br />
<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,1 nur sehr knapp unterschreitet. Die insgesamt gute Reliabilität des<br />
Messmodells drückt auch das Cronbachs Alpha <strong>von</strong> 0,86 aus. Tabelle 18 stellt alle<br />
geschätzten Parameter und berechneten Gütemaße im Überblick dar.<br />
In der Hauptuntersuchung erfolgt die Messung des Faktors Informationsmöglichkeiten<br />
durch die fünf Indikatoren Info2 bis Info6, das Item Info1 wird nicht berücksichtigt.<br />
242
Indikatorenebene<br />
DEV<br />
Indikator Ladung Indikatorreliabilität<br />
Faktorreliab.<br />
Faktorebene<br />
Globale<br />
Anpassungsmaße<br />
Cronbachs<br />
Alpha<br />
Kriterium > 0,70 > 0,50 > 0,50 > 0,60 > 0,9 < 0,1 > 0,70<br />
Info1 42 0,48 -<br />
Info2 0,73 0,53<br />
Info3 0,77 0,59<br />
Info4 0,71 0,50<br />
Info5 0,73 0,53<br />
Info6 0,79 0,62<br />
0,56 0,86 GFI: 0,99<br />
AGFI: 0,98<br />
NFI: 0,95<br />
CFI: 0,97<br />
RMR: 0,099 0,86<br />
Tabelle 18:<br />
Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors „Informationsmöglichkeiten“<br />
Spaß<br />
<strong>Der</strong> Nutzenfaktor Spaß wird mittels vier Indikatoren gemessen, deren Ladungen alle<br />
über 0,70 und somit über dem Grenzwert liegen. Gleiches gilt für die jeweiligen<br />
Indikatorreliabilitäten. Auf Basis des Kaiser-Kriteriums wurde nur ein Faktor<br />
extrahiert (1. Eigenwert 3,07; 2. Eigenwert 0,36). Die Messung erfüllt weiterhin alle<br />
verwendeten Gütekriterien auf Konstruktebene. Da der Kolmogorow-Smirnow-Test<br />
zeigte, dass die Indikatoren nicht einer Normalverteilung folgen (p < 0,05), wurde in<br />
der KFA das ULS-Verfahren verwendet. Wie Tabelle 19 zu entnehmen ist, liegt die<br />
DEV mit 69% wie auch die Faktorreliabilität mit 0,90 deutlich über dem geforderten<br />
Mindestwerten. Die globalen Anpassungsmaße (GFI, AGFI, NFI und CFI) erreichen<br />
alle ihren Höchstwert <strong>von</strong> 1,00 und das RMR liegt mit 0,03 deutlich unter dem<br />
Grenzwert <strong>von</strong> 0,1. Schließlich deutet auch das Cronbachs Alpha mit einer Höhe <strong>von</strong><br />
0,90 auf die Reliabilität der Faktormessung hin.<br />
Insgesamt lassen die verwendeten Gütemaße auf eine hohe Validität und Reliabilität<br />
des entwickelten Messmodells des Nutzenfaktors Spaß schließen. Es geht unverändert<br />
in die Hauptuntersuchung ein.<br />
42 Von der weiteren Analyse ausgeschlossen<br />
243
Indikatorenebene<br />
DEV<br />
Indikator Ladung Indikatorreliabilität<br />
Faktorreliab.<br />
Faktorebene<br />
Globale<br />
Anpassungsmaße<br />
Cronbachs<br />
Alpha<br />
Kriterium > 0,70 > 0,50 > 0,50 > 0,60 > 0,9 < 0,1 > 0,70<br />
Spaß1 0,84 0,71<br />
Spaß2 0,81 0,66<br />
Spaß3 0,88 0,77<br />
Spaß4 0,79 0,62<br />
0,69 0,90 GFI: 1,00<br />
AGFI: 1,00<br />
NFI: 1,00<br />
CFI: 1,00<br />
RMR: 0,03 0,90<br />
Tabelle 19:<br />
Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors „Spaß“<br />
Positive Emotionen<br />
Die exploratorische Faktorenanalyse der Indikatoren des Faktors Positive Emotionen<br />
führte nach dem Kaiser-Kriterium mit einem ersten Eigenwert <strong>von</strong> 3,60 und einem<br />
zweiten <strong>von</strong> 0,50 zur Extraktion <strong>von</strong> nur einem Faktor. Die anschließend<br />
durchgeführte KFA zeigte, dass die Ladungen der beiden Indikatoren PoEm6 43 und<br />
PoEm7 44 unterhalb 0,70 liegen. Diese beiden Items wurden deshalb eliminiert und <strong>von</strong><br />
den weiteren Analysen ausgeschlossen. Auch bei diesem Faktor wurde die KFA mit<br />
dem ULS-Verfahren durchgeführt, da der Kolmogorow-Smirnow-Test zur Ablehnung<br />
der Normalverteilungsannahme der Itemwerte führte (p < 0,05). Wie aus Tabelle 20<br />
hervor geht, erfüllen die verbleibenden fünf manifesten Variablen alle Gütekriterien<br />
auf Konstruktebene deutlich. Die Messung des Faktors Positive Emotionen mittels der<br />
fünf Indikatoren PoEm1 bis PoEm5 kann folglich als valide und reliabel eingestuft<br />
werden. In der Hauptuntersuchung kommt die um die zwei Indikatoren PoEm6 und<br />
PoEm7 gekürzte Operationalisierung zur Anwendung.<br />
43 „Diese Digitalkamera bietet mir neue interessante Erfahrungen.“<br />
44 „Das Digitalkamerasortiment inspiriert mich.“<br />
244
Indikatorenebene<br />
DEV<br />
Indikator Ladung Indikatorreliabilität<br />
Faktorreliab.<br />
Faktorebene<br />
Globale<br />
Anpassungsmaße<br />
Cronbachs<br />
Alpha<br />
Kriterium > 0,70 > 0,50 > 0,50 > 0,60 > 0,9 < 0,1 > 0,70<br />
PoEm1 0,89 0,79<br />
PoEm2 0,73 0,53<br />
PoEm3 0,81 0,66<br />
PoEm4 0,86 0,74<br />
PoEm5 0,74 0,55<br />
PoEm6 45 0,63 -<br />
PoEm7 45 0,59 -<br />
0,65 0,90 GFI: 1,00<br />
AGFI: 0,99<br />
NFI: 0,99<br />
CFI: 1,00<br />
RMR: 0,05 0,90<br />
Tabelle 20:<br />
Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors „Positive Emotionen“<br />
Im nächsten Abschnitt werden die Pretestergebnisse der Messmodelle der<br />
Kostendimension beschrieben.<br />
3.3.3.2 Faktoren der Kostendimension<br />
Verwirrung und Frustration<br />
Die exploratorische Faktorenanalyse ergab, dass die Ladung des Indikators VerFr7<br />
(Ich fürchte mich vor der Entscheidung) unter 0,70 liegt und deshalb aus dem<br />
Messmodell entfernt wird. Das Item VerFr1 ist mit einer Ladung <strong>von</strong> 0,70<br />
grenzwertig, wird aber beibehalten. Die verbleibenden sechs manifesten Variablen<br />
laden alle auf einen Faktor, was aus dessen Eigenwerten zu erkennen ist (1. Eigenwert<br />
4,06; 2. Eigenwert 0,60). <strong>Der</strong> Kolmogorow-Smirnow-Test ergab weiterhin, dass die<br />
Indikatorwerte nicht normalverteilt sind (p < 0,05) und deshalb bei der KFA das<br />
ULS-Verfahren anzuwenden ist. Auf Faktorebene erfüllt das Messmodell alle lokalen,<br />
globalen und deskriptiven Gütemaße bis auf das RMR, dessen <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,11<br />
überschreitet den Grenzwert <strong>von</strong> 0,10 leicht. Da aber die anderen Gütemaße deutlich<br />
erfüllt werden und beispielsweise der GFI, AGFI und der CFI, ebenso wie das<br />
deskriptive Cronbachs Alpha <strong>von</strong> 0,90 auf eine hohe Modellgüte schließen lassen,<br />
wird das Messmodell insgesamt als reliabel und valide betrachtet.<br />
45 Von der weiteren Analyse ausgeschlossen<br />
245
In der Hauptuntersuchung wird der Faktor Verwirrung und Frustration durch die sechs<br />
Indikatoren VerFr1 bis Verfr6 gemessen.<br />
Indikatorenebene<br />
Faktorebene<br />
Indikator Ladung Indikatorreliabilität<br />
DEV Faktorreliab.<br />
Globale<br />
Anpassungsmaße<br />
Cronbachs<br />
Alpha<br />
Kriterium > 0,70 > 0,50 > 0,50 > 0,60 > 0,9 < 0,1 > 0,70<br />
VerFr1 0,70 0,49 0,61 0,90 GFI: 1,00 RMR: 0,11 0,90<br />
VerFr2 0,77 0,59<br />
AGFI: 0,99<br />
NFI: 0,96<br />
VerFr3 0,78 0,61<br />
CFI: 0,97<br />
VerFr4 0,88 0,77<br />
VerFr5 0,77 0,60<br />
VerFr6 0,78 0,61<br />
VerFr7 39 0,64 -<br />
Tabelle 21:<br />
Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors „Verwirrung und Frustration“<br />
Aufwand<br />
Auch bei diesem Faktor muss aufgrund der geringen Ladung ein Item ausgeschlossen<br />
werden (siehe Tabelle 22): <strong>Der</strong> Indikator Aufw6 (Ich finde die Entscheidung sehr<br />
mühsam und anstrengend) hat nur eine Ladung <strong>von</strong> 0,51, die somit deutlich unterhalb<br />
des Mindestwerts <strong>von</strong> 0,70 liegt. Das Ergebnis verwundert etwas, da sich das Item<br />
Aufw6 inhaltlich nicht wesentlich <strong>von</strong> den anderen Indikatoren unterscheidet, vielmehr<br />
zusammenfassenden Charakter anderer Aspekte hat. Dennoch wird das Messitem<br />
entfernt. Die exploratorische Faktorenanalyse der verbleibenden fünf Indikatoren<br />
führte zur Extraktion <strong>von</strong> nur einem Faktor (1. Eigenwert: 3,59; 2. Eigenwert: 0,49), es<br />
kann somit <strong>von</strong> Unidimensionalität der Messung ausgegangen werden. Die<br />
Indikatorwerte folgen nicht einer Normalverteilung, was sich aus dem Kolmogorow-<br />
Smirnow-Test ergab (p < 0,001) und zur Anwendung des ULS-Verfahrens in der KFA<br />
führte. Die hierbei ermittelten Gütemaße liegen alle über den vorgegebenen<br />
Grenzwerten. Hervorzuheben ist, dass die globalen Gütemaße (GFI, AGFI, NFI und<br />
CFI) <strong>Wert</strong>e zwischen 0,98 und 1,00 annehmen und damit den Grenzwert <strong>von</strong> 0,90<br />
deutlich überschreiten. Auch die hohe Faktorreliabilität <strong>von</strong> 0,90 und das Cronbachs<br />
Alpha in gleicher Höhe deuten auf eine hohe Qualität des Messmodells hin.<br />
246
Insgesamt führt der Pretest zur Elimination <strong>von</strong> einem Item der ursprünglichen<br />
Operationalisierung. Das Messmodell der verbleibenden fünf Indikatoren kann als<br />
valide und reliabel eingestuft werden und geht entsprechend in die Hauptuntersuchung<br />
ein.<br />
Indikatorenebene<br />
Faktorebene<br />
Indikator Ladung Indikatorreliabilität<br />
DEV Faktorreliab.<br />
Globale<br />
Anpassungsmaße<br />
Cronbachs<br />
Alpha<br />
Kriterium > 0,70 > 0,50 > 0,50 > 0,60 > 0,9 < 0,1 > 0,70<br />
Aufw1 0,72 0,52 0,65 0,90 GFI: 1,00 RMR: 0,08 0,90<br />
Aufw2 0,77 0,60<br />
AGFI: 0,99<br />
NFI: 0,98<br />
Aufw3 0,86 0,74<br />
CFI: 0,99<br />
Aufw4 0,85 0,72<br />
Aufw5 0,82 0,67<br />
Aufw6 46 0,51 -<br />
Tabelle 22:<br />
Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors „Aufwand“<br />
Antizipiertes Regret<br />
<strong>Der</strong> letzte Faktor Kostendimension wurde durch sechs Indikatoren operationalisiert,<br />
<strong>von</strong> denen aber nur vier eine Faktorladung <strong>von</strong> über 0,70 im Pretest aufwiesen: Die<br />
Items AnReg5 (Für meine Entscheidung könnte ich <strong>von</strong> anderen kritisiert werden) und<br />
AnReg6 (Die Auswahl an Produkten weckt in mir die Erwartung, dass ich genau das<br />
Produkt finde, das ich suche) wurden deshalb eliminiert und <strong>von</strong> der weiteren<br />
Betrachtung ausgeschlossen. Erstaunlich ist hierbei, dass das letzte Item, das eine<br />
Antezedenz des Regrets misst, <strong>von</strong> den Befragten nur sehr schwach mit den anderen<br />
gemessenen Aspekten des Regrets in Verbindung gebracht wird. <strong>Der</strong> Wegfall der<br />
Facette des antizipierten Tadels (AnReg5) scheint dagegen plausibel und<br />
nachvollziehbar.<br />
Die verbleibenden vier Indikatoren laden alle auf einen Faktor, was aus den <strong>Wert</strong>en<br />
<strong>von</strong> 2,72 und 0,48 des ersten bzw. zweiten Eigenwerts erkennbar ist. <strong>Der</strong><br />
Kolmogorow-Smirnow-Test führte zur Ablehnung der Normalverteilungsannahme<br />
der Indikatoren (p < 0,05) und zur Anwendung des ULS-Verfahrens bei der KFA.<br />
46 Von der weiteren Analyse ausgeschlossen<br />
247
Die hierbei ermittelten lokalen und globalen Gütemaße bescheinigen dem<br />
verbleibenden Messmodell eine gute Modellgüte. So überschreiten die DEV mit 57%<br />
und die Faktorreliabilität mit 0,84 die Mindestwerte <strong>von</strong> 50% bzw. 0,60 und die<br />
globalen Gütemaße liegen nahe an ihrem jeweiligen Maximalwert <strong>von</strong> 1,00.<br />
Abgerundet wird das Ergebnis durch das deskriptive Cronbachs Alpha, das mit einem<br />
<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,84 als gut einzustufen ist und auf eine angemessene Reliabilität der<br />
Messung schließen lässt.<br />
<strong>Der</strong> Faktor Antizipiertes Regret wird in der Hauptuntersuchung durch die vier<br />
Indikatoren AnReg1 bis AnReg4 gemessen.<br />
Indikatorenebene<br />
Faktorebene<br />
Indikator Ladung Indikatorreliabilität<br />
DEV Faktorreliab.<br />
Globale<br />
Anpassungsmaße<br />
Cronbachs<br />
Alpha<br />
Kriterium > 0,70 > 0,50 > 0,50 > 0,60 > 0,9 < 0,1 > 0,70<br />
AnReg1 0,72 0,52 0,57 0,84 GFI: 1,00 RMR: 0,04 0,84<br />
AnReg2 0,78 0,61<br />
AGFI: 1,00<br />
NFI: 0,99<br />
AnReg3 0,78 0,61<br />
CFI: 1,00<br />
AnReg4 0,75 0,56<br />
AnReg5 47 0,45 -<br />
AnReg6 47 0,29 -<br />
Tabelle 23:<br />
Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors „Antizipiertes Regret“<br />
3.3.3.3 Gesamtbeurteilung<br />
Überprüfung der Diskriminanzvalidität<br />
Neben der isolierten Betrachtung jedes einzelnen Faktors ist im Rahmen des Pretests<br />
auch die übergreifende Diskriminanzvalidität der Messung auf Faktorebene zu<br />
überprüfen, d. h. es ist festzustellen, ob die unterschiedlichen Messmodelle der<br />
Faktoren auch tatsächlich inhaltlich verschiedene Aspekte <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> messen. Dies erfolgt anhand des Fornell-Larcker-Kriteriums (vgl.<br />
Fornell/Larcker 1981, S. 46; siehe auch die Ausführungen auf S. 264). Hierfür ist für<br />
47 Von der weiteren Analyse ausgeschlossen<br />
248
jeden Faktor zunächst ein Faktorwert (<strong>Wert</strong> der latenten Variablen) pro Datensatz zu<br />
berechnen, um anschließend Korrelationskoeffizienten ermitteln zu können. <strong>Der</strong> <strong>Wert</strong><br />
einer latenten Variablen ergibt sich dabei als gleichgewichteter Mittelwert aller einem<br />
Faktor zugeordneten Indikatoren (vgl. Homburg 1995, S. 111). Diese Durchschnittsbetrachtung<br />
ist konform mit der reflektiven Operationalisierung der Faktoren. Die<br />
Berechnung der Korrelationskoeffizienten erfolgte in SPSS.<br />
Wie aus Tabelle 24 zu erkennen ist, wird das Fornell-Larcker-Kriterium <strong>von</strong> allen<br />
Faktoren erfüllt, da für jeden Faktor gilt, dass seine DEV größer ist als die quadrierte<br />
Korrelation seines Faktorwerts mit den Faktorwerten aller anderen Faktoren. Somit<br />
kann <strong>von</strong> Diskriminanzvalidität der Faktoren ausgegangen werden, d. h. die<br />
verschiedenen Faktoren messen auch tatsächlich untschiedliche Inhaltsaspekte.<br />
Faktoren<br />
Antizipierter<br />
Produktnutzen<br />
Erfolgsaussichten<br />
Informationsmöglichkeiten<br />
Spaß<br />
0,686 quadrierte Korrelationen<br />
0,670 0,134<br />
0,557 0,298 0,230<br />
Positive<br />
Emotionen<br />
Erfolgsaussichten<br />
Antizipierter<br />
Produktnutzen<br />
Informationsmöglichkeiten<br />
Verwirrung<br />
und<br />
Frustration<br />
Aufwand<br />
Spaß 0,690 0,003 0,100 0,027<br />
Positive<br />
Emotionen<br />
Verwirrung und<br />
Frustration<br />
0,654 0,247 0,346 0,311 0,160<br />
0,611 0,023 0,058 0,038 0,071 0,070<br />
Aufwand 0,649 0,303 0,013 0,037 0,003 0,014 0,291<br />
Antizipiertes<br />
Regret<br />
0,574 0,012 0,126 0,128 0,097 0,083 0,345 0,189<br />
DEV 0,686 0,670 0,557 0,690 0,654 0,611 0,649<br />
Tabelle 24: Ergebnisse der Überprüfung des Fornell-Larcker-Kriteriums der Nutzen- und<br />
Kostendimension im Pretest<br />
249
Zusammenfassung<br />
Die Gütebeurteilung der Messmodelle auf Faktorenebene des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> hat zur Anpassung der Itembatterien einiger Faktoren geführt. Den<br />
angepassten Messmodellen konnte aber insgesamt eine hohe Güte bescheinigt werden.<br />
Die Überprüfung des Fornell-Larcker-Kriteriums hat außerdem die Diskriminanzvalidität<br />
der Messung gezeigt. Insgesamt hat der Pretest die vorgeschlagene <strong>St</strong>ruktur<br />
und Operationalisierung der Faktorenebene Kosten- und Nutzendimension bestätigt. In<br />
Tabelle 25 ist die Anzahl der Indikatoren pro Faktor und Dimension vor und nach dem<br />
Pretest nochmals zusammenfassend dargestellt. Insgesamt wurden durch den Pretest<br />
sieben Items aus der Itembatterie entfernt, drei bei der Nutzendimension und vier bei<br />
der Kostendimension. In der Hauptuntersuchung werden die KPV und NPV durch 21<br />
bzw. 15 gemessen.<br />
Dimension<br />
Nutzen<br />
Kosten<br />
Tabelle 25:<br />
Faktor<br />
Operationalisierung<br />
(ursprünglich)<br />
Anzahl der Indikatoren<br />
Eliminiert<br />
(nach<br />
Pretest)<br />
Erfolgsaussichten 3 24 0 3<br />
Antizipierter Produktnutzen 4 0 4<br />
Informationsmöglichkeiten 6 1 5<br />
Spaß 4 0 4<br />
Positive Emotionen 7<br />
2 5<br />
Verwirrung und Frustration 7 19 1 6<br />
Aufwand 6 1 5<br />
Antizipiertes Regret 6<br />
2 4<br />
Hauptuntersuchung<br />
Summe 43 7 36<br />
Anzahl der Indikatoren pro Dimension und Faktor vor und nach dem Pretest<br />
21<br />
15<br />
Nach der Darstellung des Pretests und seiner Ergebnisse kann im nächsten Kapitel die<br />
Hauptuntersuchung beschrieben werden. Hierbei wird zunächst auf die methodischen<br />
Aspekte eingegangen und Analyseverfahren, Gütekriterien und insbesondere der<br />
PLS-Ansatz vorgestellt. Anschließend werden das Untersuchungsdesign und die<br />
Ergebnisse der Analysen auf Messmodellebene erläutert.<br />
250
3.4 Hauptuntersuchung<br />
3.4.1 Analyseverfahren und Gütekriterien<br />
3.4.1.1 Auswahl eines geeigneten Analyseverfahrens<br />
Ziel der empirischen Untersuchung ist es, die Parameter des in den vorherigen<br />
Kapiteln konzeptualisierten und operationalisierten Konstrukts mit Hilfe geeigneter<br />
Verfahren zu schätzen und dabei die reliable und valide Messung sicherzustellen. Wie<br />
in Kapitel 3.1.1.2 (S. 190f.) bereits erwähnt, kommen für die Schätzung der Parameter<br />
der Mess- und <strong>St</strong>rukturmodelle kovarianz- und varianzbasierte Verfahren in Frage.<br />
Während kovarianzbasierte Verfahren in der Marketingforschung weit verbreitet sind,<br />
findet das varianzbasierte Verfahren der Partial Least Squares-Analyse (PLS) erst<br />
seit kurzem breitere Anwendung in der empirischen Forschung (vgl. Ringle 2004, S. 5;<br />
Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 2ff.; Eggert/Fassot 2003, S. 2).<br />
Die Entscheidung, ob ein varianzbasiertes Verfahren wie PLS oder ein<br />
kovarianzbasiertes wie LISREL in einer Untersuchung zur Anwendung kommt, ist vor<br />
allem <strong>von</strong> der Operationalisierung der Modellkonstrukte und der Forschungsmotivation<br />
abhängig (vgl. Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 19ff):<br />
• Sind alle Konstrukte des Modells reflektiv operationalisiert, sind grundsätzlich<br />
beide Verfahren geeignet und die Wahl ist abhängig <strong>von</strong> der Forschungsmotivation.<br />
Dominiert hierbei die Varianzerklärung der Zielvariablen, so ist<br />
dem PLS-Verfahren der Vorzug zu geben, ansonsten sind kovarianzbasierte<br />
Verfahren geeigneter.<br />
• Besteht ein Modell nur aus formativen Konstrukten, kommt aus<br />
Identifikationsaspekten nur PLS in Frage.<br />
251
• Enthält das Modell sowohl formative als auch reflektive Konstrukte, ist die<br />
Anwendung kovarianzbasierter Verfahren nur unter bestimmten<br />
Bedingungen möglich:<br />
- Von jedem formativen Konstrukt müssen mindestens zwei Pfade zu<br />
reflektiven Konstrukten ausgehen und<br />
- Nur exogene Konstrukte sind formativ, alle endogenen Konstrukte sind<br />
reflektiv. Im Falle formativ operationalisierter endogener Konstrukte<br />
sind kovarianzbasierte Verfahren aufgrund der nicht möglichen<br />
Aussagen zur Varianzerklärung nicht zu empfehlen.<br />
In allen anderen Fällen ist die Verwendung <strong>von</strong> PLS möglich bzw. zu<br />
empfehlen.<br />
Ob in der vorliegenden Untersuchung ein kovarianzbasiertes Verfahren (LISREL)<br />
oder mit PLS ein varianzbasiertes Verfahren bei der empirischen Analyse zur<br />
Anwendung kommen soll, ist folglich abhängig <strong>von</strong> der Operationalisierung der<br />
Kosten- und Nutzendimension sowie der Zielsetzung der Untersuchung:<br />
• Die hier zu untersuchenden Dimensionen Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und<br />
Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> wurden auf Faktorenebene reflektiv und auf<br />
Dimensionsebene formativ operationalisiert, enthalten also sowohl formative<br />
als auch reflektive Elemente (siehe Kapitel 3.2.2, S. 214ff).<br />
• Ziel der Untersuchung ist neben der Messung <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> auch die Bestimmung des Einflusses hoher Vielfalt auf<br />
verschiedene Zielgrößen des Konsumentenverhaltens wie Kaufintention und<br />
Zufriedenheit. Es steht daher die Varianzerklärung dieser Zielgrößen und<br />
nicht die Überprüfung eines theoretischen Modells im Vordergrund.<br />
Aus diesen Gründen ist das PLS-Verfahren geeigneter als ein kovarianzbasiertes<br />
Verfahren, wie z. B. LISREL und wird in dieser Untersuchung zur Datenanalyse<br />
verwendet.<br />
Nachfolgend werden nach einem knappen Überblick zum PLS-Verfahren die in der<br />
Hauptuntersuchung verwendeten und auf PLS basierenden Analyseverfahren und<br />
Gütekriterien der Konstruktmessung dargestellt.<br />
252
3.4.1.2 <strong>Der</strong> PLS-Ansatz<br />
Das varianzbasierte PLS-Verfahren gründet auf einem <strong>von</strong> Herman Wold Ende der<br />
60er Jahre entwickelten Algorithmus, der die einfache Einbindung formativer und<br />
reflektiver Konstrukte in ein <strong>St</strong>rukturgleichungsmodell erlaubt (vgl. Wold 1985,<br />
S. 581ff.). Obwohl dieser 1977 <strong>von</strong> Apel und 1982 <strong>von</strong> Lohmüller softwaretechnisch<br />
umgesetzt wurde, fand er bislang in der betriebswirtschaftlichen Forschung kaum<br />
Beachtung. In dieser Arbeit kommt das <strong>von</strong> Chin entwickelte Programm PLS Graph in<br />
der Version 3.00 zum Einsatz. Dieses basiert auf dem <strong>von</strong> Lohmöller (letzte Version<br />
1987) entwickelten Programm LVPLS 1.8, verfügt aber zusätzlich über eine<br />
graphische Oberfläche und verbesserte Validierungstechniken (vgl. Chatelin/Vinzi/<br />
Tenenhaus 2002, S. 7).<br />
Als varianzbasiertes Verfahren hat der PLS-Ansatz das Ziel, die empirische<br />
Datenstruktur, also die Indikatorwerte, bestmöglich zu reproduzieren. In Abbildung 54<br />
ist ein komplettes PLS-Modell mit formativen und reflektiven latenten Variablen<br />
dargestellt.<br />
Exogenes (formatives) Messmodell<br />
Endogenes (reflektives) Messmodell<br />
x 1<br />
x 2<br />
x 3<br />
x 4<br />
π x1<br />
π x2<br />
π x3<br />
π x4<br />
ξ<br />
γ 1<br />
η<br />
inneres Modell/<strong>St</strong>rukturmodell<br />
ζ η<br />
λ y1<br />
y 1<br />
ε 1<br />
λ y3<br />
y 3<br />
ε 3<br />
λ y2<br />
y 2<br />
ε 2<br />
äußeres Modell<br />
äußeres Modell<br />
Abbildung 54: PLS-Modell nach der Parameterschätzung. Quelle: Herrmann/Huber/Kressmann 2004,<br />
S. 6<br />
Zur Bestimmung der Schätzparameter λ i und π i nutzt der PLS-Schätzalgorithmus so<br />
genannte Gewichte als Hilfsvariablen. Mit deren Hilfe werden konkrete <strong>Wert</strong>e für<br />
die latenten Variablen auf der Basis einer gewichteten Linearkombination ihrer<br />
Indikatoren berechnet. Die Gewichte werden durch den Algorithmus dabei so<br />
bestimmt, dass die Residuen in den Messmodellen minimiert werden, um so die<br />
tatsächlichen Datenpunkte optimal anzunähern (Kleinstquadrateigenschaft)<br />
253
(vgl. Lohmöller 1989, S. 29f.; Voges/Lohmöller 1989, S. 10; Herrmann/<br />
Huber/Kressmann 2004, S. 5). <strong>Der</strong> PLS-Algorithmus schätzt die Gewichte für jede<br />
Variable getrennt und unter der Annahme, dass die anderen, benachbarten latenten<br />
Variablen bekannt sind, also quasi perfekt gemessen werden. Dabei ist die Art, in der<br />
PLS die Gewichte bestimmt, abhängig vom Messmodelltyp und erfolgt iterativ in<br />
einem dreiphasigen Prozess, der in Abbildung 55 als Ablaufdiagramm veranschaulicht<br />
ist (vgl. Lohmöller 1989, S. 29f.).<br />
PHASE 1<br />
ERSTELLUNG DER AUSGANGSLÖSUNG<br />
Jede latente Variable wir als nichttriviale Linearkombination der jeweiligen<br />
Indikatorvariablen ausgedrückt<br />
ITERATIVE SCHÄTZUNG DER LATENTEN VARIABLEN<br />
Innere Approximation<br />
Minimierung der Varianz <strong>von</strong> ζ im <strong>St</strong>rukturmodell<br />
PHASE 2<br />
Äußere Approximation<br />
Minimierung der Varianz <strong>von</strong> ε und δ im reflektiven Messmodell<br />
Minimierung der Varianz <strong>von</strong> δ im formativen Messmodell<br />
Konvergenztest<br />
BERECHNUNG DER MODELLPARAMETER<br />
PHASE 3<br />
Berechnung der Pfadkoeffizienten im inneren Modell<br />
Berechnung der Pfadkoeffizienten im äußeren Modell<br />
Abbildung 55: Ablaufdiagramm des PLS-Schätzalgorithmus. Quelle: Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 6<br />
In der ersten Phase wird eine Ausgangslösung erstellt, indem jede latente Variable als<br />
nichttriviale Linearkombination ihrer Indikatoren ausgedrückt wird.<br />
Die zweite Phase dient der Schätzung der latenten Variablen. Hierbei werden die<br />
Schätzwerte in einem iterativen Prozess durch wechselweise innere und äußere<br />
Approximation (im Sinne des <strong>St</strong>ruktur- bzw. Messmodells) verbessert. Ziel dieser<br />
Iteration ist es, die Residualvarianzen im <strong>St</strong>ruktur- und Messmodell zu minimieren.<br />
Die Iteration aus äußerer und innerer Approximation wird deshalb so oft durchgeführt,<br />
254
is sich die Gewichte nicht mehr wesentlich ändern und ein vorgegebenes<br />
Konvergenzkriterium 48 erfüllen (vgl. Lohmöller 1989, S. 29f.). Die Gewichte der<br />
Messmodelle sind dabei im Fall eines reflektiven Konstrukts als einfache<br />
Regressionskoeffizienten des Indikators, durch die der Einfluss der latenten Variable<br />
auf den jeweiligen Indikator beschrieben wird, zu verstehen. Bei formativen<br />
Messmodellen dienen die multiplen Regressionskoeffizienten, die den Einfluss der<br />
Indikatorvariablen auf die zugehörige latente Variable messen, als Gewichte (vgl.<br />
Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 5).<br />
Basierend auf den Schätzwerten der zweiten Phase werden in der dritten Phase die<br />
Modellparameter mittels einer OLS-Regression bestimmt. Hierbei werden zunächst<br />
die Pfadkoeffizienten des inneren Modells (<strong>St</strong>rukturmodell) und anschließend die<br />
Regressionskoeffizienten im Messmodell (äußeres Modell) berechnet (vgl.<br />
Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 6). Für formative Konstrukte führt die Schätzung der<br />
multiplen Regressionskoeffizienten auf Basis der aus den Gewichten bestimmten<br />
Konstruktwerte dabei „(...)zwingend zu den Gewichten als Regressionskoeffizienten<br />
und einem Fehlerterm δ <strong>von</strong> Null“ (Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 6). Die zur<br />
Berechnung einiger Gütemaße erforderlichen Mittelwerte für latente und manifeste<br />
Variablen werden zusammen mit den Ortungsparametern am Ende des Algorithmus<br />
bestimmt (Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 6).<br />
Obwohl der PLS-Algorithmus jeweils nur einen Teil des Models behandelt (daher der<br />
Name Partial Least Squares), liefert er eine „(...) modellweite und hinsichtlich der<br />
Erklärungskraft des Gesamtmodells optimale Lösung (...)“ (Götz/Liehr-Gobbers 2004,<br />
S. 6).<br />
<strong>Der</strong> PLS-Ansatz und kovarianzbasierte Verfahren im Vergleich<br />
<strong>Der</strong> varianzbasierte PLS-Ansatz unterscheidet sich <strong>von</strong> kovarianzbasierten Verfahren<br />
wie LISREL am augenscheinlichsten hinsichtlich seiner Zielsetzung: Während die<br />
Kovarianzstrukturanalyse ein konfirmatorisches Verfahren darstellt und darauf abzielt,<br />
ein aus der Theorie abgeleitetes Modell zu analysieren und zu validieren, maximiert<br />
PLS die Erklärungskraft des <strong>St</strong>rukturmodells. Da die Parameter durch den<br />
PLS-Algorithmus so bestimmt werden, dass die Datenmatrix bestmöglich nachgebildet<br />
48 Ein gebräuchliches Kriterium ist, dass sich die die Gewichte zwischen innerer und äußerer<br />
Approximation ab der vierten Nachkommastelle nicht mehr ändern.<br />
255
wird, haben diese bessere Vorhersageeigenschaften als Schätzer kovarianzbasierter<br />
Verfahren (vgl. Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 7). Das PLS-Verfahren ist daher<br />
insbesondere für die Überprüfung der Prognosegenauigkeit eines Modells und die<br />
Theorieherleitung und weniger für die Überprüfung eines theoriebasierten Modells<br />
geeignet (vgl. Wold 1982a, S. 341ff.; Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 4).<br />
Dies liegt insbesondere auch darin begründet, dass in PLS keine Gesamtgütemaße in<br />
Bezug auf die Modellanpassung verfügbar sind: „Since PLS does not attempt to<br />
minimize residual item covariance, there is no summary statistic to measure the<br />
overall fit of models (...)“ (Sarker et al. 2001, S. 366). Hintergrund hierfür ist, dass<br />
PLS keine Annahmen hinsichtlich der Verteilung der Daten voraussetzt und deshalb<br />
auch keine inferenzstatistischen Tests auf der Grundlage <strong>von</strong> Verteilungen möglich<br />
sind. Signifikanzaussagen können in PLS daher nur auf Basis der Hilfs-Prozeduren<br />
Bootstrap und Jackknife gemacht werden (vgl. Herrmann/Huber/Kressmann 2004,<br />
S. 7).<br />
Demgegenüber ist das PLS-Verfahren im Vergleich zur Kovarianzstrukturanalyse<br />
hinsichtlich der Mindestanforderungen an die <strong>St</strong>ichprobengröße im Vorteil. Während<br />
kovarianzbasierte Verfahren einen <strong>St</strong>ichprobenumfang <strong>von</strong> mindestens 100 für die<br />
Identifizierbarkeit des Models benötigen (vgl. Backhaus et al. 2003, S. 365), hat PLS<br />
auch bei relativ kleinen <strong>St</strong>ichproben keine Identifikationsprobleme, da nur jede<br />
Teilregression identifizierbar sein muss (vgl. Chin/Newsted 1999, S. 313). Da das<br />
PLS-Verfahren keine Verteilungsannahme unterstellt, ist es auch dann einsetzbar,<br />
wenn die manifesten Variablen nicht multinormalverteilt sind und die Residuen keine<br />
identische Verteilung (Homoskedastizität) besitzen (vgl. Lohmöller 1989, S. 70f.).<br />
Aufgrund dieser „weichen“ Verteilungsannahmen wird die Modellierung mit dem<br />
PLS-Verfahren auch als Soft Modeling bezeichnet (vgl. Wold 1980, S. 47ff.). Ein<br />
weiterer Vorteil – wenn nicht der Hauptvorteil <strong>von</strong> PLS – ist, dass das PLS-Verfahren<br />
die Analyse sowohl formativer als auch reflektiver Konstrukte erlaubt. Dies ist bei der<br />
Kovarianzanalyse nur unter relativ restriktiven Bedingungen möglich (siehe S. 252).<br />
<strong>Der</strong> PLS-Ansatz ist demnach weniger restriktiv als kovarianzbasierte Verfahren, dafür<br />
hat er Schwächen hinsichtlich der systematischen Messfehler und der Konsistenz der<br />
Parameterschätzungen (vgl. Chin/Marcolin/Newsted 1996, S. 34). Dies ist darauf<br />
zurückzuführen, dass sich die Konstruktwerte als lineare Kombination der mit<br />
Messfehlern behafteten Indikatoren ergeben und diese deshalb inkonsistent sind.<br />
Gleiches gilt für die auf den Konstruktwerten basierenden Parameterschätzungen<br />
(Fornell/Cha 1994, S. 66).<br />
256
In Folge dessen werden durch das PLS-Verfahren die Verbindungen zwischen<br />
Konstrukt und Indikatoren (Ladungen) überschätzt und die Pfadkoeffizienten als<br />
Verbindungen zwischen den Konstrukten unterschätzt. (vgl. Chin/Marcolin/Newsted<br />
1996, S. 34). Es konnte aber nachgewiesen werden, dass sich die Überschätzungen im<br />
Messmodell und die Unterschätzungen im <strong>St</strong>rukturmodell gegenseitig aufheben und<br />
somit die „Korrelationen zwischen Indikatoren verschiedener latenter Variablen<br />
wiederum stets konsistent sind“ (Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 8). Ferner<br />
argumentierte Wold (1980, S. 52), dass sich kovarianz- und varianzbasierte Schätzer<br />
nicht wesentlich <strong>von</strong>einander unterscheiden und in der Regel co-konsistent sind.<br />
Folglich ist die Rangfolge der Einflussstärken sehr ähnlich und deren Relationen sind<br />
nahezu proportional (vgl. Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 8).<br />
Nachteilig ist ferner, dass es beim PLS-Verfahren zur Verbesserung der Konsistenz<br />
der Schätzer notwendig ist, gleichzeitig den <strong>St</strong>ichprobenumfang und die Anzahl der<br />
Indikatoren zu erhöhen. Dies liegt daran, dass die Konstrukte als Linearkombination<br />
der Indikatoren abgebildet werden und dadurch bei erhöhter Indikatorenzahl der<br />
einzelne fehlerbehaftete Indikator weniger ins Gewicht fällt. Diese Eigenschaft wird<br />
als „consistency at large“ (Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 9) bezeichnet. Im<br />
Vergleich hierzu reicht es bei der Kovarianzanalyse aus, den <strong>St</strong>ichprobenumfang zu<br />
erhöhen, um die Konsistenz der Schätzer zu verbessern (vgl. Wold 1982b, S. 25).<br />
Zusammenfassung<br />
Fasst man die Vor- und Nachteile des PLS-Ansatzes gegenüber kovarianzbasierten<br />
Verfahren zusammen, so lässt sich folgendes festhalten: PLS ist das weniger<br />
restriktive Verfahren, das auch die Analyse kleiner <strong>St</strong>richproben ermöglicht und keine<br />
Annahmen hinsichtlich der Verteilung der manifesten Variablen macht. Damit<br />
verbunden ist aber, dass PLS keine Gütemaße auf Gesamtmodellebene zur Verfügung<br />
stellt und deshalb weniger zur Theorieüberprüfung, als viel mehr zur Vorhersage<br />
konkreter Datenpunkte geeignet ist. Hinsichtlich der Genauigkeit der Schätzer ist das<br />
PLS-Verfahren der Kovarianzanalyse unterlegen. Da die Schätzer kovarianz- und<br />
varianzbasierter Verfahren aber normalerweise co-konsistent sind, sind die relativen<br />
Einflüsse der Parameter bei beiden Verfahren etwa gleich. Sollen in einer<br />
Untersuchung die relativen Einflüsse verschiedener Parameter auf eine Zielgröße<br />
untersucht werden, ist PLS folglich gegenüber kovarianzanalytischen Verfahren nicht<br />
im Nachteil (vgl. Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 10). Das PLS-Verfahren ist<br />
257
somit besser zur Untersuchung der hier betrachteten Fragestellungen geeignet, als ein<br />
varianzbasiertes Verfahren wie beispielsweise LISREL.<br />
Ansatz zur Analyse <strong>von</strong> Konstrukten zweiter Ordnung mit PLS<br />
Eines der Ziele der empirischen Untersuchung ist die Messung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> anhand seiner Kosten- und Nutzendimension. Beide wurden als<br />
Konstrukt zweiter Ordnung 49 konzeptualisiert (siehe Kapitel 3.2.1. S. 209ff.). Es ist<br />
deshalb ein auf PLS basierender Ansatz anzuwenden, der die hierarchische <strong>St</strong>ruktur<br />
der Konstruktebenen abbildet, zu einer globalen latenten Variable „verdichtet“ und für<br />
diese einen <strong>Wert</strong> berechnet. Dieser <strong>Wert</strong> enspricht dem <strong>Wert</strong> der latenten Variablen<br />
KVP bzw. NVP und damit den Kosten bzw. dem Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>.<br />
Wold (1982, S. 40ff.) schlägt hierfür eine <strong>St</strong>ruktur vor, in der alle latenten Variablen in<br />
einem „super block“ (Tenenhaus et al. 2004, S. 38) zusammengefasst und die<br />
einzelnen latenten Variablen mit diesem verbunden werden. Abbildung 56 stellt die<br />
<strong>von</strong> Wold (1982b) entwickelte Modellstruktur als Pfaddiagramm dar.<br />
x 11<br />
x 11<br />
x 12<br />
x 13<br />
x 21<br />
x 22<br />
X 1<br />
X 2<br />
x 11<br />
x 12<br />
x 13<br />
x 21<br />
X 4 x 22<br />
x 32<br />
X 3 x 31<br />
x 31<br />
x 32<br />
x 32<br />
X 3<br />
x 33<br />
x 33<br />
Abbildung 56: Von Wold (1982b) entwickelte <strong>St</strong>ruktur zur Abbildung eines Konstrukts zweiter<br />
Ordnung in PLS. In Anlehnung an Wold (1982b), S. 41<br />
49 Auf Konstrukte zweiter Ordnung wurde bereits in Kapitel 3.1.2, S. 192ff. (siehe auch Abbildung<br />
45, S. 193) eingegangen.<br />
258
Auf Faktorenebene werden die latenten Variablen X 1 , X 2 und X 3 reflektiv durch die<br />
entsprechenden manifesten Variablen x 11 bis x 33 abgebildet. Den Gesamtwert der<br />
latenten Variable auf Konstruktebene (X 4 ) erhält man durch die Verbindung der<br />
latenten Variablen X 1 , X 2 und X 3 mit der latenten Variablen X 4 , die alle manifesten<br />
Variablen als „super block“ (Tenenhaus et al. 2004, S. 38) zusammenfasst. Wold<br />
(1982b) schlägt vor, die Superblock-Variable reflektiv durch alle manifesten Variablen<br />
des Konstrukts zu operationalisieren (vgl. Wold 1982b, S. 40ff.). Ebenso<br />
argumentieren beispielsweise auch Guinot, Latreille und Tenenhaus (2001, S. 257),<br />
sowie Pagès und Tenenhaus (2001, S. 267f.), welche die <strong>von</strong> Wold (1982b)<br />
vorgeschlagene <strong>St</strong>ruktur in empirischen Untersuchungen angewendet haben, um für<br />
Konstrukte mit einer formativen Operationalisierung auf zweiter Ebene einen globalen<br />
<strong>Wert</strong> zu berechnen.<br />
Eine Alternative zum Vorschlag <strong>von</strong> Wold wäre, das Konstrukt auf zweiter Ebene als<br />
eine Art MIMIC-Modell abzubilden (siehe hierzu auch Abbildung 46, S. 202). Dabei<br />
wird die Konstruktebene direkt durch Indikatoren reflektiv operationalisiert. Nachteil<br />
dieses Verfahrens ist, dass die weitere Berechnung ausschließlich auf diesen<br />
Indikatoren beruht, die das Gesamtkonstrukt direkt messen, und folglich die<br />
Informationen der ersten Ebene verloren gehen. Im Gegensatz hierzu nutzt die<br />
<strong>St</strong>ruktur <strong>von</strong> Wold die Informationen aller manifesten Variablen.<br />
Die Konzeptualisierung der Kosten- und Nutzendimension des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> entspricht genau der <strong>von</strong> Wold (1982b) vorgeschlagenen <strong>St</strong>ruktur.<br />
Sein Ansatz ist deshalb Grundlage der nachfolgend beschriebenen Methodik zur<br />
Datenanalyse der Hauptuntersuchung. Bei der Methodenbeschreibung wird<br />
insbesondere auf die Gütemaße eingegangen, auf deren Basis die Validität und<br />
Reliabilität der Konstruktmessung unter Verwendung des PLS-Ansatzes beurteilt wird.<br />
3.4.1.3 Gütekriterien zur Beurteilung der Messmodelle<br />
Nachfolgend werden die Gütekriterien zur Beurteilung der Messmodelle auf der<br />
Ebene 1 (reflektiv) und Ebene 2 beschrieben.<br />
259
Konstruktebene<br />
Nutzen<br />
NPV<br />
<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Kosten<br />
KPV<br />
Ebene 2<br />
(formativ)<br />
Antizipierter<br />
Produktnutzen<br />
Erfolgsaussichten<br />
Informationsmöglichkeiten<br />
Spaß<br />
Positive<br />
Emotionen<br />
Aufwand und<br />
Anstrengung<br />
Negative<br />
Emotionen<br />
Antizipiertes<br />
Regret<br />
Ebene 1<br />
(refklektiv)<br />
AP EA IM Sp PE<br />
AA VF AR<br />
... ... ... ... ... ... ... ...<br />
Abbildung 57: Ebenen des Messmodells<br />
Ebene 1: Gütekriterien zur Beurteilung der reflektiv operationalisierten<br />
Faktoren<br />
In Kapitel 3.1.2.1 (S. 196) wurde bereits erläutert, dass zur Beurteilung der Güte<br />
reflektiver Messmodelle vier Validitätsarten <strong>von</strong> Beutung sind:<br />
• Inhaltsvalidität<br />
• Konvergenzvalidität<br />
• Diskriminanzvalidität<br />
• Nomologische Validität<br />
Während die Beurteilung der Inhaltsvalidität vor allem auf Indikatorenebene erfolgt,<br />
werden die anderen Validitätsarten auf Konstruktebene bewertet.<br />
Gütekriterien auf Ebene der Indikatoren<br />
Die Inhaltsvalidität verlangt, dass die Indikatoren eines Konstrukts mit dessen<br />
theoretischen Rahmen konsistent sind und alle Facetten und Bedeutungsinhalte<br />
abbilden. Dies wird in erster Linie durch das in Kapitel 2 beschriebene theoretische<br />
Gerüst der Untersuchung gewährleistet, das die Basis der Konzeptualisierung und<br />
Operationalisierung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> darstellt (siehe Kapitel 3.2.1,<br />
S. 209ff.). Inhaltsvalidität setzt weiterhin voraus, dass alle Indikatorvariablen dem<br />
„inhaltlich-semantischen Bereich des Konstrukts angehören“ (Homburg/Giering<br />
260
1996, S. 7). Es muss folglich eine enge Beziehung zwischen einer latenten Variablen<br />
und deren Indikatoren bestehen.<br />
In diesem Zusammenhang spielt die Indikatorreliabilität eine wichtige Rolle. Sie<br />
gibt an, „welcher Anteil der Varianz eines Indikators durch die zugrunde liegende<br />
latente Variable erklärt werden kann“ (Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 13). Dieses<br />
Kriterium wird dann erfüllt, wenn mehr als 50% der Varianz eines Indikators durch<br />
die zugehörige latente Variable erklärt wird, was gleichzeitig bedeutet, dass die<br />
gemeinsame Varianz zwischen latenter und zugehöriger manifester Variable<br />
(Indikator) größer ist als die Varianz des entsprechenden Messfehlers (vgl.<br />
Carmines/Zeller 1979, S. 27). Da die Varianz des Messfehlers des Indikators i var(ε i )<br />
durch 1-λ 2 i definiert ist (λ i bezeichnet die Ladung zwischen der latenten Variable und<br />
dem Indikator i) gilt, dass genau dann mehr als 50% der Varianz des Indikators i durch<br />
die entsprechende latenten Variable verursacht werden, wenn die Ladung λ i größer als<br />
die Wurzel aus 0,50 (≈0,707) ist. Werden für die Berechnungen in PLS standardisierte<br />
manifeste Variablen verwendet, was in dieser Untersuchung der Fall ist, so entspricht<br />
die Ladung λ i der Korrelation zwischen manifester Variable i und dem <strong>Wert</strong> der<br />
zugehörigen latenten Variable. Das Ladungsquadrat λ 2 i wird dann als Kommunalität<br />
(Communality) bezeichnet (vgl. Chatelin/Vinzi/Tenenhaus 2002, S. 28). Sie wird in<br />
PLS-Graph sowohl auf Indikator- als auch auf Konstruktebene (durchschnittliche<br />
Kommunalität) berechnet. Das Kriterium der Indikatorreliabilität ist folglich dann<br />
erfüllt, wenn die Kommunalität einer manifesten Variable größer als 0,5 ist.<br />
Neben der Höhe der Ladung zwischen latenter und manifester Variable λ i interessiert<br />
vor allem deren Signifikanz (vgl. Hulland 1999, S. 198). Diese lässt sich durch die<br />
t-<strong>Wert</strong>e der Ladungen abschätzen (vgl. Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 24).<br />
Zweiseitige Signifikanz liegt dabei ab einem t-<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 1,98 50 vor. Zur Berechnung<br />
der t-<strong>Wert</strong>e dienen in PLS die Resampling-Prozeduren Bootstrapping und<br />
Jackknifing, wobei aufgrund des geringeren <strong>St</strong>andardfehlers das Bootstrapping-<br />
Verfahren dem Jackknifing-Verfahren vorzuziehen ist und in dieser Untersuchung<br />
angewendet wird (vgl. Efron/Tibshirani 1993, S. 145f.; Tenenhaus et al. 2004,<br />
S. 25). Zur Ermittlung der t-<strong>Wert</strong>e mittels des Bootstrapping-Verfahrens wird<br />
dieselbe Anzahl an Subsamples generiert, wie die <strong>St</strong>ichprobe Fälle enthält, d. h. bei<br />
einer <strong>St</strong>ichprobengröße <strong>von</strong> 596 werden im Rahmen des Bootstrapping-Verfahrens<br />
50 <strong>Der</strong> Grenzwert ist abhängig <strong>von</strong> der Anzahl der Freiheitsgrade.<br />
261
596 Subsamples „gezogen“. Damit wird der Empfehlung <strong>von</strong> Tenenhaus et al. (2004,<br />
S. 18) Rechnung getragen, der die Generierung <strong>von</strong> über 100 Subsamples anrät.<br />
Gütekriterien auf Faktorebene<br />
Während die Indikatorreliabilität die Modellgüte auf der Ebene der Indikatoren<br />
beurteilt, stellt die Konvergenzvalidität die interne Konsistenz verschiedener Items<br />
eines Konstrukts bzw. Faktors sicher. Die Betrachtung erfolgt somit nicht auf<br />
Indikatorebene sondern auf Konstrukt- bzw. Faktorebene. Konvergenzvalidität setzt<br />
voraus, dass die manifesten Variablen desselben Konstrukts bzw. Faktors<br />
untereinander eine starke Beziehung aufweisen. Götz und Liehr-Gobbers (2004)<br />
schlagen vor, die Konvergenzvalidität anhand der internen Konsistenz zu beurteilen<br />
(S. 13). Diese gibt an, wie gut ein Konstrukt bzw. Faktor durch die ihm zugeordneten<br />
Indikatoren gemessen wird und ist wie folgt definiert:<br />
IK =<br />
⎛<br />
⎜<br />
⎝<br />
∑<br />
i<br />
⎛<br />
⎜<br />
⎝<br />
⎞<br />
λi<br />
⎟<br />
⎠<br />
∑<br />
i<br />
2<br />
+<br />
⎞<br />
λi<br />
⎟<br />
⎠<br />
∑<br />
i<br />
2<br />
var<br />
( ε )<br />
i<br />
(14)<br />
λ i<br />
Ladung zwischen Indikator i und zugehöriger latenter Variable<br />
ε i Messfehler der Indikatorvariablen i (var(ε i ) = 1 - λ i 2 )<br />
Die interne Konsistenz, die auch als Faktorreliabilität (vgl. Ringle 2004, S. 19) oder<br />
Konstruktreliabilität (vgl. Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 24) bezeichnet wird,<br />
kann <strong>Wert</strong>e zwischen 0 und 1 annehmen, wobei höhere <strong>Wert</strong>e auf eine bessere<br />
Messung schließen lassen. Als akzeptabel werden in der Literatur <strong>Wert</strong>e ab 0,6 (vgl.<br />
Bagozzi/Yi 1988, S. 82) bzw. 0,7 (vgl. Nunnally 1978, S. 245) bezeichnet.<br />
Als weitere Kenngröße zur Beurteilung der Konvergenzvalidität wird in der Literatur<br />
die auf Fornell und Larcker (1981, S. 45f.) zurückgehende durchschnittlich erfasste<br />
Varianz DEV (AVE – Average Variance Extracted) genannt (vgl. Ringle 2004,<br />
S. 19f.).<br />
262
Sie ist formal definiert als:<br />
DEV =<br />
∑<br />
i<br />
2<br />
i<br />
∑<br />
i<br />
λ +<br />
λ<br />
∑<br />
i<br />
2<br />
i<br />
var<br />
( ε )<br />
i<br />
(15)<br />
λ i<br />
Ladung zwischen Indikator i und zugehöriger latenter Variable<br />
ε i Messfehler der Indikatorvariablen i (var(ε i ) = 1 - λ i 2 )<br />
Die DEV gibt an, wie hoch der durch einen Faktor erklärte Varianzanteil der<br />
manifesten Variablen ist. Sie entspricht bei der Verwendung standardisierter<br />
manifester Variablen der durchschnittlichen Kommunalität der Indikatoren eines<br />
Blocks (Konstrukt, Faktor) und kann somit ebenfalls <strong>Wert</strong>e zwischen 0 und<br />
1annehmen (vgl. Ringle 2004, S. 20). Als untere Grenze zur Annahme der Messung<br />
wird im Schrifttum ein <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,5 genannt (vgl. Homburg/Baumgartner 1998,<br />
S. 361).<br />
Konvergenzvalidität setzt voraus, dass die Korrelationen zwischen den manifesten<br />
Variablen ausschließlich durch das zugrunde liegende Konstrukt verursacht werden<br />
(vgl. Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 24). Die latente Variable muss somit<br />
unidimensional sein. Unidimensionalität bezeichnet „the degree to which items load<br />
only on their respective constructs without having‚ parallel correlational pattern(s)“<br />
(Gefen/<strong>St</strong>raub/Boudreau 2000, S. 25). Zur Überprüfung der Unidimensionalität des<br />
Konstrukts empfehlen Tenenhaus et al. (2004) u. a. die Eigenwerte der<br />
Korrelationsmatrix der manifesten Variablen zu bestimmen. Ein Block (latente<br />
Variable) kann dann als unidimensional bezeichnet werden, wenn der erste Eigenwert<br />
größer als 1 und der zweite kleiner als eins ist oder zumindest deutlich vom ersten<br />
abweicht. In der Literatur wird dieses Kriterium auch als Kaiser-Kriterium<br />
bezeichnet (vgl. Backhaus et al. 2003, S. 295). Die Autoren schlagen weiterhin vor,<br />
dass man <strong>von</strong> Unidimensionalität ausgehen kann, wenn das Cronbachs Alpha des<br />
Konstrukts über 0,7 liegt (vgl. Tenenhaus et al. 2004, S. 5f.). Im Gegensatz hierzu<br />
weisen Gefen und seine Kollegen (2000) darauf hin, dass die Unidimensionalität nicht<br />
anhand dieser Größe beurteilt werden kann (S. 25). In dieser Untersuchung wird es<br />
dennoch als zusätzliche Größe angegeben. Für eine unidimensionale Messung eines<br />
Konstrukts sind außerdem geringe Kreuzladungen zwischen den Indikatoren des<br />
betrachteten Konstrukts und anderen Konstrukten zu fordern (vgl. Herrmann/<br />
263
Huber/Kressmann 2004, S. 24f.). Im Fall <strong>von</strong> standardisierten manifesten Variablen<br />
sollten also manifesten Variablen stärker mit der zugehörigen latenten Variable als mit<br />
anderen korrelieren. Eng hiermit verbunden ist die Diskriminanzvalidität.<br />
Diese gibt an, inwieweit „(...) measures of distinct concepts differ“ (Bagozzi/Phillips<br />
1982, S. 469) und liegt dann vor, wenn die Messmodelle inhaltlich verschiedener<br />
Konzepte auch unterschiedliche Messergebnisse erzeugen. Die Diskriminanzvalidität<br />
lässt sich mit Hilfe des Fornell-Larcker-Kriteriums beurteilen (vgl. Götz/Liehr-<br />
Gobbers 2004, S. 15). Dieses besagt, dass dann <strong>von</strong> Diskriminanzvalidität<br />
ausgegangen werden kann, wenn die durchschnittlich erfasste Varianz einer latenten<br />
Variablen größer ist als sämtliche quadrierten Korrelationen dieser Variablen mit allen<br />
anderen Konstrukten im Modell (vgl. Fornell/Larcker 1981, S. 46). Ist das Fornell-<br />
Larcker-Kriterium erfüllt, so ist die gemeinsame Varianz einer latenten Variablen mit<br />
ihren manifesten Variablen größer als die gemeinsame Varianz mit anderen<br />
Konstrukten des Modells.<br />
