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<strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
3. <strong>MSD</strong>-FORUM GesundheitsPARTNER<br />
Versorgung gestalten.<br />
Gemeinsam mehr erreichen!<br />
V. E. Amelung · R. Hess · R. Koschorrek · T. Lang · M. Mann<br />
H. Quodt · F. W. Schwartz · P. C. Scriba
Die redaktionelle Bearbeitung dieser Publikation erfolgte durch das inav – privates Institut für angewandte<br />
Versorgungsforschung GmbH. Die inhaltliche Verantwortung der einzelnen Beiträge liegt allein bei den jeweils<br />
genannten Autoren. <strong>MSD</strong> weist ausdrücklich auf die finanzielle Unterstützung dieser Publikation hin.<br />
Die Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten.<br />
ISBN 978-3-927107-10-6
3. <strong>MSD</strong>-FORUM GesundheitsPARTNER<br />
<strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Herausgeber:<br />
V. E. Amelung, R. Hess, R. Koschorrek, T. Lang, M. Mann, H. Quodt, F. W. Schwartz, P. C. Scriba<br />
Autoren:<br />
D. Bahr, M. Bangemann, W. Besier, W. Bölter, B. Denhoven, A. Donat, J. Ertl, A. Feyrer, J. Flohr,<br />
M. Göhl, S. Grandt, D. Griesbeck, L. Hager, G. Hauptmann, F. Herrmann, R. Hess, C. Heun-Letsch,<br />
H. Hildebrandt, M. Hinz, W. Hoffmann, B. Hoffmann, M. Huber, W. Hübner, T. Husemann,<br />
C. Jäger, S. Jedamzik, L. Kasprick, M. Keidel, M. Klemm, J. Klinghammer, A. Kloepfer, H. Knoth,<br />
P. Krase, D. Krollner, H. E. Langer, G. Lanzer, C. Marks, M. Merkel, D. Müller-Wieland, G. Neubauer,<br />
A. Örs, J. Pflaum, B. Pfeiff, R. Pourie, F. Püschner, T. Rampoldt, M. Riedl, U. Rothe, S. Ruchholtz,<br />
T. Ruck, T. Schudde, J. Schulze, S. Schwab, A. Schwarting, R. Thoma, D. Tillack, J. Trinemeier,<br />
N. van den Berg, J. N. Weatherly, M. Wirtz, M. Wüstefeld
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
INHALT<br />
Grußwort .................................................................... 5<br />
Vorwort ..................................................................... 6<br />
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER ............................................. 8<br />
Nominierte Projekte und Preisträger des <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreises 2013<br />
ADAPTHERA ................................................................ 17<br />
AGnES ...................................................................... 27<br />
Algesiologikum ............................................................... 39<br />
Ärztenetz Südbrandenburg (ANSB) ................................................ 51<br />
DAK-Gesundheit .............................................................. 60<br />
Das Sächsische Betreuungsmodell ................................................ 72<br />
GeriVita ..................................................................... 82<br />
GO-LU und PRAVO ............................................................ 93<br />
Risiko-Radar Plötzlicher Herztod .................................................. 103<br />
TraumaNetzwerk DGU ® ........................................................ 112<br />
Weitere innovative Versorgungsprojekte zur Ausschreibung des <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
4sigma ..................................................................... 124<br />
Albertinen Herz- und Gefäßzentrum ............................................... 126<br />
Asklepios Klinik St. Georg ....................................................... 128<br />
Bezirkskrankenhaus Bayreuth .................................................... 131<br />
2
Inhalt<br />
Das Düsseldorfer Modell ....................................................... 134<br />
DermISplus .................................................................. 136<br />
Diabeteszentrum Billstedt-Horn .................................................. 139<br />
DiaLev ...................................................................... 141<br />
donauMED .................................................................. 144<br />
GenoGyn – Prävention-aktiv ..................................................... 147<br />
Gesundes Kinzigtal ............................................................ 149<br />
Institut für Gesundheitsökonomik ................................................. 152<br />
KHK ProMa .................................................................. 155<br />
Klinik-Apotheke des Universitätsklinikums CGC Dresden ............................... 157<br />
KOS e.G. .................................................................... 160<br />
Marienstift Arnstadt ........................................................... 163<br />
McDonald´s Kinderhilfe ......................................................... 165<br />
medicum Hamburg ............................................................ 168<br />
Münchener Pflege Team ........................................................ 170<br />
NetzWerk psychische Gesundheit (NWpG) ......................................... 173<br />
Praxisnetz GO IN e.V. .......................................................... 176<br />
Praxisnetzwerk Nürnberg Süd (PNS) ............................................... 178<br />
Ausschreibung <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2014 ........................................ 180<br />
Herausgeber- und Autorenverzeichnis .............................................. 182<br />
3
Grußwort<br />
GRUSSWORT<br />
Daniel Bahr, Bundesgesundheitsminister<br />
BMG/Dedeke<br />
„Veränderung ist das Gesetz des Lebens. Diejenigen, die nur auf die Vergangenheit oder die Gegenwart<br />
blicken, werden die Zukunft verpassen.“<br />
Die Worte des ehemaligen amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy lassen sich auch auf das Gesundheitswesen<br />
übertragen. Denn der medizinisch-technische Fortschritt und die sich verändernde Altersstruktur<br />
fordern ein ständiges Neu- und Umdenken in der Versorgung der Patientinnen und Patienten.<br />
Wir wollen, dass die Menschen in unserem Land weiterhin auf eines der besten Gesundheitssysteme der<br />
Welt bauen können. Dazu brauchen wir innovative Ideen, die den medizinischen Fortschritt schnellstmöglich<br />
zu ihnen bringen.<br />
Die Gesundheitspolitik kann nur für innovationsfreundliche Rahmenbedingungen sorgen. Für die Umsetzung<br />
werden starke Partner im Gesundheitswesen benötigt, die sich im Bereich Forschung und Entwicklung<br />
engagieren und Ideen entwickeln, mit denen eine bessere Versorgung für die Patientinnen und Patienten<br />
erreicht werden kann.<br />
<strong>MSD</strong> ist einer dieser Partner. Das Unternehmen setzt sich seit mehr als 20 Jahren für einen verbesserten<br />
Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten ein. Mehr noch: Mit seinem ausgelobten Gesundheitspreis würdigt<br />
<strong>MSD</strong> zum zweiten Mal in Folge herausragende Beispiele innovativer Versorgungslösungen Dritter –<br />
und schafft damit Anreize für einen fairen Wettbewerb. Aus diesem Grund habe ich gerne die Schirmherrschaft<br />
über den diesjährigen <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis übernommen.<br />
In diesem Jahr sind zehn Projekte nominiert, die sich in besonderer Weise der Gesundheitsversorgung<br />
und damit den Menschen in unserem Land verpflichtet fühlen. Nicht nur Inhalt und Zielsetzung der Projekte<br />
werden damit geehrt, sondern zugleich auch die Menschen in den Vordergrund gestellt, deren<br />
Ideen und Engagement dabei helfen, unser Gesundheitssystem zukunftsfest zu gestalten.<br />
Die Vielfalt der Projekte zeigt, dass es viele unterschiedliche Ideen im Gesundheitswesen gibt. Und ich<br />
bin überzeugt, dass es aufgrund der Vielzahl an interessanten und qualitativ hochwertigen Vorschlägen<br />
nicht einfach war, unter ihnen die Sieger des <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreises auszuwählen. Aber zu einer Preisverleihung<br />
gehört es – und das wird Jury und Nominierte gleichermaßen trösten –, dass zwar alle gewinnen,<br />
es aber erste, zweite und dritte Sieger gibt. Gerade das macht es doch so spannend.<br />
Ihnen, den Gästen der Preisverleihung, wünsche ich eine schöne Veranstaltung. Ich bin mir sicher, dass<br />
auf der Preisverleihung neue Impulse für zahlreiche Projekte gegeben werden.<br />
5
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
VORWORT<br />
Um die Herausforderungen der Zukunft in der gesetzlichen Krankenversicherung zu meistern, sind neue<br />
Wege erforderlich. Dazu gehören auch innovative Versorgungsstrukturen. Zwar gibt es bereits Ansätze<br />
für innovative, sektorenübergreifende Versorgungsstrukturen, dennoch werden nach wie vor über 90<br />
Prozent der Behandlungsfälle im gesetzlichen System der sektorenbezogenen Regelversorgung erbracht<br />
und abgerechnet. Seit der Einführung des Kassenwettbewerbs um Versicherte im Jahr 1993 bemüht sich<br />
die Reformgesetzgebung in Deutschland zwar um eine integrierte Versorgung, mit der die sektorale Ausrichtung<br />
der Versorgungsstrukturen überwunden werden soll. Dies ist aber bisher nicht flächendeckend<br />
gelungen – von einigen immer wieder vorgezeigten Insellösungen abgesehen (z. B. Gesundes Kinzigtal,<br />
Bundesknappschaft: Prosper, regionale Ärztenetze). Im Gegenteil: In der Regelversorgung hat sich die<br />
ambulante Versorgung weiter aufgesplittert; eine Folge der sektoralen Budgetierung, die zusammen mit<br />
dem Kassenwettbewerb eingeführt wurde. Es gibt somit im deutschen Gesundheitswesen eine Vielzahl<br />
von Einzelbeispielen „innovativer Versorgungsstrukturen“. Bisher sind dabei kassenübergreifende Verträge<br />
eher die Ausnahme. Im Wettbewerb können die einzelnen Krankenkassen kein Interesse daran haben,<br />
ihre Betriebsgeheimnisse durch eine externe Evaluation für Konkurrenten offen zu legen. Es gibt daher<br />
nur wenige evidenzbasierte Erkenntnisse, wie sich die Versorgungsangebote einzelner Krankenkassen<br />
auf eine kassenübergreifende Versorgungsstruktur auswirken würden. Wahrscheinlich ist es auch der<br />
bestehende Wettbewerbsdruck im deutschen Gesundheitswesen, der bisher verhindert hat, dass die<br />
bereits seit 2006 vorgesehene Zusammenführung pseudonymisierter Sozialdaten in einer Datenbank<br />
zum Zweck der Versorgungsforschung oder der epidemiologischen Forschung (§ 303a SGB V) realisiert<br />
wurde. Es gibt daher kaum gesicherte Aussagen darüber, welche der Versorgungsstrukturen, die in selektiven<br />
Verträgen der Krankenkassen vereinbart wurden, gegenüber der Regelversorgung zu einer effizienteren<br />
Versorgung führen würden – und zwar unter Berücksichtigung von Kosten und Qualität.<br />
Der <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis will daher bewusst solche konkreten Versorgungsprojekte würdigen und fördern,<br />
die bereits eine nachhaltige Verbesserung der medizinischen und/oder ökonomischen Ergebnisqualität<br />
gezeigt haben. Wesentliche Voraussetzung für die Preisverleihung ist daher, wo immer es möglich<br />
ist, eine ausreichende externe Evaluation der Ergebnisse eines bereits im Ansatz förderungswürdigen<br />
Modellprojektes durch unabhängige Institutionen. Damit unterscheidet sich dieser Gesundheitspreis von<br />
anderen – ebenfalls zu befürwortenden – Auszeichnungen, mit denen Anreize gesetzt werden sollen für<br />
die Einführung in sich schlüssiger Versorgungskonzepte. Die bisherigen Preisverleihungen zeigen, dass<br />
dieser weitergehende Ansatz einen positiven Einfluss hat auf die Qualität der eingehenden Bewerbungen,<br />
zwingt er doch die Bewerber, nicht nur ein Konzept zu entwickeln, dass die Versorgung verbessern<br />
soll, sondern von vornherein auch geeignete Qualitätsindikatoren zu definieren, um die Ergebnisse messen<br />
zu können – und schließlich, sich der danach vorgenommenen unabhängigen Bewertung zu stellen.<br />
Eine wesentliche Voraussetzung für die inhaltliche Bewertung der eingehenden Bewerbungen ist die<br />
Nachhaltigkeit innovativer Projekte zur Verbesserung der medizinischen und/oder ökonomischen Ergebnisqualität.<br />
Erwünscht sind daher Projekte, die langfristig einen relevanten Effizienzgewinn in der medizinischen<br />
Versorgung erwarten lassen – sei es durch eine bessere medizinische Qualität der Behandlung<br />
oder durch eine bessere Strukturqualität der Versorgung, mit der Wirtschaftlichkeitsreserven freigesetzt<br />
werden. Dies kann – insbesondere im Gegensatz zur sektoral gegliederten Regelversorgung – ein integ-<br />
6
Vorwort<br />
rierender, interdisziplinärer Versorgungsansatz sein, mit dem die bestehenden Schnittstellen überwunden<br />
werden können – durch eine effizientere Kooperation der Beteiligten (bezogen auf die Behandlung einer<br />
Erkrankung), den Einsatz moderner Technologien und die Einbeziehung präventiver oder rehabilitativer<br />
Maßnahmen. Dies kann aber auch eine Weiterentwicklung bereits bestehender Versorgungsprojekte<br />
sein, mit dem Ziel zusätzlicher Effizienzsteigerungen. Nachhaltigkeit bedeutet aber auch, dass die Finanzierbarkeit<br />
eines solchen innovativen Versorgungsprojektes durch einen oder mehrere Kostenträger gesichert<br />
ist.<br />
Wir als Juroren haben den Wunsch, auch 2014 vor die Herausforderung einer großen Zahl qualifizierter<br />
Bewerbungen gestellt zu werden – und diejenigen Projekte in ihrem Einsatz für eine bessere Versorgungsqualität<br />
zu unterstützen, die in einem transparenten Bewertungsverfahren mit einem Preis ausgezeichnet<br />
werden.<br />
Für die Jury<br />
Rainer Hess, Volker E. Amelung, Rolf Koschorrek, Thomas Lang, Mirjam Mann, Friedrich Wilhelm<br />
Schwartz, Peter C. Scriba<br />
Für die Geschäftsführung von <strong>MSD</strong> Deutschland<br />
Hanspeter Quodt<br />
7
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER<br />
<strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Volker E. Amelung, Martin Göhl, Tim Husemann, Thomas Lang, Thomas Rampoldt,<br />
John N. Weatherly, Michael Wüstefeld<br />
Management Summary<br />
Jeder Euro lässt sich nur einmal ausgeben. Wenn es an Mitteln fehlt, muss es erklärtes Ziel sein, den<br />
Mehrbedarf an kostenträchtiger Versorgung über Effizienzsteigerungen zumindest partiell zu decken.<br />
Im derzeitigen Versorgungsgeschehen lassen sich ohne Qualitätseinbußen Milliarden sparen. Optimiertes<br />
Schnittstellenmanagement, Compliance-Steigerung, konkrete Vereinbarungen von Therapiezielen<br />
sowie konsequente Evaluation sind klar erfolgsbestimmende Faktoren.<br />
Übergeordnetes Ziel des <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER ist es daher, die an der Gesundheitsversorgung<br />
Beteiligten an einen Tisch zu bringen, um voneinander zu lernen, sich gegenseitig zu motivieren und<br />
für eine effiziente und effektive Gesundheitsversorgung einzutreten.<br />
© <strong>MSD</strong><br />
Podiumsdiskussion beim 3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER : Marius Milde (AOK Plus), Dr. Rolf Koschorrek (CDU),<br />
Dr. Ursula Marschall (BARMER GEK), Wolfgang van den Bergh (ÄZ), Dr. Carsten Petersen (aha!), Eckehard Becker<br />
(KVSH), Hanspeter Quodt (<strong>MSD</strong>), (v. l.)<br />
8
Versorgung gestalten. Gemeinsam mehr erreichen!<br />
Nominierte und Preisträger des <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreises 2013 gemeinsam mit Juroren und Managing Director<br />
Hanspeter Quodt (<strong>MSD</strong>)<br />
© <strong>MSD</strong>/Bardehle<br />
Der integrierte <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis dient in dieser Hinsicht als Beschleuniger, um innovatives, an<br />
Qualität und Ökonomie orientiertes Denken und Handeln zu fördern.<br />
Der allgegenwärtige Systemwandel betrifft alle, auch <strong>MSD</strong>.<br />
<strong>MSD</strong> will seinen Beitrag zur Effizienzsteigerung und zum Erhalt der hohen Versorgungsqualität in Deutschland<br />
leisten und sich so als akzeptierter und aktiver Partner im Gesundheitswesen etablieren. Dazu gehört<br />
als erstes, Hürden und Vorurteile bei denen abzubauen, die gemeinsam die Gesundheitsversorgung effizienter<br />
und effektiver gestalten könnten. Es gilt Brücken zu bauen, um neue Wege zu gehen.<br />
Beim 3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER kamen mehr als 130 Vertreter aus Wissenschaft, Gesetzlichen<br />
Krankenversicherungen, Praxisnetzen, Managementgesellschaften, Berufsverbänden, Kassenärztlichen<br />
Vereinigungen, sowie Apotheker und Politiker aus dem gesamten Bundesgebiet zusammen.<br />
Sie erhielten relevante Informationen, tauschten sich „sektorübergreifend“ aus und brachten in ergebnisorientierten<br />
Workshops innovative Ideen zu neuen Wegen der Zusammenarbeit ein.<br />
9
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Workshop Ergebnisse<br />
Workshop 1<br />
AMNOG: Tauziehen um Vergleichstherapie und Preise – Zwischenbilanz nach fast 1.000 Tagen<br />
Workshopleitung: Dr. Thomas Lang<br />
Der Workshop begann mit drei Impulsreferaten: Silke Baumann, Leiterin<br />
der Projektgruppe des BMG „Preise, Bewertung und Erstattung von<br />
Arzneimitteln“ erläuterte die Sicht des Ministeriums zum AMNOG. Von<br />
den Erfahrungen der kassenärztlichen Vereinigung mit dem AMNOG<br />
berichtete Dr. Michael Viapiano, der stellvertretende Leiter der Kassenärztlichen<br />
Vereinigung Baden-Württemberg bei der Bezirksdirektion<br />
Karlsruhe. Die Erfahrungen aus Sicht der Krankenkassen beschrieb<br />
Dr. Heinz Giesen.<br />
Die anschließende Diskussion fokussierte zwei Schwerpunkte:<br />
• Welchen Einfluss hat das AMNOG auf die Versorgungsqualität?<br />
© <strong>MSD</strong><br />
• Welche Bedeutung haben die Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung<br />
auf das Verordnungsverhalten der Ärzte?<br />
Die Diskussion zum ersten Themenkomplex ergab, dass mit dem Gesetz nicht nur Kosten begrenzt<br />
werden sollen – auch die Versorgungsqualität solle steigen. Die Patienten sollen Zugang zu Arzneimitteln<br />
mit Zusatznutzen bekommen – also Innovationen mit patienten-relevantem Nutzen. In Bezug auf<br />
die Beurteilungskriterien wurde deutlich, dass bisher häufig der Preis im Fokus stand. Das AMNOG-<br />
Verfahren bietet die Chance zur Selektion von echten Innovationen; dies ist wichtiger als der alleinige<br />
Fokus auf den Preis. Die bisherigen Einsparungen werden auf ca. 120 Millionen Euro geschätzt. Die<br />
Workshop-Teilnehmer bemängeln in diesem Zusammenhang insbesondere eine zu kurzfristige Betrachtung.<br />
Viele (Versorgungs-) Effekte innovativer Medikamente würden erst nach einer längeren Anwendungsphase<br />
wirksam und sichtbar werden, also erst nach mehreren Jahren. Dies liegt zum Teil an<br />
den erforderlichen Daten für eine Beurteilung, die definiert und anschließend erhoben werden müssen.<br />
Solche Daten können aus dem Versorgungsalltag entnommen werden und liegen zum Teil schon vor<br />
(Real-life Daten, beispielsweise von Krankenkassen). Versorgungsstudien im Sinne von prospektiven,<br />
kontrollierten, doppelblinden Studien existieren aber zunächst nicht und können daher noch keine belastbaren<br />
Ergebnisse liefern. Aus Sicht der Workshopteilnehmer müssen allerdings adäquate Anreize<br />
geschaffen werden um, die Möglichkeiten praktikabel zu gestalten. Allgemein erscheint es wichtig, bei<br />
der Bewertung die Patienten präferenzen stärker einzubeziehen. Ebenso wurde gefordert, Wege zu<br />
finden, um Verträge nach § 130c SGB V stärker zu unterstützen.<br />
Die zweite Frage befasste sich mit dem Einfluss des AMNOG auf das Verordnungsverhalten der Ärzte.<br />
Bisher gab es 48 Verfahren zur frühen Nutzenbewertung, 20 Preisverhandlungen sind bereits abgeschlossen.<br />
Praxisbesonderheiten wurden lediglich in Ausnahmefällen vereinbart, was primär auf Unsicherheiten<br />
in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit zurückgeführt wurde. Hier muss mehr Klarheit für die<br />
Ärzte geschaffen werden. Der Information der Ärzte durch alle am System Beteiligten, kommt dabei<br />
eine besondere Rolle zu.<br />
10
Versorgung gestalten. Gemeinsam mehr erreichen!<br />
Workshop 2<br />
Anforderungen an Selektivverträge, um Versorgung erfolgreich zu managen<br />
Workshopleitung: RA Michael Wüstefeld<br />
Antje Domscheit, Referatsleiterin beim Bundesverwaltungsamt, berichtete zunächst über Vertragstypen<br />
und Verträge, die dem Bundesverwaltungsamt vorgelegt wurden. Marius Milde, Bereichsleiter<br />
Versorgungsmanagement der AOK PLUS, gab einen Input zu innovativen Ideen für zukünftige Maßnahmen,<br />
die die Generation innovativer Verträge fördern könnte. Frau Dr. Elisabeth Siegmund-Schultze,<br />
Abteilungsleiterin Versorgungsmanagement der Kaufmännischen Krankenkasse, stellte die Perspektive<br />
der Kassen dar.<br />
Die Diskussion umfasste die zwei zentralen Aspekte:<br />
• Wie sind die Anforderungen an Selektivverträge für eine Genehmigung durch die Aufsicht?<br />
• Wie müssten die Anforderungen angepasst werden, damit Selektivverträge zur Versorgungsoptimierung<br />
schneller bearbeitet werden können?<br />
In der Diskussion zum ersten Punkt wurde deutlich,<br />
dass es vor allem Kommunikationsprobleme sind, die in<br />
der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, Verträge<br />
würden vom BVA kaum bewilligt werden. An dieser<br />
Stelle wurde die Rolle des Bundesversicherungsamtes<br />
(BVA) noch einmal geklärt. Das BVA ist ausschließlich<br />
gehalten, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts<br />
(BSG) umzusetzen. Auch eine Klärung des Begriffes<br />
Integrierte Versorgung (IV) scheint nötig. Zwar konnten<br />
die Gesetze im Jahr 2006 zunächst durchaus so<br />
ausgelegt werden, als sollten sie vor allem zum Testen<br />
neuer Versorgungsformen anregen – in der späteren<br />
Rechtsprechung machte das BSG aber deutlich, dass<br />
die IV die Regelleistungen direkt zu ersetzen hatte. Damit<br />
reicht reine Struktur- oder Prozessoptimierung nicht<br />
aus, selbst wenn gesundheitsökonomische Vorteile belegt<br />
werden können. Zudem stellten die Workshopteilnehmer<br />
fest, dass es sich bei der „Bereinigung“ um<br />
eine gesetzliche Vorgabe ohne jeden Spielraum handelt. Abschließend wurde noch kurz auf derzeitige<br />
Defizite eingegangen. Vor allem im Bereich Pflege und in unterversorgten Regionen gibt es derzeit<br />
noch zu wenig IV.<br />
Der zweite Schwerpunkt lag auf der Frage, wie die Hürden für IV in den nächsten Jahren überwunden<br />
werden können. Nach Meinung der Teilnehmer sollten hier in erster Linie solche gesetzlichen Regularien<br />
abgebaut werden, die einer Veränderung im Wege stehen. Es wurde über einen möglichen Innovationsparagraphen<br />
diskutiert, der alle anderen selektivvertraglichen Regelungen ersetzen könnte. Dieser<br />
Paragraph könnte einen Art Rahmen bieten, der Spielräume eröffnet: auf Seiten der Kassen wie<br />
auch auf Seiten der Leistungserbringer. Auch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) könnten sich<br />
optional beteiligen. Ein Verzicht auf Bereinigung wäre förderlich. Ein sektorenübergreifender Finanztransfer<br />
wäre ein Anreiz (wenn IV beispielsweise stationäre Behandlung oder Pflege spart). Auch im<br />
Bereich der Daten wurde mehr Handlungsspielraum im Sinne eines vorgegeben Rahmens gefordert.<br />
© <strong>MSD</strong><br />
11
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Workshop 3<br />
Versorgung effizienter gestalten – Beispiele aus der Praxis<br />
Workshopleitung: Thomas Rampoldt<br />
Folgende Referenten beschrieben zur Einführung konkrete<br />
Beispiele aus der Praxis: Dr. Thomas Bahr, Gesellschafter der<br />
Management Gesellschaft UG-MaS Nürnberg, Dr. Jürgen Flohr,<br />
Vorstandsvorsitzender des Leipziger Gesundheitsnetz e. V. und<br />
Dr. Detlev Parow, Leiter Abteilung Versorgungsmanagement<br />
bei der DAK-Gesundheit.<br />
Die anschließende Diskussion orientierte sich an folgenden<br />
Schwerpunkten:<br />
• Welche Aufgaben können Praxisnetze im Versorgungsmanagement<br />
übernehmen?<br />
• Welche Grundvoraussetzungen müssen erfüllt werden, um<br />
diese erfolgreich zu leisten?<br />
Zunächst wurde der Titel des ersten Diskussionsschwerpunktes<br />
selbst diskutiert; es wurde entschieden, dass es nicht nur um<br />
Praxisnetze, sondern allgemein um Versorgungsnetze gehen<br />
sollte. Grundsätzlich können diese alle Versorgungsaufgaben<br />
übernehmen. Zentral ist dabei, dass konkrete Ziele definiert<br />
werden, die dann über die Zeit beibehalten oder neu definiert werden können. Außerdem muss<br />
eine Analyse erfolgen – und zwar immer in Bezug auf die spezifische, regionale Versorgungssituation<br />
und orientiert am konkreten Mangel. Das Management sollte durch Behandlungspfade zur Prozessoptimierung<br />
beitragen und die Aufgaben wahrnehmen im Hinblick auf Lotsenfunktion, Terminmanagement<br />
und Bewertung. Wichtig erscheint, sowohl für Patienten als auch für Ärzte die richtigen Anreize zu<br />
setzen.<br />
© <strong>MSD</strong><br />
Während der Diskussion des zweiten Themengebietes kristallisierte sich ein zentrales Stichwort<br />
heraus: Verbindlichkeit. Damit ist beispielsweise Netztreue für Ärzte gemeint wie auch für Patienten.<br />
Auch im Hinblick auf die Führung erscheint Verbindlichkeit sehr wichtig zu sein. Projekte sollten durch<br />
bottom-up-Entscheidungsprozesse legitimiert sein, die Führung muss dann jedoch verbindlich topdown<br />
wahrgenommen werden. Strukturen sind ein weiterer wesentlicher Bereich. Für die ärztliche<br />
Zusammenarbeit müssen Standards entwickelt und in der IT abgebildet werden. Ähnliches gilt für<br />
Prozesse, die beispielsweise durch Case-Management-Ansätze verbessert werden können. Für die<br />
Kommunikation zwischen Arzt und Patient sollte eine Corporate Identity etabliert werden, entsprechendes<br />
Marketing sollte beispielsweise etablierte Ärzte hervorheben. In der Geschäftsstelle sollte<br />
neben der ärztlichen Führung immer auch ein Geschäftsführer und nichtärztliche „Kümmerer“ sitzen.<br />
Auch hier ein zentrales Thema: die richtigen Anreize zu setzen – für Ärzte als auch für Patienten.<br />
12
Versorgung gestalten. Gemeinsam mehr erreichen!<br />
Workshop 4<br />
Förderung von Arztnetzen nach § 87b SGB V – Startschuss oder Fehlstart?<br />
Workshopleitung: Dr. Albrecht Kloepfer<br />
Der Workshop wurde durch drei<br />
Impulsreferate eingeleitet. Thomas<br />
Müller, Geschäftsführer Zentralstab<br />
Unternehmensentwicklung/-steuerung<br />
stellte die Sicht der KV Westfalen-Lippe<br />
auf die bisherige Förderung<br />
dar. Dr. Johannes Thormählen<br />
konnte als Vorstand der GWQ ServicePlus<br />
AG berichten. Und Dr. Veit<br />
Wambach beschrieb die Perspektive<br />
eines erfolgreichen Arztnetzes; er<br />
ist Vorsitzender des Vorstandes Gesundheitsnetz<br />
Qualität und Effizienz<br />
eG sowie Mitbegründer und Vorsitzender<br />
der Agentur deutscher Arztnetze.<br />
Zunächst wurde festgestellt, dass Arztnetze unterschiedliche Funktionen wahrnehmen können. So<br />
steht in Ballungsgebieten etwa ein Qualitätswettbewerb im Vordergrund, während strukturschwache<br />
Regionen bei der Sicherstellung flächendeckender Versorgung unterstützt werden. Arztnetze sollen<br />
dabei als Partner der KV verstanden werden. Problematisch erscheint zum heutigen Zeitpunkt die noch<br />
teils widersprüchliche Überlagerung gesetzlicher Rahmenbedingungen.<br />
Nach diesem Auftakt konzentrierte sich die Diskussion auf zwei Bereiche:<br />
© <strong>MSD</strong><br />
• Was sind die Chancen für die Patientenversorgung durch eine strukturierte Förderung von Arztnetzen?<br />
• Eine Zwischenbilanz und Potential zur weiteren Verbesserung der Fördersituation<br />
Die Diskussion zum ersten Punkt ergab, dass Arztnetze direkt als kommunale Ansprechpartner fungieren<br />
können, ohne notwendigerweise die KV einzubinden. Sie ermöglichen eine verbesserte interdisziplinäre<br />
Zusammenarbeit und ein professionalisiertes Praxismanagement. Eine Fokussierung auf<br />
spezifische regionale Versorgungsherausforderungen, die bestehende Strukturdefizite einbezieht, ist in<br />
solch kleinen und flexiblen Strukturen leichter möglich. Auch Patienten können mit dieser Regionalkompetenz<br />
verbindlicher eingebunden werden – ihre Bedürfnisse werden besser berücksichtigt.<br />
Schon der Beginn der Diskussion über eine Zwischenbilanz machte deutlich, dass es für genau eine<br />
solche Zwischenbilanz eigentlich noch zu früh ist. Arztnetze befänden sich heute eher noch in den<br />
Startvorbereitungen. Für eine weitere erfolgreiche Entwicklung müssen individuelle Potenziale erkannt<br />
und zugelassen werden. Die Räume für eine Entwicklung dürfen daher nicht zu eng gefasst werden.<br />
Diskutiert wurde auch die Idee, den Austausch zwischen den Netzen durch den Gesetzgeber zu fördern.<br />
Mitarbeiter erfolgreicher Arztnetze könnten so andere Netze beim Aufbau unterstützen. Dies<br />
würde vorhandenes Wissen unter anderen Bedingungen nutzbar machen und regionale Versorgungsdefizite<br />
kompensieren helfen.<br />
13
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Workshop 5<br />
Telemedizin: Die Lösung für eine effiziente Patientenversorgung?<br />
Workshopleitung: Dr. Johny N. Weatherly<br />
Der Workshop wurde durch drei Referate eingeleitet. Unterschiedliche Perspektiven wurden dar -<br />
gestellt von Dr. Lutz Hager, Geschäftsführer Versorgung der IKK Südwest, Dr. Siegfried Jedamzik,<br />
Vorstandsvorsitzender des Praxisnetzes GOIN e.V. und Dr. Manfred Klemm, Vorstandsvorsitzender der<br />
Regionales Gesundheitsnetz Leverkusen eG.<br />
Zwei Schwerpunkte wurden in der folgenden Diskussion behandelt:<br />
• Welche wichtigen Annahmen und Rahmenbedingungen müssen bei der Konzeption, Durchführung<br />
und Evaluation im Telemonitoring gegeben sein, damit ein Programm auch in der Sekundärprävention<br />
zum Erfolg wird?<br />
• Welche Rolle kann ein Industriepartner im Telemonitoring spielen?<br />
Die Diskussion befasste sich zunächst mit der Konzeption von Telemonitoring. Es wurde klar, dass<br />
Zielgruppe, Erkrankungen sowie Schweregrade schon von Beginn an konkret definiert und abgegrenzt<br />
werden müssen. Ferner zu beachten sind die Finanzierung, zeitlicher Horizont, Skalierbarkeit der Modelle<br />
(Evaluation) und mögliche Widerstände. Im Bereich der Durchführung geht es zunächst um die<br />
Selektion der richtigen Partner, um sinnvolle Kommunikation mit den Beteiligten und im Folgenden um<br />
deren Training zu ermöglichen. Das Projektmanagement an sich muss professionell angegangen werden,<br />
inklusive einer realistischen Zielgrößenfestlegung mit Unterzielen und der Definition von Erfolgserwartungen.<br />
Im Bereich der Evaluation geht es zunächst um die Erhebung valider Daten unter der<br />
Prämisse „weniger ist mehr“ und immer bezogen auf die zentrale Grundfrage: Funktioniert das Projekt?<br />
Die Workshopteilnehmer zeigten sich überzeugt, dass die Evaluation deutschlandweit oder sogar<br />
europaweit standardisiert werden sollte – mit festgelegten zu erhebenden Endpunkten.<br />
Die Diskussion zum zweiten Themenkomplex<br />
zeigte, dass Industriepartner<br />
grundsätzlich bestehende<br />
Kompetenz zur Verfügung stellen<br />
oder alternativ finanziell unterstützen<br />
können. So können beispielsweise<br />
Konzepte mit ausgearbeitet<br />
oder zur Verfügung gestellt sowie<br />
Erfahrung in der Projektentwicklung<br />
geteilt werden. Teilweise hilft auch<br />
bereits der Zugang zu Daten für ein<br />
spezifisches Projekt. Technikhilfe<br />
und Dienstleistungen (beispielsweise<br />
in der Gerätewartung) sind ebenfalls<br />
ein Thema, genau wie die große<br />
Erfahrung der Industrie im Bereich Schulung/Training. Gegebenenfalls kann auch der Außendienst<br />
für roll-outs genutzt werden. Im Bereich Marketing kann auch eine Handelsmarke die Glaubwürdigkeit<br />
eines Projektes aufwerten. Insgesamt werden möglichst schlüsselfertige Lösungen für eine umgehende<br />
Umsetzung gewünscht.<br />
© <strong>MSD</strong><br />
14
Versorgung gestalten. Gemeinsam mehr erreichen!<br />
Workshop 6<br />
Evaluation von Versorgungsmodellen richtig evaluiert<br />
Workshopleitung: Prof. Volker E. Amelung<br />
Der Workshop wurde durch drei Referate eingeleitet. Olaf Lodbrok, Geschäftsführer von Elsevier, beschrieb<br />
zuerst die Möglichkeiten der standardisierten Evaluation sowie von Matching-Verfahren. Gerade<br />
Evaluationen mit Routinedaten können zukünftig eine wichtige Rolle spielen. Dr. Ursula Marschall von<br />
der BarmerGEK beleuchtete anschließend die Position einer großen Krankenkasse zur Evaluationsthematik<br />
und auch zu den Grenzen der Evaluation. Abschließend stelle Dr. Axel Munte die ärztliche<br />
Perspektive dar.<br />
Die anschließende Diskussion hatte zwei Schwerpunkte:<br />
• Welche Aspekte sind bei der Ausgestaltung einer Evaluation im Versorgungsmanagement zu beachten<br />
– sollte Evaluation standardisiert sein?<br />
• Was sind die Herausforderungen in der Umsetzung, welche Rolle kann die Pharmaindustrie dabei<br />
übernehmen?<br />
Kontrovers wurde die erste Fragestellung diskutiert.<br />
Insbesondere stellte sich die Frage, ob sinnvollerweise<br />
überhaupt alle Versorgungskonzepte evaluiert<br />
werden sollten. In der Praxis hat sich herausgestellt,<br />
dass viele Verträge überhaupt nicht auf eine ausreichende<br />
Teilnehmerzahl kommen, um statistisch<br />
aussagekräftig ausgewertet werden zu können. Bei<br />
derartigen Verträgen gilt es auch zu prüfen, ob<br />
eine Evaluation vom Aufwand her zu rechtfertigen<br />
ist. Weiterer Schwerpunkt der Diskussion war die<br />
Frage, ob Evaluationen standardisiert werden sollten.<br />
So attraktiv dies auf den ersten Eindruck ist, so sehr<br />
muss bezweifelt werden, ob dies sinnvoll umgesetzt<br />
werden kann und ob die Projekte nicht zu unterschiedlich<br />
sind. Vermutlich wird man sich hier nur<br />
auf gewisse methodische Mindestanforderungen und<br />
Indikatoren einigen können. Unstrittig ist allerdings,<br />
dass Evaluationen bereits in der Konzeptionsphase<br />
mitgedacht werden müssen. Eine gute Evaluation muss grundsätzlich gleichzeitig mit dem Projektstart<br />
beginnen; es sollte sichergestellt werden, dass die Ergebnisse publiziert werden.<br />
Deutlich weniger kontrovers war die Diskussion über die Potenziale, die pharmazeutische Industrie<br />
in Evaluationen einzubinden. Insbesondere die hohe epidemiologische Methodenkompetenz in den<br />
Unternehmen könnte hier sinnvoll genutzt werden. Durch die Vielzahl an Studien, die in den Unternehmen<br />
durchgeführt oder begleitet werden, ist der Umgang mit Versorgungsdaten Kerngeschäft der<br />
pharmazeutischen Industrie. Außerdem müsste in der Industrie auch ein ausgesprochen hohes Eigeninteresse<br />
bestehen, an derartigen Studien beteiligt zu sein – schließlich leisten sie einen Beitrag, den<br />
Einsatz der Produkte nach der Zulassung weiter zu verfolgen. Eine ausgesprochen erfolgversprechende<br />
Kombination: komplementäre Kompetenzen und eigener Nutzen für die Produktentwicklung.<br />
© <strong>MSD</strong>/Bardehle<br />
15
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Weitere Informationen zum <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER finden Sie unter:<br />
http://www.msd.de/uebermsd/versorgungsmanagement/msd-forum-gesundheitspartner.html<br />
Ansprechpartner<br />
Dr. med. Tim Husemann<br />
<strong>MSD</strong> Sharp & Dohme GmbH<br />
Direktor Health Care Management & Contracting<br />
Lindenplatz 1<br />
85540 Haar<br />
tim.husemann@msd.de<br />
Martin Göhl<br />
<strong>MSD</strong> Sharp & Dohme GmbH<br />
Health Care Concept Manager<br />
Lindenplatz 1<br />
85540 Haar<br />
martin.goehl@msd.de<br />
16
ADAPTHERA • Das Rheuma-Netzwerk<br />
© <strong>MSD</strong>/Bardehle<br />
Brigitte Pfeiff mit Juror Dr. Thomas Lang<br />
2. Preis:<br />
ADAPTHERA<br />
Das Rheuma Netzwerk<br />
Autoren: Andreas Schwarting und Brigitte Pfeiff<br />
Management Summary<br />
Ziel des Rheuma-Netzwerks ADAPTHERA ist eine verbesserte, flächendeckende Versorgung von Rheuma-Patienten<br />
in Rheinland-Pfalz. Gemeinsam mit den Förderpartnern sowie den Partnern aus Forschung<br />
und dem Bereich der Patientenversorgung strebt ADAPTHERA eine koordinierte und fachgebietsübergreifende<br />
Behandlung an. Begleitende biomedizinische Forschungsprojekte, Schulungskonzepte sowie<br />
der Aufbau eines ADAPTHERA-Rheuma-Registers sollen die Versorgungsqualität zusätzlich verbessern.<br />
Zum Netzwerk gehört eine Vielzahl an Leistungserbringern aus den Bereichen der Primärversorgung und<br />
der Rheumatologie, insbesondere der rheumatologischen Schwerpunktpraxen und dem Hausärzteverband<br />
Rheinland-Pfalz. Initiatoren waren Brigitte Pfeiff vom Verein AIRA e.V. (heute PFEIFF mar.com) und<br />
17
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Prof. Dr. Andreas Schwarting vom SANA Rheumazentrum Rheinland-Pfalz, das seit 1. Januar 2013 unter<br />
ACURA Kliniken Rheinland-Pfalz firmiert.<br />
Seit Beginn der dreijährigen Pilotphase im Jahr 2010 wird ADAPTHERA als „Landesleitprojekt Rheuma“<br />
im Rahmen der Initiative Gesundheitswirtschaft Rheinland-Pfalz gefördert. Das ADAPTHERA Versorgungsnetzwerk<br />
wird dabei vom Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Rheinland-Pfalz<br />
unterstützt, in das begleitende biomedizinische Forschungsprojekt fließen Fördermittel des<br />
Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Klimaschutz und Landesentwicklung Rheinland-Pfalz. Durch<br />
die Kooperationsvereinbarung mit der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz können alle im Land<br />
Versicherten eingeschrieben und so innerhalb der Versorgungskette „Rheumatoide Arthritis“ behandelt<br />
werden.<br />
Partner in der<br />
Forschung<br />
Aira e.V./<br />
Aesku.Kipp Institut<br />
Universitätsmedizin<br />
Mainz (Uni Med)<br />
I<strong>MB</strong>EI,<br />
Institut für Medizinische Biometrie,<br />
Epidemiologie und Informatik<br />
an der Universitätsmedizin der<br />
Johannes Gutenberg – Universität Mainz<br />
Bioinformatik Uni Mainz<br />
IZKS<br />
Apothekeder Uni Med<br />
Hausärzte,<br />
Allgemeinmediziner<br />
Rheumaexperten RPS<br />
ARRP<br />
ADAPTERA<br />
Kassenärztliche Vereinigung<br />
Rheinland-Pfalz<br />
ACURA Kliniken Rheinland-Pfalz AG<br />
Rheumatologische Ambulanz<br />
der Uni Mainz<br />
Partner in der<br />
Patientenversorgung<br />
Rheumaorthopädie Diakoniekrankenhaus<br />
Bad Kreuznach<br />
Rheumaorthopädie Mainz<br />
WHO Zentrum für Rheuma-<br />
Pathologie<br />
Rheumaliga Rheinland-Pfalz<br />
Ministerium für Soziales, Arbeit,<br />
Gesundheit und Demographie<br />
Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz,<br />
Energie und Landesplanung<br />
Forschende Pharma-Unternehmen<br />
Innovative Diagnostik- und Biotech-Unternehmen<br />
Abbildung 1 –<br />
Das Netzwerk ADAPTHERA<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Förderpartner<br />
18
ADAPTHERA • Das Rheuma-Netzwerk<br />
Vom Startzeitpunkt der Patientenaufnahme im Januar 2012 bis August 2013 nahmen im Rahmen der<br />
fachgebietsübergreifenden Patientenversorgung bereits 202 Patienten an dem Projekt teil.<br />
Einleitung<br />
Das Netzwerk ADAPTHERA ist ein neuartiges Kooperationsmodell, das gleichzeitig die zahlreichen und<br />
unterschiedlichen Defizite in den Sektoren Versorgung und Forschung anspricht. Es versteht sich als<br />
„Netz für Netzwerke“ (Schwarting, Pfeiff, 2013). Auf dem Gebiet der Rheumatoiden Arthritis werden die<br />
unterschiedlichsten Partner in der Patientenversorgung und der Forschung sowie entsprechende Förderpartner<br />
zusammengebracht (s. Abbildung 1). In der folgenden Beschreibung steht die Patientenversorgung<br />
im Mittelpunkt.<br />
Versorgungsherausforderung<br />
Entzündlich-rheumatische Erkrankungen betreffen in Deutschland etwa 1,5 Millionen Menschen, das<br />
sind rund zwei Prozent der erwachsenen Bevölkerung (Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie, 2013).<br />
Rheumatoide Arthritis (RA) ist eine Autoimmunerkrankung, bei der die frühe Diagnose eine entscheidende<br />
Rolle spielt. Wenn die Krankheit zu spät erkannt wird, sind die betroffenen Gelenke oft unheilbar<br />
zerstört. Immens sind dabei nicht nur die Auswirkungen auf den einzelnen Betroffenen, sondern auch die<br />
gesamtgesellschaftlichen Kosten dieser Erkrankung. Die Krankheit trifft nicht nur ältere Menschen, sondern<br />
häufig auch Frauen und Männer mitten im erwerbsfähigen Alter (Schwarting/Pfeiff, 2013a). Daher<br />
spielen nicht nur die hohen Behandlungskosten eine Rolle; auch der häufig vollständige Verlust der Arbeitskraft<br />
muss miteinbezogen werden.<br />
Die Behandlungsmöglichkeiten haben sich in den letzten Jahren stark erweitert. Heute können die<br />
Schmerzen nicht nur gelindert werden, es ist vielmehr möglich, eine vollständige Remission der Erkrankung<br />
zu erreichen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Erkrankung frühzeitig diagnostiziert wird. Diese<br />
Entwicklung schlägt sich in neuen Diagnosekriterien nieder, die kürzlich auf internationaler Ebene entwickelt<br />
wurden. Hauptziel ist es, die Frühdiagnose zu erleichtern – denn nur dann ist eine erfolgversprechende<br />
Therapie möglich (Bundesärztekammer/Kassenärztliche Bundesvereinigung, 2010).<br />
Für die Versorgung bedeutet das: Die Krankheit muss früher erkannt und behandelt werden. Das zentrale<br />
Problem ist ein unnötiger Zeitverlust. Auf der Stufe der hausärztlichen Versorgung gibt es häufig immer<br />
noch Informationsdefizite. Daher verstreicht oft schon vor der Überweisung zur richtigen Versorgungsebene<br />
wertvolle Zeit. In der Folge ist dann die zeitnahe Terminvergabe beim Rheumatologen ein Problem.<br />
Die Patienten werden also zu spät beim spezialisierten Rheumatologen vorstellig, der verlässlich diagnostizieren<br />
und die Krankheit für die anschließende Behandlung sinnvoll klassifizieren kann (Aletaha et al.,<br />
2010). In der Folge hat schon ein Jahr nach den ersten Krankheitszeichen die Hälfte der betroffenen<br />
Menschen Schäden an den Gelenken, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Nach zehn Jahren sind<br />
dann etwa 60 Prozent der Erkrankten nicht mehr arbeitsfähig.<br />
Die Herausforderung besteht also darin, Menschen, die neu an rheumatisch-entzündlichem Rheuma<br />
erkranken, schnell zu erkennen und umgehend spezialisiert zu behandeln (Boekle, 2013). Allein in Rheinland-Pfalz<br />
umfasst diese Personengruppe der Neuerkrankten geschätzt jährlich bis zu 3.000 Menschen.<br />
Genauere Zahlen liegen nicht vor, da es bis jetzt kein einheitliches Rheumaregister gibt. Eine Erhebung<br />
dieser Fallzahlen ist ein weiteres Teilziel im Rahmen von ADAPTHERA. Dieser Herausforderung wird<br />
19
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
nun mit einem bundesweit einzigartigen Pilotprojekt begegnet. Eine koordinierte Kooperationsstruktur<br />
ermöglicht Menschen bei Ausbruch ihrer Erkrankung einen schnelleren Zugang zur fachärztlichen Behandlung.<br />
Die Versorgung wird dazu in einem landesweiten, sektorenübergreifenden Netzwerk koordiniert.<br />
Entstehungsgeschichte<br />
Initiatoren waren Brigitte Pfeiff vom Verein AIRA e.V. (heute PFEIFF mar.com) und Prof. Dr. Andreas<br />
Schwarting vom SANA Rheumazentrum Rheinland-Pfalz, das seit 1. Januar 2013 unter ACURA Kliniken<br />
Rheinland-Pfalz firmiert. Am 1. Januar 2012 wurde dann der Versorgungsvertrag für das Netzwerk ADAP-<br />
THERA unterschrieben. Bis heute konnten folgende Partner für das Netzwerk gewonnen werden (Schwarting,<br />
Pfeiff, 2013a):<br />
• Kassenärztliche Vereinigung und Hausärzteverband Rheinland-Pfalz<br />
• Rheumaexperten Rheinland-Pfalz<br />
• Rheumaliga Rheinland-Pfalz<br />
• Universitätsmedizin Mainz mit dem Schwerpunkt Rheumatologie, IZKS (interdisziplinäres Zentrum zur<br />
Koordinierung klinischer Studien) und I<strong>MB</strong>EI (Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und<br />
Informatik)<br />
• ARRP (Arbeitsgemeinschaft der Rheumatologen Rheinland-Pfalz)<br />
• Rheumaorthopädie (Diakonie Bad Kreuznach, Universitätsmedizin Mainz, Stiftsklinikum Koblenz, Westpfalzklinikum<br />
Kaiserslautern)<br />
• WHO Rheumapathologiezentrum der Uni Mainz<br />
• Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Rheinland-Pfalz<br />
• Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung Rheinland-Pfalz<br />
Kernelemente<br />
Versorgungskonzept<br />
Die rechtliche Grundlage für das Versorgungskonzept ADAPTHERA ist ein Kooperationsvertrag mit der<br />
Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz. Der Vertrag wurde für alle gesetzlich Versicherten geschlossen.<br />
Das Modell setzt bereits bei den Hausärzten der kassenärztlichen Versorgung an. Es unterstützt<br />
sie dabei, Verdachtsfälle der Rheumatoiden Arthritis zu erkennen. Ist ein Patient identifiziert, bei<br />
dem Rheumatoide Arthritis bestehen könnte, wird dem Arzt bei der Überweisung geholfen. Innerhalb<br />
kürzester Zeit wird so ein Termin bei einem geeigneten Facharzt oder bei nicht anders lösbaren Engpässen<br />
auch in einer entsprechenden Klinik, die zur ambulanten Versorgung zugelassen ist, ermöglicht.<br />
Die Vertragsärzte erbringen gegenüber den Patienten Leistungen im Rahmen der regulären Versorgung.<br />
Darüber hinaus werden Leistungen im Netzwerk ADAPTHERA zusätzlich angeboten und vergütet. Rheumatologen,<br />
die im Netzwerk ADAPTHERA aktiv sind, können bei gesetzlich versicherten Patienten, die<br />
an ADAPTHERA teilnehmen, also zusätzliche Ziffern abrechnen.<br />
20
ADAPTHERA • Das Rheuma-Netzwerk<br />
ADAPTHERA zeichnet sich durch einen sehr einfachen und niedrigschwelligen Zugang für Patienten<br />
als auch für Leistungserbringer aus. Hausärzte treten dem Netzwerk automatisch bei, wenn sie die<br />
ADAPTHERA Sonderziffer das erste Mal gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung abrechnen. Es<br />
muss dabei nicht nach Krankenkassen unterschieden werden. Das ADAPTHERA-eigene Faxformular,<br />
mit dem die Hausärzte ihre Patienten an Rheumatologen weiterleiten, beinhaltet nur vier zu bestätigende<br />
Fragen.<br />
Zielgruppe<br />
Die Rheumatoide Arthritis betrifft rund ein Prozent der Bevölkerung und ist damit die häufigste Autoimmunerkrankung.<br />
Bei Frauen ist sie rund zwei- bis dreimal häufiger als bei Männern. Die meisten Menschen<br />
erkranken zwischen dem 40. und dem 50. Lebensjahr. ADAPTHERA richtet sich an alle Menschen<br />
in Rheinland Pfalz, die neu an Rheumatoider Arthritis erkranken. Allein in Rheinland-Pfalz umfasst diese<br />
Personengruppe der Neuerkrankten jährlich bis zu 3.000 Menschen. Eine Teilnahme ist unabhängig von<br />
einer speziellen Krankenversicherung für alle möglich. Hausärzte können Patienten der gesetzlichen Krankenversicherungen<br />
einfach aufnehmen, ohne einen speziellen Vertrag unterzeichnen zu müssen. Damit<br />
gibt es nun für die gesamte Zielgruppe in diesem Bundesland einen barrierefreien Zugang zu einem umfassenden<br />
Versorgungskonzept.<br />
Versorgungselemente<br />
Eine wesentliche Ursache für die späte zielgerichtete Behandlung Rheumatoider Arthritis ist eine Unterversorgung<br />
mit Rheumatologen in Deutschland. Dies ist vor allem in einem Flächenland wie Rheinland-<br />
Pfalz ein großes Problem. Nach Berechnungen der Rheumaliga bräuchte dieses Bundesland allein<br />
50 (zusätzlich zu den derzeit 14) weitere niedergelassene Rheumatologen für ein optimales Arzt-Rheumapatienten-Verhältnis<br />
(Schwarting/Pfeiff, 2013). Dieses Problem kann leider realistisch nicht durch eine<br />
massive Ausweitung von Rheumatologen gelöst werden. Stattdessen wird angestrebt, die bestehenden<br />
Ressourcen bestmöglich zu nutzen.<br />
Dies wird durch eine Struktur erreicht, die durch bessere Vernetzung die zielgerichtete Behandlung von<br />
Fällen mit Priorität erlaubt. Das ist die Leistung des Netzwerks ADAPTHERA: es integriert die gesamte<br />
Versorgungskette „Rheumatoide Arthritis“ horizontal, vom Hausarzt bis zur Universitätsmedizin. Vertikal<br />
werden alle Stufen der Versorgung abgedeckt: von Früherkennung über die ambulante und stationäre<br />
Therapie bis hin zur Rehabilitation. Damit wird eine zentrale Terminkoordinierung möglich. Die Patienten<br />
erhalten den schnellstmöglichen Termin zur Vorstellung beim Rheumatologen – oder alternative Vorschläge,<br />
wenn Rheumatoide Arthritis ausgeschlossen werden kann. Durch diesen Vorfilter werden nur echte<br />
Verdachtsfälle zu den beteiligten Rheumatologen weitergeleitet.<br />
Somit ist ein wichtiges Element des Modells ein abgestuftes Screeningprogramm. Patienten mit ersten<br />
Anzeichen von früher Arthritis werden vom Primärversorger (Hausarzt, Orthopäde etc.) an die Schwerpunkt-Rheumatologen<br />
in der Früharthritis-Klinik überwiesen. Bestätigt sich die Diagnose, werden die<br />
Patienten in das Pilotprojekt übernommen. Hier werden dann auch die klinischen Daten erfasst und<br />
das serologische und gegebenenfalls bioptische Material gesammelt. Der Rheumatologe erarbeitet<br />
dann gemeinsam mit dem Patienten und dem Hausarzt einen angemessenen Therapieplan (Biermann,<br />
2012). Lässt sich die Diagnose (noch) nicht bestätigen, wird der Patient für eine spätere Wiedervorstellung<br />
erfasst. Die einzelnen Elemente und der Ablauf im Modell sind in Abbildung 2 noch einmal dargestellt.<br />
21
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Abbildung 2 – Risikoadaptierte individualisierte Rheumatherapie<br />
Hausärzte/primärer<br />
Versorgungssektor (Internisten,<br />
Orthopäden, etc.)<br />
Leitstelle SRZ/KK<br />
Frühe Arthritis<br />
Einschreibung in das Modell<br />
Screening I<br />
Dokumentation<br />
Wissenschaftliche Leitstelle<br />
positiv<br />
Termin innerhalb von<br />
1–2 Wochen<br />
negativ<br />
Früharthritis Klinik<br />
Rheumaorthopädie<br />
Screening II<br />
(rheumatologische<br />
Basisdiagnostik)<br />
Biopsie<br />
Arthritis – Verdacht nicht<br />
bestätigt<br />
Arthritis – Verdacht<br />
bestätigt<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Ausscheiden aus dem<br />
Modell<br />
Risikoadaptiertes<br />
interdisziplinäres<br />
Versorgungskonzept<br />
Mehrwert<br />
Die einzigartige, umfassende Kooperation ermöglicht rund 4,5 Millionen Einwohnern in Rheinland-<br />
Pfalz – ungeachtet ihrer Versicherung – den Zugang zu einer optimierten Versorgung von Rheumatoider<br />
Arthritis. Durch verbesserte Koordination in einem sektorenübergreifenden Netzwerk wird kostbare Zeit<br />
gespart. In den ersten zwölf Monaten Laufzeit wurden die Patienten im Netzwerk im Mittel 23,7 Tage<br />
nach dem ersten Besuch beim Hausarzt, beim Rheumatologen vorgestellt. Dies ist ein großer Zeitgewinn<br />
im Vergleich zum deutschen Durchschnitt von 13 Monaten (Schwarting, Pfeiff, 2013). Es ist dieser Zeitvorsprung,<br />
der in vielen Fällen vollständige Remission überhaupt erst möglich macht.<br />
Durch die vollständige Integration aller Versorgungsebenen wird der Patient über den gesamten Krankheitsverlauf<br />
lückenlos begleitet. Alles wird aus einer Hand geboten: Primärversorger (Hausarzt, Orthopäde),<br />
die Versorgungsebene Facharzt Rheumatologie, die Akutversorgung stationär und die Versorgungsebene<br />
Rehabilitation. Grabenkämpfe zwischen der Versorgung in der Fläche und klinischen oder<br />
universitären Einrichtungen werden so vermieden.<br />
Die Patienten erleben koordinierte und transparente Übergänge zwischen den beteiligten Sektoren der<br />
Behandlungskette. Klare Vorgaben für die Teilnahme am Versorgungsnetzwerk führen außerdem zu einer<br />
Verkürzung der Wartezeiten an den Schnittstellen, beispielsweise für Erstvorstellungstermine beim Facharzt<br />
für Rheumatologie. Insgesamt stieg die Quote fachärztlich betreuter Patienten mit Rheumatoider<br />
Arthritis. Die verbesserte Koordination verringert unkontrollierte Verschreibungen und die damit verbundenen<br />
vermeidbaren Nebenwirkungen medikamentöser Therapie.<br />
22
ADAPTHERA • Das Rheuma-Netzwerk<br />
Gleichzeitig werden durch den breiten, niedrigschwelligen Zugang schnell und ausreichend Patientendaten<br />
für eine Weiterentwicklung der Therapie gewonnen. Somit können Behandlung und Forschung im<br />
Netzwerk sinnvoll verknüpft werden. Gemeinsam wird eine individuell optimierte Therapie entwickelt, die<br />
schon zu Beginn der Erkrankung die Aussage über die wirksamste Therapiestrategie für den individuellen<br />
Patienten ermöglicht (Becker et al., 2013). Die dafür notwendige Datenerhebung nutzt gängige Software<br />
und findet via iPad statt. Alle an ADAPTHERA teilnehmenden rheumatologischen Praxen wurden hierfür<br />
mit iPads ausgestattet. Diese sind einfach bedienbar für Ärzte, Praxisassistenten und Patienten. Sie motivieren<br />
zur Teilnahme und sichern damit eine gute Qualität der Daten.<br />
Finanzierung<br />
Die Finanzierungsstrategie bindet bewusst mehrere Quellen ein. Hierdurch sollen das ADAPTHERA<br />
Rheuma-Netzwerk und die entstehenden Versorgungsstrukturen gesichert werden – nachhaltig und<br />
möglichst unabhängig von politischen Strategiewechseln.<br />
Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Rheinland-Pfalz unterstützte den Start<br />
von ADAPTHERA maßgeblich und fördert das Versorgungsnetzwerk in der dreijährigen Pilotphase als<br />
„Landesleitprojekt Rheuma“ im Rahmen der Initiative Gesundheitswirtschaft Rheinland-Pfalz.<br />
Hinzu kommen erhebliche Eigenmittel der Initiatoren: Mittel, die der Optimierung des Netzwerks und der<br />
Versorgungsforschung zur Verfügung stehen.<br />
Die dritte Säule der Finanzierung neben Fördermitteln und Eigenmitteln sind aktiv eingeworbene Fremdmittel<br />
(Sponsorengelder, Spenden und Einnahmen aus kooperativen Forschungsprojekten).<br />
Allein für den Aufbau der Struktur des Versorgungsnetzwerks stehen so insgesamt rund 550.000 Euro<br />
zur Verfügung. Gesetzliche Krankenkassen wurden bisher bewusst nicht in die Finanzierung der Pilotphase<br />
eingebunden, um ein barrierefreies und flächendeckendes Angebot zu schaffen – wichtig für die Betroffenen<br />
und die Qualität der Versorgungsforschung.<br />
Für die ADAPTHERA Forschungsprojekte und den Aufbau des ADAPTHERA RheumaRegisters fließen in<br />
der Pilotphase bis März 2014 zusätzlich rund 1.485.000 Euro aus Eigenmitteln der Initiatoren und durch<br />
Förderung des Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Klimaschutz und Landesentwicklung Rheinland-<br />
Pfalz ebenfalls im Rahmen der Initiative Gesundheitswirtschaft Rheinland-Pfalz.<br />
Management<br />
Das Schlüsselelement für eine erfolgreich individualisierte Rheumatherapie ist eine kontinuierliche Koordination<br />
der im Netzwerk zusammengeschlossenen Partner. Nur so werden nämlich eine reibungslose<br />
Zusammenarbeit, ein optimales Patientenmanagement und ein lückenloser Datenaustausch möglich.<br />
Die Koordination ist allerdings eine Herausforderung, da die Beteiligten sehr verschieden sind und<br />
sehr unterschiedliche Aktivitäten im Netzwerk wahrnehmen. Sie wird bei ADAPTHERA daher von einer<br />
Koordinationszentrale übernommen. Diese leistet das Netzwerk-Management, also die Koordination der<br />
Netzwerkpartner im Versorgungsnetzwerk, sowie das Patientenmanagement. Außerdem sichert sie die<br />
Qualität der Versorgungsabläufe und entwickelt das Netzwerk fortwährend weiter.<br />
Auch koordiniert die Zentrale die gemeinsame interne und externe Kommunikation aller an der Initiative<br />
beteiligten Partner. Vor allem kümmert sie sich um verschiedenste Austauschmöglichkeiten der Partner<br />
untereinander (Newsletter, Meetings etc.), um die Präsentation des gesamten Netzwerks nach außen<br />
und die Akquise neuer Partner, Handlungsfelder oder Projekte. Aber auch für Patienten oder die interes-<br />
23
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
sierte Öffentlichkeit wird ein Informationsangebot bereitgestellt. Solch eine Aufklärung ist speziell bei<br />
dieser Erkrankung wichtig für eine erfolgreiche Therapie. Häufig ist die lange Zeitspanne bis zur zielgerichteten<br />
Therapie nicht nur mit langen Wartezeiten bei spezialisierten Ärzten zu erklären, eine Rolle<br />
spielen oft auch Angst und mangelnde Aufklärung der Patienten (Schwarting, Pfeiff, 2013). Um hier Abhilfe<br />
zu schaffen, wird mittels verschiedener Kanäle auf die Erkrankung und das Netzwerk aufmerksam<br />
gemacht. Neben einer umfangreichen Homepage wird im Internet beispielsweise auch ein Film auf<br />
YouTube angeboten (Roeingh, 2013). Direkt vor Ort ist das Netzwerk mit Aktionen bei großen Arbeitgebern<br />
vor Ort – sogar eine Rheuma-Bustour wird durchgeführt. Auch telefonisch ist die Koordinationszentrale<br />
über eine direkte Patienten-Hotline erreichbar. Die ADAPTHERA Koordinationszentrale ist damit<br />
zentraler Ansprechpartner für Patienten, Ärzte und Öffentlichkeit, aber auch für Spender, Sponsoren oder<br />
zukünftige Partner.<br />
Für die Koordination der im Netzwerk stattfindenden medizinischen Forschung und Versorgungsforschung<br />
hat das Netzwerk neben der ADAPTHERA Koordinationszentrale eine Studienzentrale eingerichtet.<br />
Hier werden auch der Aufbau, die Betreuung und die Weiterentwicklung der Datenbank ADAPTHERA<br />
RheumaRegister vorangetrieben. Damit soll eine fortlaufende Verbesserung der Versorgung von Rheumapatienten<br />
ermöglicht werden.<br />
Evaluation<br />
Das ADAPTHERA Rheuma-Netzwerk wurde im Rahmen der Bewilligung der Fördermittel mehrfach extern<br />
begutachtet, sowohl durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung als auch durch Deutsche-Forschungsgemeinschaft-Gutachter<br />
des Wissenschaftsministeriums Rheinland-Pfalz. Nach den<br />
ersten zwölf Monaten wurden die Ergebnisse Anfang 2013 evaluiert und auf Zielerreichung überprüft.<br />
Insgesamt wurden bis zum 31. August 2013 500 Patienten von den Primärversorgern zugewiesen. 202<br />
