Vortrag Dr. med. M. Dümpelmann, Rosdorf, vom 22.11.2013

Vortrag Dr. med. M. Dümpelmann, Rosdorf, vom 22.11.2013 Vortrag Dr. med. M. Dümpelmann, Rosdorf, vom 22.11.2013

Psychosenpsychotherapie: Erfahrungen,<br />

Entwicklungen, therapeutische Haltung.<br />

Burghölzli, <strong>22.11.2013</strong><br />

<strong>Dr</strong>. <strong>med</strong>. Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />

Asklepios Fachklinikum Tiefenbrunn<br />

Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />

Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />

1


Übersicht<br />

• I. Erfahrungen<br />

• Subjektives und seine Rezeption<br />

• Begegnungen und Geschichten<br />

• Narratives und seine Bewertung<br />

• II. Entwicklungen<br />

• Neuere psychodynamische Konzepte<br />

• Kasuistisches und einige Ergebnisse<br />

• III. Therapeutische Haltung<br />

• Identität, Identifizierungen, Ausblick<br />

Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />

Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />

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Subjektives<br />

• "Der des Faktischen gewohnte Psychiater erfährt<br />

..., dass auch in der fiktionalen Welt der Dichtung<br />

bedeutsame psychopathologische Erkenntnisse<br />

entstanden sind. ........ Was der Dichter dem<br />

Wissenschaftler voraus hat, ist die besondere<br />

Gabe sprachlichen Gestaltens, die auch so schwer<br />

Erfassbares wie psychopathologische Zusammenhänge<br />

verstehbar werden lässt."<br />

• (Tölle `Der in die tiefste Tiefe schaute. E.T.A.<br />

Hoffmann als Psychopathologe´ 2012, S. 7)<br />

Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />

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Subjektives<br />

• Diese Wertschätzung subjektiv vermittelter<br />

Inhalte im psychiatrischen Alltag ist nicht<br />

selbstverständlich (McCabe et al. 2002) und<br />

bisweilen auch nicht einfach.<br />

• Therapeutische Effekte hängen aber stark von<br />

der Qualität der erlebten Beziehung zwischen<br />

Patient und Therapeut ab (Okiishi et al. 2003;<br />

Steinacher et al. 2012).<br />

• Subjektiven Mitteilungen und "emotionaler<br />

Aufgehobenheit" wird auch außerhalb der<br />

psychotherapeutic community ein sehr hoher<br />

Stellenwert zuerkannt (Baethge, 2013, S. 1682).<br />

Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />

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Begegnungen und Geschichten<br />

• Ein 23jähriger hochbegabter Medizinstudent kam<br />

nach der Erstmanifestation einer paranoidhalluzinatorischen<br />

Schizophrenie zu uns und<br />

erklärte mir genau da, wo ich fragen wollte, was<br />

ihn herführt, mit Nachdruck, er sei Opfer einer<br />

mystischen Attacke und man hätte sein Ich<br />

gestohlen.<br />

• Das ist `Hoffmann pur´, aber keineswegs eine<br />

simple Störung der Realitätsprüfung, sondern<br />

eine der Realitätskonstruktion. Er erlebte seine<br />

Pschychose als existenzielle Kränkung und sich<br />

mir gegenüber extrem minderwertig.<br />

Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />

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Begegnungen und Geschichten<br />

• Eine junge Frau, bei uns wegen einer schizoaffektiven<br />

Störung, war mächtig verliebt, was sie<br />

sehr ängstigte. Sie entwickelte den Wahn, eine<br />

giftige Hexe zu sein. Es erleichtert sie aber, dass<br />

ihr Geliebter, Seemann von Beruf, durch<br />

Tausende Kilometer Meer von ihr getrennt war,<br />

weil das viele Wasser ihr Gift neutralisiere.<br />

• Sie war von ihrer Mutter verlassen und stets<br />

zurück gewiesen worden, wenn sie ihre Nähe<br />

suchte. Der Vater parentifizierte sie und weihte<br />

sie habituell in seine Intimbeziehungen ein. Nähe<br />

wurde immer auch invasiv und bedrohlich erlebt.<br />

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Begegnungen und Geschichten<br />

