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Paratexte in der englischen Erzählprosa des 18. Jahrhunderts

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KAPITEL 5 TRISTRAM SHANDY (1759–67)<br />

5.2 DER TITELAPPARAT<br />

erstreckten und Sterne dazwischen auch an<strong>der</strong>e Veröffentlichungen unter Pseudonym<br />

tätigte, hatten die verschiedenen Autorennamen natürlich e<strong>in</strong>e viel längere<br />

Wirkungszeit, die enorm die Vorme<strong>in</strong>ungen und das Lektüreverhalten <strong>der</strong> Leser<br />

bee<strong>in</strong>flußte. Daß <strong>der</strong> Autorenname dem zeitgenössischen Publikum oft lange Zeit<br />

unbekannt war, muß <strong>der</strong> heutige Leser daher <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Überlegungen nachträglich<br />

mitreflektieren. Genette bezeichnet das Phänomen, daß e<strong>in</strong> Autor unter verschiedenen<br />

angenommenen Namen auftritt, als ”<br />

Polyonymität“ (Sterne als Tristram o<strong>der</strong><br />

Yorick), e<strong>in</strong>er gesteigerten Form <strong>der</strong> re<strong>in</strong> literarischen ”<br />

Polypseudonymität“. Die<br />

Funktion o<strong>der</strong> Wirkung dieses Phänomens sieht Genette, da dem Leser das Faktum<br />

<strong>des</strong> Pseudonyms <strong>des</strong> Autors bald bekannt war, im ”<br />

Pseudonymeffekt“, <strong>der</strong> von<br />

<strong>der</strong> Informiertheit <strong>des</strong> Lesers über dieses Faktum abhängt. Der Autor verb<strong>in</strong>det<br />

sich durch die Wahl e<strong>in</strong>es Pseudonyms zwangsläufig mit <strong>der</strong> Wirkung dieses Pseudonyms<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit. Sterne konnte also ausgiebig mit <strong>der</strong> Verknüpfung von<br />

Autor und Pseudonym und ihrer beiden ”<br />

Identitäten“ spielen, wodurch er se<strong>in</strong>e<br />

Persönlichkeit <strong>in</strong>nerhalb und außerhalb <strong>des</strong> literarischen Diskurses vervielfältigte<br />

(vgl. etwa die Predigt, die von Sterne stammt, er aber Yorick zuschreibt, o<strong>der</strong> die<br />

Reise Tristrams, die Sterne selbst unternahm). Sterne baut den Pseudonymeffekt<br />

aber zusätzlich noch durch fiktive Identitäten aus, er verb<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> Abhängigkeit<br />

se<strong>in</strong>er Veröffentlichungen mit dem jeweils dazu passenden unterschobenen Charakter<br />

e<strong>in</strong>er bereits e<strong>in</strong>geführten und bekannten, fiktiven Gestalt. Sterne unterscheidet<br />

demzufolge zwischen dem Charakter se<strong>in</strong>er literarischen und etwa berufsbed<strong>in</strong>gten<br />

Werken. So schreibt er beispielsweise The Sermons of Mr. Yorick (1760/66), A Sentimental<br />

Journey through France and Italy. By Mr. Yorick (1768) und posthum<br />

Letters from Yorick to Eliza (The Journal to Eliza [1775]) se<strong>in</strong>em fiktiven Pseudonym<br />

“Yorick” zu, se<strong>in</strong>e Briefe signiert Sterne je nach Anlaß, Adressat und Inhalt<br />

mit se<strong>in</strong>en verschiedenen Pseudonymen, mit Onym o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>fach dem Titlonym “the<br />

Author of Tristram Shandy” (das allerd<strong>in</strong>gs durch se<strong>in</strong>e Referenzfunktion als Anonym<br />

auf e<strong>in</strong> Pseudonym zur Herstellung e<strong>in</strong>er ”<br />

auktorialen Entität“ 10 wie<strong>der</strong>um<br />

e<strong>in</strong>en komplexen Fall darstellt).<br />

In Tristram Shandy wirft folglich e<strong>in</strong>e Signatur wie “The Author” enorme<br />

Probleme auf, da hier <strong>in</strong> Sternes Erstl<strong>in</strong>gsroman alle fiktiven Identiäten auf e<strong>in</strong>mal<br />

versammelt s<strong>in</strong>d. Die Unsicherheit <strong>des</strong> Lesers als Resultat dieses Verwirrspiels ist nur<br />

e<strong>in</strong> Teil von Sternes Spiel mit den verschiedensten Traditionen und Konventionen<br />

<strong>der</strong> literarischen Praxis im <strong>18.</strong> Jh.<br />

5.2 Der Titelapparat<br />

Der komplexe Titelapparat von Tristram Shandy wirft <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verb<strong>in</strong>dung se<strong>in</strong>er<br />

konstitutiven Elemente erneut die traditionell exakte Funktionsdef<strong>in</strong>ition und v. a.<br />

illokutorische Wirkung (dialektische Verb<strong>in</strong>dung von Titel und Text als Informationsvergabe<br />

im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Steuerung <strong>der</strong> Erwartungshaltung) dieses <strong>Paratexte</strong>s um.<br />

10 In [28] Genette, S. 49.<br />

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