Paratexte in der englischen Erzählprosa des 18. Jahrhunderts

Paratexte in der englischen Erzählprosa des 18. Jahrhunderts Paratexte in der englischen Erzählprosa des 18. Jahrhunderts

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KAPITEL 4 A TALE OF A TUB (1704/10) 4.4 DIE VORWORTE stellt er am Schluß jene berühmte Falle, die im Text nocheinmal aktualisiert wird und in die die ohnehin schon angegriffenen gelehrten moderns tatsächlich mit ihrem authentisch–allographen Kommentar samt kritischen Fußnoten tappten. 36 Das bejahende fiktiv–auktoriale Originalvorwort “THE PREFACE” des hack konzentriert sich dagegen stimmig mit der Zueignung an PRINCE POSTERITY im wesentlichen erneut auf die Selbstdarstellung des hack als moderner Autor. Die einleitenden informierenden und lektüresteuernden Funktionen eines Vorworts, die hier zumindest noch anzitiert werden, sind dabei immer wieder zugunsten der meta– paratextuellen Selbstbespiegelung gebrochen. Das Vorwort ist über weite Strecken selbstreferentiell, es führt, wie das die Widmungsepistel des Verlegers für den Paratext der Zueignung getan hatte, autologisch die Struktur eines simulierten traditionellen Vorworts vor. Analog dazu ist auch der hack, trotz des ausführlichen Studiums vieler Vorworte, nicht in der Lage ein eigenes zu verfassen. 37 Die Vorwortkonvention wird dabei satirisch auf ihre lügenhafte Werbefunktion reduziert. Auch das konventionelle Minimalziel der Überredung zur Lektüre wird schon zu Beginn durch einen rhetorischen Aufwertungsapparat parodiert. Über die schon im Titelabschnitt behandelte Titelexplikation wird der Entstehungsanlaß für das Auftragswerk als ablenkende Übergangslösung zur Verteidigung von Staat und Kirche erläutert. Die Aufwertungsstrategie stellt dabei den gesellschaftlichen Nutzen des Tale durch die absurde, maßlos übertriebene Kriegsmetaphorik zur Schau, durch die die Gefahr, die aus den Reihen der mit Feder, Tinte und Papier bewaffneten Pamphletisten (wits) droht, künstlich vergrößert wird. Dadurch wird auch der ausschließlich pragmatische Charakter des Gebrauchstexts und seine kurze Lebensdauer betont: [I]t was decreed that in order to prevent these Leviathans from tossing and sporting with the Commonwealth (which of itself is too apt to f luctuate) they should be diverted from that game by a Tale of a Tub. And my genius being conceived to lie not unhappily that way, I had the honour done me to be engaged in the performance. This is the sole design in publishing the following treatise, which I hope will serve for an interim of some months to employ those unquiet spirits [. . . ]. [S. 18f.] Die ungewöhnlich eindeutige Rezeptionsanweisung ist dabei schon in sich ironisch gebrochen, da zu Beginn bereits die eigentlich sinnvollerweise geheimgehaltene illokutorische Wirkung beim intendierten Rezipientenkreis preisgegeben wird. Zusammen mit der Stilisierung des Werks als offiziell sanktioniertem Auftragswerk ermöglicht diese Tatsache dem hack auch jegliche versteckt satirische Absicht abzustreiten (“ ’Tis a great ease to my conscience that I have written so elaborate and useful a discourse without one grain of satire intermixed;” [S. 22]), da die tatsächliche Wirkungsabsicht schon bekannt ist. So distanziert sich der Autor von wurden zusammen mit der “APOLOGY ” in einer Sonderausgabe 1711 veröffentlicht. 36 Vgl. Abschnitt 4.6 (S. 72). 37 Vgl. “I am sufficiently instructed in the principal duty of a preface, if my genius were capable of arriving at it. Thrice have I forced my imagination to make the tour of my invention, and thrice it has returned empty, the latter having been wholly drained by the following treatise.” (S. 19). 65