• Eine Patientin, Mitte der 50iger, erlebte sich<br />

überreizt und insbesondere von allem und jedem<br />

sexuell erregt. Sie portraitierte sich mit Kopf und<br />

Extremitäten als kleinen Anhangsgebilden, aber<br />

einer riesigen, nahezu Blatt füllenden Vulva, mit<br />

dicken <strong>Dr</strong>ähten mit der Außenwelt verbunden.<br />

• Die Psychose hatte mit der Liebesübertragung in<br />

einer Therapie begonnen. Sexueller Missbrauch<br />

war nicht eruierbar, aber ein Hassliebe zu der<br />

sich in alles hinein drängenden Mutter, der sie<br />

viele Partnerschaften entgegen zu setzen<br />

versucht hatte.<br />

Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />

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Begegnungen und Geschichten<br />

• Die Bildmetapher der Riesenvulva lässt sich<br />

hysterisch `lesen´. Das führt aber leicht dazu, die<br />

augenfällige Sexualisierung in ihrer Funktion als<br />

Verarbeitungsmuster zu übersehen.<br />

• Neben vielen Problemen mit Männern bestand vor<br />

allem - Psychose! - eine gravierende Labilität der<br />

Subjekt-Objekt-Differenzierung (Mentzos 1991).<br />

• So betrachtet vermittelt die Patientin mit dieser<br />

zeichnerischen Darstellung ihr Erleben als schutzlos<br />

ausgeliefertes intimes Kontaktorgan und, dass<br />

sie ihr Innerstes nicht schützen und nicht von der<br />

Außenwelt abgrenzen konnte.<br />

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Narratives<br />

• In den Erzählungen psychotischer Menschen<br />

tauchen oft Erlebnisqualitäten und biografische,<br />

vielfach traumatische Muster in verzerrter Form<br />

auf (Kapfhammer 2013; <strong>Dümpelmann</strong> 2013).<br />

• Sehr häufig sind subjektive Metaphern von Tod<br />

und Untergang (Benedetti 1991) und von<br />

fehlenden Grenzen zwischen Ich und der Welt der<br />

Objekte (Mentzos 1991).<br />

• Der Verlust der Fähigkeit, sich von der Außenwelt<br />

abgrenzen zu können, wird als existenzielle Bedrohung<br />

oder als Untergang der eigenen Person<br />

erlebt (`Todeslandschaften´, Benedetti 1991).<br />

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Narratives<br />

• Parallel zum Dilemma zwischen<br />

• Autismus - aufgegebener Bezug, depersonalisiert<br />

• und Fusion - Verschmelzung, hyperpersonalisiert<br />

(vgl. Mentzos 1991)<br />

• bestehen in der Sprache Konkretismen und Magie<br />

nebeneinander und ermöglichen Sätze wie `Mein<br />

Ich wurde gestohlen´ und `Ich bin Opfer einer<br />

mystischen Attacke´ (vgl. letzte Fallskizze).<br />

• In der Normalbevölkerung würde diese sprachliche<br />

Symbolisierung nicht verstanden.<br />

• Sie gibt aber das subjektive krisenhafte Erleben<br />

des Sprechers eindrucksvoll wieder.<br />

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Narratives<br />

• Eine sprachliche Darstellung mit radikaler<br />

Konzentration auf die Abbildung inneren Erlebens<br />

und Absage an die äußere Realität wird auch dem<br />

`serapiontischen Prinzip´ folgend benannt (nach<br />

Hoffmann 1819; Tölle 2012).<br />

• "Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners"<br />

argumentiert H. v. Foerster (1998).<br />

• Mit sprachlicher Symbolik wird nie pure<br />

Objektivität mitgeteilt.<br />

• Aber emotionales Erleben und relationaler Gehalt<br />