davon erfüllten nach dem Termin beim Rheumatologen die Kriterien zur Aufnahme in das Rheumanetzwerk<br />
ADAPTHERA (s. Abbildung 3). 66 Prozent waren Frauen, der Altersgipfel lag bei 55 Jahren. Sie<br />
werden seit der Erstvisite den Qualitätszielen des Netzwerks entsprechend engmaschig begleitet und<br />
alle drei Monate gesehen (Schwarting et al., 2013).<br />
Abbildung 3 – Qualität der Zuweisungen<br />
190<br />
nach Akuttermin<br />
ausgeschlossen<br />
98<br />
Kriterien nicht erfüllt<br />
202<br />
frühe RA<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Durch umfangreiche Kommunikationsmaßnahmen und auf Grund des einfachen Zugangs für Patienten und<br />
Primärversorger haben sich Patienten aus dem gesamten Bundesland angemeldet. Die untenstehende<br />
Grafik veranschaulicht noch einmal die flächendeckende Versorgung früher Rheumatoide Arthritis Patienten<br />
im Netzwerk.<br />
24
ADAPTHERA • Das Rheuma-Netzwerk<br />
Abbildung 4 – Flächendeckende Versorgung<br />
1<br />
1<br />
3<br />
1 2 2 Betzdorf<br />
2<br />
1<br />
31<br />
1<br />
5<br />
2<br />
4<br />
2 1<br />
1<br />
19 4 1026<br />
1 2<br />
Bad Neuenahr/ 1<br />
2<br />
Ahrweiler<br />
Montabaur<br />
Koblenz<br />
3<br />
2 5<br />
3<br />
Bad Ems<br />
3<br />
4<br />
3<br />
Cochem<br />
23<br />
1 1<br />
3<br />
1<br />
1<br />
4<br />
3<br />
3 5<br />
1<br />
1<br />
4<br />
2<br />
Wittlich<br />
3<br />
5<br />
3<br />
1<br />
46 1<br />
1<br />
2<br />
8<br />
1<br />
Mainz<br />
1 1<br />
1<br />
2<br />
1<br />
Simmern<br />
27<br />
4 22<br />
Bingen 1<br />
1<br />
3<br />
1<br />
1<br />
3<br />
2<br />
Bad Kreuznach<br />
5<br />
Trier<br />
1 2<br />
Alzey 5<br />
10<br />
Worms<br />
1 1<br />
1 2<br />
1 11 10<br />
2<br />
1 1<br />
1<br />
3<br />
2<br />
Kusel<br />
1<br />
Ludwigshafen<br />
3 Bad Dürkheim<br />
1<br />
2<br />
10<br />
Kaiserslautern<br />
1 4 1<br />
2<br />
5<br />
4 3 6<br />
51<br />
1 Speyer<br />
8<br />
4 4<br />
1<br />
Zweibrücken<br />
8<br />
Pirmasens Landau<br />
3<br />
1 17<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Nächste Schritte<br />
Gegen Ende der Pilotphase besteht nun die Möglichkeit, das Netzwerk weiter auszubauen. Neben der<br />
Rheumatoiden Arthritis ist geplant, andere rheumatische Erkrankungen einzuschließen. Aufgrund der<br />
gut laufenden Kooperationen lassen sich weitere Krankheitsbilder verhältnismäßig einfach als weiteres<br />
Modul angliedern. Ein Ziel ist es – in Analogie zur Rheumatoiden Arthritis – die Frühdiagnose aller rheumatischen<br />
Erkrankungen zu verbessern. In Kooperation mit Arbeitgebern entsteht gerade ein Konzept zur<br />
allgemeinen Prävention muskuloskelettaler Erkrankungen, dessen Ergebnisse die Darstellung der Epidemiologie<br />
und Versorgung von Rheuma-Patienten vervollständigen werden.<br />
Die Rehabilitation chronisch kranker Patienten spielt eine große Rolle. Daher wird eine Rehabilitationsbehandlung<br />
für jeden ADAPTHERA Patienten angestrebt. Damit kann umfassender geholfen werden, als es<br />
die Akutmedizin mit ihren vor allem medikamentösen Ansätzen tun kann. Die Rehabilitation umfasst physiotherapeutische<br />
Aspekte (Kraft, Haltung, Ausdauer), ergotherapeutische und psychologische Aspekte<br />
(Anti-Stress Training) sowie sozialmedizinische Aspekte (berufliche Situation, GdB, Umschulung etc.). Ein<br />
Teilprojekt (s.u.) wird sich mit dem Effekt der Schulung auf die Compliance der Patienten im Verlauf auseinandersetzen.<br />
ADAPTHERA hat den Aufbau eines sich dynamisch entwickelnden Rheumaregisters zum Ziel. Über die<br />
bestehenden Datensammlungen auf dem Gebiet der Rheumatoiden Arthritis hinaus soll dieses Register<br />
nicht nur Patienten- und Versorgungsdaten sammeln, sondern sie auch mit dem Erfolg gewählter diagnostischer<br />
und therapeutischer Strategien verbinden (bis hin zum Anwendungsverhalten von Arzneimitteln,<br />
siehe Maiwald, 2013). Damit könnte die Versorgung in diesem Bereich umfassend evaluiert und<br />
optimiert werden.<br />
Nach dem PDCA-Zyklus des Qualitätsmanagements („plan-do-check-act“) werden aus identifizierten<br />
Schwachstellen des Netzwerkes kontinuierlich Verbesserungsvorschläge abgeleitet und umgesetzt. Sollte<br />
es sich etwa in Zukunft herausstellen, dass im Bereich einzelner Primärversorger zu häufig falsche<br />
positive Verdachtsdiagnosen gestellt werden, wird die Rheumaliga Rheinland-Pfalz in einzelnen Regionen<br />
teilnehmende Kollegen gezielt nachschulen – als Partner im ADAPTHERA Projekt, mit ihrem Patient-<br />
Partner Programm und zusammen mit Rheumatologen.<br />
25
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Ansprechpartner<br />
Prof. Dr. Andreas Schwarting<br />
Ärztlicher Direktor<br />
ACURA Kliniken Rheinland-Pfalz AG<br />
Kaiser-Wilhelm-Straße 9–11<br />
55543 Bad Kreuznach<br />
Telefon: 0671 – 93-2230<br />
E-Mail: andreas.schwarting@kh-acura-kliniken.com<br />
Brigitte Pfeiff<br />
ADAPTHERA Marketing + Kommunikation<br />
Telefon: 0170 – 4478 684<br />
E-Mail: ADAPTHERA@email.de<br />
Literatur<br />
ADAPTHERA (2013). Qualität der Zuweisungen. Interne Studiendaten vom 31.8.2013. Erhältlich über ADAPTHERA.<br />
ADAPTHERA (2013a). Flächendeckende Versorgung. Posterbeitrag. Erhältlich über ADAPTHERA.<br />
Becker, Marc; Menke, Julia; Tenzer, Stefan; Schild, Hansjörg; Wlodarski, Alexandra; Jeremias, Patricia; Trinder, Peter; Pfeiff,<br />
Brigitte; Maar, Bettina; Golbas, Mitra; Schwarting, Andreas (2013). ADAPTHERA – Das barrierefreie rheumatologische Versorgungsnetzwerk<br />
in Rheinland-Pfalz: Identifizierung von Biomarker-Profilen in Patientenproben mit diagnostizierter früher<br />
Rheumatoider Arthritis. Erhältlich über ADAPTHERA. Im Erscheinen.<br />
Biermann, Hans (2012). ADAPTHERA-Netzwerk in Rheinland-Pfalz: Kooperation mit Sana-Rheuma-Zentrum. In Orthopädische<br />
Nachrichten vom 23.4.2012. Abgerufen 5.9.2013, http://www.biermann-verlag.de/fachbereiche/orthopaedie/kliniken-praxen/kooperation-sana-rheuma-zentrum.<br />
Boekle, Ruth (2011). Lemke: Wirksamere Therapien bei Rheuma durch innovative Technologien. Rheinland-Pfalz Ministerium<br />
für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung. Pressemitteilung. 5.9.2013. http://www.mwkel.rlp.de/icc/internet/nav/08c/fe770101-a350-6401-a3b2-1714462b74cf,1b611b3a-8857-1318-86f6-2465e1df7d18,,,aaaaaaaa-aaaa-aaaa-aaab-000000000042&_ic_selumen=08c70d79-8d1c-7501-be59-26196bb7cb65&attr=8ae7077e-6af7-3a21-2fc5-be-<br />
150da4e825.<br />
Bundesärztekammer/Kassenärztliche Bundesvereinigung (2010). Neue Rheumaklassifikation soll Frühdiagnose erleichtern. In<br />
Ärzteblatt online vom 11. August 2010. 11.9.2013: http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/42315.<br />
Daniel Aletaha, Tuhina Neogi, Alan J. Silman, Julia Funovits, David T. Felson, Clifton O. Bingham, Neal S. Birnbaum, Gerd R.<br />
Burmester, Vivian P. Bykerk, Marc D. Cohen, Bernard Combe, Karen H. Costenbader, Maxime Dougados, Paul Emery, Gianfranco<br />
Ferraccioli, Johanna M. W. Hazes, Kathryn Hobbs, Tom W. J. Huizinga, Arthur Kavanaugh, Jonathan Kay, Tore K.<br />
Kvien, Timothy Laing, Philip Mease, Henri A. Ménard, Larry W. Moreland, Raymond L. Naden, Theodore Pincus, Josef S.<br />
Smolen, Ewa Stanislawska-Biernat, Deborah Symmons, Paul P. Tak, Katherine S. Upchurch, Jirˇí Vencovsky´, Frederick<br />
Wolfe, and Gillian Hawker: 2010 Rheumatoid Arthritis Classification Criteria: An American College of Rheumatology/European<br />
League Against Rheumatism Collaborative Initiative. ARTHRITIS & RHEUMATISM Vol. 62, No. 9, September 2010,<br />
pp 2569–2581.<br />
Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (2013). Rheuma in Zahlen – Betroffene Menschen in Deutschland. Zuletzt abgerufen<br />
am 11.9.2013 unter: http://dgrh.de/fileadmin/media/Die_DGRH/Presse/Rheuma_in_Zahlen_presse_aktual.pdf.<br />
Maiwald, Kerstin; Krämer, Irene; Pfeiff, Brigitte; Schwarting, Andreas (2013). Arzneimittel-Compliance im Rheuma-Versorgungsnetzwerk<br />
ADAPTHERA: Untersuchung der Arzneimittelanwendung bei Patienten mit Rheuma, die mit Methotrexat<br />
peroral oder subkutan behandelt werden. Erhältlich über ADAPTHERA. Im Erscheinen.<br />
Roeingh, Friedrich (2013). Wendelsheimer „Aesku.Kipp Institut“ setzt mit „ADAPTHERA“ auf Aufklärung und bessere Patientenversorgung.<br />
In Allgemeine Zeitung Rhein-Main Presse online, vom 09.02.2013. Abgerufen: 12.9.2013. http://www.allgemeine-zeitung.de/region/alzey/vg-woellstein/wendelsheim/12820333.htm.<br />
Schwarting, Andreas; Pfeiff, Brigitte; Amberger, Christopher; Pick, Dorothea; Hesse, Martin; Jendro, Michael Christian; Engels,<br />
Jörg; Böttger, Anke; Trautmann, Frank; Kuhn, Christoph; Majdandzic, Jozo; Ziese, Walter; Stadelmann, Marie-Luise; Dinges,<br />
Harald; Ultes-Kaiser, Sigrid; Menke, Julia; Hazenbiller, Anna; Bergmann, Gudrun; Nichelmann, Valentina (2013). Das rheumatologische<br />
Versorgungsnetzwerk ADAPTHERA: landesweitflächendeckend, barrierefrei-transsektoral. Erste Ergebnisse.<br />
Erhältlich über ADAPTHERA. Im Erscheinen.<br />
Schwarting/Pfeiff (2013). ADAPTHERA: Netzwerk für Individualisierte Rheumatherapie. 11.9.2013. http://gesundheitswirtschaft.rlp.de/no_cache/massnahmen/landesleitprojekte/?cid=107753&did=89425&sechash=0c317cf5.<br />
Schwarting/Pfeiff (2013a). Bewerbung um den <strong>MSD</strong> Gesundheitspreis 2013. Erhältlich über ADAPTHERA.<br />
26
AGnES • Eine innovative Option für die regionale Versorgung<br />
© <strong>MSD</strong>/Bardehle<br />
Dr. Neeltje van den Berg mit Juror Prof. Peter C. Scriba<br />
3. Preis:<br />
AGnES<br />
Eine innovative Option für die regionale Versorgung<br />
Autoren: Neeltje van den Berg und Wolfgang Hoffmann<br />
Management Summary<br />
Hauptziel des AGnES-Konzeptes ist die Entlastung von Hausärzten durch speziell qualifizierte Mitarbeiter<br />
des Praxisteams (Pflegefachkräfte, medizinische Fachangestellte, ArzthelferInnen). Das Konzept basiert<br />
auf der Delegation ärztlicher Leistungen, diese Leistungen werden beim Patienten zu Hause erbracht –<br />
ohne Beisein des behandelnden Arztes. Die Hausärzte können dadurch mehr Patienten in ihren Praxen<br />
betreuen.<br />
27
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
In Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt wurden zwischen 2005 und<br />
2008 insgesamt sieben Modellprojekte in Regionen durchgeführt, die von hausärztlicher Unterversorgung<br />
bedroht oder bereits unterversorgt sind; daran nahmen 55 Ärzte und 37 speziell qualifizierte nichtärztliche<br />
Fachkräfte teil. Neben den AGnES-Fachkräften wurden sektorübergreifend auch Apotheker und<br />
weitere Berufsgruppen einbezogen.<br />
Im Rahmen der Pilotprojekte machten die AGnES-Fachkräfte 11.228 Hausbesuche bei 1.430 Patienten;<br />
der Altersdurschnitt der Patienten lag dabei bei 79 Jahren.<br />
Durch eine Gesetzesänderung in § 87 Absatz 2b SGB V, die im März 2008 im Rahmen des Pflegeweiterentwicklungsgesetzes<br />
durch den deutschen Bundestag verabschiedet wurde, wurde die Delegation<br />
hausärztlicher Tätigkeiten außerhalb der Rufweite des Arztes erstmals grundsätzlich erlaubt. Das Konzept<br />
wurde ab dem 1.4.2009 in die Regelversorgung überführt.<br />
Die Abkürzung AGnES steht für arztentlastende, gemeindenahe, E-Health-gestützte, systemische Intervention.<br />
Einleitung<br />
In vielen ländlichen Gebieten in Deutschland steigt der Anteil der älteren Bevölkerung rapide an. Gleichzeitig<br />
gehen derzeit viele Ärzte in den Regionen in den Ruhestand (van den Berg et al., 2009). Häufig ist<br />
es schwierig, Nachfolger für frei werdende Hausarztpraxen zu finden. Daher benötigen diese Regionen<br />
innovative Konzepte, um dem sich abzeichnenden Mangel in der Primärversorgung zu begegnen.<br />
Das vorliegende Projekt widmet sich dieser Herausforderung. Bestimmte Aufgaben, die der Hausarzt<br />
üblicherweise im Haus der Patienten durchführt, werden an speziell ausgebildete, nicht-ärztliche Gesundheitsberufe<br />
delegiert. Damit kann die Anzahl von Patienten pro Hausarzt erhöht und dem möglichen<br />
Notstand entgegengewirkt werden.<br />
Versorgungsherausforderung<br />
Ein Blick auf die demographische Entwicklung in Deutschland macht die Herausforderung deutlich. Eine<br />
höhere Lebenserwartung kombiniert mit einer rückläufigen Geburtenrate bedeuten einen fortwährenden<br />
Anstieg des Anteils älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung. Obwohl die Bevölkerung in Deutschland<br />
aktuell durch Zuwanderung meist jüngerer Menschen steigt (Statistisches Bundesamt, 2013), wird<br />
diese Entwicklung nicht ausgeglichen. Die Zuwanderung ist zum einen nur auf die alten Bundesländer<br />
beschränkt. Zum anderen macht sich ein starkes Stadt-Land-Gefälle bemerkbar (s. Tabelle 1).<br />
Vor allem in ländlichen Regionen der neuen Bundesländer leben überproportional viele ältere Menschen.<br />
Die veränderte Altersstruktur in diesen Regionen geht mit einem erhöhten Anteil an Krankheitsbildern<br />
einher, die typisch sind für ältere Menschen. Beispiele hierfür sind chronische Erkrankungen, Einschränkungen<br />
der Mobilität und insbesondere Demenz. Häufig treten Erkrankungen auch in Kombination auf<br />
(Multimorbidität). Aus diesem Grund steigt der Bedarf an haus- und fachärztlicher Versorgung – genauso<br />
wie der Bedarf an stationären Behandlungen, rehabilitativen Anwendungen und Pflegeleistungen. Des<br />
Weiteren verändern sich die sozialen Strukturen. So nehmen Familienwohnstrukturen ab, wohingegen<br />
der Anteil an Single-Haushalten steigt. Dies hat unter anderem Konsequenzen für die familiäre Unterstützung<br />
bei der Familienpflege. Auch hiervon sind vor allem ländliche Regionen stark betroffen.<br />
28
AGnES • Eine innovative Option für die regionale Versorgung<br />
Tabelle 1 – Bevölkerungszahlen 2011 und 2012 nach Bundesländern<br />
Bundesland<br />
Bevölkerung am<br />
31.12.2011 31.12.2012<br />
Veränderung insgesamt<br />
In 1000 In 1000 in %<br />
Baden-Württemberg 10 512,4 10 569,1 56,7 0,5<br />
Bayern 12 443,4 12 519,6 76,2 0,6<br />
Berlin 3 326,0 3 375,2 49,2 1,5<br />
Brandenburg 2 453,2 2 449,5 – 3,7 – 0,1<br />
Bremen 652,2 654,8 2,6 0,4<br />
Hamburg 1 718,2 1 734,3 16,1 0,9<br />
Hessen 5 993,8 6 016,5 22,7 0,4<br />
Mecklenburg-Vorpommern 1 606,9 1 600,3 – 6,6 – 0,4<br />
Niedersachsen 7 774,3 7 779,0 4,7 0,1<br />
Nordrhein-Westfalen 17 544,9 17 554,3 9,4 0,1<br />
Rheinland-Pfalz 3 990,0 3 990,3 0,2 0,0<br />
Saarland 997,9 994,3 – 3,6 – 0,4<br />
Sachsen 4 054,2 4 050,2 – 4,0 – 0,1<br />
Sachsen-Anhalt 2 276,7 2 259,4 – 17,3 – 0,8<br />
Schleswig-Holstein 2 802,3 2 806,5 4,3 0,2<br />
Thüringen 2 181,6 2 170,5 – 11,1 – 0,5<br />
Deutschland 80 327,9 80 523,7 195,8 0,2<br />
Früheres Bundesgebiet (ohne Berlin-West) 64 429,3 64 618,6 189,3 0,3<br />
Neue Länder (ohne Berlin-Ost) 12 572,6 12 529,9 – 42,7 – 0,3<br />
Quelle: In Anlehnung an Statistisches Bundesamt (2013).<br />
Der demografische Wandel mit all seinen Facetten führt daher zu großen Herausforderungen für das<br />
deutsche Gesundheitssystem. Die Schwierigkeit liegt vor allem in der flächendeckenden Versorgung,<br />
abgestimmt auf die regionalen Unterschiede. Mit geänderter Demographie in ländlichen Gebieten ändern<br />
sich auch Aufgabenbreite, Diagnose- und Therapiezielvorstellungen. Vor allem interdisziplinäres Arbeiten<br />
durch die Vielzahl unterschiedlicher Erkrankungen – häufig bei ein und demselben Patienten – wird zum<br />
wichtigen Thema. Dies bedeutet, dass unterschiedliche Berufsgruppen enger zusammen arbeiten – wie<br />
Ärzte, Zahnärzte, Krankenpfleger oder Physiotherapeuten. Es bedarf einer umfassenden, integrierten und<br />
langfristigen Betreuung von altersbedingten Erkrankungen (Hoffmann, 2013).<br />
Ein besonderes Problem zeichnet sich speziell im Bereich der Allgemeinärzte ab. Mit ihren umfassenden,<br />
wohnortnahen medizinischen Leistungen spielen sie in Deutschland eine tragende Rolle in der primären<br />
Gesundheitsversorgung. Und als „Landärzte“ tragen sie in den ländlichen Regionen, vor allem in den<br />
neuen Bundesländern, einen großen Teil der genannten neuen Belastungen. Gleichzeitig scheinen sie<br />
jedoch gerade hier eine „aussterbende Spezies“ zu sein, wie eine aktuelle Kampagne zeigt (Kassenärztliche<br />
Vereinigung, 2013).<br />
29
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Seit 1999 ist die Zahl der Hausärzte in den neuen Bundesländern bereits um 1.041 gesunken, das entspricht<br />
einem Rückgang um 11,4 Prozent. Bis 2020 werden hier – je nach Bundesland – zwischen 38 und<br />
48 Prozent aller Hausärzte in den Ruhestand gehen (Kopetsch, 2010). Und sogar diese Zahlen zeigen nur<br />
einen Teil des Problems: die regionalen Ungleichgewichte sind nämlich so erheblich, dass in einigen Planungsbereichen<br />
die angestrebte Versorgung nicht mehr geleistet werden kann. Das hier beschriebene<br />
Projekt setzt an diesem Engpass des deutschen Gesundheitswesens an.<br />
Entstehungsgeschichte<br />
Das AGnES-Konzept wurde zwischen 2005 und 2008 in insgesamt sieben Modellprojekten in praxisnahen<br />
Studien erprobt. Dies geschah in Form prospektiver Implementationsstudien. Prospektiv bedeutet,<br />
dass Daten nach der Hypothesenerstellung speziell für die Überprüfung der Hypothese gesammelt werden.<br />
Es wurde die Implementation eines innovativen Versorgungsmodells für die Delegation hausärztlicher<br />
Tätigkeiten erprobt. Die Projekte fanden in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und<br />
Sachsen-Anhalt statt. Durch eine Gesetzesänderung in § 87 Absatz 2b SGB V im März 2008 wurde die<br />
Delegation hausärztlicher Tätigkeiten außerhalb der Rufweite des Arztes dann erstmals grundsätzlich erlaubt.<br />
Das AGnES-Konzept wurde mit dem zweiten Quartal 2009 in die Regelversorgung überführt (Van<br />
den Berg et al., 2010a).<br />
Kernelemente<br />
AGnES steht für Arztentlastende, Gemeindenahe, E-Healthgestützte, Systemische Intervention. Das<br />
Konzept sieht die Delegation hausärztlicher Leistungen an Angehörige nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe<br />
vor (z. B. medizinische Fachangestellte, Pflegekräfte). Die Leistungen werden überwiegend im Rahmen<br />
von Hausbesuchen durchgeführt. Somit kann die Anzahl der Patienten, die ein Hausarzt in seiner Praxis<br />
betreuen kann, bedeutend erhöht werden.<br />
In den Studien wurden die Machbarkeit und Akzeptanz des Konzepts bei Hausärzten und Patienten untersucht<br />
sowie die Effekte des AGnES-Konzeptes auf die Versorgung der Patienten. Die Modellprojekte<br />
unterscheiden sich im Setting, um möglichst unterschiedliche Rahmenbedingungen einzubeziehen. So<br />
sind Einzelpraxis, Gemeinschaftspraxis, Medizinisches Versorgungszentrum, Zweigpraxis und auch lokaler<br />
Hausärzteverbund vertreten. Auch unterschiedliche Beschäftigungsformen wurden berücksichtigt<br />
(Vollzeit oder Teilzeit). Tabelle 2 zeigt eine Übersicht über alle durchgeführten AGnES-Projekte.<br />
Versorgungskonzept<br />
Bisher durften ärztliche Leistungen nur in Rufweite eines Arztes stattfinden. Bei dem AGnES-Konzept ist<br />
das anders. Bestimmte Leistungen werden hier von medizinischen Fachangestellten oder Pflegekräften<br />
nicht in der Arztpraxis, sondern bei Hausbesuchen im Wohnraum des Patienten und in Abwesenheit des<br />
Arztes durchgeführt. In das Projekt werden sektorenübergreifend Berufsgruppen der Versorgung mit<br />
einbezogen – zum Beispiel Hausärzte, medizinische Fachangestellte, Pflegekräfte, Apotheker, Physiotherapeuten<br />
oder Wundschwestern.<br />
Die teilnehmenden Hausärzte bestimmen, welche Patienten gemeinsam von der AGnES-Fachkraft und<br />
dem Hausarzt betreut werden. Außerdem legen die Hausärzte fest, wie häufig Hausbesuche durchgeführt<br />
werden und welchen Anteil davon die AGnES-Fachkraft übernehmen darf. Auch über die Tätigkeiten,<br />
welche die AGnES-Fachkraft durchführt, entscheidet der beteiligte Arzt.<br />
30
AGnES • Eine innovative Option für die regionale Versorgung<br />
Tabelle 2 – Übersicht über die AGnES-Pilotprojekte<br />
AGnES-<br />
Projekt<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
Phase 2–3<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
Phase 4<br />
Brandenburg Sachsen Sachsen-<br />
Anhalt<br />
Projekt laufzeit 06/06 – 03/07 07/07 – 12/08 07/06 – 12/08 03/07 – 12/08 12/07 – 07/08 01/06 – 12/07<br />
Neubrandenburg<br />
(Qualifikationsprojekt)<br />
Projektförderung<br />
Ministerium<br />
für Gesundheit<br />
und Soziales<br />
Ministerium<br />
für Gesundheit<br />
und Soziales<br />
KV M-V<br />
Setting Einzelpraxen Lokale<br />
Hausärzte-<br />
Netzwerke<br />
AGnES-<br />
Fachkräfte (N)<br />
Teilnehmende<br />
Hausärzte (N)<br />
Patienten<br />
– Frauen<br />
– Männer<br />
Durchschnittsalter<br />
Patienten<br />
(Jahre)<br />
Altersbereich<br />
der Patienten<br />
(Jahre)<br />
83<br />
60<br />
23<br />
Europäischer<br />
Sozialfond<br />
Ministerium<br />
für Arbeit und<br />
Soziales, Gesundheit<br />
und<br />
Familie<br />
Medizinisches<br />
Versorgungszentrum<br />
Europäischer<br />
Sozialfond<br />
Ministerium<br />
für Soziales<br />
KV Sachsen<br />
Gesetzliche<br />
Krankenkasse<br />
Einzel- und<br />
Zweigpraxen<br />
Ministerium<br />
für Gesundheit<br />
und Soziales<br />
KV Sachsen-<br />
Anhalt<br />
AOK Sachsen-<br />
Anhalt<br />
Einzel- und<br />
Gemeinschaftspraxen<br />
EQUAL/<br />
InCareNet<br />
Einzel-, Zweigund<br />
Gemeinschaftspraxen<br />
3 3 3 6 8 14<br />
2 20 5 8 6 14<br />
351<br />
237<br />
114<br />
379<br />
244<br />
135<br />
282<br />
211<br />
71<br />
154<br />
123<br />
31<br />
74,5 77,9 76,7 81,5 80,5 79,8<br />
38–93 27–99 21–100 43–98 54–99 38–97<br />
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an van den Berg/Hoffmann (2013).<br />
181<br />
126<br />
55<br />
In der Regelversorgung wurde das AGnES-Konzept auf Regionen beschränkt, in denen Unterversorgung<br />
besteht oder droht, oder ein besonderer Versorgungsbedarf vorliegt. Für die Regelversorgung wurde eine<br />
Vergütung von 17 Euro einschließlich Fahrtkosten festgelegt (12,50 Euro für den Besuch eines weiteren<br />
Patienten in derselben häuslichen Gemeinschaft, für den Besuch eines Patienten in Alten- oder Pflegeheimen<br />
und/oder für den zweiten oder weiteren Besuch im Rahmen der postoperativen Versorgung).<br />
Die Qualifizierung anhand des AGnES-Curriculums (Dreier et al., 2009) wurde mit reduzierter Stundenzahl<br />
in die Regelversorgung übernommen und beträgt jetzt 170 bis maximal 220 Stunden.<br />
Für die Integration nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe in die hausärztliche Versorgung wurde als Weiterentwicklung<br />
des AGnES-Curriculums das modulare „Greifswalder 3-Stufen-Modell“ entwickelt. Die erste<br />
Stufe qualifiziert zur Übernahme von ärztlichen Tätigkeiten, die in Rufweite des Arztes und damit in der<br />
Arztpraxis ausgeführt werden sollen. In der zweiten Tätigkeitsstufe des Konzeptes delegiert der Arzt<br />
ausgewählte und spezifisch definierte Tätigkeiten, die in Haus oder Wohnung des Patienten stattfinden.<br />
In der dritten Stufe delegiert der Arzt medizinische Tätigkeiten, die ebenfalls beim Patienten zu Hause<br />
erfolgen. Diese sollen mit einem erhöhten Maß an Eigenständigkeit durchgeführt werden.<br />
31
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Zielgruppe<br />
Das Konzept wurde speziell für Regionen entwickelt, in denen nicht genügend Hausärzte vorhanden sind<br />
oder in denen ein sonstiger besonderer Versorgungsbedarf besteht. Das Modell richtet sich damit einerseits<br />
an Hausärzte, die in solchen Regionen im Bereich delegierbarer Gesundheitsleistungen unterstützt<br />
werden müssen. Gleichzeitig zielt es auch auf Patienten ab, denen damit in solchen Regionen trotz<br />
Ärztemangels eine hochwertige medizinische Versorgung zukommen kann (siehe Evaluation). Alter und<br />
Geschlecht der Zielgruppe sind in Tabelle 2 abgebildet.<br />
Versorgungselemente<br />
Zentrale Elemente des Konzepts sind:<br />
• Hausärztliche Tätigkeiten<br />
• Medikationsanamnese<br />
• Geriatrisches Assessment<br />
• Sturzprophylaxe mit Wohnungsbegehung<br />
• Telemedizin<br />
• Palliativversorgung.<br />
Wichtige Aspekte sind die umfangreiche Dokumentation der gesundheitlichen Situation und die delegierten<br />
Tätigkeiten. Die Daten werden direkt zuhause bei den Patienten in mobile Tablet-PCs eingegeben und<br />
mit Hilfe einer speziell entwickelten Dokumentationssoftware standardisiert dokumentiert. Dies ermöglicht,<br />
alle erhobenen und gemessenen diagnostischen und therapeutischen Parameter lückenlos nachzuvollziehen.<br />
Die am häufigsten delegierten Maßnahmen sind in Tabelle 3 dargestellt.<br />
Zusätzlich wurde in den abgeschlossenen Projekten von allen AGnES-Fachkräften ein detailliertes Fahrtenbuch<br />
geführt. Auch alle geplanten und nicht geplanten Gespräche und Interaktionen mit dem Hausarzt<br />
wurden darin registriert. So kann das Tätigkeitsspektrum der AGnES-Fachkräfte fortlaufend detailliert<br />
ermittelt und die einzelnen Tätigkeiten juristisch überprüft und bewertet werden. Außerdem lässt dies<br />
eine gesundheitsökonomische Berechnung der erforderlichen Vergütung für delegierte Hausbesuche zu.<br />
Auch das modulare AGnES-Curriculum wurde aus den Ergebnissen und Erfahrungen der Projekte entwickelt.<br />
Mehrwert<br />
Das Delegieren von Hausbesuchen brachte die gewünschte Entlastung für die Ärzte. Eine Auswertung<br />
der Abrechnungsdaten von vier teilnehmenden Hausarztpraxen ergab eine Zunahme der Anzahl der<br />
behandelten Patienten während der Projektlaufzeit um durchschnittlich 133 Patienten pro Quartal (van<br />
den Berg et al., 2012). Dies bedeutet eine Kompensation von einem Drittel bis zur Hälfte der Hausarztsitze<br />
in einer Region. Dies ist ein zentraler Erfolg, wenn in Zukunft Hausarztsitze nach Ausscheiden von<br />
Hausärzten nicht mehr nachbesetzt werden können (van den Berg et al., 2010a).<br />
Für den Patienten gab es zusätzlich einen nachweisbaren Mehrwert durch eine verbesserte Medikamentengabe<br />
(Fiß et al., 2010; Hoffmann et al., 2011). Mehr Patienten verfügten über eine Medikamentenliste<br />
und erhielten Unterstützung bei der Vorbereitung und Einnahme ihrer Medikamente. So stieg die Therapietreue<br />
insgesamt an, während von weniger Nebenwirkungen berichtet wurde.<br />
32
AGnES • Eine innovative Option für die regionale Versorgung<br />
Finanzierung<br />
Die notwendige Vergütung für den Hausbesuch einer AGnES-Fachkraft wurde modellhaft berechnet.<br />
Dabei wird die Versorgung eines größeren Patientenstammes in unterversorgten Regionen zu Grunde<br />
gelegt. Zu den Parametern der Modellrechnung zählen:<br />
• Laufende Personal-, Sach- und Investitionskosten für eine AGnES-Fachkraft<br />
• Kapazität einer AGnES-Fachkraft<br />
• Eingesparte Zeit des Hausarztes<br />
• Möglichkeit der Durchführung zusätzlicher Tätigkeiten des Hausarztes am Beispiel von Konsultationen<br />
in der Praxis<br />
• Umsatzverlust durch nicht selbst durchgeführte Hausbesuche.<br />
An dieser Stelle wurden Fahrtkosten vernachlässigt, da Fahrtkostenpauschalen bei hausärztlichen Hausbesuchen<br />
im EBM separat abgerechnet werden. Die in der Modellrechnung verwendeten Werte beruhen<br />
auf dem Durchschnitt aus rund 7.000 Hausbesuchen bei etwa 900 verschiedenen Patienten im Rahmen<br />
der Modellprojekte.<br />
Die Kapazität einer AGnES-Fachkraft wurde mit 1.200 Hausbesuchen pro Jahr berechnet. Die jährliche<br />
zeitliche Entlastung für den Hausarzt bei voller Kapazitätsauslastung einer AGnES-Fachkraft liegt dann bei<br />
rund 500 Stunden. Diese 500 Stunden sind schon bereinigt um die benötigte Zeit für Übergabegespräche<br />
und ungeplante Rücksprache sowie die mit den Hausbesuchen verbundene Koordinationstätigkeit.<br />
80 Prozent der eingesparten Zeit, also 400 Stunden, werden im Rechenmodell in zusätzliche Konsultationen<br />
in der Hausarztpraxis investiert. Dies entspricht circa 2.200 zusätzlichen Konsultationen in der<br />
Praxis. Bei angenommenen drei Konsultationen pro Patient im Quartal, ergibt dies einen zusätzlichen<br />
Umsatz von 29.627 Euro pro Jahr. Auf der Basis dieser Parameter wurde eine Vergütung für den Hausbesuch<br />
durch eine AGnES-Fachkraft in Höhe von 21,58 Euro berechnet (van den Berg, 2010a).<br />
Management<br />
Die teilnehmenden Hausärzte bestimmen, welche Patienten gemeinsam von der AGnES-Fachkraft und<br />
dem Hausarzt betreut wurden. Darüber hinaus legten die Hausärzte die Frequenz der Hausbesuche fest,<br />
die Verteilung der Hausbesuche zwischen einer AGnES-Fachkraft und einem Arzt sowie die durch die<br />
AGnES-Fachkraft durchzuführenden Tätigkeiten. Zusätzlich zu einzelnen Aufgaben wurden Module mit<br />
standardisierten Verfahren und Dokumentationen entwickelt. Diese Module decken Bereiche ab wie<br />
Medikationsanamnese, geriatrisches Assessment, Sturzprophylaxe mit Wohnungsbegehung, Telemedizin<br />
und Palliativversorgung. Sie umfassen mehrere Fragebögen, Tests und/oder Messungen, kombiniert mit<br />
den jeweiligen Patientendaten (Alter, Geschlecht, Diagnosen, Mobilität oder Pflegestufe).<br />
Mit einer speziell entwickelten Projektdokumentationssoftware konnten Patientendaten standardisiert dokumentiert<br />
werden, ebenso die delegierten Tätigkeiten und die speziellen Module einschließlich sämtlicher<br />
erhobenen und gemessenen diagnostischen und therapeutischen Parameter. Die für die einzelnen Module<br />
und Tätigkeiten benötigte Zeit wird ebenfalls automatisiert mitgespeichert. Um einen schnellen und sicheren<br />
Datenfluss zu ermöglichen, wurden die Informationen und Daten direkt vor Ort in mobile Tablet-PCs<br />
eingegeben. Dies ermöglicht ein fortwährendes Management des Programmes sowie Verbesserungen<br />
und Weiterentwicklungen. Wahrgenommen werden diese Funktionen vom Institut für Community Medicine,<br />
Abteilung Versorgungsepidemiologie und Community Health der Universitätsmedizin Greifswald.<br />
33
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Evaluation<br />
Bei allen AGnES-Projekten wurden die teilnehmenden Ärzte, die AGnES-Fachkräfte und die Patienten<br />
standardisiert befragt. Abgefragt wurden:<br />
• Akzeptanz des Konzeptes bei allen beteiligten Gruppen<br />
• Tatsächliche Arztentlastung durch die AGnES-Fachkraft<br />
• Erforderliche und tatsächlich vorhandene Kompetenzen der AGnES-Fachkraft<br />
• Qualität der medizinischen Versorgung innerhalb des Projektes.<br />
Zusätzlich wurde von den AGnES-Fachkräften ein detailliertes Fahrtenbuch geführt, in dem Fahrten und<br />
sämtliche geplanten und nicht geplanten Gespräche und Interaktionen mit dem Hausarzt registriert<br />
wurden. Somit konnte auf Basis der Auswertungen der Projektdokumentation, der standardisierten Befragungen<br />
und der zusätzlichen Dokumentationen das Tätigkeitsspektrum der AGnES-Fachkräfte detailliert<br />
ermittelt werden. Die einzelnen delegierten Tätigkeiten wurden juristisch geprüft und bewertet, die<br />
Vergütung der delegierten Hausbesuche gesundheitsökonomisch modelliert und ein modulares AGnES-<br />
Curriculum entwickelt. Die AGnES-Projekte wurden in Abstimmung mit der Ethikkommission der Universitätsmedizin<br />
Greifswald durchgeführt.<br />
Zwischen 2006 und 2008 nahmen 55 Ärzte und 37 umfassend qualifizierte, nicht-ärztliche AGnES-<br />
Fachkräfte an sieben Modellprojekten in den vier zuvor genannten Bundesländern teil. Es wurden bei<br />
insgesamt 1.430 Patienten 11.228 Hausbesuche durchgeführt. Das Durchschnittsalter der Patienten betrug<br />
79 Jahre. 95 Prozent der teilnehmenden Patienten waren multimorbid. 89 Prozent der Teilnehmer<br />
waren nicht oder nur eingeschränkt mobil. Des Weiteren hatten 47 Prozent der AGnES-Patienten eine<br />
Pflegestufe und 68 Prozent lebten in einem Single-Haushalt (van den Berg, 2009). Ein hoher Prozentsatz<br />
von 88,9 Prozent der AGnES-Patienten erhielten wiederholte Hausbesuche durch AGnES-Fachkräfte. Die<br />
Zahl der Hausbesuche pro Patient lag zwischen eins und 104. Dabei erhielten 44,6 Prozent der Patienten<br />
zwischen zwei und fünf Besuche, 17,8 Prozent zwischen sechs und zehn und 26,5 Prozent der Patienten<br />
mehr als zehn Besuche.<br />
Bezüglich der Evaluation der AGnES-Projekte gab es drei wichtige Schlüsselthemen:<br />
• Machbarkeit des AGnES-Konzeptes und Akzeptanz bei Hausärzten und Patienten<br />
• Systemische Effekte und Gesundheitsökonomie<br />
– Entwicklung der Anzahl der Hausbesuche während des Projekts (hausärztliche, delegierte und Gesamtanzahl)<br />
– Die Erhöhung der Gesamtanzahl der Patienten in den teilnehmenden Hausarztpraxen<br />
– Modellrechnung: Vergütung der delegierten Hausbesuche (Näheres unter Finanzierung)<br />
• Auswirkungen des AGnES-Konzeptes auf die Patientenversorgung und auf medizinische Endpunkte,<br />
am Beispiel<br />
– Analyse potenzieller Arzneimittelinteraktionen<br />
– Analyse der Entwicklung der Blutdruckwerte bei AGnES-Patienten mit Bluthochdruck<br />
Die Machbarkeit des AGnES-Konzeptes sowie die Akzeptanz bei den teilnehmenden Ärzten und Patienten<br />
wurden schon nach den ersten drei AGnES-Projekten in Mecklenburg-Vorpommern untersucht. Diese<br />
wurden zwischen November 2005 und März 2007 auf der Insel Rügen durchgeführt. Besonderes<br />
Augenmerk lag hier auf telemedizinischen Monitoringsystemen, die ebenfalls auf Machbarkeit und Ak-<br />
34
AGnES • Eine innovative Option für die regionale Versorgung<br />
zeptanz untersucht wurden (Terschüren et al., 2007; Fiß et al., 2010). An diesen drei Projekten nahmen<br />
zwei Hausärzte teil und drei AGnES-Fachkräfte, die der Berufsgruppe der Pflegekräfte zuzuordnen waren.<br />
Es wurden 550 Hausbesuche bei 105 Patienten durchgeführt. 48 Patienten nutzten verschiedene<br />
telemedizinische Monitoringsysteme. Im Laufe der Projekte wurde eine zunehmende Anzahl von medizinischen<br />
Tätigkeiten delegiert (s. Tabelle 3).<br />
Tabelle 3 – Häufigste delegierte Tätigkeiten in den ersten drei AGnES-Projekten in Mecklenburg-Vorpommern<br />
Tätigkeiten<br />
Anzahl<br />
Standardisierte Erhebung des Gesundheitszustands des Patienten 550<br />
Blutdruck- und Pulsmessung 402<br />
Pulsmessung 268<br />
Dokumentation von weiteren Symptomen, Beschwerden 236<br />
Blutzuckermessung 230<br />
Durchführung standardisierter Tests (z. B. für Demenz, Mobilität) 126<br />
Körpergewichtsmessung 81<br />
Medikamentenreview 78<br />
Beratung Flüssigkeitseinnahme 76<br />
Beratung/Schulung telemedizinische Systeme 58<br />
Sturzprophylaxe einschl. Wohnungsbegehung 45<br />
Messung Lungenfunktion 34<br />
12-Kanal-EKG 30<br />
Geriatrisches Assessment 26<br />
Schulung Peak flow-meter 18<br />
Blutentnahme 17<br />
Beratungsleistungen 17<br />
Koordination/Prüfung Leistungen Pflegedienst 15<br />
Spezielle Beratungsleistungen (z. B. bei Sterbefällen) 15<br />
Kontrolle Schmerztagebücher 13<br />
Behandlung von Wunden/Dekubitus 10<br />
Injektionen 6<br />
Messung Körpertemperatur 5<br />
Prüfung Medikamentenplan 2<br />
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an van den Berg et al. (2009).<br />
Insgesamt erhielten AGnES-Fachkräfte eine positive Resonanz seitens der Patienten:<br />
• 96,5 Prozent beschrieben die Fachkraft als kompetenten Ansprechpartner für Gesundheitsfragen.<br />
• 93,1 Prozent entwickelten ein Maß an Vertrauen in die AGnES-Fachkraft, das mit dem Vertrauen in den<br />
Hausarzt vergleichbar war.<br />
35
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
• 87,4 Prozent der Patienten befürworteten die Aussage, dass eine AGnES-Fachkraft Routine-Hausbesuche<br />
durchführen sollte und hausärztliche Hausbesuche auf besondere medizinische Situationen<br />
begrenzt werden können.<br />
Die teilnehmenden Hausärzte beurteilten die Qualität der Versorgung im Rahmen der AGnES-Projekte<br />
als gut für 74,1 Prozent der Patienten. Alle teilnehmenden Hausärzte waren der Meinung, dass das Delegieren<br />
von Hausbesuchen eine Entlastung für sie bedeute (van den Berg et al., 2009).<br />
Im Bereich der systemischen Effekte dieses Projekts wurden erhoben:<br />
• Entwicklung der Anzahl der Hausbesuche während der Projektlaufzeit (hausärztliche, delegierte und<br />
Gesamtanzahl der Hausbesuche)<br />
• Erhöhung der Gesamtanzahl der Patienten in den teilnehmenden Hausarztpraxen.<br />
Für die Untersuchung dieses potentiellen Effektes wurde die Entwicklung der Anzahl an Hausbesuchen<br />
von dem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) in Lübbenau (Brandenburg) mit insgesamt sechs<br />
Hausärzten analysiert und mit der Anzahl der Hausbesuche in einem nah gelegenen Landkreis verglichen.<br />
Diese Analyse wurde auf der Basis von Abrechnungsdaten des MVZ, der AOK Brandenburg<br />
und Projektdaten durchgeführt. So wurden Hausbesuche, die während der vier Abrechnungsquartale vor<br />
dem Projekt stattfanden, mit Hausbesuchen in acht Abrechnungsquartalen während des Projektes verglichen.<br />
Die Anzahl der von den Hausärzten des MVZ durchgeführten Hausbesuche verringerte sich von durchschnittlich<br />
168,2 Hausbesuchen je 1.000 Patienten vor dem Projekt, bis auf 132,9 Hausbesuche je 1.000<br />
Patienten während des Projektes. Der größte Effekt wurde bei der Anzahl der dringenden Hausbesuche<br />
beobachtet. Die Gesamtanzahl der Hausbesuche erhöhte sich nur leicht von durchschnittlich 168,2 Hausbesuche<br />
je 1.000 Patienten vor Beginn des AGnES-Projektes bis auf durchschnittlich 196,0 Hausbesuche<br />
je 1.000 Patienten während des Projektes, die Erhöhung war statistisch nicht signifikant. Die Anzahl der<br />
Hausbesuche im nah gelegenen Landkreis blieb in etwa gleich (van den Berg et al., 2010). Die Analyse<br />
belegt, dass die Delegation von Hausbesuchen an AGnES-Fachkräfte zu der gewünschten Abnahme der<br />
hausärztlichen Hausbesuche, nicht aber zu einer nennenswerten Zunahme der Gesamtanzahl der Hausbesuche<br />
geführt hat.<br />
In Bezug auf die Erhöhung der Gesamtanzahl der Patienten in den teilnehmenden Hausarztpraxen wurde<br />
ebenfalls eine umfangreiche Analyse durchgeführt. Zunächst wurde die theoretisch mögliche Anzahl<br />
zusätzlicher Patienten anhand der Kapazität der AGnES-Fachkräfte berechnet, die den Projektdaten und<br />
Literaturangaben entnommen war. In einer zweiten Analyse wurde auf der Basis von Abrechnungsdaten<br />
untersucht, wie sich die Anzahl der Patienten in den vier teilnehmenden Hausarztpraxen des Medizinischen<br />
Zentrums Lübbenau tatsächlich entwickelt hat. Die Kapazität der AGnES-Fachkräfte liegt bei durchschnittlich<br />
1.376,5 Hausbesuchen pro Jahr. Da Hausärzte durchschnittlich 1.200 Hausbesuche pro Jahr<br />
durchführen (von denen nicht alle delegierbar sind), wurde für die AGnES-Fachkraft eine 20-Stunden-<br />
Arbeitswoche angenommen. Die gesundheitsökonomische Analyse ergab, dass Hausärzte unter Berücksichtigung<br />
aller Variablen (einschließlich Urlaub, Krankheitstage, Fortbildung, Fahrzeiten etc.) durch die<br />
Delegation von Hausbesuchen 360 Arbeitsstunden einsparen können. In dieser Zeit können 170 zusätzliche<br />
Patienten pro Quartal behandelt werden. In den vier teilnehmenden Hausarztpraxen nahm die Anzahl<br />
der behandelten Patienten während der Projektlaufzeit dann auch um durchschnittlich 133 Patienten pro<br />
Quartal zu. Dies entspricht einer Realisation von 78 Prozent der theoretischen Kapazität einer halben Stelle<br />
der AGnES-Fachkraft (20 Stunden). Die Analyse zeigte, dass die Auslastung der AGnES-Fachkraft mit<br />
dem Grad der hausärztlichen Unterversorgung ansteigt.<br />
36
AGnES • Eine innovative Option für die regionale Versorgung<br />
Insgesamt ermöglicht das Modell, abhängig von der Alters- und Morbiditätsverteilung der Patientenpopulation,<br />
einen Ausgleich für ein Drittel bis der Hälfte der Hausarztsitze in einer Region, wenn diese<br />
nach Ausscheiden des Hausarztes nicht mehr nachbesetzt werden können (van den Berg et al., 2012).<br />
Die Evaluationsergebnisse wurden in anerkannten „peer-reviewed“ Zeitschriften veröffentlicht.<br />
Nächste Schritte<br />
AGnES zeigt, dass die Delegation außerhalb der Rufweite des Arztes neue Optionen für die Integration<br />
nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe in das Gesundheitssystem eröffnet. Insbesondere definierte Module<br />
(z. B. Sturzprophylaxe, Medikamentenanamnese, geriatrisches Assessment, Telemedizin) erscheinen<br />
sehr sinnvoll, um eine integrierte, sektorenübergreifende, flächenbezogene regionale Versorgung auf hohem<br />
Niveau sicherzustellen.<br />
Daher ist geplant, das AGnES-Konzept als flexible Versorgungsoption im Konzept „Gesundes Kinzigtal“<br />
zu implementieren. Hier ist ebenfalls eine umfangreiche Evaluation geplant. Konkrete Forschungsthemen<br />
sind:<br />
• Welche Module und Tätigkeiten sind im regionalen Versorgungskonzept „Kinzigtal“ sinnvoll?<br />
• Welche telemedizinischen Konzepte können in Kombination mit der Delegation implementiert werden?<br />
• Welche Anstellungsoptionen für die AGnES-Fachkräfte sind möglich (zum Beispiel in den Arztpraxen,<br />
in Pflegediensten, direkt beim Ärztenetz)?<br />
• Wie kann das AGnES-Konzept für Fachärzte weiterentwickelt werden?<br />
• Gesundheitsökonomische Evaluation: kann die AGnES-Versorgungsoption in das Konzept „Gesundes<br />
Kinzigtal“ integriert werden, ohne eine Erhöhung der Gesamtkosten zu verursachen?<br />
Hierbei können Angehörige nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe in das Projekt einbezogen werden, die<br />
bereits im Netzwerk Gesundes Kinzigtal bei niedergelassenen Ärzten, Pflegediensten oder in Krankenhäusern<br />
der Region tätig sind.<br />
Ansprechpartner<br />
Dr. rer. med. Neeltje van den Berg<br />
Stellvertretende Leitung<br />
Universitätsmedizin Greifswald<br />
Institut für Community Medicine,<br />
Abt. Versorgungsepidemiologie und Community<br />
Health<br />
Ellernholzstr. 1–2<br />
17487 Greifswald<br />
Telefon: 03834 – 867 771<br />
E-Mail: neeltje.vandenberg@uni-greifswald.de<br />
Prof. Dr. med. Wolfgang Hoffmann, MPH<br />
Geschäftsführender Direktor<br />
Universitätsmedizin Greifswald<br />
Institut für Community Medicine,<br />
Abt. Versorgungsepidemiologie und Community<br />
Health<br />
Ellernholzstr. 1–2<br />
17487 Greifswald<br />
37
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Literatur<br />
Dreier A, Rogalski H, Oppermann RF, Terschüren C, van den Berg N, Hoffmann W. A curriculum for nurses in Germany undertaking<br />
medically delegated tasks in primary care. J Adv Nurs 2010; 66:635–644.<br />
Fiß, T., Ritter, C.A., Alte, D., van den Berg, N., Hoffmann, W. (2010). Detection of drug related problems in an interdisciplinary<br />
health care model for rural areas in Germany. Pharmacy World and Science 2010, 32(5):566–574.<br />
Hoffmann W, van den Berg N, Thyrian JR, Fiss T. Frequency and determinants of potential drug-drug interactions in an elderly<br />
population receiving regular home visits by GPs – results of the home medication review in the AGnES-studies. Pharmacoepidemiology<br />
and Drug Safety 2011, 20(12):1311–1318.<br />
Hoffmann, Prof. Dr. med. Wolfgang (2013). Landarzt ade? Medizinische Versorgung der Zukunft, S. 45–52, in: CDU/CSU-<br />
Fraktion im Deutschen Bundestag (Hrsg.). Ländliche Räume, regionale Vielfalt, Wie gestalten wir die Zukunft? http://blogfraktion.de/2013/04/15/landarzt-ade-medizinische-versorgung-der-zukunft/,<br />
[Stand 20.08.2013].<br />
Kassenärztliche Bundesvereinigung (2013). Eine aussterbende Spezies. In: Mit dem Vorstand im Dialog. Blog. http://blog.kvb.<br />
de/vorstand/2013/09/16/eine-aussterbende-spezies/.<br />
Kopetsch, T. (2010). Dem deutschen Gesundheitswesen gehen die Ärzte aus! Studie zur Altersstruktur und Arztzahlentwicklung,<br />
Bundesärztekammer 15 und Kassenärztliche Bundesvereinigung, Berlin 2010. http://www.kbv.de/publikationen/36943.html<br />
(access: 07.04.2013).<br />
Kopetsch T. Dem deutschen Gesundheitswesen gehen die Ärzte aus! Studie zur Altersstruktur und Arztzahlentwicklung. 5.<br />
aktualisierte und komplett überarbeitete Auflage. Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung, Berlin<br />
2010. http://www.kbv.de/publikationen/36943.html (Zuletzt abgerufen am 24.9.2013).<br />
Statistisches Bundesamt (2013). Statistisches Bundesamt (2013): 80,5 Millionen Einwohner am Jahresende 2012 – Bevölkerungszunahme<br />
durch hohe Zuwanderung. Pressemitteilung Nr. 283 vom 27.08.2013. https://www.destatis.de/DE/Presse-<br />
Service/Presse/Pressemitteilungen/2013/08/PD13_283_12411pdf.pdf;jsessionid=812A30AB7A8234DB1AEA69A73174D<br />
4C5.cae3?__blob=publicationFile. Zuletzt abgerufen am 01.10.2013.<br />
Terschüren C., Fendrich, K., van den Berg, N., Hoffmann, W. (2007). Implementing new technology in the daily routine of a GP<br />
practice in a rural setting in northern Germany. Journal of Telemedicine and Telecare 2007, 13 (4):197–201.<br />
van den Berg, N., Fiß, T., Meinke, C., Heymann, R., Scriba, S., Hoffmann, W. (2009). GP support by means of AGnES-practice<br />
assistants and the use of telecare devices in a sparsely populated region in Northern Germany – proof of concept. BMC<br />
Family Practice 2009, 10:44.<br />
van den Berg, N., Meinke, C., Matzke, M., Heymann, R., Fleßa, S., Hoffmann, W. (2010). Delegation of GPhome visits to qualified<br />
practice assistants: assessment of economic effects in an ambulatory healthcare centre. BMC Health Services Research<br />
2010, 10:155.<br />
van den Berg N, Kleinke S, Heymann R, Oppermann RF, Jakobi B, Hoffmann W. (2010a) Transfer of the AGnES concept to the<br />
regular German health-care system: legal evaluation, reimbursement, qualification [Article in German]. Gesundheitswesen<br />
;72(5):285–92.<br />
van den Berg, N., Heymann, R., Meinke, C., Baumeister, S.E., Fleßa, S., Hoffmann, W. (2012). Effect of the delegation of GPhome<br />
visits on the development of the number of patients in an ambulatory healthcare centre in Germany. BMC Health<br />
Services Research 2012, 10;12(1):35.<br />
van den Berg, Neeltje, Hoffmann, Wolfgang (2013). AGnES – Delegation von hausärztlichen Tätigkeiten und Hausbesuchen an<br />
Angehörige nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe: eine innovative Option für die regionale Versorgung. Unveröffentlichter<br />
Wettbewerbsbeitrag, auf Anfrage erhältlich von den Verfassern.<br />
38
Algesiologikum • Sektorenübergreifende Versorgung hoch chronifizierter Schmerzpatienten<br />
Algesiologikum<br />
Sektorenübergreifende Versorgung hoch chronifizierter<br />
Schmerzpatienten<br />
Autor: Reinhard Thoma<br />
Management Summary<br />
Der Algesiologikum-Verbund ist ein Versorgungsnetzwerk für ambulante und vollstationäre Schmerztherapie.<br />
Ziel ist es, mit innovativen Konzepten und Strukturen moderne Behandlungsprogramme für Patienten<br />
mit hoch chronifizierten Schmerzen zu entwickeln – und zwar über Sektorengrenzen und Berufsgruppen<br />
hinweg. Der besondere Versorgungsansatz basiert daher auf sektorübergreifenden und multimodalen<br />
Behandlungspfaden im Rahmen einer qualitätsorientierten Versorgung; die Ausrichtung des Verbundes<br />
ist überregional und interdisziplinär.<br />
Das Netzwerk umfasst zwei medizinische Versorgungszentren, eine neurochirurgische Praxis sowie Stationen<br />
in vier Krankenhäusern der Regelversorgung und ein ambulantes Therapiezentrum mit einer physio-<br />
und ergotherapeutischen Praxis. Darüber hinaus bestehen mehrere integrierte Versorgungsverträge<br />
nach § 140a–d SGB V zwischen beiden MVZ und verschiedenen Krankenkassen. Zum Algesiologikum-<br />
Verbund gehören die Algesiologikum GmbH, das Algesiologikum MVZ und das MVZ ASAmed. Alle<br />
drei Institutionen finanzieren sich jeweils selbstständig und nachhaltig als eigenständige Unternehmen.<br />
Der Verbund wurde 2009 gegründet und hat seinen Sitz in Bayern.<br />
Einleitung<br />
Patienten mit chronischen Schmerzen leiden gleichzeitig unter körperlichen-, psychischen- und sozialen<br />
Belastungen. Die Betreuung solcher Patienten bedarf eines hohen Maßes an sektorübergreifender<br />
Vernetzung. Eine Sicherstellung der Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen wurde in<br />
Deutschland noch nicht erreicht – weder im ambulanten, noch im stationären Sektor. Durch die bestehenden<br />
Grenzen zwischen den Sektoren – und die dadurch entstehenden Therapiebrüche – kommt<br />
es zur Unterversorgung in ländlichen Gebieten sowie zu einer Über- und/oder Fehlversorgung in den<br />
Ballungsräumen.<br />
Mit dem überregional und interdisziplinär ausgerichteten Versorgungskonzept hat sich der Algesiologikum<br />
Verbund zum Ziel gemacht, innovative Konzepte und Behandlungsprogramme für hoch chronifizierte<br />
Patienten zu entwickeln. Im Rahmen der multimodalen Schmerztherapie werden die Patienten aktiv in<br />
den Therapieprozess eingebunden; sie erhalten individuell angepasste Behandlungsprogramme. Dadurch<br />
steigen Therapienutzen und die Lebensqualität der Patienten. Zudem können Therapiebrüche, Unter- und<br />
Fehlversorgung vermieden und Kosten eingespart werden.<br />
39
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Versorgungsherausforderung<br />
Circa 17 Prozent der deutschen Bevölkerung leidet an chronischen Schmerzen. Aufgrund demografischer<br />
und lebensstilbezogener Entwicklungen steigt dieser Anteil tendenziell an. Chronische Schmerzen gehen<br />
mit außerordentlich hohen körperlichen, psychischen und sozialen Belastungen einher. Um die Patienten<br />
mit chronischen Schmerzen zu versorgen und zu betreuen, ist ein hohes Maß an sektorenübergreifender<br />
Vernetzung unabdingbar.<br />
In Deutschland ist eine adäquate Behandlung von chronischen Schmerzpatienten weder im ambulanten<br />
noch im stationären Sektor sichergestellt. In diesem Zusammenhang zeigt sich in den ländlichen Regionen<br />
eine drastische Unterversorgung sowie in den Ballungsräumen eine Über- und Fehlversorgung (Thoma,<br />
2011). Durch eine fehlende sektorübergreifende Versorgung kommt es immer wieder zu Brüchen in<br />
der Therapie, was zudem die Behandlungskosten für die zugrundeliegenden Erkrankungen steigen lässt.<br />
Da Schmerzpatienten auf der Suche nach der Lösung ihres Problems oft verschiedene Ärzte unterschiedlicher<br />
Fachrichtungen aufsuchen, wird dieses Klientel auch als „doctor hopper“ bezeichnet. Häufig werden<br />
Hausärzte, Orthopäden, Neurologen, Radiologen, Schmerztherapeuten, Internisten und psychologische<br />
Psychotherapeuten aufgesucht. Ein solches „doctor hopping“ kann zu langwierigen Patientenkarrieren<br />
führen, was das Risiko für eine Chronifizierung des Schmerzes erhöht und die Behandlungskosten vervielfacht.<br />
Fragmentierte und unimodale Behandlungskonzepte sind aufgrund der Komplexität und Langwierigkeit<br />
von chronischen Schmerzen keine adäquate Behandlungsalternative und führen somit zu Über-,<br />
Unter- und/oder Fehlversorgung.<br />
Ein bedeutendes Instrument zur Optimierung der Versorgung stellt für ein interdisziplinäres und sektorübergreifendes<br />
Schmerzzentrum eine gemeinsame Patientenakte dar. Durch diese kann die reibungslose<br />
Kommunikation zwischen allen Behandlern im Team sichergestellt werden. Zudem ist dadurch die Patientenkarriere<br />
jederzeit und schnell verfügbar. Inter- und intrasektorale Übergänge verlaufen problemlos und<br />
ohne Zeit- und Informationsverluste. Das ist besonders wichtig, da eine fehlende Infrastruktur zu Versorgungsengpässen<br />
führen kann.<br />
Eine interdisziplinäre Kooperation stellt eine große Herausforderung dar. Sie ist komplex und erfordert ein<br />
hohes Maß an Kommunikation und Koordination – was derzeit nicht vergütet wird. Die stationären Algesiologikum-Zentren<br />
für Schmerzmedizin, das Algesiologikum MVZ und das MVZ ASAmed haben sich zum<br />
Algesiologikum-Verbund zusammengeschlossen. Ziel ist es, koordinierte und integrierte Behandlungspfade<br />
umzusetzen, um die bestehende Fehl- und Unterversorgung bei chronischen Schmerzpatienten zu<br />
verringern. Dies kann durch intra- und intersektorale Übergänge ohne großen Zeit- und Informationsverlust<br />
realisiert werden (Schneider, Klasen, Jennerwein, Amelung, Thoma, 2013).<br />
Entstehungsgeschichte<br />
Der Algesiologikum-Verbund ist aus der Vision entstanden, eine hoch intensive multimodale Schmerztherapie<br />
sicherzustellen – durch ein sektorübergreifendes Therapiekonzept sowie den Aufbau eines kooperativen<br />
Netzwerkes. Die Idee des Konzeptes ist, chronischen Schmerzen entgegenzuwirken, indem der<br />
Patient integrativ und frühzeitig behandelt wird.<br />
Im Algesiologikum – Zentrum für Schmerzmedizin im Diakoniewerk München-Maxvorstadt startete im<br />
Oktober 2008 das interdisziplinäre Therapiekonzept. Dieses konnte vom ersten Tag an in Vollbetrieb gehen.<br />
Verantwortlicher Chefarzt ist Dr. Thoma, der leitende Psychologe Dr. Klasen. Das multiprofessionelle<br />
Team bestand von Anfang an aus speziellen Schmerztherapeuten, psychologischen Psychotherapeuten<br />
und Bewegungstherapeuten.<br />
40
Algesiologikum • Sektorenübergreifende Versorgung hoch chronifizierter Schmerzpatienten<br />
In Folge des hohen Versorgungsbedarfs versorgt das Algesiologikum seit Juli 2009 psychisch belastete<br />
Schmerzpatienten in Kooperation mit dem Krankenhaus für Naturheilwesen in München-Harlaching. Seit<br />
September 2011 versorgt es gemeinsam mit der Clinic Dr. Decker in München-Schwabing Patienten mit<br />
chronischen Kopf-, Gesichts- und Nervenschmerzen. Seit April 2010 besteht eine Kooperation mit dem<br />
Krankenhaus Vilsbiburg, mit dem Ziel der Unterversorgung im ländlichen Raum entgegenzuwirken. Die<br />
multimodale Schmerztherapie stellt in allen kooperativen Einrichtungen die Basis des Behandlungskonzepts<br />
dar.<br />
Kernelemente<br />
Versorgungskonzept<br />
Die Versorgungsstruktur des Algesiologikum-Verbundes ist interdisziplinär und sektorenübergreifend ausgerichtet.<br />
Ziel ist es, eine flächendeckende, sektorübergreifende Versorgung für chronische Schmerzpatienten<br />
in der Region Bayern sicherzustellen. Dies soll durch innovative Konzepte und optimierte inter- und<br />
intrasektorale Übergänge sowie durch moderne Behandlungskonzepte über Sektoren- und Berufsgruppengrenzen<br />
hinaus verwirklicht werden. Die Chefärzte aus den stationären Einrichtungen bieten zusätzlich<br />
im Algesiologikum MVZ Sprechstunden an. Auf diese Weise werden die Patienten ambulant und<br />
stationär von einem Team behandelt. Der Algesiologikum-Verbund durchbricht dadurch die Sektorengrenzen<br />
und der Wechsel von ambulanten und stationären Therapiesettings wird optimiert.<br />
Kernelement des Algesiologikum-Konzepts bildet die multimodale Schmerztherapie mit sektorübergreifenden<br />
Behandlungspfaden. Die Patienten werden aktiv in den Therapieprozess einbezogen. Dadurch<br />
steigt der Therapienutzen und die Therapietreue der Schmerzpatienten. Die Patienten erhalten individuell<br />
zugeschnittene Behandlungsprogramme. Nicht zuletzt können somit die Versorgungs- und mit ihr die<br />
Lebensqualität schwer chronifizierter Schmerzpatienten gesteigert, Kosten eingespart und einer Unterbzw.<br />
Fehlversorgung entgegengesteuert werden.<br />
Alle Behandler im Algesiologikum-Verbund arbeiten engmaschig zusammen und stellen ein breites Spektrum<br />
an Therapieangeboten entlang der gesamten Behandlungskette bereit – mit Ausnahme der Rehabilitation<br />
(s. Tabelle 4).<br />
Tabelle 4 – Aufgaben der verschiedenen Fachrichtungen bei Algesiologikum<br />
Medizin Psychologie Ergotherapie Physiotherapie Sporttherapie Arbeitsmarktcoach<br />
Medizinische<br />
Info<br />
Visite<br />
Psychologische<br />
Info<br />
Entspannung<br />
(Meditation,<br />
Phantasiereise,<br />
Entspannung<br />
nach Jakobson)<br />
Info Bewältigungsgruppe<br />
Psychologische<br />
Schmerztherapie<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Körperwahrnehmung<br />
Gleichgewichtsund<br />
Koordinationstraining<br />
Rückenschule Nordic Walking Screening<br />
Atemtherapie<br />
Medizinische<br />
Trainingstherapie<br />
Info<br />
Unterstützung<br />
bei Zusammenstellung<br />
von Bewerbungsunterlagen<br />
Bewegungsbad Sporttherapie Training von Bewerbungsgesprächen<br />
Aktivitätstraining<br />
Aktive Unterstützung<br />
bei der<br />
Stellensuche<br />
41
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Im Algesiologikum MVZ und im MVZ ASAmed werden die chronischen Schmerzpatienten ambulant betreut<br />
und bei Bedarf den entsprechenden stationären Einrichtungen im Algesiologikum-Verbund und weiteren<br />
Anbietern im Bereich der Therapie chronischer Schmerzen (z. B. Tageskliniken) zugesteuert. Beide<br />
MVZ sind zudem Vertragspartner in verschiedenen IV-Verträgen zur ambulanten multimodalen Versorgung<br />
von Patienten mit Rückenschmerzen.<br />
Zielgruppe<br />
Das Algesiologikum-Konzept ist auf die Verbesserung der Versorgungsqualität von chronifizierungsgefährdeten<br />
und bereits chronifizierten Schmerzpatienten spezialisiert.<br />
Das Einzugsgebiet des Algesiologikum-Verbunds beschränkt sich zu über 95 Prozent auf Bayern. Dabei<br />
ist das Patienteneinzugsgebiet bei den stationären Patienten stärker gestreut als bei den ambulanten Patienten.<br />
Das multimodale Grundkonzept von Algesiologikum stellt zwar immer die Behandlungsbasis dar,<br />
jedoch variiert das Leistungsspektrum in Abhängigkeit vom Schwerpunkt der Einrichtung.<br />
Die Patienten der verschiedenen Einrichtungen unterscheiden sich demografisch sowohl in Hinblick auf<br />
ihr Durchschnittsalter als auch hinsichtlich ihres Geschlechts. Anteilig gibt es im ambulanten Bereich<br />
mehr Schmerzpatienten mit Chronifizierungsgrad I nach Gerbershagen (1996) als im stationären Bereich.<br />
Über alle stationären Einrichtungen hinweg werden durchschnittlich mehr Patienten mit Chronifizierungsgrad<br />
II (50–60 Prozent) als mit Chronifizierungsgrad III (30–40 Prozent) behandelt. Zudem weisen<br />
