Vortrag Dr. med. M. Dümpelmann, Rosdorf, vom 22.11.2013
Vortrag Dr. med. M. Dümpelmann, Rosdorf, vom 22.11.2013 Vortrag Dr. med. M. Dümpelmann, Rosdorf, vom 22.11.2013
Psychosenpsychotherapie: Erfahrungen, Entwicklungen, therapeutische Haltung. Burghölzli, 22.11.2013 Dr. med. Michael Dümpelmann Asklepios Fachklinikum Tiefenbrunn Michael Dümpelmann Psychosenpsychotherapie Zürich 2013 1
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Psychosenpsychotherapie: Erfahrungen,<br />
Entwicklungen, therapeutische Haltung.<br />
Burghölzli, <strong>22.11.2013</strong><br />
<strong>Dr</strong>. <strong>med</strong>. Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Asklepios Fachklinikum Tiefenbrunn<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
1
Übersicht<br />
• I. Erfahrungen<br />
• Subjektives und seine Rezeption<br />
• Begegnungen und Geschichten<br />
• Narratives und seine Bewertung<br />
• II. Entwicklungen<br />
• Neuere psychodynamische Konzepte<br />
• Kasuistisches und einige Ergebnisse<br />
• III. Therapeutische Haltung<br />
• Identität, Identifizierungen, Ausblick<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
2
Subjektives<br />
• "Der des Faktischen gewohnte Psychiater erfährt<br />
..., dass auch in der fiktionalen Welt der Dichtung<br />
bedeutsame psychopathologische Erkenntnisse<br />
entstanden sind. ........ Was der Dichter dem<br />
Wissenschaftler voraus hat, ist die besondere<br />
Gabe sprachlichen Gestaltens, die auch so schwer<br />
Erfassbares wie psychopathologische Zusammenhänge<br />
verstehbar werden lässt."<br />
• (Tölle `Der in die tiefste Tiefe schaute. E.T.A.<br />
Hoffmann als Psychopathologe´ 2012, S. 7)<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
3
Subjektives<br />
• Diese Wertschätzung subjektiv vermittelter<br />
Inhalte im psychiatrischen Alltag ist nicht<br />
selbstverständlich (McCabe et al. 2002) und<br />
bisweilen auch nicht einfach.<br />
• Therapeutische Effekte hängen aber stark von<br />
der Qualität der erlebten Beziehung zwischen<br />
Patient und Therapeut ab (Okiishi et al. 2003;<br />
Steinacher et al. 2012).<br />
• Subjektiven Mitteilungen und "emotionaler<br />
Aufgehobenheit" wird auch außerhalb der<br />
psychotherapeutic community ein sehr hoher<br />
Stellenwert zuerkannt (Baethge, 2013, S. 1682).<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
4
Begegnungen und Geschichten<br />
• Ein 23jähriger hochbegabter Medizinstudent kam<br />
nach der Erstmanifestation einer paranoidhalluzinatorischen<br />
Schizophrenie zu uns und<br />
erklärte mir genau da, wo ich fragen wollte, was<br />
ihn herführt, mit Nachdruck, er sei Opfer einer<br />
mystischen Attacke und man hätte sein Ich<br />
gestohlen.<br />
• Das ist `Hoffmann pur´, aber keineswegs eine<br />
simple Störung der Realitätsprüfung, sondern<br />
eine der Realitätskonstruktion. Er erlebte seine<br />
Pschychose als existenzielle Kränkung und sich<br />
mir gegenüber extrem minderwertig.<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
5
Begegnungen und Geschichten<br />
• Eine junge Frau, bei uns wegen einer schizoaffektiven<br />
Störung, war mächtig verliebt, was sie<br />
sehr ängstigte. Sie entwickelte den Wahn, eine<br />
giftige Hexe zu sein. Es erleichtert sie aber, dass<br />
ihr Geliebter, Seemann von Beruf, durch<br />
Tausende Kilometer Meer von ihr getrennt war,<br />
