Cinema Bizarr
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Bericht | Text: Thorsten Enning | Foto: Buio Omega Filmclub<br />
<strong>Cinema</strong> <strong>Bizarr</strong><br />
Eine cineastische Zeitreise in die 60er und 70er<br />
Wir schreiben das 21. Jahrundert. Ganz<br />
Europa ist von austauschbarer Massenfilmware<br />
verseucht - Ganz Europa?<br />
Nein! Ein von unbeugsamen Cineasten<br />
gegründeter Filmclub hat es sich zur<br />
Aufgabe gemacht, dieser heimtückischen<br />
Plage Einhalt zu gebieten. Jeden<br />
dritten Samstag im Monat vormittags<br />
um 11 Uhr finden sich Dutzende von<br />
Freaks und Nerds im Schauburg Kino<br />
zu Gelsenkirchen ein, um einer einzigartigen<br />
Leidenschaft zu frönen: dem Exploitationfilm<br />
der 60er und 70er Jahre.<br />
Dieser geheimnisvolle Club namens Buio<br />
Omega ist ein Refugium für alle, die sich<br />
gern an diese kraftvolle und radikale<br />
Epoche des Kinos zurückerinnern, in der<br />
Hinterwäldler, geschändete Frauen und<br />
lebende Tote die Leinwand unsicher<br />
machten. ~-Zeichner und Buio<br />
Omega-Mitglied Thorsten Enning über<br />
Grenzgänge des Kinos und Menschen,<br />
die genau dies lieben.<br />
_Veranstaltungsort der monatlichen Clubtreffen<br />
ist das Schauburg Kino in Gelsenkirchen,<br />
das bereits 1929 seine Pforten<br />
öffnete und heute eines der letzten großen<br />
privat betriebenen Lichtspielhäuser<br />
Deutschlands ist. Hier traf sich gegen Ende<br />
der 1990er Jahre eine vier Mann starke<br />
Gruppe um regelmäßig ins Kino zu<br />
gehen. In der Nacht vom 30.10. auf den<br />
31.10.1998, also exakt an Halloween, war<br />
die Idee geboren, hier in diesem Kino<br />
aus den Privatarchiven der vier „Gründerväter“<br />
deren Lieblingsfilme zu bestimmten<br />
Zeiten vor ausgesuchten Publikum<br />
vorzuführen, um ihre Leidenschaft<br />
und Hingabe mitb anderen zu teilen und<br />
im Anschluss über das Gesehene zu resümieren.<br />
Jetzt fehlte neben dem grünen<br />
Licht des Betreibers und den obligatorischen<br />
Vereinsstatuten nur noch ein<br />
Name der seinesgleichen suchen sollte.<br />
Schnell war sich die Truppe einig: BUIO<br />
OMEGA. Benannt nach dem gleichnamigen<br />
Kultstreifen von Joe D`Amato aus<br />
dem Jahre 1979. Amato, selbst Italiener,<br />
war wie viele seiner internationalen Kollegen<br />
ein Meister des Trashkinos.<br />
_Ein kompromissloser Ableger dieses<br />
Genres war oder ist der Exploitationfilm,<br />
dessen direkte Machart schlichtweg<br />
existenzielle Thematiken der<br />
menschlichen Gesellschaft wie etwa<br />
Sex, Gewalt, Leidenschaft, Angst und<br />
Verbrechen radikalisiert und/oder a-<br />
moralisch demaskiert. Zahlreiche<br />
Werke waren dem damaligen Zeitgeist<br />
unterworfen, als Hippies für<br />
freie Liebe kämpften, man sich weltweit<br />
gegen den Vietnamkrieg solidarisierte<br />
und mutige Frauen langsam<br />
aber nachhaltig dem Patriarchat die<br />
Stirn boten. Diese Zerrbilder wurden<br />
schließlich ins Kino übertragen und<br />
führten zu einem regelrechten Film-<br />
Boom, den es seit der Stummfilm-Ära<br />
vor rund 100 Jahren so kein zweites<br />
Mal mehr gegeben hat. Das hatte zur<br />
Folge, dass die Angebotspalette der<br />
Filmstudios immens war und Soziologen<br />
das Kino als ein Ventil verstanden,<br />
mit dessen Hilfe sich der gewaltige<br />
Druck unter der Oberfläche der<br />
Gesellschaft ableiten ließ. Selbstverständlich<br />
lief die spießige Front der<br />
Sittenwächter Sturm und blies zum<br />
konsequenten Angriff auf dieses<br />
„Freidenker-Pack“, dass sich in die<br />
hintersten Ecken von Amerika und<br />
Europa zurückzog, um in Ruhe harte<br />
und anstößige Filmchen zu drehen.<br />
Und genau diese „moralisch verwerfliche“<br />
Form der Unterhaltung zeichnet<br />
dafür verantwortlich, warum sich Fans<br />
und Liebhaber des Trashkinos weltweit<br />
versammeln, um in elitären Kreisen Wissenswertes<br />
rund um die dunkle Seite<br />
des Zelluloids auszutauschen.<br />
_Und nun war es wieder mal so soweit,<br />
mit einer Kiste Gerstensaft und einer<br />
Hand voller guter Freunde per Zug von<br />
Münster in Richtung Gelsenkirchen aufzubrechen.<br />
Die Reisezeit verkürzt sich<br />
der durchgeknallte Haufen mit der Zelebrierung<br />
gesammelter und unvergesslicher<br />
Momente aus zig Lieblingsstreifen,<br />
die dann lauthals, aber fehlerfrei<br />
zum Besten gegeben werden. Plötzlich<br />
meldet sich ein Fahrgast aus dem hinteren<br />
Teil des Abteils. Aber nicht um sich<br />
über die Lautstärke zu beschweren, sondern<br />