können in symbolischer Sprache beschrieben<br />

werden.<br />

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Narratives<br />

• Psychotische Menschen metaphorisieren oft<br />

verzerrt und schwer verstehbar, bilden aber ihr<br />

subjektives Erleben oft erstaunlich gut ab.<br />

• "Was eine Handlung, Erfahrung oder<br />

psychologische Charakteristika zu einem Teil<br />

einer personalen Identität macht, ist die<br />

Inkorporation in eine selbst-erzählte Geschichte<br />

des eigenen Lebens" (Fischer 2012).<br />

• Wahn und Halluzinationen sind auch Versuche,<br />

die Identität zu wahren, trotz aller "Symbolverzerrung"<br />

(Benedetti 1989, S. 221) und<br />

wodurch auch immer die bedingt ist.<br />

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Neuere psychodynamische Konzepte<br />

• Wenn nun<br />

• aus Angst und Kränkung ein gestohlenes Ich,<br />

• aus Liebe das Empfinden, giftig und gefährlich für<br />

andere zu sein,<br />

• und aus verunsichernder Spannung<br />

terrorisierende sexuelle Erregung werden,<br />

• dann stellt sich die Frage, mit welchen Konzepten<br />

das verstanden und in einen Kontext gebracht<br />

werden kann, der den Betroffenen ermöglicht, die<br />

verzerrte Symbolisierung aufzugeben - sich selbst<br />

und den Objekten der Außenwelt gegenüber.<br />

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Neuere psychodynamische Konzepte<br />

• Psychosen wie Neurosen durch die Aufdeckung<br />

konflikthafter ubw. Motivationen zu behandeln,<br />

verkennt, dass die "Parakonstruktion" (Hartwich<br />

2006, S. 172) von Selbst und Welt dem Erleben<br />

solcher Konflikte genau entgegen gesetzt wird.<br />

• Nicht die `Wortvorstellung´ ist nämlich gestört,<br />

sondern die `Sachvorstellung´ (S.Freud 1915).<br />

• Ein `gestohlenes Ich´ und `mystische Attacken´<br />

entfernen unerträgliche Scham und Kränkung aus<br />

dem Beziehungskontext.<br />

• Grenzen werden so abgedichtet; Therapeuten<br />

sind bei Mystischem erst einmal machtlos.<br />

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Neuere psychodynamische Konzepte<br />

• Wie können die Aussagen psychotischer<br />

Menschen verstanden und bewertet werden?<br />

• Nur als psychopathologische Beschreibung zur<br />

Feststellung einer Krankheitskategorie?<br />

• Zeigen sie auch funktionelle Zusammenhänge<br />

und Erklärungsansätze für die Entwicklung der<br />

Störung auf?<br />

• Zugespitzt: Warum sind Grenzen gestört, ist<br />

emotionale Nähe unerträglich und wozu werden<br />

Objekte wie Affekte <strong>med</strong>ial statt figural (Bischof<br />

1996) umkonstruiert und repräsentiert?<br />

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Neuere psychodynamische Konzepte<br />

Aktuelle psychodynamischer Konzepte für die<br />

Arbeit mit Psychosen stammen insbesondere aus<br />

der Entwicklungspsychologie:<br />

• zum Selbstgefühl (Stern 1998)<br />

• zur Subjekt-Objekt-Grenze (Dornes 1993)<br />

• zur Interaktion (Steimer-Krause 2000)<br />

• zur Affektentwicklung (Krause 1997, Fonagy et<br />

al. 2004, <strong>Dümpelmann</strong> 2010) und<br />

• zur Traumapsychologie (<strong>Dümpelmann</strong> 2003,<br />

Kapfhammer 2013).<br />

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Neuere psychodynamische Konzepte<br />