weil das viele Wasser ihr Gift neutralisiere.<br />
• Sie war von ihrer Mutter verlassen und stets<br />
zurück gewiesen worden, wenn sie ihre Nähe<br />
suchte. Der Vater parentifizierte sie und weihte<br />
sie habituell in seine Intimbeziehungen ein. Nähe<br />
wurde immer auch invasiv und bedrohlich erlebt.<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
6
Begegnungen und Geschichten<br />
• Eine Patientin, Mitte der 50iger, erlebte sich<br />
überreizt und insbesondere von allem und jedem<br />
sexuell erregt. Sie portraitierte sich mit Kopf und<br />
Extremitäten als kleinen Anhangsgebilden, aber<br />
einer riesigen, nahezu Blatt füllenden Vulva, mit<br />
dicken <strong>Dr</strong>ähten mit der Außenwelt verbunden.<br />
• Die Psychose hatte mit der Liebesübertragung in<br />
einer Therapie begonnen. Sexueller Missbrauch<br />
war nicht eruierbar, aber ein Hassliebe zu der<br />
sich in alles hinein drängenden Mutter, der sie<br />
viele Partnerschaften entgegen zu setzen<br />
versucht hatte.<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
7
Begegnungen und Geschichten<br />
• Die Bildmetapher der Riesenvulva lässt sich<br />
hysterisch `lesen´. Das führt aber leicht dazu, die<br />
augenfällige Sexualisierung in ihrer Funktion als<br />
Verarbeitungsmuster zu übersehen.<br />
• Neben vielen Problemen mit Männern bestand vor<br />
allem - Psychose! - eine gravierende Labilität der<br />
Subjekt-Objekt-Differenzierung (Mentzos 1991).<br />
• So betrachtet vermittelt die Patientin mit dieser<br />
zeichnerischen Darstellung ihr Erleben als schutzlos<br />
ausgeliefertes intimes Kontaktorgan und, dass<br />
sie ihr Innerstes nicht schützen und nicht von der<br />
Außenwelt abgrenzen konnte.<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
8
Narratives<br />
• In den Erzählungen psychotischer Menschen<br />
tauchen oft Erlebnisqualitäten und biografische,<br />
vielfach traumatische Muster in verzerrter Form<br />
auf (Kapfhammer 2013; <strong>Dümpelmann</strong> 2013).<br />
• Sehr häufig sind subjektive Metaphern von Tod<br />
und Untergang (Benedetti 1991) und von<br />
fehlenden Grenzen zwischen Ich und der Welt der<br />
Objekte (Mentzos 1991).<br />
• Der Verlust der Fähigkeit, sich von der Außenwelt<br />
abgrenzen zu können, wird als existenzielle Bedrohung<br />
oder als Untergang der eigenen Person<br />
erlebt (`Todeslandschaften´, Benedetti 1991).<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
9
Narratives<br />
• Parallel zum Dilemma zwischen<br />
• Autismus - aufgegebener Bezug, depersonalisiert<br />
• und Fusion - Verschmelzung, hyperpersonalisiert<br />
(vgl. Mentzos 1991)<br />
• bestehen in der Sprache Konkretismen und Magie<br />
nebeneinander und ermöglichen Sätze wie `Mein<br />
Ich wurde gestohlen´ und `Ich bin Opfer einer<br />
mystischen Attacke´ (vgl. letzte Fallskizze).<br />
• In der Normalbevölkerung würde diese sprachliche<br />
Symbolisierung nicht verstanden.<br />
• Sie gibt aber das subjektive krisenhafte Erleben<br />
des Sprechers eindrucksvoll wieder.<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
10
Narratives<br />
• Eine sprachliche Darstellung mit radikaler<br />
Konzentration auf die Abbildung inneren Erlebens<br />
und Absage an die äußere Realität wird auch dem<br />
`serapiontischen Prinzip´ folgend benannt (nach<br />
Hoffmann 1819; Tölle 2012).<br />
