27.12.2013 Aufrufe

Leseprobe - Einsnull

Leseprobe - Einsnull

Leseprobe - Einsnull

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Prolog: Zeit für eine filmwissenschaftliche<br />

Ehrenrettung 7<br />

1 Vorüberlegungen: Der Weg zum<br />

komischen Western-Helden 11<br />

1.1 Westerngeschichte und<br />

Westernparodie 11<br />

1.2 Ausverkauf der alten Werte: Das<br />

Phänomen Euro- und Italo-Western 17<br />

1.2.1 Stilistische Endspiele und ein neuer<br />

Helden-Typus 17<br />

1.2.2 Spaghetti-Filme vom Fließband: Das<br />

italienische Studiosystem von Cinecittà 22<br />

2 Bud Spencer und Terence Hill –<br />

Filmkarriere wider Willen 27<br />

2.1 Von Carlo Pedersoli zu Bud Spencer:<br />

1929–1967 27<br />

2.2 Von Mario Girotti zu Terence Hill:<br />

1939–1967 31<br />

3 Von der Gewalt zum Humor:<br />

Zwei neue Helden erobern<br />

das Kino 35<br />

3.1 Präludium: Die Western-Trilogie<br />

Giuseppe Colizzis (1967–69) 35<br />

3.1.1 Zwei Cowboys auf den Spuren Sergio Leones 35<br />

3.1.2 Wie Hund und Katze: Auf der Suche nach<br />

der Chemie einer Partnerschaft 39<br />

3.2 Enzo Barbonis Trinità-Filme (1970–<br />

71): Aspekte einer grandiosen<br />

Erfolgsformel 44<br />

3.2.1 Ein Autorenregisseur: Von Enzo Barboni zu<br />

E. B. Clucher 44<br />

3.2.2 Buddy-Movies all’Italiana 46<br />

3.2.3 Komik durch Cartoon-Gewalt 49<br />

3.2.4 Trinità: Ein Swashbuckler-Hippie<br />

zweifelhafter Abkunft 54<br />

3.2.5 Ein «Hauch von Hawks»: Barboni und seine<br />

Westernvorläufer 59<br />

3.2.6 Die Komik des Paares: Auf den Spuren<br />

Laurels und Hardys 63<br />

3.2.7 Commedia dell’arte revisited: Trinità und<br />

Bambino als Erben der beiden Zani 71<br />

3.2.8 Das komische Duo als Spiegelbild des<br />

italienischen Nord-Süd-Gefälles 74<br />

3.2.9 Essensschlachten gegen das amerikanische<br />

WASP-Ideal 79<br />

3.3 Die Erben von Trinità und Bambino:<br />

Weiterentwicklung des komischen<br />

Erfolgsrezeptes 83<br />

3.3.1 Der sanfte Riese und das Kind: Bud Spencer<br />

und Si può fare, amigo (1972) 83<br />

3.3.2 Barboni, Terence Hill und …E poi lo<br />

chiamarono il magnifico (1972) 87<br />

3.3.3 Wechsel von der Steppe ins Polizei-Revier:<br />

Bud Spencers Piedone-Serie (1973–80) 91<br />

3.3.4 «Der letzte Western, den man machen<br />

kann»: Il mio nome è Nessuno (1973) 99<br />

3.3.5 Ein pikaresker Schwanengesang: Un genio,<br />

due compari, un pollo (1975) 106<br />

3.4 Das Ende der Ära ‹Halleluja-Western› 112<br />

3.5 Exkurs: Bud Spencer & Terence Hill<br />

in Deutschland 119<br />

4 Der Mythos des Teams: Eine<br />

persönliche Schlussbemerkung 129<br />

Anhang 133<br />

Bud Spencer und Terence Hill: Ausführliche<br />

Filmographie mit Kurzkritiken 133<br />

Die Stock Company der<br />

Spencer/Hill-Filme 203<br />

Literaturverzeichnis 207<br />

Filmographie 212<br />

5


3 Von der Gewalt zum Humor:<br />

Zwei neue Helden erobern das Kino<br />

3.1 Präludium: Die Western-Trilogie Giuseppe Colizzis<br />

(1967–69)<br />

3.1.1 Zwei Cowboys auf den Spuren<br />

Sergio Leones<br />

When you’re together with Bud, the audience feels<br />

the chemistry, they laugh. So whatever it is, and I<br />

don’t understand what it is, I’m putting the two of you<br />

together. 1<br />

Giuseppe Colizzi zu Terence Hill<br />

Die Konstellation von Dio perdona… io no!, dem ersten<br />

Leinwandauftritt von Bud Spencer und Terence<br />

Hill unter ihren neuen Pseudonymen, war – wie Joe<br />

Hembus im Rückblick feststellt – «noch weit von der<br />

Erfolgsformel ihrer großen Spaßwestern entfernt» 2 .<br />

Das lag schon allein daran, dass Regisseur Giuseppe<br />

Colizzi vermutlich alles andere im Sinn hatte, als ein<br />

neues komisches Leinwandpaar zu kreieren. Vielmehr<br />

stand sein Erstlingswerk und die beiden Fortsetzungen<br />

noch ganz in der Tradition von Leones Dollar-<br />

Trilogie, insbesondere von deren letztem Teil, Il buono,<br />

il brutto, il cattivo. Da die Filme Colizzis nicht<br />

ohne weiteres bekannt sein dürften, sei zunächst<br />

eine kurze Inhaltsangabe vorangestellt:<br />

In Dio perdona… io no! spielt Terence Hill den<br />

Gunman Cat Stevens, der sein Geld in erster Linie<br />

mit Pokerspielen verdient. Als er nach einer Kneipenschlägerei<br />

zufällig auf seinen alten Bekannten Hutch<br />

Bessy (Bud Spencer) trifft, staunt er nicht schlecht,<br />