• Psychopathologische Phänomene von Psychosen<br />

werden im Folgenden<br />

• aktuellen psychodynamischen<br />

• und dann auch neurowissenschaftlichen Befunden<br />

gegenüber gestellt, insbesondere<br />

• die veränderte sprachliche Symbolisierung von<br />

Selbst und Außenwelt,<br />

• die brüchige Grenze zwischen Subjekt und Objekt<br />

(vgl. Klosterkötter 1992)<br />

• und die extreme Ambivalenz und Ambitendenz.<br />

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Kasuistisches<br />

• Fallskizze: Ein älterer Mann mit einer schizoaffektiven Störung,<br />

stark depressiv und suizidal, erlebt sich vergiftet und legt u.a.<br />

elaborierte Schriftsätze zu Umweltgiften vor. Wie er spürt, dass<br />

ich seine Gefühle aufnehme und mitreagiere, fühlt er sich auch<br />

von mir vergiftet, kommt zwar misstrauisch, aber pünktlich und<br />

zuverlässig zu jeder Sitzung.<br />

• Affekte, hier depressive, waren `Gift´ für ihn. Jede Begegnung mit<br />

mir brachte die Gefahr mit sich, damit `angesteckt´ zu werden -<br />

auch von mir.<br />

• Gefühle werden per Wahn zu Gift umkonstruiert.<br />

• Dadurch gelingen - auch in der Interaktion - eine behelfsmäßige<br />

Abgrenzung und die Kontrolle über die Affekte. Der Kontakt bleibt<br />

gerade dadurch erhalten.<br />

• Das Dilemma zwischen hilfloser Bedürftigkeit und Angst vor Nähe<br />

wird gedämpft und die ther. Beziehung wird aber, wenn auch<br />

dysfunktional, geschützt.<br />

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Kasuistisches<br />

• Die hier sichtbar werdende Kontingenz ließ sich auch biographisch<br />

aufklären. Im Alter von 4 Jahren war er zusammen mit seiner<br />

Familie nach einem Bombentreffer verschüttet worden, wobei alle<br />

Erwachsenen und auch sein Vater hilflos schrien, einnässten und<br />

einkoteten. Der `Pestgeruch´ kommt ihm immer wieder in die<br />

Nase und er kann es bis jetzt kaum ertragen, Schmerz- und<br />

Angstschreie zu hören (<strong>Dümpelmann</strong> 2010).<br />

• Zuvor hatte ihn der Vater, wenn er sich schwach zeigte, oft<br />

gedemütigt und mit Schlägen bestraft. Die Mutter schützte ihn<br />

nicht.<br />

• Kulminierend in der Schlüsselszene der Verschüttung hatte er<br />

vielfach die Erfahrung gemacht, dass Hilflosigkeit und vor allem<br />

die Kommunikation der assoziierten Affekte nicht Schutz, sondern<br />

schlimme Folgen bewirken, Strafen bis hin zum Inferno und die<br />

Gefahr des Objektverlusts. Hilflosigkeit und Wünsche nach Schutz<br />

werden mit gefährlichem Gift metaphorisiert.<br />

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Neuere psychodynamische Konzepte<br />

• Subjektive psychotische Inhalte, in denen<br />

relevante biographische, oft traumatische<br />

Erfahrungen verzerrt auftauchen, sind häufig,<br />

• meist dekontextualisiert (Kapfhammer 2013),<br />

• folgen aber oft wichtigen biographischen<br />

Kontingenzen und weisen relationale Strukturen<br />

auf, die für die individuelle Entwicklung von<br />

Selbst- und Beziehungsregulierung und, eng<br />

damit verbunden, für die Entwicklung der<br />

Affektregulierung bedeutsam waren (Fonagy et<br />

al. 2004; <strong>Dümpelmann</strong> 2010).<br />

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Neuere psychodynamische Konzepte<br />