51 Prozent aller Schmerzpatienten, die im Algesiologikum-Verbund behandelt werden, einen Schweregrad<br />
4 nach von Korff, Ormel, Keefe (1992) auf. In Bezug auf die Angst- und Depressionsskalen der „Hospital<br />
Anxiety and Depression Scale“ (HADS; Zigmond, Snaith, 1983) sind die ambulanten Patienten weniger<br />
belastet als die stationären Patienten.<br />
Tabelle 5 – Unterschiede der Patienten bzgl. Chronifizierungsgrad, Schweregrad und Angst- und Depressionsskalen<br />
Schwerpunkte<br />
Chronifizierungsgrad Schweregrad nach von Korff HADS (RW≥11)<br />
I II III 0 1 2 3 4 Angst Depression<br />
vollstationär 3,6% 51,0% 45,4% 4,2% 4,1% 15,9% 24,4% 51,3% 43,3% 49,1%<br />
ambulant 16,8% 50,5% 32,7% 5,7% 8,7% 21,5% 24,2% 39,9% 36,6% 37,7%<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
In den verschiedenen stationären Einrichtungen existieren folgende Behandlungsschwerpunkte:<br />
• Rückenschmerzen<br />
• Schmerz im Alter<br />
• Tumorschmerzen<br />
• Fibromyalgie<br />
• Kopf-und Gesichtsschmerzen<br />
• Neuropathische Schmerzen<br />
• Psychisch stark belastete Patienten (Schneider, Klasen, Jennerwein, Amelung, Thoma, 2013).<br />
42
Algesiologikum • Sektorenübergreifende Versorgung hoch chronifizierter Schmerzpatienten<br />
Versorgungselemente<br />
Ambulante Versorgung<br />
Die ambulante Versorgung von Schmerzpatienten erfolgt im Algesiologikum MVZ und im MVZ ASAmed.<br />
In beiden MVZ wird durch ärztliche Schmerztherapeuten ein erstes ambulantes Screening durchgeführt.<br />
Je nach Befund werden die Patienten einem ambulanten oder stationären Therapiesetting im Algesiologikum-Verbund,<br />
kooperierenden Schmerztageskliniken oder zur weiteren Diagnostik, anderen Fachärzten<br />
zugesteuert. Neben der ambulanten Schmerztherapie im Rahmen der Regelversorgung bestehen Integrierte<br />
Versorgungsverträge nach § 140 a-d SGB V jeweils zwischen beiden MVZ mit verschiedenen Krankenkassen.<br />
Im ambulanten Therapiezentrum der Algesiologikum GmbH können Schmerzpatienten nach der multimodalen<br />
Therapie an ambulanten ergo- und physiotherapeutischen Gruppentherapien zur Schmerzbewältigung<br />
teilnehmen.<br />
Stationäre Versorgung<br />
Innerhalb der stationären Schmerzbehandlung kooperiert die Algesiologikum GmbH mit drei Krankenhäusern<br />
in München und einem in Vilsbiburg. Die Chefärzte der schmerztherapeutischen Krankenhausabteilungen<br />
sind anteilig im Algesiologikum MVZ und bei dem entsprechenden Krankenhausträger angestellt.<br />
Diese Regelung entspricht den Vorgaben des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes (VÄndG) von 2007.<br />
Im Folgenden werden die verschiedenen Therapieschwerpunkte der drei Krankenhäuser beschrieben:<br />
Algesiologikum – Zentrum für Schmerzmedizin im Diakoniewerk München-Maxvorstadt<br />
• Multimodale Schmerztherapie<br />
• Invasive und operative Methoden der Schmerzdiagnostik und -therapie<br />
• Behandlungen chronischer Rückenschmerzen und Schmerzen bei multimorbiden Patienten in höherem<br />
Lebensalter (z. B. Injektionen, epidurale Rückenmarksstimulation, etc.)<br />
Algesiologikum – Zentrum für Schmerzmedizin im Krankenhaus für Naturheilwesen in München-Harlaching<br />
• Konservativ-multimodale Behandlung<br />
• Behandlung von psychisch stark belasteten Patienten<br />
Algesiologikum – Zentrum für Schmerzmedizin in der Clinic Dr. Decker in München-Schwabing<br />
• Multimodale Schmerztherapie<br />
• Chronische Kopf- und Gesichtsschmerzen<br />
• Komplexe neuropathische Schmerzen<br />
Algesiologikum – Zentrum für Schmerzmedizin im Krankenhaus Vilsbiburg<br />
• Multimodale Schmerztherapie<br />
• Schmerztherapeutische Grundversorgung der ländlichen Bevölkerung<br />
• Behandlung von Tumorschmerzen<br />
43
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Die stationäre Betreuung wird durch die beteiligten Krankenhäuser im Rahmen bestehender Krankenhausabteilungen<br />
übernommen. Momentan stehen 81 Betten in München und 30 Betten in Vilsbiburg<br />
zur vollstationären Behandlung chronischer Schmerzpatienten bereit. Um die Leitlinien umsetzen und die<br />
Qualität des Algesiologikum-Konzepts sicherstellen zu können, werden sämtliche schmerz therapeutische<br />
Leistungen in den Krankenhäusern vom Algesiologikum-Behandlungsteam erbracht. Die Behandlungsteams<br />
setzen sich aus zwölf Ärzten verschiedener Fachdisziplinen, elf Diplom-Psychologen, sechs<br />
Physiotherapeuten, vier Ergotherapeuten, drei medizinischen Trainingstherapeuten und einem Arbeitsmarktcoach<br />
zusammen (Schneider, Klasen, Jennerwein, Amelung, Thoma, 2013).<br />
Arbeitsmarktcoaching bieten die Algesiologikum-Zentren für Schmerzmedizin für arbeitslose oder von<br />
Arbeitslosigkeit bedrohte Patienten an, die an der multimodalen Therapie teilnehmen (s. Tabelle 6). Die<br />
Patienten werden auch über den eigentlichen Behandlungszeitrum hinaus vom Arbeitsmarktcoach betreut.<br />
Initiiert wurde das Arbeitsmarktcoaching aufgrund der sozialen Probleme und der überdurchschnittlich<br />
hohen Anzahl an Arbeitsunfähigkeitstagen von Patienten mit chronischen Schmerzen.<br />
Tabelle 6 – Aufgaben des Arbeitsmarkcoaches<br />
Aufgaben des Arbeitsmarkcoachs<br />
• Erstberatung und Edukation<br />
• Unterstützung bei der beruflichen Orientierung<br />
• Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten eventueller Weiterbildungsmaßnahmen<br />
• Zusammenarbeit mit Renten-/ Bildungsträgern sowie Jobcentern<br />
• Kontaktsuche, -aufnahme und –pflege mit den Arbeitgebern<br />
• Unterstützung bei der Erstellung von Bewerbungsunterlagen<br />
• Vorstellungsgesprächscoaching<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Multidisziplinäres Assessmentcenter<br />
Das multidisziplinäre Assessmentcenter gilt als Kernelement der individuell zugeschnittenen Schmerztherapie.<br />
Im Algesiologikum-Verbund kommen die Patienten zunächst zu einem 60-minütigen Screening,<br />
welches ein ärztlicher Schmerztherapeut in einem der MVZ durchführt. Bereits bestehende Befunde<br />
werden gesichtet, eine körperliche Untersuchung und ein ärztliches Gespräch folgen. Können bei diesem<br />
Assessment somatische Schmerzursachen, sog. „red flags“ nicht ausgeschlossen werden, so wird der<br />
Patient zur weiteren Diagnostik an den entsprechenden Facharzt überwiesen. Nach Ausschluss von „red<br />
flags“ bei gleichzeitiger Feststellung von psycho-sozialen Belastungsfaktoren, sog. „yellow flags“, werden<br />
die Patienten dem multimodalen Assessmentcenter im Algesiologikum zugesteuert. Dieses beinhaltet<br />
folgende Maßnahmen:<br />
• umfassende Schmerzanamnese<br />
• bildgebende Untersuchungen (soweit erforderlich)<br />
• ausführliche psychologische Diagnostik<br />
• ergotherapeutische Untersuchung<br />
• physio- und/oder sporttherapeutische Untersuchung<br />
44
Algesiologikum • Sektorenübergreifende Versorgung hoch chronifizierter Schmerzpatienten<br />
Das multidisziplinäre Assessment endet mit einer Teambesprechung, in der auf der Grundlage der Untersuchungsergebnisse<br />
ein individueller Therapieplan entwickelt wird. Dieser wird anschließend gemeinsam<br />
mit dem Patienten besprochen und die genauen Therapieziele festgelegt (Schneider, Klasen, Jennerwein,<br />
Amelung, Thoma, 2013).<br />
Liegen bei einem Patienten weder „red flags“ noch „yellow flags“ vor, so ist keine stationäre Schmerztherapie<br />
indiziert. Der Patient wird dann im Algesiologikum MVZ bzw. im MVZ ASAmed ambulant schmerztherapeutisch<br />
weiterbehandelt oder ggf. mit einer Therapieempfehlung zurück zum Zuweiser überwiesen.<br />
Abbildung 5 – Steuerungsprozesse im Algesiologikum-Verbund<br />
Schmerzpatient<br />
Hausarzt / Facharzt<br />
Zurück zum Zuweiser<br />
mit konkreten<br />
Therapievorschlägen<br />
Ambulantes Screening<br />
durch ärztlichen<br />
Schmerztherapeuten<br />
nein<br />
yellow<br />
flags<br />
nein<br />
red<br />
flags<br />
nein<br />
Ambulante<br />
Schmerztherapie<br />
indiziert<br />
ja<br />
ja<br />
Andere Zentren:<br />
Neurologie<br />
Orthopädie<br />
Neurochirurgie<br />
Ärztliches Gespräch<br />
und Untersuchung<br />
Multidisziplinäres Assessmentcenter<br />
Physio- / sporttherapeutische<br />
Untersuchung<br />
Psychologisches<br />
Screening<br />
ja<br />
Teambesprechung<br />
Teilstationäre Schmerztherapie in<br />
Kooperation mit Tageskliniken<br />
Stationäre Schmerztherapie:<br />
Medikamentös<br />
Medikamentenentzug<br />
Interventionelle/ operative Verfahren<br />
Multimodale Therapie in offenen /<br />
geschlossenen Gruppen<br />
Ambulante<br />
Schmerztherapie:<br />
Interventionell<br />
Medikamentös<br />
Physiotherapie<br />
Ergotherapie<br />
Algesiologikum MVZ<br />
Ambulante<br />
Psychotherapie<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Entlassmanagement<br />
Das Entlassmanagement sorgt für eine kontinuierliche Versorgung an den Schnittstellen und gewährleistet<br />
eine bessere Kommunikation zwischen den beteiligten Sektoren. Es wird als teamorientierte und<br />
multiprofessionelle Aufgabe betrachtet. Nach dem stationären Aufenthalt müssen medizinische, pflegerische<br />
und rehabilitative Maßnahmen koordiniert und organisiert werden.<br />
Das Entlassmanagement verlangt folgende Maßnahmen in den stationären, schmerztherapeutischen Einrichtungen:<br />
• Festlegung eines definierten Ansprechpartners für das Entlassmanagement im Krankenhaus<br />
• Entwicklung von übergreifenden Beurteilungs-(Assessment-)Instrumenten im Entlassmanagement<br />
45
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
• Vernetzung und Kommunikation der Krankenhäuser mit nachgelagerten Einrichtungen aus Medizin,<br />
Rehabilitation und Pflege sowie Kostenträgern<br />
• Förderung von Maßnahmen im Bereich „Empowerment“ von Patienten und ihren Angehörigen<br />
• Aufstellung von spezifischen, interprofessionellen Behandlungspfaden und Versorgungsketten in der<br />
nachstationären Behandlung<br />
• Aufbau von ambulanten „Ankerpunkten“ (Patientenkoordinator-/begleiter) für den Übergang aus dem<br />
stationären Bereich.<br />
Mehrwert<br />
Alle Therapieprogramme im Algesiologikum-Verbund stützen sich auf die aktuellen wissenschaftlichen<br />
Standards der Schmerzforschung. Die Programme wurden auf der Basis des bio-psycho-sozialen Krankheitsverständnisses<br />
entwickelt. Demnach benötigen die Patienten nicht nur physische, sondern v.a. auch<br />
psychologische und soziale Versorgung, da der Schmerz großen Einfluss auf alle drei Bereiche hat. Eine<br />
positive Veränderung in einem der Bereiche kann die anderen Bereiche somit positiv beeinflussen, was<br />
die subjektive Lebensqualität des Patienten steigern kann.<br />
Einen weiteren großen Patientennutzen stellt die interdisziplinäre Behandlungsweise dar. Zum einen werden<br />
in regelmäßigen Teambesprechungen die individuellen Therapien und ihre Ziele abgestimmt. Zum<br />
anderen können Patienten längere Termine vereinbaren und mehrere Ärzte und Therapeuten gleichzeitig<br />
konsultieren.<br />
Da die Behandlung im ambulanten als auch im stationären Bereich durch das gleiche Team erfolgt, wird die<br />
Bindung des Patienten zum Arzt oder Therapeuten gefestigt, Vertrauen wird aufgebaut und Compliance<br />
gefördert.<br />
Einen zusätzlichen Mehrwert bieten die elektronische Patientenakte des Praxisprogramms M1 (Compugroup)<br />
sowie das Qualitätssicherungsprogramm QUAST (Qualitätssicherung in der Schmerztherapie) –<br />
und zwar sowohl für die Leistungserbringer als auch für die Patienten. Die Behandler können über den<br />
gesamten Behandlungszeitraum hinweg auf sämtliche Patienteninformationen zugreifen – von der Krankheitsgeschichte<br />
bis hin zum aktuellen Behandlungsstatus des Patienten. Die Teilbehandlung eines jeden<br />
Behandlers kann folglich an den derzeitigen Behandlungsstatus angepasst werden. Weiterhin ist der<br />
Einsatz mobiler Endgeräte zur Verbesserung der Datenerfassung geplant.<br />
Der Algesiologikum-Verbund unterscheidet zusammenfassend zwischen einem internen und einem externen<br />
Versorgungsmehrwert (s. Tabelle 7).<br />
Tabelle 7 – Interner und externer Versorgungsmehrwert<br />
Interner Versorgungsmehrwert<br />
Intelligente sektorenübergreifende Versorgungskonzepte<br />
Hochprofessionelles und interdisziplinäres<br />
Behandlungsteam<br />
Elektronische Patientenakte<br />
Qualitätsmanagement-Programm<br />
Externer Versorgungsmehrwert<br />
IV-Verträge mit Krankenkassen gemäß SGB V und durch enge<br />
Kooperation mit IBZ Beruf Ost, bzw. unter Einbezug des SGB II<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
46
Algesiologikum • Sektorenübergreifende Versorgung hoch chronifizierter Schmerzpatienten<br />
Finanzierung<br />
Die Algesiologikum GmbH, das Algesiologikum MVZ und das MVZ ASAmed sind drei eigenständige<br />
Unternehmen, die sich selbstständig finanzieren. Die ambulanten Leistungen bei chronischen Schmerzpatienten<br />
werden jeweils eigenverantwortlich mit der Kassenärztlichen Vereinigung bzw. mit privaten<br />
Krankenkassen abgerechnet.<br />
Die vollstationären Leistungen werden im Rahmen des bestehenden Versorgungsauftrages jeweils vom<br />
entsprechenden Krankenhausträger mit den Krankenkassen abgerechnet. Die Algesiologikum GmbH erhält<br />
anschließend von den Krankenhäusern einen Anteil des Umsatzes für ärztliche und therapeutische<br />
Leistungen.<br />
Für die Algesiologikum GmbH wurde anfänglich mit einem negativen Deckungsbeitrag von 500.000 Euro<br />
und einem Erreichen der Gewinnschwelle nach vier Jahren gerechnet; für das Algesiologikum MVZ mit<br />
einem negativen Deckungsbeitrag in Höhe von 550.000 Euro und dem Überschreiten der Nutzenschwelle<br />
nach fünf Jahren. Die Algesiologikum GmbH erreichte ihre Gewinnschwelle bereits in 2010 – zwei<br />
Jahre früher als erwartet. Obgleich jährlich ein neuer stationärer Standort eröffnet und das MVZ kontinuierlich<br />
ausgeweitet wurde, konnte die Nutzenschwelle schon im dritten Jahr nach der GmbH- und MVZ-<br />
Gründung erreicht werden.<br />
Management<br />
Der Algesiologikum-Verbund wurde 2009 gegründet und setzt sich mittlerweile aus dem Algesiologikum<br />
MVZ in München, dem MVZ ASAmed in Fürth und der Algesiologikum GmbH mit Sitz in München zusammen.<br />
Die Algesiologikum GmbH betreibt ein ambulantes Therapiezentrum. Dieses umfasst eine Physio- und<br />
eine Ergotherapiepraxis.<br />
Das Algesiologikum MVZ mit Sitz in München versorgt seit 2009 Schmerzpatienten. Diese werden durch<br />
ein multidisziplinäres Team, bestehend aus 14 Ärzten verschiedener Fachbereiche und vier psychologischen<br />
Psychotherapeuten, betreut. 2012 wurden im Rahmen der ambulanten Regelversorgung 1.913 Patienten<br />
und 40 Patienten innerhalb von IV-Verträgen schmerztherapeutisch behandelt. Der Anteil der<br />
Schmerzpatienten, die im Algesiologikum MVZ behandelt wurden, ist seit 2009 kontinuierlich angestiegen.<br />
Seit 2013 gehört das MVZ ASAmed mit Sitz in Fürth dem Algesiologikum-Verbund an. 12 Ärzte verschiedener<br />
Fachrichtungen sowie zwei psychologische Psychotherapeutinnen bilden das multiprofessionelle<br />
Behandlungsteam. Im Jahr 2012 wurden 320 Patienten ausschließlich schmerztherapeutisch versorgt<br />
und über 100 Patienten innerhalb von IV-Verträgen.<br />
Die Schmerzambulanz am Kreiskrankenhaus Vilsbiburg ist Partner des Algesiologikum-Verbundes. Sie<br />
stellt die Schmerzversorgung in der ländlichen Region sicher.<br />
Die Algesiologikum GmbH hat seit 2009 bereits vier Kooperationsverträge zur vollstationären Versorgung<br />
von chronischen Schmerzpatienten mit Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung geschlossen.<br />
Drei der kooperierenden Krankenhäuser sind im Großraum München und eines in Vilsbiburg (Niederbayern).<br />
Alle Ärzte und Therapeuten, die auf den kooperierenden Stationen tätig sind, sind – auch um die<br />
Behandlungsqualität zu sichern – bei der Algesiologikum GmbH angestellt (Schneider, Klasen, Jennerwein,<br />
Amelung, Thoma, 2013).<br />
47
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Evaluation<br />
Auf Anfrage der AOK Bayern führte Algesiologikum eine Evaluation durch. Es sollte die Effektstärke der<br />
multimodalen Schmerztherapie analysiert werden. In diesem Zusammenhang wurden 370 Patienten untersucht,<br />
die 2011 stationär im Algesiologikum behandelt wurden. Die Effektstärke wurde anhand der<br />
mittleren und maximalen Schmerzintensität sowie dem aktuellen Wohlbefinden gemessen. Hinsichtlich<br />
der mittleren und maximalen Schmerzstärke wurde ein mittlerer Effekt von d=.45 und d=.32 festgestellt.<br />
Der Faktor Wohlbefinden wies einen starken Effekt von d=.79 auf. Diese Untersuchung deutet auf eine<br />
effektive multimodale Schmerztherapie in den Algesiologikum – Zentren für Schmerztherapie hin.<br />
Im Jahr 2012 veröffentlichte der Algesiologikum-Verbund eigene Evaluationen, u.a. auf dem deutschen<br />
Schmerzkongress in Form von Posterbeiträgen zu folgenden Themenbereichen:<br />
1. Berufliche Reintegration von Schmerzpatienten im multimodalen Therapieprogramm: erste Ergebnisse.<br />
Im Oktober 2011 wurde das interdisziplinäre Behandlungsteam des Algesiologikum-Verbundes um einen<br />
professionellen Arbeitsmarktcoach ergänzt. Ziel war es, die Patienten in den ersten Arbeitsmarkt zu reintegrieren.<br />
In diesem Rahmen wurden 256 Patienten von einem Arbeitsmarktcoach beraten. Es wurden<br />
insgesamt 378 Stellenangebote besprochen. In 183 Fällen kam es zu einem Kontakt mit dem Arbeitgeber.<br />
Aus der vollstationären Behandlung heraus konnten 12 chronische Schmerzpatienten unverzüglich in<br />
ein Arbeitsverhältnis vermittelt werden.<br />
Aus den Daten dieser Erhebung geht hervor, dass Patienten mit chronischen Schmerzen schon während<br />
des stationären Aufenthalts in den Arbeitsmarkt reintegriert werden können (Ritter, Klasen, Thoma, 2012).<br />
2. Einfluss verschiedener Parameter auf die Gestaltung multimodaler Therapieprogramme.<br />
Im Rahmen der vollstationären Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen unterscheiden sich<br />
die Schwerpunkte der verschiedenen Standorte des Algesiologikum-Verbundes. Dazu sollte geklärt werden,<br />
in wie weit sich die unterschiedlichen Therapieintensitäten auf die verschiedenen Schwerpunkte der<br />
einzelnen Standorte zurückführen lassen.<br />
Im Krankenhaus für Naturheilwesen in München-Harlaching wird die multimodale Schmerztherapie bei<br />
Patienten mit relevanten psychischen Komorbiditäten durchgeführt. Dort wiesen 32 Prozent der behandelten<br />
Patienten die Hauptdiagnose F45.41 auf (Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen<br />
Faktoren); in Vilsbiburg waren es nur 11 Prozent und im Diakoniewerk München-Maxvorstadt<br />
hatten lediglich 2 Prozent diese Hauptdiagnose. Die unterschiedliche Zusammensetzung der Patientenpopulationen<br />
in den einzelnen Einrichtungen bildet sich gut in der Häufigkeit der psychiatrischen Diagnosen<br />
ab (ICD-10 Diagnosegruppe F).<br />
In den verschiedenen Einrichtungen wurde das Grundkonzept des Algesiologikum weiterentwickelt. Somit<br />
konnte die Behandlung an die verschiedenen Bedürfnisse der einzelnen Patientengruppen angepasst<br />
und eine optimale Behandlung gewährleistet werden (Schneider, Klasen, Thoma, 2012).<br />
3. Untersuchung zu Möglichkeiten der Optimierung einer zwei- bis dreiwöchigen multimodalen Gruppenbehandlung.<br />
Die Inhalte und Konzepte der multimodalen Schmerztherapie stützen sich auf die Vorgaben der Deutschen<br />
Schmerzgesellschaft. Studien zufolge erzielen multimodale Gruppenbehandlungen bei einer Behandlungsintensität<br />
von über 100 Stunden nachhaltige Effekte. Im vollstationären Setting erhalten Patien-<br />
48
Algesiologikum • Sektorenübergreifende Versorgung hoch chronifizierter Schmerzpatienten<br />
ten aufgrund der ökonomischen und strukturellen Bedingungen der Krankenhäuser jedoch teilweise<br />
merklich niedrigere Therapieintensitäten.<br />
Im Rahmen der Evaluation wurde untersucht, ob eine höhere Gesamtbehandlungsintensität in Folge einer<br />
Erhöhung des Eigenübungsanteils zu einer Effizienzsteigerung der multimodalen Behandlung beiträgt.<br />
Die Messparameter „gemittelte Schmerzintensität“, „subjektives Wohlbefinden“, „Depressivität“,<br />
„Ängstlichkeit“ und „Affektives Schmerzerleben“ wiesen statistisch signifikante Veränderungen auf. Die<br />
Ergebnisse zeigen, dass auch kurze multimodale Interventionen positive Effekte erzielen können – auch<br />
wenn die Patienten einen hohen Chronifizierungsgrad und eine hohe psychische Belastung aufweisen. Es<br />
stellte sich heraus, dass die signifikanten Veränderungen der Messparameter nicht mit der Übungshäufigkeit<br />
in Zusammenhang stehen. Von Bedeutung war vor allem die Anleitung der situationsabhängigen<br />
Anpassung von Verhaltensweisen (Su-Schroll, Schmid, Metje, Brinkschmidt, 2012).<br />
4. Vergleich der Häufigkeit von psychischen Begleiterkrankungen bei Patienten mit einer Schmerzdiagnose<br />
F45.41 und bei Patienten mit Schmerzen des Bewegungsapparates ohne F45.41 Diagnose.<br />
Es wurden insgesamt 385 Patienten mit chronischen muskuloskeletalen Schmerzen untersucht, die zwischen<br />
Januar 2011 und April 2012 im Algesiologikum-Zentrum für Schmerzmedizin im Krankenhaus für<br />
Naturheilwesen in München-Harlaching behandelt wurden. Etwa 72 Prozent der Patienten wiesen die<br />
Diagnose F45.41 auf; etwa 28 Prozent der Patienten hatten chronische Schmerzen mit einer dominierenden<br />
muskuloskeletalen Schmerzdiagnose ohne F45.41. In beiden Gruppen wurde mindestens eine zusätzliche<br />
F-Diagnose festgestellt. Die Gruppen unterschieden sich jedoch wesentlich: bei den Patienten<br />
mit F45.41 treten deutlich häufiger manifeste psychische Komorbiditäten auf – im Besonderen affektive<br />
Störungen und Angststörungen. Jedoch spielen psychische Begleiterkrankungen bei Patienten mit muskuloskeletalen<br />
Schmerzen ebenso eine große Rolle. Von den F45.41 Patienten wiesen etwa 49 Prozent<br />
eine manifeste depressive Erkrankung auf, ca. 9 Prozent eine Angststörung und fast 12 Prozent eine gemischte<br />
Angst- und depressive Störung. Bei den Patienten mit einer chronischen muskuloskeletalen<br />
Schmerzdiagnose zeigte sich hingegen nur bei etwa 18 Prozent der Patienten eine manifeste depressive<br />
Erkrankung und bei jeweils ca. 3 Prozent eine Angststörung oder eine gemischte Angst- und depressive<br />
Störung.<br />
Diese Ergebnisse implizieren, dass eine differenzierte Schmerzdiagnostik hinsichtlich der Schmerzentstehung<br />
und -chronifizierung unumgänglich ist, um therapierelevante Subgruppen zu identifizieren. Bei multifaktoriellen<br />
Krankheitsbildern stellen nicht die globalisierten Konzepte die erste Therapiewahl dar – sondern<br />
eine Therapie, welche die individuellen schmerzchronifizierenden Faktoren berücksichtigt (Metje,<br />
Su-Schroll, Brinkschmidt, 2012).<br />
Nächste Schritte<br />
Für das Jahr 2013 ist in Kooperation mit der medizinischen Hochschule Hannover und dem privaten Institut<br />
für angewandte Versorgungsforschung GmbH eine prospektive Studie in Planung. Neben Kostenverläufen<br />
soll die Kosteneffektivität der Therapie im Algesiologikum-Verbund gemessen werden. Dazu werden<br />
die Kosten den Outcomes gegenübergestellt und ins Verhältnis gesetzt.<br />
Die Behandlung im Algesiologikum Verbund wird streng nach den Qualitätskriterien der Deutschen<br />
Schmerzgesellschaft durchgeführt. Analysiert werden die Faktoren Nachhaltigkeit, Effektivität, Kosteneffektivität<br />
und sektorenübergreifende Behandlungspfade der eigenen Therapiesettings; so soll die Entwicklung<br />
weiterer und differenzierter Qualitätskriterien vorangetrieben werden.<br />
49
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Durch weitere Kooperationen, insbesondere außerhalb des Gesundheitsbereiches, sollen weitere Problembereiche<br />
der chronischen Schmerzpatienten intensiver in die Behandlung der eigentlichen Krankheit<br />
integriert werden.<br />
Bis dato hat sich die sektorübergreifende Struktur des Algesiologikum-Verbundes als erfolgreich erwiesen<br />
– sowohl in den Ballungsräumen München und Nürnberg-Fürth-Erlangen als auch im ländlichen Gebiet<br />
um Vilsbiburg. Zukünftig soll das Konzept auch auf weitere Gebiete übertragen werden, in denen<br />
Schmerzpatienten unter- oder fehlversorgt sind.<br />
Ansprechpartner<br />
Dr. Reinhard Thoma<br />
Geschäftsführer der Algesiologikum GmbH<br />
Algesiologikum-Zentren für Schmerzmedizin<br />
Algesiologikum GmbH<br />
Karlstr.96<br />
80335 München<br />
Telefon: 089 – 890 517 26<br />
E-Mail: thoma@algesiologikum.de<br />
Literatur<br />
Gerbershagen, H. U. (1996). Das Mainzer Studienkonzept des Schmerzes: Eine Standortbestimmung. Antidepressiva als Analgetika.<br />
D. Klinger, R. Morawetz, U. Thoden and M. Zimmermann. Wien, Aarachne: 71–95.<br />
Metje, E., D. Su-Schroll, et al., (2012). Vergleich der Häufigkeit von psychischen Begleiterkrankungen bei Patienten mit einer<br />
Schmerzdiagnose F45.41 und bei Patienten mit Schmerzen des Bewegungsapparates ohne eine F45.41 Diagnose, Algesiologikum<br />
Zentrum für Schmerzmedizin im Krankenhaus für Naturheilwesen.<br />
Ritter, R., B. Klasen, et al., (2012). Berufliche Reintegration von Schmerzpatienten im multimodalen Therapieprogramm: erste<br />
Ergebnisse, Algesiologikum Zentren für Schmerzmedizin.<br />
Schneider, A.-M., Klasen, B., Jennerwein, C., Amelung, V. E., Thoma, R. (2013). „Sektorenübergreifende schmerzmedizinische<br />
Versorgung. Der Algesiologikum-Verbund.” Der Schmerz 27: 166–173.<br />
Schneider, A., B. Klasen, et al., (2012). Einfluss verschiedener Parameter auf die Gestaltung multimodaler Therapieprogramme,<br />
Algesiologikum Zentren für Schmerzmedizin, München.<br />
Su-Schroll, D., E. Schmid, et al., (2012). Untersuchung zu Möglichkeiten der optimierung einer zwei- bis dreiwöchigen multimodalen<br />
Gruppenbehandlung, Algesiologikum Zentrum für Schmerzmedizin im Krankenhaus für Naturheilwesen.<br />
Thoma, R. (2011). Ambulante und stationäre Versorgungswege chronischer Schmerzpatienten in Deutschland. Fokus Schmerzen.<br />
Analyse der aktuellen Versorgungssituation. A. Becker, A. Freytag, G. Glaeskeet al., Heidelberg, Medhochzwei-Verlag.<br />
von Korff M., J. Ormel, et al., (1992). „Grading the severity of chronic pain.” Pain 50: 133–149.<br />
Zigmond A.S., Snaith R.P. (1983). The hospital anxiety and depression scale. Acta Psychiatrica Scandinavica 67 (6): 361–370.<br />
50
Ärztenetz Südbrandenburg (ANSB)<br />
• Versorgungssicherung einer ländlichen Region<br />
© <strong>MSD</strong>/Bardehle<br />
Jens Zierz, Dr. Carsten Jäger mit Juror Prof. Friedrich W. Schwartz (v. r.)<br />
1. Preis:<br />
Ärztenetz Südbrandenburg (ANSB)<br />
Versorgungssicherung einer ländlichen Region<br />
Autor: Carsten Jäger<br />
Management Summary<br />
Gemeinsam mit seinen zahlreichen regionalen Partnern setzt sich das Ärztenetz Südbrandenburg (ANSB)<br />
dafür ein, in den Lausitzer Landkreisen Elbe Elster und Oberspreewald-Lausitz eine qualitativ hochwertige<br />
Versorgung sicherzustellen. Wie in vielen ländlichen Gebieten Brandenburgs haben auch diese beiden<br />
Landkreise mit der Überalterung der Bevölkerung und einem Mangel an Ärzten zu kämpfen. Im Fokus des<br />
Projekts steht daher das Ziel, die ambulante, freiberufliche Fachkompetenz zu erhalten.<br />
Der Einsatz einer elektronischen Patientenakte sowie strukturierte Behandlungspfade machen es möglich,<br />
einen Großteil der Differenzialdiagnostik und Vorbefundung auf den Hausarzt zu übertragen – und so die<br />
Fachärzte zu entlasten. Unterstützung erhalten die Hausarztpraxen von den Case Managern und Gemein-<br />
51
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
deschwestern des Ärztenetzes. Komplettiert wird das Versorgungsangebot durch netzeigene Strukturen,<br />
wie ein MVZ, eine Tagespflege für Demenzkranke, eine Demenz WG sowie die SAPV.<br />
Träger des gesamten Netzwerkes ist die ANSB GbR, ein Zusammenschluss von über 60 freiberuflich niedergelassenen<br />
Ärzten der Region. Seit 2008 bestehen Vollversorgungsverträge nach § 140a–d SGB V<br />
zwischen dem Ärztenetz Südbrandenburg, der AOK Nordost und der Barmer GEK. Der Versorgungsvertrag<br />
mit Budgetverantwortung „ProMEDplus“ zählt derzeit 11.000 eingeschriebene Patienten.<br />
Einleitung<br />
Das ländliche Gebiet Südbrandenburgs ist eine wirtschaftlich schwache Region. Es besteht die Gefahr einer<br />
Überalterung der Bevölkerung, die Region ist medizinisch unterversorgt, es herrscht Ärztemangel. Seit<br />
der Gründung im Jahr 2004 möchte das Ärztenetz Südbrandenburg diesem Mangel entgegenwirken. Ziel<br />
ist die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Versorgung in den beiden Lausitzer Landkreisen Elber-<br />
Elster und Oberspreewald-Lausitz.<br />
Versorgungsherausforderung<br />
Die Versorgungssituation im ländlichen Gebiet Südbrandenburgs ist geprägt vom überdurchschnittlichen<br />
Alter der Bevölkerung und dem starken Einwohnerrückgang, alleine seit 1990 ist die Zahl der Bewohner<br />
um 22 Prozent gesunken. Ursache hierfür ist unter anderem die Abwanderung junger Menschen in Ballungsgebiete.<br />
Da auch junge Mediziner abwandern, geht die Schere zwischen Versorgungsbedarf und<br />
Versorgungsangebot weiter auseinander. Bis 2015 erreicht jeder dritte Hausarzt in Brandenburg und Sachsen<br />
das Rentenalter; bundesweit werden 10.000 Allgemeinmediziner den Ruhestand antreten. Das Land<br />
Brandenburg besitzt als einziges Bundesland keine Universitätsklinik. Hausärzte bleiben vorwiegend am<br />
Wohnort, Fachärzte an ihrem Ausbildungsort. Der Landkreis Elbe-Elster verfügt als höchste stationäre<br />
Versorgungstufe über lediglich drei Häuser der Grundversorgung. Mit rund 106.000 Versicherten und nur<br />
110 niedergelassenen Ärzten kann man von einer Unterversorgung und einem Ärztemangel in dieser ländlichen<br />
und wirtschaftlichen Region sprechen.<br />
Ressourcen werden knapper, gleichzeitig steigt aufgrund der überalterten Bevölkerung der Bedarf – besonders<br />
problematisch ist die ambulant fachärztliche Versorgung. Gefragt sind also Möglichkeiten, einem<br />
möglichst breiten Patientenkreis den Zugang zu fachärztlichen Leistungen zu ermöglichen.<br />
Einen Ausweg aus dieser Problematik sucht die Bundesregierung in der Förderung Integrierter Versorgungformen.<br />
Hiermit sollen die Grenzen zwischen ambulanter, stationärer und rehabilitativer Versorgung<br />
aufgehoben werden. Die Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhausärzten soll<br />
gefördert werden. Das Ärztenetz Südbrandenburg hat diese Zusammenarbeit zum Ziel. Es koordiniert die<br />
Behandlungswege und optimiert die Auslastung von Arztpraxen (Lausitzer Rundschau, 2009).<br />
Entstehungsgeschichte<br />
Das Ärztenetz Südbrandenburg entstand aus einer Idee von MU Dr. (CS) Andreas Hagenow aus Elsterwerda<br />
(Elbe-Elster-Kreis). In den Gründungsjahren investierten die Ärzte als Gesellschafter der ANSB GbR, um<br />
eigene Managementstrukturen in Form der ANSB Consult GmbH aufzubauen, eine Geschäftsstelle anzu-<br />
52
Ärztenetz Südbrandenburg (ANSB)<br />
• Versorgungssicherung einer ländlichen Region<br />
mieten, Personal anzustellen und eine EDV-Vernetzung aufzubauen. Diese Bemühungen und Investitionen<br />
zahlten sich rasch aus, in Form einer besseren Zusammenarbeit und eines fortgeschrittenen Informationsflusses<br />
unter den Kollegen. Letztlich profitieren aber vor allem chronisch kranke und multimorbide Patienten<br />
von diesem Zusammenschluss. Im Frühjahr 2008 war das Versorgungskonzept des ANSB soweit<br />
entwickelt, dass es den regional relevanten Krankenkassen im Rahmen eines Selektivvertrages angeboten<br />
werden konnte. Es kam zum Abschluss zweier populationsbezogener IV-Verträge mit der AOK Brandenburg<br />
(heute AOK Nordost) und der Barmer Ersatzkasse (heute Barmer GEK). Durch die Zulassung des<br />
netzeigenen MVZ am 01.07.2012 wurde das Leistungsspektrum des Ärztenetz Südbrandenburg konsequent<br />
weiter ausgebaut. Weiterhin wird es auch hier seiner Verantwortung für die Region Elbe-Elster/<br />
Oberspreewald Lausitz gerecht, indem es jungen Ärzten mit der Anstellung eine flexible Möglichkeit zur<br />
ambulanten Tätigkeit ohne eigenes wirtschaftliches Risiko anbietet – beispielsweise auch in Teilzeit für<br />
junge Mütter (Jäger, 2012).<br />
Kernelemente<br />
Versorgungskonzept<br />
Verschiedene Einzelbausteine werden dabei zu einem gesamten Versorgungskonzept zusammengefügt,<br />
welches je nach Bedarf um neue Teilaspekte erweitert wird.<br />
• ProMEDplus<br />
• Zentrale Patientenakte: Software „Curanet Managed Care Solutions“<br />
• Demenzversorgung Lebensfreude<br />
• Spezialisierte Ambulante PalliativVersorgung (SAPV)<br />
• MVZ ANSB med Zentrum GmbH<br />
Die verschiedenen Projektteile haben das gemeinsame Ziel, eine hochwertige medizinische, pflegerische<br />
und betreuende Versorgung in der Region Südbrandenburg zu sichern und aufrecht zu erhalten – trotz<br />
Überalterung und Ärztemangel.<br />
In diesem Zusammenhang werden zwei Strategien konsequent, nachhaltig und parallel verfolgt:<br />
1. Neustrukturierung der Versorgung durch die Abstimmung von Behandlungspfaden und Entlastung der<br />
Praxen durch den Einsatz von nichtmedizinischem Personal<br />
2. Attraktive Angebote, um Ärzte in der Region zu halten und junge Ärzte zu motivieren, sich neu niederzulassen<br />
Beide Strategien wurden bislang erfolgreich umgesetzt und haben im ersten Quartal 2013 bereits zu zwei<br />
neuen Niederlassungen von Hausärzten im Ärztenetz Südbrandenburg geführt.<br />
Zielgruppe<br />
Im Mittelpunkt des ANSB stehen Zukunftssicherung und Erhalt der ambulanten, freiberuflichen ärztlichen<br />
Fachkompetenz. Das MVZ ANSB med Zentrum GmbH ist beispielsweise ein attraktiver Arbeitgeber für<br />
junge Ärzte mit geänderten Berufsvorstellungen. Zielgruppe sind vor allem weibliche Medizinabsolventen,<br />
die durch das MVZ ANSB die Möglichkeit erhalten sollen, einer attraktiven Tätigkeit im ambulanten Bereich<br />
in der Region nachgehen zu können – ohne wirtschaftlichen Druck, mit geregelten (Teilzeit-)Arbeitszeiten.<br />
53
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Denn es sind gerade die erhöhte Arbeitszeitbelastung, zusammen mit dem wirtschaftlichen Risiko umfangreicher<br />
Investitionen, die junge Mediziner von einer freiberuflichen Niederlassung abhalten.<br />
Mit dem Konzept sollen vor allem schwer kranke und chronisch kranke Patienten angesprochen werden.<br />
Dank einer umfassenden und strukturierten Behandlung durch den Hausarzt können unter anderem Doppeluntersuchungen,<br />
wiederholte Krankenhauseinweisungen und lange Wartezeiten reduziert oder ganz<br />
vermieden werden. Ambulante und sektorübergreifende Behandlungspfade bestehen bereits oder sind für<br />
folgende Patientengruppen geplant:<br />
• Patienten mit Diabetes<br />
• Patienten mit KHK<br />
• Patienten mit rheumatoider Arthritis<br />
• Schlaganfallpatienten<br />
• Patienten mit diabetischem Fußsyndrom<br />
• Kopfschmerzpatienten<br />
• Rückenschmerzpatienten<br />
• Allergiker (Mißlbeck, 2009).<br />
Versorgungselemente<br />
ProMEDplus<br />
Der populationsbezogene Vollversorgungsvertrag nach §§ 140a ff. SGB V ProMEDplus beinhaltet spezifisch<br />
geregelte haus- und fachärztliche, ambulante, wohnortnahe Versorgung. Primär ist der Vertrag auf<br />
eine indikationsübergreifende Betreuung von chronisch kranken und multimorbiden Patienten in der ANSB-<br />
Region ausgerichtet. Die ambulante Versorgung übernehmen niedergelassene Ärzte in Einzel praxen, Krankenhausärzte<br />
aus der Region und assoziierte Spezialpraxen – im Rahmen einer engen Kooperation zwischen<br />
Arzt und Versorgungsmanagement des Netzes und der Krankenkassen. In der ANSB-Region können<br />
Versicherte der AOK Nordost und der Barmer GEK ab Vollendung des 18. Lebensjahres an der Integrierten<br />
Versorgung im Rahmen von ProMEDplus teilnehmen. Seit Einschreibungsbeginn am 19.05.2008 nahmen<br />
insgesamt rund 11.000 Versicherte an ProMEDplus teil (Ärztenetz Südbrandenburg, o. J.).<br />
Zentrale Patientenakte: Software „Curanet Managed Care Solutions“<br />
Zentrales Element des Versorgungskonzeptes ist die speziell für das Ärztenetzwerk entwickelte Softwarelösung<br />
„Curanet Managed Care Solution“. Bereits 2006 hat das ANSB die Entwicklung einer eigenen<br />
Vernetzungssoftware in Auftrag gegeben. Durch diese elektronische Patientenakte hat – sofern die jeweilige<br />
Patienteneinwilligung vorliegt – jeder Netzarzt Zugriff auf die patientenbezogenen Informationen, wie<br />
etwa die elektronische Abbildung von zentralen Akteneinträgen, Behandlungspfaden, Medikationsplänen,<br />
Befundversand und Terminplanung im Rahmen von netzinternen Überweisungen. Durch folgende Maßnahmen<br />
wird die Datensicherheit der hochsensiblen Patientendaten sichergestellt:<br />
• Hochsicherheitsserver<br />
• KV Safenet Zertifizierung<br />
• Georedundanz<br />
54
Ärztenetz Südbrandenburg (ANSB)<br />
• Versorgungssicherung einer ländlichen Region<br />
• Biometrische Verfahren für Patienten (elektronsicher Fingerabdruck)<br />
• Qualifiziertes Personenzertifikat, sogenannte „SMART CARD“ für Ärzte<br />
• Durch die Software und ihre hohe Datensicherheit ist das Versorgungskonzept des ANSB bei Patienten,<br />
Ärzten und Kostenträgern in hohem Maße akzeptiert (Ärztenetz Südbrandenburg, o. J.; Jäger, 2012).<br />
Demenzversorgung Lebensfreude<br />
Das ANSB legt einen besonderen Schwerpunkt auf Versorgung demenzkranker Patienten. Hierzu wurde<br />
ein sechsstufiges Betreuungssystem unter dem Namen „Lebensfreude“ entwickelt.<br />
1. Die Diagnose Demenz erfolgt durch Ärzte des Ärztenetzes Südbrandenburg. Sie leiten neben der medizinischen<br />
Therapie die Betreuung im Rahmen des Projektes ein. Unterstützung erhalten die Praxen<br />
durch Demenzfachkräfte (DeFa), also speziell ausgebildete Schwestern des ANSB.<br />
2. Die Case Managerin und die Gemeindeschwester (agneszwei) des Ärztenetzes Südbrandenburg nehmen<br />
mit den Patienten Kontakt auf, sprechen mit den Angehörigen, leisten Aufklärung, koordinieren<br />
Termine und Hilfsmittel und bieten die Betreuung im Rahmen des Projektes Lebensfreude an.<br />
3. Case Managerin und Gemeindeschwester können zur Pflege und zur darüber hinaus gehenden Betreuung<br />
bis zu 62 ehrenamtliche Helfer einsetzen. Die Betreuung erfolgt im Rahmen einer 1:1-Betreuung; ein<br />
Helfer betreut also nur einen Demenzkranken.<br />
4. Angehörige haben die Möglichkeit, die erkrankten Patienten stundenweise in eine Demenzbetreuungsgruppe<br />
zu geben, um Freiräume für eigene Besorgungen zu nutzen.<br />
5. In eigener Trägerschaft betreibt das Ärztenetz eine auf Demenzkranke spezialisierte Tagespflege und<br />
hat dazu eine liebevoll restaurierte Fabrikantenvilla mit 7.000qm Park angemietet.<br />
6. Kürzlich erfolgte die Grundsteinlegung für einen neuen Gebäudekomplex mit drei abgestuften alternativen<br />
Wohnformen. Darunter soll sich eine Demenz-WG mit acht Plätzen befinden, welche die Möglichkeit<br />
bietet, demente Patienten rund um die Uhr zu unterstützen. Die Patienten sind dabei so selbstbestimmt<br />
wie möglich; sie selbst (oder bevollmächtigte Angehörige) sind Mieter, sie entscheiden frei über<br />
den Umfang der Unterstützung. Die Rahmenbedingungen der alternativen Wohnformen sind darauf<br />
ausgerichtet, die Fähigkeiten des Patienten so lange wie möglich zu erhalten. Dieses Bauvorhaben soll<br />
bis 2014 umgesetzt werden.<br />
Spezialisierte Ambulante PalliativVersorgung (SAPV)<br />
Seit 2012 ist das Ärztenetz Südbrandenburg Träger der Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung. Die<br />
SAPV stellt auf Grundlage einer multiprofessionellen und sektorübergreifenden Zusammenarbeit die ärztliche<br />
und pflegerische Komplexleistung sicher. Die Betreuung im Rahmen der SAPV zielt darauf ab, die<br />
Lebensqualität und Selbstbestimmung unheilbar kranker Menschen mit geringer Lebenserwartung zu<br />
verbessern. Durch die zielgerichtete Zusammenarbeit von Haus- und Fachärzten, Palliativmedizinern, spezialisierten<br />
Pflegekräften, ambulanten Hospizdiensten und psychoonkologischen Betreuungsdiensten können<br />
Voraussetzungen geschaffen werden für ein menschenwürdiges Leben bis zum Tod. Inhalte sind in<br />
diesem Zusammenhang alle notwendigen Beratungs- und Koordinationsleistungen. Ferner trägt die SAPV<br />
zur Vermeidung von nicht notwendigen Krankenhausaufenthalten bei und ergänzt das allgemeine Angebot<br />
der palliativmedizinischen und -pflegerischen Versorgung der Anbieter innerhalb der Primärversorgung.<br />
Die Leistungen der SAPV werden in der Regel lediglich sporadisch und phasenweise notwendig und ermöglichen<br />
die häusliche Betreuung für mehr als 90 Prozent der betreuten Patienten bis zum Tod. Zum<br />
SAPV gehören aktuell fünf Palliativmediziner, zwei Palliativ Care Koordinatoren und 60 Palliativ Care Pflegekräfte<br />
in 24 Pflegediensten. Weiterhin gehören zu den Kooperationspartnern der SAPV in Südbranden-<br />
55
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
burg ein Hospiz, zwei ambulante Hospizdienste, zwei Apotheken, eine Notfallseelsorge, ein Büro und ein<br />
Sanitätshaus.<br />
MVZ ANSB med Zentrum GmbH<br />
Ein weiterer Fokus liegt stets auch auf der Rekrutierung neuer Ärzte für eine ambulante Tätigkeit in der<br />
Region. Am 01.07.2012 wurde vor diesem Hintergrund das bundesweit erste Medizinische Versorgungszentrum<br />
(MVZ) in Trägerschaft eines Ärztenetzes gegründet: Die ANSB med Zentrum GmbH, zu 100 Prozent<br />
getragen von der ANSB GbR.<br />
Zum Zeitpunkt der Gründung des MVZ bestand es aus zwei Ärzten, einer Hausärztin und einem Gynäkologen.<br />
Nach der gut angelaufenen Startphase wurde das MVZ zum 01.02.13 sowie zum 01.04.13 jeweils<br />
durch eine Hausärztin nachbesetzt bzw. erweitert; zum 01.01.2014 konnte bereits eine weitere Ärztin<br />
verpflichtet werden. Das MVZ dient nicht prioritär der Generierung von Deckungsbeiträgen oder der selektiven<br />
Patientensteuerung, es wurde als Attrahirungsinstrument für junge Ärzte mit geänderten Berufsvorstellungen<br />
gegründet. Vor allem soll den weiblichen Medizinabsolventen eine ansprechende Möglichkeit<br />
der ambulanten Tätigkeit in der Region geboten werden – ohne wirtschaftlichen Druck und mit geregelten<br />
Arbeitszeiten. Darüber hinaus besteht im Rahmen der Änderung des § 95 (9b) SGB V des VStG die Möglichkeit,<br />
junge Ärzte mit der Zulassung aus der ANSB med Zentrum GmbH in eine Niederlassung zu entlassen<br />
und so die Praxisnachfolge von Netzärzten im Ruhestand zu sichern. Somit wird das ANSB seiner<br />
Versorgungsverantwortung in der Region gerecht – sowohl gegenüber Patienten als auch gegenüber den<br />
ausscheidenden Netzärzten (Ärztenetz Südbrandenburg, o. J.).<br />
Mehrwert<br />
Der Überweisungspfad Kardiologie steht beispielhaft für den Mehrwert der elektronischen Patientenakte,<br />
einem Kernstück des Versorgungskonzeptes. Er wird angewendet bei Patienten mit Verdacht auf kardiologische<br />
Erkrankungen, die zuvor noch nicht in kardiologischer Behandlung waren. Hier übernimmt der Hausarzt<br />
vor der Überweisung alle wichtigen Untersuchungen, die nicht zwangsläufig durch den Facharzt<br />
durchgeführt werden müssen. Darüber hinaus erhebt er die vollständige Anamnese. Alle erhobenen Daten<br />
überträgt der Hausarzt in den Behandlungspfad. Aus diesen Einträgen lassen sich automatisch die Daten<br />
in einer zentralen Patientenakte mit Behandlungspfadabbildung generieren. Den Überweisungsbrief mit<br />
den eingetragenen Daten bekommt anschließend der Kardiologe. Somit hat er alle den Patienten betreffenden<br />
Daten auf einen Blick zur Hand und kann sie als Basis für seine kardiologische Diagnostik nutzen.<br />
Hierdurch können sowohl Zeit als auch Kosten gespart werden. Behandlungswege werden koordiniert und<br />
die Auslastung der Arztpraxen optimiert. Durch die Konzentration auf den ambulanten Sektor können Krankenhauseinweisungen<br />
reduziert werden. Ferner kann insbesondere in strukturschwachen Regionen die<br />
Versorgung qualitativ hochwertig und umfassend aufrechterhalten werden – trotz Überalterung und einem<br />
deutlichen Ärztemangel (Harloff, 2010; Lausitzer Rundschau, 2009).<br />
Finanzierung<br />
Durch unbefristete IV-Verträge nach §§ 140 ff SGB V mit Budgetverantwortung zweier großer Versorgerkrankenkassen<br />
der Region (AOK Nordost und Barmer GEK) ist das Gesamtprojekt Ärztenetz Südbrandenburg<br />
finanziell nachhaltig finanziert.<br />
56
Ärztenetz Südbrandenburg (ANSB)<br />
• Versorgungssicherung einer ländlichen Region<br />
Tabelle 8 – Zeit und Budgetplan<br />
Zeit Maßnahme Kosten<br />
2004–2008 Netzgründungsphase, Strukturaufbau, Aufbau der Managementstrukturen<br />
und Abstimmungsprozesse<br />
2008 Entwicklung der zentralen Patientenakte und Implementierung erster<br />
Behandlungspfade<br />
Ca. 325.000 € (investiert)<br />
Ca. 260.000 € (investiert)<br />
Seit 2008 Abschluss der Vollversorgungsverträge mit Budgetverantwortung,<br />
Beginn Amortisationsphase<br />
2011–2012 Planungs- und Vorbereitungsphase der ANSB medZentrum GmbH Ca.100.000€ (investiert)<br />
2010–2012 Aufbau der SAPV, inkl. Ausbildung des Personals Ca. 40.000 € (investiert)<br />
2012 Vollständige Amortisation der Strukturaufbau- und IT-Entwicklungskosten<br />
2013 Entwicklung und Investition Demenz WG Ca.3 Millionen € (Investor)<br />
2012––2014 Gründung und Aufwuchs der ANSB medZentrum GmbH Ca.400.000 € (investiert)<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Das Ärztenetz Südbrandenburg wurde im November 2004 als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) mit<br />
ausschließlich niedergelassenen Ärzten gegründet. Die ANSB-Geschäftsstruktur besteht aus der ANSB<br />
GbR mit ihrem neunköpfigen Vorstand und der ANSB Consult GmbH mit zwei Geschäftsführern und einem<br />
Netzbüro. Das Ärztenetz Südbrandenburg ist ein Zusammenschluss von aktuell 46 Mitgliedern und<br />
16 Assoziierten, darunter 34 Haus- und 28 Fachärzte im südlichen Landkreis Elbe-Elster und in Landkreis<br />
Oberspreewald-Lausitz. Darüber hinaus kooperiert das Ärztenetz im Rahmen des ProMEDPlus-Vertrags<br />
mit der Dienstleistungstochter der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg KV COMM, sowie dem<br />
Klinikum Niederlausitz (Agentur deutscher Ärztenetze e.V.; Wulfert, 2010). Die ANSB Consult GmbH als<br />
netzeigene Managementgesellschaft ist Träger aller Maßnahmen. Ihre Gesellschafterin ist zu 100 Prozent<br />
die ANSB GbR mit ausschließlich niedergelassenen Vertragsärzten der Region. Alle weiteren niedergelassenen<br />
Gesellschaften und alle weiteren Projekte werden ebenfalls komplett von der ANSB GbR getragen.<br />
Somit ist sichergestellt, dass alle Maßnahmen in direktem Zusammenhang stehen mit den regionalen<br />
Bedürfnissen der ambulanten Patientenversorgung und somit unabhängig sind von Partikularinteressen<br />
Dritter. Das Servicezentrum Gesundheit Südbrandenburg (SGSB GmbH) mit eigenen Case Managern<br />
wurde am 09.09.09 gegründet. Die Nachhaltigkeit wird ebenso durch die Trägerstruktur gewährleistet.<br />
Alle Komponenten des Gesamtprojekts wurden bereits umgesetzt oder mit zielgenauen vertraglichen<br />
Verpflichtungen verbindlich geplant, strukturiert und finanziert. Verschiedene ärztliche Kompetenzteams<br />
sind für die Erarbeitung medizinischer Behandlungspfade zuständig. Direkt bei der ANSB Consult GmbH<br />
angestellt sind Case Manager, Palliativ-Care Koordinatoren und agneszwei-Fachkräfte. Die ANSB med-<br />
Zentrum GmbH hat zurzeit drei angestellte Ärzte und sieben Medizinische Fachangestellte. Dieses Teilprojekt<br />
wird bis Ende 2014 die notwendigen Betriebsmittel eigenständig erwirtschaften können.<br />
Darüber hinaus arbeitet das Ärztenetz mit folgenden regionalen Partnern zusammen:<br />
• Klinikum Niederlausitz (kommunales Klinikum der Grund- und Regelversorgung)<br />
• Fontana-Klinik Bad Liebenwerda (Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Muskulo-Skeletalen Systems)<br />
• Etwa 20 ambulante Pflegedienste der Region<br />
• Verschiedene stationäre Pflegeeinrichtungen der Region<br />
57
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
• Kommunen<br />
• Anbieter von Rehabilitationssport, Funktionstraining, Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie, Podologie<br />
und andere (Ärztenetz Südbrandenburg, o. J.).<br />
Evaluation<br />
Qualität und Effizienz des Versorgungsangebotes der IV-Verträge des ANSB werden im Rahmen einer<br />
externen Evaluation jährlich gemessen und bewertet. Die Ergebnisse dieser Analysen sind nicht im Detail<br />
öffentlich zugänglich und werden von den Vertragspartnern nicht freigegeben. Die Auswertungen der<br />
letzten fünf Jahre weisen bei den 11.000 eingeschriebenen Patienten durchschnittlich eine Effizienz bzw.<br />
eine Kostensenkung von 10,2 Prozent pro Jahr auf, und zwar in den Kostenbereichen stationäre Versorgung,<br />
Arzneimittelversorgung, ambulante Pflege, Fahrtkosten sowie Heil- und Hilfsmittel. Analysen zur<br />
Patientenzufriedenheit ergaben im Rahmen von anonymisierten Patientenbefragungen eine Weiterempfehlungsquote<br />
von 96 Prozent.<br />
Abbildung 6 – Aktuelle Struktur des ANSB<br />
Ärztenetz<br />
Südbrandenburg – ANSB<br />
Gesellschafter : ausschließlich<br />
Vertragsärzte<br />
GF: Herr Dr. Erhard Kiesel und<br />
Frau Sabine Banda<br />
ANSB Consult GmbH<br />
Gesellschafterin: ANSB<br />
GbR (100%)<br />
GF: Dr. Carsten Jäger,<br />
Jens Zierz<br />
• Netzmanagement<br />
• Netzbüro<br />
• ProMEDplus<br />
• Fortbildung<br />
• Zentrale IT<br />
• Behandlungspfade<br />
• Demenzversorgug<br />
• SAPV<br />
• agnes zwei<br />
• Projektentwicklung<br />
ANSB medZentrum<br />
GmbH<br />
Gesellschafterin : ANSB GbR<br />
(100%)<br />
GF: Andreas Bernhardt, Dr.<br />
Carsten Jäger<br />
Servicezentrum<br />
Gesundheit<br />
Südbrandenburg – SGSB<br />
GmbH<br />
• Case Management<br />
• JobCare<br />
• Demenzbetreuung<br />
• agnes zwei<br />
Palliativnetz<br />
Südbrandenburg<br />
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Ärztenetz Südbrandenburg (o. J.).<br />
58
Ärztenetz Südbrandenburg (ANSB)<br />
• Versorgungssicherung einer ländlichen Region<br />
Nächste Schritte<br />
Künftig soll das MVZ stärker in die Prozesse des Ärztenetzes Südbrandenburg einbezogen und vor allem<br />
in die Versorgungsverträge integriert werden. Zudem sollen die Lücken in der fachärztlichen Versorgung<br />
geschlossen werden, insbesondere in den Fachbereichen Augenheilkunde und Pädiatrie. Das MVZ soll<br />
perspektivisch über sechs bis acht Ärzte verfügen. Mittelfristig sind zwei bis drei weitere Standorte in der<br />
Region geplant (Ärztenetz Südbrandenburg, o. J.).<br />
Ansprechpartner<br />
Dr. Carsten Jäger<br />
Ärztenetz Südbrandenburg Consult GmbH<br />
Elsterstraße 23<br />
04910 Elsterwerda<br />
Telefon: 03533 – 489573<br />
Literatur<br />
Ärztenetz Südbrandenburg (o. J.). Versorgungssicherung einer ländlichen Region durch ein Ärztenetz.<br />
Harloff, I. (2010). „Integrierte Versorgung: In Südbrandenburg sinkt die Zahl der Klinikeinweisungen.” Ärzte Zeitung.<br />
Jäger, C. (2012). Das Netz soll’s richten! – Erwartungen, Erfolge und Fallstricke beim Aufbau regionaler Versorgungskonzepte<br />
am Beispiel Südbrandenburg. Vortrag im Rahmen der Landesdelegiertenversammlung am 21.04.2012.<br />
Lausitzer Rundschau (2009). „Tagesthemen: Netze sollen Mangel auffangen.”.<br />
Mißlbeck, A. (2009). „Versorgungsmodell in Brandenburg wächst.” Ärzte Zeitung.<br />
59
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
© <strong>MSD</strong>/Bardehle<br />
Sophie Schwab mit Juror Prof. Volker E. Amelung<br />
2. Preis:<br />
DAK-Gesundheit<br />
stattkrankenhaus<br />
Autoren: Markus Hinz und Sophie Schwab<br />
Management Summary<br />
Ambulante Hilfe statt Krankenhaus: Das Projekt stattkrankenhaus will schwer psychisch erkrankte Patienten<br />
kontinuierlich und individuell versorgen und so eine optimale Behandlung sicherstellen. Multiprofessionelle<br />
Teams ermöglichen eine gemeindenahe Betreuung des Patienten – in seinem häuslichen Umfeld, 24 Stunden<br />
am Tag, 365 Tage im Jahr. Die Betreuung wird durch diese Teams sektorenübergreifend koordiniert; zu<br />
den Teams gehören Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter sowie Gesundheits- und Krankenpflegekräfte.<br />
stattkrankenhaus ist ein Projekt der DAK-Gesundheit. Unter diesem Namen schließt die DAK-Gesundheit<br />
mit diversen Partnern Verträge zur Integrierten Versorgung nach den §§ 140a–d SGB V. Die Verträge werden<br />
von der DAK-Gesundheit über eine Zweijahrespauschale jeweils vollständig finanziert. Das Versorgungsmodell<br />
startete 2007 als „Hamburger Modell“, wird aber mittlerweile bundesweit umgesetzt. Für<br />
die Patienten ist die Teilnahme freiwillig und kostenfrei.<br />
60
DAK-Gesundheit • stattkrankenhaus<br />
Einleitung<br />
Psychotische Erkrankungen verlaufen aufgrund ihrer Komplexität meist ungünstig, Betroffene bleiben häufig<br />
lange Zeit unbehandelt. Aufgrund der unzureichenden ambulanten Behandlung werden Patienten mit<br />
psychotischen Erkrankungen üblicherweise voll- oder teilstationär versorgt. Das Versorgungsmodell „stattkrankenhaus“<br />
hat sich zum Ziel gesetzt, dieses Versorgungsdefizit zu beheben. Sein gesundheitspolitisches<br />
Ziel „ambulant vor stationär“ steht für den Anspruch, psychisch erkrankte Menschen im häuslichen<br />
Umfeld zu betreuen – unter Einbindung aller vorhandenen Strukturen. Im Fokus stehen die engmaschige<br />
Betreuung, Beratung und Schulung im Rahmen einer optimalen Abstimmung der Betroffenen.<br />
Versorgungsherausforderung<br />
Psychische Erkrankungen, bei denen unter anderem Halluzinationen, Wahn und Denkstörungen auftreten,<br />
sind hochkomplexe Störungen (s. Abbildung 7). Die Komplexität zeigt sich bereits im Frühverlauf<br />
einer beginnenden oder schon manifesten Psychose, jedoch insbesondere bei der Ersterkrankung und<br />
im weiteren Verlauf. Psychische Störungen sind gekennzeichnet durch eine Vielzahl an psychotischen<br />
Symptomen (positiv, negativ, kognitiv, Desorganisation) und assoziierten Symptomen (Agitation, Depression,<br />
Suizidalität). Hinzu kommen komorbide psychische oder somatische Störungen, verzögerte Persönlichkeitsentwicklungen,<br />
Traumata, Funktionseinbußen und sich daraus ergebende soziale Probleme:<br />
es wird beispielsweise die Schule, die Ausbildung oder die Arbeit abgebrochen; Kontakte zu Familie und<br />
Freunden gehen verloren (Lambert, o. J.).<br />
Abbildung 7 – Übersicht über Symptome, körperliche und psychische Begleiterkrankungen, soziale Konsequenzen,<br />
sonstige Probleme<br />
Symptome<br />
– Positivsymptomatik:<br />
Wahn, Halluzinationen, Desorganisation<br />
– Negative Symptome:<br />
z.B. Affektverflachung, Anhedonie<br />
(80% der Patienten im Verlauf;<br />
15.25% Defizitsyndrom)<br />
– Kognitive Defizite<br />
z.B. Lernen, Gedächtnis Konzentration<br />
(etwa 75% der Patienten; etwa 15% IQ < 70)<br />
– Assoziierte Symptome<br />
Aggression und/oder Delinquenz<br />
Somatische Komorbidität<br />
– Adipositas<br />
– Metabolisches Syndrom<br />
– Diabetes<br />
– Kardiovaskuläre Erkrankungen<br />
Soziale Konsequenzen<br />
– Schulabbruch/–probleme<br />
– Arbeitsabbruch/–probleme<br />
– Keine Ausbildung und/oder<br />
Arbeitslosigkeit<br />
– Beziehungsprobleme/<br />
Sozialangst/ ohne Partner<br />
– Familiäre Probleme<br />
– Wohnungslosigkeit<br />
– Frühberentung<br />
– Aggression / Delinquenz<br />
– Hohe Morbidität<br />
– Hohe Mortalität (20%<br />
kürzere Lebenserwartung)<br />
Psychische Komorbidität<br />
– Affektive Störungen (20–40%)<br />
– Suchtstörung (40–60%)<br />
– Angststörung (10–20%)<br />
– Zwangsstörung (5–15%)<br />
– Persönlichkeitsstörung (15–20%)<br />
Sonstige Probleme<br />
– Lange Dauer der unbehandelten<br />
Erkrankung (gilt für etwa 80%)<br />
– Suizidalität (10–20fach erhöht)<br />
– Trauma (60–80%)<br />
– Mangelnde Krankheitseinsicht<br />
zu Beginn (40–60%)<br />
– Non– Compliance (60–80%)<br />
– Gesamtbehandlungsabbruch<br />
(etwa 30% im ersten Jahr)<br />
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Lambert (o. J.).<br />
61
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Die Psychose ist eine relativ häufige Erkrankung. Nach konservativer Schätzung erkranken etwa ein bis<br />
zwei Prozent der Bevölkerung mindestens einmal im Leben. Circa 50 bis 60 Prozent der Angehörigen<br />
leiden selbst an einer psychischen Erkrankung und etwa 25 Prozent sogar an einer psychotischen Störung.<br />
Der Verlauf und die Prognose hängen maßgeblich von der Qualität der Behandlungen ab.<br />
Es existieren zwölf unterschiedliche diagnostische Entitäten, bei welchen das Krankheitsbild durch psychotische<br />
Symptome geprägt ist, v.a. die schizophrenen Störungen, die bipolare Störung oder die schwere<br />
Depression (Lambert, o. J.).<br />
Tabelle 9 – Diagnosen nach ICD-10<br />
F1-Störungen F2-Störungen F3-Störungen<br />
Substanz-induzierte psychotische<br />
Störung (F1x.5)<br />
Schizophrenie (F20)<br />
Anhaltende wahnhafte Störung<br />
(F22)<br />
Akute vorübergehende<br />
psychotische Störung (F23)<br />
Induzierte wahnhafte Störung (F23)<br />
Schizoaffektive Störung (F25)<br />
Sonstige nichtorganische<br />
psychotische Psychose (F28)<br />
Nicht näher bezeichnete<br />
nichtorganische Psychose<br />
Manische Episode mit psychotischen<br />
Symptomen (F30)<br />
Bipolar affektive Störung (F31)<br />
Schwere depressive Episode mit<br />
psychotischen Symptomen (F32.3)<br />
Rezidivierende depressive Störung,<br />
gegenwärtig schwere depressive Episode<br />
mit psychotischen Symptomen (F33.3)<br />
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Lambert (o. J.).<br />
Laut neuesten epidemiologischen Studien liegt die Inzidenz von Schizophrenie-Fällen bei 15,2 pro 100.000<br />