• "Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners"<br />
argumentiert H. v. Foerster (1998).<br />
• Mit sprachlicher Symbolik wird nie pure<br />
Objektivität mitgeteilt.<br />
• Aber emotionales Erleben und relationaler Gehalt<br />
können in symbolischer Sprache beschrieben<br />
werden.<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
11
Narratives<br />
• Psychotische Menschen metaphorisieren oft<br />
verzerrt und schwer verstehbar, bilden aber ihr<br />
subjektives Erleben oft erstaunlich gut ab.<br />
• "Was eine Handlung, Erfahrung oder<br />
psychologische Charakteristika zu einem Teil<br />
einer personalen Identität macht, ist die<br />
Inkorporation in eine selbst-erzählte Geschichte<br />
des eigenen Lebens" (Fischer 2012).<br />
• Wahn und Halluzinationen sind auch Versuche,<br />
die Identität zu wahren, trotz aller "Symbolverzerrung"<br />
(Benedetti 1989, S. 221) und<br />
wodurch auch immer die bedingt ist.<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
12
Neuere psychodynamische Konzepte<br />
• Wenn nun<br />
• aus Angst und Kränkung ein gestohlenes Ich,<br />
• aus Liebe das Empfinden, giftig und gefährlich für<br />
andere zu sein,<br />
• und aus verunsichernder Spannung<br />
terrorisierende sexuelle Erregung werden,<br />
• dann stellt sich die Frage, mit welchen Konzepten<br />
das verstanden und in einen Kontext gebracht<br />
werden kann, der den Betroffenen ermöglicht, die<br />
verzerrte Symbolisierung aufzugeben - sich selbst<br />
und den Objekten der Außenwelt gegenüber.<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
13
Neuere psychodynamische Konzepte<br />
• Psychosen wie Neurosen durch die Aufdeckung<br />
konflikthafter ubw. Motivationen zu behandeln,<br />
verkennt, dass die "Parakonstruktion" (Hartwich<br />
2006, S. 172) von Selbst und Welt dem Erleben<br />
solcher Konflikte genau entgegen gesetzt wird.<br />
• Nicht die `Wortvorstellung´ ist nämlich gestört,<br />
sondern die `Sachvorstellung´ (S.Freud 1915).<br />
• Ein `gestohlenes Ich´ und `mystische Attacken´<br />
entfernen unerträgliche Scham und Kränkung aus<br />
dem Beziehungskontext.<br />
• Grenzen werden so abgedichtet; Therapeuten<br />
sind bei Mystischem erst einmal machtlos.<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
14
Neuere psychodynamische Konzepte<br />
• Wie können die Aussagen psychotischer<br />
Menschen verstanden und bewertet werden?<br />
• Nur als psychopathologische Beschreibung zur<br />
Feststellung einer Krankheitskategorie?<br />
• Zeigen sie auch funktionelle Zusammenhänge<br />
und Erklärungsansätze für die Entwicklung der<br />
Störung auf?<br />
• Zugespitzt: Warum sind Grenzen gestört, ist<br />
emotionale Nähe unerträglich und wozu werden<br />
Objekte wie Affekte <strong>med</strong>ial statt figural (Bischof<br />
1996) umkonstruiert und repräsentiert?<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
15
Neuere psychodynamische Konzepte<br />
Aktuelle psychodynamischer Konzepte für die<br />
Arbeit mit Psychosen stammen insbesondere aus<br />
der Entwicklungspsychologie:<br />
• zum Selbstgefühl (Stern 1998)<br />
• zur Subjekt-Objekt-Grenze (Dornes 1993)<br />
• zur Interaktion (Steimer-Krause 2000)<br />
• zur Affektentwicklung (Krause 1997, Fonagy et<br />
al. 2004, <strong>Dümpelmann</strong> 2010) und<br />
• zur Traumapsychologie (<strong>Dümpelmann</strong> 2003,<br />