• Der Beitrag der Traumapsychologie ist nicht nur<br />

der, auf Psychosen nach Traumata hinzuweisen<br />

(von Baeyer et al. 1964; Ventzlaff 1968),<br />

• sondern besteht weitaus mehr darin, dass<br />

Psychosen so in einem Entwicklungskontext<br />

erfasst werden können, wobei psychische<br />

Traumatisierungen als ein gewichtiger Faktor der<br />

Genese psychotischer Vulnerabilität erfassbar<br />

werden (Read 1997; <strong>Dümpelmann</strong> 2003).<br />

• Das schließt Auswirkungen auf somatische<br />

Faktoren ausdrücklich ein (Murray 1994; Walker<br />

u. Diforio 1997; Kapfhammer 2013).<br />

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Neuere psychodynamische Konzepte<br />

• Selbst- und Affektentwicklung sind eng<br />

miteinander verbunden. Der gelungene affektive<br />

Austausch zwischen primärer Bezugsperson und<br />

Kind ist das " Präludium" eines kohäsiven<br />

Selbstgefühls (Fonagy et al. 2004, S. 12).<br />

• Trotz der Arbeiten von Ciompi (1997) und<br />

Machleidt (1999) spielen Affekte in Konzepten für<br />

Psychosen gemessen an kognitiven Aspekten nur<br />

eine geringe Rolle.<br />

• Durch die Befunde der Entwicklungspsychologie<br />

ändert sich das, auch in der VT (Vauth u. Stieglitz<br />

2008).<br />

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Neuere psychodynamische Konzepte<br />

• Bei Störungen der Affektregulierung lassen sich<br />

unterschiedliche Typologien unterscheiden<br />

(Krause 1997 u. Fonagy et al. 2004), auch bei<br />

Psychosen (Vauth u. Stieglitz 2008; <strong>Dümpelmann</strong><br />

2010):<br />

• Störungen der Affektwahrnehmung<br />

• Störungen der Affekttoleranz<br />

• Störungen des Erlebens der Wirkmächtigkeit der<br />

Affekte bzw. der Affektexpression.<br />

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Neuere psychodynamische Konzepte<br />

• Störungen der Affektwahrnehmung:<br />

• Z.B. bei katatonen und desorganisierten Syndromen wird<br />

kein/kaum Wahn gebildet. Affekte äußern sich motorisch, in<br />

Unruhe und körperlicher Spannung. Aufkommender Wahn<br />

beruhigt, weil Orientierung und Kommunikation wieder<br />

möglich werden, und seien sie noch so märchenhaft und<br />

`irreal´ (ToM)!<br />

• Therapeutisch vorrangig ist hier, den Kontakt sicher zu<br />

gestalten und zu stabilisieren, für klare Grenzen zu sorgen,<br />

ggfs. Distanzierung und auch einen Abbruch einvernehmlich<br />

zu begleiten und mit Verbalisierungen sehr vorsichtig<br />

umzugehen. Gemeinsame Aktivitäten und nonverbale<br />

Angebote. Fokus: Weitere Fusion vermeiden, Kontakt als<br />

schützend und nicht-invasiv erfahrbar machen.<br />

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Neuere psychodynamische Konzepte<br />

• Störungen der Affekttoleranz:<br />

• Z.B. beim Paranoid können subjektives Selbsterleben und<br />

die zugehörigen Affekte zugelassen und kommuniziert<br />

werden. Aber sie werden meist <strong>med</strong>ial (Bischof 1996)<br />

abgebildet und oft massiv durch Konkretisierung oder<br />

Magie verfremdet und externalisiert (Prototyp:<br />

`Todeslandschaften´, Benedetti 1991).<br />

• Therapeutisch bewährt hat sich, streng klarifizierend und<br />

nicht deutend zu intervenieren, gemeinsam nach Worten<br />

und Sprachbildern zu suchen, das Selbsterleben im Kontakt<br />

zu untersuchen, DBT einzusetzen und ausgiebig expressive<br />

Therapieformen einzusetzen: Gestaltungs-, Musik- und<br />

Körpertherapie, wobei der verbale Anteil flexibel dosiert<br />

werden kann.<br />

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Neuere psychodynamische Konzepte<br />

