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Katharina Hacker - KLG

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nicht funktioniert, die Krähen, die sich abends in den Bäumen sammeln, oder die Nachrichten, die<br />

krächzend aus dem Weltempfänger kommen.<br />

Mit mal anekdotischen, mal aphoristischen Gedankensplittern, poetischen Notizen, realistischen<br />

Beobachtungen und lyrischen Phantasien fängt <strong>Hacker</strong> in ihrer ersten Veröffentlichung „Tel Aviv.<br />

Eine Stadterzählung“ (1997) die Atmosphäre des Lebens in einer bedrohten Stadt am Meer ein, die<br />

flüchtige Schönheit und melancholische Trauer, und die Verlorenheit, Liebe, Hoffnungen ihrer<br />

Menschen.<br />

Da ist Sarah in ihrem Café, da ist Hannah, die sich einsam fühlt, nachdem sie und Jaron sich<br />

getrennt haben, der Maler Wladimir, der nie malt. Es sind zerbrechliche Momente, die nur kurz<br />

skizziert werden, alles kann sich jederzeit ändern. Die großen politischen Bedrohungen sind im<br />

Hindergrund gegenwärtig, die eigenen Katastrophen und Freuden im Leben der Menschen müssen<br />

sich vor ihnen behaupten. Der Wunsch nach einem ganz normalen Leben wehrt sich gegen die<br />

Übermacht der schlechten Nachrichten, gegen den Horror der Bomben, der Toten und Verletzten.<br />

„Es gibt hier keine dramatische Lösung, hier noch weniger als anderswo. Die Toten in den<br />

Autobussen, die Verletzten; sie müssen nicht verschwiegen werden. Aber wir, wir leben. Und die<br />

Katastrophen geschehen weiter. Schon sind wir nicht mehr müde. Immer ist schon der nächste<br />

Morgen.“<br />

Die scheinbar absichtslosen, leicht hingeworfenen Notizen sind das Ergebnis einer harten Arbeit an<br />

sprachlicher Genauigkeit: „Will man von einer Stadt sprechen, so kann man ihr Sätze anprobieren.<br />

Es gibt zappelige Städte, die immer schon woanders zu sein scheinen, während man doch den Satz<br />

noch gar nicht beendet hat. Vielleicht auch Städte, die immer größer werden, während man spricht,<br />

ausufern und mit einem Sprung vom Satz noch nie gehört haben. Ebenso indignierte Städte, denen<br />

man es nicht recht machen kann. Und wenn es all diese nicht gibt, so muß man doch ausprobieren,<br />

wie es wäre, wenn es sie gäbe, um vielleicht einen richtigen Satz zu finden. Von einem richtigen<br />

Satz hängt alles ab. Das ist eine Überzeugung, der man unbedingt anhängen muß.“ Solche<br />

Bemühung um poetische Dichte, die dem Prosatext einen geradezu lyrischen Charakter verleiht, tritt<br />

noch stärker in den Vordergrund in <strong>Hacker</strong>s zweitem Buch: „Morpheus oder der<br />

Schnabelschuh“ (1998). Die hier versammelten sieben Texte nennen sich zwar „Erzählungen“, sind<br />

aber eher statische, poetische Monologe, zu denen <strong>Hacker</strong> durch die Lektüre von Ovids<br />

„Metamorphosen“ angeregt wurde. Was <strong>Hacker</strong> bei Ovid findet, sind traurige Geschichten, die<br />

nicht bloß die Verwandlung von einem Zustand in einen anderen beschreiben, sondern die<br />

Verwandlung von Menschen in ein Tier, eine Pflanze oder ein Ding, was zum Verlust der Sprache<br />

führt, zum Verstummen und schließlich zum Tod.<br />

Die antiken Gestalten werden in eine gegenwärtige Alltagswelt transportiert: Elpenor, der trunkene<br />

Gefährte des Odysseus, sitzt als Penner am Straßenrand. Ariadne auf Naxos, Archetyp der<br />

verlassenen Frau, wartend an einer Bushaltestelle, selbst verloren durch den Verlust der geliebten<br />

Person. Sisyphos bewegt seinen unvermeidlichen Stein in einem französischen Hotelzimmer und<br />

irritiert den Hotelier und den Concierge. Das Zwitterwesen Minotaurus steht tagsüber im Museum,<br />

nachts irrt es durch verlassene Straßen. Und Mnemon, ein Merker, wie sie in der Antike vor dem<br />

Aufkommen der Schriftkultur existierten, findet sich der Qual ausgesetzt, dauernd Dinge im Kopf<br />

zu haben, Bilder und Wörter, die in seinem Gedächtnis aufmarschieren und nicht zu verdrängen<br />

sind.<br />

In den dichten Texten, widerständig und poetisch, sprechen Stimmen aus einer vergangenen antiken<br />

Welt, ohne die die Stimmen der gegenwärtigen Menschen nicht zu denken wären. Archetypen, die<br />

über die Zeiten hinweg für den verlorenen Penner und den antiken Helden gleichermaßen gelten<br />

und eine verlassene Frau heute nicht beschreibbar machen ohne die Erinnerung an Ariadne.<br />

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