Kapfhammer 2013).<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
16
Neuere psychodynamische Konzepte<br />
• Psychopathologische Phänomene von Psychosen<br />
werden im Folgenden<br />
• aktuellen psychodynamischen<br />
• und dann auch neurowissenschaftlichen Befunden<br />
gegenüber gestellt, insbesondere<br />
• die veränderte sprachliche Symbolisierung von<br />
Selbst und Außenwelt,<br />
• die brüchige Grenze zwischen Subjekt und Objekt<br />
(vgl. Klosterkötter 1992)<br />
• und die extreme Ambivalenz und Ambitendenz.<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
17
Kasuistisches<br />
• Fallskizze: Ein älterer Mann mit einer schizoaffektiven Störung,<br />
stark depressiv und suizidal, erlebt sich vergiftet und legt u.a.<br />
elaborierte Schriftsätze zu Umweltgiften vor. Wie er spürt, dass<br />
ich seine Gefühle aufnehme und mitreagiere, fühlt er sich auch<br />
von mir vergiftet, kommt zwar misstrauisch, aber pünktlich und<br />
zuverlässig zu jeder Sitzung.<br />
• Affekte, hier depressive, waren `Gift´ für ihn. Jede Begegnung mit<br />
mir brachte die Gefahr mit sich, damit `angesteckt´ zu werden -<br />
auch von mir.<br />
• Gefühle werden per Wahn zu Gift umkonstruiert.<br />
• Dadurch gelingen - auch in der Interaktion - eine behelfsmäßige<br />
Abgrenzung und die Kontrolle über die Affekte. Der Kontakt bleibt<br />
gerade dadurch erhalten.<br />
• Das Dilemma zwischen hilfloser Bedürftigkeit und Angst vor Nähe<br />
wird gedämpft und die ther. Beziehung wird aber, wenn auch<br />
dysfunktional, geschützt.<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
18
Kasuistisches<br />
• Die hier sichtbar werdende Kontingenz ließ sich auch biographisch<br />
aufklären. Im Alter von 4 Jahren war er zusammen mit seiner<br />
Familie nach einem Bombentreffer verschüttet worden, wobei alle<br />
Erwachsenen und auch sein Vater hilflos schrien, einnässten und<br />
einkoteten. Der `Pestgeruch´ kommt ihm immer wieder in die<br />
Nase und er kann es bis jetzt kaum ertragen, Schmerz- und<br />
Angstschreie zu hören (<strong>Dümpelmann</strong> 2010).<br />
• Zuvor hatte ihn der Vater, wenn er sich schwach zeigte, oft<br />
gedemütigt und mit Schlägen bestraft. Die Mutter schützte ihn<br />
nicht.<br />
• Kulminierend in der Schlüsselszene der Verschüttung hatte er<br />
vielfach die Erfahrung gemacht, dass Hilflosigkeit und vor allem<br />
die Kommunikation der assoziierten Affekte nicht Schutz, sondern<br />
schlimme Folgen bewirken, Strafen bis hin zum Inferno und die<br />
Gefahr des Objektverlusts. Hilflosigkeit und Wünsche nach Schutz<br />
werden mit gefährlichem Gift metaphorisiert.<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
19
Neuere psychodynamische Konzepte<br />
• Subjektive psychotische Inhalte, in denen<br />
relevante biographische, oft traumatische<br />
Erfahrungen verzerrt auftauchen, sind häufig,<br />
• meist dekontextualisiert (Kapfhammer 2013),<br />
• folgen aber oft wichtigen biographischen<br />
Kontingenzen und weisen relationale Strukturen<br />
auf, die für die individuelle Entwicklung von<br />
Selbst- und Beziehungsregulierung und, eng<br />
damit verbunden, für die Entwicklung der<br />
Affektregulierung bedeutsam waren (Fonagy et<br />
al. 2004; <strong>Dümpelmann</strong> 2010).<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
20
Neuere psychodynamische Konzepte<br />
• Der Beitrag der Traumapsychologie ist nicht nur<br />
