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Paratexte in der englischen Erzählprosa des 18. Jahrhunderts

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KAPITEL 3 TOM JONES (1749)<br />

3.5 DIE VORWORTE<br />

3.5.2.5 Interpretative (Chorische) Vorworte<br />

Neben den bisherigen, zumeist allgeme<strong>in</strong>e Vorwortfunktionen erfüllenden <strong>Paratexte</strong>n,<br />

die also, wie traditionelle E<strong>in</strong>leitungsvorworte, nur über allgeme<strong>in</strong>e Analogieebenen<br />

mit <strong>der</strong> unmittelbaren fiktionalen Welt verbunden s<strong>in</strong>d, gibt es aber auch Vorworte,<br />

die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em expliziteren <strong>in</strong>terpretatorischen Zusammenhang mit dem Text<br />

stehen. Sie übernehmen dabei teilweise chorische Funktion (im Text z. B. am Ende<br />

von III, 7) für das fiktionale Geschehen (resümieren<strong>der</strong> Kommentar von Handlungsverlauf<br />

und Figurenentwicklung, <strong>der</strong> dadurch unverän<strong>der</strong>bar an e<strong>in</strong>em bestimmten<br />

Ort im Vorwortdiskurs verankert ist), wie es nach <strong>der</strong> Ankündigung <strong>der</strong> “particular<br />

bills” <strong>in</strong> I, 1 (S. 51) als “bill[s] of fare” für je<strong>des</strong> e<strong>in</strong>zelne Buch eigentlich für alle<br />

Bücher zu erwarten gewesen wäre. 70<br />

Die explizit o<strong>der</strong> implizit auktoriale Figurencharakterisierung tritt im Vorwortdiskurs<br />

eher selten auf, sie läßt sich prägnant an drei Vorworten beobachten. Das<br />

B<strong>in</strong>nenvorwort IV, 1 (S. 151–153) übernimmt <strong>in</strong> deutlich ironischem Rückbezug auf<br />

klassische Literaturformen die explizit expositorische Aufgabe <strong>der</strong> gebürend ornamental<br />

gehaltenen und breit angelegten Ankündigung (allerd<strong>in</strong>gs ohne nähere Charakterisierung)<br />

<strong>der</strong> Held<strong>in</strong> <strong>des</strong> Epos, Sophia, <strong>in</strong> angemessen gehobenem Stil, e<strong>in</strong>hergehend<br />

mit e<strong>in</strong>em Kompliment für die gesamte weibliche Leserschaft durch ihre<br />

Gleichsetzung mit Sophias Perfektion. In <strong>der</strong> im genus sublime gehaltenen Pastiche<br />

e<strong>in</strong>er Musenanrufung im antiken Epos <strong>in</strong> XIII, 1 (S. 607–609) 71 stellt <strong>der</strong> auktoriale<br />

Erzähler dann e<strong>in</strong>e unmittelbare <strong>in</strong>terpretative Verb<strong>in</strong>dung zwischen empirischer<br />

und fiktionaler Welt her, <strong>in</strong>dem die Figur <strong>der</strong> Sophia Western (genauso wie später<br />

Amelia Booth) als getreues Charakterporträt von Field<strong>in</strong>gs 1744 verstorbener Ehefrau<br />

Charlotte benannt wird. Das Vorwort XVII, 1 (S. 777–778) schließlich betont <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Differenzierung <strong>der</strong> tragischen von <strong>der</strong> komischen Kunst (Gattungskommentar)<br />

die beson<strong>der</strong>e Leistung <strong>des</strong> Autors, e<strong>in</strong>e <strong>der</strong>art schwierige Situation wie am Ende von<br />

Kapitel XVI (Tom unter Mordanklage im Gefängnis, Sophias Untreueverdacht gegen<br />

Tom) für die Figuren noch zum Guten zu wenden. Dabei verurteilt <strong>der</strong> Erzähler,<br />

<strong>des</strong>sen gespielte Kaltherzigkeit freilich <strong>der</strong> Sympathielenkung auf Sophia und Tom<br />

dient, den Protagonisten Tom Jones als “rogue, whom we have unfortunately made<br />

our heroe” (S. 777), dem ke<strong>in</strong>e Deus ex mach<strong>in</strong>a–Hilfestellung zuteil werden soll.<br />

Neben <strong>der</strong> Betonung von Integrität und Wahrhaftigkeit als Pr<strong>in</strong>zipien <strong>der</strong> Gattung<br />

History hat die vorgetäuschte Offenheit <strong>des</strong> En<strong>des</strong> zusätzlich die Funktion <strong>der</strong> Steigerung<br />

<strong>der</strong> F<strong>in</strong>alspannung. Darüberh<strong>in</strong>aus werden dadurch die tragischen Elemente<br />

70 Diese Ankündigung hat <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rezeptionsgeschichte <strong>des</strong> Romans immer wie<strong>der</strong> Irritationen<br />

hervorgerufen, da sie den Blick für an<strong>der</strong>e Vorwortfunktionen als die <strong>der</strong> unmittelbaren Anwendbarkeit<br />

<strong>des</strong> Vorwortdiskurses auf den narrativen Diskurs verstellte. Zudem ist auch das Auff<strong>in</strong>den<br />

e<strong>in</strong>es eigenständigen plot im Vorwortdiskurs nicht ohne gewisse Verzerrungen möglich. Dies war e<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Forschung lange Zeit tradiertes Hauptargument <strong>der</strong> Kritiker <strong>der</strong> Vorworte als unorganisches<br />

Anhängsel o<strong>der</strong> ablösbarer eigenständiger Diskurs <strong>in</strong> <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> Sammlung von Henry James’<br />

Vorworten <strong>in</strong> The Art of the Novel (1934) (vgl. [19] Chibka, S. 23–25). Kapitel XV, 1 (S. 695–696)<br />

ist e<strong>in</strong>, schon durch den Titel “Too short to need a Preface” ausgenommenes, typisches Beispiel<br />

e<strong>in</strong>er Reflexion, die <strong>der</strong> self–conscious narrator auch an an<strong>der</strong>er Stelle im Text hätte anstellen<br />

können.<br />

71 Vgl. auch IV, 2 (S. 153f.), IV, 8 (S. 173), V, 10 (S. 238f.), IX, 5 (S. 455f.) etc.<br />

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