als dieser ihm eröffnet, sich im Auftrag einer Versicherungsgesellschaft<br />

an die Fersen des Zugräubers Bill<br />

St. Antonio (Frank Wolff) geheftet zu haben. Im Zuge<br />

eigener Nachforschungen muss Cat erkennen, dass<br />

St. Antonio, den er vor knapp einem Jahr im Streit erschossen<br />

zu haben meint, tatsächlich noch unter den<br />

Lebenden weilt. Gemeinsam mit Bessy gelingt es ihm,<br />

das Versteck des Totgeglaubten ausfindig zu machen<br />

und das erbeutete Diebesgut – einen Goldschatz im<br />

Wert von 300.000 Dollar – in Sicherheit zu bringen.<br />

Kurz darauf allerdings spürt St. Antonio die beiden<br />

auf und foltert sie, um mehr über den Verbleib des<br />

Goldes zu erfahren. Auf unterschiedliche Art gelingt<br />

Cat und Hutch jedoch die Flucht. Am Fuße eines zuvor<br />

mit Dynamit verminten Berges kommt es zum finalen<br />

Showdown, bei dem Cat sich St. Antonio gegenüber<br />

als der Schnellere erweist. Damit ist sein persönlicher<br />

Rachefeldzug beendet. Gemeinsam mit dem verletzten<br />

Hutch, den er ärztlich versorgen lässt, entschwindet<br />

er samt Schatz und Wagen in die Ferne.<br />

Der ein Jahr später produzierte zweite Teil der<br />

Trilogie, I quattro dell’Ave Maria (Vier für ein Ave<br />

Maria, IT 1968, R: Giuseppe Colizzi), führt die Handlung<br />

nahtlos fort: Nachdem Cat und der offensichtlich<br />

wieder genesene Hutch das ausgesetzte Kopfgeld<br />

für St. Antonio kassiert haben, setzen beide in El Paso<br />

40 Dio perdona… io no!: Bill St. Antonio (2.v.l.), Cat Ste vens<br />

(3.v.l.) und Hutch Bessy (r.) beim gemeinsamen Schmaus<br />

1 Colizzi in Tronci, Interview with Terence Hill.<br />

2 Hembus, 278.<br />

35


3 Von der Gewalt zum Humor: Zwei neue Helden erobern das Kino<br />

41 I quattro dell’Ave Maria: Cacopulos (r.) treibt Hutch<br />

Bessy zur Weißglut<br />

den Bankdirektor namens Harold (Steffen Zacharias)<br />

unter Druck, der einst als Komplize des nun toten<br />

Zugräubers fungiert hatte. Unter Gewaltanwendung<br />

zwingen sie Harold, die geraubten 300.000 Dollar ihnen<br />

selbst zu überschreiben. Danach verlassen sie die<br />

Stadt. Harold indessen plant, seinen ehemaligen Partner<br />

Cacopulos, genannt ‹Caco› (Eli Wallach), den er<br />

vor 15 Jahren höchstpersönlich verraten und hinter<br />

Gitter gebracht hatte, auf ihre Spur zu hetzen. Doch<br />

der Grieche hat kein Interesse an einer neuerlichen<br />

Partnerschaft mit dem Bankier. Nachdem er an ihm<br />

blutige Rache für den einstigen Verrat genommen<br />

hat, spürt Caco Cat und Hutch auf und luchst ihnen<br />

das Geld ab. Zornig jagen die beiden Gunmen hinter<br />

ihm her, doch als sie Caco endlich finden, hat er den<br />

Großteil des Geldes bereits verprasst. Als Wiedergutmachung<br />

bietet er den beiden Freunden folgendes<br />

Abkommen an: Sie sollen ihm bei der Vollendung seiner<br />

Blutfehde helfen und dafür im Gegenzug ihr Geld<br />

zurückerhalten. Cacos Hass richtet sich insbesondere<br />

gegen den Hazienda-Besitzer Paco Rosa (Livio Lorenzon)<br />

und den Casinochef Drake (Kevin McCarthy),<br />

42 La collina degli stivali: Stevens (2.v.r.), Bessy (3.v.r.)<br />

und Co. treten der Finch-Bande entgegen<br />

die sich vor Jahren geldgierig mit Harold gegen ihn<br />

verschworen hatten. Im Verlauf der entscheidenden<br />

Konfrontation, bei der Caco, Cat und Hutch von dem<br />

farbigen Zirkusathleten Thomas (Brock Peters) unterstützt<br />

werden, gelingt ihnen durch geschickte Manipulation<br />

eines Casino-Roulette-Rads die abermalige<br />

Erbeutung von 300.000 Dollar. 3 Gemeinsam verlassen<br />

sie zufrieden die Stadt.<br />

In La collina degli stivali (Hügel der blutigen<br />

Stiefel, IT 1969, R: Giuseppe Colizzi), dem abschließenden<br />

Teil der Trilogie, zieht Stevens dann wieder<br />

alleine seines Weges. Als sein alter Freund, der Goldschürfer<br />

Sharp (Enzo Fiermonte), von der verbrecherischen<br />

Finch-Bande zum Verkauf seines Claims gedrängt<br />

wird, überschreibt er die Besitzrechte in einem<br />

fingierten Pokerspiel an seine beiden Freunde Cat und<br />

Hutch. Daraufhin lauern die Banditen Cat auf. Schwerverletzt<br />

kann dieser sich nur noch in den Kostümwagen<br />

einer Zirkusgesellschaft flüchten, deren Direktor<br />

(Lionel Stander) das Wagnis auf sich nimmt, ihn gesund<br />