der, auf Psychosen nach Traumata hinzuweisen<br />
(von Baeyer et al. 1964; Ventzlaff 1968),<br />
• sondern besteht weitaus mehr darin, dass<br />
Psychosen so in einem Entwicklungskontext<br />
erfasst werden können, wobei psychische<br />
Traumatisierungen als ein gewichtiger Faktor der<br />
Genese psychotischer Vulnerabilität erfassbar<br />
werden (Read 1997; <strong>Dümpelmann</strong> 2003).<br />
• Das schließt Auswirkungen auf somatische<br />
Faktoren ausdrücklich ein (Murray 1994; Walker<br />
u. Diforio 1997; Kapfhammer 2013).<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
21
Neuere psychodynamische Konzepte<br />
• Selbst- und Affektentwicklung sind eng<br />
miteinander verbunden. Der gelungene affektive<br />
Austausch zwischen primärer Bezugsperson und<br />
Kind ist das " Präludium" eines kohäsiven<br />
Selbstgefühls (Fonagy et al. 2004, S. 12).<br />
• Trotz der Arbeiten von Ciompi (1997) und<br />
Machleidt (1999) spielen Affekte in Konzepten für<br />
Psychosen gemessen an kognitiven Aspekten nur<br />
eine geringe Rolle.<br />
• Durch die Befunde der Entwicklungspsychologie<br />
ändert sich das, auch in der VT (Vauth u. Stieglitz<br />
2008).<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
22
Neuere psychodynamische Konzepte<br />
• Bei Störungen der Affektregulierung lassen sich<br />
unterschiedliche Typologien unterscheiden<br />
(Krause 1997 u. Fonagy et al. 2004), auch bei<br />
Psychosen (Vauth u. Stieglitz 2008; <strong>Dümpelmann</strong><br />
2010):<br />
• Störungen der Affektwahrnehmung<br />
• Störungen der Affekttoleranz<br />
• Störungen des Erlebens der Wirkmächtigkeit der<br />
Affekte bzw. der Affektexpression.<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
23
Neuere psychodynamische Konzepte<br />
• Störungen der Affektwahrnehmung:<br />
• Z.B. bei katatonen und desorganisierten Syndromen wird<br />
kein/kaum Wahn gebildet. Affekte äußern sich motorisch, in<br />
Unruhe und körperlicher Spannung. Aufkommender Wahn<br />
beruhigt, weil Orientierung und Kommunikation wieder<br />
möglich werden, und seien sie noch so märchenhaft und<br />
`irreal´ (ToM)!<br />
• Therapeutisch vorrangig ist hier, den Kontakt sicher zu<br />
gestalten und zu stabilisieren, für klare Grenzen zu sorgen,<br />
ggfs. Distanzierung und auch einen Abbruch einvernehmlich<br />
zu begleiten und mit Verbalisierungen sehr vorsichtig<br />
umzugehen. Gemeinsame Aktivitäten und nonverbale<br />
Angebote. Fokus: Weitere Fusion vermeiden, Kontakt als<br />
schützend und nicht-invasiv erfahrbar machen.<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
24
Neuere psychodynamische Konzepte<br />
• Störungen der Affekttoleranz:<br />
• Z.B. beim Paranoid können subjektives Selbsterleben und<br />
die zugehörigen Affekte zugelassen und kommuniziert<br />
werden. Aber sie werden meist <strong>med</strong>ial (Bischof 1996)<br />
abgebildet und oft massiv durch Konkretisierung oder<br />
Magie verfremdet und externalisiert (Prototyp:<br />
`Todeslandschaften´, Benedetti 1991).<br />
• Therapeutisch bewährt hat sich, streng klarifizierend und<br />
nicht deutend zu intervenieren, gemeinsam nach Worten<br />
und Sprachbildern zu suchen, das Selbsterleben im Kontakt<br />
zu untersuchen, DBT einzusetzen und ausgiebig expressive<br />
Therapieformen einzusetzen: Gestaltungs-, Musik- und<br />
