28.12.2013 Aufrufe

Paratexte in der englischen Erzählprosa des 18. Jahrhunderts

Paratexte in der englischen Erzählprosa des 18. Jahrhunderts

Paratexte in der englischen Erzählprosa des 18. Jahrhunderts

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

KAPITEL 3 TOM JONES (1749)<br />

3.3 DAS TITELBLATT<br />

[S. 51f.]). Die angepriesene Menschenkenntnis nutzt <strong>der</strong> Autor also zur wirklichkeitsnahen,<br />

künstlerisch abstrahierenden Beobachtung (Referenz auf exemplarische<br />

Wirklichkeit) nicht von Typen, son<strong>der</strong>n von Beispielfällen von Charakteren und<br />

Handlungen im S<strong>in</strong>ne von Aristoteles.<br />

Der Rückbezug auf bedeutende klassische Vorbil<strong>der</strong> ist zudem (wie schon im<br />

Titelabschnitt erwähnt) von entscheiden<strong>der</strong> Bedeutung für Field<strong>in</strong>gs Auffasssung<br />

se<strong>in</strong>er “new prov<strong>in</strong>ce of writ<strong>in</strong>g” (S. 88), da jene die schon im “Preface” zu Joseph<br />

Andrews erfolgte Plazierung se<strong>in</strong>er Konzeption <strong>der</strong> Gattung Roman im Aristotelischen<br />

Gattungsgebäude kanonisieren. 34 Sie bürgen somit als stumme, nichtgefragt<br />

herbeizitierte Zeugen für die Poetik <strong>des</strong> Entwicklungsromans (Steigerung <strong>der</strong><br />

Akzeptabilität <strong>der</strong> Gattung), wie sie Field<strong>in</strong>g <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Theorie <strong>der</strong> “History” und<br />

“Biography” faßt, welche wesentlich angewiesen ist auf das gegenseitige Verständnis<br />

<strong>der</strong> Kommunikationspartner im literarischen System. Das Motto übernimmt sogar<br />

Vorwortfunktion, <strong>in</strong>dem es schon hier e<strong>in</strong> wesentliches Thema <strong>des</strong> Vorwortteils <strong>der</strong><br />

Zueignung und <strong>der</strong> B<strong>in</strong>nenvorworte anspricht: nur e<strong>in</strong> versierter Erzähler verfügt<br />

über die Mittel e<strong>in</strong>en Kommunikationsprozeß mit komischen Mitteln zu gestalten,<br />

bei dem <strong>der</strong> partizipierende Leser im S<strong>in</strong>ne dieser Romankonzeption zusammen mit<br />

dem Fortschritt <strong>des</strong> Helden nach <strong>der</strong> moralischen Intention <strong>des</strong> Vorworts ”<br />

wachsen“<br />

soll. Die ständige Bewußtmachung <strong>der</strong> auktorialen Präsenz im Vermittlungsprozeß<br />

durch distanzschaffende Rezeptionslenkung, überraschende E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong> die Handlung,<br />

unmißverständliche Ironiesignale, Ausnützen <strong>des</strong> Informationsvorsprungs o<strong>der</strong><br />

–defizits <strong>des</strong> Lesers, differenzierte Bewertungen <strong>der</strong> Handlungen und Figuren ist e<strong>in</strong><br />

wichtiges Mittel zum Erreichen dieses Ziels. Die für die <strong>Erzählprosa</strong> im <strong>18.</strong> Jh. typische<br />

Inszenierung e<strong>in</strong>er expliziten Erzähler– und (mehrerer) Leserfigur(en) <strong>in</strong> den<br />

Texten, die häufig als Dialogpartner fungieren (sogar bi– bzw. multilateral wie <strong>in</strong><br />

Tristram Shandy), ist daher hier ebenfalls stark ausgeprägt: <strong>der</strong> Erzähler von Tom<br />

Jones stellt e<strong>in</strong>en engen Kontakt zur Leserfigur her, stellt se<strong>in</strong>e Allwissenheit und<br />

damit Verlässlichkeit bezüglich <strong>der</strong> Figurencharakterisierung und Objektivität se<strong>in</strong>er<br />

Urteile zur Schau und <strong>in</strong>tegriert den jeweils apostrophierten Leser sogar bisweilen<br />

<strong>in</strong> die Geschichte.<br />

Das Motto be<strong>in</strong>haltet also sowohl e<strong>in</strong>en rückbezüglich stützenden Kommentar<br />

zum Titel als auch e<strong>in</strong>e vorbereitende Erläuterung zum Text, <strong>der</strong>en Bedeutung sich<br />

während <strong>der</strong> Lektüre <strong>des</strong> Texts erschließt und <strong>in</strong> den Vorworten weiterentwickelt<br />

wird (rationale Vorbereitung). Es veranschaulicht daher auf <strong>in</strong>teressante Weise nicht<br />

nur den Titel und verweist auf Form und Inhalt <strong>des</strong> Texts, son<strong>der</strong>n stüzt zusätzlich<br />

zum Namen <strong>des</strong> Autors und Gattungsteil <strong>des</strong> Titels den schon beschriebenen<br />

34 Field<strong>in</strong>g versuchte dort den legitimen Platz <strong>des</strong> Romans als e<strong>in</strong>e Form <strong>des</strong> Epos <strong>in</strong> <strong>der</strong> klassischen<br />

Gattungshierarchie festzumachen und ihm so e<strong>in</strong>e durch die Antike verbürgte Anerkennung<br />

zu verschaffen: er unterscheidet dabei für das Epos jeweils e<strong>in</strong>e ernste und e<strong>in</strong>e komische Form<br />

(<strong>in</strong> Analogie zur Tagödie und Komödie im Drama), die wie<strong>der</strong>um jeweils <strong>in</strong> Prosa o<strong>der</strong> Versform<br />

auftreten kann. Es ergeben sich folglich vier Möglichkeiten: den Platz <strong>der</strong> Versepen besetzt dabei<br />

Homer, mit <strong>der</strong> Ilias als ernstem Versepos und dem verlorengegangenen, aber durch Aristoteles<br />

charakterisierten Margites als komischem Versepos. Das ernste Prosaepos ist repräsentiert durch<br />

François de Salignac de la Mothe Fénelons Télémaque (1699) und den Platz <strong>des</strong> komischen Prosaepos<br />

nimmt jetzt Field<strong>in</strong>gs Joseph Andrews e<strong>in</strong>.<br />

25

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!