zu pflegen. Wieder genesen, sucht Cat Hutch<br />

Bessy auf, der inzwischen einen ruhigen Lebenswandel<br />

als Fischer und Farmer pflegt und erst durch<br />

seinen alten Partner von Sharps Schenkung erfährt.<br />

Gemeinsam mit dem Trapezkünstler Tom (Woody<br />

Strode) und dem stummen Knecht ‹Baby Doll› (George<br />

Eastman alias Luigi Montefiori) stellen sich Cat und<br />

Hutch schließlich der Verbrecherbande. In einer blutigen<br />

Auseinandersetzung befreien sie die Stadt Lucky<br />

Town von der Bandenherrschaft. Die letzte Einstellung<br />

zeigt die beiden, wie sie nach alter Westerntradition<br />

gemeinsam gen Sonnenuntergang reiten.<br />

Die Parallelen der Colizzi-Filme zu Leones Trilogie,<br />

insbesondere zu Il buono, il brutto, il cattivo, sind<br />

schon in Dio perdona… io no! offensichtlich: Hier wie<br />

dort jagen drei Männer einem versteckten Goldschatz<br />

hinterher, hier wie dort versuchen sie sich permanent<br />

3 Bei der Casino-Szene ließ sich Regisseur Colizzi von Harry<br />

Greys Gangsterroman The Hoods (1952) inspirieren. Mit dem<br />

Kommentar, dies sei «a story for Sergio» (Frayling, Sergio Leone,<br />

241), empfahl Colizzi das Buch auch Leones Schwager<br />

Fulvio Morsella, der es dem Begründer des Italo-Westerns in<br />

Gänze übersetzend vorlas. In der Tat zeigte sich Leone derartig<br />

beeindruckt von Greys Großstadtpanorama, dass er beschloss,<br />

den Roman für die Leinwand zu adaptieren. 18 Jahre<br />

später war das Projekt dann vollendet: Once Upon a Time in<br />

America (Es war einmal in Amerika, USA 1984, R: Sergio Leone)<br />

feierte am 17. Februar 1984 in New York City seine Weltpremiere.<br />

36


3.1 Präludium: Die Western-Trilogie Giuseppe Colizzis (1967–69)<br />

4 Weisser, 4.<br />

5 Seeßlen, Western, 154.<br />

43 Eine Variante des Leone-Triells: Der Showdown von Dio<br />

perdona… io no!<br />

gegenseitig auszutricksen, hier wie dort gibt es eine<br />

Partnerschaft – wenn auch nur auf Zeit – zwischen<br />

einem gleichgültigen, gelassenen Northerner (Eastwood<br />

resp. Hill) und einem aufbrausenden, emotionalen<br />

Southerner (Wallach resp. Spencer). Auch<br />

ästhetische und strukturelle Ähnlichkeiten zu den<br />

Dollar-Western sind festzustellen: So ähnelt die ins<br />

surreal verfremdete Erinnerungssequenz aus Colizzis<br />

Film (in der Cat Stevens sein einstiges Duell mit Bill St.<br />

Antonio immer wieder Revue passieren lässt) deutlich<br />

Lee Van Cleefs traumatische Erinnerung an die Vergewaltigung<br />

seiner Schwester in Per qualche dollaro<br />

in più, während im finalen Dreier-Shootout eine Variante<br />

des Arena-Triells aus Il buono, il brutto, il cattivo<br />

auszumachen ist. Wie in Sergio Leones Filmen<br />

erscheinen auch bei Colizzi persönliche Rachegelüste<br />

und die Gier nach materiellem Besitz als Antriebskräfte<br />

der Geschichte, deren düstere Grundstimmung sich<br />

vom Gros der Genrefilme im Grunde kaum abhebt.<br />

I quattro dell’Ave Maria, der zweite Film Colizzis,<br />

knüpft dann allein schon anhand der Besetzung Eli<br />

Wallachs deutlich an Leones dritten Western an. In der<br />

Tat entspricht der schmutzige, bauernschlaue Grieche<br />

Caco in der Figurenzeichnung beinahe gänzlich ‹dem<br />

Brutalen› Tuco. «Fundamentally, Eli Wallach replays<br />

the same character he popularized in Sergio Leone’s<br />

The Good, the Bad, and the Ugly», schreibt Thomas<br />

Weisser, «with a different name. And ancestry. Rather<br />

than being a Mexican named Tuco, he’s Cacopulos<br />

from Greece.» 4 Beide werden sie von ihren jeweiligen<br />

Partnern auf rücksichtslose Weise hinters Licht geführt,<br />

beide schwören sie deswegen grausame Rache<br />

und beiden wird diese auch gewährt – freilich nicht,<br />

ohne zuvor auch eigene physische wie psychische<br />

Qualen erleiden zu müssen. Sowohl Tuco als auch Caco<br />

offenbaren dabei deutliche Wesenszüge eines typisch<br />

katholischen Familarismus, der in deutlichem Kontrast<br />

zu ihrer sonstigen Kaltblütigkeit steht: Beide haben sie<br />

keinerlei Probleme, unzählige Menschen umzubringen;<br />

doch während Tuco sich in seelischer Qual ein besseres<br />

Verhältnis zu seinem Bruder zusammen phantasiert, zitiert<br />

Caco bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Lebensweisheiten<br />