Körpertherapie, wobei der verbale Anteil flexibel dosiert<br />
werden kann.<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
25
Neuere psychodynamische Konzepte<br />
• Störungen des Erlebens der Wirkmächtigkeit der Affekte:<br />
• Bei psychosenahen oder akut vorüber gehenden Psychosen<br />
können Affekte erlebt und einigermaßen toleriert werden,<br />
oft neurotisch oder mit den Mitteln einer PS verarbeitet, so<br />
lange sie vor anderen verborgen werden können. Fusionäre<br />
Zustände konzentrieren sich auf Situationen, wo das nicht<br />
gelingt. Die psychotischen Symptome sind meist affektnah.<br />
• Therapeutisch wichtig ist, Scham-, Schuldgefühle und<br />
Ängste als aktuell verfügbares Mittel der Regulierung zu<br />
bestätigen, die Symptomentstehung in ihrem Beziehungskontext<br />
zu untersuchen, eine vorsichtige Analyse innerer<br />
Normen und ggfs. auch gut dosierte Expositionstrainings.<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
26
Neuere psychodynamische Konzepte<br />
• Die Kopplung von Selbst- und Affektentwicklung bedingt,<br />
dass Affekte bei geringer Selbstkohäsion und hoher<br />
Durchlässigkeit massive Symptome produzieren<br />
• und mit zunehmend stabilen Grenzen Affekte zunehmend<br />
repräsentiert und kommuniziert werden können, zumindest<br />
in Form von Wahn und Halluzinationen,<br />
• bis hin zu psychosenahen Bildern, bei denen Affekte<br />
weniger verzerrt wieder gegeben werden können.<br />
• Je stabiler durch stabile Grenzen zwischen Selbst und<br />
Objekt differenziert werden kann, desto weniger<br />
erschüttern Affekte die Selbstkohäsion und desto eher<br />
können Affekte zugeordnet, verortet und autonom<br />
verarbeitet werden.<br />
• In der AS von Psychosen sind Affektmobilisierungen die<br />
Regel.<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
27
Ergebnisse<br />
• Nach einer ersten (Leichsenring et al. 2005)<br />
wurde kürzlich eine weitere naturalistische Studie<br />
zu den Therapieeffekten bei psychotischen<br />
Störungen in Tiefenbrunn veröffentlicht<br />
(<strong>Dümpelmann</strong> et al. 2013).<br />
• Es wurden die Daten aller PatientInnen mit<br />
Diagnosen der Gruppe F 2 nach ICD-10<br />
untersucht, die zwischen 1992 und 2013 bei uns<br />
behandelt wurden.<br />
• N=394 max.; mittlere Behandlungsdauer 83,9 d<br />
• 2 EGs/Wo., Gruppen, komplementäre Therapien<br />
und Bezugspflege nach individueller Diagnostik<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
28
Ergebnisse<br />
• Auszüge aus den Prä-Post-Effekten:<br />
• Unsicherheit im Sozialkontakt (SCL-90-R) 0,64<br />
• Psychotizismus (SCL-90-R) 0,59<br />
• allgemeine Symptombelastung (GSI) 0,60<br />
• Beeinträchtigungsschwere (BSS-Gesamt) 1,21<br />
• HAQ, <strong>med</strong>ian-dichtomisiert (1,72), korreliert mit<br />
GSI: 0,39 (HAQ niedrig) zu 0,72 (HAQ hoch).<br />
• die Medikation (nahezu alle Fälle) konnte fast<br />
durchgehend verringert bzw. auf 1 oder 2<br />
Präparate beschränkt werden.<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
29
Therapeutische Haltung<br />
• "The etiology of schizophrenic illness is to be<br />
sought in events that involve the individual."<br />
(Sullivan 1962, S. 248).<br />
• Eine schiere Unmöglichkeit, bedenkt man die<br />
Mengen an objektiven Forschungsergebnissen zu<br />
Psychosen,<br />
• aber vielleicht doch eine mögliche Unmöglichkeit?<br />