Einwohner. Die Ein-Jahres Prävalenz liegt im Median bei 3,3 pro 100.000 Einwohner, die Lebenszeitprävalenz<br />
im Median bei 4,0 pro 100.000 Einwohner und das Lebenszeitmorbiditätsrisiko im Median bei<br />
7,2 pro 100.000 Einwohner. Die Ein-Jahres Prävalenz für die bipolare Störung I (mit psychotischen Symptomen)<br />
liegt bei 0,6 Prozent und die Lebenszeitprävalenz liegt bei einem Prozent (Lambert, o. J.).<br />
Psychische Störungen sind sehr viel häufiger als man aufgrund von Arbeitsunfähigkeitsdaten annehmen<br />
würde. Das zeigen die Erhebung der „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS)“ des<br />
Robert Koch-Instituts und die Zusatzuntersuchung „Psychische Gesundheit“ (DGES-MHS). Demnach beträgt<br />
die 12-Monats-Prävalenz für vollkommen ausgeprägte psychische Störungen rund 25 Prozent bei erwachsenen<br />
Männern und 33 Prozent bei erwachsenen Frauen in der Altersgruppe von 18–79 Jahren. Insgesamt<br />
ist jährlich etwa ein Drittel der Bevölkerung von mindestens einer psychischen Störung betroffen.<br />
Die drei häufigsten psychischen Störungen sind Angststörungen (12-Monatsprävalenz: 16,2 %), Alkoholstörungen<br />
(11,2 %) und die unipolare Depression (8,2 %). Frauen sind beinahe von allen psychischen Störungen<br />
sehr viel häufiger betroffen als Männer. Eine Zunahme von Arbeitsunfähigkeiten aufgrund von<br />
psychischen Erkrankungen ist seit circa 15 Jahren die auffälligste Entwicklung im Arbeitsunfähigkeitsgeschehen.<br />
Mit einem Anteil von 14,5 Prozent an Fehltagen befinden sich die psychischen Erkrankungen<br />
nach den Muskel-Skelett Erkrankungen auf Platz 2 der wichtigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeit (DAK<br />
2013).<br />
62
DAK-Gesundheit • stattkrankenhaus<br />
Verlauf<br />
Zumeist beginnt die Erkrankung bei den Betroffenen sehr früh: zwischen dem 15. und dem 25. Lebensjahr.<br />
Psychotische Störungen verlaufen meist ungünstig aufgrund der Komplexität der Erkrankung, der Behandlungsverzögerung<br />
und des unzureichenden Hilfesystems. Nur 10 bis 15 Prozent der Betroffenen<br />
durchlaufen lediglich eine Episode im Leben. Bei allen anderen existieren nach der ersten Episode dauerhafte<br />
Symptome oder aber wiederkehrende Episoden – mit oder ohne dauerhafte Symptome bzw. mit<br />
einer zunehmenden Verschlechterung des Krankheitsbildes. Dieser Verlauf wird vor allem durch die Behandlungsfaktoren<br />
bestimmt.<br />
Für die Betroffenen mit nur einer Episode ist insbesondere eine adäquate Früherkennung notwendig; und<br />
es ist wichtig, dass die Behandlung so früh wie möglich begonnen wird. Damit wird unter anderem eine<br />
gute Therapieadhärenz möglich sowie die Behandlung eventuell bestehender komorbider psychischer<br />
Störungen (Lambert, o. J.).<br />
Behandlung<br />
Betroffene bleiben häufig lange Zeit unbehandelt. Die Mehrzahl ist durchschnittlich bereits etwa zwei bis<br />
fünf Jahre erkrankt, bevor eine angemessene biologische und psychische Behandlung beginnt. Eine zunehmende<br />
Behandlungsverzögerung kann zu folgenden schwerwiegenden Auswirkungen auf den Verlauf<br />
und die Prognose der Erkrankung führen:<br />
• Zunahme der Suizidversuche vor Beginn der ersten Behandlung<br />
• Abnahme des Funktionsniveaus vor Beginn der ersten Behandlung, einschließlich der Arbeitsfähigkeit<br />
oder des Ausbildungsstatus<br />
• Ungünstiger Verlauf und ungünstige Prognose der Erkrankung mit niedrigen „Recovery“-Raten, häufigen<br />
Rückfällen und einer reduzierten Lebensqualität<br />
• Verminderte Behandlungszufriedenheit<br />
• Schlechte Teilnahme an der Therapie<br />
• Vermehrter Abbruch der Gesamtbehandlung<br />
• „Non-Remission“ einer komorbiden Suchterkrankung<br />
• Erhöhte direkte und indirekte Langzeitkosten.<br />
Zahlreiche Faktoren erschweren die Behandlung von psychotischen Störungen. Dazu gehört die hohe<br />
Rate der medikamentösen Non-Adhärenz. 50 Prozent der Erkrankten setzten innerhalb eines Jahres ihre<br />
Medikamente ab, 75 Prozent innerhalb von zwei Jahren. Weiterhin verweigern 20 Prozent der Betroffenen<br />
die komplette Medikamenteneinnahme. Ein Anteil von 20 bis 40 Prozent der Patienten bricht innerhalb<br />
von 12 bis 18 Monaten die gesamte Behandlung ab (Lambert, o. J.).<br />
Kosten<br />
Einer Studie von Konnopka et al., (2009) zufolge lagen 2007 die jährlichen direkten Versorgungskosten<br />
von schizophrenen Patienten zwischen 14.000 und 18.000 Euro. Ergänzend entstanden Privatausgaben<br />
durch die Angehörigen in Höhe von 950 bis 1.700 Euro sowie Produktivitätsverluste von 25.000 bis<br />
30.000 Euro. Für die Gesundheitskosten für Patienten mit Bipolaren Störungen oder schweren Depressionen<br />
mit psychotischen Symptomen gibt es zwar nur niedrigwertigere Untersuchungen, dennoch bewe-<br />
63
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
gen sich diese laut Berechnungen des Hamburger IV-Psychose-Modells im gleichen Rahmen. Von großer<br />
Bedeutung ist, dass voll- oder teilstationäre Behandlungen der schwer erkrankten Patienten rund 80 bis<br />
90 Prozent der direkten Kosten verursachen. Die Gesamtjahreskosten für die an Schizophrenie erkrankten<br />
Patienten werden pro Jahr auf 5 bis 10 Milliarden Euro geschätzt (Lambert, o. J.).<br />
Derzeitige Versorgungsstrukturen in Deutschland<br />
Betroffene mit psychotischen Erkrankungen werden in Deutschland üblicherweise im Krankenhaus volloder<br />
teilstationär, in der psychiatrischen Institutsambulanz und/oder von niedergelassenen Psychiatern<br />
behandelt. Quartalsweise steht den Leistungserbringern nur ein geringes Budget für diese Behandlungen<br />
zur Verfügung, so dass die Anzahl an Patientenkontakten pro Quartal sehr gering ausfällt. Darüber hinaus<br />
wird den Patienten teilweise die für sie notwendige Therapie nicht zur Verfügung gestellt: durchschnittlich<br />
erhalten nur etwa 30 Prozent aller Patienten und 5 bis 10 Prozent der schwer erkrankten Patienten Zugang<br />
zur Psychotherapie. Aufgrund der unzureichenden ambulanten Behandlung werden Erkrankte größtenteils<br />
voll- oder teilstationär behandelt. Daraus resultiert, dass etwa 80 bis 90 Prozent der direkten Kosten<br />
pro Jahr für die schwer erkrankten psychotischen Patienten für voll- oder teilstationäre Behandlungen<br />
ausgegeben werden. Trotz dieser Behandlungsdefizite bei diesen Schwererkrankten existieren deutschlandweit<br />
nur wenige Integrierte Versorgungsmodelle (Lambert, 2010).<br />
Zukünftige Versorgungstrukturen<br />
Länder wie Australien, England oder Kanada haben begonnen, Spezialzentren für Psychose-Betroffene<br />
aufzubauen, um die Qualität der Behandlung zu verbessern. In diesen Zentren werden verschiedene multiprofessionelle<br />
Behandlungsinstitutionen auf struktureller Ebene miteinander vernetzt. Um auch in<br />
Deutschland solche Therapieformen standardgemäß anbieten zu können, müssen finanzielle Ressourcen<br />
vom stationären in den ambulanten Bereich verschoben werden. Dies kann durch ein sogenanntes Assertive<br />
Community Treatment (ACT) gelingen: multiprofessionelle Teams, bestehend aus Psychose-Experten,<br />
bieten im eigenen Umfeld eine multimodale Behandlung an.<br />
Um die Qualität der Behandlung zu verbessern sind grundsätzlich sowohl strukturelle als auch inhaltliche<br />
Veränderungen notwendig. Auf struktureller Ebene müssen verschiedene Behandlungsinstitutionen vernetzt<br />
werden. Die Kommunikation und Koordination unter den Leistungserbringern muss stattfinden. Die<br />
inhaltliche Optimierung kann erreicht werden, indem verschiedene Therapieformen nachhaltig, phasenspezifisch<br />
und individuell integriert werden.<br />
Entstehungsgeschichte<br />
Um eine sektorenübergreifende, vernetzte und nachhaltige Behandlung für schwer an Psychose erkrankte<br />
Patienten zu gewährleisten, schloss die DAK-Gesundheit als erste Krankenkasse im Jahr 2007<br />
(01.05.2007) mit dem Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf einen Vertrag zur Integrierten Versorgung<br />
nach §140 SGB V („Hamburger Modell“). Weitere Krankenkassen wie die HEK, IKK Classic und die AOK<br />
Rheinland Hamburg schlossen sich diesem Modell an. Die DAK-Gesundheit entwickelte das Hamburger<br />
Modell weiter und adaptierte es an die Strukturen anderer Leistungsanbieter. Das Versorgungsmodell<br />
„stattkrankenhaus“ läuft erfolgreich in Rheinland-Pfalz und Bayern und unter anderem Namen auch in<br />
Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.<br />
64
DAK-Gesundheit • stattkrankenhaus<br />
Kernelemente<br />
Versorgungskonzept<br />
Das Versorgungskonzept stattkrankenhaus ist ein Vertrag auf Grundlage der §§ 140a–d SGB V. Es beinhaltet<br />
eine am Patienten ausgerichtete Versorgung, die im Einklang steht mit dem gesundheitspolitischen<br />
Ziel „ambulant vor stationär“.<br />
Das Konzept ist auf zwei Jahre ausgelegt, so dass die Patienten ab dem Zeitpunkt ihrer Einschreibung<br />
über zwei Jahre hinweg die Vorteile der optimierten Versorgung nutzen können (DAK Presse, 2012).<br />
Der Anspruch des Versorgungskonzeptes stattkrankenhaus ist es, durch den flexiblen Einsatz von vorhandenen<br />
und neuen Instrumenten durch die Leistungserbringer, die akut psychisch erkrankten Menschen<br />
auch im häuslichen Umfeld zu betreuen – unter Einbindung aller ambulanten Versorgungsstrukturen.<br />
Ferner sollen Klinikeinweisungen vermieden und gleichzeitig die Behandlungskontinuität verbessert werden.<br />
Hauptaugenmerk liegt hierbei auf der nachhaltigen Steigerung der sozialen Kompetenz sowie der<br />
Lebensqualität der Patienten.<br />
Folgende Zielsetzungen wurden unter anderem für das Versorgungsmodell stattkrankenhaus festgelegt:<br />
• Umsetzung eines strukturierten und kontinuierlichen Behandlungsverlaufes<br />
• Sicherstellung einer sektorenübergreifenden Kooperation durch die frühzeitige Einbindung des ambulanten<br />
Sektors schon während des stationären Aufenthalts<br />
• Sicherstellung der Behandlungskontinuität durch Zurseitestellung eines persönlichen Bezugstherapeuten<br />
(Fallmanager) über die gesamte Laufzeit der Teilnahme<br />
• Aufbau von multiprofessionellen Teams<br />
• Etablierung umfassender Qualitätssicherungsmaßnahmen – unter Einbezug einer qualitätsbezogenen<br />
Dokumentation und einer wissenschaftlichen Evaluierung<br />
• Optimierung der Versorgung durch Behandlungsformen, die flexibel sind und sich an den individuellen<br />
Bedürfnissen der Patienten orientieren<br />
• Die Vermeidung einer Ausweitung der stationären Behandlung in Anbetracht der anhaltenden stationären<br />
Überbelegung<br />
• Verkürzung der stationären Aufenthaltsdauer<br />
• Reduzierung patientenbezogener Folgekosten<br />
• Besserung des Krankheitsverlaufes<br />
• Vermeidung von Fehlmedikation durch eine individuell abgestimmte und leitlinienorientierte Pharmakotherapie<br />
nach AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften<br />
e.V.)<br />
• Informationsübermittlung und Motivation des Patienten zur aktiven Teilnahme am integrierten Behandlungsprogramm<br />
• Umsetzung einer individuellen, bedürfnisorientierten Betreuung, um die Kooperation mit den Patienten<br />
und ihren Angehörigen zu verbessern<br />
• Förderung der individuellen, familiären und sozialen Ressourcen des Patienten.<br />
65
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
In Ergänzung zu dem Ziel, ambulante, teil- und vollstationäre Behandlungsangebote zu integrieren, ist eine<br />
enge Abstimmung anzustreben – mit weiteren gemeindepsychiatrischen Angeboten, beispielsweise im<br />
Bereich Wohnen und Arbeiten. Obwohl diese Angebote nicht explizit Teil des Leistungsspektrums des<br />
Integrierten Versorgungsvertrages sind, ermöglicht das multiprofessionelle Team jedoch eine gute Koordination<br />
und Abstimmung mit den übrigen gemeindepsychiatrischen Anbietern.<br />
Kernelement des Vertrages ist die engmaschige Betreuung, Beratung und Schulung im Rahmen einer<br />
optimalen Abstimmung der Betroffenen. Das vereinbarte Vergütungsmodell („Capitation-Modell“) ermöglicht<br />
den teilnehmenden Einrichtungen, den Behandlungsumfang und den Behandlungsort individuell<br />
zu definieren und an den Patienten anzupassen. Durch die multiprofessionellen Behandlungsteams wird<br />
der Patient auch zu Hause behandelt. Alle vorhandenen Strukturen werden eingebunden: in Form von<br />
psychiatrischen und psychotherapeutischen Maßnahmen, erbracht von Ärzten, Psychologen, Sozialarbeitern,<br />
Ergotherapeuten und Pflegekräften. Zudem ist eine permanente Erreichbarkeit sichergestellt. Das<br />
multiprofessionelle Team ist zu den üblichen Arbeitszeiten erreichbar. Außerhalb dieser Arbeitszeiten<br />
kann man den Bereitschaftsdienst der Kliniken aufsuchen; er tauscht sich mit dem interdisziplinären Team<br />
über den Patienten aus und gewährleistet so die Behandlungskontinuität.<br />
Die Verträge im Rahmen der Integrierten Versorgung werden gezielt abgeschlossen, um die aus der Umsetzung<br />
gewonnenen Erkenntnisse zu nutzen, das Konzept weiter zu entwickeln und gegebenenfalls auf<br />
weitere Diagnosegruppen auszuweiten (DAK, 2013).<br />
Zielgruppe<br />
Zielgruppe sind ersterkrankte oder mehrfach erkrankte Patienten: Patienten die durch einen niedergelassenen<br />
Psychiater zur stationären Krankenhausbehandlung eingewiesen wurden und Patienten, die in die<br />
Notfallaufnahme eingewiesen wurden. Das Versorgungsmodell bezieht sich indikationsspezifisch auf die<br />
ICD-Diagnosen Psychose und schwere Depression (stattkrankenhaus, 2010).<br />
Versorgungselemente<br />
Die Behandlung nach der stationären Aufnahme im Krankenhaus gliedert sich in zwei Phasen:<br />
• 1. Phase: voll-/teilstationäre Krankenhausbehandlung<br />
• 2. Phase: ambulante, intensive poststationäre Behandlung<br />
Zu Beginn der stationären (Erst-)Behandlung wird den Patienten regelhaft ein Fallmanager zur Seite gestellt.<br />
Der Fallmanager begleitet die Patienten im Laufe der gesamten Behandlungskette im Rahmen der<br />
Integrierten Versorgung, unabhängig davon, in welchem Setting sich der Patient gerade befindet. Die<br />
Behandlungsplanung nimmt der Fallmanager vor. Eine derartige Versorgung findet in der Regelversorgung<br />
nicht statt. Durch den sektorübergreifenden Ansatz erfolgt frühzeitig eine Verknüpfung mit der<br />
Psychiatrischen Institutsambulanz.<br />
Die ambulante Behandlung im Anschluss an den stationären Aufenthalt erfolgt durch multiprofessionelle<br />
Teams. Diese Teams setzen sich zusammen aus Mitarbeitern der Krankenhäuser und der Psychiatrischen<br />
Institutsambulanzen. Die Teams nehmen bereits vor der Entlassung der Patienten aus der stationären<br />
Behandlung mit den Krankenhausärzten Verbindung auf, um einen Übergang ohne Brüche zu gewährleisten.<br />
Während der ambulanten Behandlung können – neben den üblichen ambulanten PIA Angeboten –<br />
alle Strukturen und Angebote der sonst nur für stationäre Patienten zugänglichen Bereiche in Anspruch<br />
genommen werden (Stationsärzte, Gruppen etc.). Derartige Möglichkeiten der integrativen Verzahnung<br />
sind in der Regelversorgung nicht möglich.<br />
66
DAK-Gesundheit • stattkrankenhaus<br />
Die folgende Abbildung 8 zeigt, welche Behandlungsmodule das Versorgungskonzept stattkrankenhaus<br />
anbietet.<br />
Abbildung 8 – Behandlungsmodule des stattkrankenhauses<br />
Casemanagement<br />
Beratung in sozialen<br />
Fragen<br />
Psychotherapie<br />
Patient<br />
Ergotherapie<br />
Ärztliche<br />
Behandlung<br />
Ergotherapie<br />
Ärztliche<br />
Behandlung<br />
Aufsuchende Module<br />
Wohnortnahe Module<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Ferner liegt der Schwerpunkt auf der Nutzung regionaler Infrastrukturen. In diesem Zusammenhang soll<br />
mit möglichen Vorbehandlern Kontakt aufgenommen werden – mit dem Ziel, einen optimalen Informationsaustausch<br />
und ein gemeinsames Behandlungskonzept zu ermöglichen.<br />
67
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Mehrwert<br />
Neben einer qualitativ hochwertigen Versorgung profitieren die Teilnehmer von der Behandlungskontinuität.<br />
Das interdisziplinäre Team sorgt im Rahmen des Projektes stattkrankenhaus zudem für einen fließenden<br />
Übergang vom stationären in den ambulanten Bereich. Durch die Steigerung der Teilnehmerzufriedenheit<br />
und der Lebenszufriedenheit können Rückfälle und Chronifizierungen verringert werden. Ebenso<br />
kann der Patient in Krisensituationen im Rahmen der ambulanten Versorgung betreut werden. Die stationäre<br />
Behandlung wird vermieden, der Drehtüreneffekt somit reduziert. Ein Bezugstherapeut ist als fester<br />
Ansprechpartner mit dem Fall vertraut und sorgt für eine optimale Steuerung im Krankheitsprozess. Weiterhin<br />
steht das multiprofessionelle Team von stattkrankenhaus 24 Stunden täglich und 365 Tage im Jahr<br />
für den Patienten zur Verfügung und garantiert ihm Sicherheit in Krisensituationen (DAK, 2012).<br />
Je früher drohende Rückfälle und Chronifizierungen erkannt und behandelt werden können, umso besser<br />
kann der Patient in seiner häuslichen Umgebung betreut werden; längerfristig stationäre Krankenhausbehandlungen<br />
werden umgangen. Daraus resultiert eine bessere ambulante Versorgung, die ebenso finanziell<br />
belohnt wird. Intention des Vertrages ist außerdem, unnötiges „Krankenhaushopping“ zu vermeiden.<br />
So gehört zum Vertrag, dass alle Teilnehmer nach drei Tagen Aufenthalt in einem anderen Krankenhaus<br />
nach Hause entlassen oder in ein IV-Krankenhaus überwiesen werden (Bock, 2012).<br />
Schließlich kann man von einer Win-Win-Situation für alle Beteiligten sprechen. Das Versorgungskonzept<br />
verspricht den Patienten mehr Kontinuität, Verbindlichkeit und Flexibilität in Krisensituationen, während<br />
Angehörige die Betroffenen schneller und selbstverständlicher einbeziehen und begleiten können. Für die<br />
Kliniken entsteht durch die Entkopplung von Personal und Betten mehr Handlungsspielraum, Flexibilität<br />
für den Einsatz von personellen Ressourcen und mehr Planungssicherheit. Weiterhin kann die DAK-Gesundheit<br />
mit Kostendeckelung und Kostentransparenz rechnen – und im Einzelfall auch mit einer Kostenreduktion<br />
durch Synergieeffekte.<br />
Finanzierung<br />
Der Versorgungsvertrag „stattkrankenhaus“ wird gänzlich von der DAK-Gesundheit finanziert. Im Rahmen<br />
einer Zweijahrespauschale (Capitationmodell) übernimmt sie die Kosten des Vertrags. Die Patienten<br />
nehmen freiwillig an dem Versorgungsmodell teil und müssen lediglich die gesetzlich vorgeschriebenen<br />
Zuzahlungen leisten. Die Finanzierung des Versorgungsmodells über Kopfpauschalen ermöglicht dem<br />
Leistungsanbieter, die jeweiligen Versorgungsleistungen individuell an den Patienten anzupassen und<br />
zugleich eine möglichst kostengünstige Umsetzung der Behandlung anzubieten (Lambert, 2010).<br />
Management<br />
Durch die Weiterentwicklung des 2007 initiierten Projektes „Hamburger Modell“ entstand das Versorgungskonzept<br />
stattkrankenhaus, mit der DAK-Gesundheit als Gründer und Vertragspartner. Das Versorgungsprojekt<br />
stattkrankenhaus basiert auf einem Vertrag auf Grundlage der §§ 140a–d SGB V. Im Rahmen<br />
dieses Integrierten Versorgungsvertrages ist ein multiprofessionelles Team für die Behandlung und<br />
Betreuung der Patienten zuständig. Mittlerweile existieren im Rahmen dieses Versorgungskonzeptes<br />
bundesweit Verträge. Die neuesten Verträge wurden zum 01.07.2013 bzw. zum 01.10.2013 mit den Bezirkskliniken<br />
Schwaben bzw. mit dem kbo-Isar-Amper-Klinikum München-Ost abgeschlossen. Insgesamt<br />
nehmen ca. 1.500 Patienten p.a. an dieser Form der optimierten Versorgung teil.<br />
68
DAK-Gesundheit • stattkrankenhaus<br />
Evaluation<br />
Dem Projekt stattkrankenhaus liegt noch keine Evaluation zu Grunde, jedoch wird an dieser Stelle auf die<br />
Evaluation des „Hamburger Modells“ verwiesen, an welchem die DAK ebenfalls vertraglich mitwirkt.<br />
Ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Projekten ist, dass das Hamburger Modell die niedergelassenen<br />
Ärzte ausdrücklich in den Vertrag miteinbezieht, während das Konzept stattkrankenhaus auf<br />
ein bereits bestehendes und funktionierendes Netzwerk aus ambulantem und stationärem Gefüge aufbaut.<br />
Mit Ausnahme von diesem Unterschied sind beide Versorgungsmodelle nahezu identisch, so dass<br />
die Evaluationsergebnisse des Hamburger Modells auf stattkrankenhaus übertragen werden können.<br />
Bis dato fand die Untersuchung des Hamburger Modells in zwei Studien statt:<br />
• ACCES-Studie (Vorstudie)<br />
(Titel: Assertive Community Treatment (ACT) a part of Integrated care versus Standard Care: a 12-month<br />
trial in patients with first- and multiple-episode schizophrenia-spectrum disorders treated with quetiapine<br />
IR; Lambert et al., in press)<br />
• IV-Evaluation (begleitende Evaluationsstudie)<br />
(Titel: Assertive Community Treatment (ACT) as part of Integrated Care in 95 first- and multiple-episode<br />
patients with psychotic disorders: a 2-year follow-up study. Lambert et al., in preparation).<br />
Das Hamburger Modell ist im Vergleich zu vielen anderen Modellen der Integrierten Versorgung vermutlich<br />
sowohl in der Vorstudie als auch in der begleitenden Studie das am besten evaluierte Modell.<br />
Für beide Evaluationsstudien gab es primäre- und sekundäre Erfolgskriterien. Primäres Erfolgskriterium<br />
war die Zeit bis zum Gesamtbehandlungsabbruch. Sekundäre Erfolgskriterien umfassten die Non-Compliance<br />
mit der Medikation, die Veränderung der Psychopathologie, den Schweregrad der Erkrankung,<br />
das Funktionsniveau, die Lebensqualität und die Behandlungszufriedenheit seitens der Patienten und ihren<br />
Angehörigen. Die Behandlungsdichte war ein weiteres Kriterium.<br />
In der ACCESS-Studie wurden zwei Hamburger Sektoren mit gleich großer Population einander gegenüber<br />
gestellt: Der Sektor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des UKE (UKE) und der Sektor des<br />
Asklepios Westklinikums Hamburg (RISSEN). Die Einschlusskriterien waren folgende:<br />
• Alter: 18–65 Jahre<br />
• Diagnosen (nach DSM-IV-TR): Schizophrenieforme Störung, Schizophrenie, Schizoaffektive Störung,<br />
Wahnhafte Störung und Psychotische Störung, nicht näher differenziert; Patienten mit einer psychotischen<br />
Ersterkrankung und/oder mehrfacherkrankte Patienten mit mindestens einem psychotischen<br />
Rückfall mit darauf folgender stationärer Aufnahme aufgrund von medikamentöser Non-Adhärenz innerhalb<br />
der letzten 24 Monate.<br />
Die Studienpopulation setzte sich aus 120 Patienten zusammen. Darunter 64 in der UKE (ACT) und 56 in<br />
der RISSEN Gruppe (Standard Care; SC). 101 Patienten (84,7%) beendeten die 52-Wochen-Studie.<br />
Hinsichtlich des ersten Erfolgskriteriums brachen insgesamt 17 von 120 Teilnehmern (14,2%) die gesamte<br />
Behandlung ab. Davon waren vier aus der ACT Gruppe und 13 aus der SC Gruppe.<br />
Es zeigten sich kaum Unterschiede in den verwendeten Skalen. Ausschließlich in Bezug auf die Zufriedenheit<br />
mit der Behandlung nach Einschätzung von Patienten und Angehörigen wurden signifikante Unterschiede<br />
festgestellt. Hier zeigte sich eine größere Behandlungszufriedenheit in der ACT-Gruppe. In<br />
nahezu allen sekundären Behandlungserfolgskriterien zeigten sich signifikant positive Effekte. Einge-<br />
69
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
schlossen wurden hierbei die Schwere der Erkrankung, der Psychopathologie, des Funktionsniveaus, der<br />
Lebensqualität und der Zufriedenheit mit der Behandlung seitens der Patienten und ihren Angehörigen.<br />
Ferner befanden sich zum Ende des Studienzeitraums signifikant mehr Teilnehmer aus der ACT-Gruppe<br />
in Arbeit, lebten häufiger in Unabhängigkeit und zeigten signifikant häufiger eine Reduktion ihres Suchtmittelkonsums.<br />
Im Vergleich der Kosteneffizienz der beiden Behandlungsbedingungen wurden geringe Unterschiede in<br />
den Kosten erfasst. Die Implementierung eines ACT Teams ließ die ambulanten Kosten für diese Patientengruppe<br />
steigen, während die stationären Kosten jedoch so deutlich sanken, dass es zu einer Reduktion<br />
der Gesamtkosten kam.<br />
Am 01.05.2007 wurden die Integrierten Versorgungsverträge mit den Krankenkassen geschlossen. Es<br />
wurde zudem die Vereinbarung getroffen, dass eine standardisierte und fortlaufende Evaluation aller eingeschlossenen<br />
Patienten durchgeführt wird.<br />
Seit der Vertragsschließung bis zum Zwischenauswertungsdatum am 30.09.2011 (Laufzeit: 4,5 Jahre)<br />
wurden alles in allem 158 Patienten in das Hamburger Modell eingeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt befanden<br />
sich die Teilnehmer durchschnittlich 145,2 Wochen in der Integrierten Versorgung (2,8 Jahre).<br />
Bezüglich der primären Erfolgskriterien kam es zu einem Behandlungsabbruch bei nur 5,1 Prozent der<br />
Patienten. Im Vergleich zu Behandlungsabbrüchen in der Regelversorgung (23,2%) ist hier ein enormer<br />
Erfolg zu verzeichnen.<br />
Die Aufnahmewerte der sekundären Erfolgskriterien wiesen hohe Psychopathologiewerte auf, hohe Werte<br />
für den Schweregrad der Erkrankung, ein niedriges Funktionsniveau, eine schlechte Lebensqualität und<br />
eine geringe Zufriedenheit in der Vorbehandlung nach Meinung der Patienten und ihren Angehörigen. Im<br />
Rahmen der begleitenden Evaluation zeigte sich, dass es zu einer hochsignifikanten Reduktion der Psychopathologie<br />
und Schwere der Erkrankung kam sowie zu einer Verbesserung des Funktionsniveaus.<br />
Darüber hinaus kam es im Verlauf der Behandlung zu einem signifikanten Anstieg der Lebensqualität der<br />
Patienten. Auch die Befragungen der Teilnehmer und ihrer Angehörigen zeigte eine signifikante Steigerung<br />
der Behandlungszufriedenheit.<br />
In den 4,5 Jahren Laufzeit wurden insgesamt 33.368 Behandlungen durchgeführt. Im Rahmen der Integrierten<br />
Versorgung ergibt sich im Vergleich zur Regelversorgung mit 0,2 Kontakten pro Woche ein 7,5-<br />
mal häufigerer Behandlungskontakt pro Woche. Darüber hinaus erhöhte sich der Anteil von Patienten mit<br />
Psychotherapie von 7,3 Prozent auf 55,7 Prozent (Lambert et al., 2010; Bock et al., 2012).<br />
Ebenso bestätigt das IGES-Institut in einer Publikation, dass sich die Substitution von stationärer/tagesklinischer<br />
Versorgung durch ambulante Versorgung auf den Kostenbereich auswirkt. Die ambulanten Kosten<br />
der Home-Treatment-Gruppe sind wesentlich höher und die Kosten der voll- und teilstationären deutlich<br />
niedriger als in der Kontrollgruppe. Zwar ist dieser Unterschied statistisch nicht signifikant, trotzdem wird<br />
die Intervention „Home-Treatment“ aufgrund ihres hohen Nutzenwertes nach den üblichen gesundheitsökonomischen<br />
Maßstäben als kosteneffektiv angesehen (Nolting, 2012).<br />
Nächste Schritte<br />
Laut DAK Gesundheitsreport 2013 ist die Zunahme von Fehltagen aufgrund einer psychischen Diagnose<br />
die auffälligste Entwicklung im Arbeitsunfähigkeitsgeschehen. Demnach ist die Anzahl der Fehltage seit<br />
1997 um 165 Prozent gestiegen und die Quote an Betroffenen, die an einer psychischen Erkrankung leiden,<br />
um 142 Prozent gestiegen. Im Jahr 2012 lagen psychische Erkrankungen erstmalig auf Rang 2 der<br />
70
DAK-Gesundheit • stattkrankenhaus<br />
wichtigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeit, gemessen an ihrem Anteil an Fehltagen (DAK, 2013). Aus<br />
diesem Grund verbessert die DAK-Gesundheit stetig ihre am Kundenbedarf ausgerichteten Versorgungsprogramme<br />
in Bezug auf psychische Erkrankungen. In diesem Zusammenhang geht es um den Roll-out<br />
des Konzeptes stattkrankenhaus auf unterschiedliche Regionen und Partner. Somit sollen weitere Patienten<br />
mit der Diagnose Psychose in allen Krankheitsphasen durch ein effektives Versorgungsmanagement<br />
unterstützt werden. Im Bereich Bayern werden derzeit beispielsweise weitere Abschlüsse mit den Regionen<br />
Oberbayern und Franken angestrebt.<br />
Ansprechpartner<br />
Markus Hinz<br />
DAK-Gesundheit<br />
Unternehmen Leben<br />
Vertragsgebiet Bayern<br />
Haidenauplatz 3<br />
81667 München<br />
Telefon: 089 – 9047550-1104<br />
E-Mail: markus.hinz@dak.de<br />
Sophie Schwab<br />
DAK-Gesundheit<br />
Unternehmen Leben<br />
Vertragsgebiet Bayern<br />
Haidenauplatz 3<br />
81667 München<br />
Telefon: 089 – 9047550-100<br />
E-Mail: sophie.schwab@dak.de<br />
Literatur<br />
Bock, T. (2012). Und sie bewegt sich doch – Entwicklungspotential der Krankenhausversorgung. Neue Versorgungskonzepte<br />
zur Behandlung zur Behandlung psychischer Erkrankungen. Torhoven C. and W. T. heidelberg.<br />
DAK (2012). stattkrankenhaus – Ein überregionales, sektorenüberreifendes und innovatives Modell.<br />
DAK (2013). Gesundheitsreport, IGES Institut GmbH.<br />
DAK Presse (2012). Ambulante Hilfe statt Krankenhaus. DAK-Gesundheit, Landeskrankenhaus und Pfalzklinikum ziehen Bilanz<br />
im versorgungsmodell „stattkrankenhaus, DAK Gesundheit.<br />
Lambert, M., Bock, T., Meigel-Schleiff, C., Lange, B., Ohm, G., Bussopulos, A., Frieling, M., Golks, D., Kerstan, A., Nika, L.,<br />
Lange, M., Schödlbauer, Schöttle, D., Sauerbier, A-l, Rietschel, L., Wiedemann K. Schimmelmann, B. Naber, D., Karow, A.<br />
(o. J.). 5 Jahre Integrierte Versorgung von Patienten mit psychotischen Erkrankungen: Das Hamburger Modell. Hamburg.<br />
Lambert, M., Naber, D., Bock, T., Meigel-Schleiff, C., Omh, G., Braun, M., Bussopulos, A., Frieling, M., Golks, D., Kerstan, A.,<br />
Meister, K., Nika, L., Rietschel, L., van der Sande, A., Sauerbier, A-L., Schödlbauer, M., Schöttle, D. (2010). Integrierte Versorgung<br />
von Patienten mit psychotischen Erkrankungen: Das Hamburger Modell. Innovative Konzepte im Versorgungsmanagement<br />
von ZNS-Patienten. V. E. Amelung, Bergmann, F., Falkai, P., Hauth, I., Jaleel, E., Meier, U., Reichmann, H., Roth-<br />
Sackenheim, C. Berlin, MWV mbH & Co KG.<br />
Nolting, H.-D., Hackmann, T. (2012). Bestandsaufnahme von komplexen lokalen, regionalen und überregionalen sektorübergreifenden<br />
Modellprojekten zur Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen – Abschlussbericht. Berlin, IGES<br />
Institut GmbH.<br />
stattkrankenhaus (2010). stattkrankenhaus – gemeindenahe und patientenorientierte Psychiatrie außerhalb des Krankenhauses.<br />
Ein Projekt des Pfalzklinikums und des Landeskrankenhauses.<br />
71
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Das Sächsische Betreuungsmodell<br />
Innovation durch Integration<br />
Autor: Ulrike Rothe und Jan Schulze<br />
Management Summary<br />
Das Sächsische Diabetes-Management-Programm (SDMP) war ein ergebnisorientiert angelegtes, integratives<br />
Betreuungsmodell für Diabetespatienten in Sachsen. Das Programm lief von 2000 bis 2002 und<br />
wurde bereits positiv evaluiert: Das Betreuungsmodell führte nachweislich zu einem verbesserten Gesundheitszustand<br />
der Teilnehmer.<br />
Das erfolgreiche SDMP soll nun weiterentwickelt werden; Ziel ist ein ganzheitliches, sektorenübergreifendes,<br />
populationsbezogenes Chronic-Care-Modell für multimorbide Diabetespatienten mit einem<br />
Metabolisch-Vaskulären Syndrom. Um die Versorgung multimorbider Diabetespatienten in Sachsen kontinuierlich<br />
und flächendeckend zu verbessern, sollen die Patienten frühzeitig erkannt und risikoadäquat<br />
therapiert werden – auf Basis integrativer Praxis-Leitlinien und mit Hilfe eines Screening-Tools.<br />
Das Programm soll später wieder ergebnisorientiert evaluiert werden. Unter der Schirmherrschaft der<br />
Sächsischen Landesärztekammer will die Fachkommission Diabetes SLÄK einen Arbeitskreis „Versorgungsstrukturen“<br />
gründen, um zeitnah Verträge abschließen zu können, beispielsweise nach § 140a–d<br />
SGB V oder § 73a SGB V.<br />
Einleitung<br />
In den westlichen Ländern nehmen chronische Erkrankungen deutlich zu; die große Mehrheit dieser<br />
meist älteren Patienten hat sogar mehrere dieser chronischen Erkrankungen gleichzeitig (sog. Multimorbidität).<br />
Dieses Phänomen wird auch als Chronic-Care-Krise bezeichnet. Diabetes mit Metabolisch-Vaskulärem<br />
Syndrom (MVS) ist ein typisches Beispiel für ein gleichzeitiges Vorkommen mehrerer dieser weit<br />
verbreiteten komplexen chronischen Erkrankungen, von krankhaftem Übergewicht (abdominaler Adipositas),<br />
Fettstoffwechselstörung (Dyslipidämie), Blutdruckerhöhung und (Prä-)Diabetes und damit für Multimorbidität.<br />
Aufgrund von Über- und Fehlernährung sowie mangelnder Bewegung steigt die Anzahl an<br />
Patienten mit diesem komplexen Syndrom MVS jedes Jahr. Diese multimorbiden Patienten tragen ein<br />
erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Komplikationen wie z. B. Herzinfarkt. Diabetes ist in ca. 80 Prozent mit<br />
MVS verknüpft und neben der Bürde für die Betroffenen auch eine große volkswirtschaftliche Belastung.<br />
Um diese Folgeerkrankungen einzudämmen, sind Früherkennungsmaßnahmen nötig. Denn in einem frühen<br />
Krankheits-Stadium lassen sich schwerwiegende Komplikationen noch vermeiden. Zudem ist ein<br />
leitlinienbasiertes Behandlungsprogramm erforderlich. Deshalb wurde die komplexe Praxis-Leitlinie „Metabolisch-Vaskuläres<br />
Syndrom“ (MVS) für multimorbide Patienten von der multidisziplinären Fachkommission<br />
Diabetes der Sächsischen Landesärztekammer (SLÄK) unter Einbeziehung von Hausärzten, DiabetesberaterInnen<br />
und auch Patienten in Zusammenarbeit mit einem unabhängigen wissenschaftlichen<br />
Beirat deutscher Experten verschiedener Fachdisziplinen entwickelt und überarbeitet (die 2. Neuauflage<br />
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Das Sächsische Betreuungsmodell • Innovation durch Integration<br />
befindet sich im Druck). Diese erste komplexe Praxis-Leitlinie für multimorbide Patienten gibt Empfehlungen<br />
zur Vorbeugung (Prävention), Früherkennung und einer effektiven und effizienten Behandlung dieses<br />
komplexen Syndroms. Auf Basis dieser Praxis-Leitlinie sowie den positiven Evaluationsergebnissen des<br />
Sächsischen Diabetes-Betreuungsmodells (SDMP), das bei 80 Prozent der Diabetes-Patienten in ganz<br />
Sachsen nachweislich zu signifikant niedrigeren HbA1c sowie Blutdruckwerten führte, soll nun das SDMP<br />
zu einem innovativen Chronic Care Management-Konzept (CCM) für multimorbide Patienten mit einem<br />
MVS weiterentwickelt werden.<br />
Versorgungsherausforderung<br />
Diabetes mellitus ist eine chronische Stoffwechselerkrankung, deren Auswirkungen auf die Gesellschaft<br />
weiter zunimmt. In Deutschland leiden rund 8 Prozent der Bevölkerung an Diabetes mellitus; die Neuerkrankungsrate<br />
(Inzidenz) beträgt 360/100.000 pro Jahr. Mit zunehmendem Alter steigt die Inzidenzrate,<br />
bei den über 60-Jährigen liegt sie bei 1.200/100.000 (Hien et al., 2013). Der demographische Wandel und<br />
die Überalterung der Gesellschaft lassen vermuten, dass auch die Inzidenzrate weiter steigt. Internationale<br />
Analysen zeigten, dass sich die Anzahl der Erwachsenen mit Diabetes in den letzten drei Jahrzenten<br />
weltweit verdoppelte (Heidemann, 2013).<br />
Studien belegen, dass Diabetiker am häufigsten aufgrund kardiovaskulärer Erkrankungen stationär aufgenommen<br />
werden müssen. Die Sterblichkeit ist um das 2,6- bis 4,2-fache erhöht. 70 Prozent aller Todesfälle<br />
bei Diabetikern sind durch kardiovaskuläre Erkrankungen verursacht. Präventive Maßnahmen sind<br />
deshalb äußerst sinnvoll.<br />
Die Komplexität der Behandlung mehrerer chronischer Erkrankungen ist eine große Herausforderung für<br />
den einzelnen Arzt, ist zeit- und kostenintensiv und verursacht oft Versorgungsdefizite, die als „Chronic-<br />
Care-Krise“ bezeichnet werden (Huppertz, 2011; Rothe et al., 2008). Notwendig ist deshalb die Entwicklung<br />
neuartiger Versorgungsformen zur Lösung der komplexen Probleme bei Multimorbidität. Die rein<br />
indikationsspezifischen top-down eingeführten Disease-Management-Programme (sog. DMPs) reichen<br />
zur Lösung der Probleme multimorbider Patienten mit MVS nicht aus.<br />
Neue Versorgungskonzepte<br />
Sektorenübergreifende populationsorientierte Versorgung oder auch Chronic Care Management (CCM)<br />
heißt das innovative Zukunftsmodell. Das CCM setzt auf eine ganzheitliche Betrachtung des Patienten.<br />
Es ist die derzeit beste moderne Form, auf Basis kooperativer Versorgungsstrukturen mit sektorenübergreifenden<br />
komplexen Praxis-Leitlinien und Patientenmonitoring über den gesamten Krankheitsverlauf<br />
und alle Versorgungsebenen hinweg die Versorgung chronisch kranker, multimorbider Patienten nachhaltig<br />
und flächendeckend, populations- und ergebnisorientiert zu verbessern. Deshalb soll in Sachsen<br />
(und später in ganz Deutschland) auf der Basis der außerordentlich positiven Erfahrungen mit der Implementation<br />
und Evaluation des Sächsischen Diabetes-Betreuungsmodells (der 2. Generation) ein Paradigmenwechsel<br />
im Diabetes-Management erfolgen: weg vom Fokus auf das indikationsspezifische<br />
Management einzelner chronischer Erkrankungen hin zu einer ganzheitlichen Sicht, einem krankheitsunabhängigen,<br />
evidenzbasierten Rahmenkonzept, einem CCM (der 3. Generation), das der Komplexität<br />
von Krankheitsverläufen Rechnung trägt und neue Perspektiven für die Versorgung gerade der meist<br />
multimorbiden Diabetespatienten mit einem MVS auch in Deutschland bieten könnte.<br />
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3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Abbildung 9 – Das Chronic-Care-Modell beinhaltet Ansätze zur Behandlung chronisch erkrankter Patienten, unabhängig<br />
der Indikation<br />
2013<br />
Interdisziplinäre<br />
Praxisteams<br />
Leitlinie<br />
Diabetes<br />
Kooperative<br />
Entscheidungsfindung<br />
Praxis-Leitlinie<br />
Leitlinie<br />
Hypertonie<br />
Chronic Care<br />
Management<br />
(Multimorbidität)<br />
MVS<br />
Longitudinales<br />
Patienten-<br />
Monitoring<br />
Leitlinie<br />
Fettstoffwechsel<br />
störungen<br />
Aktive<br />
Patientenrolle<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Entstehungsgeschichte<br />
Das neu zu entwickelnde Chronic Care Modell (CCM) in Sachsen greift auf eine lange Geschichte zurück.<br />
Gerade diese Erfahrungen machen das CCM zu einem so interessanten und vielversprechenden Vorhaben.<br />
Nach einer Pilot-Studie (EVA-Studie) des Sächsischen Betreuungsmodells wurde im Jahre 2000<br />
das Sächsische Diabetes-Management-Programm (SDMP) entwickelt und vertraglich implementiert:<br />
1. Diabetes-Vereinbarung (1991): sächsische Diabetologen entwickelten die 1. Diabetes-Vereinbarung in<br />
Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen und den gesetzlichen Krankenkassen.<br />
Diabetologische Schwerpunktpraxen (DSP) wurden etabliert zur ambulanten spezialisierten Versorgung<br />
(als Folgemodell der ehemaligen Dispensairesprechstunden vor 1989).<br />
2. Diabetes-Vereinbarung (1994/1995): diese Vereinbarung bezog die Hausärzte stärker mit ein und etablierte<br />
ein Qualitätsmanagement in Form von zunächst drei Qualitätszirkeln in den drei Regierungsbezirken.<br />
3. Diabetes-Vereinbarung (1999): als sog. „Sächsisches Diabetes-Management-Programm“ (SDMP der<br />
2. Generation): basierend auf sektorenübergreifenden Praxis-Leitlinien der Fachkommission Diabetes<br />
SLÄK. Diese populationsbezogene Vereinbarung verfolgte nunmehr das Ziel, die gesamte sächsische<br />
Diabetes-Population flächendeckend einzuschließen durch Befähigung aller Hausärzte und Diabetologischen<br />
Schwerpunktpraxen, am SDMP teilzunehmen. Deshalb war es wichtig, den Aufwand für<br />
Dokumentation, Qualitätsmanagement und Administration minimal zu halten.<br />
74
Das Sächsische Betreuungsmodell • Innovation durch Integration<br />
Abbildung 10 – Historische Entwicklung des sächsischen Diabetes-Betreuungsmodells<br />
Integriertes Versorgungssystem als<br />
Sächsisches Diabetes-<br />
Management-Programm (SDMP)<br />
1991<br />
1. sächsische<br />
Diabetes-<br />
Vereinbarung<br />
1994/95<br />
2. sächsische<br />
Diabetes-<br />
Vereinbarung<br />
positive Evaluation<br />
des SDMP<br />
2000 2002<br />
1999<br />
2003<br />
3. sächsische<br />
Diabetes-<br />
Vereinbarung<br />
Ablösung der sächsischen<br />
Diabetes-Vereinbarung<br />
durch RSA-DMPs der<br />
Bundesregierung<br />
Chronic-<br />
Care-<br />
Modell<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Insgesamt kam es durch die Vernetzung/Zusammenarbeit aller am Versorgungsprozess beteiligten<br />
Akteure zu einer signifikanten Qualitätsverbesserung bei der Diabetesbetreuung. Nach erfolgreicher Evaluation<br />
des SDMP der 2. Generation in den Jahren 2000 bis 2002 wurden die sächsischen Diabetes-<br />
Vereinbarungen 2003 durch die zentral diktierten RSA-DMP der Bundesregierung abgelöst (Rothe, 2003).<br />
Seitdem wuchs die Kritik an dem eindimensionalen Ansatz der DMP und die Forderung insbesondere der<br />
Hausärzte nach einem krankheitsübergreifenden Konzept, das den Anforderungen der multimorbiden,<br />
chronisch kranken Patienten mit MVS gerecht wird. Deshalb soll nun als SDMP der 3. Generation ein innovatives<br />
Chronic Care Modell entwickelt werden.<br />
Kernelemente<br />
Versorgungskonzept<br />
Das Ziel ist es, die gesamte sächsische Diabetes-Population flächendeckend einzuschließen – durch<br />
Befähigung aller Hausärzte und Diabetologischen Schwerpunktpraxen (DSP), am SDMP teilzunehmen.<br />
Das Betreuungs-Modell war charakterisiert durch kooperative Versorgungsstrukturen und einen minimalen<br />
Aufwand für Qualitätsmanagement und Koordination. Es war ergebnisorientiert angelegt: nicht die<br />
Betreuungsprozesse wurden dokumentiert und kontrolliert, sondern die Ergebnisse. Zunächst<br />
dienten HbA1c und Blutdruck als Qualitätsparameter. Zur Beurteilung der Betreuungsprozesse, die durch<br />
Leitlinien geregelt waren, dienten Abrechnungsdaten der KV, die zur Evaluation mit herangezogen wurden<br />
und nicht zusätzlich von den Ärzten dokumentiert werden mussten. Die Neuartigkeit/Innovation des<br />
SDMP war, dass Schwerpunktärzte und Hausärzte verschiedener Versorgungslevel gemeinsam das<br />
Qualitätsmanagement in Qualitätszirkeln durchführten und diskutierten, was entscheidend für den späteren<br />
Erfolg des Programms war: die kollektive Diskussion der Ergebnisse half, Barrieren zwischen den<br />
verschiedenen Versorgungsebenen niederzureißen und ein „selbstunterstützendes“ System zu etablieren,<br />
um die Versorgungsqualität zu verbessern. Wir schlussfolgerten daraus, dass sektorenübergreifende<br />
(integrierte) Versorgungsstrukturen nur mit einem sektorenübergreifenden Qualitätsmanagement-System<br />
funktionieren können.<br />
75
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Das SDMP der 2. Generation soll nun zu einem Chronik Care Modell (CCM = SDMP der 3. Generation)<br />
weiterentwickelt werden auf der Basis der positiven Evaluationsergebnisse des SDMP sowie der komplexen<br />
Praxis-Leitlinie MVS für multimorbide Diabetespatienten.<br />
Zielgruppe<br />
Das Sächsische Betreuungsmodell der 3. Generation zielt auf multimorbide Diabetespatienten mit MVS<br />
ab. Die Zielgruppe besteht zunächst aus den ca. 350.000 bekannten T2DM-Patienten in Sachsen sowie<br />
Patienten mit einem MVS, deren Zahl in Sachsen auf rund eine Million Menschen geschätzt wird und die<br />
u. a. im betriebsärztlichen Setting mittels Screening-Fragebögen identifiziert werden sollen.<br />
Versorgungselemente<br />
Das SDMP basierte auf den vier Kernelementen eines Disease-Managements nach Hunter et al., 1997<br />
und enthielt bereits erste Ansätze eines Chronic Care Modells: [1.] integrierte, versorgungsebenenübergreifende<br />
Praxis-Leitlinien (als Wissens- und Handlungsbasis), [2.] integrierte, kooperative Versorgungsstrukturen<br />
(besonders zwischen Hausärzten und DSP), [3.] ein integriertes Qualitätsmanagement (in versorgungsebenenübergreifenden<br />
Qualitätszirkeln) und [4.] Patienten-Schulung (zum Selbstmanagement).<br />
In Anlehnung an das Wagner’sche Chronic Care Modell (CCM) soll das sektorenübergreifende, populationsorientierte<br />
Versorgungskonzept folgende Kernelemente beinhalten: qualifizierte interdisziplinär<br />
arbeitende Teams mit komplexem Leistungsspektrum auf der Basis komplexer Leitlinien für multimorbide<br />
Patienten mit definierten Schnittstellen (der komplexen Praxis-Leitlinie MVS), einer kooperativen Entscheidungsfindung<br />
(auch sektorenübergreifend), einem Patientenmonitoring über den gesamten Krankheitsverlauf<br />
hinweg (z. B. mittels Patientenregister, Telemedizin) und einer aktiven Patientenrolle (Schulung<br />
und Empowerment = Mitbestimmung) (s. Abbildung 9).<br />
Die Praxis-Leitlinie MVS wurde in Vorbereitung der Entwicklung und Implementation eines innovativen<br />
CCM-Programmes seit 2006 durch die Fachkommission Diabetes der SLÄK, die bereits umfangreiche<br />
Erfahrungen bei der Erarbeitung von Praxis-Leitlinien im Rahmen von Diabetes und seiner Komplikationen<br />
hat, entwickelt. Denn bei der Komplexität des MVS ist es für den in Praxis und Klinik tätigen Arzt undenkbar,<br />
bei dem mit mehreren Krankheiten oder deren Vorstufen (Adipositas, Diabetes mellitus Typ 2, Fettstoffwechselstörungen,<br />
Hypertonie etc.) belasteten Patienten verschiedenste Leitlinien durchzuarbeiten,<br />
die allesamt auf das Management einzelner chronischer Erkrankungen fokussieren. Die Einbeziehung lokal<br />
tätiger Ärzte, als die künftigen Leitlinien-Anwender bereits in den Entwicklungsprozess, ist wesentlich für<br />
deren spätere Akzeptanz bei den Anwendern in der Praxis sowie deren Umsetzung im Versorgungsprozess.<br />
Deshalb arbeiten in der Fachkommission Diabetes SLÄK neben Ärzten aller Versorgungslevel (vorwiegend<br />
Vertreter der diabetologischen und allgemeinmedizinischen Fachgesellschaften und Berufsverbände)<br />
weitere Standesvertreter aus den Fachbereichen Diabetologie und Stoffwechsel, Kardiologie,<br />
Angiologie sowie Hausärzte, Assistenzberufe und Patientenverbände mit. Aufgrund der hohen Relevanz<br />
der bisher bekannten und diskutierten Risikofaktoren für metabolische und vaskuläre Krankheiten haben<br />
wir den Begriff „Metabolisch-Vaskuläres-Syndrom“ (MVS) eingeführt. Die Fachkommission hat sich bei<br />
der Definition und Diagnostik für den internationalen Konsens (Alberti, 2009) entschieden. Die Grundlage<br />
für die Praxis-Leitlinie MVS in ihrer gesamten Komplexität bilden die bereits existierenden anerkannten, auf<br />
Evidenz basierenden Leitlinien zu Adipositas, Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen und Diabetes.<br />
Grundsätzlich sollte bei Manifestation einer Facette des MVS stets nach den anderen gesucht werden, da<br />
diese oft schon im Latenzstadium nachweisbar sind, d. h. es sollte immer eine komplette Diagnostik erfolgen.<br />
Die Anzahl und die Ausprägung der bestehenden Risikofaktoren und bereits vorhandene Gefäßveränderungen<br />
bestimmen die Therapieziele. Die Festlegung der Therapieintensität erfolgt stets nach einer Risikoschätzung<br />
(z. B. nach dem PROCAM-Score). Eine Änderung des Lebensstils mit dem vorrangigen Ziel<br />
76
Das Sächsische Betreuungsmodell • Innovation durch Integration<br />
der Gewichtsreduktion ist der wichtigste und effektivste Teil der Empfehlungen der neuen Leitlinie MVS.<br />
Ernährungstherapie und physische Aktivität können alle Komponenten des MVS günstig beeinflussen.<br />
Betroffene Personen, die mit den vorgenannten Maßnahmen die Therapieziele nicht erreichen, bedürfen<br />
einer gut abgestimmten medikamentösen Intervention, die auch synergistische Effekte berücksichtigt.<br />
Wesentliche Elemente des CCM zur Versorgung von Diabetespatienten mit MVS sind die o. g. Risikofragebögen<br />
(Screening-Tools) zur frühzeitigen Diagnostik metabolisch-vaskulärer Erkrankungen. Im Rahmen<br />
der Initiative „Gesundheitsziele“ soll der für Deutschland bereits evaluierte Findrisk-Fragebogen<br />
sowie der in einer Pilotstudie im Rahmen eines Public-Health-(NBLIII)-Projektes der Medizinischen Fakultät<br />
der TU Dresden entwickelte und validierte spezielle Screening-Fragebogen MVS im betriebsärztlichen<br />
Setting eingesetzt sowie Kassenpatienten angeschrieben werden, um Risikopersonen frühzeitig zu identifizieren,<br />
zu schulen, zu beobachten und zu behandeln.<br />
Mehrwert<br />
Der CCM-Ansatz konzentriert sich bei der Behandlung von Diabetespatienten nicht nur auf die Einzeldiagnose,<br />
sondern schließt auch die Risikofaktoren/Begleiterkrankungen in das Konzept mit ein, eine<br />
ganzheitliche kooperative Versorgung auf der jeweils richtigen Versorgungsebene auf der Basis komplexer<br />
Praxis-Leitlinien (nicht nur für eine Erkrankung). Einen zusätzlichen Mehrwert für Patienten stellen<br />
außerdem das kontinuierliche Patienten-Monitoring über den gesamten Krankheitsverlauf und über alle<br />
Versorgungsebenen hinweg sowie die komplexen Patienten-Schulungen dar. Die Schulungen animieren<br />
den Patienten, das Versorgungskonzept mitzugestalten – und so selbst ein Teil des Modells zu werden;<br />
die Motivation zum Selbstmanagement der Patienten steigt.<br />
Auch für die Leistungsträger bringt das CCM einen erheblichen Zusatznutzen. Schwere Krankheitsereignisse,<br />
kostspielige Klinikaufenthalte und Pflegebedürftigkeit können vermieden werden. Zudem steigt die<br />
Lebensqualität der Patienten. All das führt zu niedrigeren Kosten für die Behandlungen von Spätkomplikationen<br />
mit Folgen wie Arbeitsunfähigkeit, Krankenhausaufenthalte, Rehabilitationsmaßnahmen oder Erwerbsunfähigkeit.<br />
Folgende positive Aspekte aus dem SDMP gehen in die Entwicklung eines CCM mit ein:<br />
• Entwicklung komplexer, sektorenübergreifende Leitlinien:<br />
welche die Versorgung multimorbider chronisch kranker Patienten nachhaltig verbessern. Die Praxis-<br />
Leitlinien stellen einen Handlungsleitfaden für Ärzte dar, sind aber nicht bindend. Die Versorgung erfolgt<br />
dadurch strukturierter und leitliniengerecht nach dem aktuellen Wissensstand.<br />
• Kommunikation und Kooperation fördern:<br />
Bisher vorhandene Hürden und Diskrepanzen zwischen den Ärzten konnten durch den gemeinsamen<br />
Dialog in den Qualitätszirkeln überwunden werden; die Qualität der Versorgung stieg. Neben den finanziellen<br />
Anreizen war es vor allem dieser sektorenübergreifende Ansatz, der zu einer frühen Überweisung<br />
der Patienten in eine Schwerpunktpraxis führte.<br />
• Dokumentationsaufwand für Qualitätsmanagement reduzieren:<br />
Das Diabetes-Management-Programm erreichte eine hohe Beteiligung der sächsischen Ärzte, was<br />
insbesondere den niedrigen bürokratischen Hürden durch den ergebnisorientierten Ansatz zu verdanken<br />
war. Ärzte wurden nicht dazu aufgefordert, den Behandlungsprozess genau zu dokumentieren,<br />
was für sie einen erhöhten Mehraufwand bedeutet hätte. Die Qualität wurde unter anderem anhand<br />
von den Ergebnisparametern HbA1c und Blutdruck beurteilt. Zur Beurteilung der Betreuungsprozesse<br />
nutzte man die Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen (Sekundärdatenquelle).<br />
In Qualitätszirkeln arbeiteten Hausärzte und DSP sektorenübergreifend zusammen; sie konnten so ein<br />
erfolgreiches Qualitätsmanagement gewährleisten.<br />
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3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Finanzierung<br />
Das SDMP war vertraglich implementiert (Strukturvertrag zwischen Krankenkassen und KV) und wurde<br />
mittels Pseudo-GOP’s vergütet. Die Finanzierung des integrierten Versorgungskonzeptes betrug nur ca.<br />
1/10 der Kosten, die die jetzigen weniger effektiven DMP’s verursachen (vor allem für den erheblichen<br />
administrativen Aufwand). Die Zahlung eines qualitätsorientierten Bonus an Hausärzte durch die Ersatzkassen<br />
war nach einer Laufzeit von 1–2 Jahren vorgesehen, um die Kooperation zwischen den Ärzten zu<br />
verbessern. Durch Messung und Honorierung guter Ergebnisqualität sollten die teilnehmenden Ärzte<br />
motiviert werden, Patienten rechtzeitig an eine diabetologische Schwerpunktpraxis zu überweisen, um<br />
die Stoffwechselqualität ihrer Patienten zu verbessern, die dann am Ende finanziell belohnt wurde. Dabei<br />
war nur ein mittlerer Bonus von ca. 3 Euro pro Patient und Quartal vorgesehen, und trotzdem war bereits<br />
die Hoffnung darauf sehr wirksam. Die Primärkassen zahlten hingegen einen geringfügigen Überweisungsbonus<br />
(also prozessorientiert).<br />
Weiterhin existiert unter sächsischer Leitung ein dreijähriges EU-Projekt mit 20 Partnern und einer großen<br />
Fördersumme. Beteiligte Partner sind: IDF-EUROPE, der deutsche Bundesverband Managed Care<br />
und weitere Partner aus mehreren EU-Ländern sowie die Fachkommission Diabetes der SLÄK, verschiedene<br />
Berufsverbände und die Techniker Krankenkasse. Eine finanzielle und organisatorische Nachhaltigkeit<br />
des Konzepts ist damit gesichert.<br />
Management<br />
Dem SDMP lag ein arbeitsteiliges Prinzip zugrunde. Die Hausärzte waren angehalten, die Patienten an<br />
eine Schwerpunktpraxis zu überweisen, wenn sich die Einstellung der Blutzucker- und Blutdruckwerte<br />
binnen zwei Quartalen nicht besserten. Die Schwerpunktpraxen wiederum hatten spätestens nach drei<br />
Quartalen die Therapie wieder in die Hände des Hausarztes zu legen.<br />
Wesentlich auch für die Umsetzung des CCMs ist die Kooperation zwischen Hausärzten und diabetologischen<br />
Schwerpunktpraxen (DSPs). Der Hausarzt soll, neben dem Betriebsarzt, anhand von Screening-<br />
Tools Patienten mit einem MVS ausfindig machen und sie dann möglichst frühzeitig für weitere Maßnahmen<br />
an eine DSP überweisen.<br />
Als organisatorische und fachliche Wissensbasis für die Versorgung von Patienten mit MVS dient die<br />
komplexe, evidenzbasierte Praxis-Leitlinie MVS. Sie ermöglicht eine wissenschaftlich fundierte, umfassende,<br />
ganzheitliche Versorgung multimorbider Patienten.<br />
Wie schon das SDMP setzt auch das künftige CCM-Konzept auf regelmäßige sektorenübergreifende<br />
Qualitätszirkel. Dabei sollen Ärzte aller Versorgungsebenen ein gemeinsames Qualitätsmanagement<br />
durchführen. Diese kollektive Diskussion macht das CCM zu einem sich selbst unterstützenden, kontinuierlich<br />
verbessernden System.<br />
Evaluation<br />
Das SDMP wurde bereits positiv evaluiert mittels einer deskriptiven begleitenden Beobachtungsstudie<br />
(Versorgungsforschung). Es wurde die Ergebnisqualität untersucht. Im SDMP waren etwa 75 Prozent aller<br />
Hausärzte und 100 Prozent der Schwerpunktpraxen in Sachsens beteiligt. Das führte zu einer fast<br />
flächendeckenden, ca. 90-prozentigen Beteiligung der sächsischen Diabetes-Population (291.771 Patienten),<br />
was auf die hohe Akzeptanz des SDMP durch Ärzte und Patienten hinwies. In allererster Linie war<br />
die hohe und wachsende Teilnahmerate durch den minimalen bürokratischen Aufwand des SDMP erreicht<br />
worden, weil es ergebnisorientiert angelegt war.<br />
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Das Sächsische Betreuungsmodell • Innovation durch Integration<br />
Ein wesentliches Ergebnis war, dass Patienten frühzeitiger in eine Schwerpunktpraxis überwiesen<br />
wurden. Vor Etablierung des SDMP kamen die Patienten bei einem medianen (mittleren) HbA1c-Wert<br />
von 8,5 Prozent, am Ende des Programms bereits bei 7,5 Prozent, wie in den Leitlinien empfohlen. Je<br />
früher Patienten in eine Schwerpunktpraxis überwiesen wurden, umso besser waren die Ergebnisse von<br />
HbA1c und Blutdruck in der gesamten Region. Die Effektivität des SDMP in der Versorgungsrealität kann<br />
einerseits auf die rechtzeitige Überweisung von Patienten an die Schwerpunktpraxen und andererseits<br />
auf die Anhebung der Kompetenz der Hausärzte durch das Training in innovativen sektorenübergreifenden<br />
Qualitätszirkeln durch Schwerpunktpraxen zurückgeführt werden – was die Machbarkeit des integrierten<br />
Versorgungsansatzes ohne bürokratische Hürden widerspiegelt. Die Evaluationsergebnisse zeigten<br />
eindrucksvoll, dass durch die einheitlich empfohlenen Diagnostik- und Therapiestrategien nach drei<br />
Jahren sehr gute Behandlungsergebnisse erzielt wurden, wie es höchstens bei Typ-1-Diabetikern unter<br />
Studienbedingungen möglich war (DCCT, 2005). Bemerkenswert war hierbei insbesondere, dass diese<br />
Ergebnisse unter Routinebedingungen möglich waren: Bis zum Jahr 2003 und der dann erfolgten Einführung<br />
von DMP-Diabetes wurden ca. 300.000 Diabetiker (ca. 6,7 % der sächsischen Bevölkerung) von ca.<br />
2.000 sächsischen Ärzten entsprechend der Vorgaben der sächsischen sektorenübergreifenden Diabetes-Leitlinien,<br />
die die wissenschaftliche Basis bildeten, betreut. Dabei konnten ganz wesentliche Verbesserungen<br />
der Stoffwechsel- und Blutdruckeinstellungen erreicht werden. 58 Prozent aller Patienten, die<br />
zu Beginn der Beobachtung eine unzureichende Blutzuckereinstellung aufwiesen (HbA1c > 7,5 %), konnten<br />
bis zum Ende der Beobachtung in einen akzeptablen Bereich zurückgeführt werden (HbA1c ≤ 7,5 %).<br />
Bezogen auf alle eingeschlossenen Diabetiker konnte der mittlere HbA1c-Wert von 7,1 % ± 1,4 auf 6,8 %<br />
± 1,1 abgesenkt werden. Ähnlich gute Ergebnisse wie beim HbA1c konnten im SDMP auch bezüglich der<br />
Blutdruckabsenkung erreicht werden.<br />
Das integrierte Sächsische Diabetes-Betreuungsmodell (der 2. Generation) ist ein innovativer Weg gewesen,<br />
um die Diabetes-Versorgung kontinuierlich und landesweit zu verbessern. Mit diesem Betreuungsmodell<br />
ließen sich die mittleren HbA1c- und Blutdruckwerte kontinuierlich in einem ganzen Land senken.<br />
Abbildung 11 – Bessere Versorgung durch Integration<br />
6,2% 7,2 %<br />
1 / 2000<br />
6,4% 7,4 %<br />
6,6% 7,6 %<br />
6,8% 7,8 %<br />
7,0% > 7,8 %<br />
HbA1c<br />