Zur Überprüfung der nomologischen Validität muss das zu untersuchende Konstrukt<br />
in einen übergeordneten theoretischen Rahmen eingebettet werden. Nomologische<br />
Validität liegt dann vor, wenn die auf diesem Rahmen basierenden Zusammenhänge<br />
des zu untersuchenden Konstrukts mit anderen (validen) Konstrukten empirisch<br />
nachgewiesen werden können (vgl. Homburg/Giering 1996, S. 7f). Die Überprüfung<br />
der nomologischen Validität erfolgt auf Konstruktebene bei der Untersuchung der<br />
Konsequenzen der KPV und NPV (vgl. Kapitel 4, S. 307ff.).<br />
Herrmann, Huber und Kressmann (2004) schlagen vor, die Prognosevalidität<br />
reflektiver Messmodelle zusätzlich anhand des <strong>St</strong>one-Geissers Q 2 zu beurteilen<br />
(S. 26). Dieses basiert auf der Blindfolding-Prozedur, die systematisch einzelne Fälle<br />
bei der Parameterschätzung als fehlend (missing) annimmt und deren Rohdaten auf<br />
Basis der geschätzten Parameter rekonstruiert. In dieser Untersuchung wird der in der<br />
Literatur genannten Empfehlung, 25-30 Fälle als fehlend anzunehmen (d. h. G = 30),<br />
gefolgt (vgl. Chatelin/Vinzi/Tenenhaus 2002, S. 10f). Das <strong>St</strong>one-Geissers Q 2 kann<br />
sowohl auf Konstruktebene bezüglich der Kommunalitäten, als auch auf <strong>St</strong>rukturebene<br />
bzgl. der Redundanzen berechnet werden. Da Redundanzen nur für endogene<br />
Konstrukte angegeben werden können, kommt zur Gütebeurteilung der exogenen<br />
Faktoren nur das Q 2 auf Basis der Kommunalitäten in Frage. Das <strong>St</strong>one-Geissers Q 2<br />
vergleicht die Höhe der Residuen der Indikatorvariablen aus der Modellschätzung mit<br />
der Höhe der Residuen einer trivialen Vorhersage. Letztere basiert auf den<br />
Mittelwerten der verbleibenden Daten aus der Blindfolding-Prozedur (vgl.<br />
264
Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 25). Das Kriterium misst, wie gut das geschätzte<br />
Modell die empirisch gewonnen Daten rekonstruieren kann und wird daher als Maß<br />
für die Vorhersagerelevanz des Modells bezeichnet (vgl. Fornell/Cha 1994, S. 72f.).<br />
Das <strong>St</strong>one-Geissers Q 2 eines Konstrukts ist folgendermaßen definiert:<br />
2<br />
Q = 1 −<br />
∑<br />
k<br />
∑<br />
k<br />
E<br />
O<br />
k<br />
k<br />
(16)<br />
E k<br />
O k<br />
Quadratsumme der Prognosefehler für Indikator k<br />
Quadratsumme aus der Differenz <strong>von</strong> geschätztem <strong>Wert</strong> und dem Mittelwert der<br />
verbleibenden Daten aus der Blindfolding-Prozedur für Indikator k<br />
Das Messmodell besitzt eine hinreichende Prognosefähigkeit, wenn das<br />
<strong>St</strong>one-Geissers Q 2 größer als 0 ist. In diesem Fall ist die Summe der Quadratsumme<br />
der Prognosefehler aller Indikatoren k eines Konstrukts kleiner als die Summe der<br />
Residuen der auf Basis <strong>von</strong> Mittelwerten ermittelten trivialen Lösung (vgl.<br />
Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 25; Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 25f.).<br />
In Tabelle 26 sind alle Prüfkriterien, die in der Hauptuntersuchung auf Ebene 1<br />
(reflektives Messmodell) zur Anwendung kommen, nochmals zusammengefasst.<br />
265
Validitätsart Ebene Gütemaß/Prüfkriterium Kriterium<br />
Inhaltsvalidität<br />
und Indikatorreliabilität<br />
Konvergenzvalidität<br />
Indikatoren<br />
(manifeste<br />
Variablen)<br />
Konstruktebene<br />
(latente Variablen)<br />
Ladung<br />
t-<strong>Wert</strong> der Ladungen<br />
Interne Konsistenz (IK)<br />
(Faktorreliabilität)<br />
Durschnittliche erfasste<br />
Varianz (DEV)<br />
1. Eigenwert (EW)<br />
2. Eigenwert (EW)<br />
> 0,70<br />
(entspricht bei standardisierten<br />
<strong>Wert</strong>en annähernd einer<br />
Kommunalität > 0,50)<br />
>1,98 (zweiseitig)<br />
> 0,6<br />
> 0,5<br />
(entspricht bei standardisierten<br />
<strong>Wert</strong>en der durchschnittlichen<br />
Kommunalität der Indikatoren eines<br />
Konstrukts)<br />
1. EW > 1<br />
2. EW < 1<br />
Cronbachs Alpha > 0,70<br />
Zwischen<br />
manifesten und<br />
latenten Variablen<br />
Korrelationen zwischen<br />
latenten und manifesten<br />
Variablen<br />
Größer zwischen manifesten<br />
Variablen und zugehörigem<br />
Konstrukt als zwischen manifesten<br />
Variablen und anderen Konstrukten<br />
Diskriminanzvalidität<br />
Zwischen latenten<br />
Variablen<br />
Fornell-Larcker-Kriterium<br />
DEV i > als jede quadrierte<br />
Korrelationen <strong>von</strong> Konstrukt i mit<br />
allen anderen Konstrukten<br />
Prognosevalidität<br />
Konstruktebene<br />
<strong>St</strong>one-Geissers Q 2<br />
(Kommunalität)<br />
> 0<br />
Tabelle 26: Gütemaße und Kriterien der Hauptuntersuchung für die Ebene 1 des Messmodells<br />
(reflektives Messmodell)<br />
Ebene 2: Gütekriterien zu Beurteilung der formativ operationalisierten Dimension<br />
Die auf dem Vorschlag <strong>von</strong> Wold (1982b) basierende Modellierung der zweiten Ebene<br />
führt dazu, dass eine Mischform aus Mess- und <strong>St</strong>rukturmodell entsteht. Hierbei<br />
dienen die Faktoren einerseits als formative Indikatoren der formativ<br />
operationalisierten Dimension, wobei deren <strong>Wert</strong> nicht manifest, sondern durch PLS<br />
auf Basis der manifesten Variablen des entsprechenden Faktors berechnet wird.<br />
Andererseits handelt es sich um ein <strong>St</strong>rukturmodell, bei dem der Einfluss der einzelnen<br />
Faktoren auf den Dimensionswert untersucht wird. Zur Beurteilung der Validität und<br />
Reliabilität dieses Ansatzes werden deshalb Gütemaße verwendet, die für die<br />
Gütebeurteilung sowohl formativ operationalisierter Konstrukte, als auch zur<br />
Beurteilung eines <strong>St</strong>rukturmodells geeignet sind. Es werden zunächst die Maße<br />
266
abgeleitet, die in der Literatur zur Valditätsbeurteilung formativer Messmodelle<br />
empfohlen werden.<br />
Wie bereits in Kapitel 3.1.2.2 (S. 197ff.) erläutert wurde, gibt es in der Literatur bisher<br />
kaum etablierte Verfahren und Gütekriterien zur Entwicklung valider formativer<br />
Messmodelle. <strong>Der</strong> bereits dargestellte Ansatz <strong>von</strong> Diamantopoulos und Winklhofer<br />
(2001) (siehe auch S. 200ff.) zählt derzeit zu den bekanntesten Verfahrensweisen der<br />
Gütebeurteilung formativer Messmodelle und dient als Grundlage der Vorgehensweise<br />
bei der Analyse. Er beinhaltet die vier Kriterien<br />
1. Inhaltsspezifikation<br />
2. Indikatorspezifikation<br />
3. Indikatorkollinearität und<br />
4. externe Validität.<br />
Die Validitätsbeurteilung erfolgt dabei in den in Abbildung 58 dargestellten vier<br />
Schritten durch die jeweils angegebenen Methoden.<br />
Genaue Spezifikation<br />
des Konstruktinhaltes<br />
Sammlung <strong>von</strong><br />
Indikatoren, die alle<br />
Konstruktfacetten<br />
abdecken<br />
Elimination <strong>von</strong> Items<br />
mit hoher<br />
Multikollinearität<br />
Sicherstellen der<br />
externen Validität<br />
über nomologisches<br />
Netzwerk<br />
Theoretische Bezugspunkte,<br />
Experten- und Konsumenteninterviews<br />
PLS-basierte Gütemaße<br />
Abbildung 58: Umsetzung der vier Schritte der Operationalisierung formativer Konstrukte nach<br />
Diamantopoulos und Winklhofer (2001, S. 271f.). Quelle: Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 18<br />
Inhalts- und Indikatorspezifikation<br />
Die ersten beiden Schritte dienen der Sicherstellung der Inhaltsvalidität des zu<br />
messenden formativen Konstrukts. Sie gewährleisten die umfassende und<br />
ganzheitliche Abbildung der latenten Variablen in allen ihren Facetten. Basis hierfür<br />
ist die genaue Spezifikation und Definition des Konstruktinhalts in Schritt 1. <strong>Der</strong><br />
nächste Schritt dient dazu, die Indikatoren zu spezifizieren, d. h. möglichst alle<br />
Indikatoren, die das Konstrukt potenziell beeinflussen, zu identifizieren. Im Kontext<br />
dieser Untersuchung bedeutet dies, dass alle relevanten Facetten, die den Nutzen bzw.<br />
267
die Kosten hoher <strong>Produktvielfalt</strong> aus Konsumentensicht bestimmen, identifiziert<br />
werden müssen.<br />
Die Inhalts- und Indikatorspezifikation wurde in dieser Untersuchung durch die<br />
Vorgehensweise und Kombination mehrerer Forschungsmethoden bei der<br />
Konzeptualisierung und Operationalisierung der KVP und NVP sichergestellt (siehe<br />
Kapitel 3.2.2.1, S. 214ff.). Zentral ist, dass die Konstruktkonzeptualisierung und<br />
-operationalisierung einerseits auf den in Kapitel 2 beschriebenen Theorien und<br />
theoretischen Konzepte und andererseits auf Konsumenten- und Experteninterviews<br />
basieren. Dadurch wird gewährleistet, dass die Facetten des jeweiligen Konstrukts<br />
möglichst umfassend und aus verschiedenen Blickwinkeln durch die Faktoren<br />
abgebildet werden.<br />
Elimination <strong>von</strong> Indikatoren hoher Multikollinearität<br />
Obwohl im Messmodell des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> nicht die Indikatoren, sondern<br />
die Faktoren formativ operationalisiert sind, lassen sich die Vorgehensweise und die<br />
Empfehlungen zur Elimination <strong>von</strong> Indikatoren hoher Multikollinearität hier<br />
anwenden, indem die Faktoren bzw. deren durch PLS berechnete <strong>Wert</strong>e als<br />
Indikatoren bzw. Indikatorwerte interpretiert werden. Analog können die Beziehungen<br />
zwischen Faktoren und Dimension als Beziehungen zwischen Indikatoren und<br />
Konstrukt interpretiert werden. Im Folgenden soll die <strong>von</strong> Diamantopoulos und<br />
Winklhofer (2001) verwendete Terminologie (Indikator, Konstrukt) beibehalten<br />
werden. Wie oben erläutert, sind in der hier verwendeten Modellstruktur mit<br />
Indikatoren nicht die manifesten Variablen, sondern die (berechneten) Faktorwerte<br />
gemeint.<br />
Während bei reflektiven Messmodellen empfohlen wird, Indikatoren mit geringen<br />
Ladungen zu eliminieren, darf dieses Kriterium nicht auf formative Messmodelle<br />
übertragen werden: „Omitting an indicator is omitting a part of the construct“<br />
(Bollen/Lennox 1991, S. 308). Von der Höhe der Regressionsparameter zwischen<br />
Indikator und Konstrukt kann folglich nicht direkt auf die Güte des Messmodells<br />
geschlossen werden. Auch Indikatoren mit einem geringen Regressionskoeffizienten<br />
können einen Beitrag zum Konstrukt leisten. Die Signifikanz des Einflusses eines<br />
Indikators lässt sich mit Hilfe des t-<strong>Wert</strong>s des zugehörigen (multiplen)<br />
Regressionskoeffizienten bestimmen. Diesen kann man in PLS mit Hilfe der<br />
Bootstrapping- oder Jackknifing-Prozedur bestimmen, wobei das Bootstrapping-<br />
268
Verfahren – wie bereits erwähnt – aufgrund seines geringeren <strong>St</strong>andardfehlers dem<br />
Jackknifing vorzuziehen ist und hier zur Anwendung kommt (vgl. Efron/Tibshirani<br />
1993, S. 145f.; Tenenhaus et al. 2004, S. 25). Zweiseitige Signifikanz ist ab einem<br />
<strong>Wert</strong> größer als 1,98 gegeben. Indikatoren mit einem geringeren t-<strong>Wert</strong> sollten<br />
eliminiert werden. Da der t-<strong>Wert</strong> die Signifikanz des Einflusses eines Indikators auf<br />
das Konstrukt ausdrückt, ermöglicht er eine Aussage über die Vorhersagevalidität<br />
eines Indikators in Bezug auf das Konstrukt (vgl. Herrmann/Huber/Kressmann 2004,<br />
S. 25).<br />
Die Elimination eines Indikators aus einem formativen Messmodell wird ebenfalls<br />
empfohlen, wenn starke Multikollinearität vorliegt (vgl. Götz/Liehr-Gobbers 2004,<br />
S. 17). Dies ist zum einen dadurch zu begründen, dass bei hoher Multikollinearität die<br />
Schätzung der Regressionskoeffizienten nicht stabil ist. Zum anderen lässt sich dann<br />
ein Indikatorwert nahezu perfekt als Linearkombination anderer Indikatoren darstellen<br />
und trägt folglich redundante Informationen. Liegt starke Multikollinearität vor, lässt<br />
sich deshalb der Einfluss einzelner Indikatoren auf das Konstrukt nur schwer<br />
separieren (für eine detaillierte Darstellung siehe S. 200f.). Die Höhe der<br />
Multikollinearität lässt sich mit Hilfe des Variance Inflation Factors (VIF)<br />
beurteilen. „Dieser basiert auf dem Varianzanteil eines Indikators, den die übrigen<br />
Konstruktindikatoren erklären können“ (Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 25). Er<br />
ist definiert als:<br />
1<br />
VIF = (17)<br />
1−<br />
2<br />
R i<br />
R i<br />
2<br />
Bestimmtheitsmaß der linearen Regression mit dem Indikator i als abhängiger<br />
Variable(Regressand) und allen anderen Indikatoren des formativen Konstrukts als<br />
unabhängige Variablen (Regressoren).<br />
<strong>Der</strong> Minimalwert des VIF beträgt 1; ein <strong>Wert</strong> größer als 10 deutet auf Multikollinearität<br />
hin (vgl. Guijarati 2003, S. 362; Herrmann/Huber/Kressmann 2004,<br />
S. 25). Ein alternatives Maß zur Prüfung auf Multikollinearität ist der Konditionsindex<br />
nach Belsley, Kuh und Welsch (1980), der in dieser Untersuchung aber nicht zur<br />
Anwendung kommt 51 .<br />
51 Details zur Berechnung finden sich bei Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 20f.<br />
269
Überprüfung der externen Validität<br />
In einem vorherigen Abschnitt wurde bereits die Verwendung einer Phantomvariable<br />
als Möglichkeit zur Überprüfung der externen Validität beschrieben (vgl. S. 201f.).<br />
Dieses Verfahren wird hier verwendet. Dazu werden sowohl die Nutzen- als auch die<br />
Kostendimension durch je eine Phantomvariable mit zwei Indikatoren reflektiv<br />
abgebildet und mit dem jeweiligen (Gesamt)Konstrukt in Verbindung gesetzt. Besteht<br />
zwischen einem Konstrukt und der zugehörigen Phantomvariable ein starker und<br />
signifikanter Zusammenhang und kann ein erheblicher Teil der Varianz der<br />
Phantomvariablen durch das jeweilige Konstrukt erklärt werden, so kann auf externe<br />
Validität der Messung geschlossen werden (vgl. Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 22).<br />
Vorhersagerelevanz <strong>von</strong> <strong>St</strong>ruktur- und Messmodell<br />
Wie bereits erwähnt, stellt das <strong>von</strong> Wold vorgeschlagene Verfahren zur Abbildung<br />
eines Konstrukts zweiter Ordnung mit dem PLS-Verfahren eine Mischform aus Messund<br />
<strong>St</strong>rukturmodell dar. Die bisher dargestellten Gütemaße basieren auf der<br />
Beurteilung des Messmodells, werden aber in modifizierter Art auch zur<br />
Gütebeurteilung des <strong>St</strong>rukturmodells empfohlen (vgl. Herrmann/Huber/Kressmann<br />
2004, S. 29). Ist das „Zielkonstrukt“ eines <strong>St</strong>rukturmodells wie im Ansatz <strong>von</strong> Wold<br />
reflektiv operationalisiert, kann zusätzlich das bereits beschriebene <strong>St</strong>one-Geissers Q 2<br />
zur Beurteilung der gemeinsamen Vorhersagevalidität <strong>von</strong> <strong>St</strong>ruktur- und Messmodell<br />
verwendet werden (vgl. Fornell/Cha 1994, S. 72f.; Herrmann/Huber/Kressmann 2004,<br />
S. 26). Im Gegensatz zur Gütemessung reflektiver Messmodelle wird das Q 2 dann aber<br />
nicht bzgl. der Kommunalitäten, sondern bzgl. der Redundanzen berechnet. Die Art<br />
der Berechnung unterscheidet sich deshalb leicht <strong>von</strong> der auf Ebene 1 angewandten.<br />
Es gilt aber auch hier, dass <strong>Wert</strong>e größer als 0 Ausdruck annehmbarer Vorhersagevalidität<br />
des gemeinsamen <strong>St</strong>ruktur- und Messmodells sind.<br />
Zur Beurteilung der Güte der Messmodelle auf Ebene 2 kommen zusammenfassend<br />
die in Tabelle 27 dargestellten Kriterien zur Anwendung.<br />
270
Inhalt Ebene Gütemaß/Prüfkriterium Kriterium<br />
Multikollinearität Faktoren Variance Inflation Factor < 10<br />
Vorhersagevalidität<br />
Faktoren<br />
Konstruktebene<br />
t-<strong>Wert</strong> der (multiplen)<br />
Regressionskoeffizienten<br />
<strong>St</strong>one-Geissers Q 2<br />
(Redundanz)<br />
> 1,98<br />
> 0<br />
Externe Validität<br />
Konstruktebene R 2 Phantomvariable > 0,5<br />
Beziehung mit<br />
Phantomvariable<br />
t-<strong>Wert</strong> des<br />
Regressionskoeffizienten<br />
> 1,98<br />
Tabelle 27: Gütemaße und Kriterien der Hauptuntersuchung für die Ebene 2 des Messmodells<br />
(formatives Messmodell)<br />
Die verwendeten und auf dem PLS-Verfahren beruhenden Gütemaße zur Beurteilung<br />
der Ebene 1 und Ebene 2 des Messmodells der KPV und NPV sind nachfolgend<br />
zusammenfassend dargestellt.<br />
Zusammenfassende Darstellung der verwendeten und auf dem PLS-Verfahren<br />
beruhenden Gütemaße auf Ebene 1 und 2 des Messmodells<br />
Die zur Beurteilung der Messmodelle des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und seiner<br />
Dimensionen verwendeten Gütemaße sind zusammenfassend in Abbildung 59<br />
dargestellt.<br />
271
Gütekriterien der Messmodelle der Hauptuntersuchung<br />
Phatomvariable<br />
NGl1<br />
Nutzen<br />
global<br />
NGl2<br />
KGl1<br />
Kosten<br />
global<br />
KGl2<br />
NGl<br />
KGl<br />
Konstruktebene<br />
Nutzen<br />
NPV<br />
<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Kosten<br />
KPV<br />
Ebene 2<br />
(formativ)<br />
Antizipierter<br />
Produktnutzen<br />
Erfolgsaussichten<br />
Informationsmöglichkeiten<br />
Spaß<br />
Positive<br />
Emotionen<br />
Aufwand und<br />
Anstrengung<br />
Negative<br />
Emotionen<br />
Antizipiertes<br />
Regret<br />
Ebene 1<br />
(refklektiv)<br />
Betrachtete<br />
Ebene<br />
AP EA IM Sp PE<br />
AA VF AR<br />
... ... ... ... ... ... ... ...<br />
Analyseebene Gütemaß Kriterium<br />
Indikatorenebene<br />
Ladung > 0,70<br />
t-<strong>Wert</strong> der Ladung > 1,98<br />
DEV<br />
(Durchschnittlich erfasste Varianz)<br />
> 0,50<br />
Ebene 1<br />
Faktorenebene<br />
IK<br />
(Interne Konsistenz)<br />
<strong>St</strong>one Geissers Q 2<br />
(Kommunalität)<br />
Eigenwerte (EW) der Faktoren<br />
> 0,60<br />
> 0<br />
1. EW > 1<br />
2. EW < 1<br />
Cronbachs Alpha > 0,70<br />
Manifeste und<br />
latente Variablen<br />
Korrelationen zwischen latenten und<br />
manifesten Variablen<br />
Fornell-Larcker-Kriterium<br />
Größer zwischen manifesten Variablen und<br />
zugehörigem Konstrukt als zwischen<br />
manifesten Variablen und anderen<br />
Konstrukten<br />
DEV i > als jede quadrierte Korrelationen<br />
<strong>von</strong> Konstrukt i mit allen anderen<br />
Konstrukten<br />
Pfadkoeffizient > 0,1<br />
Faktorenebene<br />
t-<strong>Wert</strong> des Pfadkoeffizient > 1,98<br />
Ebene 2<br />
Dimensionsebene<br />
VIF<br />
(Variance Inflation Factor)<br />
<strong>St</strong>one Geissers Q 2<br />
(Redundanz)<br />
R 2<br />
(Phantomvariable)<br />
Pfadkoeffizient<br />
(zur Phantomvariable)<br />
t-<strong>Wert</strong> Pfadkoeffizient<br />
(zur Phantomvariable)<br />
< 10<br />
> 0<br />
> 0,5<br />
> 0,5<br />
> 1,98<br />
Abbildung 59: Gütekriterien zur Beurteilung der Messmodelle der Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> in Hauptuntersuchung<br />
272
3.4.2 Untersuchungsdesign und Auswahl der Datensätze<br />
3.4.2.1 Untersuchungsdesign<br />
Das Design der empirischen Untersuchung ist so zu wählen, dass dadurch die<br />
Fragestellungen der Arbeit beantwortet werden können. <strong>St</strong>imuli, Methode und<br />
Prozess der Datenerhebung werden deshalb genauso wie der einzubeziehende<br />
Personenkreis <strong>von</strong> der Zielsetzung und dem theoretischen Hintergrund der<br />
Untersuchung bestimmt.<br />
<strong>St</strong>imuli<br />
Um die Existenz der beiden Phänomene – Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> – bei<br />
hoher Vielfalt empirisch aufzuzeigen, ist ein Versuchsdesign zu wählen, das folgende<br />
Bedingungen erfüllt:<br />
1. Möglichst reale Kaufsituation mit einer<br />
2. extensiven Kaufentscheidung bei<br />
3. hoher <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Die erste Bedingung ist zu erfüllen, da die psychischen Prozesse, die letztlich Ursache<br />
für die Kosten- und Nutzenaspekte hoher <strong>Produktvielfalt</strong> sind, nur in einer realen<br />
Kausituation auftreten. Durch Experimente können diese zwar simuliert werden,<br />
deren Ausprägungsgrad sollte aber in realen Situationen deutlich höher sein. Die<br />
Ausführungen dieser Arbeit beziehen sich insgesamt nur auf extensive<br />
Kaufentscheidungen (siehe S. 37ff.). Hintergrund ist, dass die psychischen Prozesse,<br />
die vor allem zu den negativen Aspekten hoher <strong>Produktvielfalt</strong> führen, nur auftreten,<br />
wenn mit dem Kauf ein gewisses Risiko für den Entscheider verbunden ist und eine<br />
Fehlentscheidung entsprechende negative Konsequenzen hat. So wäre beispielsweise<br />
der Kauf einer Frühstücksmarmelade ein eher ungeeigneter <strong>St</strong>imulus der<br />
Untersuchung, da das Fehlkaufrisiko in diesem Fall äußerst begrenzt ist. Wählt man<br />
dagegen als Untersuchungsstimulus den Kauf eines etwas teureren Produkts, das eher<br />
selten gekauft wird, so kann mit hoher Wahrscheinlichkeit da<strong>von</strong> ausgegangen<br />
werden, dass sich der Konsument aufgrund des mit dem Kauf verbundenen<br />
finanziellen Risikos intensiv mit der Kaufentscheidung beschäftigt. In diesem Fall<br />
treten die zu untersuchenden psychischen Reaktionen auf. Elektro- oder<br />
Elektronikartikel sind typische Vertreter dieser Art der Kaufentscheidung.<br />
273
Um Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> bei hoher Vielfalt empirisch untersuchen<br />
zu können, muss eine Kaufsituation gewählt werden, in der ein Konsument aus einer<br />
großen Anzahl an Produkten wählen kann. Die Untersuchung sollte folglich in einem<br />
Geschäft stattfinden, das über große Sortimente in der jeweiligen Produktkategorie<br />
verfügt.<br />
Als <strong>St</strong>imuli der Befragung wurde aus den oben genannten Gründen die Sortimente für<br />
Digitalkameras und DVD-Player bzw. DVD-Recorder in einer Filiale eines großen<br />
Elekto- und Elektronikhandelsunternehmens gewählt. Die gewählten Produktkategorien<br />
erfüllen zum einen die Anforderungen hinsichtlich der Intensität der<br />
Kaufentscheidung, zum anderen ermöglichen sie auch eine entsprechende<br />
<strong>St</strong>ichprobengröße, da sie relativ häufig verkauft werden. Das Kooperationsunternehmen<br />
ist für seine große Auswahl bekannt. Dadurch kann sichergestellt<br />
werden, dass der Befragungsteilnehmer in der Kaufsituation mit einem großen<br />
Sortiment, sprich einer hohen <strong>Produktvielfalt</strong>, konfrontiert ist. Um Unterschiede in der<br />
Höhe und Art des Sortiments zu gewährleisten, wurde die Befragung insgesamt in drei<br />
verschiedenen Märkten durchgeführt, deren Sortimente sich hinsichtlich ihrer Größe<br />
und Zusammensetzung unterschieden.<br />
Relevanter Personenkreis (Grundgesamtheit)<br />
Die Fragestellung der Untersuchung bedingt, dass nur Personen für die<br />
Datengewinnung in Frage kommen, die auch tatsächlich eine Kaufentscheidung<br />
treffen wollen. Dabei spielt das Ergebnis dieser Entscheidung – also der Kauf oder der<br />
Nicht-Kauf – ebenso eine wichtige Rolle, wie die Intensität, mit der sich der<br />
Konsument mit der Entscheidung beschäftigt hat. Ersteres ist relevant, da eines der<br />
Untersuchungsziele die Auswirkung <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> Vielfalt auf das<br />
Kaufverhalten ist. Es müssen deshalb zu möglichst gleichen Teilen Käufer und<br />
Nicht-Käufer in die Befragung einbezogen werden.<br />
Ob sich ein Konsument wirklich intensiv mit der Entscheidung beschäftigt hat, ist vor<br />
allem bei Nicht-Käufern kritisch, da bei Käufern meist <strong>von</strong> einem intensiven<br />
Entscheidungsprozess ausgegangen werden kann. Von den Konsumenten, die nicht<br />
gekauft haben, interessieren aber nicht diejenigen, die „nur schauen“ wollen; vielmehr<br />
sind für die Untersuchung nur solche Personen relevant, die auch tatsächlich einen<br />
Kauf beabsichtigen. Dies setzt voraus, dass sie eine mittlere bis hohe Kaufabsicht<br />
haben und sich eine gewisse Zeit mit der Produktauswahl beschäftigen, also am Regal<br />
274
stehen, sich informieren und/oder Produkte miteinander vergleichen. Es wurde deshalb<br />
darauf geachtet, dass nur Konsumenten in die Untersuchung einbezogen wurden, die<br />
sich mindestens 5 Minuten mit den zur Wahl stehenden Produkten der betrachteten<br />
Kategorien beschäftigt haben. Um sicherzustellen, dass Nicht-Käufer zwar die Absicht<br />
hatten, eine Kaufentscheidung zu treffen, diese aber nicht treffen konnten oder<br />
wollten, wurde die „Kaufabsicht beim Betreten des Geschäfts“ im Fragebogen erfragt.<br />
In der Datenanalyse wurden nur Personen berücksichtigt, die mindestens eine mittlere<br />
Kaufabsicht 52 bei Betreten des Geschäfts hatten. Um bei der Analyse einen<br />
<strong>St</strong>ichprobenumfang <strong>von</strong> 500 bis 600 zu erhalten, wurde eine Anzahl <strong>von</strong> rund 700<br />
beantworteten Fragebögen als Zielgröße der Befragung angestrebt, da da<strong>von</strong><br />
ausgegangen wurde, dass rund 20% der befragten Nicht-Käufer nur eine geringe<br />
Kaufabsicht hatten, und deshalb im Nachhinein <strong>von</strong> der Analyse ausgeschlossen<br />
werden müssen.<br />
Methode und Prozess der Datenerhebung<br />
Als Methode der Datenerhebung wurde die schriftliche Befragung anhand eines<br />
Fragebogens gewählt 53 . Gegenüber der mündlichen Befragung hat dies den Vorteil,<br />
dass das eigenständige Ausfüllen des Fragebogens schneller ist und die Befragten<br />
weniger zu „sozial erwünschten“ Antworten neigen. <strong>Der</strong> Fragebogen beinhaltet zudem<br />
Fragen z. B. bzgl. der Überforderung und Verwirrung, die in Anwesenheit eines<br />
Interviewers eventuell weniger ehrlich beantwortet würden, als in einer anonymen<br />
schriftlichen Befragung.<br />
<strong>Der</strong> Fragebogen bestand insgesamt aus 96 Fragen für Käufer und 84 Fragen für<br />
Nicht-Käufer. <strong>Der</strong> Unterschied kommt dadurch zustande, dass Käufer zusätzlich<br />
Fragen zum gekauften Produkt, zur (antizipierten) Zufriedenheit mit diesem, der<br />
empfundenen kognitiven Dissonanz und der beabsichtigten Loyalität zur Marke des<br />
gekauften Produkts zu beantworten hatten. Personen, die nicht gekauft haben, können<br />
diese Fragen nicht gestellt werden, diese hatten aber zusätzlich Fragen zu Gründen des<br />
Nicht-Kaufs zu beantworten. Als Skala diente für die meisten Fragen eine<br />
siebenstufige Likertskala mit den Extremwerten „stimme überhaupt nicht zu“ und<br />
„stimme vollkommen zu“ bzw. „trifft überhaupt nicht zu“ bis „trifft vollkommen zu“.<br />
52 <strong>Wert</strong> größer oder gleich 4 auf einer Skala <strong>von</strong> 1 (keine Kaufabsicht bei Betreten des Geschäfts) bis<br />
7 (sehr hohe Kaufabsicht bei Betreten des Geschäfts)<br />
53 Einen umfassenden Überblick zu Methoden der Datenerhebung gibt z. B. Walsh 2002, S. 172ff.<br />
275
Abweichungen hier<strong>von</strong> gab es bei soziodemographischen Fragen nach Beruf, Bildung<br />
und Alter sowie der Beurteilung der Produkt-, Marken und Preisvielfalt. Hier wurden<br />
13-stufige Likertskalen <strong>von</strong> 1 („deutlich zu gering“) über 7 („optimal“) bis 13<br />
(„deutlich zu hoch“) verwendet.<br />
Die empirische Datenerhebung erfolgte an jeweils vier Tagen pro Filiale und wurde<br />
durch zwei Interviewer durchgeführt. Insgesamt sind im Zeitraum vom 15. Juli bis 20.<br />
August 2004 an 12 Tagen 710 Konsumenten befragt worden.<br />
<strong>Der</strong> Befragungsprozess lief wie folgt ab: <strong>Der</strong> Interviewer beobachtete zunächst die<br />
potenziellen Teilnehmer, um sicherzustellen, dass sich diese intensiv (mindestens rund<br />
5 Minuten) mit der Kaufentscheidung beschäftigt haben. Hat sich ein Konsument für<br />
den Kauf entschieden, erhielt dieser <strong>von</strong> einem Verkäufer eine Rechnung, mit der er<br />
zur Kasse ging und anschließend das gekaufte Produkt ausgehändigt bekam. <strong>Der</strong><br />
Käufer wurde <strong>von</strong> dem Interviewer unmittelbar nach Erhalt der Rechnung<br />
angesprochen und um Teilnahme an der Befragung gebeten. Hierbei wurde darauf<br />
hingewiesen, dass es sich um eine Befragung im Rahmen einer Doktorarbeit handelt.<br />
Für das Ausfüllen des Fragebogens erhielt der Befragte als kleines Dankeschön eine<br />
CD oder DVD, die er aus einem bestimmten Sortiment auswählen konnte. Auch die<br />
Nicht-Käufer wurden erst angesprochen, wenn sie eine Entscheidung getroffen und<br />
den Point of Sale verlassen hatten. Dadurch konnte sichergestellt werden, dass der<br />
Konsument definitiv entschieden hatte, nichts zu kaufen und er durch die Befragung in<br />
seiner Kaufentscheidung nicht beeinträchtigt oder beeinflusst wird.<br />
<strong>Der</strong> Befragungszeitpunkt ist für den Zweck dieser Untersuchung sehr wichtig: Das<br />
Ausfüllen des Fragebogens muss unmittelbar nach der Kaufentscheidung erfolgen, da<br />
nur so sichergestellt werden kann, dass dem Befragten die Gedanken und Emotionen,<br />
die er während der Entscheidungsphase hatte, noch gegenwärtig sind. Erfolgt die<br />
Befragung später, wären vor allem seine Emotionen „erkaltet“ und er würde sich evtl.<br />
nicht mehr genau an diese und an seine Gedanken erinnern können.<br />
3.4.2.2 Auswahl der Datensätze<br />
Insgesamt haben 710 Konsumenten an der Befragung an 12 Tagen in den drei<br />
Geschäften teilgenommen. Um eine hohe Qualität der Analysen zu gewährleisten,<br />
sind ungeeignete Datensätze <strong>von</strong> diesen auszuschließen. Hierzu zählen zum einen<br />
Datensätze, die eine Vielzahl an fehlenden <strong>Wert</strong>en (Missing Values) aufweisen.<br />
276
Von der Untersuchung wurden Datensätze <strong>von</strong> Personen ausgeschlossen, die mehr als<br />
5 Fragen des Fragebogens (≈5%) nicht ausgefüllt hatten. Da bereits bei der Befragung<br />
darauf geachtet wurde, dass die Konsumenten den Fragebogen vollständig ausfüllen,<br />
mussten nur 19 Datensätze aufgrund <strong>von</strong> fehlenden <strong>Wert</strong>en <strong>von</strong> den weiteren<br />
Analysen ausgeschlossen werden.<br />
Weiterhin können Outlier die Analyseergebnisse verfälschen. Diese sind z. B. auf<br />
schnell und ungenau ausgefüllte Fragebögen zurückzuführen. Enthält ein Datensatz<br />
hinsichtlich mehrerer Konstrukte Ausreißer, empfehlen Herrmann, Huber und<br />
Kressmann (2004), diesen zu entfernen. Nach dem <strong>von</strong> den drei Autoren<br />
vorgeschlagenen Verfahren (vgl. Herrmann et al. 2004, S. 24) sind insgesamt 16<br />
Datensätze entfernt werden.<br />
Neben diesen eher statistischen Aspekten wurde, wie bereits erwähnt, ein inhaltliches<br />
Ausschlusskriterium bzgl. der Kaufabsicht eines Konsumenten definiert. Diese ist,<br />
wie oben erläutert, elementare Voraussetzung für die zu untersuchenden psychischen<br />
Reaktionen des Konsumenten auf die ihm angebotene Vielfalt. Nur wenn sich ein<br />
Konsument intensiv mit der Kaufentscheidung beschäftigt, treten die mit der Vielfalt<br />
verbundenen negativen Aspekte hoher <strong>Produktvielfalt</strong> auf. So empfindet<br />
beispielsweise eine Person, die nicht die Absicht hat, eine Digitalkamera zu kaufen,<br />
keine hohen psychischen Kosten bei der Entscheidung, da sie sich mit dieser auch<br />
nicht intensiv beschäftigt. Aufgrund ihrer geringen Kaufabsicht wird der Konsument<br />
am Ende der Entscheidung auch höchstwahrscheinlich kein Produkt kaufen. Wird<br />
diese Person in die Untersuchung einbezogen und die Auswirkungen <strong>von</strong> mit Vielfalt<br />
verbundenen Kosten auf das Kaufverhalten untersucht, könnte dies zu Verzerrungen<br />
der Ergebnisse führen. Um die gewünschte Tiefe der Auseinandersetzung der<br />
Befragten mit der Kaufentscheidung sicherzustellen, sind zum einen nur Kunden<br />
befragt worden, die sich mindestens 5 Minuten mit dem Sortiment beschäftigt hatten.<br />
Zum anderen wurde die Kaufabsicht im Fragebogen explizit erfragt. Nur<br />
Konsumenten, die eine mittlere bis hohe Kaufabsicht, d. h. auf einer Skala <strong>von</strong> 1 bis<br />
7 einen <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 4 oder höher hatten, wurden in den Analysen berücksichtigt. Dies<br />
führte zum Ausschluss <strong>von</strong> 79 Datensätzen. Insgesamt basieren die nachfolgend<br />
beschriebenen Analysen damit auf einer <strong>St</strong>ichprobengröße <strong>von</strong> 596 (N = 596). Wird<br />
die Größe der <strong>St</strong>ichprobe in den nachfolgend beschriebenen Analysen nicht explizit<br />
erwähnt, beziehen sich die Analyseergebnisse stets auf diese Größe.<br />
Im nächsten Kapitel werden die Ergebnisse der Untersuchung beschrieben.<br />
277
3.4.3 Ergebnisse der Analysen<br />
3.4.3.1 Deskriptive und soziodemographische Analysen<br />
Verteilung auf die Geschäfte und Kaufverhalten<br />
Die <strong>St</strong>ichprobe verteilt sich in etwa gleichmäßig auf die drei Geschäfte. So besuchten<br />
202 der Befragten das Geschäft 1, 182 das Geschäft 2 und 212 Personen füllten den<br />
Fragebogen im 3. Geschäft aus.<br />
Käufer und Nicht-Käufer pro Geschäft<br />
Absolute Verteilung<br />
Käufer und Nicht-Käufer pro Geschäft<br />
Relative Verteilung<br />
Anzahl 250<br />
Anteil<br />
100%<br />
200<br />
150<br />
202<br />
97<br />
182<br />
87<br />
212<br />
110<br />
90%<br />
80%<br />
70%<br />
60%<br />
50%<br />
48% 48% 52%<br />
ø51 %<br />
100<br />
40%<br />
50<br />
105 95 102<br />
30%<br />
20%<br />
52% 52%<br />
48%<br />
10%<br />
0<br />
Geschäft 1 Geschäft 2 Geschäft 3<br />
0%<br />
Geschäft 1 Geschäft 2 Geschäft 3<br />
Nicht-Kauf<br />
Kauf<br />
Nicht-Kauf<br />
Kauf<br />
Abbildung 60: Verteilung der Käufer und Nicht-Käufer pro Geschäft<br />
<strong>Der</strong> Anteil der Personen, die im Anschluss an ihre „Kaufentscheidung“ auch eine<br />
Digitalkamera bzw. einen DVD-Player oder DVD-Recorder gekauft haben, lag über<br />
die drei Geschäfte verteilt insgesamt bei 49%. Hierbei gab es keinen nennenswerten<br />
Unterschied zwischen den Befragungsorten. Für die Untersuchung der Auswirkung<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf das Ergebnis der Kaufentscheidung (Kauf oder Nicht-Kauf) ist<br />
ein möglichst ähnlich großer Anteil an Käufern und Nicht-Käufern sehr<br />
wünschenswert, da dadurch die Signifikanz der Ergebnisse verbessert werden kann.<br />
Mit einem Käuferanteil <strong>von</strong> 49% erfüllt die <strong>St</strong>ichprobe dieses Kriterium sehr gut.<br />
278
Produktart<br />
Befragte pro Produktart pro Geschäft<br />
Absolute Verteilung<br />
Befragte pro Produktart pro Geschäft<br />
Relative Verteilung<br />
Anzahl 250<br />
Anteil<br />
100%<br />
200<br />
150<br />
202<br />
59<br />
182<br />
79<br />
212<br />
83<br />
90%<br />
80%<br />
70%<br />
60%<br />
50%<br />
29%<br />
43%<br />
39%<br />
ø63 %<br />
100<br />
50<br />
143<br />
103<br />
129<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
71%<br />
57% 61%<br />
10%<br />
0<br />
Geschäft 1 Geschäft 2 Geschäft 3<br />
0%<br />
Geschäft 1 Geschäft 2 Geschäft 3<br />
Kamera<br />
DVD<br />
Kamera<br />
DVD<br />
Abbildung 61: Verteilung der Befragten auf die Produktgruppen (Digital)Kamera und DVD<br />
(Player/Recorder)<br />
Wie Abbildung 61 verdeutlicht, beziehen sich 63% der Datensätze auf die<br />
Produktkategorie Digitalkameras. Dieses Verhältnis <strong>von</strong> ca. 2:1 entspricht in etwa<br />
auch der stückzahlenmäßigen Verteilung an verkauften Digitalkameras zu<br />
DVD-Playern/Recordern. <strong>Der</strong> höhere Digitalkameraanteil in Geschäft 1 ist dadurch<br />
bedingt, dass am ersten Tag der Befragung, Digitalkameras durch einen 4-seitigen<br />
„Flyer“ beworben wurden. Dies fand während der Befragungszeiträume in den<br />
anderen beiden Geschäften nicht statt.<br />
Bei den weiteren Analysen erfolgt keine Unterscheidung der beiden<br />
Produktgruppen, da diese hinsichtlich der Art der Kaufentscheidung und dem mit<br />
ihr verbundenen Risiko vergleichbar sind. Es wird da<strong>von</strong> ausgegangen, dass die<br />
Kaufentscheidung bei beiden Produktkategorien gleichermaßen die zu untersuchenden<br />
psychischen Reaktionen hervorruft.<br />
Geschlecht<br />
Insgesamt sind rund 70% der Befragten Männer. Dieser mehr als doppelt so hohe<br />
Anteil gegenüber Frauen ist vor allem auf die beiden eher technischen<br />
Produktkategorien zurückzuführen, zu denen Männer tendenziell eine höhere Affinität<br />
279
haben als Frauen. Abbildung 62 veranschaulicht die Verteilung über die drei<br />
Geschäfte.<br />
Frauen und Männer pro Geschäft<br />
Absolute Verteilung<br />
Frauen und Männer pro Geschäft<br />
Relative Verteilung<br />
Anzahl 250<br />
Anteil<br />
100%<br />
200<br />
150<br />
100<br />
202<br />
150<br />
182<br />
137<br />
212<br />
135<br />
90%<br />
80%<br />
70%<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
74% 75%<br />
64%<br />
30%<br />
ø29 %<br />
50<br />
52 45<br />
77<br />
20%<br />
10%<br />
26% 25%<br />
36%<br />
0<br />
Geschäft 1 Geschäft 2 Geschäft 3<br />
0%<br />
Geschäft 1 Geschäft 2 Geschäft 3<br />
Frau<br />
Mann<br />
Frau<br />
Mann<br />
Abbildung 62: Verteilung der <strong>St</strong>ichprobe nach Geschlecht<br />
In Tabelle 28 sind die Verteilungen der Befragten hinsichtlich Kaufverhalten,<br />
Produktgruppe und Geschlecht nochmals zusammenfassend dargestellt.<br />
Geschäft<br />
Kaufverhalten Produktgruppe Geschlecht<br />
Nicht-<br />
Kauf<br />
Kauf Kamera DVD Frau Mann<br />
Teilnehmer<br />
Geschäft 1 Anzahl 105 97 143 59 52 150 202<br />
Anteil (in Geschäft) 52% 48% 71% 29% 26% 74% 34%<br />
Geschäft 2 Anzahl 95 87 103 79 45 137 182<br />
Anteil (in Geschäft) 52% 48% 57% 43% 25% 75% 31%<br />
Geschäft 3 Anzahl 102 110 129 83 77 135 212<br />
Anteil (in Geschäft) 48% 52% 61% 39% 36% 64% 36%<br />
Gesamt Anzahl 302 294 375 221 174 422 596<br />
Anteil (Gesamt) 51% 49% 63% 37% 29% 71% 100%<br />
Tabelle 28: Verteilung <strong>von</strong> Kaufverhalten, Produktgruppe und Geschlecht in der<br />
Hauptuntersuchung<br />
280
Bildung und Beruf<br />
Hinsichtlich des höchsten Bildungsabschlusses der Befragten fällt der mit 42%<br />
überdurchschnittlich hohe Anteil an Personen mit einem abgeschlossenen <strong>St</strong>udium<br />
(42%) auf (siehe Tabelle 29). Dieser ist, wie auch der über 50%ige Anteil an<br />
Angestellten (siehe Tabelle 30) auf die Ansiedlung der Geschäfte in München<br />
zurückzuführen, wo der Akademikeranteil der Bevölkerung insgesamt vermutlich<br />
überdurchschnittlich hoch ist. Damit verbunden ist auch der hohe Anteil an<br />
Angestellten, im Vergleich z. B. zu Arbeitern. Die Geschäfte weisen generell dieselbe<br />
Tendenz hinsichtlich der Schwerpunkte bei Bildung und Beruf aus. Dennoch sind die<br />
Unterschiede teilweise erheblich. So sind beispielsweise in Geschäft 2 doppelt so viele<br />
der Befragten selbständig (18%) verglichen mit Geschäft 3 (9%). Die Ursache hierfür<br />
ist vermutlich darin zu sehen, dass die Geschäfte in verschiedenen <strong>St</strong>adtteilen liegen,<br />
deren Gesellschaftsstrukturen sich entsprechend unterscheiden. Da in allen Geschäften<br />
aber die Tendenz zu einem hohen Akademikeranteil festzustellen ist, werden die<br />
Geschäfte nicht getrennt untersucht.<br />
Geschäft Abitur Realschule <strong>St</strong>udium Volks-/<br />
Hauptschule<br />
Sonstiges<br />
Geschäft 1 Anzahl 38 41 87 27 9<br />
Anteil (in Geschäft) 19% 20% 43% 13% 4%<br />
Geschäft 2 Anzahl 33 38 85 24 2<br />
Anteil (in Geschäft) 18% 21% 47% 13% 1%<br />
Geschäft 3 Anzahl 42 55 76 25 14<br />
Anteil (in Geschäft) 20% 26% 36% 12% 7%<br />
Gesamt Anzahl 113 134 248 76 25<br />
Anteil (Gesamt) 19% 22% 42% 13% 4%<br />
Tabelle 29:<br />
Verteilung der (höchsten) Bildungsabschlüsse in der <strong>St</strong>ichprobe<br />
Geschäft<br />
Angestellte(r)<br />
Arbeiter/-<br />
in<br />
Beamter/<br />
-in<br />
Hausmann/<br />
-frau<br />
Rentner/-<br />
in<br />
Selbständige(r)<br />
<strong>St</strong>udent/-<br />
in<br />
Sonstiges<br />
Geschäft 1 Anzahl 95 13 19 5 9 29 18 14<br />
Anteil (in Geschäft) 47% 6% 9% 2% 4% 14% 9% 7%<br />
Geschäft 2 Anzahl 102 9 12 4 6 33 12 4<br />
Anteil (in Geschäft) 56% 5% 7% 2% 3% 18% 7% 2%<br />
Geschäft 3 Anzahl 108 17 10 4 13 20 22 18<br />
Anteil (in Geschäft) 51% 8% 5% 2% 6% 9% 10% 8%<br />
Gesamt Anzahl 305 39 41 13 28 82 52 36<br />
Anteil (Gesamt) 51% 7% 7% 2% 5% 14% 9% 6%<br />
Tabelle 30:<br />
Verteilung der Berufsgruppen in der <strong>St</strong>ichprobe<br />
281
Alter<br />
Hinsichtlich des Alters der Befragten ist die <strong>St</strong>ichprobe über die drei Geschäfte relativ<br />
homogen. Dies veranschaulicht Abbildung 63, die die Boxplots der Altersverteilung in<br />
den drei Geschäften darstellt. Daraus geht hervor, dass rund 90% der befragten<br />
Konsumenten zwischen 28 und 45 Jahre alt sind. <strong>Der</strong> Altersdurchschnitt liegt je nach<br />
Geschäft zwischen 36,30 und 37,75 Jahren, ähnliches gilt für den Median, der<br />
zwischen 34,50 und 37,00 liegt. Das Alter der jüngsten Befragungsteilnehmer liegt<br />
abhängig vom Befragungsort bei 15 bzw. 16, der älteste Teilnehmer war je nach<br />
Geschäft 70, 74 bzw. 75 Jahre alt. Die detaillierten Kenngrößen zur Alterstruktur in<br />
den drei Märkten stellt Tabelle 31 dar.<br />
Alter<br />
80<br />
Boxplots (Alter der Befragten)<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
Geschäft 1 Geschäft 2 Geschäft 3 Gesamt<br />
Abbildung 63: Boxplots zur Veranschaulichung der Altersverteilung der drei Geschäfte<br />
Geschäft<br />
Durchschnitt<br />
( ø )<br />
95% Konfidenzintervall<br />
für ø<br />
Median<br />
<strong>St</strong>andardabweichung<br />
Minimalwert<br />
Maximalwert<br />
Geschäft 1 37,75 [36,00; 39,50] 12,63 36,50 16 70<br />
Geschäft 2 37,67 [35,87; 39,47] 12,31 37,00 15 75<br />
Geschäft 3 36,30 [34,51; 38,09] 13,23 34,50 15 74<br />
Gesamt 37,21 [36,19; 38,24] 12,75 36,00 15 75<br />
Tabelle 31:<br />
Kenngrößen zur Beschreibung der Altersstruktur der Befragten<br />
282
Zusammenfassung<br />
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die <strong>St</strong>ichprobe keine großen Unterschiede<br />
zwischen den drei Märkten hinsichtlich der soziodemographischen Merkmale der<br />
Befragten erkennen lässt, was die gemeinsame Auswertung der Daten in den<br />
nachfolgend beschriebenen Analysen der Mess- und <strong>St</strong>rukturmodelle erlaubt.<br />
Weitere Vorgehensweise zur Beschreibung des Messmodells<br />
Die Analysen hinsichtlich Validität und Reliabilität des Messmodells der Kosten- und<br />
Nutzendimension erfolgen anhand der in Kapitel 3.4.1.3 (S. 259ff.) beschriebenen<br />
Gütemaße (siehe Tabelle 26, S. 266). Die Darstellung erfolgt dimensionsweise,<br />
beginnend mit der Nutzendiemenson. Dabei wird zunächst auf die Analyseergebnisse<br />
des reflektiven Messmodells auf Ebene 1 und anschließend auf die berechneten<br />
Gütemaße auf der formativen Konstruktebene (Ebene 2) eingegangen.<br />
3.4.3.2 PLS-Messmodell der Nutzendimension<br />
Ebene 1: Reflektives Messmodell auf Faktorenebene<br />
Die Nutzendimension besteht aus den fünf Faktoren<br />
• Erfolgsaussichten<br />
• Antizipierter Produktnutzen<br />
• Informationsmöglichkeiten<br />
• Spaß<br />
• Positive Emotionen<br />
Tabelle 32 stellt die verwendeten Gütemaße zur Beurteilung der Inhalts-, Indikator-,<br />
Konvergenz- und Prognosevalidität der Messung der o.g. fünf Faktoren dar.<br />
Betrachtet man zunächst die Indikatorenebene, so geht aus der Tabelle hervor, dass<br />
alle Ladungen der Indikatoren einen <strong>Wert</strong> über 0,718 aufweisen, und damit über dem<br />
genannten Grenzwert <strong>von</strong> 0,7 liegen. Dies bedeutet, dass mehr als 50% der Varianz<br />
jedes Indikators durch den entsprechenden der fünf Faktoren verursacht wird und<br />
damit der Messfehler unter 50% liegt. Sämtliche Ladungen sind hochsignifikant und<br />
283
weisen t-<strong>Wert</strong>e zwischen 28,074 und 89,578 auf. Insgesamt erfüllen damit alle<br />
Indikatoren die Gütekriterien hinsichtlich der Inhalts- und Indikatorreliabilität.<br />
Im zweiten Schritt erfolgt die Gütebeurteilung auf der Ebene der Faktoren. Diese<br />
wurden reflektiv operationalisiert und müssen deshalb einen hohen Grad an<br />
Konvergenz aufweisen. Voraussetzung hierfür ist die Unidimensionalität jedes<br />
Faktors, die anhand des Kaiser-Kriteriums und des Cronbachs Alphas beurteilt wird.<br />
Da hier die ersten Eigenwerte der Korrelationsmatrix der manifesten Variablen aller<br />
Faktoren zwischen 2,023 und 3,031 und der maximale zweite Eigenwert 0,728 beträgt,<br />
ist dieses Kriterium für sämtliche Faktoren der Nutzendimension erfüllt. Ebenso<br />
erfüllen alle das Gütekriterium hinsichtlich des Cronbachs Alphas, da die fünf<br />
Faktoren jeweils einen <strong>Wert</strong> größer als 0,70 aufweisen.<br />
Weitere Gütemaße zur Beurteilung der Konvergenzvalidität sind die durchschnittlich<br />
erfasste Varianz (DEV) und die interne Konsistenz (IK). Alle fünf Faktoren haben eine<br />
DEV <strong>von</strong> über 57% und erfüllen damit dieses Kriterium. Die <strong>Wert</strong>e der internen<br />
Konsistenz schwanken für die Faktoren der Nutzendimension zwischen 0,861 und<br />
0,908 und liegen damit ebenfalls deutlich über dem genannten Grenzwert <strong>von</strong> 0,6.<br />
Zur Beurteilung der Prognosevalidität eines reflektiv operationalisierten exogenen<br />
Faktors des Messmodells dient das <strong>St</strong>one-Geissers Q 2 in Bezug auf die<br />
Kommunalität 54 . <strong>Der</strong> Grenzwert <strong>von</strong> 0 wird dabei <strong>von</strong> alle Faktoren überschritten, was<br />
auf deren Prognosevalidität schließen lässt.<br />
54 Im Gegensatz hierzu lässt sich die gemeinsame Prognosevalidität <strong>von</strong> Mess- und <strong>St</strong>rukturmodell<br />
eines reflektiv operationalisierten endogenen Konstrukts anhand des <strong>St</strong>one-Geissers Q 2 hinsichtlich<br />
der Redundanz beurteilen.<br />
284
Faktor<br />
Erfolgsaussichten<br />
Antizip. Produktnutzen<br />
Informationsmöglichkeiten<br />
Spaß<br />
Positive<br />
Emotionen<br />
Indikatorenebene<br />
Indikator Ladung t-<strong>Wert</strong><br />
(Ladung)<br />
DEV<br />
Interne<br />
Konsistenz<br />
Faktorenebene<br />
Q 2<br />
Eigenwerte<br />
(EW)<br />
Kriterium > 0,70 > 1,98 > 0,50 > 0,60 > 0 1. EW > 1<br />
2. EW < 1<br />
Erfolg1 0,859 75,605<br />
Erfolg2 0,827 43,841<br />
Erfolg3 0,775 35,963<br />
AnUt1 0,804 45,006<br />
AnUt2 0,889 89,578<br />
AnUt3 0,835 54,713<br />
AnUt4 0,846 52,128<br />
Info2 0,781 43,266<br />
Info3 0,779 42,370<br />
Info4 0,799 43,864<br />
Info5 0,749 34,135<br />
Info6 0,782 42,259<br />
Spaß1 0,814 50,704<br />
Spaß2 0,779 39,579<br />
Spaß3 0,828 49,508<br />
Spaß4 0,831 52,698<br />
PoEm1 0,823 52,622<br />
PoEm2 0,754 38,812<br />
PoEm3 0,728 28,267<br />
PoEm4 0,718 28,074<br />
PoEm5 0,759 36,309<br />
0,674 0,861 0,348 2,023<br />
0,555<br />
0,712 0,908 0,509 2,850<br />
0,496<br />
0,606 0,885 0,407 3,031<br />
0,726<br />
0,662 0,887 0,430 2,647<br />
0,542<br />
0,573 0,870 0,363 2,868<br />
0,728<br />
Cronbachs<br />
Alpha<br />
> 0,70<br />
0,758<br />
0,865<br />
0,837<br />
0,829<br />
0,813<br />
Tabelle 32:<br />
Ergebnisse der Analysen des Messmodells (Ebene 1) für die Nutzendimension<br />
Nach der Empfehlung <strong>von</strong> Tenenhaus et al. (2004) kann die Korrelationsmatrix<br />
zwischen manifesten und latenten Variablen als Indiz sowohl für die Konvergenz- als<br />
auch für die Diskriminanzvalidität dienen (vgl. Ausführungen auf S. 264). In Tabelle<br />
33 ist diese dargestellt. Alle in der Tabelle angegebenen Korrelationen, die auf den<br />
durch PLS berechneten <strong>Wert</strong>en der latenten und manifesten Variablen beruhen, haben<br />
dabei ein Signifikanzniveau <strong>von</strong> p < 0,01. Aus der Tabelle geht hervor, dass sämtliche<br />
manifesten Variablen stärker mit der „ihrer“ latenten Variable korrelieren als mit<br />
anderen latenten oder manifesten Variablen. Interessant ist, dass die manifesten<br />
Variablen der beiden Faktoren Informationsmöglichkeiten und Spaß jeweils stark mit<br />
der „eigenen“ und leicht mit der jeweils anderen latenten Variable korrelieren. So<br />
weisen die Items Spaß1 bis Spaß4 Korrelation mit der latenten Variable<br />
285