seines Einwanderer-Großvaters.<br />

Auch darüber hinaus ist Colizzis formelgemäße<br />

Abgrasung des Leoneschen Szenenarsenals augenfällig:<br />

Wie der Uomo senza nome erholt sich Cat Stevens<br />

nach seiner schweren Verletzung in einem verborgenen<br />

Verschlag fernab der Stadt (in La collina<br />

degli stivali), wie Tuco werden nun Cat und Hutch<br />

inmitten der Wüste ihrer Pferde beraubt und müssen<br />

sich zu Fuß bis zur nächsten Siedlung durchschlagen<br />

(in I quattro dell’Ave Maria). Der von Caco geplante<br />

Casino-Einbruch erinnert in seiner Perfidie ferner<br />

an den großangelegten Banküberfall in Per qualche<br />

Dollaro in più (und den anschließenden Golddiebstahl<br />

aus Indios Gerätekammer), während Attribute<br />

wie der qualmende Zigarillo in Cats Mundwinkel, die<br />

Figur des kautzigen Totengräbers oder – kameraästhetisch<br />

– die wiederholt eingesetzten Kreisschwenks<br />

noch auffälligere Vergleichsmotive bieten.<br />

Colizzi jedoch kopierte das von Leone vorgegebene<br />

Schema nicht nur, sondern benutzte «die Formen<br />

und Dekors» des Italo-Westerns durchaus «als Ausgangsmaterial<br />

für persönliche Aussagen» 5 . Anders<br />

als dem Film-Buff und versierten Kino-Stilisten Leone<br />

ging es ihm nicht so sehr um das Durchbrechen<br />

vertrauter Wahrnehmungskodizes und bekannter<br />

Genrekonventionen, sondern eher um die Vermittlung<br />

einer didaktischen Botschaft: In allen seinen<br />

drei Western fungieren die Protagonisten letztlich<br />

nur als kleine Zahnrädchen innerhalb des großen<br />

Getriebes wirtschaftlicher Ausbeutung. Bei ihm repräsentieren<br />

nicht die<br />

Kopfgeldjäger die Verkommenheit<br />

und Amoralität<br />

der Gesellschaft,<br />

sondern die Bankiers,<br />

Versicherungschefs und<br />

profitversessenen Großgrundbesitzer,<br />

die das<br />

Volk nach ihren eigenen<br />

Gesetzen ausbeuten und<br />

knechten.<br />

44 Auffällige Eastwood-<br />

Ikonographie: Terence Hill<br />

als Cat Stevens<br />

37


3 Von der Gewalt zum Humor: Zwei neue Helden erobern das Kino<br />

45 Zynische Vorbilder: Wallach und<br />

Eastwood in Il buono, il brutto, il<br />

cattivo<br />

Ähnlich seinen Kollegen Giulio Questi, Sergio Sollima<br />

oder Damiano Damiani nutzte Colizzi die Schauwerte<br />

und Unterhaltungsreize, die ihm die Szenerie<br />

des Italo-Western bot, um soziale Kritik an den Verhältnissen<br />

im Italien der sechziger Jahre zu üben.<br />

Seine Filme reflektieren den Zustand moralischer wie<br />

juristischer Leere, der aus einer scheinbar unlösbaren<br />

Verknüpfung finanzieller Kraft und politischer Macht<br />

erstanden ist, und weisen somit eine gedankliche<br />

Nähe auf zum sich zeitgleich konstituierenden Genre<br />

des engagierten Mafiathrillers. In seinen drei Filmen<br />

simplifizierte Colizzi die Lagerkonstellation nicht im<br />

Sinne einer naiven Schwarz-Weiß-Malerei, sondern<br />

wies klar auf die Ambivalenz moralischer Verortungen<br />

hin. Die todesmutigen mexikanischen Peones,<br />

die in I quattro dell’ave maria tapfer die Willkürherrschaft<br />

des örtlichen Großgrundbesitzers brechen,<br />

tun dies gewiss nur, um rasch nach ihrem Sieg<br />

auf ähnlich unmenschliche Weise ihren grausamen<br />

Launen zu frönen. Getreu der alten Erkenntnis, dass<br />

Gewalt stets Gegengewalt erzeugt, verweigerte der<br />

Regisseur allzu eindeutige Stellungnahmen und entlarvte<br />

stattdessen den inhärenten Wahnsinn seiner<br />

Gesellschaftsportraits – unter anderem auch, indem<br />

er ihnen deutlich burleske Züge verlieh. Dies gelang<br />

ihm insbesondere durch die Inszenierung seiner beiden<br />

Hauptdarsteller, die er einander auf dem Set als<br />

«Hund» und «Katze» vorstellte. 6<br />

Wie ihre Vorgänger Biondo und Tuco aus Il buono,<br />

il brutto, il cattivo sind auch seine Helden Stevens<br />

und Bessy schon lange alte Freunde, die bei der<br />

Suche nach einem versteckten Goldschatz zusammenarbeiten.<br />

Das hält sie zwar keineswegs davon<br />

ab, einander stets mit Hohn und Spott zu begegnen,<br />

doch fehlt es ihren permanenten Streitereien an drastischer<br />

Schärfe. Im Gegensatz zu Leones Helden, die<br />

das Leben des jeweils anderen rücksichtslos aufs Spiel<br />

38<br />

46 Spöttische Erben: Spencer und Hill<br />

in La collina degli stivali<br />

setzen, 7 gestalten sich die Auseinandersetzungen<br />

deutlich spielerischer<br />

und weit weniger brutal.<br />

Oft tragen Cats und Hutchs stete<br />

Zankereien unverkennbar possenhafte<br />

Züge – so etwa in der Szene,<br />

in der Hutch die Kiste mit dem tonnenschweren<br />

Goldschatz alleine<br />

auf den Wagen bugsieren muss.<br />

Als ihn die Kräfte zu verlassen drohen,<br />

spornt ihn Cat allein dadurch<br />

an, dass er die Hilferufe des Partners mit spöttischen<br />

Bemerkungen quittiert: Er wolle sich keinen Bruch<br />

heben, so Cat, und weiterhin habe er schon immer<br />

gewusst, dass Hutch ein «lousy stinking coward» sei.<br />

Auf diese Weise in seiner Ehre gekränkt, mobilisiert<br />

Hutch seine letzten Energien und gelangt mit der Kiste<br />

heil beim Wagen an. Wenig später kehrt Colizzi die<br />

Situation dann ins Gegenteil: Diesmal steuern seine<br />

beiden Protagonisten mit einem Floß auf gefährliche<br />

Stromschnellen zu. Cat aber kann nicht schwimmen<br />

und so krallt er sich in panischer Verzweiflung an seinem<br />

bulligen Freund fest, der ihn nicht ohne Hohn<br />

wohlbehalten mit ans Ufer zieht.<br />

Indem er solche nicht weiter handlungsrelevante<br />

Szenen in seinen Debütfilm integrierte, gelang Giuseppe<br />

Colizzi eine deutliche Modifikation von Leones<br />

pessimistischem Partnerschaftsmodell. Die Konzeption<br />

des harten Italo-Westerns, in dem der Gefährte<br />

nur als zeitlich limitiertes Mittel zum Zweck fungierte,<br />

wich in seinen Filmen spürbar zugunsten einer<br />

6 «Der Titel des Films [dio perdona… io no!; d. Verf.]», erinnert<br />

sich Terence Hill, «dessen Drehbuch Giuseppe Colizzi selbst<br />

geschrieben hatte, lautete zunächst ‹Die Katze, der Hund<br />

und der Fuchs›. Es waren drei Personen. Und als wir [Hill und<br />

Spencer; d. Verf.] uns getroffen haben, wurden wir einander<br />

so vorgestellt: ‹Hier ist dein Hund!› – ‹Hier ist deine Katze!›»<br />

(Hill in der italienischen Fernsehsendung Stracult, Rai Due,<br />

Juli 2003 [ital. Original: «Il film che era stato scritto e diretto<br />

da Giuseppe Colizzi all’inizio aveva il titolo ‹Il gatto, il cane e la<br />

volpe›, erano tre personaggi; quando ci incontrammo infatti ci<br />

introdusse così: ‹Ecco il tuo cane!› – ‹Ecco il tuo gatto!›])<br />

7 In der Tat verhindert lediglich eine in letzter Sekunde auftauchende,<br />

führerlose Kutsche, dass Tuco dem zuvor von ihm bis<br />

zur Besinnungslosigkeit gefolterten Partner endgültig den<br />

Garaus macht. Dieser rächt sich dafür gewiss auf nicht minder<br />

sadistische Weise, indem er seinen Kompagnon dazu zwingt,<br />

sich mit der Schlinge um den Hals auf ein marodes Holzkreuz<br />

zu stellen und dann davon reitet. Erst in letzter Sekunde, kurz<br />

bevor sich Tuco nicht mehr halten kann, durchschießt Biondo<br />

aus der Ferne das Seil.