7,1 + 1,3% 6,8 + 1,2%<br />
Blutdruck<br />
144/82 mmHg 140/81 mmHg 4 / 2002<br />
Quelle: Eigene Darstellung..<br />
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3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Nächste Schritte<br />
Derzeit soll das SDMP weiterentwickelt werden mit dem Ziel eines Paradigmenwechsels im Disease<br />
Management: weg vom Fokus auf das indikationsbezogene Management einzelner chronischer Erkrankungen<br />
hin zu einer ganzheitlichen Sicht, einem Chronic Care Konzept, das insbesondere Hausarztpraxen<br />
helfen soll, die Ergebnisqualität ihrer chronisch kranken, multimorbiden Patienten zu verbessern und damit<br />
ganz neue Perspektiven für die Versorgung gerade der meist multimorbiden Diabetespatienten mit<br />
MVS auch in Deutschland, zunächst modellhaft in Sachsen, bieten kann.<br />
Ziel ist nun die flächendeckende Implementation der Praxis-Leitlinie im Rahmen eines CCM-Programmes /<br />
Vertrages in Sachsen – von Präventionsmaßnahmen, Diagnostik, Therapiezielen und Therapiestandards<br />
des MVS insbesondere für Hausärzte, Internisten, Kardiologen, Angiologen, Gefäßchirurgen – durch intensive<br />
Weiter- und Fortbildungsaktivitäten und bevölkerungsweite Aufklärungskampagnen und Früherkennungsmaßnahmen.<br />
Dabei sollen die vielfältigen, positiven Erfahrungen mit der flächendeckenden Implementation<br />
und Evaluation des Sächsischen Betreuungsmodells (SDMP) zwischen 2000 und 2002 einfließen.<br />
In Verhandlungen mit den Krankenkassen soll das CCM für MVS später auch vertraglich implementiert<br />
werden (nach § 73 oder § 140 a–d SGB V). Durch den bisherigen Erfolg des SDMP und eine weiterhin<br />
ergebnisorientierte Betreuung der Patienten kann eine messbare Qualitätsverbesserung und eine Reduktion<br />
von Herzinfarkten erwartet werden.<br />
Ansprechpartner<br />
Priv.-Doz. Dr. med. Ulrike Rothe<br />
Stellvertretende Vorsitzende der Fachkommission Diabetes SLÄK<br />
Medizinische Fakultät der TU Dresden, I<strong>MB</strong><br />
Bereich Epidemiologie und Versorgungsforschung<br />
Fetscherstr. 74<br />
01307 Dresden<br />
Telefon: 0351 – 3177 231<br />
E-Mail: ulrike.rothe@tu-dresden.de<br />
www.imib.med.tu-dresden.de/diabetes/<br />
Literatur<br />
Alberti, K.G., Grundy S.M., Zimmet P.Z. et al. (2009). Harmonizing the metabolic syndrome: a joint interim statement of the<br />
International Diabetes Federation Task Force on Epidemiology and Prevention; National Heart, Lung, and Blood Institute;<br />
American Heart Association; World Heart Federation; International Atherosclerosis Society; and International Association<br />
for the Study of Obesity. Circulation, 2009 Oct 20;120(16):1640–5.<br />
The Diabetes Control and Complications Trial/Epidemiology of Diabetes Interventions and Complications (DCCT/EDIC) Study<br />
Research Group (2005). Intensive Diabetes Treatment and Cardiovascular Disease in Patients with Type 1 Diabetes. N Engl<br />
J Med 2005; 353:2643–2653.<br />
Hien, P., Böhm, B., Claudi-Böhm, S. et al. (2013). Diabetes-Handbuch, 7. Auflage, Springer Verlag, Heidelberg, Berlin, http://link.<br />
springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-540-48552-0.pdf.<br />
Heidemann, C.; Du, Y.; Schubert, I. et al. (2013). Prävalenz und zeitliche Entwicklung des bekannten Diabetesmellitus Ergebnisse<br />
der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1), Springer-Verlag Berlin Heidelberg, http://edoc.rki.de/<br />
oa/articles/reStimZmeS2/<strong>PDF</strong>/28z6BcQzEazE.pdf.<br />
Hunter D.J., Fairfield G. (1997). Disease management, Bmj 315, 50–53.<br />
80
Das Sächsische Betreuungsmodell • Innovation durch Integration<br />
Huppertz, E. (2011). Krankheitskostenstudien bei Diabetes mellitus: Allgemeine und besondere Aspekte: Springer-Verlag.<br />
http://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2Fs11428-010-0642-3.pdf.<br />
Rothe U., Müller G., Kunath H., Schulze J. (2003). Nutzen und Risiken des Disease Managements bei Diabetes mellitus. In:<br />
Pfaff, H. et al., (Hrsg.): Handbuch Gesundheitswissenschaften: Gesundheitsversorgung und Disease Management – Grundlagen<br />
und Anwendungen der Versorgungsforschung. Verlag Hans Huber Bern – Göttingen – Toronto – Seattle, 1. Auflage<br />
2003, 269–274.<br />
Rothe, Verlohren, Schulze (2011). Modernes Diabetes-Management, Vom Managed-Care über Disease Management zum<br />
Chronic-Care-Management.<br />
Schulze, J., Rothe, U. (2008). Leitlinie Metabolisch-Vaskuläres-Syndrom. Ein gutes Beispiel für eine evidenzbasierte, praxisorientierte,<br />
interkollegiale Zusammenarbeit.<br />
81
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
© <strong>MSD</strong>/Bardehle<br />
Dr. Jürgen Flohr, Lysann Kasprick mit Juror Dr. Rolf Koschorrek (v. r.)<br />
Sonderpreis:<br />
GeriVita<br />
Geriatrischer Versorgungslebenslauf<br />
Autoren: Jürgen Flohr und Lysann Kasprick<br />
Management Summary<br />
Die Clusterkonzeption GeriVita – der geriatrische Versorgungslebenslauf –, innerhalb des Modellprojektes<br />
GeriNet Leipzig, des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz, hat zum Ziel,<br />
geriatrische Patienten auf einem qualitativ hohen Niveau sektorenübergreifend zu versorgen und zu<br />
beraten. Das Projekt will die Souveränität der Patienten im Alter sicherstellen und deren Autonomie stärken<br />
– für ein selbstbestimmtes Leben im häuslichen Umfeld.<br />
GeriVita entstand 2012 aus einer Kooperation zwischen dem GeriNet Leipzig und dem Leipziger Gesundheitsnetz<br />
e. V. und soll bis Ende 2015 als Modellprojekt erprobt werden.<br />
Der Partner GeriNet ist ein im Jahr 2011 gegründetes Netzwerk mit über 900 versorgungsrelevanten<br />
Leistungserbringern aus der Region Leipzig. Zu ihm gehören unter anderem Haus- und Fachärzte, Pflege-<br />
82
GeriVita • Geriatrischer Versorgungslebenslauf<br />
fachkräfte, Apotheker, Krankenhäuser und die Wohnungswirtschaft. Das Netzwerk wird durch das Sächsische<br />
Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz sowie den sächsischen gesetzlichen Krankenkassen<br />
unterstützt.<br />
Das Leipziger Gesundheitsnetz e. V. wurde 2009 gegründet und besteht aktuell aus über 100 niedergelassenen<br />
Ärzten und Therapeuten.<br />
Die Kooperation der beiden Netze im Projekt GeriVita ist eine regionale Antwort auf den demografischen<br />
Wandel. Sie soll helfen, Über-, Unter- und Fehlversorgungen zu vermeiden. Eine Regelfinanzierung des<br />
Versorgungsmodells wird angestrebt.<br />
Einleitung<br />
Mit einer stetigen Zunahme des Altenquotienten steigt die Anzahl multimorbider, geriatrischer Patienten<br />
in Deutschland. Werden geriatrische Krankheiten frühzeitig erkannt, können sich Patienten und Angehörige<br />
bereits bei Beginn der Erkrankung mit dem Thema Versorgung auseinandersetzen. Deshalb entwickelte<br />
das Modellprojekt GeriVita einen Screening-Bogen zur Identifizierung des geriatrischen Patienten<br />
in der Haus- und Facharztpraxis. Der Fragebogen mit dem Namen ANGELINA ermöglicht es, den geriatrischen<br />
Patienten mit seinen unterschiedlichen Risikopotentialen rechtzeitig zu identifizieren und eine<br />
bestmögliche Versorgung in seinem Heimatquartier zu ermöglichen.<br />
Geriatrische Patienten benötigen ein komplexes, sektorenübergreifendes Versorgungsmodell – mit vielen<br />
unterschiedlichen Experten aus unterschiedlichen Fachbereichen. Ein Problem ist das zwar umfangreiche,<br />
jedoch sehr unstrukturierte ambulante Versorgungsangebot in Deutschland; es kann Patienten und<br />
Angehörige schnell überfordern. Das Leipziger Gesundheitsnetz und GeriNet Leipzig haben sich zum<br />
GeriVita-Modellprojekt zusammengeschlossen, um für diese umfangreichen Probleme eine Lösungsmöglichkeit<br />
zu bieten: Alle geriatrischen Patienten, die sich in einer Hausarztpraxis des Leipziger Gesundheitsnetzes<br />
vorstellen, werden anhand des Screening-Fragebogens ANGELINA auf geriatrische Symptome<br />
hin untersucht. Der ANGELINA-Fragebogen ist zum einen ein Selbstauskunftsbogen mit einer<br />
ergänzten Fremdeinschätzung durch den Mediziner. Im Falle einer geriatrischen Erkrankung und dem erfassten<br />
Risikopotential wird auch im Rahmen einer präventiven Hilfestellung der GeriNet-Fallmanager auf<br />
Wunsch informiert. Der Fallmanager begleitet je nach Bedarf den Patient und seine Familie durch das<br />
Gesundheits- und Sozialsystem. Die Hilfeleistung wird in drei Säulen unterschieden:<br />
1. finanzielle Hilfe<br />
2. strukturelle Hilfe<br />
3. kommunikativ-intersektorale Hilfe<br />
Der GeriNet Fallmanager übernimmt dann das nötige Versorgungsmanagement und leitet den Patienten<br />
anhand von einem individuellen Versorgungsplan an. Der Haus- und Facharzt, Therapeuten, Pflegedienst<br />
etc. erhalten ebenfalls auf Wunsch die aktuelle Hilfeplanung.<br />
Ziel ist es, dem Patienten und seiner Familie ein umfangreiches, problemfreies älter werden in der eigenen<br />
häuslichen Umgebung zu ermöglichen.<br />
Versorgungsherausforderung<br />
Der demografische Wandel stellt Deutschland vor zahlreiche Herausforderungen, um die soziale Sicherung<br />
aufrechtzuerhalten. Die Alterung der Bevölkerung ist Folge des Double-Aging-Prozesses. Auf der<br />
83
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
einen Seite geht die Zahl der Geburten zurück. Zwar soll der Anteil der unter 15-Jährigen leicht steigen<br />
– von 10,5 Prozent im Jahr 2005 auf 11,4 Prozent im Jahr 2020 – dennoch wird die Altersgruppe der unter<br />
20-Jährigen im bundesdeutschen Durchschnitt zahlen- und anteilsmäßig kleiner. Auf der anderen Seite<br />
steigt die Lebenserwartung. Außerdem führt der demografische Wandel zu einer Veränderung der Gesellschaft;<br />
beispielsweise existieren mehr Einpersonenhaushalte.<br />
Das hat erhebliche Auswirkungen auf das deutsche Gesundheitswesen und damit auf die Versorgung der<br />
Bevölkerung. Konsequenzen zeigen sich bei Finanzierungs- und Ausgabeneffekten.<br />
Der Finanzierungseffekt ist aufgrund der Verdoppelung des Altenquotienten in der deutschen Bevölkerung<br />
sehr stark. Besonders deutlich wird das in den neuen Bundesländern (s. Abbildung 12). Die Anzahl<br />
der Beitragszahler sinkt, während die Zahl der Beitragsempfänger stetig steigt. Das umlagefinanzierte<br />
System der gesetzlichen Krankenkassen ist dadurch gefährdet. Kam im Jahr 2009 noch ein Nichterwerbstätiger<br />
auf 2,8 Erwerbstätige (also Beitragszahler), wird im Jahr 2020 eine Gleichverteilung erwartet<br />
(Statistisches Bundesamt, 2009).<br />
Der Ausgabeneffekt wiederum beschreibt die Verteilung der Ausgabenprofile im Alter. Nachweislich<br />
sind die Gesundheitsausgaben in der Zeit vor dem Tod am höchsten. Eine effiziente Versorgung älterer<br />
Menschen kann somit Kosten sparen, was bei der zu erwartenden Entwicklung zwingend notwendig<br />
ist. Das Verbleiben zu Hause stellt daher im Alter nicht nur den größten Wunsch für jeden einzelnen<br />
Betroffenen dar, sondern wird für die nächsten Generationen eine der größten Herausforderungen im<br />
Solidaritätsprinzip. Umso wichtiger wird das rechtzeitige Erkennen der Risikofaktoren im Alter, um präventiv<br />
in der Aufklärung und Begleitung der geriatrischen Patienten und ihren Familien wirken zu können.<br />
Abbildung 12 – Altenquotient der Bundesländer 2008 und 2030<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
2008<br />
2030<br />
20<br />
10<br />
0<br />
BW BY HE NI NW RP SL SH TH BB MV SN ST BE HB HH<br />
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2011).<br />
84
GeriVita • Geriatrischer Versorgungslebenslauf<br />
Die Geriatrie ist ein Zweig der Medizin, der sich mit den Erkrankungen und den präventiven, klinischen,<br />
rehabilitativen und sozialen Aspekten älterer Menschen beschäftigt (Bundesverband Geriatrie, 2010). Die<br />
deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG), die Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie<br />
(DGGG) und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Klinisch-Geriatrischen Einrichtungen e.V. (BAG) definieren<br />
den geriatrischen Patienten wie folgt:<br />
• Geriatrische Multimorbidität<br />
• Hohes Lebensalter (überwiegend 70 Jahre oder älter)<br />
• Die geriatrische Multimorbidität ist hierbei vorrangig vor dem kalendarischen Alter zu sehen<br />
oder:<br />
• Alter 80+ Jahre auf Grund der alterstypisch erhöhten Vulnerabilität, z. B. wegen des Auftretens von<br />
Komplikationen und Folgeerkrankungen, der Gefahr der Chronifizierung sowie des erhöhten Risikos eines<br />
Verlustes der Autonomie mit Verschlechterung des Selbsthilfestatus.<br />
Laut WHO soll bei geriatrischen Patienten insbesondere gewährleistet werden, dass sie neben ihrer<br />
Krankheit weiterhin am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und ihr Leben selbstbestimmt führen können.<br />
Geriater stehen somit vor der Herausforderung, eine komplexe, interdisziplinäre und fachmedizinische<br />
Behandlung zu erbringen. Gleichzeitig soll dem Patienten im Rahmen eines Gesamtbehandlungskonzepts<br />
soziale Unterstützung geboten werden.<br />
Diesem herausfordernden Versorgungsprozess wird die derzeitige Situation in der Akut- und Rehabilitationsmedizin<br />
nicht ausreichend gerecht. Gründe dafür sind beispielsweise ein unzureichendes Screening<br />
zur Gesundheitssituation älterer Menschen, mit dem frühzeitig Risikopotentiale erkannt werden könnten.<br />
Auch die Wechselwirkungen der fachlichen Spezifikationen werden nicht ausreichend berücksichtigt<br />
(etwa Doppeluntersuchungen). Die dafür notwendige sektorenübergreifende Zusammenarbeit der Leistungserbringer<br />
ist in Deutschland durch die gesundheitspolitischen Strukturen schwer zu realisieren. Damit<br />
der Patient einen ausreichenden Grad an Selbstständigkeit erreichen kann, sollte auch der Rehabilitationsbedarf<br />
stärker in den Fokus rücken.<br />
In Sachsen liegt der Anteil der Bevölkerung über 65 Jahre bei 23,5 Prozent. Für 2020 wird ein Anstieg auf<br />
28,5 Prozent prognostiziert. Im Jahr 2008 hatte Sachsen den höchsten Altenquotienten Deutschlands.<br />
Das Bundesland musste einen Weg finden, mit diesem Problem umzugehen.<br />
Um der Entwicklung des Altenquotienten zu begegnen, wurde 2009 mit der Entwicklung eines Geriatriekonzepts<br />
begonnen – unter der Leitung des Sächsischen Staatsministeriums und des Landesverbandes<br />
Geriatrie in Sachsen. Darin wird die Situation in Sachsen ausführlich beschrieben, weitere Handlungsmöglichkeiten<br />
werden aufgezeigt. Das Geriatriekonzept teilt Sachsen in vier regionale Bereichsgruppen<br />
auf. In absoluten Zahlen weisen die Regionen Leipzig und Dresden die höchsten Zahlen der über 65-Jährigen<br />
in Sachsen auf. Aufgrund ihrer großen Einwohnerzahl leben in beiden Städten mehr als 100.000<br />
Einwohner, die älter sind als 65 Jahre. Diese Zahl ist maßgeblich für den Bedarf der geriatrischen Versorgung.<br />
GeriVita ist eine Antwort auf die komplexen Versorgungssysteme im Alter sowie der hohen Ausgabenprofile<br />
und der starken demografischen Alterung in Sachsen, insbesondere in Leipzig. Die Notwendigkeit<br />
eines transparenten und regional wirkenden Versorgungsnetzwerks wird durch den ersten Zwischenbericht<br />
der evaluierenden Hochschule noch einmal unterstrichen, der bestätigt, dass die Vielfalt an Versorgungsangeboten<br />
weder zur rechtzeitigen Vorsorgen noch zum Verbleib im Heimatquartier führt.<br />
85
Ein interdisziplinäres Versorgungskonzept für geriatrische Patienten ist deshalb sehr zu begrüßen. Im ambulanten<br />
Bereich soll versucht werden, sektorenübergreifende Strukturen aufzubauen, um älteren Patienten<br />
im Alter ein selbstbestimmtes Leben in ihrer häuslichen Umgebung bieten zu können.<br />
Entstehungsgeschichte<br />
Das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz hat auf Basis seines landes -<br />
eigenen Geriatriekonzepts das Land Sachsen in vier Modellregionen aufgeteilt, um in jeder Region ein<br />
regional wirkendes geriatrisches Netzwerk zu etablieren. Jedes Netzwerk ist dadurch mit den speziellen<br />
regionalen Gegebenheiten vertraut und hilft auf direktem Wege den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort.<br />
GeriNet Leipzig, für die Stadt und den Landkreis Leipzig, stellt eines der vier Modellregionen dar und<br />
wurde im Jahre 2011 gegründet. Seit seiner Gründung zählt das Projekt rund 900 Mitglieder. Aus der<br />
Kooperation im Jahre 2012 mit dem Leipziger Gesundheitsnetz e. V. entstand GeriVita (s. Abbildung 13).<br />
Das Leipziger Gesundheitsnetz e. V. ist 2009 entstanden und besteht zurzeit aus über 100 Haus- und<br />
Fachärzten sowie Therapeuten. Es resultierte aus der Idee, ambulant tätige Ärzte aller Fachbereiche zu<br />
vernetzen, um den Patienten eine sektorenübergreifende, bedarfsgerechte und innovative Versorgung<br />
bieten zu können.<br />
Kernelemente<br />
Versorgungskonzept<br />
Die ambulante Versorgung ist in Deutschland breit aufgestellt. Verschiedene Angebote versuchen, den<br />
steigenden Bedarf der Patienten abzudecken. In Summe werden die Angebote aber schnell unübersichtlich.<br />
Gerade für geriatrische Patienten stellt das Angebot eine große Herausforderung dar, die manchmal<br />
unüberbrückbar erscheint.<br />
Der geriatrische Patient zeichnet sich durch ein hohes Alter aus. Er ist geprägt durch seine Multimorbidität<br />
und Vulnerabilität und er ist leicht anfällig für Erkrankungen. Ein komplexes und individuelles Versorgungskonzept<br />
ist für diese Patienten deshalb von besonderer Bedeutung. GeriVita macht es möglich, Risikopatienten<br />
frühzeitig zu erkennen – mit Hilfe des Selbstauskunftsbogen ANGELINA. Das hat den Vorteil,<br />
dass sich zu diesem Zeitpunkt noch präventive Maßnahmen einleiten lassen und Patienten und Angehörige<br />
von Anfang an, an ihrem Versorgungsprozess und einer Entscheidungsfindung für das Leben<br />
mit Einschränkungen im Heimatquartier vorsorgen und bewusst teilnehmen können. Die Identifizierung<br />
geriatrischer Patienten mit dem Selbstauskunftsbogen ANGELINA erfolgt in einer der Arztpraxen des<br />
Leipziger Gesundheitsnetzes e.V. Bei Bedarf wird der Patient an einen GeriNet-Fallmanager überwiesen,<br />
der sich dann um das individuelle Versorgungskonzept kümmert, welches für den Patienten und seine<br />
Angehörige ideal ist. Dabei sind diese bei der Entwicklung des Versorgungskonzepts eingebunden. Im<br />
Rahmen von Selbsthilfegruppen, Angehörigenschulungen sowie Entlastungsprogrammen bildet der pflegende<br />
Angehörige einen der wichtigsten Bausteine, um ein Verbleiben des Betroffenen zu Hause ermöglichen<br />
zu können. Sie werden geschult, um zukünftig leichter selbstständige Entscheidungen für sich und<br />
ihren Betroffenen zu treffen.
GeriVita • Geriatrischer Versorgungslebenslauf<br />
Abbildung 13 – Kooperation zwischen Leipziger Gesundheitsnetz e.V. und GeriNet Leipzig<br />
GeriVita<br />
Leipziger<br />
Gesundheitsnetz e.V.<br />
GeriNet Leipzig<br />
Haus- Fachärzte<br />
Hausärzte<br />
Ambulante Pflegedienste<br />
Pflegeheime<br />
Fachärzte<br />
Tagespflege<br />
etc.<br />
Therapeuten<br />
> 100 Mitglieder<br />
(seit 2009)<br />
> 900 Mitglieder<br />
(seit 2011)<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Zielgruppe<br />
GeriNet Leipzig ist ein Modellprojekt, das auf Basis des sächsischen Geriatriekonzepts entwickelt wurde,<br />
um der spezifischen Versorgungssituation des Landes Sachsen zu begegnen. Sachsen ist aufgrund seines<br />
extrem hohen Altersquotienten besonders früh von den Konsequenzen der demografisch älter werdenden<br />
Bevölkerung betroffen. Das Kooperationsprojekt GeriVita ist in der Stadt und im Landkreis Leipzig<br />
angesiedelt und gezielt auf die ältere Bevölkerung ausgerichtet – den aktiven Senior und den älter werdenden<br />
geriatrischen Patienten (Definition siehe Ausgangssituation).<br />
Ältere Menschen und deren Angehörige sollen durch das Modellprojekt aktiv in ihren Entscheidungsprozessen<br />
im Rahmen des Gesundheits- und Sozialsystems unterstützt werden. Ein selbstverantwortliches<br />
Leben auch im Alter in der Häuslichkeit ist das oberste Ziel. Das Versorgungsangebot in Deutschland<br />
ist sehr vielfältig, jedoch für den alternden Menschen und seinen Angehörigen häufig strukturlos und<br />
das Finden der geeigneten Unterstützungsmöglichkeit häufig allein nicht zu finden. Menschen, die nach<br />
einem Krankenhausaufenthalt Unterstützung suchen, fühlen sich in den deutschen Versorgungsstrukturen<br />
häufig schlecht betreut oder gar nach Auszug aus der eigenen Häuslichkeit falsch beraten – genau wie<br />
Patienten, die aufgrund ihrer Multimorbidität mehrere Leistungserbringer aufsuchen sollten, sind mit den<br />
vielfachen Angeboten überfordert. Ein individuelles Fallmanagement mit einem festen Ansprechpartner<br />
87
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
kann dabei eine große Hilfe für die betroffenen Personen sein. Deshalb wird in dem Modellprojekt Geri-<br />
Vita all denjenigen Patienten eine Teilnahme an einem Screening mit dem ANGELINA-Fragebogen angeboten,<br />
die eine Hausarztpraxis des Leipziger Gesundheitsnetzes aufsuchen und mindestens vier<br />
Erkrankungen aufweisen. Bei Bedarf empfiehlt der Hausarzt dann eine Sprechstunde mit einem dafür<br />
ausgebildeten Fallmanager.<br />
Versorgungselemente<br />
Alle Patienten, die Mehrfacherkrankungen haben, also mindestens vier Krankheiten, und die älter sind als<br />
75 Jahre, können in einer hausärztlichen Gemeinschaftspraxis des Leipziger Gesundheitsnetzes einen<br />
Selbstauskunftsbogen ausfüllen – den Screening-Bogen ANGELINA. Mit diesem Bogen wird der Patient<br />
zu seinem Wohn- und Hilfsbedarf befragt, zur Einnahme von Medikamenten, zur Mobilität, zur Funktionsfähigkeit<br />
seiner Sinne, nach Krankenhausaufenthalten, seinen kognitiven Fähigkeiten und zu seiner Gefühlsstimmung.<br />
Das Bewertungssystem führt zu einer Erstidentifikation geriatrischer Symptome. Der<br />
Arzt kann so den Bedarf des Patienten ermitteln, der über die ärztlichen Belange hinaus geht. Die Befragung<br />
wird durch den Hausarzt in einer der Leipziger Gesundheitsnetz-Praxen durchgeführt. Weist die<br />
Befragung des Patienten geriatrische Symptomatiken auf, überweist der Hausarzt ihn zum Erstgespräch<br />
an einen GeriNet-Fallmanager. Diesen können der Patient und/oder der Angehörige jeden ersten Freitag<br />
im Monat zum Erstgespräch aufsuchen – zwischen 8.00 Uhr und 12.00 Uhr in der Praxis von Frau Dr.<br />
med. Sommer und Herrn Dr. med. Flohr in Leipzig.<br />
Die GeriNet-Fallmanager können dann aus dem persönlichen Erstgespräch und aus dem bereits ausgefüllten<br />
Selbstauskunftsbogen den spezifischen Versorgungsbedarf der o. g. Kategorien (Mobilität,<br />
Kognition, Aktivitäten des täglichen Lebens etc.) des Patienten ermitteln. Während der Beratung füllt<br />
der Fallmanager ein Beratungsprotokoll aus. Dabei dokumentiert er Angaben zur Person, zum Berater<br />
und zur Pflegestufe des Patienten. Des Weiteren wird in diesem Bogen auch der Beratungsinhalt festgehalten,<br />
wie beispielsweise die Inanspruchnahme von Schulungskonzepten oder gestellte Anträge<br />
(Schwerbehindertenausweis, Pflegestufe, Rehabilitation, Sozialhilfe). Abhängig vom Bedarf werden daraufhin<br />
weitere Schritte eingeleitet, um dem Patienten systematisch eine adäquate Versorgung im Heimatquartier<br />
zu ermöglichen.<br />
Die Abstimmung über ein entsprechendes Versorgungskonzept entsteht in Zusammenarbeit mit dem<br />
Patienten. Patient und Angehörige werden in den Entscheidungsprozess von Anfang an integriert: Vorund<br />
Nachteile von Versorgungsstrukturen werden besprochen, am Ende trifft der Patient die Entscheidung<br />
über das Versorgungskonzept selbst. Dieses Schulungsprogramm soll dem Konzept Nachhaltigkeit<br />
verleihen, die Patientensouveränität stärken und seine Entscheidungs- und Handlungskompetenz<br />
steigern – damit das ambulante Versorgungsangebot für Patient und Angehörige beherrschbarer wird und<br />
bleibt.<br />
Durch die Übernahme des Fallmanagements von einem dafür ausgebildeten Mitarbeiter des GeriNet<br />
Leipzig kann die Versorgung innerhalb der häuslichen Umgebung des Patienten organisiert werden. Dem<br />
Patienten wird es durch die Teilnahme an dem Versorgungskonzept ermöglicht, ein selbstbestimmtes<br />
Leben zu führen – in seiner gewohnten, häuslichen Umgebung.<br />
Der Patient hat zudem die Möglichkeit, dem Fallmanager eine Vollmacht zur weiteren Organisation seiner<br />
Versorgung auszustellen. Vier Wochen nach dem Koordinationsgespräch wird erneut Rücksprache über<br />
den entwickelten Hilfeplan gehalten. Die Durchführung des Versorgungskonzepts wird ergebnisorientiert<br />
evaluiert.<br />
88
GeriVita • Geriatrischer Versorgungslebenslauf<br />
Abbildung 14 – Ablaufprozess nach positiver Identifikation eines geriatrischen Patienten in der Hausarztpraxis<br />
Leipziger Gesundheitsnetzwerk e.V.<br />
Hausärztliche Gemeinschaftspraxen<br />
GeriNet Leipzig<br />
> 75 Jahre<br />
min. 4<br />
Erkrankungen<br />
Screeningbogen<br />
ANGELINA<br />
(Selbstauskunftsbogen)<br />
Identifikation geriatrischer Patienten<br />
Ermittlung des nichtärztlichen Bedarfs<br />
Einleitung der<br />
individuellen<br />
Fallsteuerung mit<br />
Erstgespräch<br />
durch<br />
Fallmanager<br />
Diagnostische und<br />
Therapeutische Behandlung<br />
durch Hausarzt<br />
Rückmeldung<br />
Beratungsprotokoll<br />
Einwilligungserklärung<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Mehrwert<br />
Die Beratungs-, Versorgungs- und Behandlungsprozesse werden in einer elektronischen Patientenakte<br />
gespeichert. Durch den effizienteren Versorgungsprozess werden bürokratische Strukturen abgebaut und<br />
Doppeluntersuchungen vermieden – dank einer verbesserten Kommunikation und Kooperation der Leistungserbringer<br />
aller Sektoren. Die Behandlungsschritte der Patienten können dadurch besser aufeinander<br />
abgestimmt werden. Das spart Zeit, wovon Leistungsempfänger, also der Patient, Leistungserbringer<br />
(Ärzte, Pflegekräfte, Therapeuten) und Leistungsfinanzierer profitieren (Krankenkassen und Selbstzahler).<br />
Die elektronische Patientenakte führt in Verbindung mit dem Screening-Bogen ANGELINA zu einer verbesserten<br />
Identifikation von Hochrisikopatienten. Sekundäre Präventionsmaßnahmen können frühzeitig<br />
eingeleitet werden. Im Idealfall führt das zu gesundheitsökonomischen Einsparungsmöglichkeiten für<br />
die Krankenkassen (Leistungsfinanzierer). Zudem können durch ein Fallmanagement Über-, Unter- und<br />
Fehlversorgung aufgedeckt und unnötige Kosten vermieden werden. Dieser Mehrwert für Patient und<br />
Arzt wird in einer Regelversorgung nicht geboten.<br />
Durch ein auf den Patienten individuell abgestimmtes Versorgungsmanagement kann man den Versorgungsanforderungen<br />
gerecht werden – eine Aufgabe, die ältere Menschen oft überfordern: zu groß und<br />
dadurch zu unübersichtlich ist das Angebot. Das Lenken und Leiten – in regionalen Beratungs-, Behandlungs-<br />
und Versorgungspfaden und durch einen regionalen GeriNet-Fallmanager – ermöglicht ein gezieltes<br />
Eingehen auf die Bedürfnisse des Patienten – und damit ein Leben in häuslicher Umgebung. Durch<br />
das gemeinsame Erörtern der unterschiedlichen Handlungsoptionen wird die Patientensouveränität gestärkt;<br />
eigenmächtige Entscheidungen, die unter Umständen gar nicht im Interesse des Patienten sind,<br />
werden vermieden. Zudem verschafft man sich durch das persönliche Gespräch die Gewissheit, dass der<br />
89
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Patient die unterschiedlichen Handlungsoptionen verstanden hat. Das Ziel der Wissenserweiterung zeigt<br />
sich auch in Form von Schulungen: für ein selbstbestimmtes Leben im Alter und um Krisensituationen<br />
zukünftig besser bewältigen zu können. Durch ein höheres Selbstwertgefühl des Patienten steigt schließlich<br />
dessen Lebensqualität. Geistige und körperliche Mobilität werden gestärkt, Depressionen wird vorgebeugt.<br />
Tabelle 10 – Projektziele und Mehrwert für die am Prozess Beteiligten<br />
Patienten und Angehörige<br />
Ärzte-, Pflege- und Therapeutenschaft<br />
Kostenträger<br />
Kommune und Wohnungswirtschaft<br />
Fallmanagement führt zu einer verbesserten Nutzung von<br />
Versorgungsangeboten<br />
Selbstbestimmtes Leben in häuslicher Umgebung<br />
Mehr Autonomie durch Stärkung der Handlungskompetenz<br />
Elektronische Patientenakte führt durch Zeitgewinn zu effizienteren<br />
Patientenversorgung<br />
Reduzierung des bürokratischen Aufwands<br />
Über-, Unter- und Fehlversorgung wird vermieden<br />
(keine Doppeluntersuchungen)<br />
Qualitätsverbesserung durch Förderung sektorenübergreifender<br />
Zusammenarbeit<br />
Folgekosten aus Über-, Unter- und Fehlversorgung werden verringert<br />
Durch häusliche Umgebung Vermeidung von Landflucht<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Das Modellprojekt GeriVita bietet auch der Region Leipzig und Umland einen Mehrwert. Durch das<br />
Management der GeriNet-Mitarbeiter wird das Verbleiben in der gewohnten häuslichen Umgebung ermöglicht.<br />
Landflucht wird vermieden. Eine Dokumentation der Versorgungsstruktur in der elektronischen<br />
Patientenakte ermöglicht zudem eine zukunftssichere Städte- und Sozialplanung.<br />
Finanzierung<br />
Das Modellprojekt GeriNet wird als Modellprojekt vom Sächsischen Staatsministerium für Soziales<br />
und Verbraucherschutz sowie von den gesetzlichen Krankenkassen seit Januar 2011 gefördert. In der<br />
ersten Projektphase läuft das Modellprojekt bis zum 31.12.2013. Die zweite Projektphase schließt sich<br />
voraussichtlich bis zum 31.12.2015 nahtlos an, um auch hier eine repräsentative Verlaufsforschung im<br />
Rahmen einer fünfjährigen Fallbegleitung der geriatrischen Patienten ermöglichen zu können. Für das<br />
im Jahre 2012 aus der Kooperation zwischen GeriNet Leipzig und dem Leipziger Gesundheitsnetz e.V.<br />
entstandene GeriVita liegt kein gesondertes Vertragsmodell mit einer Krankenkasse vor, beispielsweise<br />
nach § 73 SGB V oder § 140a–d SGB V, und zwar weder für das Screening-Verfahren ANGELINA noch<br />
für die anschließenden Beratungsleistungen. Eine Förderung durch das Sächsische Staatsministerium für<br />
Soziales und Verbraucherschutz liegt aber nahe und wird deshalb in Zukunft angestrebt. Auch eine Förderung<br />
durch die Kassenärztliche Vereinigung sowie der federführenden gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen<br />
rückt in den Fokus der Finanzierungssäulen.<br />
Zudem muss keine Pflegestufe des zu betreuenden Patienten vorliegen. Eine koordinierte Steuerung bei<br />
komplexem Hilfebedarf des Patienten ist bereits in § 7a SGB XI verankert.<br />
90
GeriVita • Geriatrischer Versorgungslebenslauf<br />
Management<br />
Das Modellprojekt GeriVita ist aus der Kooperation von GeriNet Leipzig und dem Leipziger Gesundheitsnetz<br />
e.V. entstanden.<br />
GeriNet Leipzig besteht aus drei Mitarbeitern und ca. 900 Netzwerkmitgliedern. Projektleiter ist Dr. med.<br />
Ralf Sultzer, Chefarzt des HELIOS Geriatriezentrums Zwenkau und stellvertretender Vorsitzender des<br />
Landesverbands Geriatrie. Frau Lysann Kasprick ist Projektmanagerin. Sie hat eine abgeschlossene Berufsausbildung<br />
als Krankenschwester, ist Diplom Sozialpädagogin (FH) und hat zudem einen Masterabschluss<br />
in Gesundheitswissenschaften. Die dritte Mitarbeiterin ist die Diplom-Pflegewirtin Henrike Baldauf.<br />
Sie besitzt zwei Jahre Berufserfahrung im Bereich Pflege und Rehabilitationsberatung.<br />
Die Projektleitung des Leipziger Gesundheitsnetzes besteht ebenfalls aus drei Mitarbeitern: Dr. med.<br />
Jürgen Flohr als Projektleiter sowie den Ansprechpartnern Sandra Kemerle (Diplom Psychologin) und<br />
Sebastian Klein (M.Sc. Medieninformatik). Das Netzwerk besteht derzeit insgesamt aus über 100 Mitgliedern.<br />
Evaluation<br />
Das Modellprojekt GeriVita wird seit seinem Beginn im Juli 2012 wissenschaftlich von der Westsächsischen<br />
Hochschule Zwickau betreut und evaluiert. Ein Ende der Erprobung ist für den 31.12.2015 vorgesehen.<br />
Dabei werden Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität gemessen. In einer ersten Phase wurden die<br />
Qualitätsparameter bereits deskriptiv ausgewertet.<br />
Bis zur ersten Evaluation des Projekts im März 2013 nahmen 24 Patienten die Beratung durch einen GeriNet-Fallmanager<br />
in Anspruch, davon je zwölf Frauen und Männer. 11 Patienten suchten den Fallmanager<br />
persönlich auf, 13 wurden durch Angehörige vertreten. Im Mittel lag das Alter der Patienten bei 79,1 ± 4,3<br />
Jahren.<br />
Patienten und Angehörige wollten überwiegend über Leistungen zur Pflegeversicherung beraten werden<br />
(88%). All diese Patienten waren zu Beginn ihrer Beratung in keiner Pflegestufe. 57 Prozent von ihnen<br />
stellten daraufhin einen Antrag. Ein Drittel der Patienten übergaben ihre Versorgung durch eine Vorsorgevollmacht/Patientenverfügung<br />
in die Hände der Fallmanager.<br />
Nächste Schritte<br />
GeriVita strebt ein flächendeckendes geriatrisches Versorgungskonzept in Leipzig und Umland an. Versorgungsmöglichkeiten<br />
sollen aufeinander abgestimmt werden, unterstützt durch Netzwerk- und Fallmanager.<br />
Da die Erstellung und Implementierung von Screening-Instrumenten der rechtzeitigen Erkennung von<br />
Risikopotential im Alter dient, sollen auch Notfallaufnahmen und Krankenhäuser zukünftig an dem Screening<br />
teilnehmen. Es wird eine präventive Untersuchung aller über 70-Jährigen beim Hausarzt angestrebt.<br />
Zudem soll ein Leistungskatalog von den GeriNet-Fallmanagern sowie den Ärzten des Leipziger Gesundheitsnetzes<br />
erarbeitet werden. In Form einer Leitlinie sollen darin die finanziellen, strukturellen und kommunikativen<br />
Hilfestellungen für den Patienten beschrieben sein.<br />
Die Patienten- und Dienstleistungsplattform des Leipziger Gesundheitsnetzes e.V. soll weiterentwickelt<br />
werden, beispielsweise durch eine online zur Verfügung gestellte geodifferenzierte Datenbank mit allen<br />
91
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Versorgungsanbietern der Region. Zudem verfolgt GeriVita das Ziel, die elektronische Patientenakte weiterzuentwickeln<br />
für eine verbesserte Kommunikation und Kooperation zwischen den Leistungserbringern.<br />
Dabei werden datenschutzrechtliche Vorgaben strikt eingehalten.<br />
Als eine der vier Modellregionen wird GeriNet finanziell durch das Sächsische Staatministerium unterstützt.<br />
Eine erste Evaluation zur Prozess-, Struktur- und Ergebnisqualität des Projekts wurde bereits vorgenommen.<br />
Zukünftig soll es eine finanzielle Beteiligung der kommunalen und länderspezifischen Strukturen<br />
geben.<br />
GeriVita bietet dem Freistaat Sachsen eine regionale und individuelle Lösung für geriatrische Patienten,<br />
aus der Aktionspläne wie zu Diabetes und Demenz abgeleitet werden können. Deshalb erhofft man sich<br />
zukünftig auch bei GeriVita eine Teilfinanzierung durch das Sächsische Staatsministerium für Soziales und<br />
Verbraucherschutz sowie durch die Sächsische Staatskanzlei.<br />
Ansprechpartner<br />
Dr. Jürgen Flohr<br />
Projektleitung<br />
Leipziger Gesundheitsnetz e.V.<br />
Prager Str. 191<br />
04299 Leipzig<br />
Telefon: 0341 – 355 408 28<br />
E-Mail:<br />
sebastian.klein@gesundheitsnetz-leipzig.de<br />
www.gesundheitsnetz-leipzig.de<br />
Dr. med. Ralf Sultzer/ M.Sc. Lysann Kasprick<br />
Projektleitung/ Projektmanagement<br />
GeriNet<br />
Pestalozzistr. 9<br />
04442 Zwenkau<br />
Telefon: 034203 – 42 125<br />
E-Mail: lysann.kasprick@gerinet-leipzig.de<br />
www.gerinet-leipzig.de<br />
Literatur<br />
Bundesverband Geriatrie (2010). Weißbuch Geriatrie, Die Versorgung geiatrischer Patienten: Strukturen und Bedarf – Status<br />
Quo und Weiterentwicklung, 2. durchgesehene Auflage, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2010.<br />
Kloppisch, C. (2012). GeriVita - Geriatrischer Versorgungslebenslauf Sicherstellung der Patientenautonomie im Rahmen der<br />
umfassenden geriatrischen Versorgung in der Hausarztpraxis, Zwischenergebnisse der ersten Beratung geriatrischer Patienten<br />
im Jahr 2012, Zwickau 2012.<br />
Knoblauch, D. (2009). Geriatriekonzept des Freistaates Sachsen, Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz,<br />
Dresden 2009.<br />
Statistisches Bundesamt (2011). Demographischer Wandel in Deutschland, Bevölkerungs- und Haushaltsentwicklung im Bund<br />
und in den Ländern, Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Wiesbaden 2011.<br />
Statistisches Bundesamt (2009). Bevölkerung Deutschlands bis 2060, 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Wiesbaden<br />
2009.<br />
92
GO-LU und PRAVO • Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz optimiert versorgen<br />
GO-LU und PRAVO<br />
Optimierung der Versorgung von Patienten mit chronischer<br />
Herzinsuffizienz<br />
Autoren: Jürgen Pflaum und Jörg Trinemeier<br />
Management Summary<br />
Das Versorgungsprojekt zur Optimierung der Versorgung von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz<br />
bietet Herzinsuffizienz-Patienten eine qualitativ hochwertige und individuelle Versorgung, die über die<br />
Regelversorgung hinausgeht. Die Patienten werden interdisziplinär versorgt und anhand abgestimmter<br />
Behandlungspfade betreut – und zwar sowohl von Haus- und Fachärzten als auch von speziell ausgebildeten<br />
Krankenschwestern, den so genannten Herzinsuffizienz-Nurses, die die Patienten zu Hause besuchen<br />
und regelmäßig telefonisch betreuen.<br />
Die Umsetzung im ambulanten Sektor in den Regionen Ludwigshafen und Speyer soll vor allem die Lebenserwartung<br />
der Patienten steigern und deren Lebensqualität erhöhen. Darüber hinaus ergeben sich<br />
wirtschaftliche Vorteile für die Kostenträger. Weiterhin wird hier eine Behandlung im multiprofessionellen<br />
Team ermöglicht, für die schon bei vielen anderen chronischen Erkrankungen entscheidende Verbesserungen<br />
gezeigt wurden: durch ein verbessertes Verständnis der Patienten für ihre Erkrankung können sie<br />
effektivere Coping-Strategien entwickeln, dadurch kommt es zu einer Erhöhung der Lebensqualität und<br />
zu einer Prognoseverbesserung.<br />
Das Projekt wird getragen von den Ärztenetzen GO-LU (Gesundheitsorganisation Ludwigshafen eG) und<br />
PRAVO (Praxisnetz Vorderpfalz in Speyer). Integrierte Versorgungsverträge nach § 140a-d SGB V bestehen<br />
mit der Vertragsarbeitsgemeinschaft des BKK Landesverbandes Mitte, der Sozialversicherung für Landwirtschaft,<br />
Forsten und Gartenbau Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland sowie der IKK Südwest. Derzeit<br />
sind etwa 30 Prozent der Gesamtversicherten dieser Kassen in den beiden Netz-Regionen eingeschrieben.<br />
Einleitung<br />
Kardiologische Erkrankungen stellen eine erhebliche Gefahr dar, vor allem für die alternde Bevölkerung in<br />
westlichen Ländern. Während sich viele Versorgungsprojekte eher inhaltlichen Zielen widmen, geht das<br />
vorliegende Projekt die organisatorischen und strukturbedingten Herausforderungen an. Durch die Etablierung<br />
eines neuen Berufsfeldes sollen Haus- und Fachärzte entlastet und Patienten mit mehr Verantwortung<br />
betraut werden. Die sogenannte Herzinsuffizienz-Nurse leistet einen erheblichen Betrag zur<br />
verbesserten Kommunikation und Koordination aller Behandler und trägt langfristig zu einer erhöhten<br />
Lebensqualität der Patienten bei.<br />
Versorgungsherausforderung<br />
Die chronische Herzinsuffizienz ist in vielen westlichen Nationen eine der größten Versorgungsherausforderungen,<br />
schließlich betrifft sie einen erheblichen Anteil der alternden Bevölkerung. Genaue Zahlen für<br />
93
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Prävalenz und Inzidenz gibt es nicht. In Deutschland wird aber von einer Prävalenz von rund einem Prozent<br />
der Bevölkerung ausgegangen (Neumann, 2009). Je höher das Alter, desto höher auch die Prävalenzraten<br />
(Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) et al. 2009). Aus diesem<br />
demographischen Grund, und wegen des technischen Fortschritts, ist von einer steigenden Tendenz<br />
auszugehen. Bei Männern und Frauen gibt es deutliche Unterschiede im Schweregrad der Krankheit. So<br />
ist sie die häufigste Diagnose für einen stationären Krankenhausaufenthalt bei Frauen und nur die dritthäufigste<br />
bei Männern. Außerdem ist die Krankheit die zweithäufigste Todesursache bei Frauen und die<br />
vierthäufigste Todesursache bei Männern (Neumann, Biermann et al., 2009).<br />
Trotz guter Evidenzlage und einer vorliegenden S3-Leitlinie ist die Fehlversorgung in Deutschland gegenwärtig.<br />
Oftmals kommt es zu einer unnötigen Dekompensation, weil zum Beispiel Medikamente fehlverordnet<br />
oder nicht eingenommen werden. Die daraus resultierenden unnötigen Krankenhausaufenthalte<br />
sind nicht nur kostspielig, sie belasten auch die Patienten. Grund für die Fehlversorgung ist eine zu geringe<br />
Einbindung des Patienten und die unzureichende Kommunikation zwischen den Leistungserbringern<br />
– sowohl im Vorfeld als auch im Nachgang. In der Nationalen Versorgungsleitlinie werden unterschiedliche<br />
Maßnahmen erwähnt, wie Schnittstellenmanagement ein Teil der Versorgung werden kann, und<br />
zwar, ohne den Patienten weiter zu belasten, sondern ihm im Gegenteil mehr Aufmerksamkeit und Kontinuität<br />
in der Versorgung zu sichern. Insbesondere das regelmäßige Monitoring kritischer Parameter –<br />
schon bevor ein Krankenhausaufenthalt überhaupt notwendig wird – ermöglicht, gefährliche Veränderungen<br />
des Gesundheitszustandes beim Herzinsuffizienz-Patienten früh zu erkennen und entsprechende<br />
Maßnahmen zeitnah einzuleiten.<br />
Die vorliegende Projektvorstellung zeigt, dass eine neue Berufsgruppe zur Behandlung einer chronischen<br />
Krankheit erheblich beitragen kann – die sogenannte Herzinsuffizienz-Nurse. Sie ermöglicht es, die klaffende<br />
Lücke zwischen den Versorgungssektoren zu schließen und somit die Kommunikation und Koordination<br />
zwischen allen Akteuren zu verbessern. Für die Patientenversorgung bringt der persönliche Kontakt<br />
eine engmaschige Therapiekontrolle, er ist aber auch Motivation für den eigenverantwortlichen<br />
Umgang mit der Krankheit (Coping-Strategien). Für alle Beteiligten kann die Versorgungsqualität erhöht<br />
werden.<br />
Entstehungsgeschichte<br />
Im Rahmen des vorliegenden Versorgungsprojektes „Optimierung der Versorgung von Patienten mit<br />
chronischer Herzinsuffizienz“ wurde die Grundidee von HealthNetCare HF der Kardiologischen Universitätsklinik<br />
Würzburg übernommen und an ambulante Strukturen angepasst. Ziel war es, mehr Patienten<br />
mit einer chronischer HI regelmäßig bei Hausarzt und Facharzt vorzustellen und Krankenhauseinweisungen<br />
zu vermeiden.<br />
HealthNetCare HF ist ein Versorgungsprogramm für Patienten mit Herzinsuffizienz, das durch die Würzburger<br />
Kardiologen in der Region Würzburg und darüber hinaus etabliert wurde. Diesem Managed-Care-<br />
Ansatz liegt eine interdisziplinäre Versorgung zugrunde; er wird von spezialisiertem Pflegepersonal nach<br />
standardisierten Vorgaben unterstützt und koordiniert (Nurses). Im Rahmen des Projektes ist eine Telefonschwester<br />
für etwa 100 bis 120 Patienten zuständig. Im Quartal telefoniert sie je nach Schweregrad<br />
der Herzinsuffizienz des Patienten ein bis vier Mal mit dem Patienten und erkundigte sich anhand detaillierter<br />
Fragebögen über den Gesundheitszustand und die Medikamentenadhärenz. Bei schwerwiegenden<br />
Veränderungen werden sogleich die entsprechenden Ärzte eingeschaltet. Durch das vertrauensvolle<br />
Verhältnis zwischen Patient und Schwester waren die Patienten motiviert, sich aktiv an der Krankheitsbewältigung<br />
zu beteiligen. Dies spiegelt sich in den Ergebnissen der Evaluation wider, welche positive<br />
94
GO-LU und PRAVO • Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz optimiert versorgen<br />
Veränderungen zeigen bezüglich Lebensqualität, Überlebensrate, Grad der Herzschwäche und Anteil der<br />
Krankenhausaufenthalte (Bundesministerium für Bildung und Forschung (B<strong>MB</strong>F), 2008).<br />
Die INH-Studie (INH = Interdisziplinäres Netzwerk Herzinsuffizienz) ist eine multizentrische, randomisierte,<br />
prospektive Studie, welche die Wirkung von HealthNetCare HF evaluiert – durchgeführt von den Kardiologen<br />
Angermann, Ertl und Störk (Kardiologische Universitätsklinik Würzburg). Das Studiensetting begrenzte<br />
sich bisher auf stationäre Strukturen und adressierte vor allem Akutpatienten.<br />
Die Kooperation zwischen der Forschungsgruppe aus Würzburg und den Arztnetzen GO-LU und PRAVO<br />
hat zum Ziel, den Fokus von INH auf ambulante Strukturen auszuweiten und die Ergebnisse vergleichend<br />
zu evaluieren. Die beiden Netze fungieren in diesem Projekt als Managementgesellschaft<br />
im Sinne des Fünften Bandes des Sozialgesetzbuchs und sind der direkte Integrierte Versorgungs-<br />
Vertragspartner nach § 140 SGB V mit dem BKK Landesverband Mitte, der Sozialversicherung für Landwirtschaft,<br />
Forsten und Gartenbau Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland sowie der IKK Südwest. Die<br />
Beauftragung der ärztlichen Leistungserbringer erfolgt primär aus dem Kreis der Mitgliedsärzte der<br />
beiden Netze.<br />
Kernelemente<br />
Versorgungskonzept<br />
Das Versorgungskonzept, das im Rahmen des Projektes entwickelt wurde, bezieht sich auf Patienten mit<br />
Herzinsuffizienz (HI).<br />
Herzinsuffizienz ist ein sehr komplexes Krankheitsbild und ist – gerade bei der älteren Bevölkerung – die<br />
häufigste Ursache für eine Krankenhauseinweisung (Neumann, Biermann et al. 2009). Je nach Schwere<br />
der Krankheit sind unterschiedliche Leistungserbringer an der Behandlung beteiligt. Ausschlaggebend für<br />
eine optimierte Versorgung dieser Patienten ist ein gutes Versorgungsmanagement: Die Versorgung soll<br />
strukturiert, koordiniert und nach standardisierten Vorgaben in multiprofessionellen Teams ablaufen (Bundesärztekammer<br />
(BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) et al. 2009).<br />
Ziel des vorliegenden Versorgungskonzeptes ist es, die Zusammenarbeit aller Leistungserbringer im<br />
ambulanten Sektor zu bündeln und sie für den Patienten zugänglicher zu machen. Dazu wurde das<br />
Berufsbild der Herzinsuffizienz-Nurse geschaffen; sie betreut Patienten sowohl persönlich zu Hause als<br />
auch telefonisch und steht mit allen weiteren Leistungserbringern im engen Kontakt. Alle miteinander<br />
kooperierenden Akteure des Integrierten Bersorgungsvertrages sind in Abbildung 1 dargestellt.<br />
Der Ablauf des Versorgungsmanagements funktioniert nur dann reibungslos, wenn alle Tätigkeiten leitliniengerecht<br />
unter den spezialisierten Akteuren aufgeteilt werden und die Kommunikation über die gemeinsam<br />
behandelten Patienten ohne große technische oder administrative Hindernisse möglich ist. Als<br />
elektronische Datenbasis (elektronische Fallakte) steht den Ärzten und HI-Nurses in Ludwigshafen und<br />
Speyer ein eigens entwickeltes IT-System zur Verfügung, auf das alle Beteiligten datenschutzrechtlich<br />
konform zugreifen können. Neben patientenorientierter Kommunikation und Koordination zwischen allen<br />
Beteiligten dient das IT-gestützte ‚Integrierte Versorgungsmanagement‘ zur Qualitätssicherung der mit<br />
den Krankenkassen vereinbarten Versorgungsziele und zur Abrechnung der Verträge nach der gestzlich<br />
geforderten Norm des § 295 SGB V .<br />
Eine Schlüsselfunktion in diesem Versorgungsprojekt haben die HI-Nurses, speziell weitergebildete Medizinische<br />
Fachangestellte mit langjähriger internistischer Erfahrung oder examinierte Pflegekräfte aus<br />
dem Bereich Kardiologie. Die HI-Nurses koordinieren den strukturierten Behandlungspfad für jeden ein-<br />
95
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
zelnen Patienten und begleiten sie kontinuierlich. Damit gewährleisten die HI-Nurses die Kommunikation<br />
auf medizinisch-professioneller Ebene. Zeitgleich sind sie auch Vertrauensperson für die Patienten, die sie<br />
entweder telefonisch beraten oder regelmäßig zuhause aufsuchen.<br />
Die Case-Manager sind wie die HI-Nurses bei dem Ärztenetz angestellt und übernehmen die Aufgaben des<br />
Vertragscontrollings, der Koordination und Dokumentation sowie die Kontaktpflege mit den haus- und fachärztlichen<br />
Praxen, die an der Versorgung teilnehmen. Die Case-Manager stellen sicher, dass der Patient zur<br />
richtigen Zeit vom richtigen Akteur versorgt wird bzw. aktiv in die Behandlung mit eingebunden wird.<br />
Die HI-Nurse ist nicht zu verwechseln mit der so genannten „IV-MFA“, die jeder Arzt im ambulanten<br />
Sektor für die zusätzliche Kommunikation für die Abwicklung von Zusatzverträgen freistellt. Während die<br />
HI-Nurse die Patientenversorgung vor Ort (meist zuhause) übernimmt, ist es die Aufgabe der IV-MFA, als<br />
Schnittstelle zwischen den Ärzten und dem Arztnetz (GO-LU und PRAVO) ansprechbar zu sein.<br />
Abbildung 15 – Versorgungsschema der optimierten Versorgung für Patienten mit chronischer HI<br />
IV-MFA<br />
Arzt<br />
(ambulant)<br />
Quartalsweise WV*<br />
Patient<br />
Schnittstelle zum<br />
Arztnetz / HI-Nurse<br />
Mitgliedsarzt<br />
Kontinuierliche Kommuni-<br />
kation mit Ärzten<br />
Versorgung vor Ort /<br />
telefonisch<br />
Krankenkasse<br />
IV-Vertrag<br />
GO-LU<br />
PRAVO<br />
Angestellt beim<br />
Arztnetz<br />
HI-Nurse<br />
Case-Manager<br />
* WV: Die Wiedervorstellung (WV) beim Arzt erfolgt – sofern nicht anders indiziert – einmal/Quartal.<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Zielgruppe<br />
Grundsätzlich können alle Patienten teilnehmen, die an einer chronischen Herzinsuffizienz erkrankt sind,<br />
klassifiziert nach den NYHA-Stadien. Die Patienten müssen bei einer der folgenden Krankenkassen versichert<br />
sein, da mit diesen Kassen der Integrierte Versorgungsvertrag nach § 140a-d SGB V abgeschlossen<br />
wurde:<br />
• Vertragsarbeitsgemeinschaft des BKK Landesverbandes Mitte<br />
• Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland<br />
• IKK Südwest<br />
Derzeit sind etwa 30 Prozent der Versicherten dieser Krankenkassen mit gesicherter Diagnose Herzinsuffizienz<br />
in den beiden Netz-Regionen eingeschrieben.<br />
96
GO-LU und PRAVO • Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz optimiert versorgen<br />
Patienten der NYHA-Stufen I–III können in dem Integrierten Versorgungsvertrag betreut werden. Patienten<br />
der NYHA-Stufe IV werden aufgrund aufwendigerer Versorgungsmaßnahmen einem anderen Behandlungsmanagement<br />
zugeordnet. Sollte die HI aufgrund einer primären Lungenerkrankung entstanden<br />
sein, dürfen die Patienten nicht eingeschlossen werden.<br />
Wie in Abbildung 16 dargestellt, erfolgt die Patientenansprache in der Praxis des Hausarztes mit nachfolgender<br />
Erst-Untersuchung. Es folgt die Vorstellung beim niedergelassenen Kardiologen, der die einschlägige<br />
HI-Diagnostik sowie Herzecho- und EKG-Befundung in einer intensiven HI-Sprechstunde durchführt.<br />
Sollte sich der Patient im Anschluss für eine Teilnahme an dem Vertrag entscheiden, erfolgt unmittelbar<br />
die regelmäßige Betreuung durch die HI-Nurse, die dem Patienten fest zugeteilt wird.<br />
Abbildung 16 – Das Versorgungsmanagement der Patienten mit chronischer Herzinsuffizient basiert auf der ausführlichen<br />
Information über das Projekt zu Beginn und der kontinuierlichen Betreuung durch die HI-Nurse sowie<br />
ihre ärztlichen Kollegen<br />
Patientenansprache<br />
• Patienteninformation<br />
über neues Projekt<br />
• Unterstützung durch<br />
HI-Nurse<br />
HI-Sprechstunde<br />
• Information über Extraleistungen<br />
in Vertrag<br />
• Einschreibung in den IV-<br />
Vertrag<br />
regelmäßige<br />
Betreuung<br />
• Betreuung durch<br />
HI-Nurse telefonisch /<br />
zuhause<br />
• Wiedervorstellung bei<br />
HA / FA<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Versorgungselemente<br />
In dem Projekt geht es vornehmlich darum, die Versorgung von Patienten mit einer chronischen Herzinsuffizienz<br />
zu optimieren. Dies geschieht vor allem durch<br />
• eine verbesserte Kommunikation zwischen Haus- und Fachärzten,<br />
• die Etablierung und Einhaltung von klinischen Behandlungspfaden (nach aktuellem Stand der Leitlinien)<br />
und<br />
• durch speziell ausgebildete HI-Nurses, die die Behandlung persönlich betreuen und abstimmen.<br />
– Die Patienten werden informiert und überwacht (pro Patient 45 Minuten); je nach Erkrankungsgrad im<br />
Schnitt alle 2 bis 4 Wochen, in Akutphasen aber auch bis zu tägliche Kontakte<br />
– Bei jedem Kontakt werden Blutdruck, Puls und erhoben und in der elektronischen Fallakte dokumentiert;<br />
die Nurse fragt nach akuter Atemnot, Ödemen und dem Allgemeinbefinden der Patienten<br />
– Weichen die erhobenen Ist-Werte von den vereinbarten Ziel-Werten ab oder besteht akuter medizinischer<br />
Handlungsbedarf, informiert die Nurse die betreuende Hausarztpraxis und setzt den Arzt über<br />
die aktuelle Versorgungssituation in Kenntnis<br />
– Neben der regelmäßigen Überwachung der Patienten finden Schulungsmaßnahmen statt, damit die<br />
Patienten ihre Krankheit besser verstehen und aktiv an dem Versorgungsprogramm mitwirken<br />
können(zu Medikamenten-Einnahme, Gewichtskontrolle, Ernährung oder zur Bedeutung regelmäßiger<br />
Bewegung).<br />
Die folgende Tabelle listet detailliert sämtliche Einzelprozesse auf, sowie die Aufgabenverteilung unter<br />
den Leistungserbringern.<br />
97
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Tabelle 11 – Übersicht sämtlicher Aufgaben der hausärztlichen und fachärztlichen Versorgungssektoren,<br />
dargestellt nach einem möglichen chronologischen Ablauf der Versorgungsschritte. Die Ärzte werden durch die<br />
HI-Nurse unterstützt.<br />
Ambulanter Sektor HA HI-<br />
Nurse<br />
Patientenansprache und Information x<br />
HI-Sprechstunde: Informationen über Extraleistungen / Einschreibung in IV- x x<br />
Vertrag<br />
Anamnese / ärztliche Untersuchungen x<br />
Eingruppierung der Patienten nach HI-Betreuungsstufe und NYHA-Stadium x x<br />
Koordination der Behandlung (mit anderen Ärzten), Leitlinienkonform, Einhaltung<br />
sämtlicher Behandlungspfade, Richtlinien, etc.<br />
x<br />
Individuelle Patientenberatung (Ernährungsberatung, Raucherberatung, x<br />
Sportgruppen)<br />
Auswertung des elektronischen Patiententagebuchs x<br />
FA<br />
KH<br />
Kontinuierliche persönliche (zuhause) oder telefonische Betreuung des Patienten<br />
Überweisung an Facharzt (nur in Notfällen an das Krankenhaus) x<br />
x<br />
Erweiterte Diagnostik, Risikostratifizierung und Beratung (leitlinienkonform) x<br />
Zeitnahe Benachrichtigung an HA (Ergebnisse überliefern) und Unterstützung<br />
x<br />
der Hausärzte (differenzierte Therapieplanung)<br />
Patientenschulung über Pathophysiologie, Symptomatologie, Therapieformen,<br />
x x<br />
Früherkennung von Komplikationen, Kontrollmöglichkeiten, Selbstbe-<br />
obachtung<br />
Vergabe von Behandlungsterminen innerhalb von 5 Arbeitstagen x x<br />
Fortführung der vom FA oder KH vorgeschlagenen Therapie x x<br />
Übergang in den stationären Sektor<br />
Kommunikationsschnittstelle zwischen Hausarzt, Facharzt, Krankenhaus x<br />
Einweisung in die Klinik x<br />
Prüfung der Notwendigkeit einer stationären Behandlung x<br />
Prüfung der Notwendigkeit eines ambulanten Pflegedienstes nach der Entlassung<br />
Sofortige Übermittlung sämtlicher relevanter Informationen und des Entlassungsberichts<br />
an HA und FA<br />
x<br />
x<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Die Managementgesellschaften sind dafür zuständig, dass alle organisatorischen und technischen Prozesse<br />
reibungslos funktionieren. Die Aufgaben sind im Einzelnen:<br />
• Patienteneinschreibung in den IV-Vertrag im elektronischen Datenmanagement (sollte dies der Hausarzt<br />
noch nicht übernommen haben)<br />
• Festlegen der Teil-Prozesse und der Soll-Strukturen der ärztlichen Betreuung (nach Behandlungspfad)<br />
im Datenmanagementsystem<br />
• Koordination der Termine zwischen Patient und Arztpraxen<br />
98
GO-LU und PRAVO • Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz optimiert versorgen<br />
• Überwachen der Vertragsinhalte und Koordination der Behandlungsabläufe, mit besonderer Rücksicht<br />
auf das Einhalten festgelegter Behandlungsziele<br />
• Anleitung und Zusammenarbeit mit den HI-Nurses, vor allem bezüglich administrativer Tätigkeiten<br />
• Organisation und Durchführung der Fallkonferenzen<br />
• Dokumentation und Quittierung der Versorgungsleistungen innerhalb des Vertrages<br />
• Aufbereitung aller dokumentierten Leistungen für die Abrechnung<br />
• Durchführung der zentralen Abrechnung nach § 295 SGB V.<br />
Ferner organisieren die Managementgesellschaften regelmäßig Qualitätszirkel mit den teilnehmenden<br />
Ärzten. Sämtliche Leistungserbringer (auch die HI-Nurses) nehmen hieran teil, um eine leitliniengerechte<br />
und qualitative Behandlung zu gewährleisten. Folgende Themen werden in diesen Zirkeln abgehandelt:<br />
• Fortbildungen zum Krankheitsbild Herzinsuffizienz nach dem aktuellen Stand der nationalen und internationalen<br />
Leitlinien<br />
• HI-Konferenzen zur dezidierten Fallbesprechung<br />
• Analyse der gesammelten Daten zur Einordnung und Diskussion der Ergebnisqualität der Ärzte<br />
• Möglichkeiten der Optimierung sämtlicher Behandlungsprozesse<br />
• Auseinandersetzen mit Behandlungspfaden und Kooperationsregeln sowie Einarbeitung von Verbesserungen<br />
• Dokumentation diagnostischer Daten, Arztkontakte, Medikation und der stationären Therapie in der<br />
Datenbank.<br />
Ein ergänzender Teil der Qualitätssicherung ist die zuverlässige und ordnungsgemäße Dokumentation der<br />