Informationsmöglichkeiten zwischen 0,5 und 0,6 auf. Dies deutet darauf hin, dass<br />
Konsumenten Spaß daran haben, sich über Produkte und Produkteigenschaften vor Ort<br />
informieren zu können (vgl. Desmeules 2002, S. 6).<br />
lat. Var.<br />
man. Var.<br />
Erfolgsaussicht<br />
Antizipierter<br />
Produktnutzen<br />
Informationsmöglichkeiten<br />
Positive<br />
Emotionen<br />
Spaß<br />
Erfolg1 0,8587 0,6021 0,5795<br />
Erfolg2 0,8268 0,5070 0,5008<br />
Erfolg3 0,7747<br />
AnUt1 0,8038 0,5057<br />
AnUt2 0,8887<br />
AnUt3 0,8352<br />
AnUt4 0,8462<br />
Info2 0,5538 0,7810 0,5381 0,5271<br />
Info3 0,6346 0,7786 0,6274 0,5210<br />
Info4 0,7994 0,5526<br />
Info5 0,7488 0,5412<br />
Info6 0,7824 0,5088<br />
PoEm1 0,5279 0,5458 0,8229<br />
PoEm2 0,5017 0,5608 0,7538 0,5513<br />
PoEm3 0,7281<br />
PoEm4 0,7176<br />
PoEm5 0,7592<br />
Spaß1 0,5842 0,5124 0,8141<br />
Spaß2 0,5013 0,7790<br />
Spaß3 0,6126 0,8284<br />
Spaß4 0,5073 0,8307<br />
Tabelle 33: Korrelationen zwischen manifesten und latenten Variablen der Nutzendimension (zur<br />
besseren Lesbarkeit wurden Korrelationen unter 0,5 nicht abgebildet)<br />
Die Korrelationsmatrix liefert bereits erste Hinweise auf die Diskriminanzvalidität der<br />
Konstrukte. Um diese abschließend beurteilen zu können, kommt das Fornell-Larcker-<br />
Kriterium zur Anwendung. Dieses besagt, dass die durchschnittlich erfasste Varianz<br />
eines Faktors größer sein muss, als die quadrierten Korrelationen dieses Faktors mit<br />
sämtlichen anderen Faktoren. In Tabelle 34 sind die Ergebnisse für die<br />
Nutzendimension dargestellt und zeigen, dass das Fornell-Larcker-Kriterium für alle<br />
Faktoren erfüllt ist.<br />
286
Faktoren<br />
Antizipierter<br />
Produktnutzen<br />
Erfolgsaussichten<br />
Informationsmöglichkeiten<br />
Spaß<br />
Positive<br />
Emotionen<br />
Erfolgsaussichten<br />
0,674 quadrierte Korrelationen<br />
Antizipierter<br />
Produktnutzen<br />
0,712 0,214<br />
Informationsmöglichkeiten<br />
0,606 0,416 0,217<br />
Spaß 0,661 0,254 0,177 0,462<br />
Positive<br />
Emotionen<br />
0,573 0,394 0,319 0,440 0,336<br />
DEV 0,674 0,712 0,606 0,661 0,573<br />
Tabelle 34:<br />
Ergebnisse der Überprüfung des Fornell-Larcker-Kriteriums der Nutzendimension<br />
Zusammenfassung<br />
Die Überprüfung der verwendeten Gütemaße auf der Ebene der reflektiv<br />
operationalisierten Faktoren hat gezeigt, dass die Messung die gesetzten Kriterien<br />
hinsichtlich der Reliabilität und Validität für alle Faktoren erfüllt. Es kann somit im<br />
nächsten Schritt eine Betrachtung auf der formativ operationalisierten Ebene 2<br />
(Dimensionsebene) erfolgen.<br />
Ebene 2: Formatives Messmodell auf Dimensionsebene<br />
Die Gütebeurteilung der formativ operationalisierten Konstruktebene erfolgt anhand<br />
der in Kapitel 3.4.1.3 (Ebene 2) entwickelten Kriterien (siehe Tabelle 27, S. 271). Die<br />
Parameter des gesamten Messmodells wurden hierzu mit Hilfe des PLS-Verfahrens<br />
geschätzt. Abbildung 64 stellt die Ergebnisse dieser Schätzung für die Nutzendimension<br />
als Pfadmodell dar. Darin sind die Pfadkoeffizienten zwischen den fünf<br />
Faktoren und der latenten Variablen auf Dimensionsebene zu erkennen. Die<br />
Beziehung zur Phantomvariablen, die der Überprüfung der externen Validität dient ist<br />
ebenfalls dargestellt. Nachfolgend werden die Ergebnisse der Parameterschätzung<br />
sowie der Überprüfung der Gütemaße erläutert und interpretiert.<br />
287
Phatomvariable<br />
NGl1<br />
Nutzen<br />
global<br />
NGl2<br />
NGl<br />
R 2 = 0,624<br />
0,790<br />
NPV<br />
Konstrukt<br />
(Ebene 2)<br />
0,185 0,235 0,295 0,238 0,279<br />
EA AP IM Sp PE<br />
... ... ... ...<br />
...<br />
Antizipierter<br />
Produktnutzen<br />
Erfolgsaussichten<br />
Informationsmöglichkeiten<br />
Spaß<br />
Positive<br />
Emotionen<br />
Rang<br />
5 4 1<br />
3 2<br />
Abbildung 64: Ergebnisse der PLS-Schätzung des formativen Messmodells der Nutzendimension mit<br />
Phantomvariable: Gütemaße und Parameterschätzungen (Ebene 2)<br />
Gütemaße und Parameterschätzungen (Ebene 2)<br />
Ausgangspunkt der Gütebeurteilung und gleichzeitig zentrales Element der<br />
Interpretation sind die Pfadkoeffizienten zwischen den fünf Faktoren und dem<br />
Gesamtkonstrukt.<br />
Beginnt man mit der Überprüfung der Erfüllung der Gütekriterien, so ist aus der<br />
Grafik und aus Tabelle 35 zu erkennen, dass die Höhe der Pfadkoeffizienten<br />
zwischen 0,185 für den Faktor Erfolgsaussichten und 0,295 für den Faktor<br />
Informationsmöglichkeiten liegt. Alle Pfadkoeffizienten überschreiten damit den<br />
Grenzwert <strong>von</strong> 0,1. Dies ist ein erster Anhaltspunkt für die Signifikanz des Einflusses<br />
der einzelnen Faktoren auf die Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>, die anhand der durch das<br />
Bootstrapping-Verfahrens gewonnenen t-<strong>Wert</strong>e überprüft wird. Diese liegen<br />
zwischen 28,428 und 40,576 und damit deutlich über der Untergrenze <strong>von</strong> 1,98. Alle<br />
Pfadkoeffizienten sind damit hochsignifikant. Da auch das <strong>St</strong>one-Geissers Q 2<br />
(bezüglich der Redundanz) mit einem <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,415 über dem Grenzwert <strong>von</strong> 0 liegt,<br />
erfüllt die Messung sowohl auf Faktor- als auch auf Konstruktebene die Kriterien<br />
hinsichtlich der Prognosevalidität.<br />
288
Voraussetzung für die Richtigkeit der Schätzung der Pfadkoeffizienten durch das<br />
PLS-Verfahren ist, dass die Faktoren nicht linear <strong>von</strong>einander abhängig sind. Dies<br />
wird mit Hilfe des Variance Inflation Faktors (VIF) überprüft. Mit <strong>Wert</strong>en zwischen<br />
1,531 und 2,632 liegt er für alle Faktoren deutlich unter der Obergrenze <strong>von</strong> 10. Die<br />
Multikollinearität der Faktoren kann damit ausgeschlossen und die Richtigkeit der<br />
Parameterschätzung angenommen werden.<br />
Faktor<br />
Faktorenebene<br />
Pfadkoeffizient<br />
VIF Q 2<br />
(Red.)<br />
R 2<br />
Dimensionsebene<br />
Phantomvariable<br />
t-<strong>Wert</strong><br />
(Pfadkoeffizient)<br />
Antizipierter<br />
Produktnutzen<br />
t-<strong>Wert</strong><br />
(Pfadkoeffizient)<br />
Pfadkoeffizient<br />
Kriterium > 0,1 > 1,98 < 10 > 0 > 0,5 > 0,5 > 1,98<br />
Erfolgsaussichten<br />
0,415 0,624 0,790 54,046<br />
0,185 31,457 1,980<br />
Informationsmöglichkeiten<br />
0,235 28,428 1,531<br />
0,295 40,576 2,632<br />
Spaß 0,238 34,284 1,984<br />
Positive<br />
Emotionen<br />
Tabelle 35:<br />
0,279 35,260 2,359<br />
Ergebnisse der Analysen des Messmodells (Ebene 2) für die Nutzendimension<br />
Die Überprüfung der externen Validität erfolgt mit Hilfe eines MIMIC-Modells mit<br />
einer reflektiv operationalisierten Phantomvariablen (siehe hierzu die Ausführungen<br />
auf S. 201f). Diese wurde durch die beiden Indikatoren NGl1 (Die <strong>Produktvielfalt</strong> ist<br />
nützlich und hilfreich) und NGl2 (Insgesamt finde ich das Sortiment vom Gefühl her<br />
positiv) operationalisiert. Diese erfassen auf globaler Ebene einerseits affektive und<br />
andererseits kognitive Aspekte als Ausdruck des Nutzens hoher <strong>Produktvielfalt</strong>. Um<br />
weitere Aussagen hinsichtlich der Beziehung der latenten Nutzenvariable auf<br />
Gesamtebene machen zu können, ist zunächst die Güte des reflektiven Messmodells<br />
der Phantomvariable zu überprüfen.<br />
Hierzu kommen dieselben Gütemaße wie auf Ebene 1 des Messmodells zur<br />
Anwendung. <strong>Der</strong>en <strong>Wert</strong>e sind in Tabelle 36 abgebildet. Die Ladungen der beiden<br />
Items liegen über dem <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,7 und sind aufgrund der hohen t-<strong>Wert</strong>e als<br />
hochsignifikant zu bewerten. Mit rund 77% liegt die DEV ebenso über dem Grenzwert<br />
(50%), wie die IK (0,60), die einen <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,871 hat. Die Unidimensionalität des<br />
289
Faktors wird durch <strong>Wert</strong>e <strong>von</strong> 1,548 und 0,452 für den ersten bzw. zweiten Eigenwert<br />
und das Cronbachs Alpha <strong>von</strong> 0,708 bestätigt, wobei letzteres als grenzwertig<br />
einzustufen ist.<br />
Indikatorenebene<br />
Indikator Ladung t-<strong>Wert</strong><br />
(Ladung)<br />
DEV<br />
Interne<br />
Konsistenz<br />
Konstruktebene<br />
Q 2<br />
Eigenwerte<br />
(EW)<br />
Kriterium > 0,70 > 1,98 > 0,50 > 0,60 > 0 1. EW > 1<br />
2. EW < 1<br />
NGl1 0,848 43,221<br />
NGl2 0,908 38,113<br />
0,772 0,871 0,298 1,548<br />
0,452<br />
Cronbachs<br />
Alpha<br />
> 0,70<br />
0,708<br />
Tabelle 36: Gütekriterien des Messmodells der reflektiv operationalisierten Phantomvariablen für<br />
die Nutzendimension<br />
Insgesamt kann die Messung der Phantomvariablen aufgrund der Gütemaße als<br />
reliabel und valide bezeichnet werden. Damit können die Gütemaße bezüglich der<br />
Phantomvariablen auf Konstruktebene betrachtet werden.<br />
Die latente Nutzenvariable auf Konstruktebene kann insgesamt 62,4% der Varianz der<br />
Phantomvariable erklären (R 2 = 0,624). Gleichzeitig ist der Pfadkoeffizient zwischen<br />
den beiden Konstrukten mit einem <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,790 relativ hoch und signifikant, was<br />
durch dessen t-<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> über 54 zum Ausdruck kommt. Aus diesen Ergebnissen kann<br />
geschlossen werden, dass zwischen Gesamtkonstrukt und Phantomvariable ein starker<br />
Zusammenhang besteht und die latente Variable der NPV einen erheblichen<br />
Varianzanteil der Phantomvariablen erklären kann. Dies lässt auf externe<br />
(nomologische) Validität des Messmodells der Nutzendimension schließen (vgl.<br />
Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 22) und ist außerdem Ausdruck für dessen<br />
Inhaltsvalidität (vgl. Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 18).<br />
Zusammenfassend erfüllt das Messmodell der Nutzendimension alle vorgegebenen<br />
Gütemaße und –kriterien und kann anschließend hinsichtlich der Einflussstärke<br />
einzelner Faktoren interpretiert werden.<br />
Interpretation des Messmodells auf Konstruktebene<br />
Um den Erklärungsbeitrag der einzelnen Faktoren zur Dimension und damit deren<br />
Einflussstärke auf den Gesamtnutzen hoher <strong>Produktvielfalt</strong> abschätzen zu können,<br />
empfehlen Tenenhaus und seine Kollegen (2004), das Bestimmtheitsmaß (R 2 )<br />
290
entsprechend folgender Formel auf die einzelnen Faktoren aufzuteilen (vgl. Tenenhaus<br />
et al. 2004, S. 20f.)<br />
2<br />
R = ∑ β<br />
j<br />
cor(<br />
y,<br />
x j<br />
)<br />
(18)<br />
j<br />
y<br />
x j<br />
β j<br />
latente Variable auf Konstruktebene (2. Ebene)<br />
latente Variablen auf Faktorenebene (1. Ebene)<br />
Pfadkoeffizient zwischen x j und y<br />
Diese „Zerlegung“ ist nur anwendbar, wenn Korrelation und Pfadkoeffizienten je<br />
Beziehung dasselbe Vorzeichen haben und alle Variablen standardisiert sind (vgl.<br />
Tenenhaus et al. 2004, S. 21); beides ist hier erfüllt. Die Ergebnisse sind in Tabelle 37<br />
dargestellt. Anzumerken ist hierzu, dass die Varianz der Gesamtdimension aufgrund<br />
der <strong>St</strong>ruktur des Messmodells per definitionem 100% beträgt. Die Multiplikationen<br />
<strong>von</strong> Pfadkoeffizienten und Korrelationen addiert sich über alle Faktoren somit zu 1<br />
(siehe hierzu die Ausführungen auf den S. 258f.).<br />
Faktor Pfadkoeffizient Korrelation<br />
Pfadkoeffizient<br />
x<br />
Korrelation<br />
Relativer<br />
Erklärungsanteil<br />
Rang<br />
Erfolgsaussichten 0,185 0,780 0,144 14% 5<br />
Antizipierter<br />
Produktnutzen<br />
Informationsmöglichkeiten<br />
0,235 0,717 0,168 17% 4<br />
0,295 0,872 0,257 26% 1<br />
Spaß 0,238 0,793 0,189 19% 3<br />
Positive<br />
Emotionen<br />
Tabelle 37:<br />
0,279 0,862 0,240 24% 2<br />
Relativer Erklärungsbeitrag der einzelnen Faktoren der Nutzendimension<br />
Insgesamt erklärt der Faktor Informationsmöglichkeiten mit 26% den größten Anteil<br />
der Varianz, gefolgt vom Faktor Positive Emotionen, der einen Erklärungsbeitrag <strong>von</strong><br />
24% leistet. Auf den Rängen drei, vier und fünf liegen die Aspekte Spaß, Antizipierter<br />
Produktnutzen und Erfolgsaussichten mit relativen Einflussstärken <strong>von</strong> 19%, 17% und<br />
14%.<br />
291
Dieses Ergebnis überrascht zunächst, da die Faktoren Erfolgsaussichten und<br />
Antizipierter Produktnutzen, die das Hauptargument der rationalen Entscheidungstheorie<br />
für hohe <strong>Produktvielfalt</strong> darstellen, getrennt den geringsten Einfluss haben.<br />
Dies kann so interpretiert werden, dass der Konsument da<strong>von</strong> ausgeht, dass er bei<br />
hoher Vielfalt das Produkt findet, das er sucht und dieser Funktion somit keinen<br />
besonders hohen „zusätzlichen“ Nutzen zuschreibt. Zusammen haben die Faktoren<br />
aber mit 31% den stärksten Einfluss auf die Nutzendimension.<br />
<strong>Der</strong> aus der Sicht des Konsumenten positivste Aspekt hoher <strong>Produktvielfalt</strong> ist nach<br />
den Ergebnissen der Untersuchung die Möglichkeit, sich vor Ort über verschiedene<br />
Produkte zu informieren und einen Überblick über den Gesamtmarkt der jeweiligen<br />
Produktkategorie zu bekommen. <strong>Der</strong> Kunde gewinnt dadurch den Eindruck, alle<br />
wichtigen Produkte am Markt vor sich zu sehen und vergleichen zu können.<br />
Gleichzeitig verbindet der potenzielle Kunde mit der Vielfalt positive Emotionen, ist<br />
hinsichtlich seiner Entscheidung optimistisch gestimmt und empfindet ein großes<br />
Sortiment als unterhaltsam und ansprechend. Hierbei haben die Korrelationen <strong>von</strong><br />
manifesten Variablen des Faktors Spaß mit der latenten Variable Informationsmöglichkeiten<br />
bereits angedeutet, dass es Konsumenten offensichtlich Spaß bereitet,<br />
sich vor Ort informieren zu können (siehe Tabelle 33, S. 286). Informationsmöglichkeiten<br />
könnten sich somit auch positiv auf den hedonistischen <strong>Wert</strong> des<br />
Einkaufs (Spaß) auswirken. Dies bestätigt, wie im Theorieteil erläutert wurde, dass<br />
Konsumenten Spaß daran haben, sich über Produkte zu informieren und ihre<br />
Präferenzen zu lernen (siehe S. 119f.)<br />
Dem Ergebnis nach zu urteilen, spielen die affektiven bzw. hedonistischen Aspekte<br />
hoher <strong>Produktvielfalt</strong> in Form <strong>von</strong> Positiven Emotionen und Spaß für den<br />
Konsumenten mit 43% Erklärungsbeitrag eine fast gleichwichtige Rolle wie die<br />
kognitiv geprägten Vielfaltsvorteile, die zusammen 57% der Varianz erklären. Die<br />
Einzelaspekte Informationsmöglichkeiten, Erfolgsaussichten und Antizipierter<br />
Produktnutzen sind zusammengenommen dennoch etwas wichtiger als die affektiven<br />
Faktoren, dominieren diese aber nicht in dem Maße, wie es die rationale<br />
Entscheidungstheorie und die Hypothese vom Informationsdefizit nahe legen.<br />
Für Handelsunternehmen folgt aus den Ergebnissen, dass sie einerseits die<br />
Informationsmöglichkeiten vor Ort betonen sollten, indem sie dem Konsumenten das<br />
Gefühl geben, den wichtigsten Teil des Gesamtmarkts der Produktkategorie vor sich<br />
zu haben und vergleichen zu können. <strong>Der</strong> Einzelhändler sollte deshalb seine<br />
Sortimentskompetenz zum Ausdruck bringen, indem er z. B. Produkte verschiedener<br />
292
Preiskategorien <strong>von</strong> billig bis sehr teuer führt. Gleichzeitig kann ein Geschäft die<br />
positive Wahrnehmung der Vielfalt stärken, indem es die affektiven Komponenten<br />
Anmutung, Unterhaltsamkeit und Spaß betont, so beispielsweise für eine angenehme<br />
Shop-Atmosphäre sorgt und dem Konsumenten auch entsprechend Zeit für die<br />
Entscheidung einräumt. Die Implikationen für Forschung und Praxis werden<br />
detaillierter in Kapitel 6 (S. 387ff.) diskutiert.<br />
Im nächsten Abschnitt werden die Gütemaße für die Kostendimension nacheinander<br />
für die reflektiv operationalisierte Faktorenebene (Ebene 1) und die formativ<br />
operationalisierte Konstruktebene (Ebene 2) beschrieben und interpretiert.<br />
3.4.3.3 PLS-Messmodell der Kostendimension<br />
Ebene 1: Reflektives Messmodell auf Faktorenebene<br />
Faktor<br />
Aufwand und<br />
Anstrengung<br />
Indikatorenebene<br />
Indikator Ladung t-<strong>Wert</strong><br />
(Ladung)<br />
DEV<br />
Interne<br />
Konsistenz<br />
Konstruktebene<br />
Q 2<br />
Eigenwerte<br />
(EW)<br />
Kriterium > 0,70 > 1,98 > 0,50 > 0,60 > 0 1. EW > 1<br />
2. EW < 1<br />
Aufw1 0,846 60,787<br />
Aufw2 0,833 48,096<br />
Aufw3 0,834 62,679<br />
Aufw4 0,874 75,403<br />
Aufw5 0,862 60,439<br />
0,722 0,929 0,573 3,612<br />
0,461<br />
Cronbachs<br />
Alpha<br />
> 0,70<br />
0,904<br />
Verwirrung und<br />
Frustration<br />
VerFr1 0,766 43,149<br />
VerFr2 0,758 37,961<br />
VerFr3 0,844 53,601<br />
VerFr4 0,856 61,834<br />
VerFr5 0,857 52,221<br />
0,678 0,927 0,544 4,070<br />
0,614<br />
0,904<br />
VerFr6 0,852 67,931<br />
Antizipiertes<br />
Regret<br />
AnReg1 0,869 82,046<br />
AnReg2 0,863 76,381<br />
AnReg3 0,856 68,270<br />
AnReg4 0,865 72,723<br />
0,746 0,921 0,558 2,982<br />
0,384<br />
0,886<br />
Tabelle 38:<br />
Ergebnisse der Analysen des Messmodells (Ebene 1) der Kostendimension<br />
293
Betrachtet man zunächst die Indikatorenebene der in Tabelle 38 abgebildeten<br />
Gütemaße der Kostendimension, so ist zu erkennen, dass alle Items eine Ladung<br />
größer als 0,758 aufweisen und damit über dem Grenzwert <strong>von</strong> 0,7 liegen. Für die<br />
Faktoren Aufwand und Antizipiertes Regret liegen die Ladungen durchweg über dem<br />
<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,833, was als eine gute Messung zu interpretieren ist. Auch die t-<strong>Wert</strong>e der<br />
Ladungen überschreiten mit einem Minimalwert <strong>von</strong> 37,961 den Mindestwert <strong>von</strong><br />
1,98 sehr deutlich. Die Ladungen sind daher alle als hoch signifikant zu bewerten.<br />
Auf Faktorenebene liegt die durchschnittlich erfasste Varianz (DEV) mit <strong>Wert</strong>en <strong>von</strong><br />
rund 68%, 72% und 75% für die Faktoren Verwirrung und Frustration, Aufwand und<br />
Anstrengung und Antizipiertes Regret über dem Grenzwert <strong>von</strong> 50%. Gleiches gilt für<br />
die interne Konsistenz: Mit <strong>Wert</strong>en <strong>von</strong> über 0,921 überschreiten alle drei Faktoren<br />
den Mindestwert <strong>von</strong> 0,60 ebenfalls deutlich. Da die Messung alle Gütekriterien<br />
hinsichtlich der Konvergenzvalidität erfüllt, kann diese insgesamt angenommen<br />
werden. Das Messmodell genügt ebenfalls den Anforderungen hinsichtlich der<br />
Prognosevalidität, was durch positive <strong>St</strong>one-Geissers Q 2 zum Ausdruck kommt.<br />
Schließlich kann auch die Unidimensionalität der einzelnen Faktoren bestätigt werden,<br />
da der erste Eigenwert 55 eines jeden Faktors den Grenzwert <strong>von</strong> 1 deutlich<br />
überschreiten und die <strong>Wert</strong>e des jeweiligen zweiten Eigenwerts unter diesem <strong>Wert</strong><br />
liegen. Alle Faktoren weisen zudem ein Cronbachs Alpha <strong>von</strong> rund 0,9 auf, was die<br />
Unidimensionalität unterstreicht und gleichzeitig auf eine hohe Reliabilität der<br />
Messung deutet.<br />
Anhand der in Tabelle 39 abgebildeten Korrelationsmatrix <strong>von</strong> manifesten und<br />
latenten Variablen kann die Konvergenzvalidität nochmals verdeutlicht werden. Die<br />
Matrix gibt ebenfalls erste Hinweise darauf, dass die Faktoren auch inhaltlich<br />
verschiedene Elemente messen und somit diskriminant sind. Beide Aussagen basieren<br />
darauf, dass die manifesten Variablen jeweils stärker mit der „eigenen“ latenten<br />
Variable korrelieren als mit anderen. Dennoch korrelieren die Items teilweise deutlich<br />
mit anderen Faktoren. So hat z. B. Aufw3 (Es dauert lange, die richtige Digitalkamera<br />
zu finden) Korrelationskoeffizienten <strong>von</strong> über 0,5 mit den latenten Variablen der<br />
Faktoren Verwirrung und Frustration und Antizipiertes Regret. Dies deutet darauf hin,<br />
dass die drei Faktoren gemeinsame Elemente haben und Teil einer Dimension – den<br />
Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> – sind.<br />
55 Bezieht sich auf Eigenwerte der Korrelationsmatrix der manifesten Variablen eines Faktors<br />
294
lat. Var.<br />
man. Var.<br />
Aufwand<br />
Verwirrung und<br />
Frustration<br />
Antizipiertes<br />
Regret<br />
Aufw1 0,8455 0,5499<br />
Aufw2 0,8333<br />
Aufw3 0,8339 0,5205 0,5386<br />
Aufw4 0,8737<br />
Aufw5 0,8624 0,5183 0,5287<br />
VerFr1 0,7663<br />
VerFr2 0,5320 0,7581 0,5094<br />
VerFr3 0,8438<br />
VerFr4 0,8562<br />
VerFr5 0,8569<br />
VerFr6 0,8522<br />
AnReg1 0,8688<br />
AnReg2 0,8633<br />
AnReg3 0,5441 0,8564<br />
AnReg4 0,5561 0,8653<br />
Tabelle 39: Korrelationen zwischen manifesten und latenten Variablen der Kostendimension (zur<br />
besseren Lesbarkeit wurden Korrelationen unter 0,5 nicht abgebildet) (p < 0,01)<br />
Dass die latenten Variablen dennoch verschiedene Aspekte der Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> messen, zeigen die Ergebnisse hinsichtlich der Überprüfung des<br />
Fornell-Larcker-Kriteriums. Da alle Faktoren dieses Kriterium erfüllen (siehe<br />
Tabelle 34), kann <strong>von</strong> Diskriminanzvalidität der Messung auf Faktorenebene<br />
ausgegangen werden. Die Zusammengehörigkeit der Faktoren kommt aber auch hier<br />
durch Korrelationskoeffizienten der latenten Variablen <strong>von</strong> 0,536 (=0,287 ½ ), 0,553<br />
(= 0,306 ½ ) und 0,606 (= 0,367 ½ ) zum Ausdruck.<br />
Faktoren<br />
Aufwand<br />
Verwirrung und<br />
Frustration<br />
Antizipiertes<br />
Regret<br />
Aufwand 0,722 quadrierte Korrelationen<br />
Verwirrung und<br />
Frustration<br />
Antizipiertes<br />
Regret<br />
0,678 0,306<br />
0,746 0,367 0,287<br />
DEV 0,722 0,678 0,746<br />
Tabelle 40:<br />
Ergebnisse der Überprüfung des Fornell-Larcker-Kriteriums der Kostendimension<br />
295
Die reflektiven Messmodelle der KVP auf Faktorenebene erfüllen insgesamt alle in<br />
dieser Arbeit verwendeten Gütekriterien. Es kann somit <strong>von</strong> reliablen und validen<br />
Messungen ausgegangen werden.<br />
Ebene 2: Formatives Messmodell auf Konstruktebene<br />
Phatomvariable<br />
KGl1<br />
Kosten<br />
global<br />
KGl2<br />
KGl<br />
R 2 = 0,677<br />
0,823<br />
KPV<br />
Konstrukt<br />
(Ebene 2)<br />
0,415 0,440 0,331<br />
AA VF AR<br />
... ... ...<br />
Aufwand und<br />
Anstrengung<br />
Verwirrung und<br />
Frustration<br />
Antizipiertes<br />
Regret<br />
Rang<br />
2 1 3<br />
Abbildung 65: Ergebnisse der PLS-Schätzung des formativen Messmodells der Kostendimension mit<br />
Phantomvariable: Gütemaße und Parameterschätzungen (Ebene 2)<br />
In Abbildung 65 sind die Parameterschätzungen des PLS-Messmodells auf der<br />
formativen Konstruktebene sowie die Beziehung zur Phantomvariable und deren<br />
Messmodell dargestellt. Nachfolgend werden analog zum Nutzenkonstrukt zunächst<br />
die Gütemaße der zweiten Ebene des Messmodells der KVP beschrieben.<br />
Anschließend werden die Ergebnisse hinsichtlich der Einflussstärke der Faktoren auf<br />
das Gesamtkonstrukt interpretiert.<br />
296
Gütemaße und Parameterschätzungen (Ebene 2)<br />
Betrachtet man zunächst die Gütemaße auf Faktorenebene, so ist aus Tabelle 41 zu<br />
erkennen, dass die Pfadkoeffizienten der drei Faktoren Verwirrung und Frustration,<br />
Aufwand und Anstrengung und Antizipiertes Regret mit <strong>Wert</strong>en <strong>von</strong> 0,440, 0,415 und<br />
0,331 deutlich über der Grenze <strong>von</strong> 0,1 liegen. Aufgrund der mittels des<br />
Bootstrapping-Verfahrens gewonnenen t-<strong>Wert</strong>e zwischen 38,727 (Antizipiertes<br />
Regret) und 56,7 (Verwirrung und Frustration) kann da<strong>von</strong> ausgegangen werden, dass<br />
die Pfadkoeffizienten signifikant sind. Außerdem wird die Multikollinearität der drei<br />
Faktoren ausgeschlossen, da der jeweilige Variance Inflation Faktor (VIF) deutlich<br />
unter der Grenze <strong>von</strong> 10 liegt. Das formative Messmodell erfüllt somit auf<br />
Faktorenebene sehr deutlich alle vorgegebenen Gütekriterien.<br />
Faktor<br />
Faktorenebene<br />
Pfadkoeffizient<br />
VIF Q 2<br />
(Red.)<br />
R 2<br />
Dimensionsebene<br />
Phantomvariable<br />
t-<strong>Wert</strong><br />
(Pfadkoeffizient)<br />
Pfadkoeffizient<br />
t-<strong>Wert</strong><br />
(Pfadkoeffizient)<br />
Kriterium > 0,1 > 1,98 < 10 > 0 > 0,5 > 0,5 > 1,98<br />
Aufwand und<br />
Anstrengung<br />
0,415 42,006 1,786 0,502 0,677 0,823 64,714<br />
Verwirrung und<br />
Frustration<br />
Antizipiertes<br />
Regret<br />
0,440 56,676 1,587<br />
0,331 38,727 1,739<br />
Tabelle 41:<br />
Ergebnisse der Analysen des Messmodells (Ebene 2) der Kostendimension<br />
Betrachtet man auf Dimensionsebene zunächst das <strong>St</strong>one-Geissers Q 2 , so kann aus<br />
dem <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,502 und den Ergebnissen auf Faktorenebene auf die Prognosevalidität<br />
der Messung geschlossen werden. Von externer Validität der Messung kann aufgrund<br />
der Erklärungsstärke des Gesamtkonstrukts im Hinblick auf die Phantomvariable<br />
ebenfalls ausgegangen werden: Die Kostendimension kann insgesamt 67,7% der<br />
Varianz der Phantomvariable (R 2 = 0,677) erklären und steht mit dieser in sehr engem<br />
Zusammenhang. Dies ist aus dem relativ hohen Pfadkoeffizienten <strong>von</strong> 0,823 zu<br />
erkennen, der gleichzeitig hochsignifikant ist (t-<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 64,714).<br />
Um die Parameterschätzungen hinsichtlich der Phantomvariablen abschließend<br />
beurteilen zu können, ist sicherzustellen, dass die Phantomvariable reliabel und valide<br />
gemessen wurde. Die entsprechenden Gütemaße ihres Messmodells sind in Tabelle 42<br />
zusammengefasst. Die Phantomvariable der KPV wurde wie die des NPV durch zwei<br />
297
eflektive Indikatoren operationalisiert. Das Item KGl1 (Insgesamt empfinde ich die<br />
Entscheidung vom Gefühl her als unangenehm) stellt dabei vor allem die affektiven<br />
Manifestationen der KVP dar, während durch den Indikator KGl2 (Insgesamt würde<br />
ich sagen, die Entscheidung war ... [(1): sehr einfach ... (7) sehr schwer]) die globale<br />
kognitive Entscheidungsschwierigkeit hoher <strong>Produktvielfalt</strong> global gemessen wird.<br />
Indikatorenebene<br />
Indikator Ladung t-<strong>Wert</strong><br />
(Ladung)<br />
DEV<br />
Interne<br />
Konsistenz<br />
Konstruktebene<br />
Q 2<br />
(Kom.)<br />
Eigenwerte<br />
(EW)<br />
Kriterium > 0,70 > 1,98 > 0,50 > 0,60 > 0 1. EW > 1<br />
2. EW < 1<br />
KGl1 0,880 49,923<br />
KGl2 0,854 49,023<br />
0,751 0,858 0,257 1,506<br />
0,494<br />
Cronbachs<br />
Alpha<br />
> 0,70<br />
0,672<br />
Tabelle 42:<br />
Gütekriterien des Messmodells der Phantomvariable für die Kostendimension<br />
Die Ladungen beider Indikatoren liegen mit <strong>Wert</strong>en <strong>von</strong> 0,880 (KGl1) und 0,854<br />
(KGl2) deutlich über der Grenze <strong>von</strong> 0,7 und sind hochsignifikant, da ihre t-<strong>Wert</strong>e bei<br />
rund 49 liegen. Auf Konstruktebene erfüllt die Messung die Kriterien hinsichtlich der<br />
durchschnittlich erfassten Varianz (DEV) und der internen Konsistenz deutlich.<br />
Auch die Eigenwerte liegen mit <strong>Wert</strong>en <strong>von</strong> 1,506 und 0,494 für den ersten bzw.<br />
zweiten Eigenwert über bzw. unter 1, woraus auf Unidimensionalität der latenten<br />
(Phantom)variable geschlossen werden kann. Dagegen liegt das Cronbachs Alpha<br />
mit 0,672 unter dem Grenzwert <strong>von</strong> 0,7. Dies ist zum einen auf die Operationalisierung<br />
mit nur zwei Indikatoren zurückzuführen und deutet zum anderen darauf hin,<br />
dass die beiden Indikatoren nicht exakt denselben Faktor messen und die Messung<br />
deshalb das Kriterium der Konvergenzvalidität nicht optimal erfüllt. Ein Grund hierfür<br />
könnte sein, dass Konsumenten die durch KGl1 bzw. KGl2 gemessenen affektiven<br />
bzw. kognitiven Aspekte als Facetten der Entscheidungsschwierigkeit und damit<br />
teilweise als ergänzend betrachten. Dies war das Hauptargument für die formative<br />
Operationalisierung der Konstruktebene und die Verwendung der <strong>von</strong> Wold (1982b)<br />
vorgeschlagenen „Superblock-<strong>St</strong>ruktur“ (siehe S. 258f.). Da die Messung aber die drei<br />
anderen Gütekriterien hinsichtlich der Konvergenzvalidität (DEV, interne Konsistenz<br />
und Eigenwerte) erfüllt, kann insgesamt mit leichten Einschränkungen <strong>von</strong><br />
Konvergenzvalidität ausgegangen werden. Aus dem <strong>St</strong>one-Geissers Q 2 <strong>von</strong> 0,257<br />
kann schließlich auf Prognosevalidität und damit insgesamt auf eine valide Messung<br />
der Phantomvariablen geschlossen werden.<br />
298
Insgesamt erfüllt das Messmodell der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> damit die<br />
vorgegebenen Gütekriterien der Ebene 2 und kann deshalb als reliabel und valide<br />
eingestuft werden.<br />
Interpretation des Messmodells auf Konstruktebene<br />
Die Einflussstärke der drei Faktoren Verwirrung und Frustration, Aufwand und<br />
Anstrengung und Antizipiertes Regret auf den <strong>Wert</strong> der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
wird analog zum Nutzenkonstrukt auf Basis des jeweiligen relativen Erklärungsbetrags<br />
eines Faktors zum Bestimmtheitsmaß auf Dimensionsebene beurteilt (siehe S. 291).<br />
Die Ergebnisse der Berechnungen sind in Tabelle 43 dargestellt. Demnach ist der<br />
Faktor Verwirrung und Frustration mit einem Erklärungsbeitrag <strong>von</strong> 38% der<br />
bedeutendste Aspekt der Kostendimension, dicht gefolgt vom Faktor Aufwand und<br />
Anstrengung, der 35% zum Bestimmtheitsmaß beiträgt. Mit 27% ist auch der<br />
Erklärungsbeitrag des drittstärksten Einflussfaktors Antizipiertes Regret immer noch<br />
relativ hoch, so dass insgesamt festgehalten werden kann, dass alle drei Faktoren einen<br />
bedeutenden Einfluss auf die KPV haben, wobei die Faktoren Verwirrung und<br />
Frustration und Aufwand und Anstrengung etwas bedeutender sind die latente<br />
Variable Antizipiertes Regret. Damit sind ähnlich wie bei den NPV die affektiven<br />
Kostenaspekte erstaunlich wichtig. Anzumerken ist hierzu, dass ein gewisser<br />
Zusammenhang des Faktors Aufwand und Anstrengung mit den beiden anderen<br />
Faktoren Verwirrung und Frustration und Antizipiertes Regret zu vermuten ist. Dies<br />
ist aus der Korrelation einiger manifester Variablen des Aufwandsfaktors (z. B. Aufw3,<br />
Aufw5) mit den anderen beiden latenten Variablen abzuleiten (siehe Tabelle 39,<br />
S. 295). Hinweise hierauf geben auch die Korrelationen zwischen der latenten<br />
Variablen des Faktors Aufwand und Anstrengung mit den latenten Variablen<br />
Verwirrung und Frustration (0,553) und Antizipiertes Regret (0,606), die aus<br />
Tabelle 40 (Fornell-Larcker-Kriterium) in quadrierter Form abzulesen sind.<br />
299
Faktor Pfadkoeffizient Korrelation<br />
Pfadkoeffizient<br />
x<br />
Korrelation<br />
Relativer<br />
Erklärungsanteil<br />
Rang<br />
Aufwand 0,415 0,856 0,349 35% 2<br />
Verwirrung und<br />
Frustration<br />
Antizipiertes<br />
Regret<br />
0,440 0,848 0,376 38% 1<br />
0,331 0,819 0,274 27% 3<br />
Tabelle 43: Relativer Erklärungsbeitrag der einzelnen Faktoren der Kostendimension zur<br />
Gesamtdimension<br />
Aus den Ergebnissen kann insgesamt geschlossen werden, dass die negativen Aspekte<br />
hoher <strong>Produktvielfalt</strong> für den Konsumenten insbesondere durch Verwirrung und<br />
Frustration und durch den Aufwand und die Anstrengung bei der Entscheidung<br />
bestimmt werden. Für Handelsunternehmen ist es folglich besonders wichtig, die<br />
Verwirrung des Konsumenten zu reduzieren, indem Sortimente z. B. klar strukturiert<br />
werden und der Konsument sich möglichst leicht orientieren kann, um zu dem Produkt<br />
„zu finden“, das seinen Vorstellungen entspricht. Weiterhin sollten Unternehmen<br />
versuchen, den Aufwand der Entscheidung zu reduzieren, indem beispielsweise<br />
Berater aktive Entscheidungsunterstützung leisten, anstatt „nur“ über Produkte und<br />
deren Eigenschaften zu informieren. Detaillierter wird auf die Implikationen aus den<br />
Ergebnissen in Kapitel 6.2 (S. 397ff.) eingegangen.<br />
3.5 Zusammenfassung<br />
In diesem Kapitel wurde ein Messinstrument für den <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> mit<br />
seinen beiden Dimenseionen Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> NPV entwickelt. Die Dimensionen wurden hierzu als unabhängige<br />
Konstrukte des übergelagerten <strong>Wert</strong>konstrukts konzeputalisiert. Die Nutzendimension<br />
besteht aus drei Faktoren, die Kostendimension ist fünffaktoriell. Die Operationalisierung<br />
beider Dimensionen erfolgt auf Faktorenebene reflektiv und auf Dimensionsebene<br />
formativ. Die Items zur Messung der einzelnen Faktoren wurden auf Basis der<br />
in Kapitel 2 beschriebenen Theorien sowie Konsumenten- und Experteninterviews<br />
generiert. Durch diesen Methodenmix kann eine breite Abdeckung des<br />
Konstruktinhalts gewährleistet werden. Das so entstandene Messinstrument wurde<br />
anschließend auf Faktorenebene einem Pretest unterzogen, um ungeeignete Items zu<br />
300
entfernen. Insgesamt wurden sieben Indikatoren im Rahmen einer konfirmatorischen<br />
Faktorenanalyse entfernt, so dass in der anschließenden Hauptuntersuchung die<br />
Kostendimension durch insgesamt 15 und die Nutzendimension durch 21 Items<br />
gemessen wurde.<br />
Die Analysen der Hauptuntersuchung, die mit Hilfe <strong>von</strong> PLS durchgeführt wurden,<br />
bestätigten die <strong>St</strong>ruktur der Messmodelle sowohl auf Faktor- als auch auf<br />
Dimensionsebene. Durch die Untersuchung der Einflussstärke der einzelnen Faktoren<br />
auf die jeweilige Dimension wurde deutlich, dass die Faktoren Informationsmöglichkeiten<br />
und Spaß den Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und die Faktoren<br />
Anstrengung und Aufwand sowie Verwirrung und Frustration die Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> am stärksten beeinflussen.<br />
Mit Hilfe des entwickelten Messinstruments können in den nächsten beiden Kapiteln<br />
die Konsequenzen der Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (Kapitel 4) und deren<br />
Determinanten (Kapitel 5) untersucht werden.<br />
301
4. Auswirkungen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> Vielfalt auf<br />
das Konsumentenverhalten<br />
Das Kapitel ist so strukturiert, dass zunächst die Methodik und Vorgehensweise bei<br />
der Analyse der Daten hinsichtlich der Konsequenzen der <strong>Wert</strong>dimensionen<br />
beschrieben wird (Kapitel 4.1). Im Anschluss daran wird untersucht, wie sich Kosten<br />
und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf den Ausgang der Kaufentscheidung (Kapitel 4.2)<br />
und die nachgelagerten Evaluationsprozesse (Kapitel 4.3) auswirken. <strong>Der</strong> letzte<br />
Abschnitt (Kapitel 4.4) beschreibt die Analyseergebnisse zu erweiterten Modellen.<br />
Hierbei wird zum einen das bestangepasste Modell beschrieben und zum anderen<br />
werden weitere Konstrukte in die Betrachtung einbezogen.<br />
4.1 Methodik und Gütekriterien bei der Analyse der Daten<br />
4.1.1 Methodik und Vorgehensweise<br />
Da dieser Abschnitt der Untersuchung der Konsquenzen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> dient, steht das <strong>St</strong>rukturmodell im Mittelpunkt der Betrachtung. Dieses<br />
beschreibt die Beziehungen zwischen exogenen und endogenen Konstrukten, sowie<br />
Beziehungen endogener Konstrukte untereinander. Bei der Modellbeurteilung sind<br />
deshalb zwei Aspekte zu berücksichtigen: Zum einen sind die Messmodelle der<br />
endogenen Konstrukte auf Validität und Reliabilität zu überprüfen, und zum anderen<br />
müssen die im <strong>St</strong>rukturmodell beschriebenen Beziehungen zwischen den<br />
Konstrukten untersucht werden.<br />
Da alle endogenen Konstrukte reflektiv operationalisiert werden, erfolgt die<br />
Beurteilung der Messmodelle mittels der Gütekriterien, die bereits auf Faktorenebene<br />
der Kosten- und Nutzendimension verwendet wurden. Analog zur dortigen<br />
Vorgehensweise werden die endogenen Konstrukte zunächst theoriebasiert<br />
operationalisiert und die so entstandenen Itembatterien anschließend einem Pretest<br />
unterzogen. Die Beurteilung der Messmodellgüte erfolgt in der Analyse der<br />
302
Hauptuntersuchung, die ebenfalls auf PLS basiert, durch dieselben Gütekriterien wie<br />
bei der Hauptuntersuchung die Messmodelle der Kosten- und Nutzendimension (siehe<br />
Kapitel 3.4.1.3, S. 260ff.). Auf die Gütekriterien zur Validitäts- und Reliabilitätsbeurteilung<br />
der Messmodelle wird an dieser <strong>St</strong>elle deshalb nicht nochmals<br />
eingegangen.<br />
Noch nicht dargestellt wurden dagegen die Kriterien zur Gütebeurteilung des<br />
<strong>St</strong>rukturmodells. Dies erfolgt anschließend.<br />
4.1.2 Gütekriterien zur Beurteilung des <strong>St</strong>rukturmodells<br />
Das <strong>St</strong>rukturmodell dient dem Test der Hypothesen hinsichtlich der Konsequenzen<br />
<strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und damit auch der Überprüfung der<br />
nomologischen Validität ihrer Messmodelle. Die Hypothesen werden getestet, indem<br />
die <strong>St</strong>rukturgleichungspfade des Modells hinsichtlich Richtung, Signifikanz und<br />
Erklärungskraft in Bezug auf die kausal nachfolgenden Konstrukte beurteilt werden.<br />
Ausgangspunkt der Überprüfung der Erklärungskraft des Modells ist das<br />
Bestimmtheitsmaß (R 2 ) (vgl. Chin 1998a, S. 316f.). In einem Regressionsmodell gibt<br />
dieses an, welchen Anteil der <strong>St</strong>reuung einer abhängigen Variablen die ihr kausal<br />
vorgelagerten unabhängigen Variablen erklären können (vgl. Backhaus et al. 2003,<br />
S. 66). In einem PLS-<strong>St</strong>rukturmodell stellen die endogenen latenten Variablen die<br />
abhängigen Variable (Regressoren) und die latenten exogenen Konstrukte die<br />
unabhängigen Variablen (Regressoren) eines multiplen Regressionsmodells dar (vgl.<br />
Ringle 2004, S. 15). Das in PLS ermittelte Bestimmtheitsmaß einer endogenen<br />
Variablen gibt folglich den Anteil der <strong>St</strong>reuung an, der durch die mit der Variablen in<br />
Verbindung stehenden kausal vorgelagerten exogenen Konstrukte erklärt wird. Es<br />
„(...) misst damit die Güte der Anpassung einer Regressionsfunktion an die empirisch<br />
gewonnenen manifesten Items“ (Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 23).<br />
Das R 2 ist eine normierte Größe mit einem <strong>Wert</strong>ebereich <strong>von</strong> 0 bis 1, wobei größere<br />
<strong>Wert</strong>e für eine höhere Erklärungskraft des Modells stehen (vgl. Backhaus et al. 2003,<br />
S. 66). Chin (1998, S. 323) bezeichnet einen in einem PLS-Modell ermittelten R 2 -<strong>Wert</strong><br />
<strong>von</strong> 0,67 als „substantial“, während er Ergebnisse <strong>von</strong> 0,33 und 0,19 als „moderate“<br />
bzw. „weak“ einstuft (Chin 1998a, S. 323). In der vorliegenden Untersuchung wird<br />
ein auch in der Literatur genannter <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,30 als unterer Grenzwert verwendet<br />
(vgl. z. B. Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 29).<br />
303
Die <strong>St</strong>ärke, Richtung und Signifikanz des Einflusses eines Konstrukts auf ein kausal<br />
nachfolgendes Konstrukt kann anhand des Pfadkoeffizienten des<br />
PLS-<strong>St</strong>rukturmodells beurteilt werden (vgl. Chin 1998a, S. 316ff.). Dieser kann als<br />
standardisierter Beta-Koeffizient eines multiplen Regressionsmodells interpretiert<br />
werden (vlg. Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 24). Lohmöller (1989, S. 60f.) bezeichnet<br />
einen Zusammenhang zwischen zwei Variablen als signifikant, wenn der<br />
entsprechende Pfadkoeffizient des PLS-Modells eine betragsmäßige Höhe <strong>von</strong><br />
mindestens 0,1 aufweist. Chin (1998, S. 324) hingegen empfiehlt einen<br />
betragsmäßigen unteren Grenzwert <strong>von</strong> 0,2. Während die absolute Höhe der<br />
Pfadkoeffizienten einen guten Anhaltspunkt für die <strong>St</strong>ärke des Zusammenhangs<br />
zwischen zwei Variablen liefert, wird in der Literatur empfohlen, die statistische<br />
Signifikanz der Pfadkoeffizienten anhand deren t-<strong>Wert</strong>e zu beurteilen (vgl.<br />
Herrmann/Huber/Kressmann 2004, S. 26). Diese werden wie auch bei den<br />
Messmodellen durch die Resampling Methoden Bootstrapping oder Jackknifing<br />
gewonnen. Wie bereits erwähnt, kommt in dieser Arbeit aufgrund seines geringeren<br />
<strong>St</strong>andardfehlers das Bootstrapping-Verfahren zur Anwendung.<br />
Um die Prognoserelevanz eines exogenen Konstrukts hinsichtlich eines kausal<br />
nachfolgenden endogenen Konstrukts beurteilen zu können, schlägt Chin (1998) in<br />
Ergänzung zu Bestimmtheitsmaß und t-<strong>Wert</strong>en die Verwendung der Effektgröße f 2<br />
vor, die er analog zum partiellen F-Test entwickelte. Sie ist folgendermaßen definiert:<br />
f<br />
2<br />
R − R<br />
= (19)<br />
2 2<br />
incl excl<br />
2<br />
1−<br />
Rincl<br />
R 2 incl<br />
R 2 excl<br />
Bestimmtheitsmaß der abhängigen Variablen, wenn die betrachtete, kausal<br />
vorgelagerte unabhängige Variable im <strong>St</strong>rukturmodell eingeschlossen wird<br />
Bestimmtheitsmaß der abhängigen Variable, wenn die betrachtete, kausal vorgelagerte<br />
unabhängige Variable im <strong>St</strong>rukturmodell nicht eingeschlossen wird<br />
Die Effektgröße gibt an, inwieweit durch die Berücksichtigung der betrachteten<br />
exogenen Variablen im <strong>St</strong>rukturmodell die erklärte Varianz der entsprechenden<br />
endogenen Variable erhöht werden kann. Sie überprüft somit, ob eine unabhängige<br />
(exogene) latente Variable einen substanziellen Einfluss auf eine abhängige<br />
(endogene) latente Variable ausübt. <strong>Wert</strong>e <strong>von</strong> 0,02, 0,15 bzw. 0,35 lassen auf einen<br />
geringen, mittleren bzw. großen Einfluss der exogenen auf die mit ihr in Beziehung<br />
304
stehende endogene Variable schließen (vgl. Gefen/<strong>St</strong>raub/Boudreau 2000, S. 65). Dem<br />
Verfasser dieser Arbeit ist kein in der Literatur genannter unterer Grenzwert bekannt.<br />
Da jedes vorgelagerte Konstrukt aber mindestens einen geringen Einfluss auf ein<br />
kausal folgendes Konstrukt haben soll, wird ein Mindestwert <strong>von</strong> 0,05 als sinnvoll<br />
erachtet.<br />
In PLS können zur Überprüfung der Gesamtmodellgüte, im Gegensatz zu<br />
kovarianzbasierten, Verfahren keine inferenzstatistischen Tests durchgeführt werden.<br />
Dies liegt vor allem daran, dass PLS keine Annahmen hinsichtlich der Verteilung der<br />
Daten trifft (vgl. Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 23). Die Prognoserelevanz des Modells<br />
lässt sich folglich nur separat für jedes (reflektive) Zielkonstrukt mit Hilfe des auf<br />
Redundanzen basierenden <strong>St</strong>one-Geissers Q 2 beurteilen. Da dieses bereits zur<br />
Beurteilung der formativen Konstruktebene des Messmodells (Ebene 2) verwendet<br />
wurde, wird an dieser <strong>St</strong>elle auf eine ausführliche Erklärung verzichtet (Details siehe<br />
S. 264f.).<br />
Hohe Multikollinearität der antezedenten latenten Variablen eines Konstrukts kann zu<br />
einer Verzerrung der multiplen Regressionskoeffizienten führen (vgl. Backhaus 2003,<br />
S. 88f; siehe auch S. 200). Herrmann, Huber und Kressmann (2004) empfehlen<br />
deshalb, den Variance Inflation Factor in die Gütebeurteilung <strong>von</strong> <strong>St</strong>rukturmodellen<br />
zu integrieren, um mit dessen Hilfe, den Grad der Multikollinearität zwischen den<br />
Prädikatoren abzuschätzen. <strong>Der</strong> Variance Inflation Factor dient ebenfalls als Gütemaß<br />
des Messmodells und wird deshalb an dieser <strong>St</strong>elle nicht nochmals beschrieben (siehe<br />
S. 269f.).<br />
Abbildung 66 stellt im Überblick alle Gütemaße dar, die nachfolgend zur Beurteilung<br />
der endogenen Messmodelle und des <strong>St</strong>rukturmodells verwendet werden.<br />
305
Gütekriterien für Mess- und <strong>St</strong>rukturmodell<br />
...<br />
LG<br />
Loyalität<br />
Geschäft<br />
Ebene1<br />
(endogene<br />
Messmodelle)<br />
Ebene 2<br />
(<strong>St</strong>rukturmodell)<br />
...<br />
LM<br />
Loyalität<br />
Marke<br />
Zufriedenheit<br />
Produkt<br />
ZPr<br />
...<br />
Nutzen<br />
NPV<br />
Zufriedenheit<br />
Prozess<br />
ZP<br />
...<br />
KD<br />
kognitive<br />
Dissonanz<br />
Kosten<br />
KPV<br />
...<br />
Betrachtete<br />
Ebene<br />
Analyseebene Gütemaß Kriterium<br />
Ebene 1<br />
(endogene<br />
Messmodelle)<br />
Indikatorenebene<br />
Faktorenebene<br />
Ladung > 0,70<br />
t-<strong>Wert</strong> der Ladung > 1,98<br />
DEV<br />
(Durchschnittlich erfasste Varianz)<br />
IK<br />
(Interne Konsistenz)<br />
<strong>St</strong>one Geissers Q 2<br />
(Kommunalität)<br />
Eigenwerte (EW) der Faktoren<br />
> 0,50<br />
> 0,60<br />
> 0<br />
1. EW > 1<br />
2. EW < 1<br />
Cronbachs Alpha > 0,70<br />
Manifeste und<br />
latente Variablen<br />
Rotierte Faktorladungen<br />
Oblimin-Rotation der<br />
exploratorischen Faktorenanalyse)<br />
Korrelationen zwischen latenten und<br />
manifesten Variablen<br />
Fornell-Larcker-Kriterium<br />
Faktorladung einer manifesten Variable am<br />
höchsten bei „eigener“ latenten Variable<br />
Größer zwischen manifesten Variablen und<br />
zugehörigem Konstrukt als zwischen<br />
manifesten Variablen und anderen<br />
Konstrukten<br />
DEV i > als jede quadrierte Korrelationen<br />
<strong>von</strong> Konstrukt i mit allen anderen<br />
Konstrukten<br />
Pfadkoeffizient > 0,1<br />
Ebene 2<br />
(<strong>St</strong>rukturmodell)<br />
Ausgangskonstrukt<br />
Zielkonstrukt<br />
t-<strong>Wert</strong> des Pfadkoeffizient > 1,98<br />
VIF<br />
(Variance Inflation Factor)<br />
< 10<br />
Effektgröße f 2 > 0,05<br />
<strong>St</strong>one Geissers Q 2<br />
(Redundanz)<br />
> 0<br />
R 2 > 0,3<br />
Abbildung 66: Gütemaße zur Beurteilung des Gesamtmodells<br />
306
Das nächste Kapitel beschreibt die Analyseergebnisse zur Auswirkung der KNPV auf<br />
den Ausgang <strong>von</strong> Kaufentscheidungen.<br />
4.2 Wirkung auf das Kaufverhalten<br />
Ziel dieses Abschnitts ist es, die Ergebnisse der empirischen Überprüfung der<br />
Hypothesen zur Wirkung <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf das<br />
Kaufverhalten darzustellen (siehe Kapitel 2.3.3.1, S. 178ff.). Hypothese 2 und<br />
Hypothese 6 gehen <strong>von</strong> einem negativen bzw. positiven Zusammenhang der KPV bzw.<br />
NPV und der Kaufintention aus, d. h., die Nutzenaspekte hoher Vielfalt wirken sich<br />
positiv auf die Kaufabsicht aus, während hohe Kosten diese negativ beeinflussen.<br />
Einen ersten Anhaltspunkt hinsichtlich der Auswirkung auf das Kaufverhalten gibt der<br />
Vergleich der durchschnittlichen Kosten- und Nutzen-<strong>Wert</strong>e <strong>von</strong> Käufern und<br />
Nicht-Käufern. Hierzu wurde ein T-Test auf Basis der in PLS-Graph ermittelten<br />
(standardisierten) <strong>Wert</strong>e der latenten Kosten- und Nutzen-Variablen durchgeführt:<br />
<strong>Der</strong> durchschnittliche Nutzenwert der Käufer (ø = 0,284; <strong>St</strong>andardabweichung<br />
(SD) = 1,046) unterscheidet sich signifikant (p < 0,001) <strong>von</strong> dem der Nicht-Käufer<br />
(-0,277; SD = 0,867). Gleiches gilt für die Ergebnisse bzgl. der latenten Kostenwerte,<br />
deren Durchschnitt bei Nicht-Käufern (ø = 0,276; SD = 0,982) signifikant (p< 0,001)<br />
höher ist als bei Käufern (ø = -0,283; SD = 0,940). Die Ergebnisse zeigen, dass die<br />
Nicht-Käufer nicht nur höhere Kosten <strong>von</strong> Vielfalt, sondern auch einen geringeren<br />
Nutzen haben. <strong>Der</strong> T-Test hat somit erste Hinweise auf die Wirkung <strong>von</strong> Kosten und<br />
Nutzen <strong>von</strong> Vielfalt auf das Kaufverhalten gegeben.<br />
