28.12.2013 Aufrufe

Paratexte in der englischen Erzählprosa des 18. Jahrhunderts

Paratexte in der englischen Erzählprosa des 18. Jahrhunderts

Paratexte in der englischen Erzählprosa des 18. Jahrhunderts

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

KAPITEL 5 TRISTRAM SHANDY (1759–67)<br />

5.5 DAS VORWORT<br />

um so weniger e<strong>in</strong>geht, soll versucht werden, die typischen Vorwortfunktionen <strong>der</strong><br />

auktorialen, fiktiven und nachträglichen Vorworte, die den Vorworttyp <strong>in</strong> Tristram<br />

Shandy am besten klassifizieren, aus se<strong>in</strong>er Typologie herauszufiltern und mit dem<br />

Vorwort zu kontrastieren.<br />

Der Status <strong>des</strong> ”<br />

B<strong>in</strong>nenvorworts“, wie es <strong>in</strong> Tristram Shandy (nach III, xx<br />

[S. 153–160], <strong>der</strong> Titel ist gleichzeitig die Gattungsbezeichnung) auftaucht, stellt<br />

noch e<strong>in</strong>e Steigerung gegenüber den 18 e<strong>in</strong>leitenden Essay–Kapiteln von Tom Jones<br />

dar. Diese hatten jeweils verschiedene Vorwortfunktionen wahrgenommen, es<br />

handelte sich nach Genette folglich um <strong>in</strong>terne, durch den Umfang und den Aufbau<br />

<strong>des</strong> Werks gerechtfertigte Vorworte. Demgegenüber stellt das Vorwort von Tristram<br />

Shandy als noch ”<br />

<strong>in</strong>terneres“ Vorwort e<strong>in</strong>e Parodie dieses Gebrauchs <strong>des</strong> Vorworts<br />

dar. 30 Der “Author” übernimmt zwar die Verantwortung für den Text (Simulation<br />

e<strong>in</strong>es bejahenden auktorialen/aktorialen Vorworts), doch bleibt für den Leser erneut<br />

im dunkeln, wer hier eigentlich adressiert. Wie bereits im Abschnitt über den Autorennamen<br />

deutlich geworden ist, ist die Frage nach dem Adressanten <strong>in</strong> Tristram<br />

Shandy e<strong>in</strong>erseits durch Sternes Polyponymität, an<strong>der</strong>erseits durch die Mehrdeutigkeit<br />

<strong>des</strong> Begriffs “author” beson<strong>der</strong>s komplex. Der Status <strong>des</strong> zeitgenössischen Lesers<br />

unterscheidet sich von dem <strong>des</strong> heutigen <strong>in</strong>sofern dadurch, daß damals durchaus <strong>in</strong><br />

bestimmten Kreisen von <strong>der</strong> Existenz e<strong>in</strong>er realen Person Tristram Shandy ausgegangen<br />

wurde, das Vorwort also e<strong>in</strong>em realen Autor dieses Namens zugeschrieben<br />

wurde. Dies spielt demzufolge auch h<strong>in</strong>sichtlich <strong>des</strong> beson<strong>der</strong>en Status e<strong>in</strong>er Autobiographie,<br />

<strong>der</strong>en Adressant durch die Identität von Schreiber und Handelndem immer<br />

auktorial (Biograph) und aktorial (Biographierter) zugleich ist, e<strong>in</strong>e Rolle (mehrdeutige<br />

Mehrfachzuschreibung). Aus <strong>der</strong> heutigen Perspektive nimmt das Vorwort<br />

den Status ”<br />

fiktiv aktorial“ e<strong>in</strong> (<strong>der</strong> Ich–Erzähler Tristram fungiert also als Adressant<br />

<strong>des</strong> B<strong>in</strong>nenvorworts se<strong>in</strong>er autobiographischen Ich–Erzählung), es handelt sich<br />

um den spielerisch <strong>in</strong>teressanten Fall e<strong>in</strong>er fiktionalen Simulation e<strong>in</strong>es Autobiographievorworts,<br />

wobei <strong>der</strong> Akteur Tristram gleichzeitig sowohl se<strong>in</strong> eigener Erzähler<br />

als auch se<strong>in</strong> eigener Autor ist 31 (durch die E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>des</strong> Vorworts mitten <strong>in</strong> den<br />

Text und die fehlende diskursive Abhebung ist <strong>der</strong> empirische Autor als Adressant<br />

[Vorwort als Autorkommentar] weitgehend auszuschließen).<br />

Da die Prämisse, daß die histoire vor dem discours abgeschlossen ist, von Tristram<br />

Shandy nicht erfüllt wird und die Geschichte während <strong>des</strong> Schreibens entsteht,<br />

kommt e<strong>in</strong>e History, die Tristram selbst für unmöglich hält (vgl. Kapitel I, xiv<br />

[S. 32f.]), nicht zustande. Wie Ra<strong>in</strong>er Warn<strong>in</strong>g feststellt, wird Tristram Shandy also<br />

zu e<strong>in</strong>em Roman, ”<br />

<strong>der</strong> die ’<br />

Unmöglichkeit e<strong>in</strong>en Roman zu schreiben‘ zum Thema<br />

hat.“ 32 Folglich entfällt auch die traditionelle Funktion <strong>des</strong> Vorworts, e<strong>in</strong>en Text,<br />

<strong>der</strong> wie hier nie vollendet werden kann 33 , s<strong>in</strong>nvoll e<strong>in</strong>zuleiten. Dennoch erreicht <strong>der</strong><br />

30 Genette verweist ohne nähere Erläuterung nur beiläufig auf den beson<strong>der</strong>en Status <strong>des</strong> Vorworts:<br />

Mehr spaßhalber und verspielter schiebt Sterne zwischen Kapitel xx und xxi von Tristram<br />

”<br />

Shandy e<strong>in</strong> Vorwort e<strong>in</strong>“. In [28] Genette, S. 167.<br />

31 Vgl. [28] Genette, S. 277f.<br />

32 In [54] Ra<strong>in</strong>er Warn<strong>in</strong>g: Illusion und Wirklichkeit <strong>in</strong> Tristram Shandy und Jacques le Fataliste.<br />

München: F<strong>in</strong>k, 1965, S. 17.<br />

33 Die für die Autobiographie charakteristische, mit zunehmen<strong>der</strong> Erzählzeit fortschreitende,<br />

88

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!