Daten. Diese muss zu jeder Zeit und von jedem Leistungserbringer erbracht werden, damit der Nächstbehandelnde<br />
ein vollständiges Hintergrundwissen besitzt. Die folgende Übersicht zeigt die Komplexität<br />
der Dokumentation auf.<br />
Tabelle 12 – Eine Säule des Versorgungsprojektes ist das funktionierende Datenmanagement, welches für alle<br />
einen wichtigen Beitrag zu der Kommunikation beiträgt<br />
Zuständigkeiten für die Dokumentation HA HI-<br />
Nurse<br />
FA<br />
Verpflichtende elektronische Dokumentation und die Nutzung des elektronischen x x x<br />
Datenmanagements<br />
Zeitnahe Übermittlung und Einforderung therapierelevanter Informationen an/von allen<br />
x x x<br />
Leistungserbringern, z. B. im elektronischen Patientenpass<br />
Vollständige Dokumentation der gesicherten Haupt- und Nebendiagnosen x x<br />
Regelmäßige Dokumentation der qualitätssichernden HI-Parameter und Dokumentation<br />
des elektronischen HI-Datensatzes<br />
Inhaltliche Kontrolle und Pflege der dokumentierten medizinischen Datensätze<br />
x<br />
x<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Die unterschiedlichen Versorgungselemente werden in der folgenden Darstellung abschließend zusammengefasst.<br />
99
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Abbildung 17 – Die Versorgungselemente fokussieren sich auf den ambulanten Sektor; vor allem die HI-Nurses<br />
sollen zwischen den Behandlungsebenen koordinieren und die Patienten persönlich begleiten<br />
Elektronisches Datenmanagement zur verbesserten Kommunikation<br />
Hausarzt<br />
HI-Nurse<br />
Facharzt<br />
HI-Nurse<br />
Leistungserbringer<br />
Krankenhaus<br />
Instrumente<br />
Einstufung in den<br />
Behandlungspfad:<br />
• NYHA-Stadium<br />
• Betreuungsstufe<br />
• Weitere<br />
Diagnostik<br />
• Stratifizierung<br />
• Patientenschulungen<br />
• Überprüfung der<br />
Notwendigkeit einer<br />
stationären<br />
Behandlung / Pflege<br />
• Etablierung von praktikabel umsetzbaren Behandlungspfaden nach<br />
Vorgaben (inter-)nationaler Leitlinien<br />
• Terminmanagement (z.B. zeitnahe Vergabe von Terminen)<br />
• Persönliche Betreuung durch die HI-Nurse, Schnittstelle für die<br />
Kommunikation<br />
• Qualitätszirkel (Fortbildungen, Fallkonferenzen)<br />
Management<br />
Ärztenetze als Managementgesellschaften:<br />
Gesundheitsorganisation<br />
Ludwigshafen eG<br />
Praxisnetz Vorderpfalz<br />
Aufgaben (Auswahl):<br />
• Versorgungssteuerung<br />
• Administration<br />
• Qualitätszirkel<br />
• Durchführung der<br />
Abrechnung<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Mehrwert<br />
Der Mehrwert für die HI-Patienten kann in unterschiedliche Kategorien eingeteilt werden. Zu den medizinischen<br />
Zielen zählen eine verbesserte Diagnostik und die insgesamt optimierte Versorgung durch<br />
den Einsatz der HI-Nurses. In der Konsequenz können kardiologische Ereignisse, wie beispielsweise<br />
Dekompensationen und Herzinfarkte, vermieden oder reduziert sowie der Verlauf der Herzinsuffizienz<br />
verlangsamt werden; auf jeden Fall jedoch wird eine Prognoseverbesserung erzielt. Dies führt insgesamt<br />
zu einer geringeren Mortalität aufgrund von Herzinsuffizienz.<br />
Die Erfahrungen des HealthCareNet HF in Würzburg zeigen, dass sich Patienten durch die HI-Nurse persönlich<br />
betreut und motiviert fühlen. Durch die zusätzliche Betreuung und das verbesserte Wissen über<br />
ihre Krankheit ergeben sich eine erhöhte Therapie-Compliance sowie eine gesteigerte Lebensqualität.<br />
Auch für die Leistungserbringer ergeben sich Vorteile aus dem Programm. Sie tragen dazu bei, die Leitlinien<br />
zur Diagnostik und Therapie auf innovative Art und Weise umzusetzen – und sie werden hierfür<br />
angemessen honoriert. Die geplante Evaluation des IV-Vertrages schafft einerseits einen Anreiz, die<br />
Daten zu dokumentieren, andererseits erhalten sie einen Überblick über Diagnostik, Therapie, klinische<br />
Verläufe und den Ressourcenverbrauch in der täglichen Praxis.<br />
Finanzierung<br />
Im Rahmen des Projekts entstehende Zusatzleistungen werden nicht über die Regelversorgung gedeckt<br />
(erhöhter Zeit- und Kommunikationsaufwand, Koordination sämtlicher Leistungserbringer, Case Manage-<br />
100
GO-LU und PRAVO • Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz optimiert versorgen<br />
ment, HI-Nurse, etc.). Das Projektvorhaben wird durch den Integrierten Versorgungsvertrag mit der Krankenkasse<br />
finanziert und sichert so die Honorierung der Leistungserbringer für die Leistungen aus dem<br />
Versorgungsprogramm für Herzinsuffizienz-Patienten.<br />
Management<br />
Bei dem vorliegenden IV-Vertrag handelt es sich um eine Kooperation zwischen Gesetzlichen Krankenkassen<br />
(BKK Landesverband Mitte; Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau;<br />
IKK Südwest), der Gesundheitsorganisation Ludwigshafen (GO-LU) und dem Praxisnetz Vorderpfalz<br />
(PRAVO) in Speyer. Beide Ärzteorganisationen sind Mitglieder der Agentur Deutscher Arztnetze e. V.<br />
Insgesamt haben sich rund 380 Ärzte und Psychotherapeuten zu dem Ärztenetz Gesundheitsorganisation<br />
Ludwigshafen (GO-LU) zusammengeschlossen. Der Vorstandsvorsitzende ist derzeit Dr. Christof Heun-<br />
Letsch; er hat insgesamt vier weitere Vorstandskollegen. Geschäftsführer ist Jürgen Pflaum.<br />
Die Ärzte der Gesundheitsorganisation Ludwigshafen decken die Regionen um Ludwigshafen, Bad Dürkheim<br />
und im Rhein-Pfalz-Kreis ab. Das Ärztenetz schloss Verträge mit unterschiedlichen Krankenkassen,<br />
um in der Region flächendeckend die medizinische Versorgung zu gewährleisten und so sinnvoll wie möglich<br />
zu gestalten. Sämtliche Diagnose- und Behandlungsangebote der Mitgliedsärzte sind qualitätsgeprüft.<br />
Das Praxisnetz Vorderpfalz (PRAVO) wurde im Jahre 2000 als PRAVO GbR gegründet. Mittlerweile decken<br />
die mehr als 100 Ärzte 48 Fachrichtungen ab. Die Geschäftsführung für das PRAVO Versorgungsmanagement<br />
liegt bei Dr. Clemens Spiekermann für den ärztlichen und bei Jörg Trinemeier für den betriebswirtschaftlichen<br />
Bereich.<br />
Folgende Regionen werden von den Ärzten versorgt: Speyer, Verbandsgemeine Dudenhofen (Dudenhofen,<br />
Harthausen und Hanhofen), Gemeinde Römerberg (Berghausen, Heiligenstein und Mechtersheim)<br />
sowie angrenzende Regionen im Süden und im Westen von Speyer.<br />
Die Grundsätze von PRAVO ruhen auf vier Pfeilern:<br />
• Kommunikation und Kooperation: Besonders die interdisziplinäre und intersektorale Kommunikation<br />
steht im Fokus des Ärztenetzes; Ziel ist, eine qualitative Versorgung ohne Doppeluntersuchungen zu<br />
gewährleisten.<br />
• Prävention: In dem eigens eingerichteten Präventionszentrum sind alle präventionsmedizinischen<br />
Sprechstunden, Schulungen und Kurse gebündelt.<br />
• Zukunftsfähige Konzepte: PRAVO fordert und fördert den Dialog zwischen allen Akteuren im Gesundheitswesen<br />
in der Region, um innovative Konzepte in die Praxis umzusetzen.<br />
• Qualität: Als Dienstleistungsunternehmen unterstützt die PRAVO Service GmbH alle Mitgliedspraxen<br />
bei der Umsetzung eines Qualitätsmanagementsystems.<br />
Evaluation<br />
Seit Sommer 2012 arbeiten alle Beteiligten des HI-Versorgungsprogramms an der Adaptierung und<br />
Umsetzung der Konzeptidee des HealthNetCare-HF (Kardiologische Universitätsklinik Würzburg bzw.<br />
Deutsches Zentrum für Herzinsuffizienz). Im Rahmen der bereits vorgestellten INH-Studie konnten<br />
wegweisende Studienergebnisse für die Behandlung und regelmäßige Betreuung von Herzinsuffizienz-<br />
Patienten publiziert werden (Angermann, Störk et al., 2007; Störk et al., 2009).<br />
101
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Alle beteiligten Akteure berichten sehr positiv über die bisher erreichten Ergebnisse. Die Ärzte begrüßen<br />
die regelmäßige Vorstellung der chronisch Erkrankten und die verbesserte Kommunikation und Koordination<br />
mit den Co-Behandlern. Die Patienten fühlen sich nachhaltig besser betreut und haben durch den<br />
regelmäßigen Nurse-Kontakt eine deutlich verbesserte Compliance aufgebaut. Unnötige Krankenhaus-<br />
Aufenthalte konnten in vielen Fällen durch das ambulante Versorgungskonzept vermieden werden.<br />
Eine detaillierte Evaluation des Integrierten Versorgungsprogramms Herzinsuffizienz haben beide Arztnetze<br />
für 2015 geplant.<br />
Nächste Schritte<br />
Seit Sommer 2012 wurden die HI-Patienten von den beteiligten Arztpraxen detektiert, die Patienten informiert<br />
und nach Zustimmung in das Versorgungsprogramm eingeschrieben. Insgesamt werden mittlerweile<br />
über 1.200 Patienten mit dem innovativen Versorgungskonzept durch ihre Hausärzte, ihre kardiologischen<br />
Fachärzte und die Herzinsuffizienz-Nurses kontinuierlich betreut.<br />
In den nächsten Schritten sollen die Versorgungsroutinen sowie die IT-Prozesse in den Regionen der<br />
Ärztenetze weiter ausgerollt werden. Ferner gilt es, den realen Betrieb in den Praxen vor Ort zu begleiten<br />
und gegebenenfalls Prozesse weiter zu verbessern. In 2015 ist die Evaluation vorgesehen, in der die erzielten<br />
Ergebnisse des Versorgungsmodells analysiert und bewertet werden sollen.<br />
Die derzeitige Einschreibequote ist mit 30 Prozent der Herzinsuffizienz-Patienten der teilnehmenden<br />
Krankenkassen schon heute sehr hoch. Ab Sommer 2015 soll das Versorgungsprogramm auf weitere<br />
Krankenkassen und weitere Indiaktionsgebiete ausgeweitet werden.<br />
Ansprechpartner<br />
Jürgen Pflaum<br />
Geschäftsführer<br />
GO-LU Gesundheitsorganisation Ludwigshafen eG<br />
Paul-Klee-Str. 1<br />
67061 Ludwigshafen<br />
Telefon: 0621– 6600300<br />
E-Mail: pflaum@go-lu.de<br />
Jörg Trinemeier<br />
Geschäftsführer<br />
PRAVO Versorgungsmanagement GmbH<br />
Diakonissenstr. 29<br />
67346 Speyer<br />
Telefon: 0178–78 549 61 und 06232–100 12 65<br />
E-Mail: trinemeier@pravo.de<br />
Literatur<br />
Angermann, C., S. Stork, et al., (2007). „Abstract 2709: a prospective randomised trial comparing the efficacy of a standardised<br />
supraregionally transferable program for monitoring and education of patients with systolic heart failure with usual care: the<br />
Interdisciplinary Network for Heart failure (INH) study.“ Circulation 116(II‘601).<br />
Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), et al., (2009) Nationale VersorgungsLeitlinie Chronische<br />
Herzinsuffizienz – Langfassung, 1. Auflage. Version 7, 2009.<br />
Bundesministerium für Bildung und Forschung (B<strong>MB</strong>F), (2008). Herzinsuffizienz: Länger und besser leben mit der Telefonschwester.<br />
Newsletter. N. 39. Hamburg.<br />
Neumann, T., J. Biermann, et al., (2009). „Herzinsuffizienz: Häufigster Grund für Krankenhausaufenthalte.“ Deutsches Ärzteblatt<br />
106(16): 269–275.<br />
Störk et al., (2009). „Evidence based disease management in patients with heart failure (HeartNetCare-HF© Würzburg).“<br />
Dtsch Med Wochenschr 134(15): 773–776.<br />
102
Risiko-Radar Plötzlicher Herztod<br />
Intervention zur Verbesserung der Patientensicherheit<br />
Risiko-Radar Plötzlicher Herztod<br />
Autoren: Simone Grandt, Lutz Hager und Gunter Hauptmann<br />
Management Summary<br />
Das Projekt Risiko-Radar Plötzlicher Herztod hat zum Ziel, Patienten vor einem plötzlichen Herztod zu<br />
schützen, die durch eine kontraindizierte Kombination von Arzneimitteln einem erhöhten Risiko ausgesetzt<br />
sind. Diese Patienten sollen mit Hilfe einer softwaregestützten Analyse von Abrechnungsdaten<br />
bereits im Rahmen der Routineversorgung identifiziert werden. Darüber hinaus koordiniert das Projekt die<br />
Information der betroffenen Patienten und Ärzte und stellt umfangreiche Hilfestellungen zur Minimierung<br />
des individuellen Risikos zur Verfügung. Das Risiko eines plötzlichen Herztods kann somit reduziert werden;<br />
die Arzneimittelsicherheit wird verbessert.<br />
Risiko-Radar Plötzlicher Herztod ist ein gemeinsames Projekt der IKK Südwest, der Kassenärztlichen<br />
Vereinigung Saarland (KVS) sowie des Softwareherstellers RpDoc ® Solutions GmbH. Es wird unterstützt<br />
vom Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie des Saarlands sowie dem Bundesinstitut<br />
für Arzneimittel und Medizinprodukte.<br />
Für die Umsetzung in den Versorgungsalltag wurde das Projekt als Modellvorhaben zwischen der<br />
IKK Südwest und der KVS vertraglich geregelt nach §§ 63ff. SGB V. Nach erfolgreicher Durchführung im<br />
Saarland soll zunächst eine regionale Ausweitung auf Rheinland-Pfalz erfolgen; darüber hinaus ist eine<br />
bundesweite Umsetzung vorgesehen.<br />
Einleitung<br />
Die Verordnung von unterschiedlichen Arzneimitteln muss gut abgestimmt sein, sonst entstehen vermeidbare<br />
Kosten – vor allem aber können Patienten ernsthaft geschädigt werden, in manchen Fällen geht<br />
es sogar ums Überleben. Schließlich können manche Medikamente einen plötzlichen Herztod auslösen,<br />
wenn sie falsch dosiert oder falsch kombiniert werden. Dieses Risiko ist in der Praxis viel schwerer zu<br />
beherrschen als es auf den ersten Blick erscheint. Gerade die zunehmende Zahl an Multimorbiditäten<br />
führt oft dazu, dass unterschiedliche Spezialisten ein und den gleichen Patienten behandeln. Eine sichere<br />
Abstimmung aller verabreichten Medikamente ist so nur schwer zu gewährleisten. Das hier vorgestellte<br />
Pilotprojekt im Saarland zeigt einen erfolgversprechenden Weg, diese potentiell tödlichen Risiken mit<br />
Hilfe bestehender Abrechnungsdaten beherrschbar zu machen.<br />
Versorgungsherausforderung<br />
Fehlerhafte Verordnung von Arzneimitteln ist ein ernsthaftes Problem. Sie verursacht nicht nur hohe<br />
volkswirtschaftliche Kosten, sondern kann auch zu dauerhaften Erkrankungen und sogar zum Tod führen.<br />
103
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
3,8 Prozent der internistischen Patienten kommen aufgrund von Medikamentennebenwirkungen in die<br />
stationäre Krankenhausaufnahme. 44 Prozent dieser Nebenwirkungen wären vermeidbar (Dormann et<br />
al., 2003). In England wird sogar von 5,2 Prozent stationärer Aufnahmen aufgrund von unerwünschten<br />
Arzneimittelwirkungen ausgegangen, die zu zwei Dritteln vermeidbar waren. An den Folgen von Arzneimittelnebenwirkungen,<br />
die bei stationärer Aufnahme bestanden, sterben jährlich 5.700 Patienten in England,<br />
das entspricht 0,15 Prozent aller stationär aufgenommenen Patienten (Pirmohamed et al., 2004).<br />
Eine norwegische Studie mit 85.363 Patienten stellt fest, dass 18,4 Prozent aller Patienten über 70 Jahren<br />
während eines Jahres mindestens eine inadäquate Verordnung durch ihren Arzt erhielten (Brekke et<br />
al., 2008). Besonders betroffen sind ältere, multimorbide Patienten, die mehrere Medikamente einnehmen.<br />
Der plötzliche Herztod („Sekundenherztod“) verursacht mehr Todesfälle als AIDS, Brustkrebs, Bronchialkarzinom<br />
und Schlaganfall zusammen (Van Noord, Eijgelsheim, Stricker, 2010). 40 Todesfälle täglich werden<br />
beispielsweise in den Niederlanden auf plötzlichen Herztod zurückgeführt (Straus, Bleumink, Dieleman,<br />
Stricker, Sturkenboom, 2004). Auch bei einem Teil dieser Fälle ist der plötzliche Herztod nicht<br />
unvermeidbar, sondern auf fehlerhaft verordnete Arzneimittel zurückzuführen. Bisher wurden mehr als<br />
700 Fallberichte über Herzrhythmusstörungen veröffentlicht, die auf Arzneimittel zurückzuführen sind<br />
und in der Regel tödlich verlaufen. Frauen sind von dieser Nebenwirkung doppelt so häufig betroffen wie<br />
Männer (Makkar, Fromm, Steinman, Meissner, Lehmann, 1993).<br />
Ob ein Arzneimittel dieses Risiko in sich birgt, lässt sich am EKG erkennen. Die Verlängerung des sogenannten<br />
QT-Intervalls im EKG zeigt an, dass das Arzneimittel das Risiko für plötzlichen Herztod erhöht.<br />
Die gleichzeitige Gabe mehrerer solcher Arzneimittel ist besonders gefährlich. Sie ist üblicherweise<br />
ausdrücklich nicht erlaubt, wird in der Praxis jedoch beobachtet. Dies liegt daran, dass für den<br />
einzelnen Arzt bei der Verordnung nicht ohne weiteres erkennbar ist, ob mehrere solcher Mittel verordnet<br />
wurden. Außerdem verschreibt der Arzt üblicherweise ohne konkrete Kenntnis der Medikation anderer<br />
Ärzte, die den Patienten ebenfalls behandeln. Somit besteht eine große Gefahr von Mehrfachverschreibungen<br />
mit möglichen Todesfolgen. An dieser Herausforderung setzt das hier vorgestellte Konzept<br />
an.<br />
Entstehungsgeschichte<br />
In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche vielversprechende Medikamente vom Markt genommen,<br />
weil sie zum plötzlichem Herztod führen können. Die Nebenwirkung „QT-Intervall-Verlängerung“ wurde<br />
wegen des Risikos für den plötzlichen Herztod zu einem wichtigen Zulassungskriterium. Eine aktuelle<br />
Studie zeigt, dass die Verlängerung des QT-Intervalls während der letzten 15 Jahre sogar einer der häufigsten<br />
Gründe war für den Widerruf der Zulassung von nicht-kardialen Arzneimitteln (Wood und Roden,<br />
2004). Dabei wurden gut wirksame Arzneimittel weltweit vom Markt genommen, weil die von den Zulassungsbehörden<br />
herausgegebene Warnung in der Praxis nicht beachtet wurde, eine Kombination mit<br />
weiteren QT-Intervall verlängernden Arzneimittel zu vermeiden (Smalley et al., 2000).<br />
Denn nicht nur wichtige Antibiotika, sondern auch viele neue Arzneimittel, bieten zwar einen Zusatznutzen,<br />
bergen aber auch das Risiko der QT-Verlängerung – wie etwa Wirkstoffe zur Behandlung der chronischen<br />
Hepatitis C, oder Citalopram und Escitalopram, die häufig zur Behandlung von Depressionen<br />
eingesetzt werden, einer der weltweit häufigsten Formen psychischer Störungen. In Deutschland wurden<br />
2010 allein 283 Millionen Tagesdosen Citalopram und 58 Millionen Tagesdosen Escitalopram verordnet.<br />
104
Risiko-Radar Plötzlicher Herztod<br />
Im August 2011 hat nun die amerikanische Zulassungsbehörde für Arzneimittel (FDA) aufgrund der<br />
Ergebnisse einer klinischen Studie einen Warnhinweis zu Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Citalopram<br />
veröffentlicht. Am 31.10.2011 hat der deutsche Hersteller in Absprache mit der deutschen Zulassungsbehörde<br />
BfArM in einem „Rote-Hand Brief“ die Ärzte in Deutschland auf das Risiko aufmerksam gemacht.<br />
Die empfohlene Maximaldosis für Citalopram wurde reduziert und die Kombination mit weiteren<br />
das QT-Intervall verlängernden Arzneimitteln untersagt. Am 5. Dezember 2011 wurden Ärzte in<br />
Deutschland informiert, dass ein ähnliches Risiko besteht für Escitalopram, einen mit dem Citalopram<br />
eng verwandten Wirkstoff. Schließlich hat die Bundesoberbehörde am 12.01.2012 mitgeteilt, dass sie<br />
es nicht mehr für vertretbar hält, Arzneimittel in den Verkehr zu bringen, die eine Wirkstoffstärke von<br />
60 mg Citalopram haben. Die entsprechenden Zulassungen für diese Einzeldosisstärke wurden widerrufen.<br />
Der Umfang der Verordnung dieser Medikamente und die möglichen tödlichen Gefahren durch fehlerhafte<br />
Mehrfachverordnung haben ein umgehendes Handeln nötig gemacht.<br />
Kernelemente<br />
Versorgungskonzept<br />
Zur Entwicklung und Implementierung eines innovativen Lösungskonzeptes zur Reduktion des Risikos<br />
eines plötzlichen Herztodes wurden von IKK Südwest und KV Saarland so genannte Arbeitspakte (AP)<br />
initiiert. Die bereits abgeschlossenen Arbeitspakete werden im Folgenden vorgestellt.<br />
• AP1: Bildung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe zur Projektsteuerung<br />
Zur inhaltlichen und operativen Projektsteuerung gründeten die IKK Südwest und die KV Saarland eine<br />
gemeinsame Arbeitsgruppe. Sie erarbeitet und diskutiert das Gesamtkonzept und trifft alle projektbezogenen<br />
Entscheidungen.<br />
• AP2: Entwicklung einer Wissensbasis zu QT-Intervall-Verlängerung durch Arzneimittel<br />
In Deutschland gibt es keine zugänglichen Informationsquellen oder Arzneimitteldatenbanken, die<br />
strukturierte Informationen enthalten zur QT-Intervall-Wirksamkeit von Arzneimitteln. Daher entwickelte<br />
die RpDoc ® Solutions GmbH eine solche Wissensdatenbank zu den zugelassenen Arzneimitteln.<br />
RpDoc ® Solutions GmbH erstellte dazu zunächst eine RpDoc ® QT-Intervallverlängerungs-Kategorisierungssystematik<br />
auf Grundlage einer wissenschaftlichen Literaturrecherche. Dazu wurden Arzneimittel<br />
gruppiert, die das QT-Intervall verlängern, sowie die Wirkstoffe, die das Risiko dieser Arzneimittel erhöhen.<br />
• AP3: Retrospektive Analyse der Versicherten der IKK Südwest mit dem RpDoc ® Risiko-Radar Arzneitherapie<br />
Auf dieser Basis wurde die Arzneitherapie aller bei der IKK Südwest versicherten Patienten analysiert –<br />
mittels der Analysesoftware RpDoc ® Risikoradar Arzneitherapie (Version 3.04, RpDoc ® Solutions GmbH,<br />
Saarbrücken). Die Ergebnisse werden im Kapitel Evaluation nachfolgend beschrieben.<br />
• AP4: Entwicklung einer Intervention zur Kontrolle vermeidbaren Risikos für plötzlichen Herztod<br />
Die gemeinsame Arbeitsgruppe der IKK Südwest und der KV Saarland entwickelte ein detailliertes Interventionskonzept,<br />
um das vermeidbare Risiko für einen plötzlichen Herztod aufgrund von QT-Intervall<br />
verlängernden Arzneimitteln zu kontrollieren. Es sollte den datenschutzrechtlichen Anforderungen gerecht<br />
werden, das Patienten-Arzt-Verhältnis stärken und verhindern, dass Patienten aufgrund ihrer<br />
105
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Ängste die Therapie unkontrolliert absetzen. Das Interventionskonzept wurde mit niedergelassenen<br />
Ärzten sowohl in der Arbeitsgruppe als auch in der Vertreterversammlung der KVS diskutiert und beschlossen.<br />
• AP5: Entwicklung des Expertensystems RpDoc ® Risiko-Radar-Praxis zur Verordnungsunterstützung<br />
Um die QT-Wirksamkeit für jeden Wirkstoff zu prüfen, entwickelte die RpDoc ® Solutions GmbH eine eigene<br />
Software – mit finanzieller Unterstützung des Saarländischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit,<br />
Frauen und Familie und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Über<br />
den geschützten Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Saarland ist das internetbasiertes Expertensystem<br />
zur Beurteilung der QT-Intervall-Wirksamkeit von Arzneimittelwirkstoffen für jeden Arzt im Saarland<br />
verfügbar. Es werden zusätzlich die Literaturquellen genannt, auf die sich die Bewertung stützt. Der<br />
Arzt hat darüber hinaus die Möglichkeit, über einen Link die Zusammenfassung der Studien in der National<br />
Library of Medicine nachzulesen.<br />
• AP6: Diskussion des Projektes mit der zuständigen Bundesoberbehörde (BfArM) und dem Gesundheitsministeriums<br />
des Saarlands<br />
Die Ergebnisse der Problemanalyse sowie der Entwurf für die Intervention wurden mit dem BfArM und<br />
dem saarländischen Gesundheitsminister diskutiert. Nach Prüfung durch die Fachabteilung hat sich das<br />
BfArM bereit erklärt, das Projekt zu begleiten. Außerdem beteiligt es sich an der wissenschaftlichen Evaluation<br />
und unterstützt die Entwicklung des Expertensystems finanziell. Der Gesundheitsminister des<br />
Saarlands hat die Schirmherrschaft für das Projekt übernommen und die Entwicklung des Expertensystems<br />
ebenfalls finanziell unterstützt.<br />
• AP7: Implementierung<br />
Das Projekt wurde in den Routinebetrieb überführt. Fortwährende Analysen der Verordnungsdaten filtern<br />
gefährdete Patienten heraus. Nach Information und Einverständnis der Betroffenen wird ein Risikoreport<br />
in elektronischer Form erstellt. Entsprechend dem erarbeiteten Prozedere wird dieser anschließend dem<br />
ausgewählten Koordinator der Arzneitherapie über die KVS zugeleitet.<br />
Zielgruppe<br />
Das Modellprojekt richtet sich zunächst an alle Vertragsärzte im Saarland. Das Modellvorhaben ist nach<br />
§§63 ff. SGB V vertraglich geregelt zwischen der IKK Südwest und der Kassenärztlichen Vereinigung<br />
Saarland. Mit einbezogen wurden Versicherte, die vom 01.07.2009 bis 31.12.2011 durchgehend bei der<br />
IKK Südwest versichert waren, oder die am 01.07.2009 versichert waren und bis 31.12.20011 verstarben.<br />
Die Versicherten mussten am 01.07.2009 mindestens 18 Jahre alt sein. Die folgende Abbildung 18a zeigt<br />
die Alters- und Geschlechtsverteilung der lebenden Versicherten, die Abbildung 18b der verstorbenen<br />
Versicherten.<br />
106
Risiko-Radar Plötzlicher Herztod<br />
Abbildung 18a – Alters- und Geschlechtsverteilung der lebenden Versicherten<br />
5650 5650<br />
1998 1998<br />
5493 5493<br />
3086 3086<br />
10337 10337<br />
5650 5650<br />
15464 15464<br />
5493 5493<br />
22230 22230<br />
10337 10337<br />
28168 28168<br />
15464 15464<br />
27345 27345<br />
22230 22230<br />
22273 22273<br />
28168 28168<br />
23779 23779<br />
27345 27345<br />
20038 20038<br />
22273 22273<br />
16294 16294<br />
23779 23779<br />
15602 15602<br />
20038 20038<br />
16155 16155<br />
16294 16294<br />
14506 14506<br />
15602 15602<br />
7602 7602<br />
16155 16155<br />
Männlich Männlich<br />
Männlich Männlich<br />
Quelle: 30000 30000 Eigene 25000 25000 Darstellung.<br />
20000 20000<br />
1998 1998<br />
3086 3086<br />
30000 30000 25000 25000 20000 20000 14506 14506 15000 15000 10000 10000 5000 5000<br />
7602 7602<br />
15000 15000 10000 10000 5000 5000<br />
80 80 + + 80 80 + + 3165 3165<br />
75 75 - 79 - 79 75 75 - 79 - 79 3072 3072<br />
70 70 - 74<br />
80 80 - + 74 + 70 70 - 74<br />
80 - 7480 + +<br />
5028<br />
3165 3165 5028<br />
65 65 - 69<br />
75 75 - 69 79 - 79 65 65 - 69<br />
75 75 - 69 79 - 79<br />
5199<br />
3072 3072 5199<br />
60 60 - 64<br />
70 70 - 64 74 - 74 60 60 - 64<br />
70 70 - 64 74 - 74<br />
9713<br />
5028 5028 9713<br />
55 55 - 59<br />
65 65 - 59 69 - 69 55 55 - 59<br />
65 65 - 59 69 - 69<br />
5199 5199<br />
15236 15236<br />
50 50 - 54<br />
60 60 - 54 64 - 64 50 50 - 54<br />
60 60 - 54 64 - 64<br />
9713 9713<br />
22297 22297<br />
45 45 49 - 49<br />
55 55 - 59 - 59 45 45 - 49<br />
55 55 - 49 59 - 59<br />
15236 15236<br />
27568 27568<br />
40 40 44 - 44<br />
50 50 - 54 - 54 40 40 - 44<br />
50 50 - 44 54 - 54<br />
25961 25961<br />
22297 22297<br />
35 35 39 - 39<br />
45 45 - 49 - 49 35 35 39 - 39<br />
45 45 - 49 - 49<br />
21391 21391<br />
27568 27568<br />
30 30 34 - 34<br />
40 40 - 44 - 44 30 30 34 - 34<br />
40 40 - 44 - 44<br />
24505 24505<br />
25961 25961<br />
25 25 29 - 29<br />
35 35 - 39 - 39 25 25 29 - 29<br />
35 35 - 39 - 39<br />
23186 23186<br />
21391 21391<br />
20 20 24 - 24<br />
30 30 - 34 - 34 20 20 24 - 24<br />
30 30 - 34 - 34<br />
19374 19374<br />
24505 24505<br />
15 15 19 - 19<br />
25 25 - 29 - 29 15 15 19 - 19<br />
25 25 - 29 - 29<br />
16860 16860<br />
23186 23186<br />
10 10 14 - 14<br />
20 20 - 24 - 24 10 10 14 - 14<br />
20 20 - 24 - 24<br />
15638 15638<br />
19374 19374<br />
5 - 59<br />
- 9<br />
15 15 - 19 - 19 5 - 59<br />
- 9<br />
15 15 - 19 - 19<br />
13768 13768<br />
16860 16860<br />
0 - 04<br />
- 4<br />
10 10 - 14 - 14 0 - 04<br />
- 4<br />
10 10 - 14 - 14<br />
7186 7186<br />
15638 15638<br />
0 05 - 59<br />
- 9 5 - 59<br />
- 09<br />
0 5000 5000 10000 10000 15000 13768 15000 13768 20000 20000 25000 25000 30000 30000<br />
Weiblich Weiblich<br />
Weiblich Weiblich<br />
0 - 04<br />
- 4 0 - 04<br />
- 4<br />
7186 7186<br />
0 0<br />
0 0 5000 5000 10000 10000 15000 15000 20000 20000 25000 25000 30000 30000<br />
Männlich<br />
Abbildung 18b – Alters- und Geschlechtsverteilung der verstorbenen Versicherten<br />
563 563<br />
80 80 + + 80 80 + +<br />
Männlich<br />
375 375<br />
75 75 - 79 - 79 75 75 - 79 - 79<br />
563 563<br />
373 373<br />
8070 - + 74 - + 74 70 70 - 8074<br />
- 80 + 74 +<br />
375 375 231 231<br />
7565 - 69 79<br />
- 69 79<br />
7565 - 69 79<br />
- 69 79<br />
373 373 236 236<br />
7060 - 64 74<br />
- 64 7460 7060 - 64 74<br />
- 64 74<br />
231 23178178<br />
6555 - 59 69<br />
- 59 69<br />
6555 - 59 69<br />
- 59 69<br />
236 236 148 148<br />
6050 - 54 64<br />
- 54 6450 6050 - 54 64<br />
- 54 64<br />
178 178 98 98<br />
5545 - 49 59<br />
- 49 59<br />
5545 - 49 59<br />
- 49 59 5270<br />
5270<br />
148 148 59 59<br />
98 98 31 31<br />
59 59 24 24<br />
5040 - 44 54<br />
- 5440 5040 - 44 54<br />
- 44 54 22 227171<br />
4535 - 39 49<br />
- 39 49<br />
4535 - 39 49<br />
- 39 49 17 17 52 52<br />
4030 - 34 44<br />
- 34 4430 4030 - 34 44<br />
- 34 44 7 22 7 22<br />
Weiblich<br />
Weiblich<br />
172 172<br />
140 140<br />
80 80 172 172<br />
84 84140140<br />
70 8070<br />
80<br />
71847184<br />
694 694<br />
694 694<br />
2031<br />
20<br />
3525 - 29 39<br />
- 29 39<br />
3525 - 29 39<br />
- 29 39 317<br />
317<br />
24 1124<br />
11<br />
3020 - 24 34<br />
- 24 3420 3020 - 24 34<br />
- 24 34 57<br />
57<br />
203203<br />
2515 - 19 29<br />
- 19 29<br />
2515 - 19 29<br />
- 19 29<br />
3<br />
3<br />
112<br />
112<br />
2010 - 14 24<br />
- 14 2410 2010 - 14 24<br />
- 14 24 05<br />
05<br />
13<br />
13<br />
515 - 515 9 -- 199<br />
- 19 155 15 -- 19 59<br />
-- 19 9<br />
3<br />
3<br />
600 600 500 500 400 400 300 300 200 200 100 100 2 02<br />
01010 - 14 - 14 10 10 - 14 - 14 0 0<br />
0100100 200 200 300 300 400 400 500 500 600 600 700 700 800 800<br />
1 1 5 - 59<br />
- 9 5 - 59<br />
- 9 3 3<br />
600 600<br />
500 500<br />
400 400<br />
300 300<br />
200 200<br />
100 100<br />
0<br />
0<br />
0 0 100 100 200 200 300 300 400 400 500 500 600 600 700 700 800 800<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
107
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Versorgungselemente<br />
Die Intervention zur Kontrolle des vermeidbaren Risikos für einen plötzlichen Herztod ist in Abbildung 19<br />
detailliert dargestellt und wird nachfolgend in fünf Schritten praktisch erläutert.<br />
Abbildung 19 – Überblick über die wichtigen Details der Intervention<br />
Arzt KVS IKK Südwest Versicherte(r)<br />
Information der KV-Ärzte über das Projekt<br />
per Fax durch die KVS<br />
Auswahl der zu berücksichtigenden<br />
Versicherten durch die IKK Südwest<br />
Ermitteln der betroffenen Verordner<br />
Information betroffener Ärzte<br />
über angeschriebene<br />
Versicherte und Risiko<br />
Information der KVS über<br />
angeschriebene Versicherte<br />
und betroffene Verordner<br />
Information der KVS über<br />
eingeschriebene Versicherte und<br />
verordnete Arzneimittel<br />
Information der Versicherten<br />
durch die IKK Südwest:<br />
EINSCHREIBUNG<br />
Information des / der verordnenden Ärzte<br />
über Patient / Verordnungen /<br />
Managementhinwiese<br />
Rückmeldung an KV zu Risikoreduktion /<br />
Entscheidungsgründe<br />
Information der IKK über<br />
Risikoreduktion / Entscheidungsgründe<br />
Auslösen der Bezahlung<br />
Rückmeldung an KVS<br />
Messung der Risiken im<br />
Verlauf<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
(1) Vorab: Verordnung von risikoinduzierten Medikamenten<br />
Dem Patienten wird aufgrund einer Erkrankung ein Medikament verordnet, durch das er laut Fachinformation<br />
adäquat behandelt wird (z. B. Citalopram bei Depression). Unabhängig davon erhält er aufgrund<br />
einer anderen Erkrankung von einem weiteren Arzt ein zusätzliches Medikament. Problematisch ist die<br />
Kombination beider Arzneimittel, da sie das QT-Intervall verlängern und somit das Risiko erhöhen für<br />
Torsades de Pointes Herzrhythmusstörungen und den plötzlichen Herztod. Durch meist fehlende Informationen<br />
über die QT-Intervall verlängernden Wirkungen ist es dem Arzt nicht möglich, das Risiko zu<br />
erkennen.<br />
(2) Identifikation von Risikopatienten<br />
Die Verordnungen werden zu Abrechnungszwecken an die IKK Südwest übermittelt; die RpDoc ® Datenanalyse-Software<br />
kann diese Verordnungsdaten nun analysieren. Sie generiert einen Warnhinweis, sobald<br />
parallele Verordnungen von solchen Arzneimitteln erkannt werden, die das QT-Intervall verlängern.<br />
(3) Einleitung risikominimierender Maßnahmen<br />
Um die behandelnden Ärzte (Verordner) über das Risiko der parallelen Verordnung zu informieren, wird<br />
der identifizierte Risikopatient von der IKK Südwest kontaktiert und sein schriftliches Einverständnis dazu<br />
eingeholt. Der Patient kann dann einen Therapie-koordinierenden Arzt selbst bestimmen. Empfohlen wird<br />
108
Risiko-Radar Plötzlicher Herztod<br />
der Hausarzt; wenn aber der Patient damit nicht einverstanden ist oder es im individuellen Fall sinnvoll<br />
erscheint, dass ein anderer Arzt die Therapie koordiniert, wird die Aufgabe einem anderen Arzt übertragen.<br />
Unter Berücksichtigung des Datenschutzes informiert der Therapiekoordinator die verordnenden<br />
Ärzte über das Risiko und zeigt Möglichkeiten zur Risikoreduktion auf. Die behandelnden Ärzte entscheiden<br />
im Anschluss über die optimale individuelle Therapie des Patienten. Darüber hinaus wird den Patienten<br />
vermittelt, dass Schwindel oder ein kurzfristiger Bewusstseinsverlust Hinweise auf Herzrhythmusstörungen<br />
sein können, und dass Durchfall und Erbrechen das Risiko für Herzrhythmusstörungen erhöhen.<br />
In beiden Fällen sollte der Arzt konsultiert werden. Die Hinweise und Empfehlungen zur Minimierung<br />
vermeidbarer Risiken für Patienten und Ärzte wurden von einer gemeinsamen Expertengruppe der IKK<br />
Südwest und der KV Saarland festgelegt.<br />
(4) Nutzung eines Expertensystems zur Risikoidentifikation<br />
Während des Therapieoptimierungsprozesses und der Weiterbehandlung muss sichergestellt werden,<br />
dass es sich bei einem neu verordneten Wirkstoff nicht um ein QT-Intervall verlängerndes Arzneimittel<br />
handelt. Dies kann nicht durch eine retrospektive Analyse von Abrechnungsdaten der Krankenkasse erfolgen.<br />
Daher wird dem Arzt ein internetbasiertes Expertensystem zur Beurteilung der QT-Intervall-Wirksamkeit<br />
von Arzneimittelwirkstoffen zur Verfügung gestellt, zu dem jeder Arzt im Saarland über den geschützten<br />
Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Saarland Zugang hat. Die Software analysiert die<br />
QT-Wirksamkeit für jedes Arzneimittel, das künftig eingesetzt werden soll.<br />
(5) Kontinuierliche Ergebnismessung<br />
Die Risikoreduktion wird evaluiert und quantitativ gemessen mit Rückmeldebögen der behandelnden<br />
Ärzte zur Risikoreduktion, sowie durch erneute retrospektive Analysen von Krankenkassendaten nach<br />
drei und sechs Monaten. Diese Evaluation bildet die Grundlage für einen kontinuierlichen Optimierungsprozess<br />
der Arzneitherapiesicherheit.<br />
Mehrwert<br />
Im Rahmen des Projektes wird eine Datenbank zur Verfügung gestellt, mit der der Arzt Wirkstoffe auf ihre<br />
QT-Intervall verlängernde Wirkung überprüfen kann. Damit kann vermieden werden, dass Patienten potentiell<br />
gefährliche Kombinationen von Wirkstoffen erhalten. Bei der Umstellung eines QT-Intervall verlängernden<br />
Medikaments wird kontrolliert, dass es nur durch ein Medikament mit geringeren oder ähnlichen<br />
Risiken ersetzt wird. Durch die gemeinsame Abstimmung über eine Datenbank werden Gefährdungen<br />
der Patienten durch fehlerhafte Verschreibungen vermieden: Gefährdungen mit möglicher Todesfolge.<br />
Wirksame und bewährte Medikamente können so weiter ohne die diese Risiken verschrieben werden.<br />
Mittelbar werden auch die nicht unerheblichen Folgekosten stationärer Aufenthalte auf Grund solcher<br />
fehlerhaften Verschreibungen reduziert.<br />
Das dargestellte Projekt ist weltweit die erste Intervention, die effektiv die arzneitherapiebedingten Risiken<br />
für den plötzlichen Herztod identifizieren und reduzieren kann. Das Projekt hat einen deutlichen Anteil<br />
an der Verbesserung von Qualität und Sicherheit der Arzneitherapie in Deutschland. Zudem macht es das<br />
untersuchte Risiko im Zeitverlauf messbar und schafft so die Voraussetzung für eine kontinuierliche Verbesserung<br />
der Behandlungsqualität.<br />
Finanzierung<br />
Die Anschubfinanzierung für das Pilotprojekt wurde durch die beteiligten Projektpartner gedeckt. Dabei<br />
wurden die Betriebskosten durch einen Vertrag nach §§ 63 ff. SGB V zwischen IKK Südwest und KVS<br />
gesichert. Der Restmittelbedarf für die geplante Weiterentwicklung wurde durch das Bundesinstituts für<br />
109
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Arzneimittel und Medizinprodukte zugesagt. Dies trägt auch die Kosten für die notwendigen Software-<br />
Anpassungen für den bundesweiten Einsatz. Im Modellprojekt wurde nach §§ 63 ff. SGB V für die behandelnden<br />
Ärzte eine extrabudgetäre Aufwandsentschädigung festgelegt. Sie deckt die zusätzlich nötigen<br />
Maßnahmen für die Risikoreduktion ab.<br />
Management<br />
Die beteiligten Projektpartner sind die IKK Südwest, die Kassenärztliche Vereinigung Saarland (KVS) und<br />
die RpDoc ® Solutions GmbH, Saarbrücken. Das Konzept wird unterstützt durch das Ministerium für Soziales,<br />
Gesundheit, Frauen und Familie des Saarlands und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte<br />
(BfArM).<br />
Dabei analysiert die IKK Südwest kontinuierlich mit Hilfe der Software RpDoc ® die Arzneimittelverordnungsdaten<br />
ihrer Versicherten und identifiziert so vermeidbare medizinische und ökonomische Risiken. Diese Risiken<br />
werden in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe mit der Kassenärztlichen Vereinigung Saarland diskutiert.<br />
Hier werden Risiken und zielführende Möglichkeiten der Risikokontrolle gemeinsam festgelegt. Für die<br />
Minimierung des Risikos wurde ein Vertrag nach §§ 63 ff. SGB V zwischen der IKK Südwest und der Kassenärztlichen<br />
Vereinigung Saarland geschlossen. Das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie<br />
des Saarlands hat die Schirmherrschaft übernommen und fördert die Lösungsentwicklung finanziell.<br />
Die Analyse der Verordnungsdaten im Verlauf und die von den behandelnden Ärzten erfolgenden Rückmeldungen<br />
ermöglichen eine fortlaufende wissenschaftliche Evaluation. Diese erfolgt in Zusammenarbeit<br />
mit dem BfArM.<br />
Evaluation<br />
Mit Hilfe der Analysesoftware RpDoc ® Risikoradar Arzneitherapie (Version 3.04, RpDoc ® Solutions GmbH,<br />
Saarbrücken) wurde die Arzneitherapie von insgesamt 441.627 Versicherten der IKK Südwest retrospektiv<br />
von Juli 2009 bis Dezember 2011 analysiert (s. Tabelle 13).<br />
Tabelle 13 – Ergebnisse der retrospektiven IKK Südwest Krankenkassendaten-Analyse<br />
Anzahl Versicherte Überlebende Verstorbene<br />
Anzahl Versicherte (%) 441.627 437.597 4.030<br />
mit Citalopram 12.768 (2,9%) 12.531 (2,9%) 237 (5,9%)<br />
davon Männer 4.716 (2,0%) 4.602 (2,0%) 114 (4,5%)<br />
davon Frauen 8.052 (3,8%) 7.929 (3,8%) 123 (8,4%)<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Bei den Patienten, die mit dem Antidepressivum Citalopram behandelt wurden, wurde in einem Beobachtungszeitraum<br />
von 30 Monaten näher untersucht, ob eine Begleitverordnung eines weiteren Arzneimittels<br />
vorlag, die gemäß Fachinformation eine kontraindizierte, QT-Intervall verlängernde Wirkung zeigt.<br />
Nächste Schritte<br />
Perspektivisch sind weitere Arbeitspakete geplant. So wird das Projekt, welches bisher auf das Saarland<br />
beschränkt war, bereits im ersten Schritt flächendeckendend in Rheinland-Pfalz ausgrollt. Die Umsetzung<br />
in ganz Deutschland ist in Planung. Zudem wurde eine Untersuchung zur Wirksamkeit und Akzeptanz der<br />
110
Risiko-Radar Plötzlicher Herztod<br />
Intervention initiiert. Bis Dezember 2013 soll mit finanzieller Unterstützung des BfArM das internetbasierte<br />
Expertensystem RpDoc ® Risiko-Radar-Praxis für Ärzte deutschlandweit nutzbar sein – und die Kombination<br />
mehrerer QT-Intervall verlängernder Arzneimittel verhindern.<br />
In Vorbereitung befindet sich ferner eine prospektive randomisierte Studie zur Relevanz der Abweichung<br />
vom bestimmungsgemäßen Gebrauch durch Kombination von QT-Intervall verlängernden Arzneimitteln.<br />
Eine inhaltliche Ausweitung der risikoreduzierenden Intervention auf weitere schwerwiegende Arzneimittelrisiken<br />
ist geplant. Als Ergänzung zu den risikominimierenden Maßnahmen sollen potentielle Risikopatienten<br />
zusätzlich proaktive, vorausschauende Hinweise erhalten.<br />
Die bisher vorliegenden Rohdaten lassen schon erkennen, dass eine weitere Analyse der generierten Daten<br />
gerechtfertigt ist. Bevor aus ihnen jedoch inhaltliche Schlussfolgerungen abgeleitet werden können, müssen<br />
sie noch um weitere mögliche Einflussfaktoren korrigiert werden. Eine externe wissenschaftliche Evaluation<br />
sowie die Publikation der Daten soll in Zusammenarbeit mit der Fachabteilung des BfArM erfolgen.<br />
Ansprechpartner<br />
IKK Südwest<br />
Dr. Lutz Hager<br />
Geschäftsführer Versorgung<br />
Berliner Promenade 1<br />
66111 Saarbrücken<br />
Telefon: 0681 – 936 96 2500<br />
E-Mail: lutz.hager@ikk-sw.de<br />
Kassenärztliche Vereinigung Saarland<br />
Dr. Gunter Hauptmann<br />
Vorsitzender des Vorstandes<br />
Europaallee 7 – 9<br />
66113 Saarbrücken<br />
Telefon: 0681 – 99 83 70<br />
RpDoc ® Solutions GmbH<br />
Simone Grandt<br />
Geschäftsführende Gesellschafterin<br />
Heinrich-Barth Str. 1–1a<br />
66121 Saarbrücken<br />
Telefon: 0681 – 968 150<br />
Literatur<br />
Brekke, M., Rognstad, S., Straand, J., Furu, K., Gjelstad, S., Bjorner, T. (2008). Pharmacologically inappropriate prescriptions for<br />
elderly patients in general practice: How common? Baseline data from The Prescription Peer Academic Detailing (Rx-PAD)<br />
study. . Scand J Prim Health Care, 26(2):80–85.<br />
Dormann, H., Criegee-Rieck, M., Neubert, A., Egger, T., Geise, A., Krebs, S. (2003). Lack of awareness of community acquired<br />
adverse drug reactions upon hospital admission: dimensions and consequences of a dilemma. Drug Saf, 26(5):353–362.<br />
Pirmohamed, M., James, S., Meakin, S., Green, C., Scott, A., Walley, T. (2004). Adverse drug reactions as cause of admission to<br />
hospital: prospective analysis of 18 820 patients. BMJ, 329(7456):15–19.<br />
Smalley, W., Shatin, D., Wysowski, D. K., Gurwitz, J., Andrade, S. E., Goodman, M., et al., (2000). Contraindicated use of cisapride.<br />
JAMA: the journal of the American Medical Association, 284(23):3036–3039.<br />
Straus, S., Bleumink, G., Dieleman, J., Stricker, B., Sturkenboom, M. (2004). The incidence of sudden cardiac death in the general<br />
population. J Clin Epidemiol, 57(1):98–102.<br />
Van Noord, C., Eijgelsheim, M., Stricker, B. H. C. (2010). Drug‐and non‐drug‐associated QT interval prolongation. British journal<br />
of clinical pharmacology, 70(1):16–23.<br />
Wood, A. J., Roden, D. M. (2004). Drug-induced prolongation of the QT interval. New England Journal of Medicine, 350(10):1013–<br />
1022.<br />
111
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
© <strong>MSD</strong>/Bardehle<br />
Prof. Steffen Ruchholtz mit Juror Dr. Thomas Lang (v. r.)<br />
1. Preis:<br />
TraumaNetzwerk DGU ®<br />
Flächendeckende Verbesserung der Schwerverletztenversorgung<br />
in Deutschland<br />
Autor: Steffen Ruchholtz<br />
Management Summary<br />
Schwerverletzte Patienten in Deutschland flächendeckend und bestmöglich zu versorgen, ist das Ziel des<br />
TraumaNetzwerks DGU ® . Durch eine Vernetzung von mindestens fünf Krankenhäusern aus einer Region<br />
wird es möglich, eine qualitativ hochwertige und flächendeckende Versorgung von Schwerverletzten<br />
sicherzustellen – jederzeit verfügbar, deutschlandweit, und in zertifizierten Kliniken. Ohne eine solche Vernetzung<br />
ist nicht gewährleistet, dass ein Traumapatient innerhalb von 30 Minuten in einem entsprechenden<br />
Traumazentrum versorgt werden kann.<br />
112
TraumaNetzwerk DGU ®<br />
Bis September 2013 schlossen sich bereits 549 solcher Kliniken zu 44 TraumaNetzwerken zusammen.<br />
Die Versorgung wurde personell und infrastrukturell verbessert; die Sterberate schwerverletzter Patienten<br />
sank nachweislich.<br />
Das TraumaNetzwerk DGU ® wurde 2006 von der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie gegründet.<br />
Einleitung<br />
Die flächendeckende medizinische Versorgung schwerverletzter Patienten ist in Deutschland zwar weitestgehend<br />
sichergestellt, dennoch ist auch bekannt, dass sich die Versorgung häufig verzögert. Gründe<br />
dafür sind unter anderem strukturelle und organisatorische Probleme. Hinzu kommen geographische und<br />
infrastrukturelle Versorgungsunterschiede: Schwerverletzte werden in ländlichen Regionen anders versorgt<br />
als in Hauptstadtregionen.<br />
Um die Schwerverletztenversorgung in Deutschland trotz begrenzter Ressourcen zu gewährleisten und<br />
zu optimieren, verfolgt das TraumaNetzwerk DGU ® das Ziel, eine flächendeckende Behandlung sicherzustellen<br />
– und zwar jederzeit verfügbar, interdisziplinär und hochqualitativ. Dazu schließen sich zertifizierte<br />
Kliniken einer Region sowie Rehabilitationseinrichtungen und kompetente Praxen zusammen. Durch eine<br />
leitliniengerechte Behandlung können die Sterberaten gesenkt werden; die Lebensqualität der Patientensteigt.<br />
Versorgungsherausforderung<br />
Unfallbedingte Todesfälle sind in Deutschland von größerer Bedeutung als beispielsweise bösartige Neubildungen<br />
oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. So zählen Unfälle in Deutschland zur fünfthäufigsten Todesursache;<br />
sie sind sogar die häufigste Ursache für verlorene Lebensjahre (Bundesanstalt für Arbeitsschutz<br />
und Arbeitsmedizin, 2010). Etwa 33.000 bis 38.000 Menschen verletzen sich in Deutschland jährlich<br />
schwer (Haas et al., 1997; Kuhne et al., 2006; Liener et al., 2004).<br />
Obwohl die flächendeckende Versorgung Schwerverletzter weitestgehend sichergestellt ist, kommt es<br />
immer wieder zu Diskussionen über eine verzögerte Versorgung. Gründe dafür liegen in strukturellen und<br />
organisatorischen Problemen.<br />
Insgesamt wird in Deutschland deutlich, dass sich – unter geographischen Gesichtspunkten – die medizinische<br />
Ausstattung zur Versorgung von Schwerverletzten sehr unterscheidet. Bestätigt wird dies durch<br />
die Daten des Statistischen Bundesamtes: bezogen auf die die Anzahl der Verkehrsunfälle variiert die<br />
Mortalität je nach Bundesland zwischen 0,5 und 2,7 Prozent; sie ist am niedrigsten in Stadtstaaten (z. B.<br />
Berlin, Hamburg) und am höchsten in den nord-östlichen Flächenländern (z. B. Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Brandenburg) (Statisches Bundesamt, 2011). Weiterhin dürfen auch die Unterschiede der Versorgungsqualität<br />
in den Krankenhäusern nicht vernachlässigt werden. Die Probleme sind bedingt durch:<br />
• Unterschiede in der Infrastruktur einzelner Regionen<br />
• Unterschiedliche apparative Ausstattung der Krankenhäuser<br />
• Unterschiedliche Behandlungskonzepte bei der Therapie schwerverletzter Patienten<br />
• Unterschiedliche Qualifikation der beteiligten Personen<br />
• Kommunikationsprobleme zwischen Kliniken einer Region.<br />
113
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Aufgrund dieser Tatsachen ist es eine wichtige Herausforderung und Aufgabe, die Versorgung von<br />
schwerverletzten Patienten zu verbessern und sicherzustellen. Zwar können die geographischen und infrastrukturellen<br />
Unterschiede nicht beeinflusst werden, die Versorgung lässt aber in anderen Bereichen<br />
optimieren.<br />
Dazu gründete die DGU im Jahr 2006 den Arbeitskreis zur Umsetzung des Weißbuchs Schwerverletztenversorgung<br />
und TraumaNetzwerk (AKUT). Durch den Aufbau sogenannter Netzwerkstrukturen zwischen<br />
einzelnen Traumazentren mit verschiedenen Versorgungsstufen soll deutschlandweit eine lebensnotwendige<br />
und gleichzeitig patientenorientierte Versorgung von Schwerverletzten sichergestellt und gewährleistet<br />
werden.<br />
Entstehungsgeschichte<br />
Schon in den 70er Jahren zeigten amerikanische Studien, dass die Versorgungsqualität in spezialisierten<br />
Zentren deutlich besser war. Auch die Sterberate konnte gezielt gesenkt werden. Somit entstand die<br />
Idee, Traumazentren zu etablieren. Schon damals stand ein möglichst schneller und direkter Transport<br />
schwerverletzter Patienten im Vordergrund. Wirksamkeit und Nutzen solcher Zentren wurden bereits in<br />
zahlreichen Studien belegt (Celso et al., 2006; Nathens et al., 2004).<br />
Nicht zuletzt wegen der staatlich verordneten Einrichtung von Traumazentren und der damit verbundenen<br />
Unzufriedenheit nicht berücksichtigter Kliniken, sowie der Schwierigkeit der flächendeckenden Umsetzung<br />
in ländlichen Regionen, sind die USA bis heute nicht vollständig mit einem Netzwerk aus optimal<br />
ausgestatteten Traumazentren abgedeckt (Nathens et al., 2004).<br />
In Deutschland sind laut TraumaNetzwerk bisher mindestens 650 Kliniken in die Versorgung schwerverletzter<br />
Patienten eingebunden. Im Gegensatz zu dem amerikanischen Modell versucht das TraumaNetzwerk<br />
DGU ® Traumazentren regional zu vernetzen. Hierfür kommen Kliniken in Frage, welche die strukturellen,<br />
apparativen und personellen Voraussetzungen für eine optimale Schwerverletztenversorgung<br />
erfüllen. Die Einrichtungen sollen sich selbstständig von externen Instanzen prüfen lassen sowie auf Basis<br />
von einheitlichen Verträgen zusammenarbeiten (Ruchholtz et al., 2012).<br />
Zum erfolgreichen Aufbau von TraumaNetzwerken wurden im Durchschnitt jeweils sieben Planungstreffen<br />
und Fortbildungsveranstaltungen durchgeführt. Bis zum September 2013 wurden insgesamt 605<br />
Krankenhäuser einer Prüfung unterzogen; 549 Krankenhäuser aus 44 TraumaNetzwerken wurden bereits<br />
zertifiziert (s. Abbildung 20). Aktuell besteht ein TraumaNetzwerk durchschnittlich aus 14 Kliniken mit acht<br />
lokalen, vier regionalen und zwei überregionalen Traumazentren.<br />
114
TraumaNetzwerk DGU ®<br />
Abbildung 20 – Zertifizierte TraumaNetzwerke in Deutschland<br />
Quelle: Arbeitskreis Umsetzung Weißbuch TraumaNetzwerk DGU ® (AKUT) (2013).<br />
Kernelemente<br />
Versorgungskonzept<br />
Im Jahr 2012 wurde das „Weißbuch Schwerverletztenversorgung der DGU“ in revidierter Version veröffentlicht.<br />
Das Weißbuch gibt Empfehlungen, um eine fachgerechte und qualitativ hochwertige Versorgung<br />
von Schwerstverletzten zu gewährleisten (Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie<br />
e.V., 2012). 2011 wurde darüber hinaus die S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung<br />
veröffentlicht und mit den Inhalten des Weißbuchs abgeglichen (AWMF, 2011).<br />
Um Teil des TraumaNetzwerks DGU ® zu werden, müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein (s. Abbildung<br />
21). Auf dieser Basis ordnet das Weißbuch die Kliniken grundsätzlich drei verschiedenen Versorgungsstufen<br />
zu – so gibt es lokale Traumazentren (LTZ), regionale Traumazentren (RTZ) und überregionale (ÜTZ)<br />
Traumazentren. Möchte eine Klinik aufgenommen werden, muss sie zunächst selbst ihre Versorgungstufe<br />
einschätzen. Im Anschluss wird auf Grundlage des Weißbuchs und eines Audits die Versorgungsstufe<br />
festgelegt. Um sich zu einem TraumaNetzwerk zusammenzuschließen, sind mindestens fünf Kliniken<br />
unterschiedlicher Versorgungsstufen notwendig, die unter mindestens einem ÜTZ regional vernetzt zusammenarbeiten.<br />
Dabei müssen die strukturellen, apparativen und personellen Voraussetzungen für eine<br />
qualitativ hochwertige Schwerverletztenversorgung in allen Kliniken erfüllt sein. Zwischen den Kliniken<br />
wird ein einheitlicher Kooperationsvertrag geschlossen.<br />
115
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Abbildung 21 – Bedingungen für den Eintritt in das TraumaNetzwerk DGU ®<br />
Anmeldung anhand<br />
einer<br />
Selbsteinschätzung<br />
für eine<br />
Versorgungsstufe<br />
Festhaltung<br />
getroffener<br />
Absprachen in einem<br />
Kooperationsvertrag<br />
zwischen Kliniken<br />
Durchführung von<br />
Qualitätszirkeln und<br />
Weiter- und<br />
Fortbildungen<br />
Endgültige Einstufung<br />
nach Kriterien des<br />
Weißbuches im<br />
Rahmen einer<br />
Besichtigung vor Ort<br />
(Audit)<br />
Zusammenarbeit von<br />
mind. 5 Kliniken<br />
(unterschiedliche<br />
Versorgungsstufen)<br />
und mind. 1 ÜTZ pro<br />
Netzwerk<br />
Re- Auditierungen<br />
Bei<br />
Einstufungskonflikten<br />
Anwendung spezieller<br />
Schlichtungsverfahren<br />
Bestimmung der<br />
Größe eines<br />
TraumaNetzwerks<br />
erfolgt durch Kliniken<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Für die Zertifizierung eines TraumaNetzwerks werden beispielsweise Qualitätszirkel mit Beteiligung folgender<br />
Personen/Organe gefordert:<br />
• Ärztliche Leiter der Traumazentren<br />
• Ärztliche Leiter Rettungsdienst<br />
• Leiter der Rettungsleitstellen<br />
• Vertreter der Rettungsdienste der Region des TraumaNetzwerk<br />
• Leiter der Rehabilitationseinrichtungen<br />
• Kooperierende niedergelassene Ärzte.<br />
Die Qualitätszirkel finden zwei Mal pro Jahr statt. Dabei wird zum einen die Ergebnisqualität diskutiert,<br />
auch mithilfe eines Online-Kurzberichts des TraumaRegisters DGU ® . Zum anderen können innerhalb der<br />
Zirkel beispielsweise Schnittstellenprobleme identifiziert werden; entsprechende Gegenmaßnahmen lassen<br />
sich zeitnah einleiten. Mindestens einmal im Jahr werden darüber hinaus Fort- und Weiterbildungen<br />
durchgeführt.<br />
116
TraumaNetzwerk DGU ®<br />
Nach dem ersten Audit zur Einordnung der Klinik in eine Versorgungsstufe erfolgt nach drei Jahren eine<br />
Reauditierung. Es werden unter anderem die empfohlenen Veränderungen während des ersten Audits<br />
analysiert. Zusätzlich wird sowohl die Qualität der Dokumentation im TraumaRegister DGU ® geprüft, als<br />
auch die Durchführung innerklinischer Maßnahmen des Qualitätsmanagements (z. B. Qualitätszirkeltreffen,<br />
Berücksichtigung des TraumaRegister DGU ® bei der eigenen Qualitätsanalyse).<br />
Zielgruppe<br />
Das TraumaNetzewerk DGU ® richtet sich als Versorgungskonzept mit regionaler Vernetzung an jeden<br />
schwerverletzten Patienten in der Bundesrepublik Deutschland, der vom Unfallort in den Schockraum<br />
eines zertifizierten Krankenhauses transportiert werden kann.<br />
Versorgungselemente<br />
Die Idee des TraumaNetzwerks DGU ® besteht darin, alle schwer verletzten Patienten möglichst schnell<br />
und direkt in ein spezialisiertes Traumazentrum zu transportieren. Um dies zu ermöglichen, wird ein Verbund<br />
qualifizierter Traumazentren eingerichtet, die sich jeweils aus zertifizierten Kliniken zusammensetzen.<br />
Durch Vernetzung und Kooperation soll eine zeitnahe, flächendeckende und hoch qualitative Versorgung<br />
von Schwerverletzten gewährleistet werden: innerhalb von 30 Minuten soll jeder Traumapatient in<br />
einem entsprechenden Traumazentrum versorgt werden.<br />
Das TraumaNetzwerk DGU ® orientiert sich vor allem an den Empfehlungen des „Weißbuchs Schwerverletztenversorgung<br />
der DGU“. Kliniken, die sich einem TraumaNetzwerk anschließen wollen, müssen bestimmte<br />
Voraussetzungen erfüllen – hinsichtlich Struktur, Organisation und Ausstattung, der Förderung<br />
von Qualität und Sicherheit sowie der Kooperation der Kliniken durch Qualitätszirkel und Fortbildungsveranstaltungen<br />
(Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V., 2012).<br />
Einen weiteren wichtigen Bestandteil der Versorgung stellt die Rehabilitation dar; im Weißbuch wird<br />
gefordert, dass die Traumazentren eng mit den stationären und ambulanten Rehabilitationseinrichtungen<br />
kooperieren sollten (Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V., 2012). Dadurch<br />
soll ein reibungsloser Versorgungsablauf gewährleistet werden – von der klinischen Behandlung bis hin<br />
zur sozialen und beruflichen Reintegration. Um als Rehabilitationseinrichtung in ein TraumaNetzwerk<br />
integriert zu werden, müssen bestimmte personelle, räumliche und apparative Voraussetzungen erfüllt<br />
sein. Diese sind vorwiegend im Anforderungsprofil der gesetzlichen Unfallversicherungsträger definiert.<br />
Mehrwert<br />
Durch die Vernetzung von Traumazentren verschiedener Versorgungsstufen sowie Rehabilitationseinrichtungen<br />
und kompetenten ambulanten Versorgern, kann für die Traumapatienten eine sehr zeitnahe, regionale<br />
Versorgung in einem zertifizierten Krankenhaus gewährleistet werden. Sie können von einer interdisziplinären,<br />
leitliniengerechten und qualitativ hochwertigen Behandlung profitieren. Folglich kann die<br />
Sterblichkeit sinken und sich die Lebensqualität verbessern.<br />
Die wichtigste Voraussetzung, um als Klinik in ein TraumaNetzwerk aufgenommen zu werden, ist das<br />
erfolgreiche Bestehen eines Audits. Um diese Anforderungen zu erfüllen, haben sich zahlreiche Kliniken<br />
in ihrer Struktur und Organisation verändert (s. Abbildung 22) (Mand et al., 2012). Darüber hinaus lassen<br />
sich die Kliniken in gewissen zeitlichen Abständen selbstständig extern überprüfen. Eine Zusammenarbeit<br />
auf Basis einheitlicher Verträge wird ermöglicht. Aufgrund dieser Gegebenheiten kann eine qualitätsorientierte,<br />
integrierte, zeitnahe und flächendeckende Versorgung von schwerverletzten Patienten erreicht<br />
werden.<br />
117
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Abbildung 22 – Veränderungen bei den Kliniken durch die Teilnahme am TraumaNetzwerk DGU ® , in Prozent<br />
Installation von Röntenanlagen 17<br />
Veränderung der Hintergrunddienste<br />
16<br />
Veränderung der Dienstpläne<br />
20<br />
personelle Veränderungen<br />
24<br />
Installation von Ultraschallgeräten25<br />
25<br />
vertraglich festgelegte Kooperationen in Kliniken<br />
31<br />
Einführung von Schockraumleitlinien in ÜTZ<br />
32<br />
Bereitstellung von Notfall-OP-Sieben<br />
34<br />
Einführung von Schockraumleitlinien in LTZ<br />
89<br />
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Mand et al. (2012).<br />
0 20 40 60 80 100<br />
Finanzierung<br />
Finanziert wird das Projekt TraumaNetzwerk DGU ® ausschließlich durch Audit- und Teilnahmegebühren<br />