Um die <strong>St</strong>ärke des Einflusses der KPV und NPV auf die Kaufabsicht zu untersuchen<br />
und dadurch die Hypothesen zu testen, wurde das in Abbildung 67 dargestellte<br />
PLS-<strong>St</strong>rukturmodell verwendet. Die beiden Konstrukte wurden dabei mit Hilfe der im<br />
vorherigen Kapitel dargestellten Operationalisierung gemessen. Die Messung der<br />
endogenen Variablen Kaufabsicht erfolgte durch eine 10-Punkt-Skala, die<br />
anschließend standardisiert wurde. Konsumenten, die sich entschieden hatten, nicht zu<br />
kaufen, wurden dabei gefragt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie das<br />
betrachtete Produkt (Digitalkamera bzw. DVD-Player/Recorder) doch noch in diesem<br />
Geschäft kaufen. Sie konnten die Wahrscheinlichkeit hierfür auf einer Skala <strong>von</strong> 1<br />
(sehr gering) bis 7 (sehr hoch) angeben. Käufer wurden entsprechend des Preises des<br />
307
gekauften Produkts in eine der drei Gruppen „günstig“, „mittleres Preissegment“ und<br />
„teuer“ eingeteilt, was den Kaufabsichtswerten 8, 9 und 10 entspricht. Diese<br />
Operationalisierung wurde gewählt, da dadurch die Umsatzwirkung als zentrale<br />
Erfolgsgröße des Handels explizit in der Untersuchung berücksichtig wird.<br />
Das Ergebnis der Parameterschätzungen ist in Abbildung 67 dargestellt. Darin ist zu<br />
erkennen, dass sich wie erwartet der Nutzen positiv und die Kosten negativ auf die<br />
Kaufabsicht auswirken. Die beiden Konstrukte können zusammen 32% der<br />
Kaufabsicht erklären. Berücksichtig man, dass es sich hierbei nicht um ein<br />
Experiment, sondern um reales Kaufverhalten handelt, ist dieser <strong>Wert</strong> als gut<br />
einzustufen.<br />
Kaufintention<br />
KI1<br />
KI<br />
Nutzen<br />
NPV<br />
0,396 R 2 = 320<br />
- 0,286<br />
Kosten<br />
KPV<br />
AP EA IM Sp PE<br />
AA VF AR<br />
Abbildung 67: Die Auswirkung der Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf die Kaufabsicht.<br />
Ergebnisse der PLS-Parameterschätzung<br />
Um eine Aussage über die Annahme oder Ablehnung der Hypothesen treffen zu<br />
können, wird das <strong>St</strong>rukturmodell anhand der in Tabelle 44 zusammengefassten<br />
Gütemaße beurteilt:<br />
308
Ausgangskonstruktebene<br />
(exogene Variable)<br />
Zielkonstruktebene<br />
(endogene Var.)<br />
Exogene<br />
Konstrukte<br />
Zielkonstrukt<br />
t-<strong>Wert</strong><br />
(Pfadkoeffizient)<br />
Hypothese<br />
Pfadkoeffizient<br />
VIF f 2 R 2 Q 2<br />
(Redu.)<br />
⏐⏐> 0,1 > 1,98 < 10 > 0,05 > 0,3 > 0<br />
NPV<br />
Kaufintention<br />
+ () 0,396 10,920 1,139 0,200<br />
KPV<br />
– () -0,286 7,745 1,139 0,104<br />
0,320 0,121<br />
Tabelle 44: Gütemaße zur Beurteilung der Wirkung der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> auf die Kaufabsicht<br />
Die Pfadkoeffizienten liegen mit <strong>Wert</strong>en <strong>von</strong> 0,396 bzw. -0,286 deutlich über dem<br />
Grenzwert <strong>von</strong> 0,1, haben das vermutete Vorzeichen und weisen auf Basis des<br />
Bootstrap-Verfahrens gewonnene t-<strong>Wert</strong>e <strong>von</strong> 10,920 bzw. 7,744 auf. Auch die<br />
Effektgröße f 2 beider Konstrukte liegt mit <strong>Wert</strong>en <strong>von</strong> 0,200 und 0,104 über der<br />
Untergrenze <strong>von</strong> 0,05. Die Konstrukte sind ferner nicht linear abhängig, was sich aus<br />
dem VIF <strong>von</strong> 1,139 schlussfolgern lässt. Insgesamt kann deshalb der positive Einfluss<br />
der NPV und der negative Einfluss der KPV auf die Kaufabsicht als signifikant<br />
bezeichnet werden. Die Erklärungskraft des Modells wird auch durch das <strong>St</strong>one-<br />
Geissers Q 2 <strong>von</strong> 0,121 bekräftigt.<br />
Weiterhin kann der relative Erklärungsbeitrag des Nutzen- bzw. Kostenkonstrukts zum<br />
Bestimmtheitsmaß (R 2 ) der Kaufabsicht Auskunft über die <strong>St</strong>ärke des Einflusses der<br />
beiden Konstrukte auf das Kaufverhalten geben. Dieser kann aus der schon<br />
beschriebenen Zerlegung des R 2 in die einzelnen Bestandteile gewonnen werden<br />
(siehe S. 291). Die Ergebnisse zeigen, dass der Erklärungsbeitrag des Nutzens <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> mit 62% deutlich höher ist, als der der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
(38%), was bedeutet, dass die positiven Aspekte hoher Vielfalt letztlich zwar<br />
überwiegen, die Kostenaspekte aber dennoch einen beträchtlichen negativen Einfluss<br />
auf die Kaufabsicht haben.<br />
Damit können die Hypothesen, dass sich die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> negativ<br />
(Hypothese 2 ) und der Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> positiv (Hypothese 6) auf das<br />
Kaufverhalten auswirken, aufrecht erhalten werden.<br />
<strong>Der</strong> nächste Abschnitt stellt die Untersuchungsergebnisse bezüglich der Wirkung der<br />
KPV und NPV auf die der Kaufentscheidung nachgelagerten Evaluationskonstrukte<br />
dar.<br />
309
4.3 Wirkung auf die Kauf- und Nachkaufbewertung<br />
Um zu untersuchen, wie sich die Kosten- und Nutzendimension des <strong>Wert</strong>konstrukts<br />
auf die hier betrachteten, der Kaufentscheidung nachgelagerte Größen auswirken, sind<br />
diese zunächst zu operationalisieren. Analog zu den Messmodellen der KPV und NPV<br />
werden die endogenen Konstrukte anschließend im Rahmen des Pretests einer<br />
konfirmatorischen Faktorenenanalyse unterzogen. In der Hauptuntersuchung werden<br />
sowohl die Messmodelle als auch das <strong>St</strong>rukturmodell mittels der beschriebenen<br />
Gütekriterien beurteilt.<br />
4.3.1 Messmodelle der endogenen Konstrukte<br />
4.3.1.1 Operationalisierung der Konstrukte<br />
Bei den endogenen Konstrukten handelt es sich teilweise um Konstrukte, die in der<br />
Marketingliteratur, vor allem im Relationship-Marketing, weit verbreitet sind. Es wird<br />
deshalb versucht, bei deren Operationalisierung so weit wie möglich auf bestehende<br />
und etablierte Skalen oder Messansätze zurückzugreifen. Die Beschreibung der<br />
verwendeten Skalen wird in diesem Fall möglichst knapp gehalten.<br />
Folgende endogene Konstrukte werden im Gesamtmodell der Untersuchung auf Basis<br />
der in Kapitel 2.3.3.1 (S. 178ff.) formulierten Hypothesen berücksichtigt und<br />
nachfolgend operationalisiert:<br />
• Zufriedenheit mit dem Kauf- und Entscheidungsprozess<br />
• Kognitive Dissonanz<br />
• Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt<br />
• Loyalität zur gekauften Marke<br />
• Loyalität zum Geschäft<br />
Zufriedenheit mit dem Kauf- und Entscheidungsprozess<br />
Dieses Konstrukt wurde bisher in der Marketingliteratur nach dem Kenntnisstand des<br />
Autors nur selten in empirischen Untersuchungen verwendet (siehe Fitzsimons/<br />
310
Greenleaf/Lehmann 1997, S. 1ff; Zhang/Fitzsimons 1999, S. 192ff.), weshalb nicht auf<br />
eine etablierte Skala zurückgegriffen werden kann. Die in oben genannten <strong>St</strong>udien<br />
verwendeten Operationalisierungen basieren zudem häufig auf Antezedenzien der<br />
Kaufprozesszufriedenheit wie z. B. der Verfügbarkeit guter Alternativen im Sortiment<br />
(vgl. Fitzsimons/Greenleaf/Lehmann 1997, S. 34). Da in dieser Untersuchung die<br />
Kaufprozesszufriedenheit als Konsequenz der NPV und KPV abgebildet werden soll,<br />
muss die Operationalisierung aber so erfolgen, dass keine Antezedenzien im<br />
Messmodell enthalten sind.<br />
Im Gegensatz zur Zufriedenheit mit dem Kaufprozess ist das Konstrukt der<br />
Produktzufriedenheit in der Marketingliteratur weit verbreitet (vgl. Herrmann 1998,<br />
S. 37ff.; Yi 1990, S. 68ff.). Die Kaufprozesszufriedenheit soll deshalb in Analogie zu<br />
dieser operationalisiert werden.<br />
Im Zentrum der am weitesten verbreiteten Operationalisierung der Produktzufriedenheit<br />
steht das Erwartungs-Diskonfirmations-Paradigma (vgl. Oliver 1980,<br />
S. 460ff.; Yi 1990, S. 87f.). Dieses besagt, dass ein Konsument im Rahmen eines<br />
kognitiven Vergleichsprozesses die tatsächliche Leistung eines Produkts mit seinen<br />
vor dem Kauf entwickelten Erwartungen vergleicht. Liegt die Produktleistung dabei<br />
auf Höhe der Erwartungen (Konfirmation) oder überschreitet diese (positive<br />
Diskonfirmation), entsteht Zufriedenheit. Schneidet das Produkt dagegen schlechter<br />
als erwartet ab (negative Diskonfirmation), führt dies zur Unzufriedenheit. Tse und<br />
Wilton (1988) sind dagegen der Meinung, dass Konsumenten unabhängig <strong>von</strong><br />
Vorkaufserwartungen genau dann zufrieden sind, „whenever a product performs well“<br />
(S. 205). Neben diesem Erklärungsansatz und dem Erwartungs-<br />
Diskonfirmations-Paradigma existieren in der Literatur eine Reihe weiterer Modelle<br />
und Theorien zur Entstehung <strong>von</strong> Zufriedenheit, wie z. B. die Equity-Theorie und die<br />
Value-Disparity Theory. Auf diese soll hier aber nicht näher eingegangen werden (Yi<br />
1990, S. 87ff. gibt einen viel zitierten Überblick hierzu). Für die vorliegende<br />
Untersuchung sollen das Erwartungs-Diskonfirmations-Paradigma und der Vorschlag<br />
<strong>von</strong> Tse und Wilton (1988) als Grundlage der Operationalisierung der Produkt- und<br />
Kaufprozesszufriedenheit dienen.<br />
Insgesamt wurden zur Messung der Zufriedenheit mit dem Kaufprozess vier<br />
Indikatoren generiert: <strong>Der</strong> erste Indikator SatProz1 bildet in Anlehnung an Fitzsimons<br />
et al. (1997, S. 34) und Jacoby et al. (1974, S. 64) die globale Zufriedenheit mit dem<br />
Kaufprozess ab. Das Item SatProz2 basiert auf den Überlegungen <strong>von</strong> Tse und Wilton<br />
(1988) wonach Zufriedenheit dann entsteht, wenn – in diesem Fall die<br />
311
Kaufentscheidung – gut und wie gewünscht ablief und folglich wenig Raum für<br />
Verbesserungen lässt. Die Grundlage der beiden Indikatorvariablen SatProz3 und<br />
SatProz4 bildet das Erwartungs-Diskonfirmations-Paradigma, wonach ein Konsument<br />
dann mit seinem Entscheidungsprozess zufrieden ist, wenn er wie erwartet ablief<br />
(SatProz4). Wird der Entscheidungsprozess zum Vergleichsstandard für nachfolgende<br />
Käufe (SatProz3), ist dies ebenfalls ein Ausdruck <strong>von</strong> Zufriedenheit. Tabelle 45 fasst<br />
die Operationalisierung des Konstrukts Kaufprozesszufriedenheit zusammen und stellt<br />
den genauen Wortlaut der Fragen dar.<br />
Bezeichnung Item Inhalt Quelle<br />
SatProz1<br />
SatProz2<br />
SatProz3<br />
SatProz4<br />
Wie zufrieden sind Sie<br />
insgesamt mit Ihrem<br />
Einkaufs- und<br />
Entscheidungsprozess?<br />
<strong>Der</strong> Kauf der Kamera war,<br />
wie ich ihn mir wünsche, und<br />
ich wüsste nicht, was man<br />
daran verbessern könnte.<br />
Es wäre schön, wenn jede<br />
Kaufentscheidung so ablaufen<br />
würde wie diese.<br />
Insgesamt war die<br />
Entscheidungsfindung, wie<br />
ich es erwartet habe.<br />
Globale Zufriedenheit mit<br />
Kaufprozess<br />
Positive Einschätzung des<br />
Kaufprozesses<br />
Entscheidungsprozess als<br />
positiver Vergleichsstandard<br />
für nachfolgende<br />
Kaufprozesse<br />
Erfüllung Erwartungen<br />
In Anlehnung an<br />
Fitzsimons/Greenleaf/Lehmann<br />
1997, S. 34;<br />
Jacoby/Speller/Kohn 1974,<br />
S. 64<br />
In Analogie zur Messung der<br />
Produktzufriedenheit<br />
Tabelle 45:<br />
Operationalisierung des endogenen Konstrukts „Zufriedenheit mit dem Kaufprozess“<br />
Neben den Indikatoren ist auch die Art des Messmodells für das Konstrukt<br />
festzulegen: Die Operationalisierung der Kaufprozesszufriedenheit erfolgt reflektiv.<br />
Dies ist vor allem damit zu begründen, dass sich durch die Veränderung eines<br />
Indikators auch alle anderen Indikatoren verändern würden (vgl. Herrmann/Huber/<br />
Kressmann 2004, S. 10). Wäre ein Konsument beispielsweise mit dem Kaufprozess im<br />
Ganzen unzufrieden (SatProz1) würde er diesen wohl kaum zum positiven<br />
Vergleichsstandard erheben. Die Kausalität verläuft dementsprechend vom Konstrukt<br />
zu den Indikatoren, diese sind austauschbar und kovariieren. Es sind folglich alle vier<br />
Kriterien eines reflektiven Messmodells erfüllt (vgl. Jarvis et al. 2003, S. 203; siehe<br />
auch Tabelle 6, S. 205).<br />
312
Kognitive Dissonanz<br />
Die Operationalisierung dieses Konstrukts basiert auf einer <strong>von</strong> Sweeny, Hausknecht<br />
und Soutar (2000, S. 369ff.) entwickelten Skala. Im Original werden durch 22<br />
Indikatoren die drei Dissonanz-Dimensionen Emotional, Wisdom of Purchase und<br />
Concern over Deal abgebildet. Während die erste Dimension den „psychological<br />
discomfort subsequent to the purchase decision“ (Sweeny/Hausknecht/Soutar 2000,<br />
S. 380) beschreibt, umfasst die zweite Dimension „a person’s recognition after the<br />
purchase has been made that they may not need the product or may not have selected<br />
the appropriate one“ (Sweeny/Hausknecht/Soutar 2000,S. 380). Die Dimension<br />
Concern over Deal beinhaltet schließlich die Bedenken eines Konsumenten, dass er<br />
bei seiner Entscheidung gegen seinen Willen beeinflusst wurde. In der vorliegenden<br />
Untersuchung wird die Ursprungsskala aus forschungsökonomischen Gründen auf vier<br />
Indikatoren reduziert, wobei alle drei Dimensionen der Originalskala Berücksichtigung<br />
finden (siehe Tabelle 46). So sind die Indikatoren KogDis1 und KogDis2 Teil der<br />
Wisdom of Purchase Dimension und drücken die Unsicherheit des Konsumenten<br />
hinsichtlich des eigenen Bedürfnisses und der Entscheidung für das konkrete Produkt<br />
aus. Kognitive Dissonanz äußert sich nach Sweeny et al. (2000) außerdem in<br />
grundsätzlichen Bedenken des Konsumenten bezüglich des Kaufs (KogDis3) und in<br />
einer emotionalen Reaktion, die mit einem „unguten Gefühl“ nach der<br />
Kaufentscheidung zusammengefasst werden kann (KogDis4).<br />
Bezeichnung Item Inhalt Quelle<br />
KogDis1<br />
KogDis2<br />
Ich frage mich, ob ich wirklich eine<br />
Digitalkamera brauche.<br />
Ich frage mich, ob es richtig war,<br />
diese Digitalkamera zu kaufen.<br />
Bedürfnisunsicherheit<br />
Entscheidungsunsicherheit<br />
In Anlehnung an<br />
Sweeny/Hausknecht/Soutar<br />
2000, S. 381<br />
KogDis3<br />
Ich frage mich, ob mit der Kamera,<br />
die ich gekauft habe, irgendwas<br />
nicht stimmt.<br />
Bedenken zum Kauf<br />
KogDis4<br />
Ich habe nach dem Kauf irgendwie<br />
ein ungutes Gefühl.<br />
Emotionale Reaktion<br />
Tabelle 46:<br />
Operationalisierung des endogenen Konstrukts „Kognitive Dissonanz“<br />
Entsprechend der Originalskala <strong>von</strong> Sweeny und seinen Kollegen erfolgt die<br />
Operationalisierung reflektiv. Dies lässt sich auch anhand der <strong>von</strong> Herrmann,<br />
Huber und Kressmann (2004, S. 10) vorgeschlagenen „Testfrage“, ob die<br />
Veränderung eines Indikators die Veränderung der anderen Indikatoren bewirkt,<br />
313
nachvollziehen: Ist sich der Käufer beispielsweise nicht sicher, ob er tatsächlich eine<br />
Digitalkamera braucht (KogDis1), wird er sich auch fragen, ob es richtig war, die<br />
konkrete Kamera zu kaufen (KogDis2), was grundsätzliche Bedenken zum Kauf<br />
(KogDis3) und ein ungutes Gefühl nach der Entscheidung (KogDis4) auslösen kann.<br />
Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt<br />
Die Operationalisierung der Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt knüpft an die<br />
obigen Ausführungen zur Kaufprozesszufriedenheit an und basiert auf dem<br />
Erwartungs-Diskonfirmations-Paradigma und der Argumentation <strong>von</strong> Tse und Wilton<br />
(1988, S. 204ff.). Die ersten beiden der insgesamt sechs Items (siehe Tabelle 47)<br />
entstammen, wie auch das Item SatProd4, der Consumption Satisfaction Skala <strong>von</strong><br />
Fitzsimons et al. (1997, S. 34) und messen die globale Zufriedenheit (SatProd2), die<br />
positiven Emotionen nach dem Kauf (SatProd1) und die Nähe des gekauften Produkts<br />
zur allgemeinen Idealvorstellung eines Produkts dieser Kategorie (SatProd4). Im Item<br />
SatProd5 kommt mit der Erfüllung der funktionalen Idealvorstellung ein vornehmlich<br />
kognitiver Aspekt der Produktzufriedenheit zum Ausdruck, während der Indikator<br />
SatProd6 die positive Leistungsbeurteilung des gekauften Produkts abbildet. Die<br />
Erfüllung der Erwartungen als Ausdruck <strong>von</strong> Zufriedenheit wird schließlich durch die<br />
Variable SatProd3 gemessen.<br />
Bezeichnung Item Inhalt Quelle<br />
SatProd1<br />
SatProd2<br />
Ich bin mit der gekauften<br />
Kamera sehr glücklich.<br />
Was denken Sie, wie zufrieden<br />
Sie mit dem gerade gekauften<br />
Produkt sein werden?<br />
Positive Emotionen<br />
Globale antizipierte<br />
Produktzufriedenheit<br />
In Anlehnung an<br />
Fitzsimons/Greenleaf/Lehmann<br />
1997, S. 34<br />
SatProd3<br />
Diese Digitalkamera wird alle<br />
meine Erwartungen erfüllen.<br />
Erfüllung Erwartungen<br />
Basierend auf dem<br />
Erwartungs-Diskonfirmations<br />
Paradigma<br />
SatProd4<br />
Wenn ich mir eine ideale<br />
Digitalkamera vorstelle, kommt<br />
die gerade gekaufte diesem Ideal<br />
sehr nahe.<br />
Allgemeine<br />
Idealvorstellungen<br />
In Anlehnung an<br />
Fitzsimons/Greenleaf/Lehmann<br />
1997, S. 34<br />
SatProd5<br />
Diese Digitalkamera hat alle<br />
Eigenschaften, die ich mir<br />
wünsche.<br />
Funktionale<br />
Idealvorstellungen<br />
In Anlehnung an Tse/Wilton<br />
1988, S. 206<br />
SatProd6<br />
Ich wüsste nicht, was man an der<br />
gekauften Digitalkamera noch<br />
verbessern könnte.<br />
Positive Leistung<br />
Tabelle 47:<br />
Produkt“<br />
314<br />
Operationalisierung des endogenen Konstrukts „Zufriedenheit mit dem gekauften
Analog zur Argumentation der Zufriedenheit mit dem Kaufprozess kommt auch hier<br />
ein reflektives Messmodell zur Anwendung, da die Indikatoren Ausdrucksformen und<br />
nicht Bestimmungsfaktoren des Konstrukts sind.<br />
Loyalität zur gekauften Marke<br />
Unter der Loyalität wird in dieser Arbeit eine „behavioral intention to maintain an<br />
ongoing relationship“ (Singh/Sirdeshmukh (2000, S. 161) verstanden. Diese<br />
manifestiert sich u. a. in der zukünftigen Wiederkauf- und Weiterempfehlungsabsicht<br />
(vgl. Homburg/Faßnacht/Werner 2002, S. 508f.). Die Operationalisierung des<br />
Konstrukts erfolgt durch die Brand Purchase Intention und die Brand-word-of-mouth<br />
Skala <strong>von</strong> Fitzsimons, Greenleaf und Lehmann (1997, S. 35), welche die Autoren in<br />
Anlehnung an Parasuraman, Zeithaml and Berry (1995), entwickelt und in ihrer<br />
Untersuchung zur Wirkung der Produkt- und Kaufprozesszufriedenheit auf die<br />
Loyalität zur Marke und zum Geschäft verwendet haben. Die inhaltliche Nähe der<br />
Konsequenzkonstrukte der vorliegenden Untersuchung zu denen <strong>von</strong> Fitzsimons legt<br />
die Verwendung derselben Skalen für die Loyalität zur Marke und zum Geschäft nahe.<br />
Die Items der Skala sind Tabelle 48 zu entnehmen. Entsprechend der Originalskala<br />
wird ein reflektives Messmodell verwendet.<br />
Bezeichnung Item Inhalt Quelle<br />
LoyMa1<br />
Für diese Art <strong>von</strong> Produkten ist<br />
die gekaufte Marke ab jetzt<br />
meine bevorzugte Marke.<br />
Dauerhafte Kaufpräferenz<br />
In Anlehnung an<br />
Fitzsimons/Greenleaf/Lehmann<br />
1997, S. 35<br />
LoyMa2<br />
Ich beabsichtige, in Zukunft<br />
häufiger Produkte dieser Marke<br />
zu kaufen.<br />
Wiederkaufsabsicht<br />
LoyMa3<br />
Ich werde positiv über diese<br />
Marke sprechen.<br />
Positives „Word of Mouth“<br />
(WOM)<br />
LoyMa4<br />
Ich werde die gekaufte Marke<br />
weiterempfehlen, wenn mich<br />
jemand um Rat fragt.<br />
Reaktive<br />
Weiterempfehlung<br />
LoyMa5<br />
Ich werde Freunde und<br />
Verwandte ermuntern, Produkte<br />
dieser Marke zu kaufen.<br />
Aktive Weiterempfehlung<br />
Tabelle 48:<br />
Operationalisierung des endogenen Konstrukts „Loyalität zur gekauften Marke“<br />
315
Loyalität zum Geschäft<br />
Dieses Konstrukt beschreibt die Wiederkaufsabsicht in dem besuchten Geschäft, sowie<br />
die Absicht des Konsumenten, dieses weiterzuempfehlen. Die verwendete Itembatterie<br />
basiert wie auch beim vorherigen Konstrukt auf eine Skala <strong>von</strong> Fitzsimons, Greenleaf<br />
und Lehmann (1997, S. 35). Die Inhalte der Indikatoren und die in der empirischen<br />
Untersuchung verwendete Itembatterie gehen aus Tabelle 49 hervor. Die Messung<br />
erfolgte analog zur Originalskala mittels eines reflektiven Modells.<br />
Bezeichnung Item Inhalt Quelle<br />
LoyGe1<br />
Wenn ich in Zukunft ein<br />
ähnliches Produkt kaufen möchte,<br />
komme ich erst einmal hierher.<br />
Dauerhafte Kaufpräferenz<br />
InAnlehnung an<br />
Fitzsimons/Greenleaf/Lehmann<br />
1997, S. 35<br />
LoyGe2<br />
Ich beabsichtige, in Zukunft<br />
häufiger in diesem Geschäft<br />
einzukaufen.<br />
Wiederkaufsabsicht<br />
LoyGe3<br />
Über dieses Geschäft werde ich<br />
positiv sprechen.<br />
Positives WOM<br />
LoyGe4<br />
Ich werde dieses Geschäft<br />
weiterempfehlen, wenn mich<br />
jemand um Rat fragt.<br />
Reaktive<br />
Weiterempfehlung<br />
LoyGe5<br />
Ich werde Freunden und<br />
Verwandten raten, hier<br />
einzukaufen.<br />
Aktive Weiterempfehlung<br />
Tabelle 49:<br />
Operationalisierung des endogenen Konstrukts „Loyalität zum Geschäft“<br />
Damit sind alle Konsequenzkonstrukte durch reflektive Messmodelle operationalisiert<br />
worden. Diese wurden analog zu den Messmodellen der Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> einem empirischen Pretest unterzogen, dessen Ergebnisse nachfolgend<br />
dargestellt sind.<br />
4.3.1.2 Überprüfung der Messmodelle im Pretest<br />
<strong>Der</strong> Pretest diente in erster Linie der Optimierung des Fragebogens für die<br />
Hauptuntersuchung. Da alle berücksichtigten Konsequenzen reflektiv operationalisiert<br />
wurden, kommen dieselben Verfahren und Gütekriterien wie beim Pretest der<br />
Faktoren der Kosten- und Nutzendimension des <strong>Wert</strong>konstrukts zum Einsatz, d. h. es<br />
wird pro Faktor sowohl eine exploratorische als auch eine konfirmatorische<br />
Faktorenanalyse durchgeführt. Anschließend wird die Diskriminanzvalidität anhand<br />
316
des Fornell-Larcker-Kriterium beurteilt. Detailliert wurde die Vorgehensweise in<br />
Kapitel 3.3.1 (S. 231ff.) beschrieben.<br />
Zufriedenheit mit dem Kaufprozess<br />
Bei der exploratorischen Faktorenanalyse wurde nur ein Faktor extrahiert<br />
(1. Eigenwert: 2,93; 2. Eigenwert: 0,43). Wie der anschließende Kolmogorow-<br />
Smirnow-Test zeigte, sind die Indikatoren nicht normalverteilt (p < 0,05), weshalb bei<br />
der KFA das ULS-Verfahren verwendet wurde. Dieses ergab, dass die Faktorladungen<br />
aller vier Indikatoren über dem Grenzwert <strong>von</strong> 0,70 liegen. Die minimale<br />
Indikatorreliabilität ist mit 0,60 folglich auch höher als die geforderte Mindesthöhe<br />
<strong>von</strong> 0,50. Auf Konstruktebene erfüllt die Itembatterie alle verwendeten Gütekriterien:<br />
So werden 64% der durchschnittlichen Varianz erklärt, die Faktorreliabilität liegt bei<br />
0,88 und die globalen Gütemaße haben <strong>Wert</strong>e <strong>von</strong> 0,99 bzw. 1,00. Auch das RMR<br />
unterschreitet mit 0,04 den geforderten Maximalwert <strong>von</strong> 0,1 deutlich. Konform mit<br />
diesen Ergebnissen hat auch das Cronbachs Alpha mit 0,88 eine Ausprägung, die<br />
deutlich über dem Grenzwert <strong>von</strong> 0,70 liegt.<br />
Insgesamt ist das Messmodell des Faktors Kaufprozesszufriedenheit als gut<br />
einzustufen. Die Skala wird in unveränderter Form in der Hauptuntersuchung<br />
verwendet.<br />
Indikatorenebene<br />
Konstruktebene<br />
Indikator Ladung Indikatorreliabilität<br />
DEV Faktorreliab.<br />
Globale<br />
Anpassungsmaße<br />
Cronbachs<br />
Alpha<br />
Kriterium > 0,70 > 0,50 > 0,50 > 0,60 > 0,9 < 0,1 > 0,70<br />
SatProz1 0,77 0,60 0,64 0,88 GFI: 1,00 RMR: 0,04 0,88<br />
SatProz2 0,85 0,72<br />
AGFI: 1,00<br />
NFI: 0,99<br />
SatProz3 0,79 0,62<br />
CFI: 1,00<br />
SatProz4 0,80 0,64<br />
Tabelle 50: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Konstrukts „Zufriedenheit mit dem<br />
Kaufprozess“ im Pretest<br />
317
Kognitive Dissonanz<br />
Wie Tabelle 51 zeigt, erfüllt die Operationalisierung des Konstrukts Kognitive<br />
Dissonanz alle verwendeten Gütekriterien sowohl auf Indikator- als auch auf<br />
Konstruktebene. Die im Vorfeld der KFA durchgeführte exploratorische<br />
Faktorenanalyse zeigte, dass der gemessene Faktor unidimensional ist (1. Eigenwert:<br />
3,01; 2. Eigenwert: 0,45). Weiterhin ergab sich ein Cronbachs Alpha <strong>von</strong> 0,89, was auf<br />
eine gute Reliabilität der Messung hindeutet. <strong>Der</strong> lokale und globale Fit des<br />
Messmodells der KFA ist insgesamt als gut einzustufen, was aus der DEV <strong>von</strong> 63%,<br />
der Faktorreliabilität <strong>von</strong> 0,89 und aus den Globalmaßen <strong>von</strong> 0,99 bzw. 1,00 sowie<br />
dem RMR <strong>von</strong> 0,06 zu schließen ist. Anzumerken ist, dass bei der KFA das<br />
ULS-Verfahren verwendet wurde, da auf der Basis des Kolmogorow-Smirnow-Tests<br />
die Normalverteilungsannahme der <strong>Wert</strong>e der vier Indikatoren abgelehnt werden<br />
musste (p < 0,05).<br />
Indikatorenebene<br />
Konstruktebene<br />
Indikator Ladung Indikatorreliabilität<br />
DEV Faktorreliab.<br />
Globale<br />
Anpassungsmaße<br />
Cronbachs<br />
Alpha<br />
Kriterium > 0,70 > 0,50 > 0,50 > 0,60 > 0,9 < 0,1 > 0,70<br />
KogDis1 0,77 0,59 0,67 0,89 GFI: 1,00 RMR: 0,05 0,89<br />
KogDis2 0,89 0,79<br />
AGFI: 0,99<br />
NFI: 0,99<br />
KogDis3 0,80 0,64<br />
CFI: 1,00<br />
KogDis4 0,82 0,67<br />
Tabelle 51:<br />
Pretest<br />
Parameterschätzungen und Gütekriterien des Konstrukts „Kognitive Dissonanz“ im<br />
Die Operationalisierung des Konstrukts Kognitive Dissonanz kann aufgrund der<br />
Ergebnisse im Pretest in unveränderter Form in der Hauptuntersuchung verwendet<br />
werden.<br />
Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt<br />
Das Konstrukt Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt wurde durch insgesamt sieben<br />
Indikatoren operationalisiert. Die exploratorische Faktorenanalyse ergab, dass die<br />
Faktorladung der Items SatProd6 (Ich wüsste nicht, was man an der gekauften<br />
Digitalkamera verbessern könnte) unter dem geforderten Mindestwert <strong>von</strong> 0,70 liegt.<br />
Das Ergebnis, das auch durch eine KFA bestätigt wurde, könnte dadurch erklärt<br />
318
werden, dass Käufer die Produktzufriedenheit nur antizipierten konnten, da sie<br />
unmittelbar nach der (fiktiven) Kaufentscheidung befragt wurden. Die Einschätzung<br />
des Verbesserungspotenzials, die durch das Item SatProd6 abgefragt wurde, ist zu<br />
diesem Zeitpunkt vermutlich weniger ausgeprägt, als die anderen Aspekte der<br />
Produktzufriedenheit. <strong>Der</strong> Indikator SatProd6 wird folglich <strong>von</strong> den weiteren<br />
Berechnungen ausgeschlossen.<br />
Die verbleibenden fünf Indikatoren gehören nach dem Kaiser-Kriterium alle zu<br />
einem Faktor (1. Eigenwert: 3,51; 2. Eigenwert: 0,54) und weisen Faktorladung <strong>von</strong><br />
minimal 0,72 auf. Die im Rahmen KFA ermittelten globalen Anpassungsmaße liegen<br />
deutlich über den Mindestanforderungen, bzw. unterschreiten im Falle des RMR mit<br />
einem berechneten <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,06 den maximal zulässigen <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,1 deutlich. Bei<br />
der KFA kam hierbei das ULS-Verfahren zum Einsatz, da die Normalverteilungsannahme<br />
der Itemwerte aufgrund des Kolmogorow-Smirow-Tests nicht haltbar war<br />
(p < 0,05). Das Cronbachs Alpha <strong>von</strong> 0,89 vervollständigt das Ergebnis und ist<br />
Ausdruck der guten Reliabilität des Messmodells.<br />
Indikatorenebene<br />
Konstruktebene<br />
Indikator Ladung Indikatorreliabilität<br />
DEV Faktorreliab.<br />
Globale<br />
Anpassungsmaße<br />
Cronbachs<br />
Alpha<br />
Kriterium > 0,70 > 0,50 > 0,50 > 0,60 > 0,9 < 0,1 > 0,70<br />
SatProd1 0,72 0,52 0,63 0,89 GFI: 1,00 RMR: 0,06 0,89<br />
SatProd2 0,82 0,67<br />
AGFI: 0,99<br />
NFI: 0,99<br />
SatProd3 0,80 0,64<br />
CFI: 1,00<br />
SatProd4 0,80 0,64<br />
SatProd5 0,82 0,67<br />
SatProd6 47 0,53 -<br />
Tabelle 52: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Konstrukts „Zufriedenheit mit dem<br />
gekauften Produkt“ im Pretest<br />
Aufgrund der Ergebnisse des Pretests erfolgt die Messung der Produktzufriedenheit in<br />
der Hauptuntersuchung nicht mit sechs, sondern mit fünf Indikatoren.<br />
Loyalität zur gekauften Marke<br />
Die Analysen auf Indikatorebene ergaben, dass das Item LoyMa4 (Ich werde die<br />
gekaufte Marke weiterempfehlen, wenn mich jemand um Rat fragt) aufgrund seiner zu<br />
319
geringen Faktorladung zu eliminieren ist. Dass dieser Indikator, der reaktives<br />
Fürsprechertum abbildet, entfernt werden muss, wohingegen das Item LoyMa5, das<br />
proaktives Fürsprechertum misst, beibehalten werden kann, erstaunt dabei etwas. Die<br />
exploratorische Faktorenanalyse der verbleibenden vier Indikatoren führte zur<br />
Extraktion <strong>von</strong> nur einem Faktor (1. Eigenwert: 3,01; 2. Eigenwert: 0,43), d. h. das<br />
Konstrukt ist unidimensional. Das resultierende Messmodell ist laut der Gütemaße der<br />
KFA, die mit dem ULS-Verfahren 56 durchgeführt wurde, <strong>von</strong> hoher Güte. So<br />
überschreitet die DEV mit 68% die Mindestanforderung <strong>von</strong> 50% sehr deutlich,<br />
gleiches gilt für die Faktorreliabilität, die einen <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,89 erreicht. Die globalen<br />
Anpassungsmaße GFI, AGFI, NFI und CFI nehmen jeweils ihren Maximalwert <strong>von</strong><br />
1,00 an und das RMR ist mit einem <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,02 deutlich unter dem Toleranzwert<br />
<strong>von</strong> 0,10. Auch das Cronbachs Alpha verdeutlicht mit einem <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,89 die gute<br />
Messung dieses Konstrukts.<br />
Indikatorenebene<br />
Konstruktebene<br />
Indikator Ladung Indikatorreliabilität<br />
DEV Faktorreliab.<br />
Globale<br />
Anpassungsmaße<br />
Cronbachs<br />
Alpha<br />
Kriterium > 0,70 > 0,50 > 0,50 > 0,60 > 0,9 < 0,1 > 0,70<br />
LoyMa1 0,87 0,76 0,68 0,89 GFI: 1,00 RMR: 0,02 0,89<br />
LoyMa2 0,90 0,81<br />
AGFI: 1,00<br />
NFI: 1,00<br />
LoyMa3 0,78 0,61<br />
CFI: 1,00<br />
LoyMa4 57 0,61 -<br />
LoyMa5 0,73 0,53<br />
Tabelle 53: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Konstrukts „Loyalität zur gekauften<br />
Marke“ im Pretest<br />
In der Hauptuntersuchung erfolgt die Messung der Loyalität zur gekauften Marke<br />
mittels der vier verbleibenden Indikatoren.<br />
Loyalität zum Geschäft<br />
Wie beim vorherigen Konstrukt muss auch bei der Loyalität zum Geschäft mit dem<br />
Item LoyGe4 dasjenige eliminiert werden, welches das reaktive Fürsprechertum misst.<br />
56 Die Normalverteilungsannahme der Indikatoren musste aufgrund des Kolmogorow-Smirnow Test<br />
abgelehnt werden (p < 0,05).<br />
57 Von der weiteren Analyse ausgeschlossen<br />
320
Grund hierfür ist die mit 0,64 zu geringe Faktorladung. Das Messmodell der<br />
verbleibenden vier Indikatoren erreicht ebenfalls analog zum vorher betrachteten<br />
Faktor eine hohe Güte. So ist der lokale und der globale Fit des Messmodells recht gut,<br />
was aus der DEV <strong>von</strong> 76%, der Faktorreliabilität <strong>von</strong> 0,93 und den <strong>Wert</strong>en der<br />
Anpassungsmaße GFI, AGFI, NFI und CFI, die jeweils bei 1,00 liegen, gefolgert<br />
werden kann. Das RMR <strong>von</strong> 0,03 unterstreicht die hohe Modellgüte genauso wie das<br />
Cronbachs Alpha <strong>von</strong> 0,93. Zu erwähnen ist, dass die KFA mit dem ULS-Verfahren<br />
erfolgte, da die Indikatoren nicht normalverteilt sind (p < 0,05). Weiterhin bestätigte<br />
die exploratorische Faktorenanalyse auf Basis des Kaiser-Kriteriums die<br />
Undimensionalität des gemessenen Konstrukts (1. Eigenwert: 3,31; 2. Eigenwert:<br />
0,34).<br />
Indikatorenebene<br />
Konstruktebene<br />
Indikator Ladung Indikatorreliabilität<br />
DEV Faktorreliab.<br />
Globale<br />
Anpassungsmaße<br />
Cronbachs<br />
Alpha<br />
Kriterium > 0,70 > 0,50 > 0,50 > 0,60 > 0,9 < 0,1 > 0,70<br />
LoyGe1 0,81 0,66 0,76 0,93 GFI: 1,00 RMR: 0,03 0,93<br />
LoyGe2 0,95 0,90<br />
AGFI: 1,00<br />
NFI: 1,00<br />
LoyGe3 0,84 0,71<br />
CFI: 1,00<br />
LoyGe4 58 0,64 -<br />
LoyGe5 0,89 0,79<br />
Tabelle 54:<br />
Pretest<br />
Parameterschätzungen und Gütekriterien des Konstrukts „Loyalität zum Geschäft“ im<br />
Die Messung des Konstrukts Loyalität zum Geschäft mittels der vier Indikatoren<br />
LoyGe1, LoyGe2, LoyGe3 und LoyGe4 führte im Pretest zu einem Messmodell mit<br />
hoher Güte und wird deshalb in der Hauptuntersuchung in dieser veränderten Form<br />
verwendet.<br />
Beurteilung der Diskriminanzvalidität<br />
Um eine reliable und valide Messung der endogenen Konstrukte in der<br />
Hauptuntersuchung sicherzustellen, ist im Rahmen des Pretests zu überprüfen, ob die<br />
vorgeschlagenen Messmodelle der verschiedenen Konstrukte auch tatsächlich<br />
58 Von der weiteren Analyse ausgeschlossen<br />
321
inhaltlich unterschiedliche Größen messen. Deshalb soll die Diskriminanzvalidität der<br />
vorgeschlagenen Konstruktmessung anhand des Fornell-Larcker Kriteriums<br />
beurteilt werden. Wie Tabelle 55 zeigt, ist dieses Kriterium für alle Konstrukte erfüllt,<br />
d. h. für alle Konstrukte gilt, dass die DEV höher ist als die quadrierte Korrelation der<br />
zugehörigen latenten Variablen mit allen anderen latenten Variablen. <strong>Der</strong> <strong>Wert</strong> einer<br />
latenten Variablen wird hierbei durch den ungewichteten Mittelwert ihrer Indikatoren<br />
berechnet, was der reflektiven Operationalisierung der endogenen Konstrukte<br />
entspricht (siehe hierzu auch die detaillierteren Ausführungen auf S. 249).<br />
Faktoren<br />
Zufriedenheit<br />
Kaufprozess<br />
Kognitive<br />
Dissonanz<br />
Zufriedenheit<br />
Produkt<br />
Zufriedenheit<br />
Kaufprozess<br />
Kognitive<br />
Dissonanz<br />
Zufriedenheit<br />
Produkt<br />
0,645 quadrierte Korrelationen<br />
0,674 0,151<br />
0,629 0,291 0,343<br />
Loyalität<br />
Marke<br />
Loyalität<br />
Geschäft<br />
Loyalität Marke 0,677 0,045 0,036 0,085<br />
Loyalität<br />
Geschäft<br />
0,764 0,180 0,085 0,263 0,259<br />
DEV 0,645 0,674 0,629 0,677 0,764<br />
Tabelle 55:<br />
im Pretest<br />
Ergebnisse der Überprüfung des Fornell-Larcker-Kriteriums der Konsequenzgrößen<br />
Zusammenfassung der Ergebnisse des Pretests<br />
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass drei der vorgeschlagenen Messmodelle<br />
der endogenen Konstrukte aufgrund der Ergebnisse des Pretests leicht angepasst<br />
werden müssen. So musste bei den Konstrukten Zufriedenheit mit dem gekauften<br />
Produkt, Loyalität zur Marke und Loyalität zum Geschäft jeweils ein Item aus dem<br />
Messmodell entfernt werden. Die angepassten Itembatterien erreichten alle im Pretest<br />
eine hohe Güte und kommen in entsprechend modifizierter Art in der Hauptuntersuchung<br />
zum Einsatz. Wie Tabelle 56 zeigt, werden die endogenen Konstrukte in<br />
der Hauptuntersuchung jeweils durch vier bzw. fünf Items gemessen, so dass die<br />
Folgen hoher <strong>Produktvielfalt</strong> durch insgesamt 21 Fragen abgedeckt werden.<br />
322
Konstrukt<br />
Operationalisierung<br />
(ursprünglich)<br />
Anzahl der Indikatoren<br />
Eliminiert<br />
(nach Pretest)<br />
Zufriedenheit Kaufprozess 4 0 4<br />
Kognitive Dissonanz 4 0 4<br />
Zufriedenheit Produkt 6 24 1 5<br />
Loyalität Marke 5 1 4<br />
Loyalität Geschäft 5<br />
1 4<br />
Hauptuntersuchung<br />
21<br />
Tabelle 56:<br />
Pretest<br />
Anzahl der Indikatoren zur Messung der endogenen Konstrukte vor und nach dem<br />
Nach der Operationalisierung der endogenen Konstrukte und deren Überprüfung im<br />
Rahmen eines Pretests können nun die Ergebnisse der Hauptuntersuchung hinsichtlich<br />
der Messmodelle und der Beziehungen der Größen des Gesamtmodells beschrieben<br />
werden.<br />
4.3.2 Ergebnisse des PLS-Modells der Hauptuntersuchung<br />
Nachfolgend werden zunächst die Ergebnisse der Parameterschätzung des<br />
PLS-Messmodells der endogenen Konstrukte beschrieben. Im Anschluss daran erfolgt<br />
die Erläuterung und Diskussion der Resultate auf <strong>St</strong>rukturmodellebene. Anhand dieser<br />
lassen sich die formulierten Hypothesen zur Wirkung <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> auf die der Kaufhandlung nachgelagerten Größen überprüfen.<br />
4.3.2.1 Ebene 1: Messmodelle der endogenen Konstrukte<br />
Da alle endogenen Konstrukte reflektiv operationalisiert wurden, kommen zur<br />
Gütebeurteilung der Messung die bereits auf Faktorenebene des <strong>Wert</strong>konstrukts<br />
verwendeten Gütekriterien zur Anwendung (siehe Kapitel 3.4.1.3, S. 260ff.). In<br />
Tabelle 57 sind die Ergebnisse der Gütemaße für die endogenen Konstrukte<br />
aufgeführt.<br />
323
Konstrukt<br />
Zufriedenheit<br />
Kaufprozess<br />
Kognitive<br />
Dissonanz<br />
Zufriedenheit<br />
Produkt<br />
Loyalität<br />
Marke<br />
Loyalität<br />
Geschäft<br />
Indikatorenebene<br />
Indikator Ladung t-<strong>Wert</strong><br />
(Ladung)<br />
DEV<br />
Interne<br />
Konsistenz<br />
Konstruktebene<br />
Q 2<br />
(Kom)<br />
Eigenwerte<br />
(EW)<br />
Kriterium > 0,70 > 1,98 > 0,50 > 0,60 > 0 1. EW > 1<br />
2. EW < 1<br />
SatProz1 0,756 30,005<br />
SatProz2 0,884 91,371<br />
SatProz3 0,891 76,144<br />
SatProz4 0,791 31,024<br />
KogDis1 59 0,517 -<br />
KogDis2 0,735 17,351<br />
KogDis3 0,798 26,152<br />
KogDis4 0,851 39,232<br />
SatProd1 0,796 30,904<br />
SatProd2 0,782 28,154<br />
SatProd3 0,871 50,372<br />
SatProd4 0,813 31,582<br />
SatProd5 0,820 34,028<br />
LoyMa1 0,779 13,369<br />
LoyMa2 0,742 10,953<br />
LoyMa3 0,894 36,899<br />
LoyMa5 0,848 25,063<br />
LoyGe1 0,895 90,632<br />
LoyGe2 0,867 53,421<br />
LoyGe3 0,912 82,137<br />
LoyGe5 0,894 69,702<br />
0,693 0,900 0,484 2,775<br />
0,559<br />
0,633 0,838 0,281 1,902<br />
0,624<br />
0,667 0,909 0,501 3,359<br />
0,522<br />
0,669 0,889 0,449 2,717<br />
0,680<br />
0,796 0,940 0,635 3,188<br />
0,409<br />
Cronbachs<br />
Alpha<br />
> 0,70<br />
0,851<br />
0,711<br />
0,877<br />
0,842<br />
0,915<br />
Tabelle 57:<br />
Ergebnisse der Analysen des Messmodells (Ebene 1) für die endogenen Konstrukte<br />
Betrachtet man zunächst auf Indikatorenebene die Faktorladungen der Indikatoren<br />
der einzelnen Konstrukte, so ist zu erkennen, dass bis auf das Item KogDis1 (Ich frage<br />
mich, ob ich wirklich eine Digitalkamera/einen DVD-Player brauche) alle Ladungen<br />
den Grenzwert <strong>von</strong> 0,7 übersteigen. <strong>Der</strong> Indikator KogDis1 ist deshalb <strong>von</strong> den<br />
weiteren Analysen auszuschließen. Die Ladungen der verbleibenden Items weisen<br />
t-<strong>Wert</strong>e zwischen 10,953 und 91,371 auf und sind daher als signifikant bzw.<br />
hochsignifikant einzustufen. Inhaltsvalidität und Indikatorreliabilität können damit als<br />
gegeben angenommen werden (siehe Tabelle 26, S. 266).<br />
59 Von den weiteren Analysen ausgeschlossen<br />
324
Die Überprüfung der Konvergenzvalidität erfolgt auf Konstruktebene anhand der DEV<br />
(Durchschnittlich Erfasste Varianz), der Internen Konsistenz, der Eigenwerte und des<br />
Cronbachs Alpha. Alle Konstrukte weisen eine DEV <strong>von</strong> über 0,633 auf und liegen<br />
damit deutlich über dem Grenzwert <strong>von</strong> 0,50. Gleiches gilt für die interne<br />
Konsistenz, deren <strong>Wert</strong>e zwischen 0,838 und 0,936 liegen und damit den minimalen<br />
Toleranzwert <strong>von</strong> 0,60 deutlich überschreiten. Alle Konstrukte erfüllen auch das<br />
Kaiser-Kriterium, d. h. bei allen Konstrukten liegt der erste Eigenwert der<br />
Korrelationsmatrix der manifesten Variablen über 1 und der zweite darunter. Die<br />
Konvergenzvalidität und Reliabilität der Messmodelle kommt auch in den relativ<br />
hohen Cronbachs Alpha-<strong>Wert</strong>en zum Ausdruck. Lediglich das Konstrukt Kognitive<br />
Dissonanz ist mit einem <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,711 diesbezüglich als grenzwertig einzustufen.<br />
Schließlich erfüllen alle Konstrukte auch das Kriterium hinsichtlich des<br />
<strong>St</strong>one-Geissers Q 2 , da der Q 2 -<strong>Wert</strong> bezüglich der Kommunalität aller latenten<br />
Variablen positiv ist. Damit kann <strong>von</strong> Prognosevalidität des jeweiligen Messmodells<br />
auf Konstruktebene ausgegangen werden.<br />
Zusammenfassend erfüllen die Messungen aller endogenen Konstrukte die<br />
verwendeten Gütekriterien sowohl auf Indikatoren- als auch auf Konstruktebene.<br />
Als nächstes ist die Diskriminanzvalidität zu überprüfen, d. h. es wird getestet, ob die<br />
verschiedenen Messinstrumente auch tatsächlich inhaltlich verschiedene Aspekte<br />
messen. Den Ausgangspunkt bildet hierzu eine exploratorische Faktorenanalyse für<br />
alle fünf endogenen Konstrukte. Es kommt eine Hauptachsenanalyse mit<br />
schiefwinkliger Rotation (Direct-Oblimin) zum Einsatz. Tabelle 58 zeigt die in SPSS<br />
ermittelten rotierten Faktorladungen. <strong>Der</strong> Empfehlung <strong>von</strong> Homburg (1995, S. 93)<br />
folgend, wurden hierbei alle Faktorladungen, die betragsmäßig den <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,4<br />
übersteigen, hervorgehoben, um so zu erkennen, auf welche Faktoren die einzelnen<br />
Indikatoren besonders stark laden. Zu erkennen ist, dass alle Indikatoren außer<br />
SatProz1 (Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit Ihrem Einkaufs- und Entscheidungsprozess?)<br />
eindeutig auf „ihren“ zugehörigen Faktor laden. Dies ist ein erster Hinweis<br />
auf die Diskriminanzvalidität der Messung. Um diese besser beurteilen zu können,<br />
wurden weiterhin die Korrelationen zwischen manifesten und latenten Variablen<br />
untersucht. Tabelle 59 zeigt, dass die manifesten Variablen jeweils stark mit der<br />
zugehörigen latenten Variablen korrelieren und lediglich zwischen den manifesten und<br />
latenten Variablen der Konstrukte Zufriedenheit mit dem Kaufprozess und<br />
Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt Korrelationen über 0,5 existieren. Die<br />
manifeste Variable SatProz1 ist besonders zu beachten, da sie bei der Faktorenanalyse<br />
nicht eindeutig auf einen Faktor geladen hat. Sie korreliert aber am stärksten mit<br />
325
„ihrer“ latenten Variablen Zufriedenheit mit dem Kaufprozess und wird deshalb nicht<br />
<strong>von</strong> der weiteren Analyse ausgeschlossen.<br />
lat. Var.<br />
man. Var.<br />
Zufriedenheit<br />
Produkt<br />
Loyalität Marke<br />
Loyalität<br />
Geschäft<br />
Zufriedenheit<br />
Prozess<br />
Kognitive<br />
Dissonanz<br />
SatProz1 0,3666 -0,1375 -0,1756 -0,1290 -0,2051<br />
SatProz2 0,1305 -0,0305 -0,0005 -0,5783 -0,1743<br />
SatProz3 -0,0932 0,0964 -0,0380 -0,9215 -0,0535<br />
SatProz4 0,1566 -0,0789 -0,0322 -0,6001 0,0191<br />
KogDis2 -0,0682 0,0386 0,0271 -0,0188 0,5634<br />
KogDis3 0,0088 -0,0501 -0,0295 0,1090 0,6133<br />
KogDis4 0,0177 -0,0121 0,0190 0,0321 0,7475<br />
SatProd1 0,6403 0,1503 -0,0339 0,0207 -0,0979<br />
SatProd2 0,7379 -0,1118 -0,0599 0,0388 -0,0657<br />
SatProd3 0,7882 0,0148 -0,0728 -0,0064 -0,0387<br />
SatProd4 0,7863 0,0387 0,0252 -0,0711 0,1121<br />
SatProd5 0,7251 0,0941 0,0983 -0,0984 -0,0125<br />
LoyMa1 0,0447 0,7274 -0,0942 -0,0348 0,2077<br />
LoyMa2 -0,0070 0,7278 0,0140 -0,0031 0,0328<br />
LoyMa3 0,1413 0,7448 -0,0191 0,1241 -0,1479<br />
LoyMa5 -0,0514 0,7481 -0,0569 -0,0834 -0,0816<br />
LoyGe1 0,0136 -0,0011 -0,7990 -0,0770 0,0224<br />
LoyGe2 -0,0450 0,0023 -0,7477 -0,0558 -0,0261<br />
LoyGe3 0,0059 -0,0021 -0,9474 0,0894 -0,0059<br />
LoyGe5 0,0267 0,0847 -0,8138 0,0197 0,0246<br />
Tabelle 58:<br />
Rotierte Faktorladungen der Konsequenzen (Oblimin Rotation)<br />
326
lat. Var.<br />
man. Var.<br />
Loyalität<br />
Geschäft<br />
Loyalität Marke<br />
Zufriedenheit<br />
Produkt<br />
Kognitive<br />
Dissonanz<br />
Zufriedenheit<br />
Prozess<br />
SatProz1 0,5303 0,7561<br />
SatProz2 0,8842<br />
SatProz3 0,8909<br />
SatProz4 0,7911<br />
KogDis2 0,7346<br />
KogDis3 0,7982<br />
KogDis4 0,8505<br />
SatProd1 0,7987<br />
SatProd2 0,7817 0,5017<br />
SatProd3 0,8738 0,5164<br />
SatProd4 0,8159<br />
SatProd5 0,8227<br />
LoyMa1 0,7791<br />
LoyMa2 0,7424<br />
LoyMa3 0,8938<br />
LoyMa5 0,8475<br />
LoyGe1 0,8953<br />
LoyGe2 0,8671<br />
LoyGe3 0,9117<br />
LoyGe5 0,8938<br />
Tabelle 59: Korrelationen manifester und latenter Variablen der Konsequenzen (zur besseren<br />
Lesbarkeit wurden Korrelationen unter 0,5 nicht abgebildet) (p < 0,01)<br />
Zur abschließenden Beurteilung der Diskriminanzvalidität dient das Fornell-Larcker-<br />
Kriterium. Die mit Hilfe <strong>von</strong> PLS-Graph berechneten Ergebnisse sind in Tabelle 60<br />
dargestellt und zeigen, dass alle latenten Variablen das Kriterium erfüllen. Hierzu ist<br />
kritisch anzumerken, dass PLS die Beziehungen zwischen Konstrukten tendenziell<br />
unterschätzt und die Zusammenhänge zwischen manifesten und latenten Variablen<br />
überschätzt. Dadurch wird die durchschnittlich erfasste Varianz eher überschätzt und<br />
die Korrelationen werden tendenziell unterschätzt. Dies hat insgesamt einen positiven<br />
Einfluss auf die Erfüllung des Fornell-Larcker-Kriteriums. Da das Fornell-Larcker<br />
Kriterium aber ein relativ hartes Kriterium ist (vgl. Homburg 1995, S. 85), kann<br />
insbesondere dann, wenn es <strong>von</strong> allen Faktoren deutlich erfüllt wird, <strong>von</strong><br />
Diskriminanzvalidität ausgegangen werden. Wie Tabelle 60 zeigt, ist die DEV im<br />
schlechtesten Fall doppelt so hoch wie die quadrierten Korrelationen der<br />
327
entsprechenden latenten Variablen (Zufriedenheit Kaufprozess und Zufriedenheit<br />
Produkt). Das Fornell-Larcker Kriterium wird also recht deutlich erfüllt.<br />
Zusammen mit den Ergebnissen der exploratorischen Faktorenanalyse und der<br />
Korrelationsanalyse manifester und latenter Variablen kann aus der deutlichen<br />
Erfüllung des Fornell-Larcker Kriteriums auf die Diskriminanzvalidität der Messung<br />
der endogenen Konstrukte geschlossen werden.<br />
Konstrukt<br />
Zufriedenheit<br />
Kaufprozess<br />
Kognitive<br />
Dissonanz<br />
Zufriedenheit<br />
Produkt<br />
Zufriedenheit<br />
Kaufprozess<br />
Kognitive<br />
Dissonanz<br />
Zufriedenheit<br />
Produk<br />
0,693 Quadrierte Korrelationen<br />
0,633 0,295<br />
0,667 0,335 0,185<br />
Loyalität<br />
Marke<br />
Loyalität<br />
Geschäft<br />
Loyalität Marke 0,669 0,010 0,001 0,087<br />
Loyalität<br />
Geschäft<br />
0,796 0,264 0,051 0,117 0,155<br />
DEV 0,693 0,633 0,667 0,669 0,796<br />
Tabelle 60:<br />
Ergebnisse der Überprüfung des Fornell-Larcker-Kriteriums der Konsequenzen<br />
Nachdem die Messmodelle der endogenen latenten Variablen als reliabel und valide<br />
bezeichnet werden können, kann im nächsten Schritt die Beziehungen zwischen<br />
Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und den endogenen Variablen, sowie die<br />
Beziehungen dieser untereinander analysiert werden. Dies ermöglicht insbesondere die<br />
Überprüfung der formulierten Hypothesen. Hierzu werden die Ergebnisse der<br />
Parameterschätzung und der Gütemaße zunächst dargestellt und anschließend<br />
interpretiert.<br />
4.3.2.2 Ebene 2: <strong>St</strong>rukturmodell<br />
Ergebnisse der Parameterschätzungen und Gütemaße des <strong>St</strong>rukturmodells<br />
Zur Beurteilung des <strong>St</strong>rukturmodells kommen die in Kapitel 4.1.2 (S. 303ff.)<br />
beschriebenen Gütekriterien zur Anwendung. Zentrale Elemente sind hierbei die<br />
328
Pfadkoeffizienten zwischen exogenen und endogenen, sowie zwischen endogenen<br />
Variablen und die erklärte Varianz, also das Bestimmtheitsmaß R 2 der abhängigen<br />
Variablen. Abbildung 68 stellt das <strong>St</strong>rukturmodell und die in PLS geschätzten<br />
Pfadkoeffizienten zwischen den Variablen zusammen mit den erklärten Varianzen der<br />
Zielkonstrukte (R 2 ) dar.<br />
Loyalität<br />
Geschäft<br />
Loyalität<br />
Marke<br />
Evaluation und zukünftige Verhaltensabsicht<br />