• Bereitschaft und Fähigkeit zum Involvement sind<br />
essenziell für Psychosenpsychotherapeuten.<br />
• Dieser Aspekt ihrer beruflichen Identität schließt<br />
in doppelter Weise Identifizierung ein.<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
30
Identität und Identifizierung<br />
• Das Identifizieren wichtiger Beziehungsepisoden<br />
und ihrer relationalen Struktur (Bindungsmuster)<br />
in Symptomatik, Biographie und Interaktion<br />
• und die Bereitschaft, sich auch partiell mit den<br />
subjektiven Äußerungen der PatientInnen zu<br />
identifizieren.<br />
• Die permanente Suche nach Abbildung wie auch<br />
die nach subjektivem Miterleben machen ein<br />
Kraftfeld (Bischof 1996) aus,<br />
• in dem Psychosepsychotherapeuten operieren<br />
und das auch einen zentralen Aspekt von<br />
Psychosen repräsentiert.<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
31
Identität<br />
• Das narrative Identitätskriterium hat im Vergleich<br />
zum psychologischen (purer Geist) und zum<br />
somatischen (pures Soma) die höchste Affinität<br />
zu den Neurowissenschaften, weil es Selbstreflexivität<br />
und Effekte sozialer Beziehungen im<br />
sozialen Organ `Gehirn´ einschließt (Fischer<br />
2012).<br />
• Es bezieht sich auf die Sprache, eine kognitive<br />
Schlüsselkompetenz, die nicht losgelöst von der<br />
Hirnentwicklung gesehen werden kann, und<br />
erlaubt konkrete Fragestellungen neurowissenschaftlicher<br />
Forschung (Fischer 2012).<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
32
Neurowissenschaftliches<br />
• Stellt man zentralen Aspekten psychotischer<br />
Psychodynamik neurowissenschaftliche, vor allem<br />
f-MRT-Befunde gegenüber, findet man z.B.:<br />
• bei Störungen der Repräsentation bzw. der<br />
Objektbesetzung stark verminderte Fähigkeiten,<br />
äußere Reize zu prozessieren,<br />
• bei Störungen der S-O-Grenze abnorm erhöhte<br />
intrinsische Aktivitäten des Gehirns<br />
• und bei dilemmatischer Ambivalenz zwischen<br />
Selbst und Objekt Störungen der CMS-Aktivitäten<br />
• (Northoff 2011; Northoff und <strong>Dümpelmann</strong> 2013)<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
33
Therapeutische Haltung<br />
• Was ich gelernt habe:<br />
• Subjektives und Narratives führen nicht in die<br />
Irre.<br />
• Die Frage ist nicht die, was Psychosen oder<br />
Schizophrenie sind,<br />
• sondern die, wie sich Psychosen oder<br />
Schizophrenie ereignen<br />
• und wie sie sich entwickelt haben.<br />
• Und: Diese Rezeption psychotischer<br />
Störungsbilder findet viel Interesse bei den<br />
betroffenen PatientInnen.<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
34
Ausblick<br />
• Persönliches und allzu Persönliches sind, richtig<br />
verstanden und behandelt, sehr gut kompatibel<br />
mit modernsten Forschungsdesigns.<br />
• Die Gefahr, dass die personale Dimension auch in<br />
der Psychosenbehandlung verloren geht, besteht<br />
• durch einseitig biologistische und auf einen (vermeintlich)<br />
schnellen Nutzen gerichtete<br />
Behandlungskonzepte, die ökonomisch begründet<br />
werden (`personalisierte Psychiatrie´).<br />
• Diese Tendenzen bewirken, Person zentrierte<br />
therapeutische Berufe und Konzepte unnötig zu<br />
machen (Unschuld 2011).<br />
Michael <strong>Dümpelmann</strong><br />
Psychosenpsychotherapie Zürich 2013<br />
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