• Störungen des Erlebens der Wirkmächtigkeit der Affekte:<br />

• Bei psychosenahen oder akut vorüber gehenden Psychosen<br />

können Affekte erlebt und einigermaßen toleriert werden,<br />

oft neurotisch oder mit den Mitteln einer PS verarbeitet, so<br />

lange sie vor anderen verborgen werden können. Fusionäre<br />

Zustände konzentrieren sich auf Situationen, wo das nicht<br />

gelingt. Die psychotischen Symptome sind meist affektnah.<br />

• Therapeutisch wichtig ist, Scham-, Schuldgefühle und<br />

Ängste als aktuell verfügbares Mittel der Regulierung zu<br />

bestätigen, die Symptomentstehung in ihrem Beziehungskontext<br />

zu untersuchen, eine vorsichtige Analyse innerer<br />

Normen und ggfs. auch gut dosierte Expositionstrainings.<br />

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Neuere psychodynamische Konzepte<br />

• Die Kopplung von Selbst- und Affektentwicklung bedingt,<br />

dass Affekte bei geringer Selbstkohäsion und hoher<br />

Durchlässigkeit massive Symptome produzieren<br />

• und mit zunehmend stabilen Grenzen Affekte zunehmend<br />

repräsentiert und kommuniziert werden können, zumindest<br />

in Form von Wahn und Halluzinationen,<br />

• bis hin zu psychosenahen Bildern, bei denen Affekte<br />

weniger verzerrt wieder gegeben werden können.<br />

• Je stabiler durch stabile Grenzen zwischen Selbst und<br />

Objekt differenziert werden kann, desto weniger<br />

erschüttern Affekte die Selbstkohäsion und desto eher<br />

können Affekte zugeordnet, verortet und autonom<br />

verarbeitet werden.<br />

• In der AS von Psychosen sind Affektmobilisierungen die<br />

Regel.<br />

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Ergebnisse<br />

• Nach einer ersten (Leichsenring et al. 2005)<br />

wurde kürzlich eine weitere naturalistische Studie<br />

zu den Therapieeffekten bei psychotischen<br />

Störungen in Tiefenbrunn veröffentlicht<br />

(<strong>Dümpelmann</strong> et al. 2013).<br />

• Es wurden die Daten aller PatientInnen mit<br />

Diagnosen der Gruppe F 2 nach ICD-10<br />

untersucht, die zwischen 1992 und 2013 bei uns<br />

behandelt wurden.<br />

• N=394 max.; mittlere Behandlungsdauer 83,9 d<br />

• 2 EGs/Wo., Gruppen, komplementäre Therapien<br />

und Bezugspflege nach individueller Diagnostik<br />

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Ergebnisse<br />

• Auszüge aus den Prä-Post-Effekten:<br />

• Unsicherheit im Sozialkontakt (SCL-90-R) 0,64<br />

• Psychotizismus (SCL-90-R) 0,59<br />

• allgemeine Symptombelastung (GSI) 0,60<br />

• Beeinträchtigungsschwere (BSS-Gesamt) 1,21<br />

• HAQ, <strong>med</strong>ian-dichtomisiert (1,72), korreliert mit<br />

GSI: 0,39 (HAQ niedrig) zu 0,72 (HAQ hoch).<br />

• die Medikation (nahezu alle Fälle) konnte fast<br />

durchgehend verringert bzw. auf 1 oder 2<br />

Präparate beschränkt werden.<br />

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Therapeutische Haltung<br />