KAPITEL 4 A TALE OF A TUB (1704/10) 4.4 DIE VORWORTE den ohnehin wirkungslosen durchschaubaren Satiren 38 , die als ” moderne“ Krankheit apostrophiert werden. Der darauffolgende Metakommentar als Resultat der Satire auf die Gattung Satire ist dabei nichts anderes als eine extensive Gattungsreflexion (S. 22–24) im Modus dieser Gattung 39 , die aber keine Abkehr vom satirischen Modus oder gar eine Abschwächung ihrer Schärfe impliziert. Einen wichtigen Lektürehinweis, einhergehend mit der Wahl eines absurden idealen Publikums, gibt der hack im Zusammenhang mit der unmittelbaren pragmatischen Funktion des Gebrauchstexts. Nach der bereits eingeführten Theorie der Geschichtslosigkeit der moderns, deren Credo der Augenblicksfixiertheit hier wiederholt wird (“I cannot imagine why we should be at expense to furnish wit for succeeding ages, when the former have made no sort of provision for ours;” [S. 20]), muß der veröffentlichte Text durch die historische Distanz zum Kompositionszeitraum (August 1697) freilich sinnlos und dunkel wirken. Zumal schon das zeitgenössische Gelingen der Kommunikation abhängig vom Verstehen der Umstände der Niederschrift war, in die sich der Leser idealiter hineinversetzen muß. 40 Daher auch die detaillierte Schilderung der autobiographischen Umstände (hungernder, verarmter, kranker Schreiberling) des Dichters bei der Abfassung und die Hinweise zur Textgestalt 41 . Der hack postuliert (“principal postulatum” [S. 20]) also als prospektiver Textkommentar, daß es keinem Leser je wirklich möglich sein wird, den Text zu verstehen, d. h. die solipsistische Ich–Fixiertheit des hack zu durchdringen. Erneut wird dadurch die Notwendigkeit der unverfälschten Tradierung und umfassenden Kommentierung betont. Das “PREFACE” steht somit in direktem Kontrast zur vorgespielten Ambition in der Zueignung: der hack hat keineswegs ein zukünftiges Publikum im Auge, er weiß, daß er nur für den Augenblick schreibt und auch nur in der Gegenwart erfolgreich sein kann. 42 Doch auch das “PREFACE” setzt letztlich lediglich die lange Reihe der selbst- 38 Vgl. auch “THE PREFACE OF THE AUTHOR.” zu The Battle of the Books (S. 104f.). 39 Vgl. [24] Robert C. Elliott: “Swift’s Satire: Rules of the Game”. In: Claude Rawson (Hg.), Jonathan Swift. A Collection of Critical essays. Band 10 der Reihe New Century Views. Englewood Cliffs: Prentice Hall, 1995, S. 50–62, hier S. 59f. 40 Vgl. Neil Saccamano: “Without the knowledge of a writer’s circumstances during the composition of a particular work, ‘thorow Comprehension’ is unlikely, for two related reasons. First, ‘Taste’ and ‘Wit,’ for the modern, are historically specific and socially determined; [. . . ] Second, a work derives meaning from the author’s intentions regarding style and content, and these intentions can undergo alteration from one work to another, or even in the course of one work. The thematic and formal features of works associated with the same name may thus vary dramatically with the author’s changing psychological, social, and literary history [. . . ].” In [49] Saccamano, S. 246. 41 Der hack verweist hier noch ironisch darauf, daß gänzlich unverständliche Stellen im Text besonders wichtige Inhalte transportieren und ein Wechsel der Schrift einen Hinweis auf “something extraordinary either of wit or sublime” (S. 21) darstellt. Eine typographische Information wird also explizit mit einer Lektüreanweisung und Textinterpretation verbunden. Vor diesem Hintergrund ist daher nicht uninteressant, daß bestimmte Paratexte, v. a. solche, die tatsächlich wichtige paratextuelle Funktionen für die Texte wahrnehmen, ganz kursiv gesetzt sind: “AN APOLOGY ” mit “POSTSCRIPT.” (S. 1–10), das Vorwort des Verlegers an den Leser (S. 13) und später “THE PREFACE OF THE AUTHOR.” (S. 104f.) zu The Battle of the Books (Gattungsreflexion über die Satire) und “THE BOOKSELLER’S ADVERTISEMENT.” (S. 126) zu The Mechanical Operation (Rechtfertigung und Verschleierungsstrategie). 42 Vgl. [42] Paulson, S. 171. 66

KAPITEL 4 A TALE OF A TUB (1704/10)<br />

4.4 DIE VORWORTE<br />

den ohneh<strong>in</strong> wirkungslosen durchschaubaren Satiren 38 , die als ”<br />

mo<strong>der</strong>ne“ Krankheit<br />

apostrophiert werden. Der darauffolgende Metakommentar als Resultat <strong>der</strong> Satire<br />

auf die Gattung Satire ist dabei nichts an<strong>der</strong>es als e<strong>in</strong>e extensive Gattungsreflexion<br />

(S. 22–24) im Modus dieser Gattung 39 , die aber ke<strong>in</strong>e Abkehr vom satirischen<br />

Modus o<strong>der</strong> gar e<strong>in</strong>e Abschwächung ihrer Schärfe impliziert.<br />

E<strong>in</strong>en wichtigen Lektüreh<strong>in</strong>weis, e<strong>in</strong>hergehend mit <strong>der</strong> Wahl e<strong>in</strong>es absurden idealen<br />

Publikums, gibt <strong>der</strong> hack im Zusammenhang mit <strong>der</strong> unmittelbaren pragmatischen<br />

Funktion <strong>des</strong> Gebrauchstexts. Nach <strong>der</strong> bereits e<strong>in</strong>geführten Theorie <strong>der</strong> Geschichtslosigkeit<br />