3.1 Präludium: Die Western-Trilogie Giuseppe Colizzis (1967–69)<br />

produktiveren Variante, in der bei<br />

aller Stichelei doch unverkennbar<br />

die gegenseitige Solidarität durchschimmerte.<br />

Wenn Cat seinen sich<br />

im Sand wälzenden Genossen in I<br />

quattro dell’Ave Maria bedrohlich<br />

mit dem Revolver fixiert und<br />

dann demonstriert, dass die Waffe<br />

nicht geladen ist, lässt sich dies als<br />

47 Beachtliche Kletterkünste: Cat<br />

alias Die Katze<br />

entschärfte Version der Wüsten-Szene aus Il buono,<br />

il brutto, il cattivo auffassen, in der Tuco fest entschlossen<br />

ist, das Leben Biondos zu beenden.<br />

Bei Colizzi begrenzte sich der Gebrauch der Genremuster<br />

auf das bloße Arsenal an Figuren- und Situationskonstellationen,<br />

das er allerdings im Hinblick<br />

auf seine beiden Hauptdarsteller merklich humaner<br />

ausgestaltete. Dabei verwies schon allein die Inspirationsquelle<br />

für sein Drehbuch – eine Fabel von<br />

Äsop – auf den allegorischen, unrealistischen Charakter<br />

seiner Tiercharakteren nachempfundenen<br />

Figuren. 8<br />

48 Gekühlte Blessuren: Hutch alias<br />

Der Hund<br />

3.1.2 Wie Hund und Katze:<br />

Auf der Suche nach der Chemie einer<br />

Partnerschaft<br />

Nie vertrugen sich zwei besser miteinander als ein<br />

Hund und eine Katze, die in eben demselben Hause<br />

jung geworden waren. […] Nur einzig und allein bei<br />

der Mahlzeit merkte man, dass sie sich, sooft ein<br />

Brocken von der Tafel fiel oder ihnen ein Bein zugeworfen<br />

ward, als die ärgsten Feinde unter dem Tische<br />

betrugen und des Knurrens und Zähefletschens kein<br />

Ende war. 9<br />

nach Äsop<br />

8 Vgl. Tronci, A Biography of Mr. Terence Hill. Obwohl in der Literatur<br />

des Öfteren auf eine Äsop-Fabel als Vorlage für den Film<br />

hingewiesen worden ist, bleibt letztlich unklar, um welche es<br />

sich genau handeln soll. Alle gängigen Äsop-Ausgaben enthalten<br />

kein Lehrstück mit dem tierischen Trio aus Hund, Katze<br />

und Fuchs. Der Fabelcharakter des italienischen Westerns<br />

wird von dessen Vertretern gleichwohl immer wieder herausgehoben:<br />

«Der Western ist von Natur aus eine Fabel, und wie<br />

alle Fabeln bedient er sich einfacher Bilder und Symbole, die<br />

sehr präzise sind», erklärte Italo-Western-Regisseur Sergio<br />

Sollima einmal (Sollima in Königstein, 308) und auch Sergio<br />

Leone ließ vielfach seine Präferenz für «the spirit of the fable»<br />

(Leone in De Fornari, 22) verlauten.<br />

9 Pape, Walter [Hg.]: Äsopische Fabeln mit moralischen Lehren<br />

und Betrachtungen. Zürich 1999, 305.<br />

10 Auch die Namen der Hauptfiguren lassen deutliche Rückschlüsse<br />

auf das jeweilige Rollenprofil zu. Während ‹Cat›<br />

einfach in anglisierter Form von der Fabel-Vorlage übernommen<br />

wurde, initiiert ‹Hutch› klangliche Assoziationen zum<br />

englischen ‹huge› (dt.: riesig). Im übrigen bezeichnet das<br />

Wort ‹hutch› im Englischen auch einen Stall für kleinere Tiere.<br />

Komplettiert wurde das Trio im ersten Teil der Trilogie durch<br />

den rothaarigen, bärtigen und listig dreinschauenden Frank<br />

Wolff in der Rolle des ‹Fuchses› Bill St. Antonio. Ob in der<br />

Cat-Stevens-Figur weiterhin ein Verweis auf den US-amerikanischen<br />

Folk-Sänger gleichen Namens erblickt werden kann,<br />

ist fraglich. In Anbetracht der Tatsache, dass beispielsweise<br />

auch Sergio Corbucci den Namen des von ihm kreierten Westernhelden<br />

‹Django› dem belgischen Jazz-Gitarristen Django<br />

Reinhardt entlehnte, erscheint eine Verbindung aber zumindest<br />

möglich.<br />

Tatsächlich ließ sich Colizzi bei der Besetzung der<br />

Hauptrollen vor allem von physiognomischen Merkmalen<br />

leiten: Bud Spencers bullige, schwerfällige<br />

Statur schien für die Rolle des ‹Hundes› Hutch ebenso<br />

geeignet wie Terence Hill – mit seiner akrobatischen<br />

Körperbeherrschung und den durchdringend<br />

stahlblauen Augen – für die Rolle der ‹Katze› Cat. 10<br />

Die Eigenarten ihrer tierischen Pendants wurden<br />

durchaus auch handlungsunterstützend in die Stories<br />

integriert, so beispielsweise in Form von Cats<br />

Wasserscheue, seiner Kletterkünste oder der flinken<br />

Umtriebigkeit, mit der er in La collina degli stivali<br />

der übermächtigen Gegnerschar entwischt. Sein<br />

Partner Hutch hingegen kühlt sich nach dem ersten<br />

ausgetragenen Faustkampf benommen den Kopf im<br />

Wasser und erinnert in seiner flach niedergebückten<br />

Pose deutlich an einen blessierten Köter, der seine<br />

Wunden leckt.<br />

Die weitreichendsten Konsequenzen hatte die<br />

Anlehnung an das alte Fabelszenario freilich in Bezug<br />

auf die charakterliche Interaktion der Hauptfiguren.<br />

Mit der Konstellation der ungleichen Partnerschaft<br />

von Hund und Katze war bereits der Grundstein für<br />

das später so erfolgreich ausgearbeitete Zusammenspiel<br />

von Bud Spencer und Terence Hill gelegt: «[T]he<br />

39


3 Von der Gewalt zum Humor: Zwei neue Helden erobern das Kino<br />

initial spark» für ihre Leinwand-Partnerschaft, erklärte<br />

Terence Hill,<br />

came from Colizzi because I played the cat and Bud<br />

Spencer played the dog, therefore our relationship<br />

was already very clear! I think that visually Colizzi was<br />

exceptional. I remember this very well, because he<br />

made more films with us […]. He created our characters,<br />

because the characters must be created by the<br />

director with an eye that has to be, how should I say<br />

this, very detailed, I mean with great care: how we<br />