0,513<br />
LG<br />
R 2 =0,425<br />
0,194<br />
0,338<br />
Zufriedenheit<br />
Prozess<br />
ZP<br />
0,344<br />
LM<br />
ZPr<br />
- 0,231<br />
KD<br />
-0,421kognitive<br />
Dissonanz<br />
R 2 =0,087<br />
0,295<br />
Zufriedenheit<br />
Produkt<br />
R 2 =0,444<br />
R 2 =0,332<br />
0,189<br />
Konstrukt<br />
Nutzen<br />
NPV<br />
0,497<br />
R 2 =0,505<br />
- 0,362<br />
0,227<br />
Kosten<br />
KPV<br />
Abbildung 68: Pfaddiagramm der mittel- und langfristigen Konsequenzen der Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong><br />
Betrachtet man zunächst die Höhe und das Vorzeichen der Pfadkoeffizienten, so ist<br />
zu erkennen, dass alle betragsmäßig über dem Grenzwert <strong>von</strong> 0,1 liegen und bis auf<br />
die Beziehung zwischen den KPV und der Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt<br />
das vermutete Vorzeichen haben. Die Hypothese 4 (negativer Zusammenhang<br />
zwischen den KPV und der Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt) muss deshalb<br />
abgelehnt werden. Im anschließenden Diskussionsteil wird hierauf noch näher<br />
eingegangen. Abbildung 68 sind weiterhin die Anteile der erklärten Varianz (R 2 ) zu<br />
entnehmen. Für die Zielkonstrukte Zufriedenheit mit dem Kaufprozess, Zufriedenheit<br />
mit dem Produkt und Loyalität zum Handel ist diese mit <strong>Wert</strong>en <strong>von</strong> 50,5%, 44,4%<br />
und 42,5% als „gut“ zu bezeichnen (vgl. Chin 1998a, S. 323). Die Varianz der<br />
Kognitiven Dissonanz kann mit 33,2% dagegen nur befriedigend erklärt werden und<br />
329
der erklärte Varianzanteil der Loyalität zur Marke ist mit 8,7% deutlich zu gering. Die<br />
Hypothese 14 (positiver Zusammenhang <strong>von</strong> Zufriedenheit mit dem gekauften<br />
Produkt und Loyalität zur Marke) kann deshalb nicht aufrecht erhalten werden.<br />
Zur weiteren Überprüfung der Hypothesen ist die Signifikanz der Pfadkoeffizienten<br />
zwischen den Konstrukten anhand der auf dem Bootstrapping-Verfahren basierenden<br />
t-<strong>Wert</strong>e zu beurteilen. Diese sind zusammen mit weiteren Gütekriterien in Tabelle 61<br />
aufgeführt und liegen mit <strong>Wert</strong>en zwischen 2,89 und 14,30 teilweise deutlich über<br />
dem geforderten Mindestwert <strong>von</strong> 1,98. Alle Pfadkoeffizienten können deshalb als<br />
signifikant bezeichnet werden.<br />
Hat ein Zielkonstrukt mehr als ein Ausgangskonstrukt, können mit der Effektgröße f 2<br />
und dem Variance Inflation Factor (VIF) zwei weitere Gütemaße auf der Ebene<br />
dieser exogenen Konstrukte angegeben werden. Die Effektgröße f 2 gibt Auskunft<br />
darüber, ob ein Konstrukt einen substanziellen Einfluss auf ein ihm im <strong>St</strong>rukturmodell<br />
nachfolgendes Konstrukt hat. Die berechneten f 2 -<strong>Wert</strong>e zeigen, dass einige Konstrukte<br />
sehr großen Einfluss auf nachfolgende Größen haben, was z. B. beim NPV und der<br />
Zufriedenheit mit dem Kaufprozess der Fall ist (f 2 = 0,438). <strong>Der</strong> Erklärungsbeitrag<br />
anderer Konstrukte, wie beispielsweise der Zufriedenheit mit dem Kaufprozess zur<br />
Loyalität zum Geschäft ist dagegen relativ gering (f 2 = 0,04). Als untere Grenze wurde<br />
ein <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,05 als sinnvoll erachtet. Dieser ist aber nicht als „hartes Kriterium“ zu<br />
verstehen, da es in der Literatur keine dem Verfasser bekannten Richtlinien gibt. So<br />
schließen z. B. Gefen, <strong>St</strong>raub und Boudreau (2000) <strong>von</strong> f 2 -<strong>Wert</strong>en in Höhe <strong>von</strong> 0,02,<br />
0,15 bzw. 0,55 auf einen geringen, mittleren bzw. großen Einfluss eines Konstrukts<br />
auf ein achfolgendes (vgl. S. 65). In diesem Sinne ist der Einfluss der KPV auf die<br />
Zufriedenheit mit dem Produkt als gering zu bezeichnen. Gleiches gilt für die<br />
Beziehung zwischen der Zufriedenheit mit dem Kaufprozess und der Loyalität zum<br />
Geschäft. <strong>Der</strong> VIF liegt für alle Konstrukte unter dem <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 2 und unterschreitet<br />
damit den Grenzwert <strong>von</strong> 10 deutlich. Folglich kann die Multikollinearität der latenten<br />
Variablen, die ein gemeinsames Zielkonstrukt haben, ausgeschlossen werden.<br />
Auf der Ebene der (reflektiven) Zielkonstrukte ist neben dem Bestimmtheitsmaß auch<br />
das auf Redundanzen basierende <strong>St</strong>one-Geissers Q 2 Ausdruck für die Prognoserelevanz<br />
des jeweiligen Modells. Mit Ausnahme des „Erklärungsmodells“ der<br />
Loyalität zur Marke, dessen Hypothese ja bereits abgelehnt wurde, haben alle<br />
Zielkonstrukte einen positiven Q 2 -<strong>Wert</strong>. Im Fall der drei latenten Variablen<br />
Zufriedenheit mit dem Kaufprozess, Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt und<br />
330
Loyalität zum Geschäft wird der Grenzwert <strong>von</strong> 0 dabei deutlich überschritten. Die<br />
Erklärungskraft des Gesamtmodells ist damit als gut inzustufen.<br />
Ausgangskonstruktebene<br />
(exogene Variable)<br />
Zielkonstruktebene<br />
(endogene Var.)<br />
Exogene<br />
Konstrukte<br />
Zielkonstrukt<br />
t-<strong>Wert</strong><br />
(Pfadkoeffizient)<br />
Hypothese<br />
Pfadkoeffizient<br />
VIF f 2 R 2 Q 2<br />
(Redu.)<br />
⏐⏐> 0,1 > 1,98 < 10 > 0,05 > 0,3 > 0<br />
NPV<br />
Zufriedenheit<br />
+ () 0,497 14,305 1,139 0,438<br />
KPV<br />
Kaufprozess<br />
– () -0,362 9,833 1,139 0,232<br />
KPV + () 0,227 3,695 1,397 0,057<br />
Kognitive<br />
Zufriedenheit Dissonanz<br />
Prozess<br />
– () -0,421 7,633 1,397 0,192<br />
0,505 0,288<br />
0,332 0,050<br />
NPV + () 0,338 6,161 1,397 0,126<br />
KPV – ( ) 0,189 2,887 1,412 0,045<br />
Zufriedenhei<br />
Kognitive t Produkt<br />
– () -0,231 4,622 1,511 0,065<br />
Dissonanz<br />
Zufriedenheit<br />
Prozess<br />
+ () 0,344 4,670 1,972 0,092<br />
NPV + () 0,513 11,276 1,626 0,278<br />
Loyalität<br />
Zufriedenheit Geschäft<br />
+ () 0,194 3,546 1,626 0,040<br />
Kaufprozess<br />
Zufriedenheit<br />
Produkt<br />
Loyalität<br />
Marke<br />
+ ( ) 0,295 4,711 – (n.a.)<br />
–<br />
(n.a.)<br />
0,444 0,175<br />
0,425 0,242<br />
0,087 -0,844<br />
Tabelle 61:<br />
Gütemaße des <strong>St</strong>rukturmodells (2. Ebene)<br />
331
Die Ergebnisse der Überprüfung der Gütekriterien lassen sich damit folgendermaßen<br />
zusammenfassen:<br />
• Zwei Hypothesen müssen abgelehnt werden:<br />
- <strong>Der</strong> Zusammenhang zwischen den Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und der<br />
Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt ist nicht wie vermutet<br />
negativ, sondern (signifikant) positiv.<br />
- Die erklärte Varianz der Loyalität zur Marke durch das Konstrukt<br />
Zufriedenheit mit dem Produkt ist zu gering und die Beziehung daher<br />
als nicht signifikant einzustufen.<br />
• Alle weiteren Hypothesen können aufrechterhalten werden.<br />
• Die Erklärungsmodelle der Zielkonstrukte sind mit Ausnahme der latenten<br />
Variablen Kognitive Dissonanz als gut einzustufen.<br />
• Das Wirkungsmodell der KPV und NPV auf die Kaufevaluation und die<br />
zukünftige Verhaltensabsicht gegenüber dem Handel konnte insgesamt<br />
bestätigt werden.<br />
Interpretation der Ergebnisse<br />
Die Interpretation der Ergebnisse erfolgt für die aufrechterhaltenen Hypothesen im<br />
Wesentlichen anhand der Höhe und Richtung der Pfadkoeffizienten, sowie der Höhe<br />
der erklärten Varianz der Zielkonstrukte. Bei der Konstruktebene des Messmodells<br />
(Ebene 2) wurde hierzu das Bestimmtheitsmaß in die Bestandteile Korrelation und<br />
Pfadkoeffizient zerlegt und so der relative Erklärungsbeitrag jedes vorgelagerten<br />
Konstrukts zum Zielkonstrukt berechnet. Voraussetzung für diese „Zerlegung“ ist,<br />
dass für jede Beziehung zwischen unabhängiger und abhängiger Variable die<br />
Korrelations- und Pfadkoeffizienten dasselbe Vorzeichen haben (vgl. Tenenhaus et al.<br />
2004, S. 21; siehe auch S. 291). Da der Pfadkoeffizient zwischen KPV und<br />
Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt positiv ist (0,189), der Korrelationskoeffizient<br />
der beiden latenten Variablen aber ein negatives Vorzeichen hat (-0,219),<br />
ist dieses Verfahren hier nicht anwendbar. Um die Beurteilung der Einflussstärke der<br />
jeweiligen Konstrukte für alle Beziehungen konsistent zu gestalten, erfolgt diese<br />
anhand der Pfadkoeffizienten. Hierzu wird der betragsmäßige Anteil eines Konstrukts<br />
an der betragsmäßigen Summe der Pfadkoeffizienten aller mit einem Zielkonstrukt<br />
332
verbundenen Ausgangsvariablen berechnet. Auf dieser Basis kann der Einfluss jeder<br />
unabhängigen Variablen auf die abhängige bestimmt werden.<br />
Die Interpretation der Ergebnisse wird nach den Zielkonstrukten strukturiert, wobei<br />
das Konstrukt Loyalität zur Marke ausgeschlossen wird, da die entsprechende<br />
Hypothese abgelehnt wurde.<br />
Zufriedenheit mit dem Kaufprozess<br />
Sowohl Kosten als auch Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> wirken sich auf die Zufriedenheit<br />
mit dem Kaufprozess aus, allerdings in entgegengesetzter Richtung: Wie erwartet,<br />
führt die Zunahme der positiven Aspekte <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> zu einer Erhöhung der<br />
Zufriedenheit mit dem Kaufprozess, eine <strong>St</strong>eigerung der Vielfaltskosten wirkt sich<br />
dagegen negativ aus. Die Einflussstärke der Nutzenaspekte ist dabei mit 58% etwas<br />
höher als die der Kosten (42%) (siehe Tabelle 62). Dennoch ist der starke negative<br />
Einfluss hoher <strong>Produktvielfalt</strong> auf die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess fast<br />
erstaunlich. Die Vielfalt erschwert die Entscheidungsfindung für den Konsumenten<br />
offenbar so sehr, dass sich dies in starkem Maße negativ auf seine Zufriedenheit<br />
auswirkt. Damit konnte empirisch gezeigt werden, dass sich hohe <strong>Produktvielfalt</strong> nicht<br />
nur unmittelbar negativ auf die Kaufintention (siehe Kapitel 4.2), sondern auch auf die<br />
Evaluation des Kauferlebnisses und damit auf die der Kaufhandlung nachfolgende<br />
Phase auswirkt.<br />
Einflussstärke auf die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess<br />
Ausgangskonstrukte<br />
Direkt<br />
Indirekt<br />
Gesamteinfluss<br />
absolut relativ<br />
NPV 0,497 - 0,497 58%<br />
KPV -0,362 - -0,362 42%<br />
Summe (Beträge der Gesamteinflüsse) 0,859 100%<br />
Tabelle 62:<br />
Einflussstärke der KPV und NPV auf die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess<br />
333
Kognitive Dissonanz<br />
Die kognitive Dissonanz stellt gewissermaßen die Verbindung zwischen dem<br />
Kaufprozess und der Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt dar und wird deshalb<br />
häufig als Antezedenz dieser betrachtet (vgl. Oliver 1996, S. 259f.). Die empirische<br />
Untersuchung hat die vermutete positive Beziehung zwischen den KPV und der<br />
kognitiven Dissonanz bestätigt. Je stärker folglich die negativen Aspekte <strong>von</strong> Vielfalt<br />
ausgeprägt sind, desto höher ist die kognitive Dissonanz, die der Konsument im<br />
Anschluss an seine Entscheidung empfindet. Dagegen wirkt sich die Zufriedenheit mit<br />
dem Kaufprozess negativ auf die kognitive Dissonanz aus, d. h. je zufriedener ein<br />
Konsument mit seinem Kauf- und Entscheidungsprozess ist, desto geringer ist seine<br />
empfundene kognitive Dissonanz. Die Einflussstärke der beiden unmittelbaren<br />
Bestimmungsgrößen KPV und Zufriedenheit mit dem Kaufprozess ist mit 47% und<br />
53% in etwa gleich groß (siehe Tabelle 63). Zu beachten ist hierbei, dass sich die<br />
Vielfaltskosten sowohl direkt als auch indirekt über die Zufriedenheit mit dem<br />
Kaufprozess auf die Kognitive Dissonanz auswirken.<br />
Ausgangskonstrukte<br />
Direkt<br />
KPV 0,227<br />
Zufriedenheit<br />
Prozess<br />
Einflussstärke auf die Kognitive Dissonanz<br />
Gesamteinfluss<br />
Indirekt<br />
absolut relativ<br />
0,152<br />
( = -0,362 x -0,421)<br />
0,379 47%<br />
-0,421 - -0,421 53%<br />
Summe (Beträge der Gesamteinflüsse) 0,800 100%<br />
Tabelle 63:<br />
<strong>St</strong>ärke der direkten Einflussgrößen der Kognitiven Dissonanz<br />
Neben den direkten Einflussgrößen interessiert in dieser Untersuchung insbesondere,<br />
wie sich die KPV und NPV – und damit die Sortimentsgröße – auf die Entstehung<br />
kognitiver Dissonanz auswirken. Dazu werden die Einflussstärken der KPV und NPV<br />
auf die Kognitive Dissonanz berechnet und miteinander verglichen. Die Nutzenaspekte<br />
wirken sich hierbei nicht direkt, sondern über den Mediator Zufriedenheit mit dem<br />
Kaufprozess aus. Wie die in Tabelle 64 dargestellten Ergebnisse der Berechnungen<br />
zeigen, ist der Dissonanz steigernde Einfluss der Kostenaspekte mit 64% deutlich<br />
stärker, als der reduzierende Effekt der Nutzenaspekte. Die Kognitive Dissonanz wird<br />
folglich stärker durch die aus hoher <strong>Produktvielfalt</strong> resultierende Entscheidungsschwierigkeit<br />
gefördert, als durch die positiven Vielfaltsaspekte reduziert. Um die<br />
334
Kognitive Dissonanz zu reduzieren, ist die Reduktion der KPV folglich der effektivere<br />
Hebel als die Betonung der Nutzenaspekte. Händler sollten folglich versuchen, durch<br />
entsprechende Maßnahmen die Entscheidungsschwierigkeiten der Konsumenten zu<br />
reduzieren, um so die Entstehung kognitiver Dissonanz zu vermeiden.<br />
Kosten und<br />
Nutzen<br />
Direkt<br />
Einflussstärke auf die Kognitive Dissonanz<br />
Gesamteinfluss<br />
Indirekt<br />
absolut relativ<br />
NPV - -0,209 -0,209 36%<br />
KPV 0,227 0,152 0,379 64%<br />
Summe (Beträge der Gesamteinflüsse) 0,588 100%<br />
Tabelle 64:<br />
Dissonanz<br />
Einflussstärke der Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf die die Kognitive<br />
Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt<br />
Die Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt wird im Modell direkt durch vier<br />
Konstrukte beeinflusst, die teilweise zusätzlich indirekte Effekte über Mediatoren<br />
aufweisen. Zu diskutieren ist hierbei vor allem der Einfluss der KPV auf die<br />
Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt. Die Hypothese 4, die <strong>von</strong> einem negativen<br />
Einfluss der KPV auf die Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt ausgegangen ist,<br />
konnte nicht bestätigt werden, da die empirische Untersuchung einen signifikanten<br />
positiven Einfluss aufgezeigt hat. Gleichzeitig korrelieren aber die beiden latenten<br />
Variablen negativ (r = -0,219) und der indirekte Wirkungseffekt über die Zufriedenheit<br />
mit dem Kaufprozess und der Kognitiven Dissonanz ist negativ. Direkte und indirekte<br />
Wirkung stehen einander somit entgegen und heben sich gegenseitig fast auf. Dies<br />
bewirkt, dass der Nettoeinfluss der KPV mit 2% sehr gering ist (siehe Tabelle 65). Ein<br />
möglicher Erklärungsansatz für den positiven direkten Zusammenhang <strong>von</strong><br />
Kostendimension und Produktzufriedenheit ist folgender: Entscheidet sich ein<br />
Konsument trotz der großen Schwierigkeit für den Kauf eines Produkts, kann er dies<br />
als eine Art „Erlösung“ <strong>von</strong> seiner Entscheidungsaufgabe empfinden und dabei der<br />
Logik folgen, dass das gekaufte Produkt gut sein muss, da er sich während des<br />
Kaufprozesses sehr angestrengt hat, um dieses auszuwählen. Er durchläuft also eine<br />
Art „Prozess der selbst-erfüllenden Prophezeiung“ (Self-Fulfilling Prophecy).<br />
335
Den stärksten Einfluss auf die Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt hat mit 44%<br />
die Nutzendimension. Dies ist auch naheliegend, da mit der Zunahme der Vielfalt die<br />
Wahrscheinlichkeit steigt, dass ein Konsument ein Produkt findet, das seinen<br />
Erwartungen entspricht und somit gemäß dem Expectation-Disconfirmation<br />
Paradigma (vgl. Yi 1990, S. 87ff.) zur Zufriedenheit mit diesem führt. Unerwartet<br />
hoch ist dagegen der positive Einfluss der Zufriedenheit mit dem Kaufprozess. Die<br />
Ergebnisse zeigen, dass 35% der erklärbaren Produktzufriedenheit auf den<br />
Kaufprozess zurückzuführen sind. Für Hersteller bedeutet dies, dass sie die<br />
Zufriedenheit mit ihrem Produkt auch dadurch beeinflussen können, dass sie dem<br />
Kunden den Kaufprozess erleichtern. Eine intensive Zusammenarbeit mit dem Handel<br />
zur Verbesserung der Kauf- und Entscheidungsprozesse der Konsumenten macht<br />
folglich für einen Hersteller durchaus Sinn. Anzumerken ist hierbei, dass der Effekt<br />
durch das Untersuchungsdesign wahrscheinlich etwas überschätzt wird, da unmittelbar<br />
nach der Kaufentscheidung nur die antizipierte und nicht die tatsächliche<br />
Produktzufriedenheit nach einer intensiven Nutzungszeit erfragt werden kann. Die<br />
Ergebnisse können aber dennoch eine Grundtendenz aufzeigen. Als letztes konnte die<br />
Untersuchung den in der Literatur beschriebenen negativen Zusammenhang <strong>von</strong><br />
kognitiver Dissonanz und Produktzufriedenheit bestätigen (vgl. Oliver 1996, S. 259f.).<br />
Sind sich Käufer nach der Kaufentscheidung unsicher, das richtige Produkt gekauft zu<br />
haben, wird dadurch die Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt negativ beeinflusst.<br />
Auch hier gilt die Einschränkung in Bezug auf die Erhebungsmethodik.<br />
Einflussstärke auf die Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt<br />
Ausgangskonstrukte<br />
Direkt<br />
Indirekt<br />
Gesamteinfluss<br />
absolut relativ<br />
NPV 0,338 0,219 0,557 44%<br />
KPV 0,189 -0,212 -0,023 2%<br />
Kognitive<br />
Dissonanz<br />
Zufriedenheit<br />
Prozess<br />
-0,231 - -0,231 18%<br />
0,344 0,097 0,441 35%<br />
Summe (Beträge der Gesamteinflüsse) 1,252 100%<br />
Tabelle 65:<br />
<strong>St</strong>ärke der direkten Einflussgrößen der Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt<br />
Betrachtet man abschließend den Einfluss der KPV und NPV auf die Zufriedenheit<br />
mit dem gekauften Produkt (siehe Tabelle 66), so zeigt sich, dass die KPV mit 4%<br />
336
einen vernachlässigbaren Nettoeinfluss haben. Zurückzuführen ist dies auf die oben<br />
schon erläuterten gegenläufigen direkten (0,189) und indirekten (-0,212)<br />
Auswirkungen, die sich gegenseitig aufheben.<br />
In letzter Konsequenz heißt dies, dass sich die negativen Aspekte hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong>, die im Kern die Schwierigkeit bei der Entscheidungsfindung betreffen,<br />
nicht negativ auf die Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt auswirken.<br />
Kosten und<br />
Nutzen<br />
Einflussstärke die Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt<br />
Gesamteinfluss<br />
Direkt Indirekt<br />
absolut relativ<br />
NPV 0,338 0,219 0,557 96%<br />
KPV 0,189 -0,212 -0,023 4%<br />
Summe (Beträge der Gesamteinflüsse) 0,580 100%<br />
Tabelle 66: Einflussstärke der Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf die Zufriedenheit mit dem<br />
gekauften Produkt<br />
Loyalität zum Geschäft<br />
Die Loyalität zum Geschäft wird in dem hier untersuchten Modell direkt durch die<br />
NPV und das Konstrukt Zufriedenheit mit dem Kaufprozess bestimmt. Mit 76% der<br />
Einflussstärke ist dabei das Nutzenkonstrukt rund dreimal so einflussreich wie die<br />
Zufriedenheit mit dem Kaufprozess. Dies unterstreicht, dass ein umfassendes Sortiment<br />
die Wahl der Einkaufsstätte und damit auch die Loyalität zu einem bestimmten<br />
Geschäft wesentlich beeinflusst (vgl. auch Hoch/Bradlow/Wansik 1999, S. 527; siehe<br />
auch S. 3). Trotz der starken Bedeutung der Sortimentsaspekte sollte nicht<br />
unberücksichtigt bleiben, dass der Ablauf der Kaufentscheidung und des<br />
Kaufprozesses die Loyalität zu einem Geschäft ebenfalls signifikant positiv<br />
beeinflusst. So sind Konsumenten, die mit ihrem Entscheidungsprozess in einem<br />
Geschäft zufrieden sind, diesem gegenüber loyaler, was auch beinhaltet, dass sie es<br />
weiterempfehlen. Ein Einzelhändler sollte deshalb bemüht sein, seinen Konsumenten<br />
sowohl ein gutes Sortiment, als auch einen angenehmen Kaufprozess zu bieten, indem<br />
er z. B. den Entscheidungsprozess durch Berater aktiv unterstützt und dadurch<br />
erleichtert.<br />
337
Ausgangskonstrukte<br />
Direkt<br />
Einflussstärke auf die Loyalität zum Geschäft<br />
Gesamteinfluss<br />
Indirekt<br />
absolut relativ<br />
NPV 0,513 0,096 0,609 76%<br />
Zufriedenheit<br />
Kaufprozess<br />
0,194 - 0,194 24%<br />
Summe (Beträge der Gesamteinflüsse) 0,803 100%<br />
Tabelle 67:<br />
<strong>St</strong>ärke der direkten Einflussgrößen auf die Loyalität zum Geschäft<br />
Vergleicht man abschließend den Einfluss der KPV und NPV auf die Loyalität zum<br />
Geschäft, so wiederholt sich das Ergebnis, dass Konsumenten die Vorteile eines<br />
großen Sortiments an einem Geschäft schätzen. So entfallen 90% des Einflusses auf<br />
die Loyalität zum Geschäft auf das Nutzenkonstrukt. Die Ergebnisse zeigen dennoch,<br />
dass die negativen Aspekte hoher <strong>Produktvielfalt</strong> die Loyalität zu einem Geschäft<br />
mindern. Einzelhändler können folglich durch die Ausweitung des Sortiments die<br />
Loyalität ihrer Kunden nur bedingt erhöhen, da die negativen Aspekte <strong>von</strong> Vielfalt die<br />
positive Wirkung mindern. Ob der Einfluss der KPV mit steigender Sortimentstiefe<br />
zunimmt, bleibt dabei offen und könnte in weiterführenden Untersuchungen mit<br />
experimentellem Charakter betrachtet werden.<br />
Kosten und<br />
Nutzen<br />
Direkt<br />
Einflussstärke auf die Loyalität zum Geschäft<br />
Gesamteinfluss<br />
Indirekt<br />
absolut relativ<br />
NPV 0,513 0,096 0,609 90%<br />
KPV - -0,070 -0,070 10%<br />
Summe (Beträge der Gesamteinflüsse) 0,679 100%<br />
Tabelle 68:<br />
Geschäft<br />
Einflussstärke der Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf die Loyalität zum<br />
338
4.3.2.3 Zusammenfassung<br />
Die Parameterschätzungen des <strong>St</strong>rukturmodells haben zusammen mit der Überprüfung<br />
der entsprechenden Gütemaße ergeben, dass sich Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> nicht nur auf das Ergebnis des Kaufprozesses sondern auch auf weitere<br />
dem Kauf nachgelagerte Aspekte des Konsumentenverhaltens, wie Zufriedenheit<br />
und Loyalität auswirken.<br />
Zwei der ursprünglichen Hypothesen mussten dabei abgelehnt werden:<br />
• Zum einen konnte kein signifikanter Einfluss der Zufriedenheit mit dem<br />
gekauften Produkt und der Loyalität zur Marke festgestellt werden. Dies lag<br />
vermutlich am Befragungszeitpunkt direkt nach der Kaufentscheidung. Da er<br />
der endgültigen Herausbildung eines Zufriedenheitsurteils bezüglich des<br />
gekauften Produkts vorgelagert ist, konnte dieses <strong>von</strong> den Befragten nur<br />
antizipiert werden. Dies reicht aber vermutlich nicht aus, um auch die nachfolgende<br />
Wirkung auf die Loyalität zur Marke aufzeigen zu können.<br />
• Zum anderen hat die Untersuchung einen positiven, und nicht wie vermutet,<br />
negativen Zusammenhang zwischen den KPV und der Zufriedenheit mit dem<br />
gekauften Produkt ergeben. <strong>Der</strong> Gesamteffekt der KPV, der auch indirekte<br />
Effekte über Mediatorvariablen berücksichtigt, ist insgesamt negativ, aber<br />
relativ gering. Als mögliche Erklärung für den positiven direkten Zusammenhang<br />
der beiden Konstrukte wurde oben eine Art „Self-Fullfilling<br />
Prophecy“-Verhalten des Konsumenten gegeben: <strong>Der</strong> Konsument erwartet<br />
folglich, dass ein Produkt, das er nach einem für ihn schweren Entscheidungsprozess<br />
gekauft hat, auch gut sein muss, da er sich bei der Entscheidung sehr<br />
angestrengt und bemüht hat. Die Pfade über die Kaufprozesszufriedenheit und<br />
die Kognitive Dissonanz zeigen dagegen einen negativen Zusammenhang in<br />
etwa gleicher Höhe, was zu einem insgesamt fast neutralen Gesamteffekt<br />
führt.<br />
Alle anderen Hypothesen können aufrechterhalten werden. So haben die<br />
Parameterschätzungen ergeben, dass sich die KPV bzw. NPV negativ bzw. positiv auf<br />
die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess auswirken und rund 50% der Varianz dieser<br />
erklären können. Die relative Einflussstärke der beiden Dimensionen liegt dabei mit<br />
42% bzw. 58% in einer vergleichbaren Größenordnung.<br />
Ferner konnte gezeigt werden, dass die Kognitive Dissonanz durch die<br />
Kaufprozesszufriedenheit reduziert und durch die KPV erhöht wird. <strong>Der</strong> relative<br />
339
Einfluss der KPV ist dabei fast doppelt so hoch wie der des Nutzenkonstrukts, was die<br />
Bedeutung der Entscheidungsschwierigkeit für die psychischen Reaktionen des<br />
Konsumenten unmittelbar nach der Kaufentscheidung verdeutlicht.<br />
Die Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt wird in etwa gleicher Höhe durch die<br />
Nutzenaspekte <strong>von</strong> Vielfalt und die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess beeinflusst.<br />
Beide wirken sich positiv auf die Produktzufriedenheit aus, wohingegen die Kognitive<br />
Dissonanz eine negative Wirkung auf diese zeigt. Vergleicht man den Einfluss der<br />
KPV und NPV, so dominieren letztere ganz deutlich, was an dem schon erläuterten<br />
neutralisierenden Effekt <strong>von</strong> direktem und indirektem Einfluss der Kostenaspekte auf<br />
die Produktzufriedenheit liegt. Das Ergebnis kann als indirekter Hinweis auf das<br />
Expectation-Disconfirmation Paradigma (vgl. Yi 1990, S. 87ff.) interpretiert werden,<br />
da mit der Vielfalt auch die Wahrscheinlichkeit steigt, ein Produkt mit den erwarteten<br />
Eigenschaften zu finden.<br />
Schließlich konnte die Bedeutung der positiven Aspekte großer Sortimente für die<br />
Loyalität zu einem Geschäft unterstrichen werden. Diese tragen im direkten Vergleich<br />
mit der Kaufprozesszufriedenheit 76% zur erklärten Loyalität gegenüber dem Geschäft<br />
bei. Dies soll aber nicht darüber hinweg täuschen, dass der Kaufprozess die Loyalität<br />
signifikant beeinflusst. Gleiches gilt für die KPV, die relativ zu den Nutzenaspekten<br />
zwar einen geringen, aber signifikanten negativen Einfluss haben. Dies zeigt auf, dass<br />
Einzelhändler die Loyalität ihrer Konsumenten nicht grenzenlos durch die<br />
Ausdehnung der Sortimente steigern können.<br />
Durch die Bestätigung der Hypothesen hinsichtlich der Konsequenzen <strong>von</strong> Kosten und<br />
Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> wurde auch die Relevanz dieses Konstrukts, sowie die<br />
nomologische Validität des Messmodells unterstrichen.<br />
Aus Unternehmenssicht folgt aus den Ergebnissen, dass große Sortimente positive<br />
Aspekte haben, die sich auch positiv auf mittel- und langfristige Reaktionen <strong>von</strong><br />
Konsumenten auswirken. Gleichermaßen konnte aber auch gezeigt werden, dass hohe<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> aus Konsumentensicht Kostenaspekte aufweist, die sich negativ auf<br />
mittel- und langfristige Konsequenzen auswirken können. Unternehmen sollten<br />
deshalb Maßnahmen ergreifen, die die KPV, sprich die Entscheidungsschwierigkeit<br />
reduzieren und dabei die positiven Aspekte konstant halten oder betonen. Im<br />
Diskussionsteil werden die Implikationen für die Unternehmenspraxis detailliert<br />
dargestellt (siehe Kapitel 6.2, S. 397ff.).<br />
Die bisherigen Analysen dienten dazu, die aus der Theorie abgeleiteten Hypothesen zu<br />
überprüft. Es besteht aber die Möglichkeit, dass neben den vermuteten<br />
340
Zusammenhängen noch weitere bestehen. Diese sollen im nächsten Kapitel zusammen<br />
mit weiteren Einflussgrößen in verschiedenen erweiterten Modellen berücksichtigt<br />
werden.<br />
4.4 Erweiterte Modelle und weiterführende Untersuchungen<br />
Im Folgenden werden nacheinander verschiedene Erweiterungen des aus der Theorie<br />
abgeleiteten Gesamtmodells vorgenommen. So wird dieses zunächst um signifikante<br />
Beziehungen zwischen den Konstrukten erweitert, um so nicht vermutete<br />
Beziehungen aufzudecken. In einem nächsten Modell werden mit der Beratungszufriedenheit<br />
und der Preisführerschaft des Einzelhändlers zwei weitere Konstrukte,<br />
die sich auf Charakteristika des Geschäfts beziehen und in Expertengesprächen häufig<br />
als bedeutungsvoll genannt wurden, im Modell berücksichtigt. Schließlich werden im<br />
letzten Abschnitt mit der Expertise (produktspezifisches Wissen) und dem Optimum<br />
<strong>St</strong>imulation Level personenspezifische Einflüsse des Konsumenten auf die Kosten<br />
und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> untersucht.<br />
4.4.1 Erweitertes <strong>St</strong>rukturmodell<br />
Die Untersuchung, ob weitere signifikante Beziehungen zwischen den<br />
Modellkonstrukten bestehen, die aus der Theorie so nicht abgeleitet wurden, hat eher<br />
explorativen Charakter. <strong>Der</strong> PLS-Ansatz, der verglichen z. B. mit LISREL ebenfalls<br />
explorativ und nicht konfirmatorisch ist, ist hierfür besonders geeignet (vgl.<br />
Tenenhaus 2004, S. 62ff). Zur Identifikation bisher nicht berücksichtigter<br />
Beziehungen wurde nacheinander jeder Faktor mit allen ihm im Sinne des<br />
CDP-Modells <strong>von</strong> Blackwell, Miniard und Engel (2001) nachgelagerten oder<br />
gleichstufigen Konstrukten (siehe auch S. 15f.) in Verbindung gesetzt. Die<br />
Einschränkung auf Beziehungen mit nachgelagerten Konstrukten und auf Konstrukte,<br />
die auf derselben Kaufprozessstufe stehen, ist darin begründet, dass nur diese<br />
Zusammenhänge inhaltlich sinnvoll interpretierbar sind.<br />
Nur eine dieser neu eingefügten Beziehungen hat sich als signifikant erwiesen: Die<br />
Loyalität zum Geschäft wirkt sich positiv auf die Loyalität zur Marke aus. <strong>Der</strong><br />
Pfadkoeffizient zwischen diesen beiden Konstrukten ist dabei mit 0,330 rund doppelt<br />
341
so hoch, wie der zwischen der Produktzufriedenheit und der Loyalität zur Marke<br />
(siehe Tabelle 69). Die positive Auswirkung der Loyalität zum Geschäft auf die<br />
Markenloyalität kann folgendermaßen interpretiert werden: Will ein Konsument ein<br />
neues Produkt kaufen, denkt er zunächst daran WO er es kauft und nicht welche<br />
MARKE er erwerben will.<br />
Die Einführung der neuen Beziehung kann das Bestimmtheitsmaß des Konstrukts<br />
Loyalität zur Marke zwar <strong>von</strong> 0,087 auf 0,182 erhöhen, dieses bleibt aber dennoch<br />
deutlich unter dem Grenzwert <strong>von</strong> 0,3. Auch das <strong>St</strong>one-Geissers Q 2 ist negativ, was<br />
die Aussagekräftigkeit des Modells in Bezug auf dieses Konstrukt in Frage stellt.<br />
Zurückzuführen ist dies wahrscheinlich, wie bereits oben erläutert, auf den Zeitpunkt<br />
der Befragung unmittelbar nach dem Kauf, zu dem der Befragte die Produktzufriedenheit<br />
nur antizipieren kann, was zur Folge hat, dass ein wesentlicher<br />
Einflussfaktor der Markenloyalität (vgl. Oliver 1980; Fornell 1992, S. 14,<br />
Anderson/Sullivan 1993; S. 141) noch mit hoher Unsicherheit behaftet ist.<br />
Festzuhalten bleibt, dass die Beziehung zwischen den Konstrukten Loyalität zum<br />
Geschäft und Loyalität zur Marke positiv und signifikant ist, diese insgesamt aber<br />
aufgrund der Unterschreitung der Gütemaße auf Gesamtkonstruktebene<br />
(Markenloyalität) nicht beibehalten wird. Die Untersuchungsergebnisse können daher<br />
nur als erster Hinweis für die positive Auswirkung der Loyalität zum Geschäft auf die<br />
Loyalität zur Marke interpretiert werden.<br />
Exogene<br />
Konstrukte<br />
Zufriedenheit<br />
Produkt<br />
Loyalität<br />
Geschäft<br />
Tabelle 69:<br />
Zielkonstrukt<br />
Loyalität<br />
Marke<br />
t-<strong>Wert</strong><br />
(Pfadkoeffizient)<br />
Hypothese<br />
Ausgangskonstruktebene<br />
(exogene Variable)<br />
Pfadkoeffizient<br />
Zielkonstruktebene<br />
(endogene Var.)<br />
VIF f 2 R 2 Q 2<br />
(Redu.)<br />
⏐⏐> 0,1 > 1,98 < 10 > 0,05 > 0,3 > 0<br />
+ () 0,170 2,516 1,133 0,032<br />
n.a. 0,330 4,369 1,133 0,116<br />
Gütemaße des Zielkonstrukts Loyalität zur Marke im erweiterten Modell<br />
0,182 -0,157<br />
342
4.4.2 Einfluss <strong>von</strong> Beratungszufriedenheit und Preisführerschaft<br />
Beratung und Preisniveau wurden in Expertengesprächen vor allem <strong>von</strong> Filialleitern<br />
des kooperierenden Handelsunternehmens neben dem Sortiment als besonders<br />
einflussreich auf das Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten genannt. Die Marketingforschung<br />
kommt zu ähnlichen Ergebnissen: So konnten z. B. Hoch Bradlow und Wansik (1999)<br />
zeigen, dass die Preise eines Geschäfts nach dessen Lage das zweitwichtigste<br />
Auswahlkriterium bei der Einkaufsstättenwahl sind (S. 527). Die Bedeutung der<br />
Beratung konnte beispielsweise Haas (2001, S. 10ff.) zeigen, nach dessen<br />
Forschungsergebnissen sich Beratungszufriedenheit positiv auf das Kauf- und<br />
Weiterempfehlungsverhalten der Konsumenten auswirkt. Aus diesen Gründen sollen<br />
sowohl Beratungs- als auch Preisaspekte in die Untersuchung einbezogen und dem<br />
Einfluss des Sortiments im Sinne der KPV und NPV gegenübergestellt werden. Mit<br />
dem Konstrukt Beratungszufriedenheit wurden die Aspekte der Beratung umfassend<br />
und aus der Perspektive des Konsumenten abgebildet. Die durch Konsumenten<br />
wahrgenommene Preisführerschaft eines Geschäfts greift hingegen einen speziellen<br />
Preisaspekt heraus, der laut Expertenmeinung besonders einflussreich ist. So stufen es<br />
verschiedenen Filialleiter als sehr wichtig ein, Produkte im Vergleich zu<br />
Wettbewerbern günstiger anzubieten – also Preisführer zu sein.<br />
Die nächsten Abschnitte beschreiben nach der Operationalisierung der beiden<br />
Konstrukte deren Auswirkung auf das Kaufverhalten und die Kaufevaluation.<br />
4.4.2.1 Messung der Konstrukte Beratungszufriedenheit und Preisführerschaft<br />
Beratungszufriedenheit<br />
Das Konstrukt Beratungszufriedenheit wurde durch insgesamt fünf reflektive<br />
Indikatoren operationalisiert, wobei die Messung jeweils mittels einer 7-stufigen<br />
Likertskala erfolgte. Die Operationalisierung lehnt sich an Forschungsergebnisse <strong>von</strong><br />
Haas (2001) an, der festgestellt hat, dass die Beratungszufriedenheit im Wesentlichen<br />
durch drei Faktoren bestimmt wird (S. 15):<br />
1. Die Entscheidungshilfe der Ausführungen<br />
2. Ein positives Gesprächsklima.<br />
3. Fachwissen des Beraters<br />
343
Neben diesen drei Aspekten wurden zusätzlich die Globalzufriedenheit und die<br />
Verfügbarkeit des Beraters erfragt. Letztes wurde in Gesprächen mit Konsumenten<br />
im Vorfeld der Untersuchung immer wieder als Kritikpunkt bezüglich der Beratung<br />
genannt und deshalb zusätzlich im Messmodell aufgenommen. Tabelle 70 zeigt die<br />
Operationalisierung des Konstrukts Beratungszufriedenheit.<br />
Kürzel Item Inhalt Quelle<br />
Ber1 Wie zufrieden waren Sie mit der Beratung? Globalurteil Keine Quelle<br />
Ber2<br />
Ber3<br />
<strong>Der</strong> Berater war mir bei der Entscheidung<br />
eine grosse Hilfe.<br />
<strong>Der</strong> Verkäufer war kompetent und hat mich<br />
gut und unabhängig informiert.<br />
Entscheidungshilfe<br />
Kompetenz und<br />
Unabhängigkeit<br />
Ber4 <strong>Der</strong> Berater war freundlich und hilfsbereit. Positives Gesprächsklima<br />
In Anlehnung an<br />
Haas (2001, S. 15)<br />
Ber5<br />
Ich musste lange warten, bis ein Berater für<br />
mich Zeit hatte (Invers).<br />
Verfügbarkeit<br />
Expertengespräche<br />
Tabelle 70:<br />
Operationalisierung des Konstrukts Beratungszufriedenheit<br />
Die Gütebeurteilung des Konstrukts erfolgt anhand der schon bekannten Kriterien,<br />
Tabelle 71 stellt die Ergebnisse dar. Zu erkennen ist hierin, dass alle Gütekriterien<br />
deutlich erfüllt werden. So liegen sämtliche Ladungen über 0,780 und sind mit einem<br />
minimalen t-<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> rund 22 hochsignifikant. Auf Konstruktebene sprechen die<br />
DEV <strong>von</strong> knapp 70% und die interne Konsistenz <strong>von</strong> 0,919 für eine hohe<br />
Konvergenzvalidität. Die Unidimensionalität der Konstruktmessung kommt durch<br />
einen ersten Eigenwert <strong>von</strong> rund 3,6 und einen zweiten <strong>von</strong> 0,506 ebenso wie durch<br />
ein Cronbachs Alpha <strong>von</strong> über 0,9 zum Ausdruck.<br />
Konstrukt<br />
Beratungszufriedenheit<br />
Indikatorenebene<br />
Indikator Ladung t-<strong>Wert</strong><br />
(Ladung)<br />
DEV<br />
Interne<br />
Konsistenz<br />
Konstruktebene<br />
Q 2<br />
Eigenwerte<br />
(EW)<br />
Kriterium > 0,70 > 1,98 > 0,50 > 0,60 > 0 1. EW > 1<br />
2. EW < 1<br />
Ber1 0,841 31,918<br />
Ber2 0,857 45,868<br />
Ber3 0,877 46,712<br />
Ber4 0,805 22,661<br />
Ber5_Inv 0,780 26,684<br />
0,693 0,919 0,554 3,613<br />
0,506<br />
Cronbachs<br />
Alpha<br />
> 0,70<br />
0,903<br />
Tabelle 71:<br />
Gütekriterien des PLS-Messmodells der Beratungszufriedenheit<br />
344
Weiterhin ist zu überprüfen, ob die Messung der Beratungszufriedenheit die Kriterien<br />
hinsichtlich der Diskriminanzvalidität erfüllt und durch die Messung auch tatsächlich<br />
etwas anderes, als durch die bisherigen Konstrukte gemessen wird. Dies erfolgt wie<br />
schon bekannt zum einen anhand der Korrelationen zwischen manifesten und<br />
latenten Variablen, und zum anderen mit Hilfe des Fornell-Larcker-Kriteriums.<br />
Tabelle 72 und Tabelle 73 stellen die entsprechenden Ergebnisse dar.<br />
man. Var.<br />
lat. Var.<br />
Loyalität<br />
Geschäft<br />
Loyalität<br />
Marke<br />
Zufriedenheit<br />
Produkt<br />
Kognitive<br />
Dissonanz<br />
Zufriedenheit<br />
Prozess<br />
Beratungszufriedenheit<br />
Preisführerschaft<br />
Preis 1,0000<br />
Ber1 0,8332<br />
Ber2 0,8690<br />
Ber3 0,8902<br />
Ber4 0,8164<br />
Ber5 0,7927<br />
SatProz1 0,5303 0,7561<br />
SatProz2 0,8842<br />
SatProz3 0,8909<br />
SatProz4 0,7911<br />
SatProd1 0,7987<br />
SatProd2 0,7817 0,5017<br />
SatProd3 0,8738 0,5164<br />
SatProd4 0,8159<br />
SatProd5 0,8227<br />
LoyMa1 0,7791<br />
LoyMa2 0,7424<br />
LoyMa3 0,8938<br />
LoyMa5 0,8475<br />
LoyGe1 0,8953<br />
LoyGe2 0,8671<br />
LoyGe3 0,9117<br />
LoyGe5 0,8938<br />
KogDis2 0,7346<br />
KogDis3 0,7982<br />
KogDis4 0,8505<br />
Tabelle 72: Korrelationen manifester und latenter Variablen der Konsequenzen des erweiterten<br />
Modells (zur besseren Lesbarkeit wurden Korrelationen unter 0,5 nicht abgebildet; p < 0,01)<br />
Aus obiger Tabelle ist zu erkennen, dass die manifesten Variablen des Konstrukts<br />
Beratungszufriedenheit nur mit der latenten Variablen Beratungszufriedenheit<br />
345
korrelieren. Gleichzeitig konnten keine Korrelationen über 0,50 zwischen dieser und<br />
den manifesten Variablen anderer Konstrukte des <strong>St</strong>rukturmodells festgestellt werden.<br />
Dies spricht für die Diskriminanzvalidität der Messung, die auch durch die sehr<br />
deutliche Erfüllung des Fornell-Larcker-Kriteriums (siehe Tabelle 73) zum<br />
Ausdruck kommt.<br />
Faktoren<br />
Zufriedenheit<br />
Kaufprozess<br />
Kognitive<br />
Dissonanz<br />
Zufriedenheit<br />
Produk<br />
Loyalität<br />
Marke<br />
Loyalität<br />
Geschäft<br />
Beratungszufreidenheit<br />
Preisführer<br />
schaft<br />
Zufriedenheit<br />
Kaufprozess<br />
0,693 quadrierte Korrelationen<br />
Kognitive<br />
Dissonanz<br />
0,633 0,296<br />
Zufriedenheit<br />
Produkt<br />
0,667 0,336 0,186<br />
Loyalität Marke 0,669 0,008 0,001 0,081<br />
Loyalität<br />
Geschäft<br />
Beratungszufriedenheit<br />
0,796 0,262 0,051 0,117 0,157<br />
0,693 0,284 0,072 0,068 0,007 0,268<br />
Preisführerschaft 1,000 0,051 0,015 0,028 0,048 0,165 0,033<br />
DEV 0,693 0,633 0,667 0,669 0,796 0,693 1,000<br />
Tabelle 73: Ergebnisse der Überprüfung des Fornell-Larcker-Kriteriums unter Berücksichtigung<br />
<strong>von</strong> Beratungszufriedenheit und Preisführerschaft<br />
Insgesamt erfüllt die Messung der Beratungszufriedenheit damit alle vorgegebenen<br />
Gütekriterien.<br />
Preisführerschaft<br />
Die Preisführerschaft des Geschäfts wurde mittels folgender Frage operationalisiert:<br />
„Digitalkameras/DVD-Player sind hier billiger als in anderen Geschäften“ (1: stimme<br />
überhauptnicht zu ... 7: <strong>St</strong>imme vollkommen zu). <strong>Der</strong>artige Single-item measures<br />
werden häufig kritisiert, da sie die verschiedenen Komponenten komplexer Konstrukte<br />
nur unzureichend abbilden können und auch hinsichtlich der Validitätsbeurteilung<br />
Probleme aufwerfen (vgl. Yi 1990, S. 71). Dennoch ist die Operationalisierung der<br />
Preisführerschaft durch nur eine manifeste Variable in diesem Fall vertretbar, da die<br />
346
durch Konsumenten wahrgenommene Preisführerschaft eines Geschäfts ein Konstrukt<br />
<strong>von</strong> geringer Komplexität ist, das relativ eindeutig durch eine Frage abgebildet werden<br />
kann. Die Inhaltsvalidität scheint daher erfüllt zu sein. Durch die geringe Korrelation<br />
der manifesten Variable Preisbereitschaft mit den anderen latenten bzw. manifesten<br />
Variablen des Modells (siehe Tabelle 72 bzw. Tabelle 73 oben) kann auch <strong>von</strong><br />
Diskriminanzvalidität ausgegangen werden. <strong>Der</strong> Zufallsfehler der Messung ist<br />
dagegen nicht abschätzbar. Dennoch kann insgesamt <strong>von</strong> einer Messung der<br />
wahrgenommenen Preisführerschaft ausgegangen werden, die unter forschungsökonomischen<br />
Gesichtspunkten als sinnvoll bezeichnet werden kann.<br />
<strong>Der</strong> nächste Abschnitt beschreibt die Auswirkungen der beiden Konstrukte<br />
Beratungszufriedenheit und Preisführerschaft auf die Kaufentscheidung und die<br />
Nachkaufbewertung der Konsumenten.<br />
4.4.2.2 <strong>Der</strong> Einfluss <strong>von</strong> Beratungszufriedenheit und Preisführerschaft auf die<br />
Kaufentscheidung und Nachkaufbewertung<br />
Einfluss auf die Kaufintention<br />
In Tabelle 74 sind die Ergebnisse der Parameterschätzungen dargestellt. Zu erkennen<br />
ist hierbei, dass weder die Beratungszufriedenheit noch die Preisführerschaft die<br />
Kaufabsicht signifikant beeinflussen. Dieses Resultat ist durchaus überraschend, da<br />
beide Aspekte <strong>von</strong> Handelsexperten als besonders wichtig eingestuft wurden. Für ein<br />
Handelsunternehmen kann aus den Analyseergebnissen hinsichtlich der<br />
Preisführerschaft geschlossen werden, dass es für Konsumenten nicht entscheidend ist,<br />
möglichst preiswert einzukaufen; sie wollen ein Produkt „nur“ nicht wesentlich teurer<br />
kaufen, als dies in einem anderen Geschäft möglich wäre. <strong>Der</strong> Einzelhändler muss<br />
folglich nicht billiger sein als seine Wettbewerber, darf deren Preise vermutlich aber<br />
auch nicht signifikant überbieten.<br />
347
Ausgangskonstruktebene<br />
(exogene Variable)<br />
Zielkonstruktebene<br />
(endogene Var.)<br />
Exogene<br />
Konstrukte<br />
Zielkonstrukt<br />
t-<strong>Wert</strong><br />
(Pfadkoeffizient)<br />
Hypothese<br />
Pfadkoeffizient<br />
VIF f 2 R 2 Q 2<br />
(Redu.)<br />
⏐⏐> 0,1 > 1,98 < 10 > 0,05 > 0,3 > 0<br />
NPV + () 0,328 6,856 1,658 0,106<br />
0,333 0,132<br />
Preisführerschaft<br />
KPV – () -0,266 6,429 1,253 0,087<br />
Kaufintention<br />
Beratungszufriedenheit<br />
n.a. 0,117 1,655 1,299 0,015<br />
Tabelle 74:<br />
n.a. 0,058 1,494 1,221 0,003<br />
Wirkung <strong>von</strong> Beratungszufriedenheit und Preisführerschaft auf die Kaufintention<br />
Das Ergebnis hinsichtlich der Beratungszufriedenheit bedarf einer genaueren<br />
Analyse, da in der Analyse auch Konsumenten berücksichtigt sind, die nicht beraten<br />
wurden (42%; 250 Personen). Da diese Personen keine Angaben über die<br />
Beratungszufriedenheit machen konnten, fehlen alle Indikatorwerte dieser Befragten<br />
(Missing Values). PLS nimmt folglich den <strong>Wert</strong> der latenten Variablen<br />
Beratungszufriedenheit dieser Personen als „missing“ an und bezieht ihn nicht in die<br />
Untersuchung ein (vgl. Tenenhaus et al. 2004, S. 14). Da dies nur für Daten der<br />
nicht-beratenen Konsumenten erfolgt, kann es zu einer systematischen Beeinflussung<br />
der Parameterschätzungen kommen. Dass die Beratungszufriedenheit keinen Einfluss<br />
auf die Kaufintention hat, kann deshalb bezweifelt werden.<br />
Gestützt wird dieser Zweifel auch durch den in Abbildung 69 dargestellten Vergleich<br />
des Käuferanteils <strong>von</strong> beratenen und nicht beratenen Konsumenten. So haben 66% der<br />
Befragten, die beraten wurden, das entsprechende Produkt gekauft. Im Vergleich<br />
hierzu haben sich nur 28% der nicht beratenen Kunden zum Kauf entschlossen. <strong>Der</strong><br />
Anteil der Käufer unter den beratenen Konsumenten ist somit mehr als doppelt so<br />
hoch, als der Anteil der Käufer unter Personen, die nicht beraten wurden. Auch wenn<br />
die PLS-Analyse den positiven Einfluss der Beratungszufriedenheit auf die<br />
Kaufintention nicht zeigen konnte, kann dennoch <strong>von</strong> diesem ausgegangen werden.<br />
Die <strong>St</strong>ärke des Einflusses und dessen Relation zu den Sortimentsaspekten im Sinne<br />
<strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> ist an dieser <strong>St</strong>elle nicht abschätzbar und<br />
kann Teil weiterführender Untersuchungen sein.<br />
348
Anteil der<br />
Befragten<br />
70%<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
72% der nicht<br />
beratenen<br />
Kunden haben<br />
nicht gekauft<br />
42%<br />
72%<br />
58%<br />
34%<br />
66%<br />
66% der<br />
beratenen<br />
Kunden haben<br />
gekauft<br />
10%<br />
0%<br />
nein<br />
28%<br />
Beratung<br />
ja<br />
Kauf<br />
kein Kauf<br />
Abbildung 69: Anteil der Käufer und Nicht-Käufer <strong>von</strong> beratenen und nicht beratenen Konsumenten<br />
Neben der kurzfristigen Auswirkung auf den Ausgang der Kaufentscheidung<br />
interessiert auch, wie sich die Preisführerschaft und Beratungszufriedenheit<br />
mittelfristig auf die Zufriedenheit und Loyalität der Konsumenten auswirkt.<br />
Auswirkungen auf die Nachkaufbewertung<br />
Genau wie bei der Identifikation nicht vermuteter Beziehungen, wurde auch hier<br />
explorativ vorgegangen (siehe S. 341f.): Die Konstrukte Beratungszufriedenheit und<br />
Preisführerschaft wurden mit allen anderen Konstrukten außer den KPV und NPV, die<br />
ebenfalls rein exogenen Charakter haben, in Beziehung gesetzt. Daraufhin sind alle<br />
nicht signifikanten Beziehungen entfernt worden. Abbildung 70 zeigt das endgültige<br />
<strong>St</strong>rukturmodell, die entsprechenden Gütemaße sind in Tabelle 75 dargestellt.<br />
Die wahrgenommene Preisführerschaft wirkt sich nur auf die Loyalität zum Geschäft<br />
signifikant positiv aus. Hierauf hat auch die Beratungszufriedenheit einen positiven<br />
Einfluss. Durch die Berücksichtigung dieser beiden Konstrukte kann der Anteil der<br />
erklärten Varianz dieses Konstrukts im Vergleich zum Grundmodell um 7,7<br />
Prozentpunkte auf 50,2% erhöht werden. Betrachtet man die relative Einflussstärke<br />
der verschiedenen Aspekte, so nimmt der Nutzen <strong>von</strong> Vielfalt mit 47% gegenüber der<br />
Beratungszufriedenheit (31%) und der Preisführerschaft (22%) die führende Rolle ein.<br />
Die (positiven) Sortimentsaspekte beeinflussen die Loyalität zu einem Geschäft<br />
folglich stärker als die Beratung und die Möglichkeit, ein Produkt dort im Vergleich<br />
zu anderen Geschäften billiger kaufen zu können.<br />
349
Modellerweiterung<br />
Loyalität<br />
Geschäft<br />
Loyalität<br />
Marke<br />
PF<br />
Beratungszufriedenheit<br />
Preisführerschaft<br />
BZ<br />
0,204 0,339<br />
LG<br />
0,281<br />
Nutzen<br />
NPV<br />
0,432<br />
0,244<br />
R 2 =0,502<br />
0,337<br />
0,400<br />
0,090 NS<br />
Zufriedenheit<br />
Prozess<br />
ZP<br />
R 2 =0,549<br />
0,346<br />
LM<br />
ZPr<br />
- 0,230<br />
KD<br />
- 0,422 kognitive<br />
Dissonanz<br />
- 0,316<br />
R 2 =0,183<br />
0,170<br />
Zufriedenheit<br />
Produkt<br />
R 2 =0,445<br />
R 2 =0,332<br />
0,227<br />
0,189<br />
Kosten<br />
KPV<br />
Evaluation und zukünftige Verhaltensabsicht<br />
Konstrukt<br />
Abbildung 70: Erweitertes <strong>St</strong>rukturmodell unter Berücksichtigung <strong>von</strong> Beratungszufriedenheit und<br />
Preisführerschaft<br />
