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Paratexte in der englischen Erzählprosa des 18. Jahrhunderts

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KAPITEL 3 TOM JONES (1749)<br />

3.5 DIE VORWORTE<br />

3.5.2.4 Vorworte als Antwort auf Kritik<br />

E<strong>in</strong>e wichtige paratextuelle Funktion stellt die Verteidigung gegen eventuelle, hier<br />

vom Autor antizipierte Kritik dar (wie <strong>der</strong> schon behandelten Kritik an den B<strong>in</strong>nenvorworten<br />

selbst). In e<strong>in</strong>er historischen E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Literaturkritik (V,<br />

1 [S. 199-202] 67 ) erschienen die Kritiker bereits als Usurpatoren traditioneller Autorenrechte,<br />

nämlich <strong>der</strong> normativen Regelsetzung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Dichtung, obwohl dem<br />

Kritiker (“reptile of a critic” [S. 467]) als “clerk” (S. 200) <strong>der</strong> Autoren alle<strong>in</strong> die<br />

Aufstellung <strong>des</strong>kriptiver Modelle zusteht. Verstärkt wird dieses Argument durch<br />

die Begriffsexplikation von “critic” <strong>in</strong> XI, 1 (S. 505), wobei gezielt auf den griechischen<br />

Wortursprung <strong>in</strong> “judgment” und nicht <strong>in</strong> “condemnation” verwiesen wird.<br />

Die Urteile dieser ignoranten ”<br />

Verurteiler“ und ungestraft davonkommenden heuchlerischen<br />

Verleum<strong>der</strong> von Büchern (die Metaphorik wird <strong>in</strong> XI, 1 [S. 506] zunehmend<br />

krasser bis h<strong>in</strong> zum K<strong>in</strong><strong>des</strong>mord [Buch als geistiges K<strong>in</strong>d <strong>des</strong> Autors] mit dem e<strong>in</strong>hergehenden<br />

Verlust e<strong>in</strong>er wichtigen E<strong>in</strong>nahmequelle <strong>der</strong> Autoren) basieren demnach<br />

auf leblosen, s<strong>in</strong>nentleerten Normen (“which have not the least foundation <strong>in</strong> truth<br />

or nature” [S. 200]) und stehen zudem jedem künstlerischen Fortschritt (Innovation)<br />

im Weg. In X, 1 (S. 467–469) erfolgt dann e<strong>in</strong>e Erweiterung <strong>der</strong> Kunstreflexionen<br />

und <strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong> Aufgabe <strong>der</strong> Kritik, wobei Editoren angegriffen werden,<br />

die ihre Autoren verunstalten 68 . Dabei steht erneut, wie schon bei den Gattungsreflexionen,<br />

als Leseanweisung, die Notwendigkeit wohlüberlegter Urteile (jetzt über<br />

die Werke allgeme<strong>in</strong>) im Zentrum.<br />

Verurteilt wird im Stil <strong>der</strong> schon e<strong>in</strong>geführten Ganzheitsästhetik <strong>der</strong> disparaten<br />

Teile die Verabsolutierung von E<strong>in</strong>zelheiten ohne Durchschauung ihrer Funktionen<br />

für die übergeordnete Gesamtstruktur. Dies ist wie<strong>der</strong>um e<strong>in</strong> Reflex auf die Mahnung<br />

nach Überordnung <strong>des</strong> ”<br />

Gesamtcharakters“ e<strong>in</strong>er Figur über e<strong>in</strong>zelne Fehler,<br />

die auch schon etwa im Charaktonym Allworthy und se<strong>in</strong>em Fehlurteil bezüglich<br />

Tom exemplifiziert wurde (vs. den absichtlichen Fehl<strong>in</strong>terpretationen durch die unmoralischen<br />

Figuren wie Blifil, Thwackum und Square). Der Mischcharakter <strong>der</strong><br />

Figuren (“as we have not, <strong>in</strong> the course of our conversation, ever happened to meet<br />

with any such person [a perfectly good one], we have not chosen to <strong>in</strong>troduce any<br />

such here” [S. 468]) ist danach die Regel für e<strong>in</strong>en runden Charakter und Voraussetzung<br />

für die Aristotelische Wirkungsästhetik. Gleichzeitig wird <strong>der</strong> Vorwurf <strong>der</strong><br />

Typenzeichnung (v. a. bei Nebenfiguren) mit dem H<strong>in</strong>weis auf e<strong>in</strong>e Mischung von<br />

klassen– o<strong>der</strong> berufsbed<strong>in</strong>gten Verhaltensweisen und Idiotismen zurückgewiesen. Die<br />

Antwort auf die Kritik am Text besteht folglich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er präventiven Redef<strong>in</strong>ition<br />

ihrer Aufgaben durch Anknüpfung an die antiken Vorbil<strong>der</strong>: ke<strong>in</strong>e Urteile aus zweiter<br />

Hand und ke<strong>in</strong>e undifferenzierten Urteile basierend auf E<strong>in</strong>zelheiten (“splenetic<br />

op<strong>in</strong>ions” 69 [S. 509] <strong>in</strong> Analogie zu den “favourite follies and vices” aus <strong>der</strong> Widmungsepistel<br />

[S. 38]). Erneut steht das Gesamtbild aller Teile im Zentrum <strong>der</strong> auktorial<br />

kanonisierten Rezeptionsperspektive (S. 508f.).<br />

67 Vgl. auch SECT. III. “A Digression concern<strong>in</strong>g Critics.” (S. 43–50) <strong>in</strong> A Tale of a Tub.<br />

68 Vgl. das Genette–Zitat auf S. 10 dieser Arbeit.<br />

69 Die Ausrottung <strong>des</strong> spleen durch laughter ist das Hauptanliegen <strong>des</strong> “the Author’s PRE-<br />

FACE” von Tristram Shandy. Vgl. Abschnitt 5.5 (S. 87).<br />

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