dressed both Bud Spencer and I, how we were photographed.<br />

11<br />

Tatsächlich bemühte sich Colizzi, seine beiden Helden<br />

sooft wie möglich gemeinsam im Bildkader zu<br />

präsentieren und durch stimmungsvolle Hintergrund-<br />

Ambientes zusätzlich zu ikonographieren. Wenn die<br />

beiden zu Beginn von I quattro dell’Ave Maria gemeinsam<br />

in das verdunkelte Büro des Sheriffs hineintreten<br />

– das grelle Tageslicht in ihrem Rücken –, dann<br />

wirken sie beinahe wie mythische Gestalten jenseits<br />

jedweder physischen Belangbarkeit.<br />

Als charakteristische Kleidermontur erhielt Spencer<br />

in der Rolle Hutch Bessys einen ausgefransten<br />

weißen Fellumhang, der ihn im Einklang mit seinem<br />

üppigen Vollbart ganz deutlich in die Tradition archaischer<br />

Barbarenfiguren stellte. Ihn führte Colizzi in<br />

allen drei Filmen in Untersicht ein, sodass seine bullige,<br />

hünenhafte Gestalt noch zusätzlich akzentuiert<br />

wurde. Sein allererster Auftritt ist in diesem Zusammenhang<br />

bezeichnend, als er mit massigem Rücken<br />

und breiten Schultern im Rahmen einer Saloontür<br />

auftaucht und der hinter ihm postierten Kamera den<br />

Blick ins Rauminnere versperrt. Als der Wirt sich dann<br />

das erste Mal nach seinem Gast umdreht, verweilt<br />

sein Blick zunächst gewohnheitsmäßig in der eigenen<br />

Augenhöhe – und erst als er dort anstatt des erwarteten<br />

Gesichts lediglich Bessys Brustpartie entdeckt,<br />

schreckt er deutlich zusammen und wendet den Blick<br />

in die Höhe. 12 Diametral entgegengesetzt döst Hill als<br />

Cat Stevens in den jeweils ersten gemeinsamen Szenen<br />

immer wieder faul und gelassen vor sich hin und<br />

demonstriert damit seine nonchalante Kaltschnäuzigkeit.<br />

Durch die Kombination dieser Geste vollkommener<br />

Souveränität mit Hills flinker Körpermotorik und<br />

den funkelnden Augen gestaltete Colizzi die Figur<br />

des Cat Stevens nur allzu deutlich als einen modernen<br />

Trickster-Typus in der Nachfolge von Leones<br />

Eastwood-Persona: stets gelassen, doch nie unaufmerksam.<br />

13 Hill fungierte im Grunde genommen auch<br />

als eigentlicher Star der Trilogie, während Spencers<br />

Auftritte insbesondere im ersten und dritten Teil<br />

demgegenüber dramaturgisch sehr stark zurückfielen.<br />

14<br />

In der Tat entstammte die Figur des Hutch Bessy<br />

schon allein physiognomisch viel eher dem Arsenal<br />

klassischer Neben- denn typischer Hauptrollen: Bereits<br />

in der Frühzeit des Films hatte sich der Typus<br />

des so genannten Heavy konstituiert, eines bulligen,<br />

nicht selten bärtigen großen Mannes, der als Supporting<br />

Actor zumeist in kleineren Schurkenrollen<br />

Verwendung fand und den Protagonisten mit schöner<br />

Regelmäßigkeit das Leben schwer machte. 15 Der<br />

Italo-Western griff dieses klassische Rollenprofil wieder<br />

auf und stellte seinen Verbrechergestalten zumeist<br />

den ein oder anderen einfältigen Gehilfen zur<br />

Seite, der für seinen Boss die Drecksarbeit erledigte.<br />

Diese Aufgabe übernahm in der Dollar-Trilogie prototypisch<br />

der korpulente Römer Mario Brega (1923–<br />

11 Hill in Tronci, Interview with Terence Hill. «Teams fangen irgendwann<br />

an, sie haben eine Startphase, in der man sich zusammenrauft»,<br />

erläutert Fritz B. Simon, «es etablieren sich Regeln<br />

und Gewohnheiten, die erprobt, ausgetestet, variiert und<br />

schließlich stabilisiert werden. In manchen […]Filmen zeigt<br />

sich eine typische Dynamik der Teambildung. Beispiele hierfür<br />

sind Bud Spencer und Terence Hill in ihrem ersten Western.»<br />

(Simon, Fritz B.: Gemeinsam sind wir blöd!? Die Intelligenz von<br />

Unternehmen, Managern und Märkten. Heidelberg 2 2006, 151)<br />

12 Ähnlich verfuhr Colizzi mit dieser Figur auch in den beiden<br />

Fortsetzungsfilmen. In I quattro dell’Ave Maria fährt Hutch<br />

– auf einem Kutschbock sitzend – in das Grenzstädtchen El<br />

Paso ein, in La collina degli stivali taucht er urplötzlich am<br />

oberen Ende einer Leiter auf.<br />

13 Interessanterweise wies Sergio Leone Eastwood ebenfalls die<br />

Eigenschaften einer Katze zu: «In real life, Clint is slow, calm,<br />

rather like a cat. During shooting he does what he has to do,<br />

then sits down in a corner and goes to sleep immediatly, until<br />

he is needed again. It was seeing him behave like this on the<br />

first day that helped me model the character.» (Leone in Frayling,<br />

Spaghetti Westerns, 146)<br />

14 Nach Auffassung von Thomas Weisser gelang es Hill in I quattro<br />

dell’Ave Maria sogar, selbst Genrestar Eli Wallach in<br />

den Schatten zu stellen: «The film is an obvious attempt to<br />

capitalize on the notoriety of Wallach’s ‹the Ugly› role from<br />

Leone’s film, but instead it’s Terence Hill (doing his best Clint<br />

Eastwood imitation) who steals the show.» (Weisser, 4)<br />

15 Bemerkenswerterweise begann auch Oliver Hardy seine Filmkarriere<br />

als komischer Schuft in über 200 Stummfilmen, bevor<br />

er gemeinsam mit Stan Laurel das wohl bekannteste Filmkomikergespann<br />

aller Zeiten bildete.<br />

40


3.1 Präludium: Die Western-Trilogie Giuseppe Colizzis (1967–69)<br />

1994), der auch in beinahe allen späteren Leone-Filmen<br />

mitwirkte und so zu einer Art «fetish actor» 16 des<br />

Regisseurs wurde. Unter Leones Regie spielte Brega<br />

meist schmutzige, ungepflegte und primitive Typen,<br />

die sich mit sadistischer Wonne ans Werk machten,<br />

im Auftrage ihres Bandenchefs andere Menschen<br />