Erstaunlich ist, dass die KPV keinen negativen Einfluss mehr auf die Loyalität zum<br />
Geschäft haben: <strong>Der</strong> t-<strong>Wert</strong> des Pfadkoeffizienten zwischen der Kaufprozesszufriedenheit<br />
und der Handelsloyalität liegt mit einem <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 1,555 unterhalb der<br />
Signifikanzgrenze <strong>von</strong> 1,98, weshalb die Beziehung zwischen diesen Konstrukten<br />
entfernt werden muss. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass der Konsument seine<br />
Zufriedenheit mit dem Kaufprozess in erheblichem Maße durch den Berater bestimmt<br />
sieht und die Kaufprozesszufriedenheit folglich großteils auf die Beratungszufriedenheit<br />
projiziert.<br />
Die Beratungszufriedenheit wirkt sich folglich positiv auf die Kaufprozesszufriedenheit<br />
aus. Die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess wird auch unter<br />
Berücksichtigung der Beratung zu 66% <strong>von</strong> positiven bzw. negativen Aspekten der<br />
Sortimentsvielfalt bestimmt. Die Beratungszufriedenheit hat aber mit einem relativen<br />
Einfluss <strong>von</strong> 34% einen Erklärungsanteil in vergleichbarer Höhe wie die KPV (44%)<br />
und NPV (27%). Insgesamt kann der Anteil der Varianzerklärung durch die<br />
Einbeziehung der Beratungszufriedenheit gegenüber dem Grundmodell um 4,4<br />
Prozentpunkte auf rund 55% erhöht werden.<br />
350
Ausgangskonstruktebene<br />
(exogene Variable)<br />
Zielkonstruktebene<br />
(endogene Var.)<br />
Exogene<br />
Konstrukte<br />
Zielkonstrukt<br />
t-<strong>Wert</strong><br />
(Pfadkoeffizient)<br />
Hypothese<br />
Pfadkoeffizient<br />
VIF f 2 R 2 Q 2<br />
(Redu.)<br />
⏐⏐> 0,1 > 1,98 < 10 > 0,05 > 0,3 > 0<br />
Nutzen + () 0,400 8,916 1,412 0,266<br />
Zufriedenheit<br />
Kosten<br />
Kaufprozess<br />
– () -0,316 8,107 1,253 0,182<br />
n.a. 0,244 4,094 1,300 0,102<br />
KPV + () 0,227 3,689 1,397 0,057<br />
Kognitive<br />
Zufriedenheit Dissonanz<br />
Prozess<br />
– () -0,422 7,248 1,397 0,192<br />
0,549 0,299<br />
0,332 0,051<br />
NPV + () 0,337 5,810 1,397 0,126<br />
KPV – ( ) 0,189 2,845 1,412 0,045<br />
Zufriedenheit<br />
Kognitive Produkt<br />
– () -0,230 4,757 1,511 0,065<br />
Dissonanz<br />
Zufriedenheit<br />
Prozess<br />
+ () 0,346 4,726 1,972 0,094<br />
NPV + () 0,432 8,728 1,490 0,265<br />
Zufriedenheit<br />
Kaufprozess<br />
Beratungszufriedenheit<br />
Beratungszufriedenheit<br />
Preisführerschaft<br />
Zufriedenheit<br />
Produkt<br />
Loyalität<br />
Handel<br />
60<br />
Loyalität<br />
+ ( ) 0,090 1,555 – –<br />
Geschäft<br />
Loyalität<br />
Marke<br />
n.a. 0,281 3,948 1,264 0,125<br />
n.a. 0,204 4,378 1,218 0,072<br />
+ ( ) 0,170 2,486 1,133 0,031<br />
n.a. 0,339 4,525 1,133 0,118<br />
0,445 0,176<br />
0,502 0,279<br />
0,183 -0,157<br />
Tabelle 75: Gütemaße des erweiterten <strong>St</strong>rukturmodells unter Berücksichtigung <strong>von</strong><br />
Beratungszufriedenheit und Preisführerschaft<br />
Zusammenfassung<br />
Ein Berater kann sowohl die kurzfristige Zufriedenheit mit dem Kaufprozess als auch<br />
die mittel- bzw. langfristige Loyalität gegenüber dem Geschäft beeinflussen, indem er<br />
60 Bei der Analyse nicht berücksichtigt.<br />
351
Konsumenten freundlich, unabhängig und kompetent berät und sie aktiv bei der<br />
Entscheidungsfindung unterstützt. Gute Beratung ist folglich im Hinblick auf die<br />
Kaufprozessbewertung wichtig. Die Untersuchung konnte dagegen keinen Einfluss der<br />
Beratungszufriedenheit auf den Ausgang der Kaufentscheidung zeigen. Hierauf hat<br />
auch die Preisführerschaft keinen Einfluss. Diese wirkt sich insgesamt nur positiv auf<br />
die Loyalität zum Geschäft aus. Für Handelsunternehmen folgt darauf, dass sie nicht<br />
notwendigerweise billiger sein müssen als ihre Konkurrenten, um insgesamt<br />
erfolgreicher zu sein. Gleichzeitig dürfen sie aber vermutlich auch nicht wesentlich<br />
teurer sein. Ein Einzelhändler sollte deshalb versuchen, seine Preise auf einem<br />
ähnlichen Niveau wie seine direkten Wettbewerber zu halten.<br />
4.4.3 Personenimmanente Eigenschaften<br />
Dieser Abschnitt beschäftigt sich damit, inwiefern sich personenimmanente<br />
Eigenschaften auf Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auswirken. Nachfolgend<br />
werden die Untersuchungsergebnisse zum Einfluss <strong>von</strong> Expertise und Optimum<br />
<strong>St</strong>imulation Level auf die beiden Konstrukte beschrieben. Da die Untersuchung der<br />
moderierenden Effekte <strong>von</strong> personenspezifischen Eigenschaften keinen Schwerpunkt<br />
der Untersuchung darstellt, soll aus forschungsökonomischen Gründen nur überprüft<br />
werden, ob Einflusstendenzen erkennbar sind. Eine umfassende und tiefgehende<br />
Untersuchung bleibt späteren Arbeiten vorbehalten.<br />
4.4.3.1 Expertise<br />
Im Rahmen der Ausführungen zur Tyranny of Freedom (siehe S. 84ff.) wurde<br />
deutlich, dass die Expertise und das Involvement eines Konsumenten dessen „Point of<br />
Regret“ verschieben und somit vor allem die Vielfaltskosten beeinflussen können. In<br />
der vorliegenden Arbeit wird nur der Einfluss der Expertise, nicht aber der des<br />
Involvement untersucht. Um dies zu begründen, soll kurz auf das Involvement<br />
eingegangen werden.<br />
Zusammenhang <strong>von</strong> Involvement in einer Kaufsituation und Expertise<br />
Trommsdorff (1993) bezeichnet das Involvement als ein „Schlüsselkonstrukt der<br />
Marketingforschung“ (S. 48) und definiert es als „Aktivierungsgrad bzw. Motivstärke<br />
352
zur objektgerichteten Informationssuche, -aufnahme, -verarbeitung und –<br />
speicherung“ (S. 49). Die motivierende Komponente des Involvement bringt auch<br />
Rothschild (1984) in seiner Definition zum Ausdruck: „Involvement is an<br />
unobservable state of motivation, arousal or interest. It is evoked by a particular<br />
stimulus or situation. It has drive properties: its consequences are types of searching,<br />
information processing and decision making“ (Rothschild 1984, S. 217).<br />
In der Literatur werden verschiedene Arten <strong>von</strong> Involvement wie z. B. Product<br />
Involvement (vgl. Bloch 1982, S. 413) oder das Purchase Involvement (vgl.<br />
Beatty/Kahle/Homer 1988, S. 149 ff.) unterschieden. Im Rahmen dieser Untersuchung<br />
interessiert aber vor allem das in einer bestimmten Kaufsituation <strong>von</strong> einem<br />
Konsumenten empfundene Involvement, das als Felt Involvement (vgl. z. B.<br />
Peter/Olson 2002, S. 88) bezeichnet wird. Wie der Name bereits verdeutlicht, handelt<br />
es sich hierbei um einen psychischen Zustand, den Konsumenten nur zu bestimmten<br />
Zeitenpunkten und Gelegenheiten empfinden (vgl. Peter/Olson 2002, S. 88). <strong>Der</strong><br />
involvierte Zustand gründet dabei sowohl auf situativen Aspekten (Situational<br />
Involvement), als auch auf anhaltenden Eigenschaften des Individuums (Enduring<br />
Involvement, Ego Involvement). Situational Involvement, das vor allem auf das bei<br />
einem Kauf wahrgenommene Risiko zurückzuführen ist (vgl. Bloch/Richins 1983,<br />
S. 70) und Enduring Involvement können somit als Antezedenzien des Felt<br />
Involvement verstanden werden (vgl. Celsi/Olson 1988, S. 211). Das Enduring<br />
Involvement gründet hierbei auf dem emotionalen Aktivierungspotenzial eines<br />
Produktes (vgl. Laurent/Kapferer 1985, S. 44), dessen Bedeutung für den<br />
Konsumenten und seiner sozialen Wirkung (vgl. Assael 1994, S. 76).<br />
Damit kann der Bogen zum Ausgangspunkt des Exkurses zum Involvement und zur<br />
Frage, warum dieses in der vorliegenden Untersuchung nicht als Moderator oder<br />
Mediator berücksichtigt wird, gespannt werden:<br />
Die Fragestellung der Arbeit ist auf echte Kaufentscheidungen, die mit einem<br />
gewissen (finanziellen) Risiko verbunden sind, limitiert (siehe S. 37f.). Da das<br />
finanzielle Risiko neben anderen Arten, wie z. B. dem psychischen und funktionalen<br />
Risiko einen zentralen Risikoaspekt in einer Kaufentscheidung darstellt, kann da<strong>von</strong><br />
ausgegangen werden, dass das situative Involvement eines Konsumenten bei der hier<br />
untersuchten Kaufentscheidung relativ hoch ist. Empfindet ein Konsument einem<br />
Produkt gegenüber hohes Enduring Involvement, hat diese für ihn also hohe<br />
Relevanz und interessiert ihn, kann vermutet werden, dass er sich mit diesem auch<br />
näher befasst, Informationen darüber sammelt und dadurch entsprechende<br />
353
Produktkenntnisse erwirbt. Enduring Involvement und Expertise, die Desmeules<br />
allgemein (2002) in Anlehnung an Mitchell and Dacin (1996) als „the amount, content<br />
and organization of knowledge about domains” (S. 11) definiert, sollten folglich<br />
positiv korrelieren. Zu diesem Schluss kommen auch Novak, Hoffmann und Yung<br />
(2000), welche die positive Beziehung <strong>von</strong> Expertise und Enduring Involvement<br />
empirisch zeigen konnten (vgl. S. 39).<br />
Analysiert man folglich den Einfluss der Produktexpertise eines Konsumenten auf<br />
dessen KPV und NPV, sollte dies bei echten Kaufentscheidungen wesentliche<br />
Involvementaspekte mit abbilden. Auf eine gesonderte Betrachtung des<br />
Involvementeinflusses kann somit unter der gegebenen exploratorischen Zielsetzung<br />
der Untersuchung hinsichtlich des Einflusses personenspezifischer Eigenschaften,<br />
verzichtet werden.<br />
Als nächstes soll der Zusammenhang <strong>von</strong> Expertise und den KPV und NPV nochmals<br />
verdeutlicht werden.<br />
Zusammenhang <strong>von</strong> Expertise mit den Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Nach der im Theorieteil beschriebenen Tyranny of Freedom (siehe S. 84ff. und<br />
Abbildung 25, S. 87) ist der Beginn der negativen Wirkung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> u. a.<br />
<strong>von</strong> der produktspezifischen Erfahrung, d. h. Expertise des Konsumenten abhängig. So<br />
geht Desmeules (2002, S. 11) da<strong>von</strong> aus, dass der Point of Regret eines Konsumenten<br />
mit relativ ausgeprägter Expertise, weiter rechts auf der x-Achse liegt, als der einer<br />
Person mit geringer Fachkenntnis. <strong>Der</strong> erfahrene Käufer kann damit mehr Vielfalt<br />
„verarbeiten“ als der unerfahrene. Dies ist damit zu begründen, dass ein „Experte“ die<br />
(für sich) entscheidungsrelevanten Attribute eines Produktes kennt und auf dieser<br />
Basis die verfügbaren Optionen schnell auf eine überschaubare und verarbeitbare<br />
Anzahl an Alternativen, die für den Kauf in Frage kommen (Consideration Set),<br />
reduzieren kann (vgl. Huffmann/Kahn 1998, S. 492ff.; Bettman/Park 1980, S. 242ff.,<br />
Rao/Monroe 1988, S. 254ff.). So argumentieren Johnson und Russo (1984, S. 548),<br />
dass Konsumenten mit hoher Expertise weniger Informationen suchen und verarbeiten<br />
müssen, da sie zum einen aufgrund ihres Fachwissens bereits auf viele Fakten im<br />
Gedächtnis zurückgreifen können und diese nicht mehr dem Sortiment entnehmen<br />
müssen. Zum anderen verfügen sie über Prozesswissen hinsichtlich der Entscheidung<br />
und können effiziente Entscheidungsprozeduren bei der Identifikation einer geeigneten<br />
Alternative anwenden.<br />
354
Insgesamt liegt damit die Vermutung nahe, dass Konsumenten mit hoher Expertise im<br />
Vergleich zu Personen mit geringer Expertise geringe KVP haben, wenn sie aus<br />
einem großen Sortiment wählen. Ein Zusammenhang <strong>von</strong> Expertise mit dem NPV<br />
wird nicht vermutet. Damit kann folgende Hypothese formuliert werden:<br />
Hypothese 20: Die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> sind bei Konsumenten mit<br />
hoher Expertise geringer als bei Konsumenten mit geringer Expertise.<br />
Nachfolgend werden die Ergebnisse der empirischen Überprüfung dieser Hypothese<br />
beschrieben. Hierbei wird zunächst auf die Operationalisierung des Expertisekonstrukts<br />
und anschließend auf die Untersuchungsergebnisse eingegangen.<br />
Empirische Untersuchung<br />
Operationalisierung <strong>von</strong> Expertise<br />
Die hier verwendete und in Tabelle 76 dargestellte Operationalisierung des<br />
Expertisekonstrukts basiert auf einem Vorschlag <strong>von</strong> Johnson (1984, S. 746ff.), den<br />
dieser auf der Basis <strong>von</strong> drei Anforderungen an ein Instrument zur Messung <strong>von</strong><br />
Wissen formuliert hat:<br />
1. Die Messung soll absolut erfolgen.<br />
2. Das gesamte Spektrum <strong>von</strong> vollkommen unwissenden Konsumenten bis zum<br />
absoluten Spezialisten muss durch das Instrument abgedeckt werden.<br />
3. Die Skala sollte so spezifisch wie möglich sein, um Interpretationsspielräume<br />
der befragten Person zu vermeiden.<br />
Das ursprüngliche Messinstrument <strong>von</strong> Johnson (1984) war eine 20-Punkt-Skala, die<br />
an den Ausprägungen 0, 5, 10, 15 und 20 eine konkrete Beschreibung des Wissens auf<br />
der jeweiligen Skalenstufe aufwies. Dieses Messmodell unterscheidet sich<br />
insbesondere im Hinblick auf die vorgegebenen Ausprägungen <strong>von</strong> der eher<br />
gebräuchlichen Selbsteinschätzung des Wissens im Vergleich zur Gesamtbevölkerung<br />
(„Im Vergleich zu anderen kenne ich mich mit Produkt x sehr gut aus“) (vgl.<br />
Johnson/Russo 1984, S. 545). Obwohl das <strong>von</strong> Johnson vorgeschlagene<br />
Instrumentarium im Vergleich hierzu aufgrund der Vorgabe konkreter Ausprägungen<br />
objektiver ist, gilt auch hier die Einschränkung, dass nicht das tatsächliche, sondern<br />
355
das selbst eingeschätze Wissen des Konsumenten gemessen wird (vgl. Johnson 1984,<br />
S. 746).<br />
Die hier verwendete Skala zur Messung der Produktexpertise eines Konsumenten<br />
(siehe Tabelle 76) lehnt sich an die Idee <strong>von</strong> Johnson an und formuliert auf einer<br />
7-Punkt-Skala für die Ausprägungen 1, 3, 5 und 7 jeweils ein konkretes<br />
Expertiseniveau für die Produktgruppe (Digitalkamera, DVD-Player/Recorder) dem<br />
sich der Befragte zuordnet. Weitere Items, wie z. B. die Kauferfahrung, wurden aus<br />
befragungsökonomischen Gründen nicht erhoben.<br />
1 2 3 4 5 6 7<br />
Ich habe noch nie<br />
eine Digitalkamera<br />
benutzt und kenne<br />
mich damit auch<br />
überhaupt nicht aus.<br />
Ich habe schon mal mit<br />
einer Digitalkamera<br />
fotografiert oder mich mit<br />
den Eigenschaften und<br />
Funktionen <strong>von</strong><br />
Digitalkameras beschäftigt.<br />
Ich fotografiere<br />
regelmäßig mit einer<br />
Digitalkamera und<br />
kenne mich mit deren<br />
Funktionen recht gut<br />
aus.<br />
Ich kenne mich wie<br />
ein professioneller<br />
Fotograf mit<br />
Digitalkameras aus.<br />
Tabelle 76:<br />
Operationalisierung <strong>von</strong> Expertise<br />
Ergebnisse der Untersuchung<br />
Um die Hypothese zu testen, werden die Befragten in eine Gruppe mit geringer und<br />
eine Gruppe mit hoher Expertise eingeteilt. Anschließend wird mittels eines T-Tests<br />
überprüft, ob sich die Mittelwerte der latenten Variable KPV der beiden Gruppen<br />
signifikant unterscheiden. Nachfolgende Grafik veranschaulicht die Vorgehensweise.<br />
Gesamte <strong>St</strong>ichprobe<br />
Erfahrung/OSL<br />
Erfahrung/OSL<br />
Clusteranalyse<br />
gering<br />
hoch<br />
T-Test<br />
Mittelwert<br />
KPV<br />
Vergleich<br />
T-Test<br />
Mittelwert<br />
KPV<br />
NPV<br />
NPV<br />
Abbildung 71: Vorgehensweise bei der Untersuchung personenimmanenter Einflüsse<br />
356
Die Gruppeneinteilung erfolgte mittels einer zweistufigen Clusteranalyse. Hierbei<br />
wurden 357 Personen (60%) dem Cluster „geringe Expertise“ und 238 (40%) der<br />
Gruppe „hohe Erfahrung“ zugeordnet. Ein Datensatz konnte keiner der Gruppen<br />
zugeordnet werden und wurde nicht berücksichtigt. Im Durchschnitt hatten die<br />
Personen der ersten Gruppe einen Expertisewert <strong>von</strong> 2,61 (<strong>St</strong>andardabweichung 1,06),<br />
der Durchschnitt der zweiten Gruppe lag bei 5,31 (<strong>St</strong>andardabweichung 0,62). <strong>Der</strong><br />
Unterschied zwischen Experten und „Laien“ ist signifikant (p < 0,001) was durch<br />
einen zweiseitigen T-Test bestätigt wurde. Tabelle 77 stellt die Ergebnisse der<br />
Clusteranalyse dar.<br />
Cluster Anzahl Anteil Durchschnitt <strong>St</strong>andardabweichung<br />
Geringe Expertise 357 60% 2,61 1,06<br />
Hohe Expertise 238 40% 5,31 0,62<br />
Sig. T-Test (2-<br />
tailed)<br />
0,000<br />
Tabelle 77:<br />
Ergebnisse der Clusteranalyse zur Expertise<br />
Die Clustervariable wurde in dem anschließenden T-Test als Gruppierungsvariable<br />
verwendet. Hierbei wurden die Mittelwerte der in PLS berechneten <strong>Wert</strong>e der latenten<br />
Variablen KPV und NPV der beiden Cluster miteinander verglichen. Wie aus Tabelle<br />
78 hervorgeht, unterscheidet sich, wie erwartet, der Mittelwert des Nutzens <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> der Personen mit hoher Expertise nicht signifikant <strong>von</strong> dem der<br />
Personen mit geringer Expertise. Nur wenn man anstatt eines zweiseitigen Tests<br />
einen einseitigen verwendet und überprüft, ob der Nutzen hoher <strong>Produktvielfalt</strong> bei<br />
Experten größer ist als bei Nicht-Experten, ergibt sich eine schwache Signifikanz<br />
(p < 0,10).<br />
Cluster<br />
Durchschnitt<br />
NPV<br />
Sig. T-Test<br />
(2-tailed)<br />
Durchschnitt<br />
KPV<br />
<strong>St</strong>andardabweichung<br />
<strong>St</strong>andardabweichung<br />
Sig. T-Test<br />
(2-tailed)<br />
Geringe Expertise -0,042 1,00 0,105 1,010<br />
0,194<br />
Hohe Expertise 0,068 1,00<br />
-0,161 0,968<br />
0,001<br />
Tabelle 78: Ergebnisse des T-Tests der Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> für Befragte mit<br />
hoher und geringer Expertise<br />
357
Im Gegensatz hierzu ist der Kostenunterschied erfahrener und unerfahrener<br />
Konsumenten signifikant (p < 0,001): Die durchschnittlichen Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> sind bei Personen mit hoher Expertise signifikant geringer als bei<br />
Personen mit geringem Produktwissen. Die Hypothese 20 kann somit aufrecht<br />
erhalten werden: Personen, die über Produktexpertise verfügen, können mit hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> in einer Entscheidungssituation besser umgehen als unerfahrene<br />
Konsumenten.<br />
4.4.3.2 Optimum <strong>St</strong>imulation Level (OSL)<br />
Die generelle Vorstellung einer Person hinsichtlich ihres optimalen <strong>St</strong>imulationslevels<br />
wurde im Abschnitt zum Optimum <strong>St</strong>imulation Level unter Gesichtspunkten der<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> in einer Kaufsituation (siehe Kapitel 2.2.2, S. 80) ausführlich<br />
diskutiert. Um Redundanzen zu vermeiden, soll an dieser <strong>St</strong>elle auf die im Theorieteil<br />
beschriebene Argumentation zum Zusammenhang <strong>von</strong> OSL und <strong>Produktvielfalt</strong> nicht<br />
nochmals eingegangen werden. Aufbauend auf den theoretischen Ausführungen in<br />
Kapitel 2.2.2 (S. 80) kann folgende Hypothese formuliert werden:<br />
Hypothese 21: Personen mit hohem OSL verbinden im Vergleich zu Personen<br />
mit geringem OSL weniger Kosten mit hoher <strong>Produktvielfalt</strong>.<br />
Empirische Überprüfung der Hypothese<br />
Operationalisierung des Optimum <strong>St</strong>imulation Level<br />
Für die Messung des OSL eines Individuums stehen eine Reihe <strong>von</strong> Skalen, wie der<br />
Change Seeker Index (CSI) (Garlington/Shimota 1964)), die Arousal Seeking<br />
Tendency Scale (AST) (Mehrabian/Russell (1974)) und die AST-II (Mehrabian 1978),<br />
die Sensation Seeking Scale (SS) oder die General Sensation Seeking Scale (SSS)<br />
(Zuckermann 1979) zur Verfügung. Diese Skalen haben zwar den Vorteil, etabliert<br />
und häufig getestet zu sein, sie sind aber auch sehr umfangreich. So bestehen<br />
beispielsweise der CSI aus 95 und die SSS aus 22 Items. Da die Untersuchung des<br />
Einflusses des OSL einer Person auf deren Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> nur<br />
358
ein Randthema dieser Arbeit ist, sind obige Skalen nicht geeignet, da der Fragebogen<br />
sonst die den Befragten zumutbare Länge deutlich überschreiten würden.<br />
Das OSL wurde in dieser Untersuchung deshalb durch eine <strong>von</strong> <strong>St</strong>eenkamp und<br />
Baumgartner (1995) entwickelte Kurzform der CSI operationalisiert. Die Autoren<br />
konnten zeigen, dass die aus sieben Items bestehende Skala mit der originalen CSI<br />
hinsichtlich Faktorstruktur, Validität und Reliabilität vergleichbar ist und deshalb „an<br />
attractive alternative to the original 95-item scale for researchers who want to study<br />
the role of OSL in human behavior in general, and in consumer behaviors with strong<br />
exploratory elements“ (<strong>St</strong>eenkamp/Baumgartner 1995, S. 103) darstellt. In Tabelle 79<br />
ist die in der empirischen Untersuchung verwendete Skala dargestellt. Die<br />
Übersetzung aus dem Englischen erfolgte möglichst wörtlich, musste aus<br />
Verständnisgründen aber teilweise erweitert werden.<br />
Indikator<br />
OSL1<br />
OSL2<br />
OSL3<br />
OSL4<br />
OSL5<br />
OSL6<br />
OSL7<br />
Frage<br />
Wenn mich Dinge langweilen, suche ich neue und unbekannte Erfahrungen.<br />
Ich mag es lieber, wenn mein tägliches Leben geordnet und regelmäßig abläuft und wenige<br />
unvorhersehbare Veränderungen mit sich bringt (Invers).<br />
Ich mag einen Job, der mir Veränderungen, Vielfalt und Reisemöglichkeiten bietet, selbst<br />
wenn damit auch Gefahren verbunden sind.<br />
Ich mache nie lange dasselbe, sondern verändere meine Aktivitäten dauernd.<br />
Ich ziehe es vor, die Dinge beizubehalten wie sie sind, anstatt neue, andersartige Sachen<br />
auszuprobieren (Invers).<br />
In meinem täglichen Leben mag ich Neuheiten und Veränderungen.<br />
Ich suche kontinuierlich nach neuen Ideen und Erfahrungen<br />
Tabelle 79: Operationalisierung des Optimum <strong>St</strong>imulation Levels. In Anlehnung an<br />
<strong>St</strong>eenkamp/Baumgartner 1995, S. 100; Übersetzung durch den Autor<br />
Konfirmatorische Faktorenanalyse (Pretest)<br />
Die Skala wurde, wie alle Messmodelle im Rahmen des Pretests, einer<br />
konfirmatorischen Faktorenanalyse unterzogen (siehe Tabelle 80). Dabei konnten die<br />
guten Validitäts- und Reliabilitätsergebnisse <strong>von</strong> <strong>St</strong>eenkamp und Baumgartner (1995)<br />
nicht bestätigt werden: Drei der sieben Items wiesen eine Faktorladung <strong>von</strong> unter 0,7<br />
auf und wurden daher <strong>von</strong> der weiteren Analyse ausgeschlossen. Die verbleibenden<br />
359
vier Indikatoren (OSL1, OSL2, OSL3 und OSL5) erfüllen alle Gütekriterien sowohl auf<br />
Indikator- als auch auf Konstruktebene. Insbesondere liegen alle verwendeten globalen<br />
Gütemaße mit <strong>Wert</strong>en <strong>von</strong> 1,00 deutlich über der Grenze <strong>von</strong> 0,9. Auch das Cronbachs<br />
Alpha übersteigt mit einer Höhe <strong>von</strong> 0,84 den Grenzwert. Da der erste Eigenwert der<br />
Korrelationsmatrix der manifesten Variablen über 1 (2,73) und der zweite darunter<br />
liegt (0,45) kann weiterhin <strong>von</strong> Unidimensionalität der Skala ausgegangen werden.<br />
Insgesamt sind die Ergebnisse unter dem Gesichtspunkt, dass es sich um eine<br />
etablierte Skala handelt, als nicht gut einzustufen. Eine mögliche Erklärung ist, dass<br />
die Fragen zum OSL das Ende des Fragebogens markierten und die Konzentration der<br />
Befragten an dieser <strong>St</strong>elle schon nachgelassen hatte, was zu unsachgemäßen<br />
Antworten geführt haben könnte.<br />
Indikatorenebene<br />
Konstruktebene<br />
Indikator Ladung Indikatorreliabilität<br />
DEV Faktorreliab.<br />
Globale<br />
Anpassungsmaße<br />
Cronbachs<br />
Alpha<br />
Kriterium > 0,70 > 0,50 > 0,50 > 0,60 > 0,9 < 0,1 > 0,70<br />
OSL1 0,77 0,59 0,57 0,84 GFI: 1,00 RMR: 0,00 0,84<br />
OSL2 0,75 0,56<br />
AGFI: 1,00<br />
NFI: 1,00<br />
OSL3 0,73 0,53<br />
CFI: 1,00<br />
OSL4 61 0,50 -<br />
OSL5 0,76 0,59<br />
OSL6 61 0,47 -<br />
OSL7 61 0,61 -<br />
Tabelle 80:<br />
Ergebnisse der konfirmatorischen Faktorenanalyse des OSL im Pretest<br />
PLS-Messmodell (Hauptuntersuchung)<br />
In Tabelle 81 sind die Ergebnisse des PLS-Messmodells der Hauptuntersuchung für<br />
das OSL dargestellt. Die aus der KFA resultierende Skala kann auch hier nicht<br />
beibehalten werden, da die Ladung des Indikators OSL1 mit 0,619 unter dem<br />
Grenzwert <strong>von</strong> 0,70 liegt. Er wurde deshalb <strong>von</strong> den weiteren Analysen<br />
ausgeschlossen. Die verbleibenden drei manifesten Variablen OSL2, OSL3 und OSL5<br />
erfüllen auf Indikatorebene und Konstruktebene mit Ausnahme des Cronbachs Alpha<br />
61 Von der weiteren Analyse ausgeschlossen<br />
360
alle vorgegebenen Gütekriterien. Mit einem <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,621 liegt dieses aber deutlich<br />
unter dem Grenzwert <strong>von</strong> 0,70. Die Messung des OSL kann daher zusammenfassend<br />
als eher unterdurchschnittlich bezeichnet werden. Ein möglicher Grund hierfür ist,<br />
dass, genau wie im Pretest, die OSL-Fragen den Abschluss des Fragebogens der<br />
Hauptuntersuchung darstellten und deshalb evtl. <strong>von</strong> den Befragten nicht mehr sehr<br />
gewissenhaft ausgefüllt wurden.<br />
Indikatorenebene<br />
Indikator Ladung t-<strong>Wert</strong><br />
(Ladung)<br />
DEV<br />
Interne<br />
Konsistenz<br />
Konstruktebene<br />
Q 2 Eigenwerte<br />
(EW)<br />
Kriterium > 0,70 > 1,98 > 0,50 > 0,60 > 0 1. EW > 1<br />
2. EW < 1<br />
OSL1 62 0,619 -<br />
OSL2 0,758 32,403<br />
OSL3 0,702 21,971<br />
OSL5 0,801 44,930<br />
0,570 0,798 0,172 1,710<br />
0,725<br />
Cronbachs<br />
Alpha<br />
> 0,70<br />
0,621<br />
Tabelle 81:<br />
Gütekriterien des PLS-Messmodells der Hauptuntersuchung für das OSL<br />
Da die Untersuchung des Einflusses personenspezifischer Unterschiede auf KPV und<br />
NPV explorativen Charakter hat, soll dieser trotz der suboptimalen Messung des OSL<br />
auf Basis der verbleibenden drei Indikatoren nachfolgend betrachtet werden.<br />
Überprüfung der Hypothese<br />
<strong>Der</strong> Hypothesentest erfolgt nach demselben Schema wie bei der Expertise: Zunächst<br />
werden die Personen geclustert, d. h. einem Cluster mit hohem OSL oder einem<br />
Cluster mit geringem OSL zugeteilt. 302 (59,9%) Befragte fielen dabei in die Gruppe<br />
mit hohem, 291 (49,1%) in die Gruppe mit geringem OSL. Drei Personen konnten<br />
nicht eindeutig zugeteilt werden und wurden deshalb bei der Analyse nicht<br />
berücksichtigt. Die Clusterung erfolgte auf Basis der in PLS berechneten<br />
standardisierten <strong>Wert</strong>e der latenten OSL-Variablen. Personen mit hohem OSL hatten<br />
durchschnittlich eine Ausprägung <strong>von</strong> 0,788 (SD = 0,559), der Mittelwert der<br />
Personen, die zum Cluster mit geringem OSL gehören, haben bei -0,818 (SD = 0,634).<br />
Ein T-Test hat bestätigt, dass sich die OSL-Mittelwerte der beiden Cluster signifikant<br />
62 Von der weiteren Analyse ausgeschlossen<br />
361
(p < 0,001) unterscheiden. Die Ergebnisse der Clusteranalye sind in Tabelle 82<br />
zusammengefasst.<br />
Cluster Anzahl Anteil Durchschnitt <strong>St</strong>andardabweichung<br />
Hohes OSL 302 50,9% 0,788 0,559<br />
Geringes OSL 291 49,1% -0,818 0,634<br />
Sig. T-Test (2-<br />
tailed)<br />
0,000<br />
Tabelle 82:<br />
Ergebnisse der Clusteranalyse zum Optimum <strong>St</strong>imulation Level<br />
Um eine Aussage zum Zusammenhang <strong>von</strong> OSL und <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> machen zu können, wurden die (standardisierten) Mittelwerte der<br />
latenten Nutzen- und Kostenvariable (aus PLS) der beiden Gruppen „Geringes OSL“<br />
und „Hohes OSL“ miteinander verglichen und einem T-Test unterzogen, Tabelle 83<br />
zeigt die Ergebnisse. <strong>Der</strong> NPV der Gruppen unterscheidet sich erwartungsgemäß nicht<br />
signifikant. Auch die Kostenunterschiede sind nicht sehr ausgeprägt und folglich auch<br />
nicht signifikant. So haben Personen mit hohem OSL durchschnittlich Kosten <strong>von</strong><br />
-0,066 (SD = 1,031). Die Kosten der Personen mit geringem OSL sind mit einem<br />
Mittelwert <strong>von</strong> 0,059 (SD = 0,967) etwas höher. Die Kostenunterschiede haben damit<br />
die vermutete Richtung, da Personen mit hohem OSL mit hoher Vielfalt geringere<br />
Kosten verbinden. Erfolgt der T-Test einseitig, wird also nur beurteilt, ob die KPV <strong>von</strong><br />
Personen mit hohem OSL geringer sind, als die <strong>von</strong> Personen mit geringem OSL; so<br />
ergibt sich ein schwach signifikanter Unterschied (p < 0,10).<br />
Cluster<br />
Durchschnitt<br />
Nutzen<br />
Sig. T-Test<br />
(2-tailed)<br />
Durchschnitt<br />
Kosten<br />
<strong>St</strong>andardabweichung<br />
<strong>St</strong>andardabweichung<br />
Sig. T-Test<br />
(2-tailed)<br />
Hohes OSL 0,008 1,051 -0,066 1,031<br />
0,916<br />
Geringes OSL -0,001 0,948<br />
0,059 0,967<br />
0,129<br />
Tabelle 83: Ergebnisse des T-Tests der Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> für Befragte mit<br />
hohem und geringem OSL<br />
Insgesamt zeigen die Untersuchungsergebnisse die vermutete Richtung des<br />
Zusammenhangs des Optimum <strong>St</strong>imulation Level einer Person und ihrer KPV. <strong>Der</strong><br />
362
Mittelwert der latenten Kostenvariable der Individuen mit hohem OSL liegt aber nur<br />
geringfügig über dem der Personen mit geringem OSL (einseitiger T-Test; p < 0,10).<br />
Da der Unterschied der Mittelwerte der beiden Cluster (zweiseitiger T-Test) nicht<br />
signifikant ist, kann die Hypothese 21 nicht aufrecht erhalten werden.<br />
Zusammenfassend können die Ergebnisse zum Zusammenhang <strong>von</strong> OSL und den KPV<br />
als explorativ interpretiert werden. Sie haben die vermutete Tendenz aufgezeigt aber<br />
nicht „belegt“. In nachfolgenden Untersuchungen mit entsprechendem Schwerpunkt,<br />
kann das Konstrukt Optimum <strong>St</strong>imulation Level deshalb einen wichtigen<br />
Erklärungsbeitrag zum interpersonellen Unterschied im Umgang mit hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> liefern.<br />
4.4.4 Zusammenfassung<br />
In diesem Abschnitt wurde erstens untersucht, ob es weitere, nicht aus der Theorie<br />
abgeleitete Zusammenhänge zwischen den Größen des Untersuchungsmodells gibt.<br />
Zweitens sind mit der Beratungszufriedenheit und der Preisführerschaft zwei weitere<br />
Einflussfaktoren außerhalb des Sortiments in die Betrachtung einbezogen worden und<br />
zum dritten wurde analysiert, wie sich die Expertise und das Optimum <strong>St</strong>imulation<br />
Level (OSL) als personenimmanente Eigenschaften auf den Umgang mit<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> auswirken.<br />
Die Analysen haben hierbei gezeigt, dass es einen signifikanten Einfluss der Loyalität<br />
zum Geschäft auf die Loyalität zur Marke gibt, der darauf hindeutet, dass<br />
Konsumenten zunächst daran denken, wo sie kaufen und dann erst überlegen, welche<br />
Marke sie erwerben möchten. Da die Varianzerklärung der Loyalität zur Marke mit<br />
18,2% aber insgesamt gering ist, ist dieses Ergebnis nicht stark belastbar. Die Ursache<br />
für die geringe Varianzerklärung liegt vermutlich darin, dass die Personen aufgrund<br />
des Untersuchungsdesigns direkt nach dem Kauf nach ihrer Loyalität zur gekauften<br />
Marke gefragt wurden, diese sich aber erst im Laufe der Produktnutzung herausbildet<br />
und deshalb zum Zeitpunkt der Befragung <strong>von</strong> den Teilnehmern nur antizipiert werden<br />
konnte. Dieses Urteil ist noch mit großen Unsicherheiten behaftet, so dass es durch die<br />
Größen des Modells insgesamt nur schlecht erklärt werden kann.<br />
Aus den PLS-Modellen zur Untersuchung des Einflusses der Preisführerschaft und<br />
der Beratungszufriedenheit ging hervor, dass beide Größen keine Wirkung auf die<br />
Kaufabsicht haben. Dieses Ergebnis zeigt, dass Handelsunternehmen nicht<br />
363
notwendigerweise billiger sein müssen als ihre Konkurrenten, sie sollten vermutlich<br />
aber auch nicht wesentlich teurer sein als diese. Das Resultat hinsichtlich der<br />
Beratungszufriedenheit muss insgesamt angezweifelt werden, da weitere Analysen<br />
gezeigt haben, dass beratene Kunden deutlich häufiger kaufen als nicht beratene. Die<br />
Parameterschätzungen durch PLS sind dahingehend unsicher, dass auch Personen, die<br />
nicht beraten wurden, in die Analysen mit einbezogen werden mussten, um die<br />
Wirkung auf das Kaufverhalten zu berechnen. Da diese Personen aber keine Angaben<br />
zur Beratungszufriedenheit machen konnten und ihre <strong>Wert</strong>e durch PLS als fehlend<br />
angenommen werden, kann es einen systematischen Einfluss auf die Schätzergebnisse<br />
gegeben haben. Die Untersuchung der Auswirkung der Beratungszufriedenheit und<br />
der Preisführerschaft auf dem Kauf nachgelagerte Größen hat aber gezeigt, dass die<br />
Preisführerschaft die Loyalität zum Geschäft signifikant beeinflusst. Gleiches gilt für<br />
die Beratungszufriedenheit, die zusätzlich noch einen Einfluss auf die Kaufprozesszufriedenheit<br />
hat. Die Einflussstärke beider Konstrukte ist jedoch geringer als die des<br />
Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>, woraus der Schluss gezogen werden kann, dass die Größe<br />
und Art des Sortiments einen größeren Einfluss auf die Kaufprozesszufriedenheit und<br />
die Loyalität zum Geschäft haben, als die Preisführerschaft und die Beratung.<br />
Zuletzt wurde untersucht, ob sich die Expertise und das OSL einer Person auf deren<br />
Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auswirken. Dies ist nur ein Randthema der<br />
Untersuchung, das dazu dienen soll Tendenzen aufzuzeigen; die Ergebnisse sind daher<br />
als explorativ zu verstehen. Es hat sich gezeigt, dass Personen, die über hohe<br />
Expertise verfügen, mit hoher <strong>Produktvielfalt</strong> weniger negative Aspekte verbinden,<br />
was aus ihren durchschnittlich geringeren Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> zu erkennen ist.<br />
Die Unterschiede <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> hinsichtlich des OSL<br />
sind nicht signfikant. Nur eine einseitige Betrachtung, ob Personen mit höherem OSL<br />
geringere Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> haben, ist schwach signifikant. Diese Ergebnisse<br />
sind vor allem auf das verhältnissmäßig schlechte Messungmodell des OSL<br />
zurückzuführen, die wiederum darin begründet liegt, dass das Konstrukt am Ende des<br />
Fragebogens gemessen wurden und die Messung aufgrund der nachlassenden<br />
Konzentration der Befragungsteilnehmer mit Fehlern behaftet sein könnte. Die<br />
Tendenz, dass Personen mit hohem OSL mit großen Sortimenten weniger negative<br />
Aspekte, d. h. geringere Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> verbinden, ist dennoch<br />
erkennbar. Im Gegensatz hierzu konnten erwartungsgemäß keine Unterschiede der<br />
<strong>Wert</strong>e des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> <strong>von</strong> Konsumenten mit hohem oder geringem<br />
OSL festgestellt werden, gleiches gilt für die Expertise. Die beiden betrachteten<br />
364
Personeneigenschaften wirken sich folglich, wie vermutet, nur auf die Kostenseite,<br />
also auf die negativen Aspekte hoher <strong>Produktvielfalt</strong> aus.<br />
Aus Unternehmenssicht ist es <strong>von</strong> hoher Relevanz zu wissen, durch welche<br />
Eigenschaften des Sortiments Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> beeinflusst<br />
werden, um daraus entsprechende Gestaltungsmaßnahmen ableiten zu können.<br />
Nachfolgend wird deshalb die Einflussstärke verschiedener Eigenschaften des<br />
Sortiments auf Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> untersucht.<br />
365
5. Determinanten der Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
In den bisher beschriebenen Ergebnissen der empirischen Untersuchung ging es zum<br />
einen um die Messung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> in Form seiner Kosten- und<br />
Nutzendimension, und zu anderen um dessen bzw. deren Konsequenzen. Aus<br />
Unternehmenssicht ist es aber wichtig zu wissen, welche Eigenschaften des Sortiments<br />
Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> wie stark beeinflussen. Durch die Kenntnis<br />
der Einflussstärke verschiedener Eigenschaften des Sortiments können zentrale<br />
<strong>St</strong>ellhebel zur effektiven und effizienten Reduktion negativer, bzw. Betonung positiver<br />
Aspekte hoher <strong>Produktvielfalt</strong> identifiziert werden. Wie gezeigt wurde, wirken sich<br />
sowohl die KPV als auch die NPV auf das Kaufverhalten und die Kaufbewertung aus.<br />
Durch die zielgerichtete Anpassung des Sortiments kann ein Unternehmen somit<br />
letztlich sowohl die Kaufintention als auch die Zufriedenheit und Loyalität der<br />
Konsumenten erhöhen.<br />
Um diejenigen Eigenschaften des Sortiments zu identifizieren, welche die Kosten und<br />
Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> maßgeblich beeinflussen, werden zunächst potenzielle<br />
Einflussfaktoren herausgearbeitet. Die im Anschluss daran dargestellten Ergebnisse<br />
der empirischen Untersuchung geben Auskunft über die Einflussstärke der<br />
identifizierten Sortimentseigenschaften auf den <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> bzw. auf<br />
dessen Kosten- und Nutzendimension.<br />
5.1 Sortimentseigenschaften als Determinanten<br />
5.1.1 Potenzielle Einflussfaktoren des Sortiments<br />
Die in die Untersuchung einbezogenen und als wesentlich für die Entstehung der<br />
beiden Dimensionen des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> eingeschätzten Sortimentscharakteristika<br />
basieren zum einen auf dem in Kapitel 2 (S. 68ff.) dargestellten<br />
theoretischen Hintergrund der Untersuchung, und zum anderen auf Einschätzungen<br />
<strong>von</strong> Experten. Die aus der Theorie abgeleiteten Einflussgrößen sind bereits ausführlich<br />
diskutiert und in den Hypothesen 15 bis 19 zusammengefasst worden (siehe S. 184).<br />
366
Ohne auf Details einzugehen, wurden dabei folgende Sortimentseigenschaften als<br />
potenzielle Determinanten der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> abgeleitet:<br />
• Die Anzahl der Produkte im Sortiment ( + ),<br />
• die Existenz wechselseitig positiver Produktattribute verschiedener<br />
Alternativen, d. h. die Kompromissnotwendigkeit bei der Entscheidung ( + ),<br />
• die Verschiedenheit (klare Produktunterschiede) ( _ ) und<br />
• die Vergleichbarkeit der Produkte( _ ).<br />
Als hauptverantwortlich für die Entstehung des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> wurde<br />
aus den theoretischen Ausführungen<br />
• die Anzahl der Produkte ( + )<br />
abgeleitet.<br />
Diese potenziellen Einflussfaktoren wurden im Vorfeld der empirischen Untersuchung<br />
mit verschiedenen Experten, vor allem aus dem Umfeld des kooperierenden<br />
Handelsunternehmens, diskutiert. Dabei wurde deutlich, dass drei weitere Aspekte<br />
mit potenziellem Einfluss aus Unternehmenssicht <strong>von</strong> Interesse sind:<br />
• Die Anzahl der Marken im Sortiment,<br />
• die Anzahl der Produkte auf dem für den Konsumenten relevanten<br />
Preisniveau und<br />
• die Abdeckung verschiedener Preispunkte (Preisvielfalt).<br />
Die Wichtigkeit der Markenanzahl wurde <strong>von</strong> den Experten damit begründet, dass im<br />
Bereich der Elektronikprodukte Marken bei der Kaufentscheidung eine wichtige Rolle<br />
spielen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Konsumenten da<strong>von</strong> ausgehen, dass ein<br />
Markenprodukt qualitativ hochwertig ist und der Kauf eines Markenprodukts folglich<br />
mit geringeren Risiken verbunden ist. Die Wahl einer bekannten Marke stellt deshalb<br />
eine Heuristik dar, welche die Kaufentscheidung erleichtert (vgl. Hauser/Wernerfelt<br />
1990, S. 393; Simonson 1992, S. 107)). Gleichzeitig erwartet der Konsument <strong>von</strong><br />
einem guten Sortiment, dass dieses Produkte verschiedener und führender Marken<br />
enthält. Die Anzahl an Marken könnte sich somit positiv auf den NPV und negativ<br />
auf die KPV auswirken.<br />
Konsumenten wissen nach Expertenaussage meist relativ genau, wie viel sie für den<br />
Kauf eines Produktes ausgeben wollen. Für den Verbraucher ist bei der<br />
Kaufentscheidung deshalb nicht das gesamte Sortiment relevant, sondern nur der Teil<br />
367
mit Produkten auf dem entsprechenden Preisniveau. In der Marketingliteratur wird in<br />
diesem Zusammenhang häufig vom Consideration Set gesprochen, der die für die<br />
Entscheidung relevanten Marken und Produkte enthält (vgl. Roberts/Lattin 1991,<br />
S. 429). Es macht folglich Sinn, die Anzahl der Produkte auf relevantem Preisniveau<br />
explizit als Determinante der NPV in die Untersuchung einzubeziehen.<br />
<strong>Der</strong> positive Einfluss der Preisvielfalt auf die Nutzenaspekte liegt im Wesentlichen<br />
darin begründet, dass Konsumenten durch die Existenz verschiedener Preispunkte im<br />
Sortiment die Möglichkeit haben, sich über das Leistungsspektrum <strong>von</strong> billigen bis zu<br />
teuren Produkten zu informieren. Sie bekommen dadurch ein Gefühl für die<br />
Preis-Leistungs-Relation der Produktkategorie und können die einzelnen Produkte<br />
besser beurteilen. Für ein Handelsunternehmen ist die Abdeckung eines breiten<br />
Preisspektrums zudem eine Möglichkeit, seine Sortimentskompetenz zu<br />
demonstrieren und dem Konsumenten den Eindruck zu vermitteln, den „gesamten<br />
Markt“ der Produktkategorie, d. h. Produkte <strong>von</strong> preiswert bis teuer, zur Wahl zu<br />
haben.<br />
Insgesamt werden sieben potenzielle Einflussfaktoren in die Untersuchung<br />
einbezogen, <strong>von</strong> denen vier quantitative und drei qualitative Aspekte des Sortiments<br />
abdecken. Letztere adressieren vor allem die Eigenschaften der Produkte des<br />
Sortiments und deren Beziehungen untereinander und fallen somit eher in den<br />
Gestaltungsbereich <strong>von</strong> Produktherstellern. Im Gegensatz hierzu beziehen die<br />
quantitativen Größen verschiedene Gesichtspunkte in die Untersuchung mit ein, die<br />
ein Handelsunternehmen durch die Auswahl der angebotenen Produkte im Sortiment<br />
beeinflussen kann.<br />
Abbildung 72 stellt die in der nachfolgend beschriebenen empirischen Untersuchung<br />
als potenzielle Einflussfkatoren auf die KPV und NPV einbezogenen Sortimentseigenschaften<br />
zusammenfassend dar.<br />
368
Anzahl Produkte<br />
Nutzen<br />
Kosten<br />
Anzahl Marken<br />
NPV<br />
KPV<br />
Quantitativ<br />
Anzahl Produkte auf<br />
relevantem Preisniveau<br />
Preisvielfalt<br />
Kompromissnotwendigkeit<br />
AP EA IM Sp PE<br />
AA VF AR<br />
... ... ... ... ... ... ... ...<br />
Qualitativ<br />
klare Produktunterschiede<br />
Antizipierter<br />
Produktnutzen<br />
Erfolgsaussichten<br />
Informationsmöglichkeiten<br />
Spaß<br />
Positive<br />
Emotionen<br />
Aufwand und<br />
Anstrengung<br />
Negative<br />
Emotionen<br />
Antizipiertes<br />
Regret<br />
Vergleichbarkeit Produkte<br />
Abbildung 72: In der empirischen Untersuchung berücksichtigte Sortimentsaspekte als potenzielle<br />
Einflussgrößen auf die Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Um die Einflussstärke der betrachteten Sortimentscharakteristika messen zu können,<br />
müssen diese zunächst operationalisiert werden.<br />
5.1.2 Operationalisierung der untersuchten Einflussfaktoren<br />
Vorüberlegungen zur Operationalisierung der Einflussgrößen<br />
Generelles Ziel der empirischen Untersuchung ist es, den Umgang <strong>von</strong> Konsumenten<br />
mit hoher <strong>Produktvielfalt</strong> in einer realen Kaufsituation zu untersuchen. Die<br />
Untersuchung der Determinanten der KPV und NPV konnten deshalb nur in einem<br />
Feldexperiment und nicht – wie beispielsweise im Pretest – im Rahmen eines<br />
Laborexperiments mit einer künstlichen Kaufentscheidung erfolgen. Aus<br />
forschungstheoretischer Sicht wäre es folglich optimal, das Sortiment der betrachteten<br />
Produktkategorie eines Einzelhändlers so zu verändern, dass die zu untersuchenden<br />
Variablen manipuliert werden und die resultierenden Effekte durch eine<br />
Konsumentenbefragung mittels des entwickelten Messinstruments und dem Ausgang<br />
der Kaufentscheidung erfasst werden. So müsste beispielsweise die Anzahl der<br />
Produkte im Sortiment mindesten so verändert werden, dass sie einmal relativ gering<br />
und einmal relativ hoch ist. In der Praxis ist dies aufgrund der möglicherweise hohen<br />
finanziellen Auswirkungen für den kooperierenden Einzelhändler nur schwer<br />
durchsetzbar.<br />
369
Es wurde deshalb ein anderes Untersuchungsdesign gewählt: Die Vielfalt wurde<br />
indirekt manipuliert, indem die Untersuchung in drei Geschäften mit unterschiedlichen<br />
Sortimenten stattfand. Die eigentliche Messung der Einflussgrößen erfolgte<br />
anhand der durch Konsumenten wahrgenommenen und bewerteten Vielfalt.<br />
Die drei einbezogenen Märkte derselben Handelskette unterscheiden sich dabei<br />
sowohl hinsichtlich der Größe, als auch der Zusammensetzung der Sortimente. So<br />
bietet beispielsweise das Geschäft 2 insgesamt 90 Digitalkameras an, das Geschäft 3<br />
dagegen 134, also rund 49% mehr. Hinsichtlich der Markenzahl und der Anzahl<br />
verschiedener Preispunkte sind die Unterschiede zwischen minimaler und maximaler<br />
Vielfalt der drei Geschäfte etwas geringer. Bei der Markenzahl liegen sie zwischen 21<br />
und 26 (+24%), bei der Anzahl verschiedener Preispunkte zwischen 43 und 55<br />
(+28%). Die Preisspannen zwischen dem billigsten und dem teuersten Produkt<br />
unterscheiden sich dabei zwischen den drei Geschäften um rund 10% und liegen bei<br />
der DVD-Kategorie zwischen € 1.030 und € 1.148, und bei Digitalkameras zwischen<br />
€ 1.400 und € 1.550. In Abbildung 73 sind die beschriebenen quantitativen<br />
Sortimentseigenschaften der Märkte grafisch veranschaulicht.<br />
Anzahl 160 Anzahl Produkte Anzahl Marken Preispunkte und -spannen<br />
140<br />
134<br />
€1.499 €1.599 €1.499<br />
120<br />
100<br />
80<br />
74<br />
83<br />
95<br />
96<br />
90<br />
€1.197<br />
€ 1.099<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
55<br />
43 46<br />
39<br />
42<br />
37<br />
26 26<br />
21 21 21<br />
24<br />
€49 €69 €49 €99 €49 €49<br />
DVD Kamera DVD Kamera DVD Kamera<br />
Geschäft 1 Geschäft 2 Geschäft 3<br />
Abbildung 73: Anzahl der Marken, Produkte und Preispunkte sowie Preisspannen der drei Geschäfte<br />
Die Messung der in die Untersuchung einbezogenen Einflussgrößen erfolgte nicht anhand<br />
der absoluten, sondern mittels der durch Konsumenten wahrgenommenen Vielfalt. So<br />
wurden Konsumenten beispielsweise gebeten, die angebotene Anzahl an Produkten auf<br />
einer Skala <strong>von</strong> „deutlich zu gering“ über „optimal“ bis zu „deutlich zu hoch“<br />
einzuordnen. Die Wahrnehmung eines <strong>St</strong>imulus – in dem hier betrachteten<br />
370
Zusammenhang des Sortiments – wird in der Konsumentenverhaltensforschung als<br />
Teil des Informationsverarbeitungsprozesses betrachtet (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg<br />
1996, S. 265), an dessen Ende das „durch Gedächtnisinhalte ergänzte, durch<br />
Kognition durchstrukturierte, und durch Verhaltenserfahrungen bewertete<br />
Sinnerlebnis“ (Hajos 1977, S. 528) steht. <strong>Der</strong> Konsument nimmt folglich die Vielfalt<br />
des Sortiments wahr, indem er die Sinnerlebnisse mit seinen Erfahrungen in anderen<br />
Geschäften in Verbindung bringt. Diese stellen sozusagen Referenzpunkte dar, mit<br />
denen der Konsument seine aktuellen Sinneseindrücke vergleicht und sie so bewertet.<br />
Diese Argumentation verwenden z. B. auch Wakefield und Baker (1998), um zu<br />
untersuchen, wie sich die Vielfalt an Geschäften eines Einkaufszentrums auf die<br />
Besucherzahl und Aufenthaltsdauer in diesem auswirkt: „(...) one’s perception of an<br />