um ganz nebenbei zu erwähnen,<br />
dass er doch die Uraufführung des Zombieklassikers<br />
„Dawn of the Dead“ von<br />
George A. Romero miterlebt hat. Schluck!<br />
Damit hat niemand innerhalb der Gruppe<br />
gerechnet. Ein Zeitzeuge! Voller Ehrfurcht<br />
lauschen wir seiner Geschichte,<br />
als er von zartbesaiteten Zuschauern berichtet,<br />
die entweder schreiend und voller<br />
Panik den Saal verließen oder sich in<br />
ihrer Sitzreihe erbrachen. Das wird uns<br />
bestimmt nicht passieren, denn wir alle<br />
besitzen einen gestählten Supermagen,<br />
dem so schnell kein Hardcorestreifen etwas<br />
anhaben kann. Endlich erreichen<br />
wir den Hauptbahnhof von Gelsenkirchen<br />
und nur drei Minuten danach fährt<br />
auch schon eine Trambahn in Richtung<br />
Kino.<br />
_Etwa 20 Minuten später stehen wir vor<br />
den Pforten unseres Heiligtums. Schnell<br />
noch eine neue Buddel Bölkstoff geöffnet<br />
und nichts wie hinein. Der Weg zur<br />
Kasse ist auf beiden Seiten gesäumt mit<br />
Filmplakaten der Superlative: die Original<br />
Poster der Kracher „Ekstase im Folterkeller“<br />
und „Ich spuck`auf dein Grab“<br />
oder Poster diverser Produktionen der<br />
britischen Hammer-Studios, mit denen<br />
Christopher Lee als Dracula Filmgeschich-<br />
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te schrieb. Aber das definitive Nonplusultra<br />
des gesamten Interieurs ist ein<br />
Pappaufsteller in Originalgröße von Herbert<br />
Fux aus dem Film „Mark of the Devil“.<br />
Herbert Fux wird sicherlich noch so<br />
manchem Fernsehzuschauer ein Begriff<br />
sein, denn zusammen mit Ilja Richter,<br />
Rudi Carrell und Gunther Phillip war er<br />
ein Star schräger Klamotten und Lustspiele<br />
in den 70er Jahren. Und er war<br />
ein großartiger Mime seiner Zeit. Jetzt<br />
noch schnell bezahlen und ab dafür!<br />
Der Eintrittspreis für zwei Filme inklusive<br />
Vorprogramm und Moderation durch<br />
den populären Filmgelehrten Christian<br />
Kessler ist mit fünf Euro absolut fair und<br />
dient ausschließlich zur Pflege und Erhalt<br />
des Clubs, so dass ein profitorientiertes<br />
Denken von vorne herein ausgeschlossen<br />
werden kann.<br />
„Wenn du krepierst, lebe ich“! Die deutschen<br />
Titel sind einfach der Hammer!<br />
Zwischen den Filmen wird diskutiert,<br />
werden Kontakte geknüpft und Nummern<br />
ausgetauscht oder gleich die nächste<br />
private Filmsession ausgerufen. Die<br />
Leute sind supernett, in keinster Weise<br />
abgehoben oder arrogant im Gehabe.<br />
Dort kommen alle gesellschaftlichen und<br />
sozialen Schichten sowie alle Altersgruppen<br />
zusammen, um geschlossen für etwa<br />
vier Stunden der Realität zu entfliehen.<br />
_Ich habe jedes Mal einen Heidenspaß<br />
und kann Noch-Skeptikern und Spontan-Interessenten<br />
nur wärmsten empfehlen,<br />
auf der Homepage des geheimnisvollen<br />
Filmclubs BUIO OMEGA mal reinzuschauen,<br />
um letzte persönliche Zweifel<br />
aus dem Weg zu räumen. Oder um es<br />
mit dem Club-Slogan deutlicher werden<br />
zu lassen: „Was Sie bei uns verpassen,<br />
ist für Sie unwiederbringlich verloren“! #<br />
Die Homepage von Buio Omega ist<br />
unter der Adresse<br />
www.buioomega.de zu erreichen.<br />
Anzeige<br />
_Wer dennoch zum ersten Mal erscheint,<br />
um Buio Omega selbst zu erfahren, muss<br />
sich einem ausgeklügeltem Anmeldeformular<br />
stellen, dass auf den Geschmack<br />
und die Kenntnis des Bewerbers abzielt,<br />
um so die Spreu vom Weizen zu trennen.<br />
Natürlich sind diese strengen Aufnahmekriterien<br />
mit einem Augenzwinkern zu<br />
sehen und sollten unter gar keinen Umständen<br />
bierernst genommen werden.<br />
Aber genau darin liegt sicherlich die<br />
Kernaussage des Clubs: Man ist hier unter<br />
Gleichgesinnten, um sich zu amüsieren.<br />
Übrigens hat es bis jetzt noch kein<br />
einziger Novize geschafft, alle Fragen<br />
korrekt zu beantworten. Ich denke, damit<br />
wollen die Verantwortlichen der<br />
Clubsatzung nur ihre These untermauern,<br />
dass auch bei den Clubgründern<br />
einige Schrauben locker sitzen.<br />
_Dann ist es endlich soweit. Jetzt noch<br />
schnell ein paar gute Sitzplätze ausgemacht<br />
- den üblichen Sitznummern-<br />
Quatsch wie in herkömmlichen Kinosälen<br />
sucht man hier vergebens. Früher<br />
war eben doch so manches besser. Das<br />
Bier fließt in Strömen und gut 200 Fans<br />
grölen und jubeln zu dem heutigen Double-Feature<br />
mit den Spaghetti-Western<br />
„Noch Warm und schon Sand drauf“! und<br />
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