zu foltern, zu quälen und zu ermorden. 17 Nicht selten<br />

waren die von ihm portraitierten Figuren dabei<br />

mexikanischen Ursprungs und standen durch ihre<br />

vitale Perversion in striktem Gegensatz zum einsilbigen<br />

Auftreten des hochgewachsenen und schlanken<br />

Helden.<br />

Positivere Züge erhielt die Erscheinung des polternden<br />

Mexikaners erst, als sich der Italo-Western<br />

dem Thema der lateinamerikanischen Revolution<br />

zuwandte und den verbissenen Freiheitskampf mexikanischer<br />

Aufständischer in den Fokus der Betrachtung<br />

rückte. Diese Phase, die Christopher Frayling<br />

durch den bereits erwähnten «Zapata-Spaghetti<br />

plot» 18 charakterisiert sieht, setzte etwa im Jahr 1967<br />

ein und zeichnete sich besonders dadurch aus, dass<br />

nun in aller Regel zwei Protagonisten nebeneinander<br />

agierten: «one a European (Polish, Swedish, Irish) or<br />

American arms dealer/mercenary, the other a Mexican<br />

peasant-bandit» 19 .<br />

Die Kombination von zwei derart unterschiedlichen<br />

Charakteren verlieh den Zapata-Western von<br />

vornherein einen noch stärker humoristischen Touch<br />

als dies schon bei den Vorgängerfilmen der Fall gewesen<br />

war: Die besseren Regisseure wie Leone und<br />

Corbucci bezogen aus dem Spiel mit den unterschiedlichen<br />

Gemütszuständen der beiden Helden ein jederzeit<br />

abrufbares Repertoire an saloppen Gags.<br />

Dabei inszenierten sie nur allzu gerne die selbst von<br />

16 De Fornari, 122.<br />

17 «Brega’s roles include the greasy, sadistic Rojo henchman Chico<br />

in A Fistful of Dollars; the greasy, sadistic Indio henchman<br />

Niño in For a Few Dollars More; the greasy, sadistic Corporal<br />

Wallace in The Good, the Bad and the Ugly; and the greasy,<br />

sadistic Syndicate killer in Once Upon a Time in America. Do we<br />

have here a classic case of a typecast character player?» fragt<br />

Robert C. Cumbow zu Recht (Cumbow, Robert C.: Once upon a<br />

time: The Films of Sergio Leone. London 1987, 151).<br />

18 Frayling, Spaghetti Westerns, 52.<br />

19 Frayling, Spaghetti Westerns, 52.<br />

20 Christian Kessler spricht in diesem Kontext von «kleineren<br />

Komikschnipseln», die allerdings eher in «der Konzeption von<br />

Spencers Rolle» als in einer strukturellen «Strategie» begründet<br />

seien (Kessler, 73f.).<br />

49 Italo-Heavy: Mario Brega<br />

in typischer Montur<br />

größten Gefahren völlig<br />

unbeeindruckte Haltung<br />

des Northerners, die den<br />

unablässig lamentierenden<br />

und um seine Haut<br />

fürchtenden Southerner<br />

regelmäßig zur Weisglut<br />

trieb. Colizzis Dio perdona…<br />

io no! und seine<br />

beiden Sequels können<br />

in dieser Hinsicht als<br />

wegweisende Beispiele<br />

für die allgemeine Entwicklung<br />

des italienischen Westerns gelten: Seine<br />

Spencer-Figur Hutch Bessy unterschied sich ihrem<br />

Wesen nach bereits deutlich von dem rückhaltlos<br />

egoistischen Tuco-Typus aus Il buono, il brutto, il<br />

cattivo, erhielt allerdings bei Colizzi auch noch nicht<br />

jene politische Tragweite, wie sie wenig später dann<br />

in Genrebeiträgen von Sergio Corbucci oder Sergio<br />

Sollima zur Geltung kam. Ähnliches galt auch für die<br />

Konzeption des Cat-Stevens-Typs, der in allen drei Filmen<br />

der Trilogie ausschließlich aus Gründen persönlicher<br />

Rache oder materiellen Besitzes handelt, dabei<br />

seine Schießkünste jedoch nebenbei immer wieder in<br />

den Dienst der guten Sache stellt. Komische Akzente<br />

konnte sein Charakter (als Imitation des Uomo senza<br />

nome) einzig und allein durch die Kombination aus<br />

Overacting und Underplaying erzielen. Deshalb wirkte<br />

auch er weit weniger sympathisch als derjenige<br />

Spencers, dessen aufbrausendes Gemüt diesbezüglich<br />

stets aus dem Vollen schöpfen konnte.<br />

Für expliziten Humor blieb in der bedrohlichen,<br />

stickig-unwirtlichen Atmosphäre der Colizzi-Western<br />

mit ihren düsteren, beunruhigenden Settings ohnehin<br />

nur wenig Raum. Die eingestreuten amüsanten<br />

Szenen, die fast ausschließlich durch Spencers Präsenz<br />

dominiert wurden, 20 waren hier – gerade im<br />

ersten und im dritten Teil der Trilogie – kaum mehr<br />

als retardierende Elemente innerhalb eines konventionellen<br />

Spannungsbogens. Sieht man von ihnen ab,<br />

so muss man Dio perdona… Io no! und La collina<br />

degli stivali als durchaus grausame, pessimistische<br />

Gesellschaftsportraits begreifen, die mit der leichten,<br />

komischen Grundstimmung der folgenden Spencer/<br />

Hill-Filme nur wenig gemein haben. Insbesondere die<br />

delirienden Bilder der beiden Kameramänner Alfio<br />

Contini und Marcello Masciocchi sowie die schwermü-<br />

41


3 Von der Gewalt zum Humor: Zwei neue Helden erobern das Kino<br />

tig-unbehaglichen Soundtrack-Kompositionen Carlo<br />

Rustichellis 21 rücken die Filme über weite Teile in die<br />

Nähe beklemmender Albtraumszenarien, in denen<br />

eine Vielzahl verstörend grotesker Gestalten das Leben<br />

im Inferno illustriert. Die schmutzig-verschwitzten<br />

Gesichter und die nächtlichen Menschenjagden,<br />

die seelisch-körperlichen Torturen und nicht zuletzt<br />

die bewussten Referenzen an klassische Horrorfilme<br />

22 machen es letztlich schwer, mit Colizzis Trilogie<br />

die Geburtsstunde des populärsten europäischen<br />

Komikergespanns festzusetzen. Gewiss: Zwar achten<br />

die vom Regisseur selbst geschriebenen Drehbücher<br />

stets «umsichtig auf humorvolle Lichter nach spezifischen<br />

Brutalitäten» 23 . Diese jedoch nehmen den<br />

