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3.1 Präludium: Die Western-Trilogie Giuseppe Colizzis (1967–69)<br />
erscheint vor diesem Hintergrund nur konsequent:<br />
Erst als die Artisten die in der Stadt herrschenden<br />
Missstände in der Manege verfremdet nachspielen,<br />
erkennen die Bewohner das Ausmaß ihrer eigenen<br />
Unterdrückung und solidarisieren sich im Kampf gegen<br />
ihre Ausbeuter. Indem Colizzi den Zirkusclown<br />
als Fürsprecher des gemeinen Volkes inszenierte,<br />
bezog er sich deutlich auf die europäischen Wurzeln<br />
des von ihm benutzten Genres: Wie im italienischen<br />
Volkstheater der Commedia dell’arte fungieren auch<br />
seine Harlekine und Artisten als volkstümliche Possenreißer,<br />
denen als Outsider in der Gesellschaft die<br />
Aufgabe zufällt, diese in einer Art Zerrbild nachzustellen.<br />
26 Christoph Wrembek in Bruckner, 285f. «Die Inszenierung von<br />
Colizzi», ergänzt Walter Müller-Bringmann, «ist ganz auf die<br />
Absicht eingestellt, mehr als nur rauchende Revolver und sterbende<br />
Feinde zu bieten.» (Müller-Bringmann, Walter: Vier für<br />
ein Ave Maria. In: Filmecho-Filmwoche-Filmblätter 84/1969, 9)<br />
27 Mit der politischen Sprengwirkung des sozialkritischen Italo-<br />
Westerns setzt sich Wolf Lepenies sehr kritisch auseinander.<br />
Sein Credo lautet: «Nicht über das, was er darstellt, lässt sich<br />
der Film zu einem politischen Medium machen, sondern dadurch,<br />
wie das Dargestellte wahrgenommen wird, durch die<br />
menschliche Sinneswahrnehmung, ‹das Medium, in dem sie<br />
erfolgt›.» (Lepenies, Wolf: Der Italo-Western – Ästhetik und<br />
Gewalt. In: Witte, Karsten [Hg.]: Theorie des Kinos. Frankfurt<br />
am Main 2 1973, 15–38, dort 24)<br />
Durch solche kunstreflexiven und sozialkritischen<br />
Implikationen, die noch dazu unter Zuhilfenahme<br />
recht drastischer Szenen vermittelt wurden,<br />
belud der politisch links stehende Intellektuelle und<br />
Schriftsteller Colizzi seine Trilogie ganz bewusst mit<br />
schwerem Ballast. In seinem Bestreben, die Unterhaltungswerte<br />
des Genres für eigene Aussagen zu<br />
nutzen, setzte er brutale Gewalt wie burleske Komik<br />
lediglich als massenwirksame Versatzstücke ein, als<br />
eine Art unterhaltendes Zugeständnis an die Erwartungen<br />
seines Massenpublikums. Zwar fungierte der<br />
Kopf der Helden schon hier nicht mehr länger «nur<br />
als Huthalter oder Ziel von Kugeln», sondern durchaus<br />
auch «als Ursprungsort und Sitz listig-lustiger<br />
Einfälle, mit denen der Gegner ebenso gut und wirkungsvoll<br />
außer Gefecht gesetzt werden kann wie<br />
durch das Schießeisen» 26 . Der überdeutliche Fabelcharakter<br />
seiner Filme allerdings, ihr Anspruch auf<br />
real-praktische Anwendbarkeit, verweigerten sich<br />
schon rein konzeptionell jener Leichtigkeit in der<br />
Inszenierung, die laut schallende Komik zwingend<br />
voraussetzt. 27 Die Ästhetik Giuseppe Colizzis war<br />
stattdessen eine kritische, düstere. Ihr war es noch<br />
nicht bestimmt, die trostlose Szenerie, die der Italo-<br />
Western von vorneherein kultiviert hatte, abzulösen.<br />
Dies sollte die Aufgabe eines anderen Mannes werden.<br />
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