object (i.e. the environment) is based upon internally processed comparisons with<br />
other similar objects (...)“ (Wakefield/Baker 1998, S. 529). Für den hier betrachteten<br />
Zusammenhang heißt dies, dass Konsumenten die Vielfalt eines Geschäfts mit der<br />
eines anderen vergleichen. Ihre Einschätzung kann folglich als Annäherung für die<br />
tatsächlichen Vielfaltsunterschiede der Geschäfte verwendet werden. Unterstützt wird<br />
diese Argumentation auch <strong>von</strong> Analysen der Hauptuntersuchung:<br />
Bewertung der Produktanzahl durch Konsumenten<br />
Tatsächliche Produktanzahl<br />
Geschäft 1<br />
Geschäft 2<br />
Geschäft 3<br />
Anteil der 50%<br />
Befragten<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
viel zu<br />
gering<br />
Anteil der 50%<br />
Befragten<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
viel zu<br />
gering<br />
Anteil der<br />
Befragten<br />
zu gering<br />
42,1%<br />
19,8%<br />
0,0% 0,0% 0,5% 3,0% 6,9% 9,4%<br />
40%<br />
35%<br />
30%<br />
25%<br />
20%<br />
15%<br />
10%<br />
5%<br />
0%<br />
viel zu<br />
gering<br />
zu gering<br />
27,5%<br />
0,0% 0,0% 1,1% 5,5% 11,0% 9,9%<br />
zu gering<br />
20,3%<br />
12,7%<br />
5,7%<br />
0,0% 0,5% 0,0% 1,4%<br />
genau<br />
richtig<br />
32,4%<br />
genau<br />
richtig<br />
34,9%<br />
genau<br />
richtig<br />
zu hoch<br />
38,1%<br />
9,4% 8,9% 5,4% 5,9% 5,0% 3,5%<br />
zu hoch<br />
40,1%<br />
8,8% 8,2% 7,1%<br />
9,3%<br />
zu hoch<br />
44,8%<br />
viel zu<br />
hoch<br />
2,2% 4,4%<br />
viel zu<br />
hoch<br />
10,8% 10,4% 10,8%<br />
7,1%<br />
2,8% 2,8%<br />
viel zu<br />
hoch<br />
Anzahl<br />
160<br />
140<br />
120<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
134<br />
95 96<br />
90<br />
83<br />
74<br />
DVD<br />
Kam era<br />
Geschäft 1<br />
Geschäft 2<br />
Geschäft 3<br />
Abbildung 74: Vergleich der durch Konsumenten eingeschätzten und der tatsächlichen Anzahl der<br />
Produkte in den drei untersuchten Geschäften<br />
371
Vergleicht man in obiger Abbildung die Einschätzung der Anzahl an Produkten durch<br />
Konsumenten (links) mit der realen Produktanzahl (rechts), so ist zu erkennen, dass<br />
letztere <strong>von</strong> Geschäft 1 zu Geschäft 3 zunimmt. <strong>Der</strong> Anteil der Befragten, welche die<br />
Produktanzahl als „zu hoch“ einschätzen, steigt ebenfalls <strong>von</strong> 38,1% im ersten<br />
Geschäft auf 44,8% im dritten Geschäft und ist folglich mit der realen Zunahme an<br />
angebotenen Produkten konform.<br />
Die Wahrnehmung bzw. Bewertung der Vielfalt durch Konsumenten scheint folglich<br />
als Annäherung an die tatsächliche Vielfalt sinnvoll zu sein. Sie stellt unter den<br />
gegebenen Rahmenbedingungen eines Feldexperiments, in dem die Sortimente nicht<br />
verändert werden können, einen gangbaren Weg zur Messung der Sortimentseigenschaften<br />
als Einflussgrößen auf Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> dar.<br />
Operationalisierung der potenziellen Determinanten<br />
In Tabelle 84 ist die Operationalisierung der untersuchten Einflussgrößen des<br />
Sortiments dargestellt. Es ist zu erkennen, dass zwei verschiedene Skalen verwendet<br />
wurden. Zum einen diente eine 13-Punkt-Skala der Operationalisierung der<br />
quantitativen Größen Produktzahl, Markenzahl und Produktzahl auf relevantem<br />
Preisniveau. Sie hatte Ausprägungen <strong>von</strong> „deutlich zu gering“ (1), über „optimal“ (7)<br />
bis „deutlich zu hoch“ (13). Zum anderen wurde eine 7-Punkt-Likertskala für die<br />
qualitativen Einflussgrößen und die Anzahl der Preispunkte verwendet. Die<br />
Bewertungsskala mit 13 Antwortmöglichkeiten wurde gewählt, da sie gegenüber einer<br />
Likert-ähnlichen Skala wie z. B. „Die Anzahl an Produkten ist ... (1) sehr gering ... (7)<br />
sehr hoch“ den Vorteil hat, dass zusätzlich Aussagen über die Bewertung der Vielfalt<br />
durch die Konsumenten gemacht werden können.<br />
372
Einflussgröße Frage Skala<br />
Anzahl Produkte<br />
Anzahl Marken<br />
Anzahl Produkte auf<br />
relevantem<br />
Preisniveau<br />
Preisvielfalt<br />
Kompromissnotwendigkeit<br />
Klare Produktunterschiede<br />
Vergleichbarkeit der<br />
Produkte<br />
Ich finde die Anzahl der Digitalkameras ist<br />
insgesamt...<br />
Ich finde, die Anzahl verschiedener Marken<br />
(Hersteller) ist ...<br />
Ich finde, die Anzahl der Digitalkameras, die in<br />
etwa das kosten, was ich ausgeben will, ist ...<br />
Dieses Sortiment enthält Digitalkameras in vielen<br />
Preislagen – <strong>von</strong> preiswert bist teuer.<br />
Die Digitalkameras haben verschiedene Vor- und<br />
Nachteile, so dass ich Kompromisse eingehen<br />
muss<br />
Die Unterschiede der verschiedenen<br />
Digitalkameras sind mir vollkommen klar.<br />
Ich kann die verschiedenen Digitalkameras des<br />
Sortiments leicht miteinander vergleichen.<br />
1 (...) 7 (...) 13<br />
deutlich zu<br />
gering<br />
genau<br />
richtig<br />
deutlich zu<br />
hoch<br />
1 (...) 7 (...) 13<br />
deutlich zu<br />
gering<br />
genau<br />
richtig<br />
deutlich zu<br />
hoch<br />
1 (...) 7 (...) 13<br />
deutlich zu<br />
gering<br />
<strong>St</strong>imme<br />
überhaupt<br />
nicht zu<br />
<strong>St</strong>imme<br />
überhaupt<br />
nicht zu<br />
<strong>St</strong>imme<br />
überhaupt<br />
nicht zu<br />
<strong>St</strong>imme<br />
überhaupt<br />
nicht zu<br />
genau<br />
richtig<br />
(…)<br />
(…)<br />
(…)<br />
(…)<br />
deutlich zu<br />
hoch<br />
<strong>St</strong>imme<br />
vollkommen<br />
zu<br />
<strong>St</strong>imme<br />
vollkommen<br />
zu<br />
<strong>St</strong>imme<br />
vollkommen<br />
zu<br />
<strong>St</strong>imme<br />
vollkommen<br />
zu<br />
Tabelle 84:<br />
Operationalisierung der Einflussfaktoren<br />
Auf Basis dieser Operationalisierung wurde die <strong>St</strong>ärke des Einflusses der einzelnen<br />
Größen auf die KPV und NPV untersucht. Die Ergebnisse werden im nächsten Kapitel<br />
beschrieben und diskutiert.<br />
5.2 Empirische Untersuchung<br />
Die Untersuchung der Einflussstärke der betrachteten Sortimentseigenschaften erfolgte<br />
ebenfalls mit Hilfe eines PLS-Graphen. Da auch Größen in die Untersuchung<br />
einbezogen wurden, die nicht aus theoretischen Ausführungen des zweiten Kapitels<br />
abgeleitet wurden, aber aus Expertensicht relevant sind (siehe S. 367f.), existieren<br />
nicht für alle Größen Hypothesen bezüglich deren Auswirkung auf die KPV und NPV.<br />
Es wurde deshalb in einem ersten explorativen Schritt der Zusammenhang aller<br />
einbezogenen Größen sowohl mit den KPV als auch mit den NPV untersucht. In dem<br />
hierbei verwendeten PLS-<strong>St</strong>rukturmodell stellen die Kosten- und Nutzenaspekte die<br />
endogenen Variablen dar. Diese wurden wie schon bei vorherigen Analysen durch die<br />
<strong>von</strong> PLS ermittelten <strong>Wert</strong>e der latenten Variablen KPV und NPV gemessen (siehe z. B.<br />
S. 307ff.). Die einbezogenen Einflussgrößen bilden die exogenen Variablen des<br />
373
<strong>St</strong>rukturmodells. Da in dem verwendeten Schätzverfahren 63 PLS intern mit<br />
standardisierten <strong>Wert</strong>en rechnet, wurden alle Variablen in der Originalskalierung, d. h.<br />
unabhängig da<strong>von</strong>, ob ihnen eine 13- oder 7-Punkt Skala zugrunde liegt, in die<br />
Analysen einbezogen.<br />
Im zweiten Schritt wurden auf Basis der t-<strong>Wert</strong>e der Pfadkoeffizienten sukzessive<br />
alle nicht signifikanten Beziehungen entfernt, bis das Modell nur noch signifikante<br />
Beziehungen enthielt. Dies führte zu folgenden Ergebnissen:<br />
Ergebnisse des PLS-Modells<br />
Abbildung 75 stellt die Ergebnisse in grafischer Form als Pfaddiagramm dar. Die<br />
schon zugehörigen Gütemaße sind Tabelle 85 zu entnehmen.<br />
Nutzen<br />
NVP<br />
Kosten<br />
KPV<br />
Konstrukt<br />
0,335<br />
0,094 0,367 0,530<br />
-0,077 0,215 -0,091 -0,313<br />
0,060 ns Anzahl<br />
-0,116 -0,073<br />
Determinanten<br />
#Pr #Ma #PPr PV PU<br />
Ver<br />
Anzahl<br />
Produkte<br />
Marken<br />
# Produkte auf<br />
rel. Preisniveau<br />
Preisvielfalt<br />
Vergleichbarkeit<br />
Kompromissnotwendigkeit<br />
Kom<br />
klare Produktunterschiede<br />
Rang<br />
Nutzen n.a. 2 3 1<br />
Rang<br />
Kosten 1 5 7 6 3<br />
4 2<br />
Abbildung 75: Ergebnisse der PLS-Parameterschätzung der Determinanten der Kosten und Nutzen<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
63 Centroid; Rescaling with Location<br />
374
Exogene<br />
Konstrukte<br />
t-<strong>Wert</strong><br />
(Pfadkoeffizient)<br />
Zielkonstrukt<br />
Hypothese<br />
Ausgangskonstruktebene<br />
(exogene Variable)<br />
Pfadkoeffizient<br />
Zielkonstruktebene<br />
(endogene Var.)<br />
VIF f 2 R 2 Q 2<br />
(Redu.)<br />
⏐⏐> 0,1 > 1,98 < 10 > 0,05 > 0,3 > 0<br />
Anzahl Produkte 64 + ( ) 0,060 1,401<br />
Anzahl Marken 54 n.a. 0,053 1,259<br />
Anzahl Produkte<br />
auf rel.<br />
n.a. 0,075 1,753<br />
Preisniveau 54<br />
Preisvielfalt<br />
NPV<br />
n.a. 0,335 8,545 1,058 0,160<br />
Kompromissnotwendigkeit<br />
54 n.a. -0,063 1,653<br />
Vergleichbarkeit<br />
der Produkte<br />
n.a. 0,094 2,072 1,587 0,008<br />
n.a. 0,367 8,692 1,567 0,131<br />
0,358 0,077<br />
Anzahl Produkte + () 0,530 16,006 1,399 0,426<br />
Anzahl Marken n.a. -0,116 2,942 1,439 0,024<br />
Anzahl Produkte<br />
auf rel.<br />
Preisniveau<br />
n.a. -0,073 2,156 1,135 0,017<br />
KPV<br />
Preisvielfalt n.a. -0,077 2,449 1,083 0,019<br />
0,531 0,223<br />
Klare Produktunterschiede<br />
Kompromissnotwendigkeit<br />
Klare Produktunterschiede<br />
Vergleichbarkeit<br />
der Produkte<br />
+ () 0,215 7,448 1,038 0,087<br />
– () -0,091 2,319 1,605 0,021<br />
– () -0,313 7,804 1,592 0,139<br />
Tabelle 85: Parameterschätzung und Gütemaße der Determinanten der Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> (Größen mit signifikantem Einfluss sind farbig hinterlegt)<br />
Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Betrachtet man zunächst die Einflussfaktoren auf den Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>, so<br />
ist aus der Tabelle zu erkennen, dass die beiden Größen Vergleichbarkeit der<br />
Produkte und Preisvielfalt diesen am stärksten beeinflussen. Die Pfadkoeffizienten<br />
der beiden Einflussfaktoren liegen mit <strong>Wert</strong>en <strong>von</strong> 0,335 für die Preisvielfalt und<br />
64 In Analysen nicht berücksichtigt<br />
375
0,367 für die Vergleichbarkeit der Produkte in einer ähnlichen Größenordung.<br />
Gleiches gilt für die t-<strong>Wert</strong>e der Pfadkoeffizienten sowie für die f 2 -<strong>Wert</strong>e. Positiv<br />
beeinflusst wird der Nutzen auch <strong>von</strong> dem Faktor klare Produktunterschiede, wobei<br />
dieser Einfluss mit einem Pfadkoeffizienten <strong>von</strong> 0,094 und einem f 2 -<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 0,008<br />
relativ gering, aber aufgrund des t-<strong>Wert</strong>s des Pfadkoeffizienten <strong>von</strong> 2,072 signifikant<br />
ist. Die anderen betrachteten Sortimentseigenschaften beeinflussen den NPV nicht.<br />
Insbesondere das Ergebnis, dass die Anzahl der Produkte im Sortiment keinen<br />
Einfluss auf den Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> hat, ist überraschend und stellt eine<br />
zentrale Hypothese dieser Untersuchung in Frage. Dieser Punkt wird deshalb an<br />
späterer <strong>St</strong>elle (siehe S. 381) tiefer gehend betrachtet.<br />
Insgesamt erklären die drei signifikanten Einflussfaktoren 35,8% der Varianz der<br />
Nutzendimension, was als zufrieden stellend einzustufen ist. Das <strong>St</strong>one-Geisers Q 2<br />
bezüglich der Redundanz ist positiv und deutet auf die Prognosevalidität des Modells<br />
hin, das insgesamt als valide zu betrachten ist.<br />
Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> werden <strong>von</strong> allen betrachteten Sortimentseigenschaften<br />
signifikant beeinflusst, was aus den t-<strong>Wert</strong>en der Pfadkoeffizienten,<br />
die für alle Größen über der Grenze <strong>von</strong> 1,98 liegen, hervorgeht. Betrachtet man<br />
zunächst die Höhe der Pfadkoeffizienten, ist aus der Tabelle zu erkennen, dass sich die<br />
Faktoren aber erheblich in ihrer Einflussstärke unterscheiden. So beeinflusst die<br />
Anzahl der Produkte die Kostenaspekte am stärksten, gefolgt <strong>von</strong> der Vergleichbarkeit<br />
der Produkte und der Kompromissnotwendigkeit. Die Unterschiede in der <strong>St</strong>ärke<br />
des Einflusses kommen auch in den f 2 -<strong>Wert</strong>en zum Ausdruck, die zwischen 0,426 für<br />
die Produktanzahl und 0,017 für die Anzahl der Produkte auf relevantem Preisniveau<br />
liegen. Vier Einflussfaktoren unterschreiten die gesetzte Grenze <strong>von</strong> 0,05, üben somit<br />
also einen sehr geringen Einfluss aus. Da die Effektgröße f 2 aber kein hartes<br />
Ausschlusskriterium darstellt (sieh S. 330) und die t-<strong>Wert</strong>e über dem Grenzwert<br />
liegen, werden die Beziehungen auch weiterhin im Modell berücksichtigt.<br />
Die Pfadkoeffizienten der Größen, für die Hypothesen formuliert wurden, haben das<br />
erwartete Vorzeichen: Je höher die Anzahl der Produkte bzw. die Notwendigkeit zum<br />
Kompromiss, desto höher die Kosten. Umgekehrt verhält es sich mit der<br />
Vergleichbarkeit der Produkte und den Produktunterschieden: Je geringer diese sind,<br />
desto höher sind die KPV.<br />
376
Da der VIF aller Determinanten unter dem <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 2 und damit sehr deutlich unter<br />
dem Grenzwert <strong>von</strong> 10 liegt, kann weiterhin deren Multikollinearität ausgeschlossen<br />
werden. Insgesamt können die Einflussgrößen 53,1% der Varianz der latenten<br />
Kostenvariablen erklären, was als gutes Ergebnis zu bezeichnen ist. Die Prognosegüte<br />
des Modells kommt auch durch das <strong>St</strong>one-Geissers Q 2 <strong>von</strong> 0,223 zum Ausdruck.<br />
Die Hypothesen 15 bis 18 können somit insgesamt aufrechterhalten werden. Die<br />
Hypothese 19 (positiver Zusammenhang <strong>von</strong> Produktanzanl und NPV) wird einer<br />
gesonderten Prüfung unterzogen<br />
Interpretation der Ergebnisse<br />
Die Interpretation der Ergebnisse erfolgt wie beim Messmodell der KPV und NPV<br />
(siehe S. 291f bzw. S. 300f) einerseits anhand des relativen Erklärungsanteils einer<br />
Einflussgröße (Pfadkoeffizient x Korrelation) und andererseits, um eine Aussage über<br />
die Richtung der Beziehung machen zu können, anhand des Vorzeichens des<br />
Pfadkoeffizienten. Beide sind für die Determinanten mit signifikantem Einfluss auf<br />
das jeweilige Zielkonstrukt in Tabelle 86 aufgeführt.<br />
Faktor<br />
Pfadkoeffizient<br />
Korrelation<br />
Pfadkoeffizient<br />
x<br />
Korrelation<br />
Relativer<br />
Erklärungsanteil<br />
Rang<br />
Preisvielfalt 0,335 0,335 0,143 40% 2<br />
NPV<br />
Vergleichbarkeit<br />
der Produkte<br />
0,094 0,388 0,036 10% 3<br />
0,367 0,488 0,179 50% 1<br />
Anzahl Produkte 0,530 0,547 0,290 52% 1<br />
Anzahl Marken -0,116 -0,092 0,011 2% 5<br />
Anzahl Produkte<br />
auf rel.<br />
Preisniveau<br />
-0,073 -0,063 0,005 1% 7<br />
KPV<br />
Preisvielfalt -0,077 -0,162 0,012 2% 5<br />
Klare Produktunterschiede<br />
Kompromissnotwendigkeit<br />
Klare Produktunterschiede<br />
Vergleichbarkeit<br />
der Produkte<br />
0,215 0,251 0,054 10% 3<br />
-0,091 -0,365 0,033 6% 4<br />
-0,313 -0,471 0,147 27% 2<br />
Tabelle 86: Einflussstärke der betrachteten Sortimentseigenschaften auf die Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong><br />
377
Nutzendimension<br />
Die Varianz der latenten Variablen NPV wird zu 50% durch die Vergleichbarkeit der<br />
Produkte und zu 40% durch die Preisvielfalt im Sortiment erklärt. Beide Größen<br />
wirken sich positiv auf den Nutzen aus, d. h. je höher die Vergleichbarkeit der<br />
Produkte bzw. Preisvielfalt, desto höher der Nutzen. Die Verschiedenheit der<br />
Produkte steht mit dem NPV ebenfalls in einem positiven Zusammenhang; ihr<br />
Erklärungsbeitrag ist mit 10% aber vergleichsweise gering.<br />
Für Konsumenten scheint es folglich besonders wichtig zu sein, dass die Produkte<br />
eines Sortiments eine hohe Vergleichbarkeit aufweisen. Dies wirkt sich nicht nur<br />
reduzierend auf die KPV, sondern auch stark positiv auf den NPV aus. Zu begründen<br />
ist dies vermutlich damit, dass der potenzielle Käufer besonders dann <strong>von</strong> hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> profitiert, wenn er aufgrund der Vergleichbarkeit der Produkte leichter<br />
das Produkt identifizieren kann, das seinen Erwartungen und Ansprüchen am nächsten<br />
kommt. Er schätzt folglich die beiden Faktoren der Nutzenkomponente<br />
Erfolgsaussichten und Antizipierter Produktnutzen entsprechend hoch ein.<br />
Gleichzeitig könnte es dem Verbraucher bei guter Vergleichbarkeit der Produkte<br />
besonders leicht fallen, dem Sortiment Informationen zu entnehmen und mehr über die<br />
Produkte zu erfahren, was ihm zusätzlich auch Spaß bereitet. Die Vergleichbarkeit der<br />
Produkte wirkt sich somit positiv auf wesentliche Faktoren der Nutzendimension aus,<br />
was ihren starken Einfluss erklären kann. Die Ergebnisse decken sich insgesamt mit<br />
den Erkenntnissen zur Alignability <strong>von</strong> Produkten <strong>von</strong> Gourville und Soman (1999),<br />
auf die an früherer <strong>St</strong>elle bereits eingegangen wurde (siehe Kapitel 2.1.4, S. 51ff.).<br />
Die positive Wirkung der Preisvielfalt auf die Nutzendimension lässt sich anhand <strong>von</strong><br />
zwei Aspekten gut erklären: <strong>Der</strong> erste Aspekt bezieht sich darauf, dass ein Sortiment,<br />
das Produkte <strong>von</strong> billig bis teuer enthält, dem Käufer das gesamte Produktleistungsspektrum<br />
vergegenwärtigt und ihm die Möglichkeit bietet, sich über seine eigenen<br />
Präferenzen klar zu werden. <strong>Der</strong> Konsument hat daran zum einen Spaß (vgl.<br />
Huffmann/Kahn 1998, S. 509) und zum anderen erhöht dies sein Informationsniveau.<br />
Er kann durch ein breites Preisspektrum weiterhin ein besseres Verständnis der<br />
Preis-Leistungs-Relation der Produktgruppe entwickeln. Ein zweiter Erklärungsansatz<br />
ist die Sortimentskompetenz des Händlers, die durch ein breites Preisspektrum zum<br />
Ausdruck kommt. <strong>Der</strong> Konsument gewinnt dadurch den Eindruck, dass der<br />
Einzelhändler große Teile der am Markt verfügbaren Produkte anbietet und<br />
entsprechend kompetent ist, und er schließt daraus, dass er in einem anderen Geschäft<br />
keine Produkte findet, die aus seiner Sicht besser sind als die hier verfügbaren. Die<br />
378
Nutzenfacetten Erfolgsaussichten und Antizipierter Produktnutzen sind dadurch<br />
entsprechend hoch.<br />
Obwohl der Einfluss des Faktors Verschiedenheit der Produkte verhältnismäßig<br />
gering ist, sollte er nicht vernachlässigt werden. Hat ein Konsument die Möglichkeit,<br />
Unterschiede der Produkte klar zu erkennen, kann er dadurch ebenfalls leichter seine<br />
Präferenzen identifizieren und sein Informationsniveau erhöhen.<br />
Ein Handelsunternehmen kann die Nutzenaspekte eines Sortiments folglich dadurch<br />
erhöhen, dass es die Produkte des Sortiments beispielsweise durch die Bereitstellung<br />
entsprechender Informationen vergleichbar macht, ein breites Preisspektrum anbietet<br />
und die Unterschiede der einzelnen Produkte betont. Auf konkrete Handlungsempfehlungen<br />
wird in Kapitel 6.2 (S. 397ff.) eingegangen.<br />
Kosten<br />
Den mit Abstand stärksten Einfluss auf die KPV übt mit 52% Varianzerklärungsbeitrag<br />
die Anzahl der Produkte im Sortiment aus. Dies bestätigt die<br />
zentrale Hypothese der Arbeit, dass hohe <strong>Produktvielfalt</strong> für Konsumenten mit<br />
negativen Konsequenzen in Form <strong>von</strong> Entscheidungsaufwand, Verwirrung und<br />
Frustration sowie Antizipiertem Regret verbunden ist. Durch eine gezielte Reduktion<br />
der Anzahl der Produkte im Sortiment kann ein Einzelhändler folglich die<br />
Entscheidungskosten des Konsumenten reduzieren.<br />
Neben der Produktanzahl spielt die Vergleichbarkeit der Produkte auch auf der<br />
Kostenseite eine zentrale Rolle. So kann der kognitive Aufwand bei der Entscheidung<br />
vermutlich deutlich reduziert werden, wenn der Konsument die Produkte gut<br />
miteinander vergleichen kann. Er ist dann durch die Vielfalt außerdem weniger<br />
verwirrt und frustriert, da er in geringerem Maße überfordert wird. Dieser Aspekt<br />
wurde <strong>von</strong> Gourville und Soman (1999), ebenso wie <strong>von</strong> Markman und seinen<br />
Kollegen (siehe z. B. Markman/Medin 1995; Zhang/Markman 1998; Zhang/Markman<br />
1999) intensiv im Zusammenhang mit der Alignability <strong>von</strong> Produkten diskutiert (siehe<br />
auch Kapitel 2.1.4, S. 51ff.).<br />
Bestätigt wurde ebenfalls der vermutete positive Zusammenhang <strong>von</strong> Kompromissnotwendigkeit<br />
und KPV. Dieser dürfte zum einen auf den höheren kognitiven<br />
Aufwand und zum anderen auf die negativen Emotionen, welche bei Entscheidungen,<br />
die einen Kompromiss erfordern, zurückzuführen sein. Im Rahmen der Konflikttheorie<br />
wurde hierauf detailliert eingegangen (siehe Kapitel 2.3.2.2, S. 134ff.).<br />
379
Die Auswirkungen der Produktunterschiede sind wie erwartet negativ, das heißt, je<br />
klarer die Unterschiede, desto geringer die Kosten. Dies deutet darauf hin, dass die<br />
Entscheidung für den Konsumenten mit einem geringeren kognitiven Aufwand<br />
verbunden ist, wenn ihm die Unterschiede der Produkte klar sind und er sich also<br />
lange und intensiv mit den Produkten beschäftigen muss, um deren Unterschiede zu<br />
erkennen. Die Entstehung <strong>von</strong> antizipiertem Regret dürfte dadurch ebenfalls gemindert<br />
werden, da klare Produktunterschiede eine eindeutige Entscheidung des Konsumenten<br />
erleichtern, er sich der Richtigkeit seiner Entscheidung sicherer ist und deshalb<br />
weniger Bedauern antizipiert.<br />
<strong>Der</strong> kostenreduzierende Einfluss der Sortimentseigenschaften Markenanzahl, Anzahl<br />
der Produkte auf relevantem Preisniveau sowie Preisvielfalt ist mit Erklärungsanteilen<br />
<strong>von</strong> 2% bzw. 1% vernachlässigbar gering. Es scheint folglich, dass<br />
Konsumenten mit einer hohen Markenzahl weder positive noch negative Aspekte<br />
verbinden. Gleiches gilt für die Anzahl der Produkte auf relevantem Preisniveau.<br />
Letzteres ist durchaus erstaunlich, da an sich ein positiver Einfluss auf die NPV<br />
naheliegend ist.<br />
Zusammenfassung<br />
Die Untersuchungsergebnisse haben gezeigt, dass der Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> im<br />
Wesentlichen durch<br />
• die Vergleichbarkeit der Produkte ( + ) (50%),<br />
• Die Preisvielfalt ( + ) (40%) und<br />
• die Verschiedenheit ( + ) (10%) der Produkte<br />
bestimmt wird. Alle drei Größen wirken sich mit zunehmender Ausprägung positiv<br />
auf die Nutzenaspekte aus.<br />
Die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> sind vor allem auf<br />
• die Anzahl der Produkte ( + ) (52%),<br />
• die Vergleichbarkeit der Produkte ( _ ) (27%),<br />
• die Kompromissnotwendigkeit ( + ) (10%) und<br />
• die klaren Produktunterschiede ( _ ) (6%)<br />
zurückzuführen. Während die Anzahl der Produkte und die Kompromissnotwendigkeit<br />
bei zunehmender Ausprägung die Kosten erhöhen, führt eine Zunahme der beiden<br />
380
anderen Faktoren zu deren Senkung. <strong>St</strong>eigende Vergleichbarkeit und klare<br />
Unterschiede erleichtern demnach die Entscheidung.<br />
Da die Analysen ergeben haben, dass die Anzahl der Produkte keinen positiven<br />
Einfluss auf die NPV hat, wird der Zusammenhang <strong>von</strong> Produktanzahl NPV sowie<br />
KPV anschließend detailliert betrachtet.<br />
Anzahl der Produkte im Sortiment und ihre Auswirkung auf die NPV und KPV<br />
Zur näheren Untersuchung des Zusammenhangs <strong>von</strong> Produktanzahl und NPV, wird<br />
dieser zunächst grafisch veranschaulicht. Hierzu wird für jeden Datensatz der in PLS<br />
ermittelte <strong>Wert</strong> der latenten Nutzen- bzw. Kostenvariablen (y-<strong>Wert</strong>) in Abhängigkeit<br />
der zugehörigen wahrgenommenen <strong>Produktvielfalt</strong> (x-<strong>Wert</strong>) in einem kartesischen<br />
Koordinatensystem in einer Art „Punktewolke“ dargestellt. Abbildung 76 zeigt dies.<br />
Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Nutzen<br />
Bis Optimum<br />
Über Optimum<br />
Kosten<br />
Bis Optimum<br />
Über Optimum<br />
deutlich<br />
zu gering<br />
optimal<br />
deutlich<br />
zu hoch<br />
deutlich<br />
zu gering<br />
optimal<br />
deutlich<br />
zu hoch<br />
Anzahl Produkte<br />
Anzahl Produkte<br />
Abbildung 76: Grafische Veranschaulichung des Zusammenhangs <strong>von</strong> Produktanzahl und den <strong>Wert</strong>en<br />
der latenten Nutzen- und Kostenvariablen<br />
Im linken Teil der Grafik ist der Zusammenhang <strong>von</strong> (wahrgenommener)<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> (Anzahl Produkte) und dem <strong>Wert</strong> der latenten Nutzenvariable (NPV)<br />
dargestellt. Dem Augenschein nach ist zu erkennen, dass der NPV (y-Variable) nicht<br />
wie erwartet über den gesamten <strong>Wert</strong>ebereich der x-Variablen (Anzahl Produkte) –<br />
<strong>von</strong> „deutlich zu gering“ bis „deutlich zu hoch“ – linear ansteigt. <strong>Der</strong><br />
381
PLS-Algorithmus basiert aber auf multiplen linearen Regressionen und versucht,<br />
vereinfacht gesagt, eine Gerade durch die dargestellte „Punktewolke“ zu legen, deren<br />
<strong>St</strong>eigung Ausdruck für die <strong>St</strong>ärke und Richtung des Zusammenhangs der beiden<br />
Variablen ist. Die gestrichelte Linie im Diagramm stellt die auf Basis der <strong>Wert</strong>e<br />
ermittelte 65 lineare Trendlinie dar. Zu erkennen ist, dass diese nahezu parallel zur<br />
Abszisse verläuft, also eine <strong>St</strong>eigung <strong>von</strong> annähernd 0 (0,008) hat. Folglich ist es nicht<br />
verwunderlich, dass sich im PLS-Modell kein signifikanter positiver Zusammenhang<br />
<strong>von</strong> Produktanzahl und NPV ergeben hat.<br />
Betrachtet man die Punkte nicht über den gesamten <strong>Wert</strong>ebereich, sondern<br />
abschnittweise zum einen bis zur aus Konsumentensicht optimalen Produktanzahl und<br />
zum anderen oberhalb dieser, ergibt sich ein anderes Bild: Wie die abschnittweise<br />
hinzugefügten Trendlinien 66 veranschaulichen, steigt der Nutzen bis zum Optimum<br />
mit zunehmender Vielfalt deutlich an, nimmt dann aber nach dessen Überschreitung<br />
ab. Es scheint somit, dass zunehmende Vielfalt nach dem Überschreiten eines<br />
Optimums einen negativen Grenzwert hat, d. h. wird die Alternativenzahl über das<br />
Optimum hinausgehend erhöht, reduziert dies den NPV eines Konsumenten.<br />
Führt man dieselbe Betrachtung für die Kostendimension durch (rechter Teil <strong>von</strong><br />
Abbildung 76), so zeigt sich, dass die lineare Trendlinie für den gesamten<br />
<strong>Wert</strong>ebereich (gestrichelte Linie) eine deutlich positive <strong>St</strong>eigung hat, weshalb sich im<br />
PLS-Modell auch ein signifikanter positiver Zusammenhang <strong>von</strong> Produktanzahl und<br />
KPV ergeben hat. Unterscheidet man auch hier zwei Abschnitte – einen bis zum<br />
Optimum und einen darüber – so verdeutlichen die abschnittweisen Trendlinien, dass<br />
die Kosten bis zum Optimum relativ konstant sind, nach dessen Überschreiten aber<br />
sehr stark ansteigen.<br />
An dieser <strong>St</strong>elle soll aber nicht der Versuch unternommen werden, einen<br />
mathematisch korrekten und statistisch belastbaren funktionalen Zusammenhang <strong>von</strong><br />
Produktanzahl und Kosten bzw. Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> herzuleiten. Vielmehr<br />
sollte die grafische Betrachtung des Zusammenhangs eine mögliche Erklärung des<br />
Ergebnisses des PLS-Modells hinsichtlich der nicht signifikanten Beziehung zwischen<br />
der Anzahl der Produkte und dem Nutzenkonstrukt geben. Als Konsequenz der<br />
explorativen Veranschaulichung bietet es sich aber an, die Wirkung der<br />
Alternativenzahl auf die KPV und NPV abschnittweise mit Hilfe eines PLS-Modells<br />
zu analysieren.<br />
65 Mit Hilfe der Trendlinienfunktion <strong>von</strong> Microsoft Excel ermittelt<br />
382
Abschnittsweise Betrachtung des Zusammenhangs <strong>von</strong> Alternativenzahl und Kosten<br />
und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Zur abschnittweisen Untersuchung dieses Zusammenhangs mittels eines PLS-Modells<br />
wurde der Datensatz anhand der <strong>Wert</strong>e der „wahrgenommenen <strong>Produktvielfalt</strong>“<br />
zweigeteilt: 315 der 596 Datensätze hatten Variablenausprägungen <strong>von</strong> 1 bis 7 und<br />
fielen in die Gruppe „bis zum Optimum“. Die wahrgenommene <strong>Produktvielfalt</strong> der<br />
restlichen 245 Befragten lag über dem <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 8, ihre Datensätze wurden deshalb<br />
dem Sample „über dem Optimum“ zugeteilt. Anschließend wurde für die beiden<br />
Subsamples getrennt ein PLS-Modell mit NPV und KPV 67 als endogene Variablen und<br />
der Anzahl der Produkte als exogene Variable berechnet. In Abbildung 77 sind die<br />
beiden <strong>St</strong>rukturmodelle mit Parameterschätzung und in Tabelle 87 die zugehörigen<br />
Gütemaße dargestellt.<br />
Vielfalt BIS Optimalniveau (7) Vielfalt ÜBER Optimalniveau (7)<br />
Bis Optimum<br />
Über Optimum<br />
Determinante Konstrukt<br />
Nutzen<br />
NPV<br />
R 2 = 0,209<br />
0,457<br />
N = 351<br />
#Pr<br />
Anzahl<br />
Produkte<br />
Kosten<br />
KPV<br />
R 2 = 0,058<br />
- 0,241<br />
Determinante Konstrukt<br />
Nutzen<br />
NPV<br />
R 2 = 0,069<br />
-0,263<br />
N = 245<br />
#Pr<br />
Anzahl<br />
Produkte<br />
Kosten<br />
KPV<br />
R 2 = 0,239<br />
0,489<br />
Abbildung 77: Abschnittweise PLS-Modelle (bis Optimum, über Optimum) des Zusammenhangs <strong>von</strong><br />
Alternativenzahl und Kosten- und Nutzenkonstrukt<br />
Die Parameterschätzungen bestätigen dabei den aufgrund der grafischen<br />
Veranschaulichung vermuteten Zusammenhang:<br />
Im Bereich bis zum Optimum besteht ein signifikanter positiver Zusammenhang<br />
zwischen der Alternativenzahl und der Nutzenkomponente. <strong>Der</strong> Pfadkoeffizient ist mit<br />
0,457 sehr hoch, dessen Signifikanz kommt durch den zugehörigen t-<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 8,868<br />
zum Ausdruck. Im Gegensatz hierzu ist die Auswirkung der <strong>Produktvielfalt</strong> auf die<br />
KPV trotz eines Pfadkoeffizienten <strong>von</strong> -0,241 mit einem t-<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> 1,081 in diesem<br />
66 Mit Hilfe der Trendlinienfunktion <strong>von</strong> Microsoft Excel ermittelt<br />
67 Die Nutzen- und Kostenvariable wurde jeweils wie bei den vorherigen Modellen gemessen.<br />
383
„Vielfalts-Abschnitt“ nicht signifikant. Auf Zielkonstruktebene kann das Modell die<br />
verwendeten Gütekriterien nicht erfüllen, da die erklärte Varianz der latenten<br />
Nutzenvariable bei nur rund 21%, und das <strong>St</strong>one-Geissers Q 2 mit einem <strong>Wert</strong> <strong>von</strong><br />
-0,051 jeweils unterhalb des vorgegebenen Grenzwerts liegen. Die Erklärungskraft des<br />
Modells ist folglich nicht zufrieden stellend. Da aber nicht die Erklärung der Nutzenbzw.<br />
Kostenvariable, sondern die Untersuchung ihrer Zusammenhänge mit der<br />
Anzahl der Produkte im Sortiment Ziel dieser gesonderten Analyse ist, fällt dieses<br />
Ergebnis nicht weiter ins Gewicht. Aus der Signifikanz der Beziehung zwischen<br />
Produktanzahl und NPV kann daher die Schlussfolgerung gezogen werden, dass sich<br />
eine Zunahme der Produktanzahl bis zum Optimum positiv auf den NPV<br />
auswirkt, während dadurch die Kosten nicht signifikant beeinflusst werden.<br />
Liegt die Alternativenzahl über dem Optimum, führt eine Erhöhung der<br />
Alternativenzahl zu einer Reduzierung des Nutzens und einer starken Erhöhung der<br />
Kosten. Beide Beziehungen sind mit t-<strong>Wert</strong>en <strong>von</strong> 5,340 (Nutzen) und 9,773 (Kosten)<br />
signifikant, wobei der kostensteigernde Effekt aufgrund des deutlich höheren<br />
Pfadkoeffizienten <strong>von</strong> 0,469 gegenüber -0,263 stärker ist. Auf Zielkonstruktebene<br />
wiederholt sich das Ergebnis des anderen Subsamples: Sowohl die erklärte Varianz als<br />
auch das Q 2 liegen für beide Zielkonstrukte unterhalb der Grenzwerte, wobei die<br />
<strong>Wert</strong>e der NPV deutlich schlechter sind als die der KPV. Die Variable Anzahl der<br />
Produkte kann somit allein betrachtet weder den Nutzen noch die Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> ausreichend erklären, beeinflusst diese aber signifikant.<br />
Exogenes<br />
Konstrukt<br />
Zielkonstrukt<br />
t-<strong>Wert</strong><br />
(Pfadkoeffizient)<br />
Hypothese<br />
Ausgangskonstruktebene<br />
(exogene Variable)<br />
Pfadkoeffizient<br />
Anzahl<br />
Produkte bis<br />
NPV + () 0,457 8,868<br />
Optimum<br />
(N=351) KPV n.a. -0,241 1,081<br />
Anzahl<br />
Produkte über<br />
NPV n.a. -0,263 5,340<br />
Optimum<br />
(N=245) KPV + () 0,469 9,773<br />
Zielkonstruktebene<br />
(endogene Var.)<br />
VIF f 2 R 2 Q 2<br />
(Redu.)<br />
⏐⏐> 0,1 > 1,98 < 10 > 0,05 > 0,3 > 0<br />
–<br />
(n.a.)<br />
–<br />
(n.a.)<br />
–<br />
(n.a.)<br />
–<br />
(n.a.)<br />
–<br />
(n.a.)<br />
–<br />
(n.a.)<br />
–<br />
(n.a.)<br />
–<br />
(n.a.)<br />
0,209 -0,052<br />
0,058 -0,140<br />
0,069 -0,178<br />
0,239 -0,021<br />
Tabelle 87:<br />
Optimum“<br />
Parameter und Gütemaße der PLS-Modelle der Subsamples „bis Optimum“ und „über<br />
384
Zusammenfassung<br />
Für die Hypothese 19 folgt aus den gesonderten Analysen, dass sie nur teilweise<br />
angenommen werden kann. So hat sich gezeigt, dass der Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
nur bis zu einem bestimmten Punkt mit zunehmender Vielfalt entsprechend der<br />
Hypothese steigt. Überschreitet die Vielfalt an Produkten ein optimales Niveau, führt<br />
eine weitere Erhöhung zu einer Reduktion des Nutzens und gleichzeitig zu einem<br />
starken Anstieg der Kosten. <strong>Der</strong> Effekt zwischen Produktanzahl und Kosten sowie<br />
Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> ist damit stärker als zunächst angenommen:<br />
Eine hohe Produktanzahl im Sortiment führt nicht nur zu hohen Entscheidungskosten,<br />
sondern reduziert gleichzeitig die mit großer Auswahl verbundenen<br />
positiven Aspekte und wirkt sich somit in doppelter Hinsicht negativ aus.<br />
Für Handelsunternehmen folgt daraus, dass sich eine zu hohe Anzahl an Produkten im<br />
Sortiment stark negativ auf das Kaufverhalten der Konsumenten auswirken kann, da<br />
dadurch gleichzeitig die in einem positiven Zusammenhang mit der Kaufabsicht<br />
stehenden Nutzenaspekte reduziert, und die kaufwahrscheinlichkeitsminderndenen<br />
Kostenfacetten gesteigert werden. Ähnliches gilt für die dem Kauf nachgelagerte<br />
Bewertung wie z. B. die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess. Folglich sollte ein<br />
Einzelhändler die Gesamtzahl der angebotenen Produkte in einer Produktkategorie<br />
sehr kritisch auf Reduktionsmöglichkeiten überprüfen.<br />
5.3 Zusammenfassung<br />
Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> werden sowohl durch quantitative als auch<br />
qualitative Aspekte des Sortiments beeinflusst.<br />
Die Anzahl der Produkte im Sortiment ist hierbei der stärkste Einflussfaktor auf die<br />
KPV, wirkt sich aber nur bis zu einem personenspezifischen Optimum positiv auf den<br />
NPV aus. Wird dieses Optimum überschritten, bietet ein Unternehmen also mehr<br />
Produkte an, als aus Sicht eines Konsumenten optimal ist, führt dies zu einer<br />
Reduktion des NPV. Die Grundhypothese dieser Arbeit, dass hohe <strong>Produktvielfalt</strong><br />
negative Auswirkungen haben kann, wird durch diese doppelt negative Wirkung zu<br />
hoher Vielfalt zusätzlich bekräftigt.<br />
385
Den zweitstärksten Einfluss auf die KPV und den stärksten auf den NPV hat mit der<br />
Vergleichbarkeit der Produkte eine qualitative Sortimentseigenschaft. Demzufolge<br />
profitieren Konsumenten insbesondere <strong>von</strong> Sortimenten, deren Produkte gut<br />
vergleichbar sind, wodurch insbesondere die Informationsmöglichkeiten verbessert<br />
und der Vergleich mit den eigenen Präferenzen erleichtert wird. Letzteres beeinflusst<br />
indirekt den antizipierten Produktnutzen und die Erfolgsaussichten und wirkt sich<br />
somit fördernd auf den NPV aus. <strong>Der</strong> starke Einfluss auf die KPV ist durch die<br />
Notwendigkeit zusätzlicher Abstraktionsschritte bei geringer Vergleichbarkeit der<br />
Produkte zu erklären.<br />
Zweitwichtigster Einflussfaktor auf den NPV ist die Preisvielfalt. Konsumenten<br />
profitieren da<strong>von</strong> vermutlich in erster Linie dadurch, dass sie sich durch Sortimente<br />
mit Produkten <strong>von</strong> preiswert bis teuer einen guten Überblick über das Leistungsspektrum<br />
verschaffen können und so ein Gefühl für die Preis-Leistungs-Relation der<br />
Produktkategorie gewinnen.<br />
Interessant ist an den Ergebnissen auch, dass die Anzahl der Marken und die Anzahl<br />
der Produkte auf relevantem Preisniveau keinen Einfluss auf die NPV und nur einen<br />
äußerst geringen, aber signifikanten auf die KPV ausübt.<br />
Insgesamt zeigen die Untersuchungsergebnisse insbesondere, dass zum einen (zu)<br />
hohe <strong>Produktvielfalt</strong> für Konsumenten negative Aspekte hat und zum anderen<br />
sowohl quantitative als auch qualitative Charakteristika des Sortiments Kosten<br />
und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> beeinflussen.<br />
386
6. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse<br />
Dieses Kapitel fasst die Gesamtergebnisse der Untersuchung aus den Blickwinkeln der<br />
Marketingtheorie und der Unternehmenspraxis zusammen.<br />
6.1 Die Ergebnisse der Untersuchung aus Sicht der Marketingtheorie<br />
Aus der Perspektive der Marketingtheorie stand eine übergeordnete Frage im Zentrum<br />
dieser Arbeit:<br />
Verbinden Konsumenten mit hoher <strong>Produktvielfalt</strong> negative Aspekte?<br />
Die Ergebnisse der Untersuchung lassen den Schluss zu, diese Frage mit JA zu<br />
beantworten: Aus Konsumentensicht hat Vielfalt nicht nur Vorteile, sondern auch<br />
Nachteile. Diese wurden als Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> bezeichnet und wirken sich<br />
negativ auf das Kaufverhalten und die dem Kauf nachgelagerten Evaluationsgrößen<br />
aus. Demnach kann hohe Vielfalt die Kaufintention sowie die Zufriedenheit des<br />
Entscheiders mit dem Kaufprozess reduzieren, die Entstehung kognitiver Dissonanz<br />
begünstigen und so die Produktzufriedenheit negativ beeinflussen. Letztlich kann hohe<br />
Vielfalt dazu führen, dass Konsumenten gegenüber Geschäften mit hoher Vielfalt<br />
illoyal werden.<br />
Die zentrale Hypothese dieser Arbeit (Hypothese 1, S. 92), die <strong>von</strong> der Existenz<br />
negativer Aspekte hoher <strong>Produktvielfalt</strong> aus Konsumentensicht ausgegangen ist und<br />
deren nachteilige Auswirkungen auf die Kaufintention und auf verschiedene Facetten<br />
der Nachkaufbewertung vorhergesagt hat, kann somit aufrecht erhalten werden.<br />
Die Untersuchungsergebnisse stehen damit im Widerspruch zur rationalen<br />
Entscheidungstheorie (Rational Theory of Choice) (vgl. Luce 1959, 1977;<br />
Tversky/Shafir 1992, S. 358; siehe auch S. 43f.) bzw. Nutzenerwartungswerttheorie,<br />
die <strong>von</strong> einem positiven Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Kaufverhalten<br />
ausgeht und im Kern besagt, dass „(...) a high-variety strategy (or customisation<br />
strategy) increases the likelihood that each consumer will find exactly what she or he<br />
wants” (Kahn 1998, S. 46).<br />
387
Die Resultate der Untersuchung lassen sich anhand der zu Beginn der Arbeit<br />
formulierten vier Forschungsfragen im Gesamtzusammenhang darstellen.<br />
Beantwortung der Forschungsfragen<br />
1. Theoretische Erklärung des Zusammenhangs <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und<br />
Konsumentenverhalten (Forschungsfrage 1)<br />
<strong>Der</strong> Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten wurde zunächst<br />
anhand folgender übergeordneter Theorien bzw. theoretischer Konzepte verdeutlicht:<br />
• Den gegensätzlichen Hypothesen <strong>von</strong> Informationsdefizit und Informationsüberlastung<br />
(vgl. Jacoby et al. 1974a,b),<br />
• der Theorie des Optimum <strong>St</strong>imulation Level (vgl. Hebb 1955; Leuba 1955) und<br />
• dem Tyranny of Freedom (vgl. Schwarz 2000).<br />
Die Theorien bzw. theoretischen Konzepte haben Hinweise darauf gegeben, dass<br />
übermäßig hohe <strong>Produktvielfalt</strong> für Konsumenten negative Folgen hat, die sich in<br />
reduzierter Kaufwahrscheinlichkeit und geringerer Zufriedenheit niederschlagen. Auf<br />
unterschiedlicher Basis haben alle drei Theorien einen umgekehrt-u-förmigen<br />
Zusammenhang zwischen der Produktanzahl und der Kaufabsicht bzw. dem<br />
(positiven) Gefühlszustand des Konsumenten abgeleitet. Da die vorliegende Arbeit<br />
zum Ziel hat, die Wirkung hoher <strong>Produktvielfalt</strong> zu untersuchen, wurden die weiteren<br />
Analysen auf den Bereich der Vielfalt um und über dem Optimum dieses<br />
Zusammenhangs eingeschränkt.<br />
Um den Wirkungszusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten<br />
detaillierter theoretisch zu beleuchten, wurde dieser in einen Kosten- und einen<br />
Nutzeneffekt aufgegliedert. Die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (KPV) und der Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> (NPV) wurden anschließend durch verschiedene Theorien und<br />
theoretische Konzepte erklärt, indem theoriebasierte Begründungen für die Existenz<br />
positiver und negativer Aspekte hoher <strong>Produktvielfalt</strong> gegeben wurden. Hierbei sind<br />
sowohl verschiedene Facetten der beiden Konstruktdimensionen, als auch deren<br />
Konsequenzen und Determinanten aufgezeigt worden.<br />
Die Nutzenerwartungswerttheorie hat verdeutlicht, dass hohe <strong>Produktvielfalt</strong> für<br />
Konsumenten mit einem hohen antizipierten Produktnutzen und guten<br />
388
Erfolgsaussichten verbunden ist. Wie die Ausführungen zum Shopping Hedonismus<br />
gezeigt haben, macht Konsumenten eine große Auswahl zudem Spaß und führt zur<br />
Entstehung positiver Emotionen. Als Folge dieser vier Nutzenaspekte haben<br />
Konsumenten eine höhere Kaufabsicht und sind mit dem Kaufprozess und dem<br />
gekauften Produkt zufriedener. Zurückzuführen sind diese Nutzenaspekte <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> laut der beschriebenen Theorien in erster Linie auf die Anzahl der<br />
Alternativen im Sortiment.<br />
Die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> wurden durch die Cost of Thinking, die<br />
Konflikt-Theorie und die Theorie des antizipierten Regrets erklärt. Die Theorien haben<br />
aufgezeigt, dass hohe <strong>Produktvielfalt</strong> für Konsumenten mit Aufwand und Anstrengung<br />
verbunden ist und zur Entstehung <strong>von</strong> negativen Emotionen (Verwirrung und<br />
Frustration) und Antizipiertem Regret führen kann. Diese Kostenfacetten wirken sich<br />
gegensätzlich zu den Nutzenfacetten aus und reduzieren die Kaufintention, die<br />
Zufriedenheit mit dem Kaufprozess und dem gekauften Produkt und können zu<br />
kognitiver Dissonanz nach dem Kauf führen. Die Theorien haben weiterhin<br />
verdeutlicht, dass neben quantitativen Eigenschaften des Sortiments, wie der Anzahl<br />
der Alternativen, auch qualitative Aspekte, wie z. B. die Vergleichbarkeit der<br />
Produkte einen Einfluss auf die KPV ausüben können.<br />
Insgesamt haben die theoretischen Bezugspunkte die erste Forschungsfrage<br />
beantwortet, indem sie<br />
• einen theoretischen Erklärungsansatz für den Zusammenhang <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten gegeben,<br />
• verschiedene Facetten sowie<br />
• Determinanten und Konsequenzen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
als unabhängige Dimensionen des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aufgezeigt<br />
haben.<br />
2. Messung <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (Forschungsfrage 2)<br />
Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> wurden als unabhängige Dimensionen des<br />
übergeordneten Konstrukts <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> als eindimensionale<br />
mehrfaktorielle Konstrukte konzeptualisiert, deren Faktoren den jeweiligen aus den<br />
Theorien abgeleiteten und oben beschriebenen Facetten entsprechen.<br />
389
Die Nutzendimension bzw. der Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> besteht aus den fünf<br />
Faktoren<br />
• Antizipierter Produktnutzen<br />
• Erfolgsaussichten<br />
• Informationsmöglichkeiten<br />
• Spaß (am Einkaufen) und<br />
• Positive Emotionen<br />
Die Kostendimension bzw. die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> werden durch drei<br />
Faktoren<br />
• Aufwand und Anstrengung<br />
• Verwirrung und Frustration<br />
• Antizipiertes Regret<br />
konzeptualisiert.<br />
Da die Faktoren verschiedene Facetten der jeweiligen Dimension abbilden, wird auf<br />
Dimensionsebene ein formatives Messmodell verwendet; die Beziehungen zwischen<br />
den Faktoren und der zugehörigen Dimension werden folglich formativ<br />
operationalisiert. Im Gegensatz hierzu erfolgt die Messung auf Faktorenebene mittels<br />
reflektiver Modelle, da die Faktoren jeweils inhaltlich eng umgrenzte<br />
Themenbereiche abdecken und deshalb eine hohe Abhängigkeit der Indikatoren eines<br />
Faktors unterstellt wird. Die generierten Indikatoren basieren zum einen auf den<br />
theoretischen Ausführungen und zum anderen auf Experten- und Konsumenteninterviews.<br />
Nach einem Pretest mit einer exploratischen und konfirmatorischen<br />
Faktorenanalyse (LISREL) wurden die Messmodelle einer empirischen, auf dem<br />
PLS-Verfahren basierenden Untersuchung unterzogen und im Hinblick auf deren<br />
Validität und Reliabilität mittels geeigneter Gütekriterien überprüft. Bei der Analyse<br />
der Einflussstärke der Faktoren auf die Konstrukte hat sich gezeigt, dass die<br />
Nutzendimension am stärksten durch die Faktoren Informationsmöglichkeiten und<br />
Positive Emotionen bestimmt wird und die Kostendimension besonders auf die<br />
Faktoren Verwirrung und Frustration und Aufwand und Anstrengung<br />
zurückzuführen sind.<br />
390
3. Konsequenzen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (Forschungsfrage 3)<br />
Die Konsequenzen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> im Hinblick auf das<br />
Konsumentenverhalten können anhand der Ergebnisse der entsprechenden<br />
Hypothesentests verdeutlich werden (siehe Abbildung 78).<br />
Evaluation und zukünftige Verhaltensabsicht<br />
Verhalten<br />
Determinanten Konstrukt<br />
Nutzen<br />
NPV<br />
#Pr<br />
Anzahl<br />
Produkte<br />
Loyalität<br />
Geschäft<br />
LG<br />
H 6<br />
PU<br />
H<br />
_<br />
7 H 3<br />
KI<br />
Kaufintention<br />
Ver<br />
Loyalität<br />
Marke<br />
LM<br />
H 14<br />
Dissonanz<br />
Zufriedenheit<br />
Produkt<br />
ZPr<br />
+ H 13 <br />
_<br />
H 10<br />
+<br />
Zufriedenheit<br />
H 12<br />
<br />
Prozess<br />
+<br />
KD<br />
H 9 <br />
_<br />
<br />
ZP<br />
kognitive<br />
H H _<br />
8 +<br />
11 H 4<br />
H 5<br />
+<br />
<br />
<br />
+<br />
<br />
Kosten<br />
KPV<br />
+ H 19<br />
H 15 +<br />
_<br />
H<br />
_<br />
16 H 17 + H 18<br />
() <br />
+<br />
<br />
_<br />
H 2<br />
<br />
<br />
+<br />
<br />
<br />
Kom<br />
klare Produktunterschiede<br />
Vergleichbarkeit<br />
Kompromissnotwendigkeit<br />
Abbildung 78: Die Ergebnisse der Überprüfung der Hypothesen zu den Konsequenzen der Kosten und<br />
Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Wie aus der Abbildung zu erkennen ist, können bis auf die Hypothesen 4 und 14 alle<br />