damit einhergehenden Grausamkeiten keineswegs<br />

ihre pessimistische Schärfe, sondern verleihen ihnen<br />

eher eine Aura des Bizarren. So beginnt die Handlung<br />

von Dio perdona… io no! beispielsweise mit einem<br />

im Bahnhof einfahrenden Zug voller Leichen, deren<br />

massakrierte Gesichter in kurzen, enervierenden<br />

Nahaufnahmen hintereinander geschnitten werden<br />

– «[e]in makabrer, im Effekt enormer Schocker, gesteigert<br />

noch durch harmloses Kinder-Ballspiel auf<br />

den Gleisen, über die kurz darauf der Zug der Toten<br />

rollt» 24 .<br />

Colizzis charakteristische Technik, die Kamera immer<br />

wieder «in hinreißenden Einstellungen schwelgen»<br />

zu lassen und diesen dann «knochenharte Sequenzen<br />

von kompromissloser Härte» 25 entgegen zu<br />

setzen, ist in allen dreien seiner Western nachweisbar.<br />

Dahinter verbarg sich die Absicht, die Welt als<br />

das zu zeigen, was der Regisseur in erster Linie in<br />

ihr sah: ein bizarr-groteskes Narrentheater, bei dem<br />

nur allzu oft gute Miene zum bösen Spiel gemacht<br />

wurde. Dass der Regisseur in La collina degli stivali<br />

gerade einem abstrusen Haufen verschrobener<br />

Zirkusdarsteller aufklärerisches Potenzial zuweist,<br />

50–52 Zugeständnisse an die Gewalt: Colizzis Ästhetik<br />

zwischen Blut, Schweiß und Tränen<br />

21 «Rustichellis Musik», notiert Ulrich P. Bruckner, «ist eigentlich<br />

untypisch für die damalige Italo-Western-Musik, die sich<br />

im Allgemeinen an dem populären Stil seines Landsmannes<br />

Ennio Morricone orientierte. Rustichelli verwendet vielmehr<br />

Elemente der klassischen Musik und gab so den Filmbildern<br />

eine größere Dramatik» (Bruckner, 531). Den «overproduced<br />

musical score» zu Dio perdona… io no! bezeichnet Thomas<br />

Weisser allerdings schlichtweg als «[t]he most awkward thing<br />

about this film» (Weisser, 134).<br />

22 La collina degli stivali bezieht sich in seiner Präsentation<br />

ausgestopfter Tiere deutlich auf Alfred Hitchcocks Psycho<br />

(USA 1960), während die grotesken Zirkusgnome an die<br />

schauerliche Artistentruppe aus Tod Brownings Freaks (USA<br />

1932) erinnern.<br />

23 Hegedo, Herbert H.: Gott vergibt… Django nie! In: Filmecho-<br />

Filmwoche-Filmblätter 14/1968, 11.<br />

24 Ludwig Metzger in Bruckner, 240.<br />

25 Bruckner, 321.<br />

42


3.1 Präludium: Die Western-Trilogie Giuseppe Colizzis (1967–69)<br />

erscheint vor diesem Hintergrund nur konsequent:<br />

Erst als die Artisten die in der Stadt herrschenden<br />

Missstände in der Manege verfremdet nachspielen,<br />

erkennen die Bewohner das Ausmaß ihrer eigenen<br />

Unterdrückung und solidarisieren sich im Kampf gegen<br />

ihre Ausbeuter. Indem Colizzi den Zirkusclown<br />

als Fürsprecher des gemeinen Volkes inszenierte,<br />

bezog er sich deutlich auf die europäischen Wurzeln<br />

des von ihm benutzten Genres: Wie im italienischen<br />

Volkstheater der Commedia dell’arte fungieren auch<br />

seine Harlekine und Artisten als volkstümliche Possenreißer,<br />

denen als Outsider in der Gesellschaft die<br />

Aufgabe zufällt, diese in einer Art Zerrbild nachzustellen.<br />

26 Christoph Wrembek in Bruckner, 285f. «Die Inszenierung von<br />

Colizzi», ergänzt Walter Müller-Bringmann, «ist ganz auf die<br />

Absicht eingestellt, mehr als nur rauchende Revolver und sterbende<br />

Feinde zu bieten.» (Müller-Bringmann, Walter: Vier für<br />

ein Ave Maria. In: Filmecho-Filmwoche-Filmblätter 84/1969, 9)<br />

27 Mit der politischen Sprengwirkung des sozialkritischen Italo-<br />

Westerns setzt sich Wolf Lepenies sehr kritisch auseinander.<br />

Sein Credo lautet: «Nicht über das, was er darstellt, lässt sich<br />

der Film zu einem politischen Medium machen, sondern dadurch,<br />

wie das Dargestellte wahrgenommen wird, durch die<br />

menschliche Sinneswahrnehmung, ‹das Medium, in dem sie<br />

erfolgt›.» (Lepenies, Wolf: Der Italo-Western – Ästhetik und<br />

Gewalt. In: Witte, Karsten [Hg.]: Theorie des Kinos. Frankfurt<br />

am Main 2 1973, 15–38, dort 24)<br />

Durch solche kunstreflexiven und sozialkritischen<br />

Implikationen, die noch dazu unter Zuhilfenahme<br />

recht drastischer Szenen vermittelt wurden,<br />

belud der politisch links stehende Intellektuelle und<br />

Schriftsteller Colizzi seine Trilogie ganz bewusst mit<br />

schwerem Ballast. In seinem Bestreben, die Unterhaltungswerte<br />

des Genres für eigene Aussagen zu<br />

nutzen, setzte er brutale Gewalt wie burleske Komik<br />

lediglich als massenwirksame Versatzstücke ein, als<br />

eine Art unterhaltendes Zugeständnis an die Erwartungen<br />

seines Massenpublikums. Zwar fungierte der<br />

Kopf der Helden schon hier nicht mehr länger «nur<br />

als Huthalter oder Ziel von Kugeln», sondern durchaus<br />

auch «als Ursprungsort und Sitz listig-lustiger<br />

Einfälle, mit denen der Gegner ebenso gut und wirkungsvoll<br />

außer Gefecht gesetzt werden kann wie<br />

durch das Schießeisen» 26 . Der überdeutliche Fabelcharakter<br />

seiner Filme allerdings, ihr Anspruch auf<br />

real-praktische Anwendbarkeit, verweigerten sich<br />

schon rein konzeptionell jener Leichtigkeit in der<br />

Inszenierung, die laut schallende Komik zwingend<br />

voraussetzt. 27 Die Ästhetik Giuseppe Colizzis war<br />

stattdessen eine kritische, düstere. Ihr war es noch<br />

nicht bestimmt, die trostlose Szenerie, die der Italo-<br />

Western von vorneherein kultiviert hatte, abzulösen.<br />

Dies sollte die Aufgabe eines anderen Mannes werden.<br />

43

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!