am TraumaRegister DGU ® . Dabei werden die Auditgebühren bzw. die Auditeinnahmen genutzt, um unter<br />
anderem die Mitarbeiterbesuche in den Kliniken zu finanzieren oder etwa die Homepage zu gestalten und<br />
die Betreuung durch eine Hotline zu ermöglichen.<br />
Die Teilnahmegebühren wiederum kommen der Datenbankpflege, den Evaluationsstudien und der weiteren<br />
Entwicklung des Projekts zugute. In einem Abstand von drei Jahren ist laut Versorgungskonzept eine<br />
Reauditierung vorgesehen. Für ein Audit werden 5.000 Euro veranschlagt. Für die Teilnahme am Trauma-<br />
Register DGU ® werden in den folgenden zwei Jahren je 500 Euro fällig.<br />
Management<br />
Leistungsstruktur<br />
Der Arbeitskreis zur Umsetzung des Weißbuchs Schwerverletztenversorgung und das TraumaNetzwerk<br />
(AKUT) der DGU leiten seit 2006 das TraumaNetzwerk DGU ® . 2009 wurde zusätzlich die AKUT-Lenkungsgruppe<br />
initiiert. Mitglieder der Lenkungsgruppe sind:<br />
• Sprecher AKUT<br />
• Geschäftsführer der Akademie der Unfallchirurgie der DGU (AUC)<br />
• Mitarbeiter der AKUT-Geschäftsstelle<br />
• Generalsekretär DGU<br />
• Qualitätsbeauftragter TraumaRegister DGU ® .<br />
Das Aufgabenspektrum der AKUT-Lenkungsgruppe beinhaltet die in Abbildung 23 dargestellten Aspekte.<br />
118
TraumaNetzwerk DGU ®<br />
Abbildung 23 – Aufgabenfeld der AKUT-Lenkungsgruppe<br />
Einstufung von Kliniken<br />
(Einspruchs- und Schlichtungsverfahren)<br />
Weiterentwicklung der Zertifizierung<br />
(z. B. Re-Audit) und Revision Weißbuch<br />
Abstimmung und Unterstützung<br />
bei der Zertifizierung von Netzwerken<br />
Anfragen zu Aktivitäten im TraumaNetzwerk<br />
(z. B. Fortbildung)<br />
Weiterentwicklung<br />
im internationalen Bereich<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Organisationsstruktur<br />
Um eine erfolgreiche und effektive Organisation des Projekts zu ermöglichen, arbeiten verschiedene<br />
Partner auf unterschiedlichen Ebenen zusammen.<br />
• Akademie der Unfallchirurgie der DGU (AUC)<br />
Die AUC ist verantwortlich für die wirtschaftliche Umsetzung des TraumaNetzwerks DGU ® und den Prozess<br />
der Zertifizierung. Sie ließ die Software für die Steuerung der Zertifizierung sowie eine eigene Homepage<br />
entwickeln (www.dgu-traumanetzwerk.de). Ferner nutzt sie das TraumaRegister DGU ® zur Qualitätssicherung<br />
und zum Benchmarking innerhalb des TraumaNetzwerks.<br />
• AKUT-Geschäftsstelle in Marburg<br />
Die AKUT-Geschäftsstelle ist wiederum verantwortlich, die Zertifizierung gezielt umzusetzen: Kliniken<br />
werden bei der Auditierung bzw. Zertifizierung unterstützt. Dazu wurde die Firma DIOcert GmbH (Mainz)<br />
beauftragt, deren Auditoren von der Geschäftsstelle geschult werden. Zusätzlich pflegt AKUT die Homepage<br />
des Traumanetzwerks. Die Gruppe setzt sich zusammen aus dem Sprecher des AKUT, Mitglieder der<br />
AUC und der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie am Universitätsklinikum Marburg.<br />
• Zertifizierungsunternehmen DIOcert GmbH (Mainz)<br />
Dieses Zertifizierungsunternehmen – mit seinen professionellen und gezielt am Projekt geschulten Auditoren<br />
– überprüft, ob die Erfüllung des Weißbuchs zur Schwerverletztenversorgung erfüllt sind – anhand<br />
einer sechsstündigen Begehung der Traumazentren.<br />
• Sektion Notfall-, Intensivmedizin und Schwerverletztenversorgung/DGU<br />
Diese Gruppe unterstützt bezüglich wissenschaftlicher Aspekte die AKUT-Lenkungsgruppe.<br />
119
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
• Beirat TraumaNetzwerk DGU ®<br />
Der Beirat berücksichtigt fach- und berufsübergreifende Aspekte und besteht aus folgenden Mitgliedern:<br />
ADAC, Deutsche Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin, Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie,<br />
Rettungsdienste, Ärztliche Leiter Rettungsdienste, Deutscher Verkehrssicherheitsrat, Deutsche<br />
Gesetzliche Unfallversicherung, Fach und Berufsverbände Rehabilitation, Klinikunternehmen,<br />
Kostenträger und Sozialministerien.<br />
Evaluation<br />
In einem Zeitraum von vier Jahren (2008–2011) wurden erstmalig 25.249 (100 Prozent) schwerverletzte<br />
Patienten in Bezug auf die Versorgungsqualität untersucht (Ruchholtz et al., 2013). Diese Untersuchung<br />
erfolgte ausschließlich in auditierten Kliniken.<br />
Die Analyse erfolgte anhand der Daten, welche die Kliniken im TraumaNetzwerk DGU ® verpflichtend prospektiv<br />
im TraumaRegister DGU ® dokumentieren. Das TraumaRegister DGU ® – als einziges bereits 1993<br />
gegründetes Register dieser Art in Deutschland – ermöglicht neben wissenschaftlichen Studien auch<br />
notwendige Qualitätsanalysen. Zusätzlich müssen bei einer objektiven Beurteilung der Versorgungsqualität<br />
sowohl die relevanten Behandlungszeiten als auch die Unterschiede in der Verletzungsschwere der<br />
Patienten berücksichtigt werden.<br />
Die 25.249 untersuchten Patienten waren durchschnittlich 48 Jahre alt. Der Anteil der Männer war höher.<br />
Hauptsächlich wurden die Verletzungen durch Verkehrsunfälle verursacht.<br />
Im Vergleich der Versorgungsstufen der zertifizierten Kliniken (LTZ, RTZ, ÜTZ) fielen deutliche Unterschiede<br />
auf – hinsichtlich anatomischer Verletzungen, Störungen der Vitalparameter und der Sterberaten.<br />
62 Prozent der Patienten wurden in einem ÜTZ versorgt, 32 Prozent in einem RTZ und 6 Prozent in einem<br />
LTZ (s. Abbildung 24). Der Unterschied in der Verletzungsschwere in den verschieden Versorgungsstufen<br />
konnte am Injury Severity Score sichtbar gemacht werden: der durchschnittliche Score im LTZ lag bei 19;<br />
im RZT bei 22 und im ÜTZ bei 24. Dieser Score repräsentiert die anatomische Verletzungsschwere.<br />
Abbildung 24 – Aufteilung der schwerletzten Patienten in Traumazentren<br />
6%<br />
62%<br />
32%<br />
LTZ (1.551)<br />
RTZ (7.971)<br />
ÜTZ (15.757)<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
120
TraumaNetzwerk DGU ®<br />
Aufgrund der höheren Verletzungsschwere waren die Beatmungszeit, die Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation<br />
und die gesamte Aufenthaltsdauer im ÜTZ deutlich länger (s. Abbildung 25).<br />
Abbildung 25 – Beatmungstage und Aufenthaltsdauer<br />
21,4<br />
20,0<br />
19,0<br />
15,0<br />
Beatmungstage<br />
Tage auf der Intensivstation<br />
10,0<br />
7,6<br />
9,0<br />
Krankenhausverweildauer<br />
5,0<br />
5,2 4,9<br />
3,6<br />
4,9<br />
1,7<br />
0,0<br />
LTZ RTZ ÜTZ<br />
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Arbeitskreis Umsetzung Weißbuch TraumaNetzwerk DGU ® (AKUT)<br />
(2013).<br />
Insgesamt wurde die durchschnittliche Dauer bis zur Durchführung notwendiger diagnostischer und therapeutischer<br />
Maßnahmen als gut bewertet. Die längste Zeitdauer zwischen Unfall und Eintreffen des<br />
Patienten im Krankenhaus wurde im ÜTZ gemessen: Die Patienten wurden häufiger intubiert oder aber<br />
die Strecke mit dem Hubschrauber zum ÜTZ war relativ weit.<br />
Im Laufe der ersten Klinikphase veränderten sich diese temporären Unterschiede und kehrten sich ins<br />
Gegenteil um. Die Dauer der Basisdiagnostik im ÜTZ wurde deutlich verkürzt – vermutlich aufgrund eines<br />
sogenannten Trainingseffekts, der aus höheren Fallzahlen resultierte, sowie einer verbesserten Ausstattung<br />
der Klinik.<br />
Da die Diagnostik in den ÜTZ nun weniger Zeit in Anspruch nahm, konnten auch lebensrettende Maßnahmen<br />
in kürzester Zeit durchgeführt werden. Weiterhin konnten die lebensrettenden Maßnahmen in LTZ<br />
und RTZ unter einer geringen, aber effektiven Stundenzahl gehalten werden – beispielsweise Notfalloder<br />
Schädeloperationen.<br />
Mit Hilfe von internationalen Berechnungen der TRISS (Trauma Score and the Injury Severity Score) und<br />
nationalen Methoden der sogenannten RISC war es möglich, die erwarteten Letalitäten mit den beobachteten<br />
Letalitäten zu vergleichen (Boyd et al., 1987; Huber-Wagner, 2009).<br />
Beide Methoden zur Analyse des Behandlungsergebnisses wurden als sehr aussagekräftig deklariert.<br />
Der RISC-Score erfasste eine Kalkulation von 18.306 Fällen. Der TRISS-Score wies jedoch einige Mängel<br />
121
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
auf. Aufgrund nicht konstanter Parameter wurde dieser Score seltener kalkuliert und beinhaltete somit nur<br />
12.479 Fälle.<br />
Es zeigt sich, dass die in jeder Versorgungsstufe erwarteten Letalitäten höher geschätzt wurden als die<br />
tatsächlich auftretenden Letalitäten. So wurde beobachtet, dass die Differenz zwischen erwarteter und<br />
beobachteter Letalität in Bezug auf den TRISS-Score bei 3,5 Prozent lag und in Bezug auf den RISC-Score<br />
bei 2,1 Prozent.<br />
Um die Beurteilung der Versorgungsdaten jedoch komplett zu bestätigen, fehlt es an einschlägigen Informationen.<br />
Hintergrund sind folgende Einschränkungen:<br />
1. Die Angaben der Kliniken können unvollständig sein, da eine Überprüfung der Dokumentationsqualität<br />
erst im Rahmen eines Reaudits erfolgt.<br />
2. Des Weiteren können direkte Gründe für die Unterschiede in Versorgungszeiten und Versorgungsqualität<br />
durch das TraumaRegister DGU ® nicht aufgezeigt werden.<br />
3. Außerdem wurden nur diejenigen Kliniken untersucht, die ein Audit erfolgreich bestanden haben.<br />
4. Letztendlich wurden schwerverletzte Patienten vor der Einführung des TraumaNetzwerk DGU ® nicht<br />
erfasst, sodass ein „Vorher-Nachher-Vergleich“ nicht möglich ist.<br />
Zusammenfassend zeigt sich jedoch: Mit diesem Projekt ist es erstmals gelungen, durch einen Verbund<br />
von qualifizierten Traumazentren die Versorgung Schwerverletzter in ganz Deutschland sicherzustellen.<br />
Des Weiteren hat das TraumaNetzwerk DGU ® nachweislich zu einer besseren personellen und strukturellen<br />
Infrastruktur für die Versorgung schwerverletzter Patienten geführt. Die beobachtete Letalität liegt<br />
nun signifikant unter der erwarteten Letalität.<br />
Nächste Schritte<br />
Mit der Einführung des TraumaNetzwerks DGU ® gelang es, die personelle und strukturelle Infrastruktur<br />
für die Versorgung schwerverletzter Patienten gezielt zu verbessern. Langfristig bildet dieses Projekt ein<br />
System zur ständigen Verbesserung und Aufrechterhaltung optimaler flächendeckender Schwerverletztenversorgung<br />
in der Bundesrepublik Deutschland. Von der Akutklinik bis hin zur sozialen und beruflichen<br />
Rehabilitation wird der schwerverletzte Patient nachweislich auf höchstem Niveau behandelt. Durch die<br />
Organisationsstruktur mit verpflichtenden Qualitätsmanagementsystemen und kontinuierlicher Überprüfung<br />
ist sichergestellt, dass sich die Versorgung ständig weiterentwickelt. Das Projekt TraumaNetzwerk<br />
DGU ® gilt allgemein als sehr gut akzeptiert und damit auch als sehr erfolgreich.<br />
Ansprechpartner<br />
Prof. Dr. med. Steffen Ruchholtz<br />
Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie<br />
Universitätsklinik Gießen-Marburg<br />
Baldingerstrasse<br />
35043 Marburg<br />
Telefon: 06421–586 62 16<br />
E-Mail: ruchholt@med.uni-marburg.de<br />
122
TraumaNetzwerk DGU ®<br />
Literatur<br />
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) (2011). Leitlinie „Polytrauma /<br />
Schwerverletzten-Behandlung“. www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/012-019.html; Zugriff am 10.10.2013.<br />
Boyd, C.R. et al., (1987). Evaluating trauma care: the TRISS method, Trauma Score and the Injury Severity Score, J Trauma,<br />
27:370–8. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2010). Unfallstatistik – Unfalltote und Unfallverletzte 2008<br />
in Deutschland.<br />
Celso B, Tepas J, Langland-Orban B, Pracht E, Papa L, Lottenberg L et al., (2006). A systematic review and meta-analysis<br />
comparing outcome of severely injured patients treated in trauma centers following the establishment of trauma systems.<br />
J Trauma; 60(2):371–378.<br />
Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGU) e.V. (2012). Weißbuch Schwerverletztenversorgung: Empfehlungen<br />
zur Struktur, Organisation, Ausstattung sowie Förderung von Qualität und Sicherheit in der Schwerverletzten-Versorgung<br />
in der Bundesrepublik Deutschland, 2 ed., Thieme.<br />
Haas NP, von Fournier C, Tempka A, Sudkamp NP (1997). Trauma center 2000. How many and which trauma centers does<br />
Europe need around the year 2000? Unfallchirurg; 100(11):852–858.<br />
Huber-Wagner, S. et al., (2009). Working Group on Polytrauma of the German Trauma, society Effect of whole-body CT during<br />
trauma resuscitation on survival: a retrospective, multicentre study, 373:1455–61, Lancet.<br />
Kuhne CA, Ruchholtz S, Buschmann C, Sturm J, Lackner CK, Wentzensen A et al., (2006). Trauma centers in Germany. Status<br />
report. Unfallchirurg; 109(5):357–366.<br />
Liener UC, Rapp U, Lampl L, Helm M, Richter G, Gaus M et al., (2004). Incidence of severe injuries. Results of a populationbased<br />
analysis. Unfallchirurg; 107(6):483–490.<br />
Mand, C. et al., (2012). Organizational, personnel and structural alterations due to participation in TraumaNetwork DGU, The<br />
first stocktaking, Unfallchirurg, 115(5):417–426.<br />
Nathens, A.B. et al., (2004). Development of trauma systems and effect on outcomes after injury, 363(9423):1794–1801, Lancet.<br />
Ruchholtz, S. et al., (2013). Improving the quality of trauma care by implementation of a statewide trauma network, Ann Surg.<br />
Ruchholtz, S. et al., (2012). Regionalisation of trauma care in Germany: the „TraumaNetwork DGU-Project“, Eur J Trauma<br />
Emerg Surg, 38:11–17.<br />
Statistisches Bundesamt (2011). Unfallentwicklung auf deutschen Straßen 2010. Arbeitskreis Umsetzung Weißbuch Traumanetzwerk<br />
DGU ® (AKUT) (2013). Die flächendeckende.<br />
Verbesserung der Schwerverletztenversorgung in Deutschland durch das TraumaNetzwerk DGU ® der Deutschen Gesellschaft<br />
für Unfallchirurgie.<br />
123
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
4sigma<br />
Diabetes Prävention Fit heute – fit morgen<br />
Autor: Ralf Pourie<br />
Management Summary<br />
Fit heute – fit morgen ist ein Projekt zur Diabetesprävention, das gemeinsam von der 4sigma GmbH und<br />
der Schwenninger Krankenkasse durchgeführt wurde. Für die Gruppe der sogenannten „Best-Ager“ (35–<br />
55 Jährige) sollte ein effizientes Präventionsprogramm entwickelt werden, das sich flächendeckend umsetzen<br />
lässt.<br />
Die meisten Diabetes-Typ-2-Erkrankungen sind Folge eines dauerhaft ungesunden Lebensstils und könnten<br />
mit einfachen Präventionsmaßnahmen vermieden werden – wie einer Ernährungsumstellung oder<br />
einer aktiveren Lebensgestaltung. Doch gerade bei älteren Menschen sind diese Lebensstiländerungen<br />
nur schwer zu erreichen. Das Projekt Fit heute – fit morgen setzt deshalb bei den „Best-Agern“ an; es<br />
will potentiell gesundheitsgefährdete Menschen bereits in den besten Jahren erreichen und sie fit fürs<br />
Alter machen. Hierzu prüften die Projektpartner, ob gängige Schulungsmaßnahmen zur gesunden Ernährung<br />
und aktiver Lebensgestaltung effizienter und flächendeckend umsetzbar sind, wenn diese durch<br />
eine kompetente Beratung und eine kosteneffiziente telemetrische Unterstützung über längere Zeit begleitet<br />
werden.<br />
An dem 12-monatigen Projekt nahmen 184 Personen teil. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung<br />
förderte Fit heute – fit morgen als eines von drei Industrieprojekten im Rahmen des Verbundprojektes<br />
Lifescience.biz. Weitere Projektpartner waren das Fraunhofer Institut für Arbeitsorganisation in<br />
Stuttgart sowie das Institut für Klinische Chemie der Universität Magdeburg.<br />
Umsetzung<br />
Für die Teilnahme am Projekt Fit heute – fit morgen kamen Personen im Alter zwischen 35–55 Jahren in<br />
Frage, die bereits eindeutige Gesundheitsrisiken aufwiesen, wie Übergewicht, Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen,<br />
jedoch noch keine Folgeerkrankungen entwickelt hatten, etwa Diabetes mellitus<br />
Typ 2 oder koronare Herzerkrankungen. Interessenten wurden über drei Rekrutierungswege gewonnen:<br />
eine Maßnahme zur betrieblichen Gesundheitsförderung von acht Betrieben in Baden-Württemberg, ein<br />
Präventionsprogramm für Krankenversicherte der Schwenninger Krankenkasse und ein universitätsgestütztes<br />
Präventionsprogramm für die regionale Bevölkerung.<br />
Zu Beginn des Projekts wurden die Studienteilnehmer in drei Gruppen aufgeteilt. Sämtliche Teilnehmer<br />
erhielten standardmäßig eine zweistündige Gruppenschulung vor Ort, einen praxisorientierten Ratgeber<br />
sowie drei ärztliche Folgeuntersuchungen im Abstand von je vier Monaten. Je nach Gruppenzugehörigkeit<br />
erhielten die Teilnehmer nach der Gruppenschulung eine unterschiedliche Betreuung, die sich im<br />
Wesentlichen in der Frequenz und dem Medium der Beratung unterschied (s. Tabelle 14).<br />
124
4sigma • Diabetes Prävention Fit heute – fit morgen<br />
Tabelle 14 – Übersicht über die Beratungsgruppen im Projekt Fit heute – fit morgen<br />
Betreuungsgruppe<br />
Standardschulung<br />
Gruppenschulung &<br />
Infobroschüre<br />
Ärztliche Eingangs-,<br />
Verlaufs- und Abschlussuntersuchungen<br />
(0–4–8–12 Monate)<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Betreuungsgruppe Telefon (4sigma)<br />
Gruppenschulung & Infobroschüre<br />
Ausstattung mit AiperMotion für<br />
12 Monate<br />
Individuelle monatliche telefonische<br />
Begleitung<br />
Ärztliche Eingangs-, Verlaufsund<br />
Abschlussuntersuchungen<br />
(0–4–8–12 Monate)<br />
Betreuungsgruppe Brief (Universität)<br />
Gruppenschulung & Infobroschüre<br />
Ausstattung mit AiperMotion für<br />
12 Monate<br />
Schriftliche wöchentliche Feedbackberichte<br />
durch Universität Magdeburg<br />
Ärztliche Eingangs-, Verlaufsund<br />
Abschlussuntersuchungen<br />
(0–4–8–12 Monate)<br />
Die Auswertung der Daten brachte wichtige Erkenntnisse für die Entwicklung weiterer Präventionsprogramme.<br />
Ein einjähriges Motivations- und Schulungsprogramm, das telemetrische technische Hilfsmittel<br />
einsetzt, um zur körperlichen Aktivität zu animieren und Ernährungsgewohnheiten zu steuern, konnte<br />
deutlich effektiver und statistisch signifikant Gesundheitsrisiken bekämpfen als herkömmliche Präventionsmaßnahmen.<br />
Zudem erwies sich das Programm als eine sinnvolle und wirksame Ergänzung im Maßnahmenkatalog<br />
zur Diabetes-Prävention.<br />
Hinsichtlich der Akzeptanz und Compliance bei den Teilnehmern zeigte sich, dass Präventionsangebote<br />
besser angenommen und konsequenter durchgeführt werden, wenn sich die Teilnehmer als Mitglied einer<br />
Gruppe verstehen und sich – idealerweise persönlich – mit anderen Programmteilnehmern austauschen<br />
können. Dies hilft den Teilnehmern, sich gegenseitig zu motivieren und problematische Phasen<br />
gemeinsam durchzustehen.<br />
Nächste Schritte<br />
Aufgrund der Studienergebnisse des Projekts Fit heute – fit morgen entwickelte die 4sigma GmbH gemeinsam<br />
mit der Schwenninger Krankenkasse ein prototypisches Programm zur Diabetes-Primärprävention,<br />
das heute jedem Kostenträger für eine flächendeckende Anwendung angeboten werden kann.<br />
Perspektivisch soll eine Ausdehnung des Projektes auf weitere Zielgruppen erfolgen, um je nach gesundheitlicher<br />
Risikokonstellation eine Altersgruppe gezielt ansprechen und mit einem aktiven Lebensstil vertraut<br />
machen zu können.<br />
Ansprechpartner<br />
Ralf Pourie<br />
Geschäftsführer<br />
4sigma GmbH<br />
Bajuwarenring 19<br />
82041 Oberhaching<br />
Telefon: 089–950 084 460<br />
E-Mail: ralf.pourie@4sigma.de<br />
125
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Albertinen Herz- und Gefäßzentrum<br />
Regelhafte Implantation MRT-fähiger Schrittmacher<br />
Autor: Dirk Krollner<br />
Management Summary<br />
Seit Anfang des Jahres 2012 führt das Albertinen Herz-und Gefäßzentrum die regelhafte Implantation<br />
von MRT-fähigen Schrittmachern bei seinen Patienten durch. Magnetresonanztomographie-Untersuchungen<br />
gefährdeten bisher das Leben der Träger von Herzschrittmachern und waren daher strikt<br />
verboten. Die Patienten mussten für die Diagnostik des Weichteilgewebes mit Computertomographien<br />
(CT) Vorlieb nehmen – eine im Vergleich mit dem MRT deutlich unterlegene Methode und verbunden<br />
mit hoher Strahlendosis.<br />
Mit dem innovativen Vorgehen des Albertinen Herz- und Gefäßzentrums wird es Patienten mit Schrittmacher<br />
nun möglich, die Vorteile der MRT-Diagnostik zu nutzen. In Anbetracht der hohen Prävalenz von<br />
Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird so einer breiten Bevölkerungsschicht ein medizinischer Mehrwert geboten.<br />
Zudem wird bei den Betroffenen das Bewusstsein für unnötige Strahlenbelastung geschult.<br />
MRT-fähige Schrittmacher werden derzeit von den Kostenträgern (noch) nicht vergütet. Die Albertinen-<br />
Gruppe hat eine Vorreiterrolle übernommen und implantiert die neuen Herzschrittmacher regelhaft an<br />
den Standorten Albertinen-Krankenhaus und Evangelisches Amalie-Sieveking-Krankenhaus. Erste Kliniken<br />
wie das Klinikum Delmenhorst haben sich der Idee bereits angeschlossen.<br />
Umsetzung<br />
Der Einsatz eines Schrittmachers bei Patienten mit zu langsamen Herzschlag zählt zu den etablierten<br />
Therapieformen in der Kardiologie, brachte für die Patienten bisher jedoch den Nachteil mit sich, dass sie<br />
ein absolutes Verbot für MRT-Untersuchungen hatten. MRTs sind aber die Diagnostikmethode erster<br />
Wahl für die Darstellung von Weichteilgewebe wie des Nervensystems, zur Früherkennung von Schlaganfällen<br />
und zur Erkennung von muskuloskeletalen Erkrankungen. Für Patienten mit Herzschrittmachern<br />
blieb als Diagnosemethode ausschließlich die Computertomographie (CT). Diese ist jedoch mit einer<br />
hohen Strahlenbelastung verbunden und gegenüber dem MRT deutlich ungenauer.<br />
Herkömmliche Schrittmacher werden durch die Magnetfelder einer MRT beeinträchtigt. Hauptproblem<br />
stellen dabei die Elektroden dar, über die der Schrittmacher mit dem Herzen in Verbindung steht. Die<br />
Elektroden messen die elektrische Aktivität des Herzens und geben die Impulse des Schrittmachers an<br />
den Herzmuskel ab – damit das Herz schlägt, auch wenn es selber keinen elektrischen Impuls aussendet.<br />
Die vom MRT erzeugte magnetische Energie wird von herkömmlichen Schrittmachern aufgenommen<br />
und zur Spitze der Elektrode geführt. An dieser Stelle wird sie gebündelt und kann so stark werden, dass<br />
im Gewebe Vernarbungen entstehen. Werden diese Vernarbungen zu groß, kann das Gewebe keine<br />
elektrischen Ströme mehr leiten und der Schrittmacher seine Funktion nicht mehr erfüllen.<br />
126
Albertinen Herz- und Gefäßzentrum<br />
Herstellern von Herzschrittmachern ist es nun vor kurzem gelungen, MRT-kompatible Geräte herzustellen<br />
und auf den Markt zu bringen. Bei diesen Geräten ist es möglich, einen MRT-Modus zu aktivieren, der<br />
das Gerät gegen das Magnetfeld abschirmt.<br />
Das Albertinen Herz-und Gefäßzentrum setzte diese neuen Geräte zunächst nur bei sehr jungen Patienten<br />
ein sowie bei Patienten, bei denen eine Kernspinuntersuchung bereits absehbar war. Zwar ist es<br />
hochwahrscheinlich, dass Herzschrittmacherpatienten im Laufe ihres Lebens eine MRT-Untersuchung<br />
benötigen, jedoch ist es schwierig, eine konkrete Bedarfsgruppe vorherzusagen. Aktuelle Studien zu<br />
MRT-fähigen Schrittmachern kommen zu positiven Ergebnissen, was in Fachkreisen zur aktuellen Diskussion<br />
um eine flächendeckende Implementierung führte. Aufgrund dieser Ergebnisse schätzte man im<br />
Albertinen Herz-und Gefäßzentrum die reguläre Implantation der neuen Geräte als sinnvoll ein und entschied<br />
sich, die innovativen Geräte bei allen Patienten einzusetzen. Auch wenn dies – aufgrund noch<br />
mangelnder Vergütung durch die Kostenträger – für die Klinik mit mehreren hundert Euro Mehrkosten<br />
verbunden ist, wird die Behandlung seit 2012 an den Standorten Albertinen-Krankenhaus und am Evangelischen<br />
Amalie-Sieveking-Krankenhaus durchgeführt.<br />
Herzschrittmacher-Patienten des Albertinen Herz-und Gefäßzentrum können dank der innovativen Behandlungsmethode<br />
von der MRT-Diagnostik profitieren – sogar im Bereich der Brustkorborgane und des<br />
Herzens. Dies bedeutet für die Betroffenen eine effektive Maßnahme zur Vermeidung von Strahlenbelastung;<br />
strahlenbedingten Gesundheitsschäden wird somit vorgebeugt.<br />
Nächste Schritte<br />
Das Albertinen Herz- und Gefäßzentrum strebt die Umsetzung eines flächendeckenden Einsatzes von<br />
MRT-fähigen Herzschrittmachern in Deutschland an. Derzeit sind die neuen Geräte noch sehr teuer. Damit<br />
sie zu wirtschaftlichen Preisen angeboten werden können bzw. die Kosten in die Fallpauschalenvergütung<br />
des DRG-Systems aufgenommen werden, müssen die Krankenkassen vom qualitativen Mehrwert<br />
der Behandlung überzeugt werden. Hierfür benötigt es aus Sicht des Albertinen Herz- und<br />
Gefäßzentrums weitere innovativ denkende Kliniken und Praxen, die eine Vorreiterrolle übernehmen.<br />
Denn nur wenn viele Kliniken dem Beispiel folgen und nicht renditeorientiert, sondern in erster Linie nach<br />
Qualitätsgesichtspunkten agieren, kann ein echter Mehrwert für die Patientenversorgung geschaffen<br />
werden. Dies ist die Grundlage, um neue Behandlungsformen in den Leistungskatalog aufzunehmen, die<br />
dem Wirtschaftlichkeitsgebot im Sozialgesetzbuch entsprechen.<br />
Ansprechpartner<br />
Dr. Dirk Krollner<br />
Leiter des Albertinen Herz- und Gefäßzentrums der Albertinen Gruppe<br />
Albertinen Herz- und Gefäßzentrum<br />
Süntelstraße 11a<br />
2257 Hamburg<br />
Telefon: 040 – 5588 6808<br />
E-Mail: dirk.krollner@albertinen.de<br />
www.albertinen-herzzentrum.de<br />
127
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Asklepios Klinik St. Georg<br />
Prävention und Frühdiagnostik von Diabetes mellitus Typ 2 durch<br />
aktives Screening von Patienten mit koronarer Herzerkrankung<br />
Autoren: Martin Merkel und Dirk Müller-Wieland<br />
Management Summary<br />
Die Prävalenz der Volkskrankheit Diabetes mellitus Typ 2 ist in Deutschland sehr hoch. Betroffen sind<br />
rund fünf Millionen Menschen. Zusätzlich wird von einer Dunkelziffer von etwa drei Millionen ausgegangen<br />
sowie von etwa sechs Millionen Prä-Diabetikern. Diabetes mellitus und das Metabolische Syndrom<br />
zeigen sich dabei als typische Risikofaktoren für vaskuläre Erkrankungen. So besteht bei diesen Patienten<br />
sehr häufig ein Prä- oder bereits ein manifester Diabetes.<br />
Das in 2008 initiierte Projekt der Asklepios Klinik St. Georg in Form einer Zusammenarbeit der diabetologischen<br />
und der kardiologischen Abteilungen hat daher zum Ziel, bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung<br />
(KHK) oder anderen arteriosklerotischen Erkrankungen einen bislang unbekannten Diabetes mellitus<br />
zu identifizieren. Das Screening erfolgt mit Hilfe eines oralen Glukosetoleranztests (oGTT), dem Goldstandard<br />
zur Diagnostik eines Diabetes mellitus. Die frühzeitige Entdeckung soll für diese Patienten präventive<br />
Maßnahmen ermöglichen – um das Erkrankungsrisiko zu senken bzw. bei einem bestehenden Diabetes<br />
die Versorgung zu verbessern.<br />
Eine erste Auswertung der Daten der Asklepios Klinik zeigte, dass bei einem Viertel der 1.410 untersuchten<br />
KHK-Patienten ein Diabetes mellitus und bei einem Drittel ein Prä-Diabetes entdeckt werden konnte.<br />
Für zwei weitere Projekte wurden finanzielle Mittel beantragt.<br />
Umsetzung<br />
Auf den Stationen des Herz-Gefäß und Diabetes-Zentrums der Asklepios Klinik St. Georg, insbesondere<br />
auf den Stationen der Kardiologie erfolgte das Screening bei Patienten (vorwiegend mit KHK) auf Diabetes<br />
mellitus mittels Glukosetoleranztests (oGTT). Dieser Test gilt als Goldstandard zur Diagnostik und wird<br />
von der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) genauso empfohlen wie von der Deutschen Gesellschaft<br />
für Kardiologie (DGK). Eine erste Auswertung der bisher durchgeführten Tests ergab, dass bei 26<br />
Prozent der 1.410 untersuchten Patienten ein Diabetes mellitus vorlag; bei weiteren 35 Prozent ein Prä-<br />
Diabetes (s. Abbildung 26).<br />
Um eine Unterdiagnose der Erkrankung zu vermeiden, muss ein oGTT durchgeführt werden; die alleinige<br />
Bestimmung des HbA1c-Wertes als Diagnosekriterium ist nicht ausreichend. Diese Schlussfolgerung war<br />
möglich, da von der Mehrzahl der Patienten gleichzeitig ein HbA1c-Wert vorlag. Nach dem Screening wurden<br />
die Ergebnisse dem jeweiligen Hausarzt übermittelt. Die Patienten wurden therapiert beziehungsweise<br />
hinsichtlich Prävention und Lebensstiländerung beraten. In den Stationen, auf denen der Test durchgeführt<br />
wurde, waren die Mitarbeiter im Anschluss für die Erkrankung Diabetes mellitus sensibilisiert. Auf<br />
Grundlage einer besseren Koordinierung konnte auch eine bessere Versorgung gewährleistet werden.<br />
128
Asklepios Klinik St. Georg<br />
Abbildung 26 – Screening von Patienten mit Arteriosklerose mittels oGTT auf Diabetes<br />
1500<br />
1<br />
0,8<br />
1000<br />
0,6<br />
oGTT (n)<br />
500<br />
0,4<br />
oGTT (%)<br />
0,2<br />
0<br />
Gesamt<br />
Normal<br />
IFT<br />
IGT<br />
Diabestes<br />
neu<br />
0<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Nächste Schritte<br />
Nach Zusage der Finanzierung soll im Rahmen zweier weiterer zweijähriger wissenschaftlicher Projekte<br />
zum einen das Screening mittels oGTT intensiviert werden, zum anderen ist das Ziel, zusätzliche Untersuchungen<br />
durchzuführen sowie in einer Datenbank zu dokumentieren (z. B. Bestimmung des HbA1c-<br />
Wertes, Blutproben). Unterstützen könnte eine Medizinische Fachangestellte, die täglich anwesend ist.<br />
Um weitere oder gar bessere Plasmaparameter zur Früherkennung eines Diabetes zu entwickeln, werden<br />
die Resultate im Zusammenhang ausgewertet. Darüber hinaus werden Hausärzte gesondert schriftlich<br />
über die Ergebnisse informiert; eine Weiterbehandlung wird empfohlen. Das kann zu einer stärkeren Vernetzung<br />
der Sektoren führen. Prä-Diabetikern wird eine Schulung zur Prävention angeboten. Die Patienten<br />
mit einem entdeckten Diabetes erhalten neben therapeutischen Maßnahmen eine Lebensstilintervention<br />
sowie eine Schulung.<br />
Um die Effektivität von Prävention und Diagnostik von Diabetes bei Patienten mit KHK durch ein oGTT-<br />
Screening zu demonstrieren, sollen in einem zweiten Projekt die Lebensqualität erhoben werden, die<br />
Therapie, der aktuelle HbA1c-Wert sowie eventuelle Diabetes-Komplikationen. Anhand eines standardisierten<br />
Fragebogens werden die bisher untersuchten 1.410 Patienten und deren behandelnden Ärzte telefonisch<br />
interviewt. Zusammen mit einem externen Institut soll das Projekt anschließend evaluiert werden.<br />
129
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Ansprechpartner<br />
Prof. Dr. med. M. Merkel<br />
Prof. Dr. med. D. Müller-Wieland<br />
1.Medizinische Abteilung<br />
Asklepios Klinik St. Georg<br />
Lohmühlenstr. 5<br />
20099 Hamburg<br />
Telefon: 040 – 181 885-2352<br />
E-Mail: m.merkel@asklepios.com<br />
130
Bezirkskrankenhaus Bayreuth<br />
Bezirkskrankenhaus Bayreuth<br />
Telehealth im Smarthome – Teletherapie von Sprachstörungen<br />
bei Parkinson-Patienten<br />
Autor: Bettina Hoffmann und Matthias Keidel<br />
Management Summary<br />
Innerhalb des Modellprojekts „Telehealth im Smarthome“ werden Parkinson-Patienten mit rigid-hypokinetischen<br />
Dysarthrien telemedizinisch mit Sprach- und Sprechtherapie versorgt. Die Patienten kommunizieren<br />
dabei zeitsynchron, online – dialogisch mit ihren Ärzten und Therapeuten über eine internetbasierte<br />
Bild- und Tonübertragung (screen to screen).<br />
Auf diese Art und Weise wird dem motorisch eingeschränkten Parkinsonpatienten ermöglicht, mit einer<br />
effektiven Frequenz an einer Sprachtherapie teilzunehmen. Zudem ist Telehealth im Smarthome eine<br />
Antwort auf medizinisch unterversorgte Gebiete und die mangelnde Infrastruktur auf dem Land.<br />
Das Bezirkskrankenhaus Bayreuth initiierte das Modellprojekt 2011. Eine erste Evaluation im November<br />
2012 konnte zeigen, dass Patienten eine verbesserte Kommunikations- und Teilhabemöglichkeit erleben<br />
– was zu einer erhöhten Lebensqualität führt.<br />
Umsetzung<br />
Parkinson ist eine der häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen des Nervensystems, an der insbesondere<br />
ältere Menschen erkranken. Typische Symptome sind unter anderem Bewegungsmangel, Zittern<br />
(Tremor), erhöhte Muskelspannungen und Gleichgewichtsstörungen. 90 Prozent der Patienten leiden<br />
zudem unter Sprechstörungen. Die Folge ist häufig eine geringere Teilnahme an sozialer Interaktion, was<br />
zu starken Einschränkungen in der Lebensqualität führen kann. Diese Beeinträchtigungen können therapeutisch<br />
behandelt werden. Allerdings ist die Organisation der poststationäre Behandlung insbesondere<br />
in ländlichen Regionen nicht immer einfach.<br />
Die neurologische Klinik des Bezirkskrankenhauses Bayreuth bietet als Lösung eine Telesprachtherapie<br />
an: Der Patient kann in seiner häuslichen Umgebung verbleiben und so im ambulanten und poststationären<br />
Rahmen an dem Sprechtraining teilnehmen. Diese therapeutische Leistung wird im Smarthome zur<br />
Unterstützung eines ‚ambient assistant living’ via Internet realisiert, als interaktiver, audiovisueller Dialog.<br />
Dafür erhält der Patient einen Behandlungskoffer, indem sich alle notwendigen technischen Geräte befinden.<br />
Patient und Therapeut agieren in Echtzeit miteinander.<br />
Diese technologisierte Therapieleistung erspart dem Patienten aufwendige Wege und ermöglicht eine<br />
therapeutische Betreuung im eigenen Wohnzimmer. Die Therapiefrequenz kann gesteigert werden.<br />
Durch Telehealth im Smarthome kann zum einen die geringe Dichte an Fachtherapeuten ausgeglichen<br />
werden, zum anderen müssen durch das Telemedizinkonzept die motorisch eingeschränkten Patienten<br />
nicht den Weg in eine Praxis oder Klinik auf sich nehmen, sodass weniger Patiententransferleistungen<br />
erbracht werden müssen.<br />
131
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
In einer prospektiven Studie von 2005 bis 2008 wurde die Effizienz der virtuellen Telesprachtherapie<br />
(screen to screen) im Vergleich zur klassischen Therapie (face to face) bei Patienten mit Aphasie (Störung<br />
der Sprachverarbeitung) geprüft. Das Bayrische Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und<br />
Frauen finanzierte die Studie. Die Ergebnisse zeigten, dass sich die Sprachdefizite in beiden Gruppen signifikant<br />
verbesserten. Auch von Patientenseite wird dieses Ergebnis bestätigt: die Fähigkeit zu kommunizieren<br />
und die Teilnahme am Alltagsleben verbesserten sich – die Lebensqualität stieg an.<br />
Das aktuelle Modellprojekt wurde 2011 von der Neurologischen Klinik im Bezirkskrankenhaus Bayreuth<br />
mit einer voraussichtlichen Dauer von zwei Jahren gestartet. Die technische Umsetzung erfolgt in Kooperation<br />
mit dem Zentrum Teleneurologie des Universitätsklinikums Erlangen. Der Therapieerfolg wird unter<br />
anderem durch den Bewertungsbogen der LSVT-Foundation sowie dem Voice-Handicap-Index (VHI) evaluiert.<br />
Abbildung 27 – Voice-Handicap-Index (VHI) nach 4-wöchiger LSVT-Teletherapie<br />
Voice Handicap Index (VHI)<br />
140<br />
120<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
Vorher<br />
Nachher<br />
P F E<br />
0<br />
vorher<br />
nachher<br />
vorher<br />
nachher<br />
vorher<br />
nachher<br />
vorher<br />
nachher<br />
vorher<br />
nachher<br />
vorher<br />
nachher<br />
vorher<br />
nachher<br />
vorher<br />
nachher<br />
1 2 3 4 5 6 7 8<br />
Patienten<br />
P= Physisch; F=Funktionell; E=Emotional<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Eine erste Zwischenanalyse der acht in die Studie eingebundenen Parkinson-Patienten wurde bereits im<br />
November 2012 durchgeführt und führte zu folgenden Ergebnissen: Bei einer durchgehend guten Compliance<br />
der Patienten veränderte sich die Sprachfähigkeit bei jedem Teilnehmer positiv. Der VHI, ein Indikator<br />
für die subjektive Belastung aufgrund der Stimmstörung nahm ab (s. Abbildung 27).<br />
Die Ergebnisse weisen auf eine hohe Effizienz der Telesprachtherapie hin. Patienten gaben aufgrund ihrer<br />
verbesserten Fähigkeit zum sozialen, kommunikativen Miteinander eine verbesserte Lebensqualität an.<br />
132
Bezirkskrankenhaus Bayreuth<br />
Nächste Schritte<br />
Zukünftig soll das Programm von „jungen Kranken“ auf „alte Gesunde“ ausgedehnt werden, um dem<br />
demographischen Wandel zu begegnen. Für ältere multimorbide und pflegebedürftige Menschen bzw.<br />
für Menschen mit einer motorischen Behinderung (z. B. Schlaganfall, Querschnittslähmung, Multiple<br />
Sklerose) können zusätzliche Telemedizinkonzepte angeboten werden; dem Versorgungsengpass wird<br />
begegnet.<br />
Ansprechpartner<br />
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Matthias Keidel<br />
Chefarzt Klinik für Neurologie<br />
Schmerzambulanz<br />
Bezirkskrankenhaus Bayreuth<br />
Nordring 2<br />
95445 Bayreuth<br />
Telefon: 0921 – 283-3300<br />
E-Mail:<br />
matthias.keidel@bezirkskrankenhaus-bayreuth.de<br />
www.bezirkskrankenhaus-bayreuth.de<br />
Bettina Hoffmann M.A.<br />
Neurolinguistin<br />
Klinische Linguistin (BKL)<br />
Bezirkskrankenhaus Bayreuth, Klinik für Neurologie<br />
Nordring 2<br />
95445 Bayreuth<br />
Telefon: 0921 – 283-6432<br />
E-Mail:<br />
bettina.hoffmann@bezirkskrankenhaus-bayreuth.de<br />
www.bezirkskrankenhaus-bayreuth.de<br />
133
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Das Düsseldorfer Modell<br />
Integrierte Versorgung der frühen Arthritis<br />
Autor: Hans-Eckhard Langer<br />
Management Summary<br />
Ziel des Modellprojekts ist es, die frühe rheumatoide Arthritis frühzeitig zu diagnostizieren und adäquat zu<br />
therapieren – durch eine sektorübergreifende, aufeinander abgestimmte und individuelle Versorgung. Zudem<br />
sollen Ressourcen kosteneffektiver eingesetzt und administrative Hürden abgebaut werden.<br />
Externe Evaluationsergebnisse über bis zu 7 Jahre deuten darauf hin, dass durch das integrierte Versorgungsmodell<br />
eine hohe Ergebnisqualität erreicht wird – bei optimiertem Ressourceneinsatz.<br />
Das Integrierte Versorgungsprojekt nach § 140 a-d SGB V startete am 01. Juli 2005. Zurzeit sind mehr als<br />
600 Patienten eingeschrieben. Das Konzept ist in Deutschland bislang einzigartig. Vertragspartner sind<br />
RHIO (Rheumatologie, Immunologie, Osteologie) Düsseldorf mit einer rheumatologischen Schwerpunktpraxis,<br />
das Evangelische Krankenhaus (EVK) Düsseldorf, die KV Consult der Kassenärztlichen Vereinigung<br />
Nordrhein (KVNo) sowie auf Kassenseite die DAK Gesundheit (anfangs DAK und Hamburg Münchener<br />
Krankenkasse HMK). Finanziert wird das Modell über risikoabhängige Komplexpauschalen.<br />
Umsetzung<br />
Für das Projekt wurde gemeinsam mit Hausärzten ein Screening-Tool entwickelt. Mit diesem sollen Hausoder<br />
Fachärzte möglichst innerhalb der ersten 16 Wochen nach Krankheitsbeginn eine frühe Arthritis<br />
identifizieren. Im Anschluss werden Risikopatienten an die Früharthritis-Klinik überwiesen. Dort werden<br />
ein zweites, erweitertes Screening sowie eine Basisdiagnostik durchgeführt. Auf Basis der Untersuchungen<br />
wird ein patientenindividueller Score ermittelt, der den Krankheitsverlauf vorhersagt. Bei Patienten<br />
mit einem Score zwischen 0 und 2 verläuft die Krankheit mit einer Wahrscheinlichkeit von über 75 Prozent<br />
günstig; sie werden nur niederschwellig fachrheumatologisch mitbehandelt, sollen sich aber zu drei<br />
weiteren Nachkontrollen in der Früharthritisklinik vorstellen. Patienten mit einem hohen Risiko für einen<br />
ungünstigen, chronischen Verlauf (Score 3 bis 13) erhalten weitere diagnostische Maßnahmen. Nach einem<br />
zweiten Scoring und einer abschließenden Gesamtbeurteilung durch den Rheumatologen wird der<br />
Patient in eine von vier Risikogruppen eingeteilt. Alle drei Monate wird die Einstufung überprüft und gegebenenfalls<br />
angepasst. Je nach Risikogruppe werden unterschiedliche, risikobezogene Therapien eingeleitet.<br />
Alle Patienten erhalten zudem die strukturierte Patientenschulung „Chronische Polyarthritis/rheumatoide<br />
Arthritis“ der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie. Das Therapiekonzept ist generell<br />
gekennzeichnet durch ein engmaschiges Therapie- und Verlaufsmonitoring, eine outcome-orientierte<br />
Therapiesteuerung/Adaptation/Modifikation sowie durch die Koordination und Kooperation aller am Versorgungsprozess<br />
Beteiligten. Dadurch wird die Versorgung optimiert und an die individuellen Bedürfnisse<br />
angepasst.<br />
134
Das Düsseldorfer Modell • Integrierte Versorgung der frühen Arthritis<br />
Nächste Schritte<br />
Das Modellprojekt wurde nach Abschluss der Anschubfinanzierung der Integrierten Versorgung in die<br />
Regelfinanzierung überführt. Ein Integrierter Versorgungsvertrag mit der BKK ESSANELLE wurde am<br />
01.07.2010 unterzeichnet und erweitert das Düsseldorfer Modell auf alle entzündlich-rheumatischen Erkrankungen.<br />
Das Projekt ist also auf andere Settings übertragbar. Bei optimierten Ressourceneinsatz<br />
steigert es die Ergebnisqualität. Das integrative, risikobezogene Versorgungsmodell kann also als gelungenes<br />
Beispiel eines neuartigen Versorgungsansatzes in der Rheumatologie bezeichnet werden.<br />
Ansprechpartner<br />
Priv. Doz. Dr. med. Hans-Eckhard Langer<br />
RHIO (Rheumatologie, Immunologie, Osteologie) Düsseldorf<br />
Fürstenwall 99<br />
40217 Düsseldorf<br />
Telefon: 0211–520 666 0 oder -11<br />
E-Mail: Dr.Langer@rheuma-online.de<br />
135
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
DermISplus<br />
Dermatoonkologische Versorgung von Immunsupprimierten Patienten<br />
Autor: Wolfgang Bölter<br />
Management Summary<br />
Patienten mit einer Organtransplantation haben aufgrund der transplantationsbedingten Immunsuppression<br />
ein bis zu 20-fach erhöhtes Risiko, an Hauttumoren zu erkranken. Hierbei ist insbesondere eine rasche<br />
Progredienz von aktinischen Keratosen zu aggressiv wachsenden invasiven Plattenepithelkarzinomen<br />
von Bedeutung. Das Versorgungsprojekt DermISplus bietet für diese Patienten eine optimale,<br />
risikoadjustierte und dermatoonkologische Nachsorge. Das Projekt will Qualität, Wirtschaftlichkeit, Patientenorientierung<br />
und Behandlungssicherheit innerhalb des gesamten Versorgungsprozesses optimieren.<br />
Initiiert und entwickelt wurde das Versorgungsmodell durch den DermIS-Arbeitskreis, bestehend aus<br />
onkoderm e.V., dem Facharztnetz niedergelassener Dermatologen mit Schwerpunkt Dermatoonkologie<br />
und spezialisierten dermatologischen Fachkliniken in räumlicher oder institutioneller Nähe zu den wichtigsten<br />
Transplantationszentren Deutschlands. Für die Projektumsetzung wurde als koordinierende Stelle<br />
die GSB Deutsche Gesundheitssystemberatung GmbH beauftragt.<br />
Basierend auf den Regelungen zur Integrierten Versorgung nach § 140 a-d SGB V wurde ein strukturiertes,<br />
dermatoonkologisches Versorgungskonzept entwickelt.<br />
Umsetzung<br />
Ein umfassendes Versorgungskonzept, das verhindert, nach einer Organtransplantation frühzeitig an<br />
Hautkrebs zu erkranken, ist selten und noch nicht Bestandteil des gesetzlichen Leistungskatalogs. Im<br />
Rahmen von DermISplus sollen einerseits Behandlungs- und Lebensqualität von organtransplantierten<br />
Patienten verbessert und andererseits Morbidität, Folgeerkrankungen und Krankheitsprogressionen verhindert<br />
werden, indem präventive und kurative dermatoonkologische Leistungen vernetzt werden und<br />
die Zusammenarbeit mit allen am Behandlungsprozess beteiligten – besonders qualifizierten – Akteuren<br />
intensiviert wird. Bei bereits bestehenden Hautkrebserkrankungen bietet DermISplus eine ambulante,<br />
spezialfachärztliche Behandlung an. Durch sie können u.a. auch stationäre Leistungen – primäre Behandlungen<br />
oder zum Teil mehrfache Rehospitalisierungen – vermieden werden.<br />
Das Integrierte Versorgungskonzept beinhaltet folgende Leistungen:<br />
• Einschreibung und Beratung der Patienten<br />
• Frühzeitige Sanierung von aktinischen Keratosen und Screeningmaßnahmen zur Verhinderung des Entstehens<br />
von Plattenepithelkarzinomen, Schulung der Patienten, z. B. zum UV-Schutz und Sicherung der<br />
Patientenadhärenz<br />
• Sektorübergreifende Therapieplanung<br />
136
DermISplus • Dermatoonkologische Versorgung von Immunsupprimierten Patienten<br />
• Jährlich abgestimmte und fortwährende Hautkrebsfrüherkennung in Folge einer Risikostratifizierung<br />
• Qualitätsgesicherte, indikationsspezifische und ggf. wiederholte photodynamische Therapie (PDT)<br />
• Nachbehandlung bei vorhandenen Resttumoren<br />
• Förderung der dermatoonkologischen Behandlung im ambulanten Bereich<br />
• Behandlung nach definierten und verbindlichen Behandlungspfaden<br />
• Dokumentation und Evaluation des Behandlungsverlaufs.<br />
Das DermISplus-Konzept ermöglicht eine regionale und bundesweit flächendeckende Versorgung durch<br />
hochqualifizierte medizinische Versorgungseinrichtungen. Die Leistungserbringung im Rahmen der Behandlungspfade<br />
wurde vier Leistungsebenen zugeordnet. Die Leistungen des DermIS-Netzwerks befinden<br />
sich in der Versorgungsebene drei und vier (s. Tabelle 15).<br />
Tabelle 15 – Vier Ebenen von Versorgung<br />
1. Versorgungsebene<br />
2. Versorgungsebene<br />
3. Versorgungsebene<br />
* DermIS Netzwerk<br />
4. Versorgungsebene<br />
* DermIS Netzwerk<br />
• Facharzt für<br />
Innere Medizin<br />
• Ermächtigter<br />
Facharzt für<br />
Transplantationschirurgie<br />
• Transplantationszentren<br />
• Facharzt für<br />
Dermatologie<br />
• Facharzt für<br />
Dermatologie<br />
und Zusatzweiterbildung<br />
medikamentöse<br />
Tumortherapie<br />
• Facharzt für Dermatologie<br />
und Zusatzweiterbildung<br />
medikamentöse Tumortherapie<br />
• Zulassung als onkologisch<br />
verantwortlicher Arzt bei der<br />
zuständigen KV<br />
oder<br />
• Erfüllung der Zulassungsvoraussetzungen<br />
als onkologisch<br />
verantwortlicher Arzt<br />
soweit die zuständigen KVen<br />
keine Onkologievereinbarung<br />
mit den Krankenkassen<br />
vereinbart haben<br />
• Facharzt für Dermatologie<br />
und Zusatzweiterbildung<br />
medikamentöse Tumortherapie<br />
• Zulassung als onkologisch<br />
verantwortlicher Arzt bei der<br />
zuständigen KV<br />
oder<br />
• Erfüllung der Zulassungsvoraussetzungen<br />
als onkologisch<br />
verantwortlicher Arzt soweit<br />
die zuständigen KVen keine<br />
Onkologievereinbarung mit<br />
den Krankenkassen vereinbart<br />
haben<br />
• Mindestzahl von 200 mit PDT<br />
(photodynamische Therapie)<br />
behandelten Patienten pro Jahr<br />
(PKV + GKV)<br />
• Mindestzahl von 200 mit PDT<br />
behandelten Patienten pro Jahr<br />
(PKV + GKV)<br />
• Zulassung zum ambulanten<br />
Operieren nach § 115b SGB V<br />
• Operateur in einer Haupt- oder<br />
Belegabteilung an einem der<br />
teilnehmenden Krankenhäuser<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Die Behandlungspfade stellen sicher, dass die jeweiligen Versorgungsebenen verstärkt zusammen arbeiten,<br />
in den kurativen wie in den präventiven Behandlungsphasen. Ein spezielles Dokumentations- und<br />
Überleitverfahren bringt Vorteile für den Patienten, wie zum Beispiel:<br />
• Versorgungssicherheit und Einbindung in ein strukturiertes und kooperatives Früherkennungs- und Behandlungskonzept<br />
• Vermeidung von Folgeerkrankungen durch innovative Behandlungsmethoden<br />
137
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
• Steigerung der Lebensqualität und Lebensdauer<br />
• Stärkung von ambulanten und kurzstationären Behandlungen<br />
Die Dokumentationsbögen sind zugleich Abrechnungsgrundlage für die IV-Vergütung. Die Vergütung erfolgt<br />
extrabudgetär auf Basis von Komplex-/Fallpauschalen für die Behandlungsleistungen der teilnehmenden<br />
Leistungserbringer. Über die Höhe der jeweiligen Fallpauschalen wird mit den Krankenkassen<br />
verhandelt.<br />
Nächste Schritte<br />
Die bereits geknüpften Kontakte zu Krankenkassen auf Landes- und Bundesebene werden weiterhin<br />
vertieft. Die Initiatoren des Integrierten Versorgungsprojektes streben Abschlüsse von Verträgen zur Integrierten<br />
Versorgung mit Krankenkassen an. Im Rahmen einer zeitlich und örtlich stufenweisen Modellumsetzung<br />
ist es möglich, dass die ersten Patienten des Versorgungskonzeptes sehr kurzfristig das Leistungsangebot<br />
von DermISplus in Anspruch nehmen. Ein Evaluierungskonzept und ein Messinstrument<br />
zur Beurteilung des Therapieerfolges werden entwickelt. Die Evaluationsergebnisse sollen dazu dienen,<br />
die Versorgungsinhalte bei bestehendem Bedarf anzupassen sowie die Wirtschaftlichkeit zu messen.<br />
Ansprechpartner<br />
Wolfgang Bölter<br />
Prokurist<br />
GSB Deutsche Gesundheitssystemberatung GmbH<br />
Wiesenkamp 22a<br />
22359 Hamburg<br />
Telefon: 040 – 226 227 545<br />
E-Mail: wolfgang.boelter@deutsche-gsb.de<br />
www.deutsche-gsb.de<br />
138
Diabeteszentrum Billstedt-Horn<br />
Diabeteszentrum Billstedt-Horn<br />
Auswirkungen der pulsierenden Magnetfeldtherapie<br />
auf die Wundheilung der diabetischen Fußwunde<br />
Autor: Christian Marks<br />
Management Summary<br />
Das Projekt des Diabeteszentrum Billstedt-Horn befasst sich mit Auswirkungen der pulsierenden Magnetfeldtherapie<br />
auf die Wundheilung der diabetischen Fußwunde. Im Jahr 2006 wurde an zehn Patienten<br />
eine Anwendungsbeobachtung durchgeführt, die Erfahrungen mit dieser Therapie wurden dokumentiert.<br />
Zusätzlich zur üblichen Versorgung wurden Patienten im mittleren bis höheren Lebensalter mit einem<br />
Magnetfeldtherapiesystem behandelt; die Veränderung der Wundabmessungen wurde festgehalten. Die<br />
Beobachtungen lieferten Anhaltspunkte dafür, dass schlecht heilende Wunden schneller heilen, wenn<br />
das Diabetische Fußsyndrom begleitend mit der pulsierenden Magnetfeldtherapie behandelt wird.<br />
Umsetzung<br />
Das Diabetische Fußsyndrom – umgangssprachlich auch „diabetischer Fuß“ genannt – ist gekennzeichnet<br />
durch eine Kombination aus neuropathischen sowie mikro- und makroangiopathischen Veränderungen<br />
vor dem Hintergrund einer chronisch voranschreitenden Systemerkrankung. Diabetische Ulzera sind<br />
zumeist druckinitiiert. Durch die häufig schlechte Durchblutung heilt die Wunde meist sehr langsam. Des<br />
Öfteren wird die Wundheilung zusätzlich durch bakterielle Infektionen verkompliziert. So dauert der Heilungsprozess<br />
schnell ein halbes Jahr oder länger, wenn keine adäquate Therapie erfolgt oder die Compliance<br />
der Patienten mangelhaft ist.<br />
Ambulant wird die diabetische Fußwunde konventionell behandelt: mit wundreinigenden Substanzen,<br />
Wundtoilette, kleinen chirurgischen Eingriffen, Wundauflagen, üblichen Verbandsstoffen, entlastenden<br />
Therapieschuhen und orthopädischem Maßschuhwerk. In der stationären Versorgung kommen zusätzlich<br />
gefäßchirurgische Verfahren zum Einsatz.<br />
Zusätzlich zu den konventionellen Behandlungsmethoden existiert die pulsierende Magnetfeldtherapie,<br />
deren medizinische Bedeutung allerdings umstritten ist. Im Diabeteszentrum Billstedt-Horn mit seinem<br />
angeschlossenen Fußzentrum sollte nun beobachtet werden, wie sich die pulsierende Magnetfeldtherapie<br />
auf die Wundheilung der diabetischen Fußwunde auswirkt. Zwischen Frühjahr und Herbst 2006<br />
wurden daher zehn männliche und weibliche Patienten im mittleren bis höheren Lebensalter mit der<br />
Magnetfeldtherapie behandelt – zusätzlich zur konventionellen Wundbehandlung. Benutzt wurde das<br />
Magnetfeldtherapie-System EMA 100 mit Ringspule der Firma Eckart Rase Medizintechnik, Heuchelheim.<br />
Die Intensität und Frequenz des elektromagnetischen Felds sind veränderbar. Eine individuelle Impulssteuerung<br />
erzeugt in der Spule ein optimiertes Magnetfeld, das für die gewünschte lokale Behandlung<br />
nutzbar ist. Die Veränderung der Wundfläche wurde gemessen mit Hilfe des Visitrak Digital<br />
Wundmess-Systems von Smith & Nephew, Lohfelden.<br />
139
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Die Patienten wurden zufällig ausgewählt. Sie mussten bereit sein, regelmäßig zweimal pro Woche an<br />
einer 20-minütigen Behandlung teilzunehmen. Die Therapie wurde über durchschnittlich acht Wochen<br />
durchgeführt. Ein Patient brach die Therapie nach der ersten Sitzung ab, weil er diese als unangenehm<br />
empfand. Die anderen Patienten erschienen nicht immer regelmäßig zur Behandlung. In jedem dokumentierten<br />
Fall konnte jedoch mindestens eine Behandlung pro Woche umgesetzt werden. Zuletzt erschienen<br />
noch sechs der Patienten regelmäßig. Eine Aufteilung in zwei Gruppen (mit und ohne begleitende<br />
konventionelle Wundbehandlung) erfolgte nicht.<br />
Die größten Fortschritte wurden allgemein im Verlauf der ersten sechs bis acht Wochen gesehen (in dieser<br />
Versuchsanordnung nach etwa 12 bis 16 Behandlungen). Danach unterschieden sich die Wundverläufe<br />
kaum von der natürlichen Abheilung. Insgesamt liefen sie aber gleichmäßiger und regelhafter ab. Mit<br />
Ausnahme eines Patienten hatten die Teilnehmer durch die Magnetfeldtherapie zumeist ein angenehmes<br />
Wärmegefühl, teils ein geringes Kribbeln.<br />
Insgesamt lässt sich aus den vorliegenden Daten entnehmen, dass die pulsierende Magnetfeldtherapie<br />
bei schlecht heilenden Wunden multimorbider Patienten eine mögliche ergänzende Behandlungsform ist.<br />
So zeigten sich subjektiv verbesserte Wundverläufe – zum einen verkürzten sich Abheilungszeiträume,<br />
zum anderen wurden Parameter verbessert, die üblicherweise zur Beurteilung eines Wundverlaufes herangezogen<br />
werden. Die pulsierende Magnetfeldtherapie sollte im speziellen Fall des Diabetischen Fußsyndroms<br />
jedoch nicht ausschließlich angewendet werden, sondern nur begleitend.<br />
Nächste Schritte<br />
Bei der vorgestellten Untersuchung handelt es sich um eine Anwendungsbeobachtung. Die Ergebnisse<br />
sind nicht als signifikant anzusehen, sondern verstehen sich als Tendenzen. Trotzdem weisen die ersten<br />
Erkenntnisse in eine positive Richtung. Es wird daher vorgeschlagen, weitere Untersuchungen anzuschließen.<br />
Dabei sollten Frequenzen und Intensitäten geändert und ggf. auch unterschiedliche therapeutische<br />
Verfahren und Geräte zum Einsatz kommen.<br />
Ansprechpartner<br />
Dr. med. Christian Marks<br />
Ärztlicher Leiter<br />
Facharzt für Allgemeinmedizin, Diabetologe DDG/ÄK, Ernährungsmediziner DGE, Naturheilverfahren,<br />
Chirotherapie, Sozialmedizin, Akupunktur, Suchtmedizin<br />
Diabeteszentrum Billstedt-Horn<br />
Manshardtstrasse 117 A<br />
22119 Hamburg<br />
Telefon: 040 – 688 6078–0<br />
E-Mail: dr.marks@praxis-manshardtstrasse.de<br />
140
DiaLev • Früherkennung und Prävention von Diabetes mellitus Typ 2<br />
DiaLev<br />
Früherkennung und Prävention von Diabetes mellitus Typ 2<br />
Autoren: Bodo Denhoven, Wolfgang Hübner und Manfred Klemm<br />
Management Summary<br />
DiaLev ist ein Projekt zur Früherkennung und Prävention von Diabetes mellitus Typ 2, entwickelt vom<br />
Regionalen Gesundheitsnetz Leverkusen eG und der pronova BKK. Das Gesundheitsnetz Leverkusen ist<br />
ein operativer Zusammenschluss von ambulant niedergelassenen Haus- und Fachärzten sowie lokal ansässigen<br />
Diakoniestationen im Großraum Leverkusen; es hat derzeit 98 aktive Mitglieder.<br />
Für das Projekt erarbeiteten die beiden Partner insgesamt 15 Maßnahmen, die drei grundlegende Präventionsziele<br />
verfolgen:<br />
• Menschen mit einem erhöhten Diabetes-Risiko zu erkennen,<br />
• diese auf Vorstufen des Diabetes zu untersuchen,<br />
• und sie dem Risiko entsprechend frühzeitig zu behandeln und zu beraten sowie sie zur Verhaltensänderung<br />
anzuleiten.<br />
Anhand des eigens entwickelten Behandlungspfades DiaLev werden die Teilnehmer gezielt über den<br />
Umgang mit ihren Krankheitsrisiken informiert. Derzeit sind 433 Versicherte im Projekt eingeschrieben.<br />
Wichtiger Bestandteil des Projekts ist die Etablierung einer datenbankgestützten, webbasierten Führungs-<br />
und Dokumentations-EDV. Sie koordiniert neben den Behandlungspfaden die Dokumentation<br />
und Leistungshonorierung. Dies garantiert eine qualitativ hochwertige Versorgung über die Sektorengrenzen<br />
hinweg und bietet so einen Mehrwert – für den einzelnen Versicherten wie auch gesamtwirtschaftlich.<br />
Umsetzung<br />
Das Projekt DiaLev startete zum 1. Januar 2011 durch den Vertragsabschluss des Gesundheitsnetzes<br />
Leverkusen mit der pronova BKK. Die pronova BKK weist innerhalb des Gesundheitsnetzes eine Versichertenabdeckung<br />
von 45 Prozent auf. In der ersten Projektphase (Entwicklungsphase) wurde die webbasierte<br />
Datenbank etabliert; sie dient den beteiligten Leistungserbringern als Behandlungsgrundlage. In<br />
die Datenbank integriert wurden Softwaremodule zur Registrierung, zur Dokumentation und zur Abrechnung<br />
sowie der eigens entwickelte Behandlungspfad. Zudem wurde von den Projektpartnern ein Maßnahmenkatalog<br />
mit 15 Punkten erarbeitet (s. Tabelle 16).<br />
Die zweite Projektphase (Etablierungsphase) begann am 1. Oktober 2011. Von diesem Zeitpunkt an konnten<br />
sich die teilnehmenden Ärzte elektronisch in das Projekt einschreiben und die ersten Versicherten in<br />
den DiaLev-Behandlungspfad aufnehmen. Diese Aufnahme erfolgt anhand einer Risikostratifizierung, die<br />
mit Hilfe eines erweiterten Fragebogens (FindRisk) durchgeführt wird. Dieser teilt die Teilnehmer in drei<br />