<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ns, <strong>der</strong>en Credo <strong>der</strong> Augenblicksfixiertheit hier wie<strong>der</strong>holt<br />

wird (“I cannot imag<strong>in</strong>e why we should be at expense to furnish wit for succeed<strong>in</strong>g<br />

ages, when the former have made no sort of provision for ours;” [S. 20]), muß<br />

<strong>der</strong> veröffentlichte Text durch die historische Distanz zum Kompositionszeitraum<br />

(August 1697) freilich s<strong>in</strong>nlos und dunkel wirken. Zumal schon das zeitgenössische<br />

Gel<strong>in</strong>gen <strong>der</strong> Kommunikation abhängig vom Verstehen <strong>der</strong> Umstände <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>schrift<br />

war, <strong>in</strong> die sich <strong>der</strong> Leser idealiter h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>versetzen muß. 40 Daher auch die<br />

detaillierte Schil<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> autobiographischen Umstände (hungern<strong>der</strong>, verarmter,<br />

kranker Schreiberl<strong>in</strong>g) <strong>des</strong> Dichters bei <strong>der</strong> Abfassung und die H<strong>in</strong>weise zur Textgestalt<br />

41 . Der hack postuliert (“pr<strong>in</strong>cipal postulatum” [S. 20]) also als prospektiver<br />

Textkommentar, daß es ke<strong>in</strong>em Leser je wirklich möglich se<strong>in</strong> wird, den Text zu<br />

verstehen, d. h. die solipsistische Ich–Fixiertheit <strong>des</strong> hack zu durchdr<strong>in</strong>gen. Erneut<br />

wird dadurch die Notwendigkeit <strong>der</strong> unverfälschten Tradierung und umfassenden<br />

Kommentierung betont. Das “PREFACE” steht somit <strong>in</strong> direktem Kontrast zur<br />

vorgespielten Ambition <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zueignung: <strong>der</strong> hack hat ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong> zukünftiges<br />

Publikum im Auge, er weiß, daß er nur für den Augenblick schreibt und auch nur<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Gegenwart erfolgreich se<strong>in</strong> kann. 42<br />

Doch auch das “PREFACE” setzt letztlich lediglich die lange Reihe <strong>der</strong> selbst-<br />

38 Vgl. auch “THE PREFACE OF THE AUTHOR.” zu The Battle of the Books (S. 104f.).<br />

39 Vgl. [24] Robert C. Elliott: “Swift’s Satire: Rules of the Game”. In: Claude Rawson (Hg.),<br />

Jonathan Swift. A Collection of Critical essays. Band 10 <strong>der</strong> Reihe New Century Views. Englewood<br />

Cliffs: Prentice Hall, 1995, S. 50–62, hier S. 59f.<br />

40 Vgl. Neil Saccamano: “Without the knowledge of a writer’s circumstances dur<strong>in</strong>g the composition<br />

of a particular work, ‘thorow Comprehension’ is unlikely, for two related reasons. First, ‘Taste’<br />

and ‘Wit,’ for the mo<strong>der</strong>n, are historically specific and socially determ<strong>in</strong>ed; [. . . ] Second, a work<br />

<strong>der</strong>ives mean<strong>in</strong>g from the author’s <strong>in</strong>tentions regard<strong>in</strong>g style and content, and these <strong>in</strong>tentions can<br />

un<strong>der</strong>go alteration from one work to another, or even <strong>in</strong> the course of one work. The thematic<br />

and formal features of works associated with the same name may thus vary dramatically with the<br />

author’s chang<strong>in</strong>g psychological, social, and literary history [. . . ].” In [49] Saccamano, S. 246.<br />

41 Der hack verweist hier noch ironisch darauf, daß gänzlich unverständliche Stellen im Text beson<strong>der</strong>s<br />

wichtige Inhalte transportieren und e<strong>in</strong> Wechsel <strong>der</strong> Schrift e<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weis auf “someth<strong>in</strong>g<br />

extraord<strong>in</strong>ary either of wit or sublime” (S. 21) darstellt. E<strong>in</strong>e typographische Information wird<br />

also explizit mit e<strong>in</strong>er Lektüreanweisung und Text<strong>in</strong>terpretation verbunden. Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund<br />

ist daher nicht un<strong>in</strong>teressant, daß bestimmte <strong>Paratexte</strong>, v. a. solche, die tatsächlich wichtige<br />

paratextuelle Funktionen für die Texte wahrnehmen, ganz kursiv gesetzt s<strong>in</strong>d: “AN APOLOGY ”<br />

mit “POSTSCRIPT.” (S. 1–10), das Vorwort <strong>des</strong> Verlegers an den Leser (S. 13) und später “THE<br />

PREFACE OF THE AUTHOR.” (S. 104f.) zu The Battle of the Books (Gattungsreflexion über die<br />

Satire) und “THE BOOKSELLER’S ADVERTISEMENT.” (S. 126) zu The Mechanical Operation<br />

(Rechtfertigung und Verschleierungsstrategie).<br />

42 Vgl. [42] Paulson, S. 171.<br />

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