Hypothesen aufrechterhalten werden. Demzufolge wirkt sich der NPV direkt positiv<br />
auf die Kaufintention, die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess und dem Produkt, sowie<br />
auf die Loyalität zum Geschäft aus. Im Gegensatz hierzu reduzieren die KPV die<br />
Kaufabsicht und die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess und begünstigen die<br />
Entstehung kognitiver Dissonanz. <strong>Der</strong> Zusammenhang mit der Produktzufriedenheit ist<br />
nicht wie vermutet negativ, sondern positiv. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass<br />
der Käufer erwartet, dass er nach einer schweren Entscheidung, bei der er sich sehr<br />
391
angestrengt hat, letztlich eine gute Entscheidung getroffen hat und deshalb mit dem<br />
gewählten Produkt zufrieden ist. <strong>Der</strong> direkte positive Zusammenhang wird aber über<br />
einen indirekten negativen egalisiert, so dass insgesamt kein Zusammenhang <strong>von</strong> KPV<br />
und Produktzufriedenheit besteht.<br />
Auch die Hypothesen zu den Abhängigkeiten der Konsequenzkonstrukte<br />
untereinander können bis auf eine beibehalten werden, d. h. die vermuteten<br />
Beziehungen der Konstrukte sind signifikant und haben die erwartete Richtung. Aus<br />
theoretischer Sicht ist vor allem interessant, dass sich die bislang relativ wenig<br />
erforschte Zufriedenheit mit dem Kaufprozess positiv auf die Loyalität zum Geschäft<br />
und die Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt auswirkt und gleichzeitig die<br />
Entstehung Kognitiver Dissonanz reduziert. Da die Kognitive Dissonanz die<br />
Produktzufriedenheit signifikant negativ beeinflusst, wird der positive Einfluss der<br />
Kaufprozesszufriedenheit auf die Produktzufriedenheit indirekt noch verstärkt. Dass<br />
Konsumenten, die mit dem gekauften Produkt zufrieden sind auch eine höhere<br />
Loyalität gegenüber der gekauften Marke haben, konnte nicht gezeigt werden.<br />
Zurückzuführen ist dies vermutlich in erster Linie auf das Untersuchungsdesign, bei<br />
dem Konsumenten kurz nach der Kaufentscheidung nach ihrer antizipierten<br />
Produktzufriedenheit und Markenloyalität gefragt wurden. Da sich die Zufriedenheit<br />
mit dem Produkt erst im Laufe der Nutzung herausbildet und diese ein wichtiger<br />
Bestimmungsfaktor der Markenloyalität ist, scheinen zum Zeitpunkt der Befragung<br />
diese Konstruktausprägungen noch zu gering zu sein, um signifikante Zusammenhänge<br />
zwischen ihnen aufzeigen zu können.<br />
Die Untersuchungen haben somit gezeigt, dass der Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> die<br />
Kaufintention, die Kaufprozesszufriedenheit, die Produktzufriedenheit und die<br />
Loyalität zum Geschäft positiv beeinflussen. Die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
reduzieren dagegen die Kaufabsicht und die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess,<br />
führen gleichzeitig zu kognitiver Dissonanz. Indirekt wirken sich die KPV weiterhin<br />
negativ auf die Loyalität zum Geschäft aus, d. h. der allgemein anerkannte positive<br />
Zusammenhang zwischen Sortimentsgröße und Loyalität wird bei hoher Vielfalt durch<br />
zunehmende Kostenaspekte (KPV) negativ beeinflusst.<br />
Insgesamt konnte die Verhaltensrelevanz der beiden Konstruktdimensionen Kosten<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> durch die empirischen<br />
Untersuchungen gezeigt werden.<br />
392
4. Determinanten <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (Forschungsfrage 4)<br />
In der vierten Forschungsfrage geht es darum, welche Eigenschaften des Sortiments<br />
Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> in welcher <strong>St</strong>ärke beeinflussen. Zu vier aus der<br />
Theorie abgeleiteten potenziellen Einflussfaktoren wurden Hypothesen formuliert, drei<br />
weitere Sortimentseigenschaften, die Experten als besonders einflussstark<br />
betrachteten, wurden in der Untersuchung berücksichtigt, ohne dass vorab Hypothesen<br />
hierzu formuliert wurden.<br />
Nutzen<br />
NPV<br />
Kosten<br />
KPV<br />
Konstrukt<br />
+<br />
<br />
+ + +<br />
_ _ _<br />
_<br />
H 19 () <br />
+ H<br />
_<br />
H 17 H 18<br />
+ H 16<br />
15<br />
<br />
Determinanten<br />
#Pr #Ma #PPr PV PU<br />
Ver<br />
Anzahl<br />
Produkte<br />
Anzahl<br />
Marken<br />
# Produkte auf<br />
rel. Preisniveau<br />
Preisvielfalt<br />
Vergleichbarkeit<br />
Kompromissnotwendigkeit<br />
Kom<br />
klare Produktunterschiede<br />
Rang<br />
Nutzen n.a. 2 3 1<br />
Rang<br />
Kosten 1 5 7 6 3<br />
4 2<br />
Abbildung 79: Determinanten der Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (Zu den Beziehungen mit<br />
grau hinterlegten Konstrukten und + / - Zeichen wurden vorab keine Hypothesen formuliert.)<br />
Wie aus Abbildung 79 hervorgeht, können bis auf eine alle Hypothesen beibehalten<br />
werden. Die Hypothese 19, die den Zusammenhang zwischen der Anzahl der<br />
Produkte und dem NPV beschreibt, kann dagegen nur bedingt aufrechterhalten<br />
werden. Wie Detailanalysen (siehe S. 381ff.) gezeigt haben, wirkt sich die<br />
Produktanzahl nur bis zu einem Optimum positiv auf die NPV aus, danach ist die<br />
Beziehung negativ. Das heißt, überschreitet die Anzahl verfügbarer Optionen ein<br />
konsumentenindividuelles Optimum, wirkt sich die Vielfalt negativ auf die<br />
Nutzenaspekte aus. Die nachteilige Wirkung zu hoher <strong>Produktvielfalt</strong> wird dadurch<br />
noch verstärkt, was die Grundhypothese der Arbeit (Hypothese 1) zur negativen<br />
Wirkung hoher <strong>Produktvielfalt</strong> noch bekräftigt.<br />
<strong>Der</strong> stärkste Einfluss auf den Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> geht <strong>von</strong> der<br />
Vergleichbarkeit der Produkte und der Preisvielfalt aus. Demnach profitieren<br />
Konsumenten weniger <strong>von</strong> der Gesamtzahl der Produkte, sondern vielmehr <strong>von</strong> deren<br />
393
Vergleichbarkeit sowie der angebotenen Preisvielfalt. Können Konsumenten Produkte<br />
gut vergleichen, wirkt sich dies folglich stark positiv auf den empfundenen Nutzen<br />
hinsichtlich des Sortiments aus. Zu einem ähnlichen Schluss kommen auch Markman<br />
und seine Kollegen (vgl. Markman/Medin 1995; Zhang/Markman 1998;<br />
Zhang/Markman 1999) im Rahmen ihrer Untersuchungen zur Alignability<br />
(Vergleichbarkeit) <strong>von</strong> Produkten (siehe S. 52f.).<br />
Die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> werden zu über 50% durch die Anzahl der Produkte<br />
bestimmt, was die Grundthese der Arbeit bestätigt. Nennenswerten Einfluss üben<br />
außerdem noch die Vergleichbarkeit der Produkte und die Kompromissnotwendigkeit<br />
bei der Entscheidung aus. Die Produktvergleichbarkeit beeinflusst demnach nicht nur<br />
die NPV positiv, sondern kann auch gleichzeitig zu einer Reduktion der KPV beitragen<br />
und ist folglich ein besonders wichtiger Einflussfaktor.<br />
Neben den Einflüssen des Sortiments wurde auch untersucht, wie sich die<br />
personenimmanenten Eigenschaften Erfahrung und OSL eines Konsumenten auf die<br />
KPV und NPV auswirken. Die Analysen haben aber nur explorativen Charakter und<br />
sind deshalb nicht stark belastbar. Sie haben gezeigt, dass erfahrene Konsumenten<br />
geringere KPV haben als unerfahrene. <strong>Der</strong> moderierende Einfluss des OSL war<br />
dagegen nur bei einer einseitigen Betrachtung signifikant. Es konnte aber die Tendenz<br />
erkannt werden, dass Personen mit hohem OSL geringere KPV haben. Beide<br />
Personeneigenschaften haben sich erwartungsgemäß nicht auf die NPV ausgewirkt.<br />
Die tiefergehende Untersuchung moderierender Effekte personenspezifischer<br />
Eigenschaften bleibt weiterführenden Untersuchungen vorbehalten.<br />
Insgesamt haben die Untersuchungen der Determinanten <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> ergeben, dass die Anzahl der Produkte die KPV sehr stark positiv<br />
beeinflusst und gleichzeitig nach Überschreiten eines konsumentenindividuellen<br />
Optimums zu einer Reduzierung der NPV führen kann. Ein zu großes Sortiment<br />
kann sich aufgrund der aufgezeigten Konsequenzen der beiden Konstrukte folglich in<br />
doppelter Weise negativ auf das Konsumentenverhalten ausüben. Gleichzeitig wurde<br />
durch die Analysen deutlich, dass qualitative Eigenschaften des Sortiments und<br />
hierbei insbesondere die Vergleichbarkeit der Produkte einen starken Einfluss sowohl<br />
auf die KPV als auch die NPV auswirken. Dies legt nahe, dass eine Portfoliosichtweise<br />
auf das Sortiment, welche die Beziehungen der Alternativen untereinander<br />
berücksichtigt, zu einer gegenüber der Produktsichtweise verbesserten<br />
Prognostizierbarkeit des Verhaltens <strong>von</strong> Konsumenten führen kann. Dies ist ein viel<br />
versprechender Ansatzpunkt weiterführender Forschungsarbeiten.<br />
394
Zusammenfassung<br />
Zusammenfassend konnten die Untersuchungsergebnisse aufzeigen, dass hohe<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> aus Konsumentensicht sowohl positive als auch negative Aspekte<br />
hat, die theoretisch begründbar sind, gemessen werden können und Verhaltensrelevanz<br />
haben, da sie die Kaufentscheidung und die Kaufevaluation positiv (NPV) bzw.<br />
negativ (KPV) beeinflussen. Sie werden durch quantitative und qualitative<br />
Eigenschaften des Sortiments bestimmt, wobei hier insbesondere die Anzahl der<br />
Alternativen und deren Vergleichbarkeit maßgeblichen Einfluss haben.<br />
Die Untersuchung ist einigen Einschränkungen unterworfen und hat weiteren<br />
Forschungsbedarf aufgezeigt.<br />
Limitationen und weiterer Forschungsbedarf<br />
Die Untersuchung ist auf echte Kaufentscheidungen, die eine relativ intensive<br />
Auseinandersetzung des Konsumenten mit den verfügbaren Alternativen erfordert und<br />
mit einem gewissen finanziellen Risiko verbunden ist, eingeschränkt worden.<br />
Inwiefern die Ergebnisse auf andere Kaufarten wie z. B. Impulskäufe bei Gütern des<br />
täglichen Bedarfs übertragbar sind, ist unklar. In weiterführenden Arbeiten könnte<br />
dies untersucht werden, indem anstatt langlebiger Konsumgüter Produkte der<br />
FMCG 68 -Kategorie, wie beispielsweise Marmeladen oder Wein, als <strong>St</strong>imuli verwendet<br />
werden. In diesem Fall sollten aber weitere Nutzenaspekte, insbesondere in Bezug auf<br />
Variety-Seeking Motive, berücksichtigt werden. Neben den psychischen Reaktionen,<br />
die vermutlich insbesondere auf Kostenseite weniger intensiv ausfallen werden, ist in<br />
diesem Zusammenhang insbesondere die vertiefte Analyse des Kaufausgangs<br />
interessant. Im Gegensatz zur vorliegenden Untersuchung, die nur die Kaufwahrscheinlichkeit<br />
bzw. Kaufintention, nicht aber das gewählte Produkt als<br />
Ergebnisvariable verwendet hat, könnte untersucht werden, ob hohe Vielfalt zum<br />
verstärkten Kauf <strong>von</strong> Billig- oder Markenprodukten oder z. B. zur stärkeren<br />
Habitualisierung führt. Es wäre beispielsweise möglich, dass ein Kunde aufgrund<br />
seiner Verwirrung letztlich immer das gleiche Produkt kauft, demzufolge aber <strong>von</strong> der<br />
angebotenen Vielfalt auch nicht profitieren kann.<br />
Im Rahmen erweiterter Modelle wurden die Konstrukte Preisführerschaft und<br />
Beratungszufriedenheit in die Analysen einbezogen. Hierbei konnte auf Basis des<br />
68 Fast Moving Consumer Goods<br />
395
PLS-Modells kein signifikanter Einfluss der beiden Größen auf die Kaufintention<br />
festgestellt werden. Aufgrund weiterer Analysen wurde das Ergebnis der<br />
PLS-Schätzung bezüglich des Einflusses der Beratungszufriedenheit aber<br />
angezweifelt. <strong>Der</strong> Einfluss des Sortiments konnte jedoch im Rahmen der<br />
Unstersuchung den Einflussgrößen Beratung und Preis nicht gegenübergestellt<br />
werden. Für Unternehmen ist es aber <strong>von</strong> hoher Relevanz zu wissen, wie das<br />
Sortiment im Vergleich zu Beratung und Preis das Kaufverhalten <strong>von</strong> Konsumenten<br />
beeinflusst. Nachfolgende Untersuchungen könnten deshalb den Einfluss <strong>von</strong><br />
Beratungszufriedenheit und Preisführerschaft nochmals detaillierter untersuchen und<br />
dem <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> gegenüberstellen.<br />
Ein weiterer Aspekt, der in dieser Arbeit nur peripher betrachtete wurde, ist der<br />
(moderierende) Effekt personenspezifischer Eigenschaften. Es konnte zwar<br />
aufgezeigt werden, dass Konsumenten mit hoher Expertise verglichen mit<br />
Nicht-Experten weniger ausgeprägte Entscheidungskosten bei hoher Vielfalt haben,<br />
eine detaillierte Betrachtung dieses Effekts, wie z. B. die <strong>St</strong>ärke des moderierenden<br />
Effekts oder die Auswirkungen auf den Kaufausgang waren aber nicht Gegenstand der<br />
Untersuchung. Ähnliches gilt für das Optimum <strong>St</strong>imulation Level, das ein viel<br />
versprechendes Persönlichkeitskonstrukt zur Erklärung interindividueller Unterschiede<br />
im Umgang mit <strong>Produktvielfalt</strong> ist. Es stellte in dieser Untersuchung aber nur einen<br />
Randbereich dar. Die erkennbare Tendenz, dass Personen mit hohem OSL weniger<br />
negative Aspekte mit hoher <strong>Produktvielfalt</strong> verbinden als Personen mit niedrigem<br />
OSL, zeigt die grundsätzliche Relevanz des Konstrukts, das folglich einen<br />
interessanten Ansatzpunkt für die Erklärung persönlichkeitsbedingter Unterschiede im<br />
Umgang mit hoher <strong>Produktvielfalt</strong> bietet. In weiterführenden Untersuchungen könnten<br />
z. B. im Anschluss an eine Expertise- und/oder OSL-Segmentierung spezifische<br />
Sortiments- und Verkaufsstrategien für die einzelnen Segmente entwickelt werden.<br />
Insbesondere die Untersuchung der Determinanten hat gezeigt, dass das Sortiment als<br />
ganzes, und nicht nur seine Einzelprodukte, das Verhalten der Konsumenten<br />
beeinflussen. Deutlich wurde dies aus dem starken Einfluss der Produktanzahl und der<br />
quantitativen Einflussfaktoren, insbesondere der Vergleichbarkeit der Alternativen auf<br />
die Kosten- und Nutzendimension. Demzufolge bietet eine portfolioorientierte<br />
Betrachtung des Sortiments gegenüber einer produktorientierten Sichtweise Vorteile<br />
im Hinblick auf das Verständnis des Konsumenten und ermöglicht eine bessere<br />
Vorhersehbarkeit seines Verhaltens. Dieser „Portfolio-Ansatz“ stellt einen viel<br />
versprechenden Ansatzpunkt für die Prognose der Kaufwahrscheinlichkeit in<br />
396
Abhängigkeit verschiedener Einflussfaktoren des Sortiments dar. Die Entwicklung<br />
eines derartigen Modells könnte Gegenstand weiterführender Forschungsarbeiten sein.<br />
6.2 Implikationen für die Unternehmenspraxis<br />
Die Untersuchungsergebnisse haben für Unternehmen eine hohe Relevanz, da gezeigt<br />
wurde, dass Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> die Kaufintention, die<br />
Zufriedenheit mit dem Kaufprozess und dem Produkt sowie die Loyalität gegenüber<br />
dem Geschäft beeinflusst. Da dies aus Unternehmenssicht zentrale Erfolgs- und<br />
<strong>St</strong>euerungsgrößen sind, ist es für die Praxis <strong>von</strong> Interesse, durch welche Maßnahmen<br />
die Kostenaspekte <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> reduziert und/oder die Nutzenaspekte erhöht<br />
werden können, um dadurch kurz- (Kaufintention), mittel- (Zufriedenheit) und<br />
langfristig (Loyalität) den Unternehmenserfolg zu steigern. Damit ein Unternehmen<br />
seine Ressourcen effektiv und effizient einsetzen kann, muss es wissen, welche<br />
Maßnahmen die höchste Wirkung auf Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
versprechen.<br />
Um diese zu identifizieren, werden anhand der relativen Erklärungsbeiträge der<br />
Faktoren der Messmodelle und der Determinanten der KPV und NPV die<br />
einflussstärksten Parameter abgeleitet. Sowohl für die KPV als auch für die NPV<br />
werden jeweils die zwei einflussstärksten Messmodellfaktoren und die drei<br />
einflussstärksten Determinanten gewählt. Dies führt insgesamt zu neun<br />
Ansatzpunkten, die in Abbildung 80 zusammen dargestellt sind. <strong>Der</strong> Grafik sind<br />
weiterhin die relativen Erklärungsbeiträge der Faktoren bzw. Determinanten sowie<br />
deren jeweiliger Rang in Bezug auf eines der Konstrukte Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
bzw. Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> zu entnehmen.<br />
397
Rang<br />
Erklärungsbeitrag<br />
1 2 3 4<br />
4<br />
(17%)<br />
5<br />
(14%)<br />
1<br />
(26%)<br />
3<br />
(19%)<br />
2<br />
(24%)<br />
2<br />
(35%)<br />
1<br />
(38%)<br />
3<br />
(27%)<br />
Messmodell<br />
...<br />
AP<br />
...<br />
EA<br />
Antizip.Produktnutzen<br />
Erfolgsaussichten<br />
Info.möglichkeiten<br />
...<br />
IM<br />
Spaß<br />
...<br />
Sp<br />
Positive<br />
Emotionen<br />
...<br />
PE<br />
Messmodell<br />
Aufwand &<br />
Anstrengung<br />
...<br />
AA<br />
Verwirr.&<br />
Frustration<br />
...<br />
VF<br />
Antizip.<br />
Regret<br />
...<br />
AR<br />
NPV<br />
KPV<br />
Determinanten<br />
#Pr #Ma #PPr PV Kom PU<br />
Anzahl<br />
Produkte<br />
Anzahl<br />
Marken<br />
# Produkte auf<br />
rel. Preisniveau<br />
Preisvielfalt<br />
Nutzen n.a. 2<br />
(40%)<br />
Vergleichbarkeit<br />
Kompromissnotwendigkeit<br />
3<br />
(10%)<br />
Ver<br />
klare Produktunterschiede<br />
1<br />
(50%)<br />
Kosten 1<br />
(52%)<br />
5<br />
(2%)<br />
7<br />
(1%)<br />
6<br />
(2%)<br />
3<br />
(10%)<br />
4<br />
(6%)<br />
2<br />
(27%)<br />
5 6 7<br />
8 9<br />
Abbildung 80: Die neun einflussstärken Messmodellfaktoren und Determinanten zeigen effektive und<br />
effiziente Ansatzpunkte für Maßnahmen auf.<br />
Ein Unternehmen kann folglich Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> am<br />
effektivesten und effizientesten durch Maßnahmen beeinflussen, die auf diese neun<br />
Aspekte ausgerichtet sind. Einem Handelsunternehmen stehen hierfür neben der<br />
Preispolitik innerhalb des Geschäfts im Wesentlichen folgende vier Gestaltungsfelder<br />
zur Verfügung:<br />
1. Anzahl und Art der Produkte im Sortiment<br />
2. Präsentation des Sortiments<br />
3. Beratung<br />
4. Kommunikationsmaßnahmen am Point of Sale 69<br />
69 „Point of sale (POS), point of purchase, (POP), Ort des Einkaufs (aus Sicht des Konsumenten) bzw. Ort<br />
des Verkaufs (aus Sicht des Händlers). Synonym verwandte Begriffe die den Ort des Warenangebots<br />
(einen Laden bzw. den innerbetrieblichen <strong>St</strong>andort eine Ware im Regal, (...) ) bezeichnen, an dem die<br />
Kunden in Selbstbedienungsgeschäften unmittelbaren Kontakt mit der Ware haben und deshalb, zur<br />
Förderung <strong>von</strong> Impulskäufen, gezielt mittels Maßnahmen der Verkaufsförderung angesprochen werden<br />
können“ (Gabler Wirtschaftslexikon 1997, S. 3007)<br />
398
Für jeden dieser Bereiche werden anschließend konkrete Maßnahmenvorschläge<br />
erarbeitet, durch die ein Einzelhändler Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> in<br />
seinem Sinne beeinflussen kann. Am Rande wird hierbei auch auf Gestaltungsmöglichkeiten<br />
eines Herstellers eingegangen.<br />
Ausgangspunkt sind die neun abgeleiteten Ansatzpunkte, die aufgrund ihrer<br />
Wichtigkeit nachfolgend nochmals kurz inhaltlich zusammengefasst werden:<br />
1. Informationsmöglichkeiten: Konsumenten schätzen es, dass sie sich aufgrund<br />
der Vielfalt und Größe des Sortiments über die Produktkategorie informieren<br />
können. Insbesondere können sie Produkte vergleichen, sich einen Überblick<br />
über den Markt verschaffen und die entscheidungsrelevanten Attribute sowie<br />
ihre eigenen Präferenzen lernen.<br />
2. Positive Emotionen: Konsumenten finden große Sortimente im Allgemeinen<br />
ansprechend, inspirierend, aufregend und unterhaltsam. Sie geben ihnen zudem<br />
die Möglichkeit, interessante Erfahrungen zu machen und verleihen ihnen<br />
Gefühle <strong>von</strong> Entscheidungsfreiheit, Selbstbestimmtheit und Optimismus.<br />
3. Aufwand und Anstrengung: Hohe <strong>Produktvielfalt</strong> macht eine Entscheidung<br />
kompliziert, führt zu hohem Zeitaufwand und erfordert vom Konsumenten<br />
starke kognitive Anstrengungen, die mit intensivem Nachdenken und hoher<br />
empfundener Mühe und Anstrengung verbunden sind: James Bryce formulierte<br />
dies sehr eindringlich: „To most people nothing is more troublesome than the<br />
effort of thinking” (James Bryce, The American Commonwealth 1888, zitiert<br />
nach Shugan 1980, S. 99).<br />
4. Verwirrung und Frustration: Große Vielfalt kann bei Entscheidern Gefühle<br />
der Überforderung, Verwirrung und Frustration auslösen.<br />
5. Anzahl der Produkte: Die Untersuchungsergebnisse haben gezeigt, dass die<br />
Anzahl der Produkte über 50% der Varianz der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
erklärt und somit einen sehr starken Einfluss auf diese hat. Ein positiver<br />
Zusammenhang mit dem Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> besteht indes nur bis zu<br />
einem personenspezifischen Vielfaltsoptimum. Ist dieses überschritten, enthält<br />
das Sortiment also mehr Produkte als aus Sicht des Konsumenten optimal wäre,<br />
führt dies zu einer Reduktion der NPV und somit zu einer Verstärkung des<br />
negativen Effekts.<br />
6. Preisvielfalt: Preisvielfalt bedeutet in erster Linie, dass das Sortiment Produkte<br />
in allen Preiskategorien enthält. <strong>Der</strong> Konsument hat dadurch die Möglichkeit,<br />
399
das gesamte Leistungsspektrum der verfügbaren Produkte zu sehen. Dies<br />
ermöglicht ihm zudem, ein Verständnis der Preis-Leistungsrelation der<br />
Produktkategorie zu entwickeln. Für ein Handelsunternehmen bietet die<br />
Preisvielfalt ein Instrument, seine Sortimentskompetenz zu demonstrieren und<br />
dem Produktangebot z. B. durch das Vorhandensein sehr teurer Produkte eine<br />
gewisse Exklusivität zu verleihen.<br />
7. Kompromissnotwendigkeit: Konsumenten fällt es im Allgemeinen schwer, bei<br />
einer Entscheidung Kompromisse einzugehen, da sie durch die Entscheidung<br />
für ein bestimmtes Produkt auf positive Eigenschaften eines anderen Produkts<br />
verzichten müssen. Dadurch können negative Emotionen und antizipiertes<br />
Regret entstehen.<br />
8. Klare Unterschiede: Kann eine Person die Unterschiede zwischen den<br />
Alternativen klar erkennen, fällt ihr die Entscheidung leichter, da sie die<br />
Produkte dadurch einfacher hinsichtlich ihrer eigenen Präferenzen beurteilen<br />
kann.<br />
9. Vergleichbarkeit: <strong>Der</strong> starke Einfluss der Vergleichbarkeit der Produkte ist<br />
konform mit den Forschungsergebnissen zur Alignability <strong>von</strong> Markman und<br />
seinen Kollegen (vgl. Markman/Medin 1995; Zhang/Markman 1998;<br />
Zhang/Markman 1999): Demnach fällt es Konsumenten schwer, Produkte, die<br />
hinsichtlich ihrer Attribute nicht inkompatibel sind, zu vergleichen. Hat ein<br />
Autokäufer z. B. die Wahl zwischen zwei PKW, die sich nur darin<br />
unterscheiden, dass eines ein Schiebedach und das andere statt dessen einen<br />
CD-Wechsler hat, so muss der Konsument versuchen, diese beiden<br />
Produktattribute miteinander zu vergleichen. Dies kann er aber nur auf einer<br />
abstrakteren Ebene, wie z. B. dem „Lebensgefühl im Auto“, tun. Dies erfordert<br />
zusätzlichen Aufwand und kann aufgrund der höheren Abstraktion und der<br />
damit verbundenen geringeren Entscheidungssicherheit zur Verwirrung und<br />
Antizipation <strong>von</strong> Regret führen. Die positive Wirkung der Vergleichbarkeit auf<br />
die NPV entsteht im Wesentlichen durch die besseren Informationsgewinnungsmöglichkeiten<br />
und den einfacheren Vergleich der Alternativen mit<br />
den eigenen Präferenzen. Dies erhöht den antizipierten Produktnutzen und die<br />
Erfolgsaussichten des Konsumenten.<br />
Nachfolgend werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie diese Ansatzpunkte durch<br />
Maßnahmen in den Gestaltungsbereichen Sortiment (Produktauswahl und<br />
400
Präsentation), Beratung und Kommunikation am Point of Sale beeinflusst werden<br />
können.<br />
Anzahl und Art der Produkte im Sortiment<br />
Bosshart (2002) formuliert die Kernaussage zu diesem Aspekt sehr einprägsam: „Die<br />
Einstellung, die in die Zukunft weist, lautet (...) ‚Weniger ist mehr’ oder ‚Mehr ist<br />
anders’“ (S. 19). Ziel eines Handelsunternehmens sollte es folglich nicht mehr sein,<br />
ein Sortiment mit möglichst vielen Produkten, sondern mit klar differenzierten<br />
Produkten anzubieten. Klar differenziert bedeutet hierbei Differenzierung nach innen<br />
und nach außen. Das heißt, die angebotenen Produkte müssen untereinander, aber auch<br />
gegenüber Wettbewerbern klare Unterschiede aufweisen. Im Fokus sollte folglich<br />
nicht mehr die Größe des Sortiments, sondern dessen Vielfal t– im Sinne <strong>von</strong><br />
Verschiedenartigkeit – stehen. Rudolph und Schweizer (2003, S. 50) fordern in diesem<br />
Sinne den Handel dazu auf, sich seiner Selektionsfunktion stärker bewusst zu werden,<br />
und das Produktangebot sorgfältig auszuwählen und dadurch dem Konsumenten die<br />
Entscheidung zu erleichtern. Diese „Mental Convenience“ (Rudolph/Schweizer 2003,<br />
S. 50) verschafft dem Unternehmen ein einzigartiges Profil und ermöglicht es ihm,<br />
sich klar <strong>von</strong> seinen Wettbewerbern zu differenzieren. Die Empfehlung <strong>von</strong> Bratschi<br />
(2002) geht ebenfalls in diese Richtung: „Die Zukunft liegt in der Entwirrung der<br />
Komplexität für Kunden“ (S. 63). Er ermuntert Handelsunternehmen, sich dadurch zu<br />
differenzieren, dass sie dem Kunden das geben, was er heute im Handel vermisst:<br />
„radikale Einfachheit“ (S. 66).<br />
Wie kann ein Unternehmen dieses Ziel der Entwirrung und Einfachheit durch die<br />
Auswahl der angebotenen Produkte erreichen?<br />
In einem ersten Schritt sollte ein Handelsunternehmen die Einschätzung der<br />
Sortimentsgröße durch Kunden untersuchen. So gaben beispielsweise 41,1% der<br />
Befragten in dieser Untersuchung an, dass das Sortiment zu viele oder deutlich zu<br />
viele Produkte enthält, nur 22,3% beurteilten die Anzahl erhältlicher Produkte als<br />
(etwas) zu gering. Auf Basis dieser Analyse kann der Händler die Anzahl an<br />
angebotenen Produkten reduzieren. Welche Ansatzpunkte hat er hierfür?<br />
Die Geschäfte, in denen die Hauptuntersuchung durchgeführt wurde, bieten<br />
beispielsweise insgesamt 134 verschiedene Digitalkameras an. 80% der 238 Verkäufe<br />
wurden aber durch nur 26 verschiedene Produkte erzielt. Insgesamt wurden <strong>von</strong> 134<br />
Produkten 76 nie gekauft. Ähnliches gilt für die Produktmarken: Insgesamt standen<br />
401
Digitalkameras <strong>von</strong> 24 Marken zur Verfügung. 95% der Verkäufe machten die<br />
Geschäfte mit Produkten <strong>von</strong> 10 Marken, die restlichen 5% entfielen auf 5 weitere.<br />
Einem Unternehmen kann empfohlen werden, sich bei der Auswahl der Produkte<br />
und/oder Marken, die es aus dem Sortiment nimmt, an den nicht oder nur sehr selten<br />
verkauften Produkten und Marken – den „Langsamdrehern“ – zu orientieren.<br />
Bei der Zusammenstellung der Produkte des Sortiments sollten Handelsunternehmen<br />
aber darauf achten, dass der Konsument immer den Eindruck großer<br />
Vielfalt behält. Entscheidend ist folglich nicht die tatsächliche, sondern die<br />
wahrgenommene Vielfalt (vgl. Kahn/Morales 2001, S. 71). Broniarczyk, Hoyer und<br />
McAlister (1998, S. 173) konnten zeigen, dass diese durch die Artikelreduktion nicht<br />
notwendigerweise negativ beeinflusst wird, sie kann im Gegenteil durch die<br />
Entfernung „langsamdrehender“ Artikel sogar erhöht werden. Eine weitere<br />
Möglichkeit hierfür ist, das Sortiment hinsichtlich der Aspekte zu variieren, derer<br />
Vielfältigkeit Konsumenten positiv bewerten: „Offering variety along the dimensions<br />
that matter, while keeping other dimensions fixed, can increase perceived variey while<br />
managing cost“ (Kahn/Morales 2001, S. 72). Wie die Untersuchungsergebnisse<br />
verdeutlich haben, ist der Preis eine der Dimensionen, hinsichtlich derer sich<br />
Konsumenten Vielfalt wünschen. Ein Einzelhändler sollte deshalb hohe Preisvielfalt,<br />
d. h. Produkte <strong>von</strong> billig bis teuer anbieten. Dies bringt seine Sortimentskompetenz<br />
zum Ausdruck und ermöglicht dem Verbraucher, ein breites Leitstunksspektrum der<br />
Produktkategorie zu sehen. Kahn und Morales (2002) nennen neben dem Preis<br />
diejenigen Produktattribute, welche die Sinne des Menschen ansprechen, als sinnvolle<br />
Variationsdimensionen. So bietet beispielsweise OLYMPUS eine seiner<br />
meistverkauften Digitalkameras in insgesamt sechs verschiedenen Farben an. Diese<br />
Variation ist für Konsumenten positiv und erschwert die Entscheidung nicht, da<br />
farbliche Präferenzen meist relativ ausgeprägt sind.<br />
Zwei weitere Aspekte kann ein Händler bei der Sortimentszusammenstellung<br />
beachten, um die KPV zu reduzieren und/oder den NPV zu erhöhen:<br />
<strong>Der</strong> erste Gesichtspunkt bezieht sich auf die Vergleichbarkeit der Produkte. Wie die<br />
Untersuchungsergebnisse gezeigt haben, beeinflusst diese sowohl die Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> als auch den Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> sehr stark. Ein Handelsunternehmen<br />
sollte deshalb versuchen, Produkte anzubieten, die möglichst gut<br />
vergleichbar sind und z. B. gemeinsame Attribute haben, hinsichtlich derer sie durch den<br />
Konsumenten verglichen werden können. Um die Kompromissnotwendigkeit zu<br />
reduzieren ist, gleichzeitig zu beachten, dass sich Produkte über positive<br />
402
Eigenschaften differenzieren und negative gemeinsam haben. Wie Dhar und Sherman<br />
(1999, S. 200) zeigen konnten, entstehen dadurch weniger Konflikte. Obwohl beide<br />
Aspekte vornehmlich im Gestaltungsbereich <strong>von</strong> Herstellern liegen, können<br />
Handelsunternehmen durch die Wahl ihrer Produkte einen gewissen Einfluss ausüben.<br />
Hersteller sollten bei der Gestaltung einer Produktlinie darauf achten, dass die<br />
Produkte klare Unterschiede haben, wenige Kompromisse verlangen und möglichst<br />
gut vergleichbar sind. Dies bedeutet, dass teurere Produkte gegenüber preiswerteren<br />
hinsichtlich aller Attribute besser sind, und so z. B. eine Kamera, die eine Auflösung<br />
<strong>von</strong> 5 Mio. Pixel ermöglicht, kein kleineres Display hat, als eine Kamera mit einer<br />
Auflösung <strong>von</strong> 4 Mio Pixel.<br />
Beim zweiten Aspekt geht es um die Förderung positiver Emotionen, die eine<br />
wichtige Einflußgröße des NPV sind. Ein Einzelhändler kann dies beispielsweise<br />
dadurch erreichen, dass er neue oder ausgefallene Produkte anbietet und diese<br />
entsprechend hervorhebt. Die positive Wirkung <strong>von</strong> Neuheiten ist z. B. aus der<br />
Automobilbranche bekannt: Neue Modelle üben häufig eine hohe Anziehungskraft auf<br />
Konsumenten aus. Gleiches gilt auch für Showcars oder Modellstudien, die durch ihre<br />
außergewöhnliche Erscheinung besonderes Interesse wecken.<br />
Zusammenfassend können aus den Untersuchungsergebnissen folgende<br />
Empfehlungen an Handelsunternehmen hinsichtlich der Anzahl und Art der<br />
Produkte im Sortiment abgeleitet werden:<br />
1. Die Anzahl der angebotenen Produkte ist bei hoher Vielfalt auf Reduktionsmöglichkeiten<br />
zu überprüfen. Ansatzpunkte hierfür bieten selten oder nie<br />
verkaufte Marken und Produkte („Langsamdreher“).<br />
2. Die Produkte im Sortiment sollten möglichst klare und leicht erkennbare<br />
Unterschiede aufweisen und gut vergleichbar sein. Idealerweise unterscheiden<br />
sie sich durch aus Käufersicht positive Attribute und haben negative<br />
Eigenschaften gemeinsam.<br />
3. Die Vielfältigkeit des Sortiments sollte sich auf diejenigen Produktattribute<br />
beschränken, deren Variation aus Konsumentensicht wünschenswert und<br />
„gewinnbringend“ ist. Zu empfehlen ist das Angebot einer hohen Preisvielfalt<br />
indem das Sortiment Produkte <strong>von</strong> preiswert bis teuer enthält.<br />
4. Durch Produktneuheiten und außergewöhnliche Produkte im Sortiment<br />
kann das Interesse der Konsumenten geweckt und die Entstehung positiver<br />
Emotionen gefördert werden.<br />
403
Ein Geschäft kann Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> neben der Zusammenstellung<br />
auch durch die Präsentation des Sortiments beeinflussen.<br />
Präsentation des Sortiments<br />
Kahn und Morales (2001) weisen darauf hin, dass „the perception of variety is based<br />
on how these items are offered” (S. 74). Drei Faktoren üben hierbei einen besonders<br />
starken Einfluss aus (vgl. Broniarczyk/Hoyer/McAlister 1998, S. 173;<br />
Hoch/Bradlow/Wansink 1999, S. 539):<br />
• Präsenz des (potenziell) favorisierten Produkts,<br />
• Organisation des Sortiments und<br />
• mehrfaches Vorhandensein einzelner Produkte.<br />
Ist das favorisierte bzw. potenziell favorisierte Produkt im Sortiment vorhanden, ist<br />
die wahrgenommene Vielfalt höher (vgl. Broniarczyk/Hoyer/McAlister 1998, S. 173).<br />
Wichtig ist hierbei, dass der Konsument dieses Produkt auch schnell erkennt. Da, wie<br />
oben beschrieben, eine relativ geringe Anzahl an Produkten einen Großteil der<br />
Verkäufe auf sich vereint, ist es wahrscheinlich, dass der „Durchschnittskunde“ eines<br />
der meistverkauften Produkte präferiert. Werden diese „Schnelldreher“ besonders<br />
hervorgehoben, kann der Konsument seinen potenziellen Favoriten relativ zügig<br />
erkennen. Eine Möglichkeit hierfür ist die Einführung einer „Hitlist“ der<br />
meistverkauften Produkte. So könnten z. B. die Top 10 der Produktverkäufe innerhalb<br />
einer Produktkategorie besonders hervorgehoben oder separat angeordnet werden.<br />
Die Organisation des Sortiments kann einerseits die wahrgenommene Vielfalt, und<br />
andererseits auch die Orientierung des Konsumenten innerhalb des Produktsortiments<br />
beeinflussen. So konnten Hoch, Bradlow und Wansink (1999, S. 539) zeigen, dass<br />
Konsumenten, die aus einem übersichtlich angeordneten Sortiment wählen, die<br />
Vielfalt, im Vergleich zu einer chaotisch dargebotenen Auswahl, als größer<br />
einschätzen. Ein Handelsunternehmen sollte seine Artikel folglich möglichst<br />
übersichtlich präsentieren. Werden die Produkte darüber hinaus noch so strukturiert,<br />
dass Konsumenten dadurch eine Orientierungs- und Entscheidungshilfe geboten wird,<br />
können zusätzlich auch die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> reduziert und der Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> gesteigert werden. Da Konsumenten meist eine relativ klare<br />
Vorstellung <strong>von</strong> dem Betrag haben, den sie für den Produktkauf ausgeben wollen,<br />
bietet sich der Preis als <strong>St</strong>rukturierungsgröße an. In der Untersuchung wurden<br />
404
eispielsweise € 200, € 350 und € 500 besonders häufig als Maximalpreis für<br />
Digitalkameras genannt. Folglich ist es naheliegend, das Digitalkamerasortiment in die<br />
vier Segmente „bis € 200“, „<strong>von</strong> € 200 bis € 350“, „<strong>von</strong> € 350 bis € 500“ und „über<br />
€ 500“ einzuteilen. Dies ermöglicht es dem Interessenten, sich einerseits einen<br />
Überblick über das Sortiment zu verschaffen, andererseits kann er in einem gut<br />
strukturierten Sortiment schnell diejenigen Produkte finden, die für ihn zum Kauf in<br />
Frage kommen sind. Dies reduziert sowohl die Verwirrung und Frustration als auch<br />
den Entscheidungsaufwand. Ferner ist die Anmutung eines gut strukturierten<br />
Sortiments ansprechender, was die Entstehung positiver Emotionen fördert.<br />
Sind Produkte mehrfach im Sortiment vorhanden, kann dies unter der Voraussetzung,<br />
dass die mehrmals vorhandenen Produkte dicht nebeneinander stehen und gleichzeitig<br />
die Sortimentsfläche entsprechend groß ist, die wahrgenommene Vielfalt erhöhen (vgl.<br />
Broniarczyk/Hoyer/McAlister 1998, S. 173). Mehrfachpräsentationen sollten aber auf<br />
Topseller beschränkt werden, da dies den weiteren Vorteil hat, dass mehrere<br />
Konsumenten die gefragten Artikel gleichzeitig anschauen und testen können, was den<br />
NPV zusätzlich über die Aspekte Spaß und Informationsmöglichkeiten positiv<br />
beeinflusst.<br />
Zusammenfassend können aus den Ergebnissen der Untersuchung folgende<br />
Empfehlungen an Handelsunternehmen hinsichtlich der Präsentation der Produkte<br />
im Sortiment abgeleitet werden:<br />
1. Durch die Hervorhebung besonders häufig verkaufter Produkte (z. B.<br />
Top 10) kann ein Händler die wahrgenommene Vielfalt erhöhen und gleichzeitig<br />
die Entscheidungsschwierigkeit durch die Beschränkung des Choice-Sets<br />
reduzieren. Werden diese Topseller direkt nebeneinander mehrfach präsentiert,<br />
kann dies zu einer Verstärkung des positiven Effekts führen, da die wahrgenommene<br />
Vielfalt dadurch positiv beeinflusst wird und die begehrten<br />
Produkte zusätzlich aufgrund der besseren Verfügbarket leichter und intensiver<br />
getestet werden können.<br />
2. Die Produkte des Sortiments sollten möglichst übersichtlich angeordnet und<br />
nach einem entscheidungsrelevanten Kriterium sortiert werden. Es bietet sich<br />
an, die Produkte in verschiedene Preisklassen einzuteilen und innerhalb dieser<br />
nach einem durchgängigen und entscheidungsrelevanten Kriterium zu sortieren.<br />
405
Beratung<br />
<strong>Der</strong> Verkäufer ist für ein Handelsunternehmen die wichtigste Schnittstelle zum<br />
Konsumenten (vgl. Bratschi 2002, S. 66), weshalb die Beratung eine wichtige Rolle<br />
im Beziehungsmanagement zum Kunden übernimmt. Die Untersuchungsergebnisse<br />
untermauern dies durch die aufgezeigten positiven Auswirkungen der Beratungszufriedenheit<br />
auf die Kaufprozesszufriedenheit und die Loyalität zum Geschäft. Neben<br />
der Verfügbarkeit kommt die Zufriedenheit mit der Beratung insbesondere in der<br />
Entscheidungsunterstützung des Verkäufers zum Ausdruck (vgl. Haas 2001,<br />
S. 14f.). <strong>Der</strong> Verkäufer kann die Entscheidungsfindung dadurch unterstützen, dass er<br />
zum einen eine Art „Enablerfunktion“ übernimmt und dem Kunden hilft, sich selbst<br />
zu helfen, und zum anderen explizite Empfehlungen ausspricht. Ersteres kann man<br />
erreichen, indem der Verkäufer dem Konsumenten hilft, seine eigenen Präferenzen<br />
kennen zu lernen. Kahn und Morales (2001, S. 76) empfehlen hierzu, den Kunden<br />
attributweise nach seinen Präferenzen zu fragen, hierbei aber auf explizite Trade-offs<br />
zwischen verschiedenen Produkteigenschaften zu verzichten. Unterschiedliche<br />
Produktattribute sollten zudem sequenziell und nicht simultan betrachtet werden (vgl.<br />
Luce/Payne/Bettman 2001, S. 33). Ein Berater kann beispielsweise dem Käufer einer<br />
Digitalkamera dabei helfen, festzustellen, ob er eine Auflösung <strong>von</strong> 4 oder 5 Mio.<br />
Pixeln präferiert. Er sollte ihn aber nicht mit der Entscheidung zwischen 4 Mio. Pixel<br />
und einem großem Display und 5 Mio. Pixel und einem kleinem Display<br />
konfrontieren. Es wird empfohlen, diese Trade-offs implizit zu machen, indem der<br />
Verkäufer eine Kamera empfiehlt und dadurch den Konflikt löst. <strong>Der</strong> Verkäufer sollte<br />
generell darauf achten, den Konsumenten nicht zu überfordern, das heißt, weder zu<br />
viele Informationen <strong>von</strong> ihm zu erfragen, noch ihm zu viele anzubieten (Kahn 1998,<br />
S. 51). Gleichzeitig ist es vor allem im Bereich der Elektro- und Elektronikprodukte<br />
wichtig, bei der Kommunikation das richtige technische Niveau zu treffen (vgl.<br />
Johnson/Russo 1984, S. 549). So kann es angemessen sein, einen technisch versierten<br />
Jugendlichen mit Detailinformationen zur Auflösung einer Digitalkamera zu<br />
versorgen, damit sich dieser zwischen 4 und 7 Mio. Pixel entscheiden kann. Ein älterer<br />
Herr, der ein geringeres technisches Verständnis hat, wäre hier<strong>von</strong> überfordert. Ihm<br />
sollte der Verkäufer eher nutzenorientiert den Unterschied zwischen den Produkten<br />
klar machen, indem er beispielsweise aufzeigt, dass Bilder, die mit der 7 Mio. Pixel<br />
Kamera gemacht werden ohne Qualitätsverlust auf Postergröße ausgedruckt werden<br />
können, was bei einer Auflösung <strong>von</strong> 4 Mio. Pixel nicht möglich ist. Nachdem ein<br />
Verkäufer die Präferenzen des Konsumenten erfragt hat, sollte er die Anzahl der in<br />
Frage kommenden Alternativen möglichst schnell auf wenige, d. h. zwei bis vier<br />
406
einschränken und nach deren detaillierterer Betrachtung explizit ein Produkt<br />
empfehlen.<br />
Hintergrund obiger Empfehlungen ist, dass ein Konsument durch das Lernen seiner<br />
eigenen Präferenzen eine stärkere Kontrolle über den Entscheidungsprozess empfindet<br />
und gleichzeitig daran Spaß hat. Weiterhin kann er dadurch sicherer sein, das richtige<br />
Produkt zu kaufen, da er genauer weiß, was er selber will. Dies wiederum führt zu<br />
einem höheren antizipierten Produktnutzen, höheren Erfolgsaussichten und<br />
geringerem antizipierten Regret. Durch die schnelle Reduktion auf wenige<br />
Alternativen und eine explizite Produktempfehlung durch den Verkäufer kann ferner<br />
der Aufwand, die Verwirrung und die Notwendigkeit zum Kompromiss reduziert<br />
werden.<br />
Zusammenfassend ergeben sich aus den Untersuchungsergebnissen folgende<br />
Empfehlungen an Handelsunternehmen hinsichtlich der Beratung <strong>von</strong> Konsumenten:<br />
1. Ein Berater sollte den Konsumenten dabei unterstützen, attributweise seine<br />
eigenen Präferenzen zu lernen. Explizite Trade-offs zwischen verschiedenen<br />
Produkteigenschaften sind hierbei zu vermeiden. Außerdem ist darauf zu<br />
achten, den Kunden nicht zu überfordern und das richtige technische Niveau<br />
bei der Kommunikation zu wählen.<br />
2. Nach einer schnellen Einschränkung auf wenige Alternativen (zwei bis vier)<br />
und deren detaillierterer Diskussion kann der Verkäufer durch eine explizite<br />
Empfehlung die Entscheidung des Konsumenten deutlich erleichtern.<br />
Kommunikationsmaßnahmen am Point of Sale<br />
Durch Kommunikationsmaßnahmen können zum einen die Informationsmöglichkeiten<br />
und zum anderen die qualitativen Einflussgrößen Unterschiede und<br />
Vergleichbarkeit der Produkte beeinflusst werden. Gebräuchlichstes Mittel hierfür ist,<br />
auf kleinen Displays in schriftlicher Form zusätzliche Informationen zu den Produkten<br />
darzustellen. Zur Verdeutlichung der Produktunterschiede und zur Verbesserung der<br />
Vergleichbarkeit der Produkte sind hierbei zwei Maßnahmen geeignet:<br />
Erstens sollten zu allen Produkten einheitliche Informationen hinsichtlich derselben<br />
Attribute angeboten werden. Hierbei sind Attribute zu wählen, die eine hohe<br />
Entscheidungsrelevanz haben. Bei Digitalkameras könnten beispielsweise<br />
Informationen zur Auflösung, zum Objektiv, zur Belichtung und zum Speicherchip<br />
407
angegeben werden. Besondere Eigenschaften des Produkts können separat vermerkt werden.<br />
Diese attributweise Darstellung erleichtert den Vergleich, macht Unterschiede deutlich und<br />
verbessert dadurch die Informationsaufnahme (vgl. Kahn/Morales 2001, S. 76).<br />
Eine zweite Kommunikationsmaßnahme zielt auf die Verbesserung der<br />
Vergleichbarkeit der Produkte. Wie oben erläutert wurde, abstrahieren Konsumenten<br />
bei nicht vergleichbaren Produkten auf eine höhere Ebene, was für sie mit kognitiver<br />
Anstrengung und erhöhter Unsicherheit verbunden ist. Kunden kann dieser<br />
Prozessschritt abgenommen werden, indem ihnen Informationen auf einer höheren<br />
Abstraktionsebene angeboten werden. Üblich ist dies beispielsweise in<br />
PKW-Testzeitschriften, in denen Autos in Kategorien wie Qualität, Fahrdynamik oder<br />
Wirtschaftlichkeit bewertet werden. Hierbei wird kategorieübergreifend eine<br />
einheitliche Skala wie z. B. Schulnoten verwendet. Bei Digitalkameras könnten analog<br />
hierzu die Fotoqualität, Bedienungsfreundlichkeit und Langlebigkeit für jede Kamera<br />
z. B. auf einer Skala <strong>von</strong> eins bis fünf (1 <strong>St</strong>ern, ... , 5 <strong>St</strong>erne) angegeben werden.<br />
Konsumenten werden dadurch Attribute angeboten, hinsichtlich derer auch völlig<br />
unterschiedliche Produkte vergleichbar sind. Dies kann die Entscheidungsfindung<br />
erheblich erleichtern.<br />
Zusammenfassend können Handelsunternehmen auf Basis der Untersuchungsergebnisse<br />
folgende Empfehlungen zu Kommunikationsmaßnahmen am Point of<br />
Sale gegeben werden:<br />
1. Die Informationen zu Produkten sollten standardisiert werden, indem zu<br />
allen Produkten einer Kategorie Informationen zu denselben Attributen<br />
angegeben werden. Hierbei ist zu beachten, dass die Produkteigenschaften, zu<br />
denen Informationen angeboten werden, hohe Entscheidungsrelevanz haben.<br />
2. Durch die Bewertung der Produkte hinsichtlich abstrakter Größen wie<br />
Qualität, Langlebigkeit und Wirtschaftlichkeit können nicht vergleichbare<br />
Produkte für Konsumenten vergleichbar gemacht werden. Die Bewertung sollte<br />
dabei Kategorieübergreifend auf einer einheitlichen Skala erfolgen (z. B. 1<br />
<strong>St</strong>ern, ... , 5 <strong>St</strong>erne)<br />
Insgesamt wurden damit aus den Untersuchungsergebnissen 10 Maßnahmen in den<br />
Bereichen Sortiment, Beratung und Kommunikation abgeleitet, durch die ein<br />
Handelsunternehmen Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> eines Konsumenten<br />
effektiv und effizient beeinflussen kann. Dadurch hat ein Einzelhändler, wie die<br />
Analysen gezeigt haben, die Möglichkeit, die Kaufwahrscheinlichkeit, die<br />
Zufriedenheit mit dem Kaufprozess und dem gekauften Produkt sowie die Loyalität<br />
408
der Konsumenten gegenüber seinem Geschäft zu steigern. In Abbildung 81 sind die<br />
Maßnahmen zusammen mit den Ansatzpunkten, auf die sie ausgerichtet sind<br />
zusammenfassend dargestellt.<br />
Kategorie und Maßnahme<br />
Ansatzpunkte<br />
I<br />
Anzahl Produkte analysieren, ggf. Langsamdrehen entfernen<br />
1 2 3 4 5 6 7 8<br />
X<br />
9<br />
Anzahl und Art der<br />
Produkte<br />
II<br />
III<br />
IV<br />
Produkte anbieten, die klare Unterschiede haben und gut<br />
vergleichbar sind, d.h. gemeinsam Attribute haben<br />
Hohe Vielfältigkeit anbieten: Preis- und sensorische Vielfalt<br />
(z.B. Farben)<br />
Produktneuheiten und besondere Produkte im Sortiment<br />
wecken Interesse und verleihen Exklusivität<br />
X<br />
X<br />
X<br />
X<br />
X<br />
X<br />
X<br />
Präsentation<br />
V<br />
VI<br />
Hervorhebung einzelner Produkte, z.B. Top 10, Bestseller<br />
<strong>St</strong>rukturierung und Segmentierung des Sortiments anhand<br />
entscheidungsrelevanter Kriterien, z.B. Preis<br />
X<br />
X<br />
X<br />
Beratung<br />
VII<br />
VIII<br />
Den Kunden beim Lernen seiner Präferenzen unterstützen,<br />
nicht überfordern, keine Trade-offs, richtiges techn. Niveau<br />
Schnelle Einschränkung auf wenige Alternativen; aktive<br />
Entscheidungsunterstützung; Produktempfehlung<br />
X<br />
X<br />
X<br />
X<br />
Kommunik.<br />
PoS<br />
IX<br />
X<br />
<strong>St</strong>andardisierte Informationen zu entscheidungsrelevanten<br />
Attributen; zu allen Produkten einer Kategorie dieselben Infos<br />
Informationen zu übergeordneten Kategorien wie Qualität und<br />
Handhabung; Einheitliche Bewertung (1 <strong>St</strong>ern – 5 <strong>St</strong>erne)<br />
X<br />
X<br />
X<br />
X<br />
X<br />
X<br />
X<br />
X<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
9<br />
Positive<br />
Emotionen<br />
Aufwand und<br />
Anstrengung<br />
Verwirrung und<br />
Frustration<br />
Anzahl<br />
Produkte<br />
Preisvielfalt<br />
Informationsmöglichkeiten<br />
Kompromissnotwendigkeit<br />
klare Produktunterschiede<br />
Vergleichbarkeit<br />
Abbildung 81: Aus den Untersuchungsergebnissen abgeleitete Maßnahmen und deren Ansatzpunkte<br />
im Überblick<br />
„Freedom of choice is a two-edged sword, for just on the other side<br />
of liberation sits chaos and paralysis.”<br />
(Schwarz 2000, S. 24)<br />
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