• "The etiology of schizophrenic illness is to be<br />

sought in events that involve the individual."<br />

(Sullivan 1962, S. 248).<br />

• Eine schiere Unmöglichkeit, bedenkt man die<br />

Mengen an objektiven Forschungsergebnissen zu<br />

Psychosen,<br />

• aber vielleicht doch eine mögliche Unmöglichkeit?<br />

• Bereitschaft und Fähigkeit zum Involvement sind<br />

essenziell für Psychosenpsychotherapeuten.<br />

• Dieser Aspekt ihrer beruflichen Identität schließt<br />

in doppelter Weise Identifizierung ein.<br />

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Identität und Identifizierung<br />

• Das Identifizieren wichtiger Beziehungsepisoden<br />

und ihrer relationalen Struktur (Bindungsmuster)<br />

in Symptomatik, Biographie und Interaktion<br />

• und die Bereitschaft, sich auch partiell mit den<br />

subjektiven Äußerungen der PatientInnen zu<br />

identifizieren.<br />

• Die permanente Suche nach Abbildung wie auch<br />

die nach subjektivem Miterleben machen ein<br />

Kraftfeld (Bischof 1996) aus,<br />

• in dem Psychosepsychotherapeuten operieren<br />

und das auch einen zentralen Aspekt von<br />

Psychosen repräsentiert.<br />

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Identität<br />

• Das narrative Identitätskriterium hat im Vergleich<br />

zum psychologischen (purer Geist) und zum<br />

somatischen (pures Soma) die höchste Affinität<br />

zu den Neurowissenschaften, weil es Selbstreflexivität<br />

und Effekte sozialer Beziehungen im<br />

sozialen Organ `Gehirn´ einschließt (Fischer<br />

2012).<br />

• Es bezieht sich auf die Sprache, eine kognitive<br />

Schlüsselkompetenz, die nicht losgelöst von der<br />

Hirnentwicklung gesehen werden kann, und<br />

erlaubt konkrete Fragestellungen neurowissenschaftlicher<br />

Forschung (Fischer 2012).<br />

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Neurowissenschaftliches<br />

• Stellt man zentralen Aspekten psychotischer<br />

Psychodynamik neurowissenschaftliche, vor allem<br />

f-MRT-Befunde gegenüber, findet man z.B.:<br />

• bei Störungen der Repräsentation bzw. der<br />

Objektbesetzung stark verminderte Fähigkeiten,<br />

äußere Reize zu prozessieren,<br />

• bei Störungen der S-O-Grenze abnorm erhöhte<br />

intrinsische Aktivitäten des Gehirns<br />

• und bei dilemmatischer Ambivalenz zwischen<br />

Selbst und Objekt Störungen der CMS-Aktivitäten<br />

• (Northoff 2011; Northoff und <strong>Dümpelmann</strong> 2013)<br />

Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />

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Therapeutische Haltung<br />

• Was ich gelernt habe:<br />

• Subjektives und Narratives führen nicht in die<br />

Irre.<br />

• Die Frage ist nicht die, was Psychosen oder<br />

Schizophrenie sind,<br />

• sondern die, wie sich Psychosen oder<br />

Schizophrenie ereignen<br />

• und wie sie sich entwickelt haben.<br />

• Und: Diese Rezeption psychotischer<br />

Störungsbilder findet viel Interesse bei den<br />

betroffenen PatientInnen.<br />

Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />

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Ausblick<br />

• Persönliches und allzu Persönliches sind, richtig<br />

verstanden und behandelt, sehr gut kompatibel<br />

mit modernsten Forschungsdesigns.<br />

• Die Gefahr, dass die personale Dimension auch in<br />

der Psychosenbehandlung verloren geht, besteht<br />

• durch einseitig biologistische und auf einen (vermeintlich)<br />

schnellen Nutzen gerichtete<br />

Behandlungskonzepte, die ökonomisch begründet<br />

werden (`personalisierte Psychiatrie´).<br />

• Diese Tendenzen bewirken, Person zentrierte<br />

therapeutische Berufe und Konzepte unnötig zu<br />

machen (Unschuld 2011).<br />

Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />

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