Dokument 1.pdf - Hochschulschriftenserver der Universität Trier
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Stadtrat spielt nur eine sekundäre Rolle, er berät die Jüdin. Das Gesetz des Handelns ist<br />
auf Bürger übergegangen, hier faßbar mit den Nachbarn <strong>der</strong> Jüdin. Wer Rindfleisch<br />
herbeirief, um ihm die Jüdin auszuliefern, geht zwar aus <strong>der</strong> Formulierung nicht hervor,<br />
dies können jedoch nur die eigentlichen Gewalthaber gewesen sein, die besagten<br />
Nachbarn und Bürger.<br />
"Magistratus" und "maiores civitatis" sollen den Führern <strong>der</strong> Judenschläger 1200 Pfund<br />
Heller gegeben haben, damit sie die Leichen aus <strong>der</strong> Stadt schaffen und verbrennen<br />
lassen. In <strong>der</strong> betreffenden Textpassage ist von "magistratus" und "maiores civitatis"<br />
keine Rede. "Quidam dixerunt, quod XI c XX libre denariorum dabuntur ductoribus, ut<br />
Judeorum occisorum corpora ducerent extra civitatem et ab eorum tortoribus<br />
cremarentur. 94 Wer diese gewisse Personen waren, wird offengelassen,es müssen die<br />
aktuellen Machthaber innerhalb <strong>der</strong> Stadt gewesen sein, offenbar keinesfalls <strong>der</strong> Stadtrat,<br />
den man gerade deshalb geflissentlich außer acht läßt. Gleich im Anschluß wird zwar die<br />
Geschichte eines entflohenen Juden erzählt, <strong>der</strong> von gewissen Knechten wie<strong>der</strong><br />
eingefangen wurde, die ihn an ihre "maiores" auslieferten, die dann auch als <strong>der</strong>en<br />
"domini" bezeichnet werden, die ihn schließlich dem Feuer übergaben, 95 aber diese<br />
Benennungen stehen in Relation zu ihren "servi" - es sind eben <strong>der</strong>en Herren, die<br />
Arbeitgeber. Auch hieraus geht hervor, daß an<strong>der</strong>e gesellschaftliche Kräfte neben dem<br />
Stadtrat das Sagen haben, den Stadtrat gar zur Seite gedrängt haben. Diese Herren "und<br />
an<strong>der</strong>e" unterzogen den Juden einem Verhör und lieferten ihn dem Feuer aus.<br />
Diese Berichte reflektieren einen Herrschaftsumschwung innerhalb <strong>der</strong> Stadt. Man ließ<br />
Johann von Rinberg mit seiner Mannschaft zunächst in die Stadt - von den "servi" des<br />
"Rindfleisch" war später die Rede (s.o.) - dann erfolgte dessen "wun<strong>der</strong>same" Wandlung<br />
wie<strong>der</strong> hin zur Person des Judenverfolgers Rindfleisch. Gleichzeitig muß sich auch<br />
innerhalb <strong>der</strong> Bürgerschaft ein Stimmungsumschwung mit einer Machtverlagerung<br />
vollzogen haben, geför<strong>der</strong>t durch Rindfleisch und seine Mannen. Eine judenfeindliche<br />
Bürgeropposition übernahm vorübergehend die Macht, ohne daß <strong>der</strong> Stadtrat beseitigt<br />
bzw. förmlich durch einen alternativen Rat ersetzt worden wäre, er wurde einfach zur<br />
Seite gedrängt. Diese Konstellation - Rindfleisch mit seinen Gesellen im Verein mit <strong>der</strong><br />
oppositionellen Bürgerschaft bedeutete das Aus für die Würzburger Juden. Der Stadtrat,<br />
<strong>der</strong> sich 1288 vertraglich auf den Schutz <strong>der</strong> Juden verpflichtet hatte 96 ,vermochte dies<br />
nicht zu verhin<strong>der</strong>n und konnte sich nur dann einschalten, wenn die Chance sich<br />
eröffnete, Juden vor <strong>der</strong> Vernichtung zu retten, wie im Fall <strong>der</strong> schönen jungen Jüdin.<br />
Dem Bischof kann sicherlich kein Vorwurf gemacht werden, daß er nichts unternahm,<br />
um die Juden zu retten, denn die Voraussetzung hierfür war nicht gegeben, denn erst am<br />
10.Januar 1299 kam es zu einer Einigung mit <strong>der</strong> Bürgerschaft "nach fast zweijährigem<br />
Streit und Interdikt...: die Bürgerschaft mußte auf die Besteuerung <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lagen <strong>der</strong><br />
auswärtigen Klöster verzichten, <strong>der</strong> Bischof das Interdikt aufheben..." 97<br />
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94 KLEINSCHMIDT: c.13, S.60.<br />
95 "...Sed servi quidam eum errantem vi<strong>der</strong>unt, qui suis maioribus retulerunt. Hi cum aliis ipsum diligenter<br />
quesiverunt et tandem captum ad propria perduxerunt. Judeus ad dominos dicebat: Quid mali feci vobis?...Tunc<br />
dixerunt: Propter hoc et tu penas non modicas sustinebis. Et eum ignibus tradi<strong>der</strong>unt." (A.a.O., S.60f.).<br />
96 S.o. S.64f.<br />
97 FÜßLEIN: S.291, Anm.1.<br />
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