Risikogruppen ein:<br />
141
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
• A: Personen mit erhöhtem Risiko, die jedoch die Kriterien für „Prädiabetes“ (noch) nicht erfüllen<br />
• B: Personen, bei denen die Kriterien für Prädiabetes erfüllt sind<br />
• C: Personen, bei denen ein manifester Diabetes diagnostiziert wurde und somit die Kriterien für das<br />
Disease-Management-Programm Diabetes erfüllt sind.<br />
Personen der Risiko-Gruppe B werden in das Projekt aufgenommen und für die Teilnahme am Schulungsprogramm<br />
PRAEDIAS motiviert – ein strukturiertes Schulungsprogramm zur Selbstmotivation der Patienten,<br />
das den Ausbruch des Diabetes effektiv verhindern bzw. verzögern kann. Neben Schulungseinheiten<br />
finden regelmäßige Kontrolluntersuchungen gemäß dem Behandlungspfad statt. Dieses Vorgehen zielt<br />
ab auf eine nachhaltige Lebensstilmodifikation der Risiko-Gruppe.<br />
Tabelle 16 – 15-Punkte Maßnahmenkatalog des Projekts DiaLev<br />
Maßnahmenkatalog<br />
• FindRisk-Bogen flächendeckend bekannt machen und ausfüllen lassen: in Arztpraxen, werksärztlichen Diensten,<br />
Apotheken und bei Informationsveranstaltungen zum Einsatz bringen und bewerben<br />
• Diagnostik des Diabetes mellitus Typ 2 bei Hausärzten intensivieren<br />
• Ausbildung von Medizinischen Fachangestellten zu Präventionsstrategien der Praxen<br />
• Diagnosebasierte Aufnahme in das Disease Management Programm Diabetes<br />
• Einsatz eines evaluierten Schulungsprogramms PRAEDIAS zur Prädiabetesintervention<br />
• „Train the Trainer“ Schulungen zu PRAEDIAS durchführen<br />
• Begleitung des Patienten mit Prädiabetes und Evaluierung der Maßnahmen über 3–5 Jahre<br />
• Aufklärung über die Auswirkungen von Bewegung zur Diabetesvermeidung und Behandlung aufzeigen<br />
• Anbieten und Vermitteln von vielfältigen Bewegungsangeboten im Raum Leverkusen durch Arztpraxen, Sportvereine,<br />
Fitness-Studios, VGS (Verein für Gesundheit und Sport)<br />
• Förderung der beruflichen Prävention über regionale Werksdienste; bei Arbeitnehmern, die den werksärztlichen<br />
Dienst in Anspruch nehmen, Durchführung des FindRisk-Bogens anbieten; bei Auffälligkeit ➝ Konsultation des<br />
Hausarztes<br />
• Aufklärungsarbeit in Kindergärten und Schulen<br />
• Schulung der Mitarbeiter ➝ gesunde Ernährung in Kindergärten und Ganztagsschulen<br />
• Vermitteln von Ernährungskursen; Übersicht über Ernährungskurse im Raum Leverkusen und Umgebung erstellen,<br />
mit Patient besprechen und Kurse vermitteln<br />
• Aufklärung über die Auswirkungen des Rauchens<br />
• Anbieten und Vermitteln von Raucherentwöhnungskursen<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Das Projekt wurde systematisch dokumentiert. Die so generierten Daten lassen einen positiven Trend<br />
erkennen hinsichtlich der Früherkennung von Diabetes. Ebenso zeichnet sich ab, dass die Krankenkassen<br />
aufgrund der Präventionsmaßnahmen Kosten sparen.<br />
Nächste Schritte<br />
Die ursprünglich geplante dritte Phase des Projekts, die regionale Übertragung von DiaLev auf umliegende<br />
Regionen, wurde nicht in die Wege geleitet. Stattdessen arbeitet das Gesundheitsnetz Leverkusen<br />
aufgrund der positiven Erfahrungen mit dem Programm an einer Ausdehnung auf andere chronische<br />
142
DiaLev • Früherkennung und Prävention von Diabetes mellitus Typ 2<br />
Krankheitsbilder wie KHK, Bluthochdruck, Asthma und COPD, Niereninsuffizienz und Schmerzerkrankungen.<br />
Es steht hierzu im Austausch mit verschiedenen Krankenkassen. Ebenso werden die technischen<br />
Projektbestandteile hinsichtlich einer geografischen und indikationsspezifischen Ausdehnung weiterentwickelt.<br />
Gezielte Schulungen sollen den Ärzten zudem helfen, die Patienten erfolgreicher zu motivieren.<br />
Ansprechpartner<br />
Dr. med. Bodo Denhoven<br />
Technisch administrative Leitung<br />
Dr. med. Wolfgang Hübner<br />
Medizinische Leitung<br />
Dr. rer.nat. Manfred Klemm<br />
Konzeptorganisation<br />
Regionales Gesundheitsnetz Leverkusen eG<br />
Dhünnberg 25<br />
51375 Leverkusen<br />
Telefon: 0241 – 404 999 19<br />
www.gesundheitsnetz-leverkusen.de<br />
143
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
donauMED<br />
Sektorenübergreifende Versorgung von Patienten<br />
mit Herzinsuffizienz<br />
Autoren: Johannes Ertl, Dagmar Griesbeck und Martin Huber<br />
Management Summary<br />
Das Arztnetz donauMED hat für die Behandlung von Patienten mit der Diagnose Herzinsuffizienz einen<br />
eigenen Behandlungspfad entwickelt. Zentrales Element dieses Behandlungspfades ist der Herzinsuffizienz-Pass<br />
für Patienten. Dieser ermöglicht, den Krankheitsverlauf kontinuierlich zu überwachen, den Patienten<br />
für seine Erkrankung zu sensibilisieren – sowie eine sektorenübergreifende Dokumentation und<br />
Versorgung. Der Behandlungszeitraum im donauMED-Behandlungspfad erstreckt sich über die 24 Wochen<br />
nach der Diagnose; in dieser Zeit wird der Patient engmaschig überwacht und in die Krankheitsdokumentation<br />
eingebunden. So sollen Krankenhauseinweisungen vermieden und Krankheitskosten reduziert<br />
werden.<br />
Zum Arztnetz donauMED gehören derzeit 89 Ärzte (Haus- und Fachärzte in etwa gleicher Verteilung)<br />
sowie drei Kliniken (Klinikum St. Elisabeth in Straubing, Klinik Bogen, Orthopädische Fachklinik Schwarzach).<br />
Das Netzwerk bietet seit 2008 den donauMED-Herzinsuffizienz-Pass an, im April 2013 wurde der<br />
Pass aktualisiert – gemäß den überarbeiteten Leitlinien der europäischen Gesellschaft für Kardiologie.<br />
Seit Projektbeginn wurden 500 Patientenpässe ausgegeben.<br />
Umsetzung<br />
Das Versorgungskonzept von donauMED für Patienten mit Herzinsuffizienz ist ein 24-wöchiges, engmaschiges<br />
Überwachungsprogramm, das sich in sieben Schritte gliedert:<br />
1. Identifikation des Herzinsuffizienz-Patienten<br />
2. Einstufung nach NYHA-Klassen<br />
3. Festlegung der Medikation<br />
4. Patientenaufklärungsgespräch<br />
5. Erstdokumentation im Patientenpass<br />
6. Aushändigung des Patientenpasses an den Patienten<br />
7. Vereinbarung der Folgetermine.<br />
Sobald bei einem Patienten durch einen donauMED-Netzarzt eine Herzinsuffizienz diagnostiziert wird,<br />
wird ihm ein personalisierter Herzinsuffizienz-Pass ausgestellt. Der Arzt legt die Medikation laut Versorgungsleitlinie<br />
fest. Danach wird der Patient über seine Krankheit sowie das weitere Vorgehen im Versor-<br />
144
donauMED • Sektorenübergreifende Versorgung von Patienten mit Herzinsuffizienz<br />
gungsprojekt aufgeklärt. Während des Programms muss er täglich selbstständig Blutdruck, Puls und<br />
Gewicht kontrollieren. Die Werte trägt er in seinen Patientenpass ein und bespricht sie in den Folgeterminen<br />
mit dem behandelnden Arzt. Während des Überwachungszeitraums finden neben der Erstdiagnose<br />
sechs Termine statt. Das erste Mal kommt der Patient nach zwei Wochen zur Folgeuntersuchung<br />
in die Praxis. Dabei werden die vom Patienten festgehaltenen Werte gemeinsam mit dem Arzt besprochen.<br />
Gegebenenfalls wird die Therapie angepasst sowie das weitere Vorgehen beraten. Ist die Dokumentation<br />
erfolgreich verlaufen, wird die Seite der ersten zwei Überwachungswochen aus dem Patientenpass<br />
getrennt und an das Netzbüro zur Evaluation übermittelt. Die Patientendaten werden hierfür<br />
anonymisiert.<br />
In den weiteren Folgeterminen werden die notierten Werte sowie mögliche Zielparameter besprochen; je<br />
nach Bedarf wird die Therapie angepasst. Nach jedem Termin ist der Arzt verpflichtet, eine Folgedokumentation<br />
auszufüllen und an das Netzbüro weiterzuleiten.<br />
Der Patient wird im donauMED-Projekt nicht nur engmaschig überwacht, sondern gleichzeitig auch in die<br />
Versorgung eingebunden. Den Betroffenen wird der Ernst ihrer Krankheit bewusst gemacht: z. B. durch<br />
die tägliche Kontrolle von Blutdruck, Puls und Gewicht. Durch die gemeinsame Besprechung der erfassten<br />
Werte wird dem Patienten zudem vermittelt, dass seine Daten wichtig sind für die Kontrolle seiner<br />
Krankheit.<br />
Abbildung 28 – Patientenpass Herzinsuffizienz: Selbstdokumentation (links) und ärztliche Folgedokumentation aus<br />
dem donauMED-Patientenpass (rechts)<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
145
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Der Herzinsuffizienz-Pass ist patientengerecht gestaltet und enthält nützliche Informationen. Dies ist<br />
nicht nur für den Patienten vorteilhaft; der Patientenpass ist auch Erinnerungshilfe für den Arzt, um die<br />
Medikation anzupassen. Die Dokumentationspflicht für den Arzt fördert die leitliniengerechte Umsetzung<br />
von Therapieempfehlungen und gewährleistet eine einheitliche Versorgungsqualität im donauMED-Netzwerk.<br />
Durch die Werte im Patientenpass lassen sich Veränderungen im Krankheitsverlauf schnell erkennen<br />
und mögliche akutstationäre Krankenhauseinweisungen verhindern. Nicht zuletzt profitiert der Patient<br />
von einer erleichterten sektorenübergreifenden Zusammenarbeit, wenn er bei Fachärzten oder in<br />
Kliniken seinen Patientenpass vorweisen kann.<br />
Nächste Schritte<br />
Aufgrund der positiven Erfahrungen mit dem Behandlungspfad für Herzinsuffizienz wurden von donau-<br />
MED weitere Behandlungspfade für Diabetes und Hypertonie entwickelt und implementiert. Diese sollen<br />
analog zum Behandlungspfad Herzinsuffizienz evaluiert und gemäß den Leitlinien der jeweiligen Fachgesellschaften<br />
aktualisiert werden.<br />
Ansprechpartner<br />
Johannes Ertl<br />
Geschäftsführung<br />
donauMED GmbH & Co. KG<br />
Oskar-von-Miller-Str. 6<br />
94315 Straubing<br />
Telefon: 09421 – 968770<br />
E-Mail: info@donaumed.com<br />
www.donaumed.com<br />
Dagmar Griesbeck<br />
Assistentin der Geschäftsführung<br />
donauMED GmbH & Co. KG<br />
Oskar-von-Miller-Str. 6<br />
94315 Straubing<br />
Telefon: 09421 – 968770<br />
E-Mail: info@donaumed.com<br />
www.donaumed.com<br />
Dr. med. Martin Huber<br />
Geschäftsführung<br />
donauMED GmbH & Co. KG<br />
Oskar-von-Miller-Str. 6<br />
94315 Straubing<br />
Telefon: 09421 – 968770<br />
E-Mail: info@donaumed.com<br />
www.donaumed.com<br />
146
GenoGyn – Prävention-aktiv • Erweiterte Präventionsmedizin in der Frauenheilkunde<br />
GenoGyn – Prävention-aktiv<br />
Erweiterte Präventionsmedizin in der Frauenheilkunde<br />
Autor: Jürgen Klinghammer<br />
Management Summary<br />
GenoGyn ist ein im Jahr 1997 gegründetes, unabhängiges Gemeinschaftsunternehmen mit knapp 600<br />
niedergelassenen Frauenärztinnen und Frauenärzten. Es unterstützt bei der Praxisführung, bietet eigene<br />
Fort- und Weiterbildungen und fokussiert sich auf die Präventionsmedizin. Ziele sind eine qualitativ hochwertige<br />
Versorgung sowie die Wirtschaftlichkeit der Praxis.<br />
Für die gesamtgesellschaftliche Gesunderhaltung hat die Gesundheitsprävention der Frau höchste Priorität<br />
– schließlich ist die Frau die Gesundheitsministerin der ganzen Familie. Die Arbeit der Gynäkologen<br />
besteht daher zum Großteil aus präventiven Versorgungsmaßnahmen. Um ein eigens zertifiziertes Fortbildungskonzept<br />
in der Präventionsmedizin zu entwickeln, wurde 2008 das Projekt GenoGyn-Präventionaktiv<br />
ins Leben gerufen. Inhalt des Projektes sind das Osteoporosescreening, Schilddrüsenerkrankungen,<br />
gesunde Ernährung, Gewichtsreduktion mit genetischer Stoffwechseluntersuchung, Prävention von<br />
Herz-Kreislauf Erkrankungen mit Messung der Halsschlagader, Prävention von Burn out und depressiven<br />
Erkrankungen, das Projekt „Körperliche Aktivität in allen Lebenslagen“, „Gesund im Alter“ sowie ein eigenes<br />
zertifiziertes Fortbildungskonzept in der Präventionsmedizin. In Folge dessen werden bundesweit<br />
regelmäßig Intensiv-Seminare angeboten. Inhalte und Anwendung der Präventionsmedizin wurden bisher<br />
mehr als 260 teilnehmenden Ärzten vermittelt.<br />
In Kooperation mit Diabetologen aus dem Raum Köln entstand im Jahr 2009 das Versorgungskonzept<br />
GestDiabGyn, das die Versorgung des Schwangerschafts-Diabetes verbessern soll. Finanziert wird das<br />
Projekt GenoGyn-Prävention-aktiv ausschließlich aus genossenschaftlichen Mitteln.<br />
Umsetzung<br />
Gynäkologen nehmen eine Schlüsselposition in der Präventionsmedizin ein, da sie Frauen jeden Alters in<br />
regelmäßigen Abständen erreichen und 90 Prozent ihrer Leistungen aus Vorsorgeuntersuchungen bestehen.<br />
GenoGyn sieht es daher als sinnvoll und verpflichtend an, das Präventionsspektrum einer qualifizierten<br />
Praxis zu erweitern, um Frauen eine umfassende und qualitativ hochwertige Versorgung zu ermöglichen<br />
(s. Tabelle 17).<br />
Um die erweiterten Präventionsleistungen anbieten und im Praxisalltag umsetzen zu können, bedarf es<br />
der notwendigen Qualifikation der Frauenärzte. Aus diesem Grund wurde mit dem Projekt GenoGyn-<br />
Prävention-aktiv im Jahr 2008 ein eigenes zertifiziertes Fortbildungskonzept entwickelt. In den 4-tägigen<br />
Intensiv-Seminaren werden alle relevanten Bereiche der Präventionsmedizin sowie die praktische Anwendung<br />
thematisiert. Die Seminare finden in regelmäßigen Abständen deutschlandweit statt. Geno-<br />
Gyn-Prävention-aktiv kooperiert dabei mit der Akademie für Gesundheitsförderung und Prävention e.V.<br />
(AEGP) sowie seit 2010 mit der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Anti-Aging Medizin e.V.<br />
147
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
(GSAAM). Unter die relevanten Bereiche fallen beispielsweise das Metabolische Syndrom, Adipositas,<br />
kardiovaskuläre Risiken, Hormonersatztherapie, moderne Krebsfrüherkennung, Depression etc.<br />
Durch eine aktive Öffentlichkeitsarbeit wird auf das Projekt GenoGyn-Prävention-aktiv aufmerksam gemacht<br />
– sowie auf Notwendigkeit und Möglichkeit von Prävention. Zudem findet man seit 2013 auf der<br />
Website des Therapeutennetzwerkes Präventionsmedizin Informationen zu Präventionsmaßnahmen sowie<br />
ein bundesweites Verzeichnis geeigneter Therapeuten (www.praevention-online.net).<br />
Tabelle 17 – Spektren gynäkologischer Versorgung<br />
Spektrum einer qualifizierten gynäkologischen Praxis<br />
• Seelische Begleitung in allen Lebensphasen<br />
• Beratung junger Frauen bezüglich sinnvoller Impfungen und Antikonzeptionsmaßnahmen<br />
• Beratung bei Kinderwunsch und Schwangerschaftsbetreuung<br />
• Beratung hinsichtlich Wechseljahre und Altersprävention<br />
Erweitertes Präventionsspektrum<br />
• Altersgemäßes Impfprogramm<br />
• Gesunde Ernährung<br />
• Gewichtsreduktionsmaßnahmen<br />
• Programme zu körperlichen Aktivität<br />
• Osteoporose Screening<br />
• Inkontinenzprävention<br />
• Altersgesundheit<br />
• Depressions- bzw. Burn-Out-Problematik<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Nächste Schritte<br />
GenoGyn versucht auch weiterhin, die Anwendung einer aktiven Gesundheitsprävention voranzutreiben<br />
und die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, um die Gesundheit kommender Generationen nachhaltig positiv<br />
zu beeinflussen. Dazu werden unter anderem wichtige medizinische Erkenntnisse genutzt – beispielsweise<br />
im Bereich der sogenannten fetalen Programmierung, wonach Kinder übergewichtiger Schwangerer<br />
bereits im Jugendalter ein erhöhtes Risiko für Übergewicht und Diabetes aufweisen.<br />
Ansprechpartner<br />
Dr. Jürgen Klinghammer<br />
Vorstandsmitglied der GenoGyn<br />
An der Kemperwiese 5<br />
51069 Köln<br />
Telefon: 0221 – 687 010<br />
E-Mail: dr.klinghammer@t-online.de<br />
www.genogyn-rheinland.de<br />
148
Gesundes Kinzigtal<br />
„Starke Muskeln – Feste Knochen“<br />
Gesundes Kinzigtal • „Starke Muskeln – Feste Knochen“<br />
Autor: Helmut Hildebrandt, Dörte Tillack, Arthur Feyrer und Thomas Ruck<br />
Management Summary<br />
Starke Muskeln – Feste Knochen ist ein Programm der Gesundes Kinzigtal GmbH zur Prävention von<br />
Frakturen bei Patienten mit Osteoporose. Das Programm dauert zwei Jahre und ist multimodular aufgebaut.<br />
Der erste Baustein ist eine intensive medizinische Check-Up-Untersuchung der Patienten; diese<br />
umfasst eine Auffälligkeitsprüfung beim Hausarzt oder Orthopäden und ggf. eine Knochendichtemessung<br />
per Dual-Röntgen-Absorptiometrie-Verfahren (DXA). Im zweiten Schritt erhalten die Patienten je<br />
nach Risikogruppe ein differenziertes Bewegungsprogramm zur Sturzprophylaxe und zur Aktivierung des<br />
Muskelaufbaus. Ein begleitendes Beratungs- und Betreuungsangebot zur Ernährung und Sturzprophylaxe<br />
für Patienten und Angehörige rundet das Programm ab.<br />
Starke Muskeln – Feste Knochen wurde 2007 entwickelt und ist Bestandteil der populationsorientierten<br />
Integrierten Versorgung im Gesunden Kinzigtal. Am Versorgungsprogramm beteiligen sich Haus- und<br />
Fachärzte, Physiotherapeuten, Fitnessstudios, Turn- und Sportvereine sowie Apotheken. Bis Ende August<br />
2013 waren 798 Teilnehmer eingeschrieben. Die Gesamtkosten des Programms trägt seit 2012 die<br />
Gesundes Kinzigtal GmbH.<br />
Das Investment in eine intensivere medizinische Untersuchung und Medikation, gezielte Bewegungsangebote<br />
und Unterstützung des Selbstmanagements hat sich gelohnt – so die interne und externe Evaluation.<br />
Ergebnis: Ein signifikant geringeres Frakturrisiko (OR: 0,68), eine beinahe Verdoppelung leitliniengerechter<br />
Arzneimitteltherapie und eine durchschnittliche Kostenersparnis von 225 Euro gegenüber einer<br />
analogen Vergleichsgruppe.<br />
Umsetzung<br />
Starke Muskeln – Feste Knochen steht allen Mitgliedern des Programms Gesundes Kinzigtals offen, die<br />
ein leichtes, erhöhtes oder stark erhöhtes osteoporotisches Frakturrisiko aufweisen. Entwickelt wurde<br />
das Programm von einer Projektgruppe aus Haus- und Fachärzten des Ärztenetzes MQNK sowie der<br />
Managementgesellschaft Gesundes Kinzigtal GmbH. In der ersten Projektphase wurden Prävalenzdaten<br />
von Osteoporose für die Region Kinzigtal erhoben. Daraufhin wurde eine Grundkonzeption entwickelt und<br />
in einer sechsmonatigen Pilotphase in den Arztpraxen eingeführt. Nach der Testphase wurde das Programm<br />
aufgrund der vorliegenden Erfahrungen angepasst. In der dritten Phase (ab 2011) wurde das Programm<br />
überprüft und erneut weiterentwickelt. Seit Oktober 2012 wird es den Patienten in seiner neuesten<br />
Form angeboten (s. Abbildung 29).<br />
149
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Abbildung 29 – Modularer Aufbau des Programms „Starke Muskeln – Feste Knochen“<br />
Baustein 1<br />
Baustein 2<br />
Baustein 3<br />
Medizinische<br />
Check-Up-<br />
Untersuchung<br />
Risikoadjustiertes<br />
Bewegungsprogramm<br />
Schulungs- und<br />
Beratungstermine<br />
zu Ernährung und<br />
Bewegung<br />
Einteilung in<br />
Risikogruppen<br />
Risikoadjustierte<br />
Medikation<br />
Bereitstellung von<br />
Informationsmaterial<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Gesamtprogrammdauer pro Patient: 2 Jahre<br />
Die Versorgung basiert auf den drei Bausteinen der Osteoporose-Prävention:<br />
1. Ärztliche Betreuung, engmaschige Begleitung und Motivierung, medikamentöse Therapie<br />
2. Gezielte Bewegungsangebote zur Sturzprophylaxe und Aktivierung zum Muskelaufbau<br />
3. Begleitende Ernährungsberatung und Unterstützung der Selbstmanagementkompetenz<br />
Zu Beginn des Präventionsprogramms findet eine intensive medizinische Untersuchung statt. Der Hausarzt<br />
oder Orthopäde befragt den Patienten und setzt ein Risikoscore-Instrument ein. Bei Bedarf wird die<br />
Knochendichte per DXA gemessen. Die Kosten für letztere werden von der Gesundes Kinzigtal GmbH<br />
übernommen, sofern sich der Patient für das Programm einschreibt. Nach der Einschreibung werden die<br />
Patienten in zwei Risikogruppen eingeteilt: Gruppe A mit leichtem Osteoporose-Risiko, Gruppe B mit erhöhtem<br />
Risiko oder bereits bestehender Osteoporose. Je nach Risikogruppe erhält der Teilnehmer ein<br />
differenziertes Bewegungsprogramm – bei Physiotherapeuten, im Sportverein oder im Fitnessclub. Die<br />
Medikation wird individuell und leitliniengerecht angepasst. Zusätzlich können die Patienten und Angehörigen<br />
regelmäßig kostenlose Schulungs- und Beratungstermine wahrnehmen. Dort werden Informationen<br />
zu den Themen Ernährung, Bewegung und Sturzprophylaxe vermittelt.<br />
Die salutogenetische Ausrichtung des Versorgungsprogramms sowie die enge Zusammenarbeit der verschiedenen<br />
Leistungsanbieter ermöglichen eine effektive Osteoporose-Prävention. Die Lebensqualität<br />
der Betroffenen kann dadurch erhöht werden.<br />
Evaluationsergebnisse zeigen, dass sich für die, die mindestens zwei Jahre in das Programm eingeschriebenen<br />
AOK- und LKK-Versicherten (n = 410) innerhalb von zwei Jahren die Zahl der stationär behandelten<br />
Frakturen halbierte und zusätzlich auch noch positive Effekte bei einer Matched Pairs Vergleichsgruppe im<br />
Kinzigtal eintraten (beide im Kinzigtal praktizierenden Orthopäden sind Partner des Programms, d.h. das<br />
Programm hat einen gewissen „Abfärbeeffekt“ auch auf die nicht in der IV eingeschriebenen Versicherten<br />
im Kinzigtal). Zudem sind die GKV-Gesamtkosten bei den eingeschriebenen Versicherten im Schnitt im<br />
zweiten Jahr nach Programmstart um 225 Euro/pro Quartal/pro Kopf niedriger als bei der Vergleichsgruppe.<br />
150
Gesundes Kinzigtal • „Starke Muskeln – Feste Knochen“<br />
Abbildung 30 – Entwicklung der Frakturprävalenz Versicherter mit Osteoporose<br />
4%<br />
Start<br />
Intervention<br />
3%<br />
Anteil in %<br />
2%<br />
1%<br />
0%<br />
3,4% 2,9% 2,4% 2,9% 1,5% 1,5% 2,4% 1,2%<br />
-2. Jahre - 1. Jahr + 1. Jahr + 2.Jahr<br />
Vergleichsgruppe<br />
Programmteilnehmer<br />
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Hildebrandt (2013).<br />
Nächste Schritte<br />
In Zukunft soll das Programm sowohl vor Ort als auch national weiterentwickelt werden. Vor Ort steht die<br />
Anpassung und Ausarbeitung aufgrund neuer Evaluationsergebnisse an. Zudem sollen weitere Leistungspartner<br />
gewonnen werden – so wurden für den Aufbau einer Selbsthilfegruppe „Osteoporoseprävention<br />
im Kinzigtal“ bereits erste Kontakte geknüpft.<br />
Starke Muskeln – feste Knochen ist zudem ein Programm, das gut auf andere Regionen und Gruppen<br />
übertragen werden kann. Das gesamte Programm wurde als Teil von Behandlungspfaden der Softwarelösung<br />
CGM Net zur Verfügung gestellt und kann in 50 Prozent aller deutschen Praxen eingesetzt werden.<br />
Zudem haben sieben Ärztenetze, die bei der OptiMedis AG unter Vertrag stehen, und drei in den Niederlanden<br />
geplante Ärztenetze eine Vereinbarung getroffen: entwickelte Programme wie Starke Muskeln –<br />
Feste Knochen sind frei untereinander nutzbar und weiterentwickelbar.<br />
Ansprechpartner<br />
Helmut Hildebrandt<br />
Geschäftsführer<br />
Gesundes Kinzigtal GmbH<br />
Strickweg 3d<br />
77716 Haslach<br />
Telefon: 07832–97489-0<br />
E-Mail: info@gesundes-kinzigtal.de<br />
www.gesundes-kinzigtal.de<br />
Dr. Dörte Tillack<br />
Allgemeinmedizin<br />
Dr. Arthur Feyrer<br />
Orthopädie<br />
Thomas Ruck<br />
Physiotherapie<br />
151
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Institut für Gesundheitsökonomik<br />
Projekt zur Verbesserung der Arzneimittelversorgung<br />
Autor: Peter Krase und Günter Neubauer<br />
Management Summary<br />
Das Modellprojekt des Instituts für Gesundheitsökonomik (IfG) zielt darauf ab, neben der Medikamentenversorgung<br />
von Patienten auch Arzneimittel-Compliance und -Adherence zu steigern. Erreicht werden<br />
soll dieses Ziel durch eine sogenannte patientenindividuelle Verblisterung: Der Apotheker prüft die Gesamtmedikation<br />
und sortiert die Medikamente sichtbar ein; der Einnahmezeitpunkt ist klar erkennbar.<br />
Gerade ältere Patienten, die täglich mehrere Medikamente einnehmen müssen, können die Einnahme<br />
leichter kontrollieren. Unerwünschte Arzneimittelwechselwirkungen werden damit genauso reduziert wie<br />
Krankenhausaufenthalte und Todesfälle aufgrund einer falschen oder fehlenden Medikamenteneinnahme.<br />
Um die Wirkung des Konzeptes im Versorgungsalltag zu prüfen, startete die AOK Bayern im Jahr 2009<br />
das Projekt „Patientenindividuelle Arzneimittel-Verblisterung für Bewohner von Pflegeheimen“. An dem<br />
Modellvorhaben nach §§ 63 bis 65 SGB V nahmen 581 Pflegeheimbewohner aus 19 Pflegeheimen teil.<br />
Zehn Apotheken versorgten diese mit Arzneimittel-Blistern.<br />
Die Evaluation zeigte positive Ergebnisse im Hinblick auf die Versorgungsqualität und Versorgungswirtschaftlichkeit.<br />
Umsetzung<br />
Ziel des Modellprojekts ist es, sowohl das Medikamentenmanagement als auch die Arzneimittel-Compliance<br />
bzw. -Adherence zu verbessern. Dazu stellt der Apotheker die Medikation patientenindividuell und<br />
einnahmezeitpunktbezogen zusammen (verblistern).<br />
Für die Evaluation des Projektes wurden die Abrechnungsdaten einer Studiengruppe, deren Teilnehmer<br />
verblistert versorgt wurden, mit den Abrechnungsdaten einer herkömmlich versorgten Studiengruppe<br />
verglichen. Zudem wurden Heimbewohner und Personal interviewt und Daten von beteiligten Apothekern<br />
erhoben. Eingeflossen sind auch unabhängig erhobene Ergebnisse von Heimprüfungen des MDK Bayern.<br />
Hinsichtlich Versorgungsqualität und Versorgungswirtschaftlichkeit zeigten sich unter anderem folgende<br />
Vorteile der patientenindividuellen Verblisterung:<br />
• Die Therapietreue und die Arzneimittel-Compliance wurden erhöht.<br />
• Verbessert wurden die zugeordneten Arzneimittel, Einnahmezeitpunkte und Abgabengenauigkeiten<br />
sowie hygienische Bedingungen.<br />
• Das Pflegepersonal wurde zeitlich entlastet.<br />
• Die Fachkompetenz der Apotheker wurde noch stärker in die Arzneimittel-Versorgung eingebracht: Der<br />
Apotheker überblickt die Gesamtheit der Verordnungen und kann Doppelverordnungen oder Gefahren<br />
152
Institut für Gesundheitsökonomik • Projekt zur Verbesserung der Arzneimittelversorgung<br />
durch potentielle Wechselwirkungen erkennen. Auffälligkeiten kann er an die verordnenden Ärzte weiterleiten,<br />
damit diese gegebenenfalls korrigierend eingreifen.<br />
• In Bezug auf die Versorgungswirtschaftlichkeit zeigte ein Querschnittsvergleich zwischen 2008 und<br />
2009, dass eingeschriebene Pflegeheimbewohner im Schnitt pro Woche 31 Euro weniger Kosten verursachen<br />
(s. Abbildung 31).<br />
Abbildung 31 – Durchschnittliche Mehr- bzw. Minderausgaben der AOK Bayern für Pflegebewohner (N= 428) im<br />
Querschnittsvergleich.<br />
Wöchentliche Mehr- und Minderausgaben je Bewohner im<br />
Durchschnitt (Januar 2009)<br />
Pauschale der Apotheker für die Verblisterung<br />
+ 6,10 Euro<br />
Minderausgaben für stationäre Versorgung<br />
- 33,60 Euro<br />
Mehrausgaben für ambulant-ärztliche<br />
Versorgung<br />
+ 1,54 Euro<br />
Reduzierter Arzneimittelverwurf bei Todesfall<br />
- 0,54 Euro<br />
Minderausgaben für Arzneimittelversorgung<br />
- 4,40 Euro<br />
NETTOMINDERAUSGABEN JE WOCHE(N BLISTER) im Durchschnitt<br />
Quelle: Eigene Darstellung nach IfG (2011).<br />
- 30,90 Euro<br />
Weitere Studien bestätigen einen patientenrelevanten Zusatznutzen sowie reduzierte Kosten. Insgesamt<br />
lässt sich somit durch die patientenindividuelle Arzneimittel-Verblisterung die Versorgungsqualität und<br />
-wirtschaftlichkeit deutlich verbessern.<br />
Nächste Schritte<br />
Ab Januar 2014 soll ein zweites Projekt in der Region Bad Reichenhall – Berchtesgadener Land realisiert<br />
werden. Die Durchführung dieses Projektes erstreckt sich über einen Zeitraum von zwei Jahren. Die Modellregion<br />
will die patientenindividuelle Arzneimittel-Verblisterung auf die ambulante Versorgung ausweiten.<br />
Die Erfahrungen und Ergebnisse aus dem Projekt können als Grundlage dienen für die Weiterentwicklung<br />
der Arzneimittelversorgung in ganz Bayern und Deutschland.<br />
153
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Ansprechpartner<br />
Peter Krase<br />
Ressortdirektor Vorstandsressort 1<br />
AOK Bayern<br />
Carl-Wery-Straße 28<br />
81739 München<br />
Telefon: 089 – 627 30 156<br />
E-Mail: peter.krase@by.aok.de<br />
Prof. Dr. Günter Neubauer<br />
Institut für Gesundheitsökonomik (IfG)<br />
Nixenweg 2b<br />
81739 München<br />
Telefon: 089 – 605 198<br />
E-Mail: guenter.neubauer@ifg-muenchen.com<br />
154
KHK ProMa • Ein aufsuchendes Case-Management-Konzept<br />
KHK ProMa<br />
Ein aufsuchendes Case-Management-Konzept<br />
Autor: Werner Besier<br />
Management Summary<br />
Das Versorgungsprogramm KHK ProMa (Projekt Mannheim) richtet sich an Patienten mit Koronarer Herzkrankheit<br />
(KHK), die an mindestens zwei weiteren chronischen Erkrankungen leiden. Zusätzlich zur Regelversorgung<br />
werden diese Patienten durch einen persönlichen Fallmanager versorgt – bei sich zu Hause.<br />
Das aufsuchende Case Management schafft eine Vertrauensbasis zwischen Fallmanager und Patient. Der<br />
Fallmanager erhält einen Einblick in das psychosoziale Umfeld des Betroffenen und er kann den Krankheitsverlauf<br />
engmaschig monitorieren. Die Compliance des Patienten und das Selbstversorgeverhalten sollen so<br />
gestärkt werden. Es können Begleiterkrankungen mit erheblichem Interventionsbedarf erkannt werden, die<br />
zuvor unentdeckt geblieben wären (z. B. Depression mit Suizidalität). Und im Falle eines negativen Verlaufs<br />
kann der Case Manager frühzeitig eingreifen. Insgesamt werden somit Lebensqualität und Mobilität der<br />
Patienten verbessert, stationäre Behandlungen vermieden und gesundheitsökonomische Vorteile erreicht.<br />
Das Projekt wurde von dem Gesundheitsprojekt Mannheim e.G. initiiert und zwischen Januar 2011 und<br />
September 2012 durchgeführt. Alle Meilensteile wurden eingehalten – einzige Ausnahme war eine zeitliche<br />
Abweichung bei der Einschreibung der Patienten. Derzeit findet eine Nachbeobachtung statt (drittes<br />
Quartal 2013).<br />
Erste Evaluationsergebnisse des Instituts for Public Health der Medizinischen Fakultät Mannheim der<br />
Universität Heidelberg zeigen positive Auswirkungen auf die anfallenden Behandlungskosten.<br />
Umsetzung<br />
Andere Case-Management-Programme sind meist auf den telefonischen Kontakt beschränkt. Eine persönliche<br />
Bindung wird oft nicht hergestellt. Diese ist aber essenziell für eine bestmögliche Versorgung. Im Gegensatz<br />
dazu setzt das KHK ProMa Projekt auf ein persönliches, aufsuchendes Case Management. Von der<br />
teilnehmenden Hausarztpraxis wird ein Dialogassistent eingesetzt – in der Regel die erste Medizinische<br />
Fachangestellte (MFA). Sie hält regelmäßig Kontakt zum Case Manager. Kommt es bei den Patienten zu<br />
Auffälligkeiten, meldet der Case Manager diese an den Dialogassistenten, der schließlich den Arzt miteinbezieht<br />
(s. Abbildung 32). Dadurch werden integrative Kommunikation und Zusammenarbeit möglich.<br />
An dem Modellprojekt KHK ProMa nahmen insgesamt 24 Hausarztpraxen teil. Einschreiben konnten sich<br />
Patienten mit KHK und mindestens zwei weiteren chronischen Krankheiten. Die insgesamt 384 Teilnehmer<br />
wurden in vier Gruppen aufgeteilt. Je nach Gruppe unterschieden sich die Interventionen. Lediglich die 116<br />
Patienten der Gruppe 1 wurden intensiv und regelmäßig alle 14 Tage von einem Fallmanager zu Hause besucht.<br />
Aufgabe des Fallmanagers war es einerseits, klinische Parameter zu erheben (z. B. Gewicht, Blutdruck,<br />
Atemnot, Laborwerte). Zum anderen sollte er ein persönliches Verhältnis zu dem Patienten aufbauen<br />
und ihn unterstützen. Die zweite Gruppe von 101 Patienten wurde vom Case Manager nicht unterstützt,<br />
155
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
sondern nur alle zwei Wochen befragt, beispielsweise nach dem Wohlbefinden. Die 113 Patienten der Gruppe<br />
3 erhielten nur ein Anfangs-, Zwischen- und Endassessment. Gruppe 4 umfasste 64 Patienten: die sogenannten<br />
„Verweigerer“. Sie werden lediglich durch einen Erst-, Zwischen- und Abschlussbogen erfasst.<br />
Abbildung 32 – Vereinfachte Darstellung des Versorgungsablaufs des KHK ProMa-Projektes<br />
KHK-Patient<br />
Aufsuchendes Case<br />
Management<br />
(inkl. Hausbesuch zu<br />
Beginn erforderlich)<br />
Kommunikation<br />
Dialogassistenz<br />
(1. MFA)<br />
Hausarztpraxis<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Finanziert wird das Projekt durch die Firma <strong>MSD</strong> Sharp & Dohme GmbH, durch das Mannheimer Institut<br />
for Public Health sowie durch das Gesundheitsprojekt Mannheim e.G.<br />
Nächste Schritte<br />
Die Infrastruktur für das qualitative Case Management wurde einmalig aufgebaut, die Fallmanager wurden<br />
geschult und zertifiziert. Geeignet ist der Case-Management-Ansatz jedoch nicht nur bei KHK-Patienten,<br />
sondern bei allen chronisch kranken Patienten, die ihre Basisbehandlung bei ihrem Hausarzt in<br />
Anspruch nehmen. Die Delegation ärztlicher Leistungen an nicht-ärztliches Personal kann somit realistisch<br />
umgesetzt werden, der Hausarzt wird weiter entlastet.<br />
Erste Ergebnisse der Evaluation zeigen positive Auswirkungen auf die anfallenden Be handlungskosten.<br />
Endgültige Ergebnisse werden zum Jahresende 2013 erwartet.<br />
Ansprechpartner<br />
Dr. med. Werner Besier<br />
Gesundheitsprojekt Mannheim e.G.<br />
Liebfrauenstraße 21<br />
68259 Mannheim<br />
Telefon: 0621 – 79 00 440<br />
E-Mail: praxis@dr-besier.de<br />
156
Klinik-Apotheke des Universitätsklinikums CGC Dresden<br />
Klinik-Apotheke des Universitätsklinikums CGC<br />
Dresden<br />
Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit durch Kombination<br />
des Einsatzes von Stationsapothekern mit Unit-Dose-Versorgung<br />
Autor: Holger Knoth<br />
Management Summary<br />
Die Klinik-Apotheke des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden (UKD) hat ein Versorgungsmodell<br />
konzipiert und umgesetzt, das Patienten effizienter mit Arzneimitteln versorgt und eine sichere und<br />
effektive Arzneimitteltherapie gewährleistet. Kern des Projektes ist neben einer Unit-Dose-Versorgung<br />
mit festen peroralen Arzneimitteln die Integration eines Apothekers in das multiprofessionelle Stationsteam<br />
und somit in den Behandlungsprozess. Der Stationsapotheker steht Patienten, Ärzten und Pflegepersonal<br />
als Ansprechpartner und Berater vor Ort zur Verfügung, was gewinnbringend für alle am<br />
Medikationsprozess Beteiligten ist und zu ökonomischen Vorteilen für das Krankenhaus führt.<br />
Durch die verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit und die unterstützende Arzneimittellogistik werden<br />
Fehler reduziert und vermieden, das ärztliche und pflegerische Personal entlastet und Arzneimittelverbrauchskosten<br />
gesenkt. Darüber hinaus ermöglicht das Modell einen unproblematischen Schnittstellentransfer<br />
zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, in dem der Stationsapotheker die<br />
Arzneimittelanamnese durchführt bzw. überprüft, Entlassgespräche mit Patienten führt, den Medikationsteil<br />
in Entlass- und Verlegungsbriefen kontrolliert und der Patient mit Entlassmedikation versorgt<br />
wird.<br />
Das Projekt startete 2007 auf einer orthopädischen Station und wird derzeit auf 15 Stationen verwirklicht.<br />
Aktuell sind 13 Mitarbeiter (10 Stationsapotheker und 3 PTAs/Pharm.-Ing.) involviert. Die Finanzierung<br />
erfolgt durch das UKD und die in das Projekt integrierten Kliniken.<br />
In einer 2012 durchgeführten Umfrage unter Ärzten und Pflegepersonal stimmten 85 Prozent der Befragten<br />
zu, dass das Versorgungsmodell die Arzneimitteltherapiesicherheit erhöht.<br />
Umsetzung<br />
Im UKD ist der Stationsapotheker Teil des Wertschöpfungsprozesses bei der Behandlung des Patienten.<br />
Um die Versorgung mit Arzneimitteln zu optimieren, ist er von Anfang an in die Patientenbetreuung eingebunden.<br />
Damit der zuständige Stationsapotheker dem Versorgungsbedarf einer Universitätsklinik gerecht<br />
werden kann, ist er unter der Woche täglich in den Stationsablauf integriert und steht Patienten und<br />
Stationspersonal als kompetenter Ansprechpartner vor Ort zur Verfügung.<br />
Bereits bei der Patientenaufnahme hat er eine wesentliche Funktion: die Durchführung bzw. Überprüfung<br />
der Arzneimittelanamnese des Patienten sowie die Umstellung der Hausmedikation auf im Klinikum ge-<br />
157
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
listete Präparate. Die orale Medikation wird im Anschluss patientenindividuell in der Klinik-Apotheke zusammengestellt<br />
und zeitnah an die Station geliefert. Ein nahtloser Übergang an der Schnittstelle zwischen<br />
ambulanter und stationärer Versorgung wird somit gewährleistet.<br />
Im weiteren Verlauf des Krankenhausaufenthaltes führt der Apotheker im Anschluss an die ärztliche Visite<br />
eine Kurvenvisite durch, bei der die Medikation des Patienten u.a. auf Kontraindikationen, relevante Wechselwirkungen<br />
sowie die korrekte Dosierung der Arzneimittel überprüft wird. Bei Arzneimitteln mit geringer<br />
therapeutischer Breite und damit verbundenem erhöhten Nebenwirkungspotential empfiehlt der Stationsapotheker<br />
ein Therapeutisches Drug Monitoring und passt in Zusammenarbeit mit dem Arzt die<br />
Dosierung an. Der Patient wird täglich mit für ihn individuell zusammengestellten festen peroralen Arzneimitteln<br />
in sog. Unit-Dose-Tüten beliefert. Diese werden in der Klinik-Apotheke mit Hilfe eines modernen<br />
Unit-Dose-Kommissionierautomaten hergestellt, was zu einer Entlastung des Pflegepersonals durch<br />
Wegfall des zeitaufwendigen Stellens führt. Auf den Unit-Dose-Tüten sind wichtige Angaben wie Patientenname,<br />
Fallnummer, Station, Bezeichnung des Arzneimittels und des Wirkstoffes, Datum und Uhrzeit<br />
der Einnahme sowie besondere Einnahmehinweise aufgedruckt. Der damit verbundene Informationsgewinn<br />
für den Patienten führt zu weniger Fehlern bei der Einnahme und erhöht die Compliance. Einen besonderen<br />
Schwerpunkt legt die Klinik-Apotheke auf den rationalen Einsatz von Antibiotika zur Minimierung<br />
von Resistenzbildungen und Reduktion der Arzneimittelkosten. Außerdem werden selten genutzte, teure<br />
orale Arzneimittel (sog. Sonderanforderungen) zentral in der Klinik-Apotheke gelagert. Durch die optimierte<br />
Logistik sind diese allen versorgenden Stationen zugänglich. Wird der Patient vor dem Wochenende<br />
oder einem Feiertag entlassen, ist durch die Unit-Dose-Versorgung eine Mitgabe der Entlassmedikation<br />
möglich.<br />
Die effizientere Gestaltung des Wertschöpfungsprozesses führt zu zahlreichen Vorteilen: So werden z. B.<br />
fehlerhafte Arzneimitteleinnahmen und Doppelverordnungen verringert und Wechselwirkungen vermieden.<br />
Der Patient fühlt sich besser betreut und findet im Stationsapotheker einen kompetenten Ansprechpartner.<br />
Pharmazeutische Interventionen werden mit Hilfe der Online-Datenbank DokuPik ® dokumentiert<br />
und regelmäßig ausgewertet. Die dadurch aufgedeckten Schwachstellen im Medikationsprozess können<br />
durch gezielte Schulungen und Prozessumstrukturierungen zukünftig vermieden werden. Pflegekräfte<br />
und Ärzte gewinnen durch die zusätzliche Patientenbetreuung des Apothekers Zeit, die sie wiederum in<br />
die Behandlung des Patienten investieren können. Die optimierte Prozesskette führt zu wirtschaftlichen<br />
Verbesserungen, demgegenüber stehen die Personal- und Investitionskosten für den Kommissionierautomaten.<br />
Nächste Schritte<br />
Perspektivisch soll das Versorgungskonzept auf weitere Kliniken (Innere Medizin, Neurologie, Dermatologie)<br />
ausgeweitet werden, so dass die Zahl der versorgten Betten von derzeit 439 auf etwa 600 steigen<br />
wird.<br />
Die bislang schwer zu evaluierende Wirtschaftlichkeit des Projektes soll zukünftig durch eine Kosten-<br />
Nutzen-Analyse der Versorgungsstruktur in Zusammenarbeit mit dem klinikinternen Qualitätsmanagement<br />
erfolgen, bei welcher der quantitative und qualitative Mehrwert über die Zeit beschrieben werden<br />
soll. Ein Schwerpunkt soll dabei die Bewertung der Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit durch<br />
Einbindung des Stationsapothekers in den Medikationsprozess sein.<br />
158
Klinik-Apotheke des Universitätsklinikums CGC Dresden<br />
Ansprechpartner<br />
Dr. rer. nat. Holger Knoth<br />
Leiter der Klinik-Apotheke<br />
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden<br />
Fetscherstr. 74<br />
01307 Dresden<br />
Telefon: 0351 – 458 2330<br />
E-Mail: holger.knoth@uniklinikum-dresden.de<br />
www.uniklinikum-dresden.de/das-klinikum/<br />
geschaftsbereiche/klinik-apotheke<br />
159
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
KOS e.G.<br />
Das Kompetenznetz Orthopädie/Unfallchirurgie Saar e.G.<br />
Autor: Gerd Lanzer<br />
Management Summary<br />
Das Kompetenznetz Orthopädie/Unfallchirurgie Saar e.G. (KOS e.G.) will die Versorgung der saarländischen<br />
Bevölkerung bei Erkrankungen und Verletzungen der Haltungs- und Bewegungsorgane sicherstellen.<br />
Dazu haben sich im Saarland qualitätsorientierte Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie<br />
Physiotherapeuten in freier Praxis vernetzt.<br />
Darüber hinaus wird Wert gelegt auf eine saarlandweite, flächendeckende und wohnortnahe fachärztliche<br />
Versorgung. Durch Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen der KOS-Akademie wird die orthopädisch-unfallchirurgische<br />
Versorgung seit 6 Jahren ständig verbessert.<br />
KOS e.G. ist eine eingetragene Genossenschaft, die bereits 2007 gegründet wurde.<br />
Zurzeit besteht das Kompetenznetz aus 57 kassenärztlich tätigen Fachärzten für Orthopädie und Unfallchirurgie<br />
sowie ca. 150 Physiotherapeuten. Derzeit bestehen vier Integrierte Versorgungsverträge nach<br />
§ 140a–d SGB V, die v.a. durch die Verhandlungsstrategie ihres Vorstandsvorsitzenden implementiert<br />
wurden:<br />
mit der IKK Südwest, der Barmer-GEK, der DAK sowie ein Vertrag mit der Barmer-GEK und Techniker<br />
Krankenkasse zur endoprothetischen Versorgung der Gonarthrose und Coxarthrose.<br />
Umsetzung<br />
Die KOS-Ärzte und KOS-Physiotherapeuten sind flächendeckend über das gesamte Saarland niedergelassen.<br />
Durch die aktive Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen im Netz wurde ein hoher medizinischer<br />
Standard in der Versorgung erreicht. Die Mitarbeit der Physiotherapeuten deckt zunehmend die<br />
Anforderungen an Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention bei muskuloskelettalen Beschwerden ab. Der<br />
Orthopäde/Unfallchirurg organisiert als Case Manager eine umfangreiche Diagnostik und Versorgung – in<br />
kurzer Zeit und auf hohem Niveau. Folgender Mehrwert ergibt sich aus dem Versorgungsangebot für die<br />
Patienten:<br />
• Wahlfreiheit über die Teilnahme an langfristigen Programmen der Integrierten Versorgung<br />
• Terminvergabe innerhalb von drei Tagen<br />
• Verbesserte Verzahnung von Praxis sowie Krankenhaus- und Reha-Einrichtungen<br />
• Facharztuntersuchung innerhalb des ambulanten Sektors (Facharztstatus)<br />
• Intensiver Erfahrungsaustausch, erhöhte Prozesstransparenz und Vermeidung von Doppeluntersuchungen<br />
160
KOS e.G. • Das Kompetenznetz Orthopädie/Unfallchirurgie Saar e.G.<br />
• Kooperation der Fachärzte mit anderen Teilbezeichnungen durch Weiterüberweisung zu netzwerkinternen<br />
Spezialisten<br />
• Zeitgewinnung durch verpflichtende Einführung des Qualitätsmanagements<br />
• Verkürzung von Arbeitsunfähigkeitszeiten durch zeitnahen Therapiebeginn.<br />
Bereits im Jahr der Gründung wurde eine Informations- und Kommunikationsstruktur aufgebaut – bestehend<br />
aus einem KOS-Intranet, KOS-Internet, KOS-Lexikon, KOS-Akademie sowie aus Kooperationen mit<br />
anderen Einrichtungen. Die Struktur wurde regelmäßig dynamisch weiterentwickelt und hat sich in dieser<br />
Form bewährt.<br />
Durch das KOS-Intranet wurde die interne Kommunikation zwischen den verschiedenen Berufsgruppen<br />
verbessert. Über das KOS-Internet haben die Patienten die Möglichkeit, sich durch bestimmte Suchbegriffe<br />
einen Versorger auszusuchen, der für ihre Erkrankung und wohnortnah zuständig ist.<br />
Im Rahmen der KOS-Akademie finden fachärztliche und physiotherapeutische Weiterbildungen statt –<br />
pro Jahr sechs Veranstaltungen, jeweils zu medizinischen und physiotherapeutischen Themen. In diesem<br />
November (2013) findet bereits der 7. Kooperationskongress mit weit über hundert Ärzten und Physiotherapeuten<br />
statt.<br />
Weiterhin finden Mitarbeiterweiterbildungen und -schulungen zu spezifischen Themen statt – wie beispielsweise<br />
Hygiene, Strahlenschutz oder Verbandstechniken. Vorträge und Informationsveranstaltungen<br />
für Patienten werden von einzelnen Netzarztpraxen angeboten und vom KOS finanziell unterstützt. Seit<br />
der Gründung des Kompetenznetzwerks sind unter anderem Kooperationen mit folgenden Einrichtungen<br />
entstanden:<br />
• IOKN Saar e.V. (Interdisziplinäres Osteologisches Kompetenznetz Saar e.V.)<br />
• IQR (Interdisziplinärer Qualitätszirkel Rheuma)<br />
• Facharztforum Saar (Zusammenschluss von etwa 250 unterschiedlichen Fachärzten und Psychotherapeuten<br />
innerhalb des Saarlandes)<br />
• Berufsverband BVOU e.V. (Landesverband des Berufsverbandes der Orthopäden und Unfallchirurgen<br />
Berlin).<br />
Nächste Schritte<br />
Eine geplante Aktivität ist die Terminvergabe über das Internet, damit Patienten deutlich schneller Termine<br />
vereinbaren können. Um die Marke KOS noch bekannter zu machen und um das Image zu steigern,<br />
sollen Social-Media-Kanäle aufgebaut werden – wie beispielsweise eine Facebook-Fanpage. Schließlich<br />
stehen Verhandlungen über Integrierte Versorgungsverträge Osteoporose an – mit der Techniker Krankenkasseund<br />
der Knappschaft-Bahn-See. Zudem wird mit einem Krankenhaus über die Gründung einer<br />
KOS eigenen Abteilung im Krankenhaus verhandelt.<br />
161
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Ansprechpartner<br />
Dr. Gerd Lanzer<br />
Vorstandsvorsitzender<br />
Kompetenznetz Orthopädie und Unfallchirurgie SAAR – KOS e.G.<br />
Bismarckstraße 11<br />
66333 Völklingen<br />
Telefon: 06898 – 901 93 03<br />
E-Mail: geschaeftsstelle@kos-eg.de<br />
www.kos-eg.de<br />
162
Marienstift Arnstadt • Versorgung neu Denken – Integrierte Behandlung von Endoprothetik<br />
Marienstift Arnstadt<br />
Versorgung neu Denken – Integrierte Behandlung von Endoprothetik<br />
Autor: Angelika Donat<br />
Management Summary<br />
Die Orthopädische Fachklinik des Marienstifts Arnstadt bietet seit acht Jahren die Behandlung von künstlichen<br />
Hüft-, Knie- und Schultergelenken an sowie den Wechsel von Knieendoprothesen – beides im Rahmen<br />
eines Integrierten Versorgungsvertrags nach § 140a–d SGB V. Das Konzept basiert auf einer integrierten,<br />
sektorenübergreifenden Vernetzung sowie einer lückenlosen Kommunikation aller Leistungserbringer,<br />
die an der Versorgung beteiligt sind. In das Modell eingeschriebene Patienten profitieren von dem mehrstufigen<br />
Diagnostik-, Therapie- und ambulanten Nachsorgeprogramm – mit einer individuellen Begleitung<br />
durch einen Fall-Manager. Der Patient wird 18 Monate im Modell begleitet, hat den Fallmanager als ständigen<br />
Ansprechpartner, der alle notwendigen Behandlungsschritte organisiert. Durch die enge Zusammenarbeit<br />
der Versorgungsbereiche wird die Behandlung von Endoprothetik-Patienten optimiert; die Behandlungsqualität<br />
wird durch die Erschließung therapeutischer Synergien deutlich verbessert. Finanziert<br />
wird das Modell über spezielle Fallpauschalen. Am IV-Projekt zur Behandlung von Endoprothetik beteiligen<br />
sich neben der Orthopädischen Klinik des Marienstift Arndstadt sechs Krankenkassen (Barmer-GEK, Techniker<br />
Krankenkasse, Deutsche Angestellten Krankenkasse, Hamburg-Münchener-Krankenkasse, HEK –<br />
Hanseatische Krankenkasse, IKK classic), niedergelassene Ärzte (Hausärzte, Orthopäden, Chirurgen),<br />
Reha-Kliniken (stationär und ambulant), Hilfsmittelversorger und ambulante Physiotherapien.<br />
Umsetzung<br />
In den Integrierten Versorgungsvertrag der Orthopädischen Klinik Marienstift Arnstadt können sich diejenigen<br />
Patienten einschreiben, denen der Einsatz eines künstlichen Hüft-, Knie- oder Schultergelenks oder<br />
aber ein Knieendoprothesenwechsel bevorsteht – und die bei einer der sechs Partnerkassen versichert<br />
sind. Die Teilnahme am Modell erfolgt freiwillig mit der Unterzeichnung der Teilnahmeerklärung. Mit der<br />
Einschreibung beginnt das mehrstufiges Diagnostik-, Therapie- sowie Nachsorgeprogramm des IV-Modells.<br />
Dieses umfasst vier Module, die verschiedene Interventionen beinhalten (s. Abbildung 33).<br />
In der präoperativen Phase wird dem Patienten unter anderem ein Fall-Manager zugeteilt. Er begleitet den<br />
Patienten durch das 18-monatige Programm, steht ihm als persönlicher Ansprechpartner zur Verfügung<br />
und koordiniert die Behandlungsschritte berufsgruppenübergreifend. Operiert wird spätestens drei Wochen<br />
nachdem die Indikation für den Eingriff gestellt wurde. Bei Diagnostik und Therapie kommt die<br />
Oberflächen-EMG-gestützte Ganganalyse zum Einsatz, die die natürliche elektrische Aktivität eines Muskels<br />
misst. Funktions-, Koordinations- und Wahrnehmungsstörungen können so objektiv erfasst und die<br />
Therapiemaßnahmen entsprechend angepasst werden. Komplikationen und ein vorzeitiger Verschleiß<br />
der Endoprothese lassen sich dadurch effektiv vermeiden. In der ambulanten Nachsorge geht es vor allem<br />
um die physiotherapeutische Behandlung sowie die soziale Reintegration des Patienten.<br />
163
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Abbildung 33 – Übersicht über die Module des IV-Vertrages<br />
Präoperative<br />
Phase<br />
Zuteilung eines<br />
Fall-Managers<br />
Oberflächen-<br />
EMG-<br />
Ganganalyse<br />
Klinische<br />
Untersuchungen<br />
/ Labor<br />
Nachbehandlung<br />
Kontrolluntersuchungen<br />
nach 6<br />
Monaten, 1 Jahr<br />
und 1<br />
Jahren<br />
Vorbehandlung<br />
Peri-/<br />
postoperative<br />
Phase<br />
Operation<br />
Ärztliche<br />
Befundkontrollen<br />
Ambulante<br />
Nachsorge<br />
Medizinische<br />
Trainingstherapie<br />
(14 Einheiten,<br />
2x wöchentlich)<br />
Oberflächen-<br />
EMG-<br />
Ganganalyse<br />
Gangschule /<br />
Unterarmstütz-<br />
entwöhnung<br />
Schulung des<br />
alltäglichen<br />
Lebens (ADL)<br />
Rehabilitationsphase<br />
Ambulante /<br />
stationäre<br />
Reha-<br />
Maßnahmen<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Durch die enge Abstimmung der beteiligten Vertragspartner werden Doppeluntersuchungen vermieden<br />
und der Behandlungserfolg wird nachweislich verbessert. Der IV-Vertrag stößt daher nicht nur bei den<br />
Patienten und Vertragspartnern auf große Akzeptanz – in Studien konnten gegenüber der Regelversorgung<br />
eine deutlich geringere stationäre Verweildauer festgestellt werden, geringere Behandlungskosten,<br />
eine höhere Patientenzufriedenheit sowie weniger Arbeitsunfähigkeitstage. Die Patienten profitieren von<br />
einer hohen Aufgeklärtheit, sind wesentlich besser über den gesamten Behandlungsablauf informiert.<br />
Das einheitliche, hochqualifizierte Nachsorgeprogramm wird durch den Patienten als besonders positiv<br />
für den Behandlungserfolg bewertet.<br />
Nächste Schritte<br />
Die positiven Effekte der Integrierten Versorgung bei der Behandlung von Endoprothetik der Orthopädischen<br />
Klinik Marienstift Arnstadt sind mittlerweile auch in den angrenzenden Bundesländern bekannt. Die<br />
Klinik gewinnt dadurch viele Patienten aus dem weiteren Umland. Zudem findet ein stetiger Ausbau des<br />
Partner-Netzwerks statt. Pro Jahr gewinnt die Klinik beispielsweise zehn physiotherapeutische Praxen mit<br />
entsprechender Qualifikation hinzu. Nicht zuletzt wurde die Orthopädische Klinik 2012 in die Focus-Klinikliste<br />
aufgenommen – und zählt dort zu den 25 am meisten zu empfehlenden Fachkliniken für Orthopädie.<br />
Perspektivisch soll das IV-Partner-Netz weiter ausgebaut sowie die Behandlungsqualität im Modell kontinuierlich<br />
optimiert werden.<br />
Ansprechpartner<br />
Angelika Donat<br />
Leiterin Zentrales Controlling<br />
Marienstift Arnstadt<br />
Orthopädische Fachklinik<br />
Wachsburgallee 12<br />
99310 Arnstadt<br />
Telefon: 03628–720 220<br />
www.ms-arn.de<br />
164
McDonald’s Kinderhilfe<br />
Ronald McDonald Oasen<br />
McDonald’s Kinderhilfe • Ronald McDonald Oasen<br />
Autor: Dr. Micha Wirtz<br />
Management Summary<br />
Die Ronald McDonald Oasen sind ein Projekt der McDonald’s Kinderhilfe Stiftung, welches ambulante<br />
Klinikaufenthalte für Kinder und ihre Familien so angenehm wie möglich gestalten möchte. Da immer<br />
mehr Behandlungen ambulant durchgeführt werden, entstehen lange Wartezeiten. In den Ronald McDonald<br />
Oasen finden die kleinen Patienten und ihre Angehörigen einen Rückzugsort direkt in der Kinderklinik;<br />
sie können die Wartezeit dort in angenehmer Atmosphäre überbrücken. Dies soll den Genesungsprozess<br />
fördern und die Belastung für Patienten und Eltern reduzieren.<br />
Die McDonald’s Kinderhilfe Stiftung setzt sich in Deutschland seit 26 Jahren für die Gesundheit und das<br />
Wohlergehen von Kindern ein. Das Programm der Ronald McDonald Oasen gibt es seit 2008 und wird<br />
aus Mitteln der Stiftung sowie angeworbenen Fördermitteln finanziert. Bis heute wurden deutschlandweit<br />
drei Oasen in Kinderkliniken eröffnet: in Erlangen, Köln und Sankt Augustin. Sowohl bei den Kindern<br />
und Eltern als auch beim Klinikpersonal stoßen die Oasen auf ein durchweg positives Feedback. Das<br />
zeigte ein unabhängiges Gutachten der Ludwig-Maximilians-Universität München. Drei weitere Ronald<br />
McDonald Oasen sind geplant beziehungsweise bereits im Bau.<br />
Umsetzung<br />
Zu den Grundvoraussetzungen für die Realisierung der Ronald McDonald Oasen gehören der proaktive<br />
Anstoß durch die Klinik und die kooperative Zusammenarbeit zwischen der Klinik und der Ronald McDonald<br />
Oase. Der Erfolg einer Oase hängt maßgeblich von der Integration in den Klinikalltag ab. Unerlässlich<br />
ist daher ist ein hoher Informationsaustausch zwischen Klinikleitung, Klinik- und Pflegepersonal sowie<br />
dem Team der Ronald McDonald Oasen. Zum anderen müssen grundlegende Bedingungen bezüglich der<br />
ambulanten Fallzahlen (mehr als 11.700 pro Jahr) und der baulichen Voraussetzungen erfüllt sein (ausreichend<br />
Platz in der Klinik bzw. innerhalb des Klinikgeländes).<br />
Die Oasen sind ca. 150 Quadratmeter groß und so in die Klinik integriert, dass die Behandlungsräume in<br />
maximal zwei bis drei Gehminuten erreicht werden können. In den Oasen gibt es diverse Entspannungsmöglichkeiten<br />
wie eine Spielecke mit Schaukel und Kinderbüchern sowie Möglichkeiten für den Austausch<br />
mit anderen Eltern (s. Abbildung 34). Die Oasenleitung und ehrenamtliche Mitarbeiter stehen<br />
während der gesamten ambulanten Behandlungszeit als Ansprechpartner zur Verfügung. Sämtliche Angebote<br />
der Oasen sind kostenlos, so auch Kaffee und Softgetränke. Überdies besteht die Möglichkeit,<br />
warme Speisen zuzubereiten. Je nach Größe der Oase kann diese zusätzlich bis zu vier Appartements<br />
enthalten, in denen Eltern besonders kranker oder neugeborener Kinder übernachten können; so wird<br />
eine familienzentrierte Betreuung ermöglicht.<br />
165
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Abbildung 34 – Aufenthaltsraum der Ronald McDonald Oase Erlangen<br />
Quelle: McDonald‘s Kinderhilfe Stiftung.<br />
Eltern empfinden den Einfluss der Oase auf die weitere Behandlung ihrer Kinder durchweg positiv, wie<br />
eine unabhängige Umfrage unter 1.676 Familien zeigte. Auch beim Klinikpersonal stoßen die Oasen auf<br />
breite Zustimmung. Denn die Oasen schaffen eine verbesserte Ausgangssituation für die Behandlung,<br />
indem sich Kinder und Eltern während der Wartezeiten nicht in den Klinikgängen aufhalten müssen und<br />
sie dadurch wesentlich entspannter sind. Dies kommt nicht zuletzt dem Behandlungserfolg zugute und<br />
unterstützt und beschleunigt den Genesungsprozess. Somit sind die Ronald McDonald Oasen nicht nur<br />
für Patienten und ihre Familien ein echter Mehrwert, sie sind auch für die Kinderkliniken eine sinnvolle<br />
Ergänzung des Angebots – und somit ein wichtiger Standortvorteil.<br />
Nächste Schritte<br />
Derzeit sind Ronald McDonald Oasen in drei weiteren Kliniken geplant; konkrete Vertragsverhandlungen<br />
sind bereits angelaufen. Eine der drei Oasen wird im Altonaer Kinderkrankenhaus in Hamburg entstehen.<br />
Hier wird zusätzlich ein Ronald McDonald Haus erbaut, welches in der Nähe der Kinderklinik Familien<br />
schwer kranker Kinder ein Zuhause auf Zeit bietet. Auf insgesamt 750 Quadratmetern werden im Rahmen<br />
des Projekts elf Apartments errichtet – mit einem großen Aufenthaltsraum, der gleichzeitig als Ro-<br />
166
McDonald’s Kinderhilfe • Ronald McDonald Oasen<br />
nald McDonald Oase dienen wird. Die Bauarbeiten für das Projekt sollen im November 2013 beginnen.<br />
Die Fertigstellung und Eröffnung der Oase sowie des Ronald McDonald Hauses in Hamburg sind für das<br />
zweite Quartal 2014 geplant.<br />
Ansprechpartner<br />
Dr. Micha Wirtz<br />
Direktor Kommunikation<br />
McDonald’s Kinderhilfe Stiftung<br />
Max-Lebsche-Platz 15<br />
81377 München<br />
Telefon: 089 – 740 066 50<br />
E-Mail: micha.wirtz@mdk.org<br />
www.mcdonalds-kinderhilfe.org<br />
167
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
medicum Hamburg<br />
Innovative patientenzentrierte ambulante Diabetiker-Rundum-<br />
Versorgung aus einer Hand<br />
Autor: Matthias Riedl und Torsten Schudde<br />
Management Summary<br />
Das medicum Hamburg ist die größte Diabetesschwerpunktpraxis in Deutschland. Die Praxis ist als MVZ<br />
strukturiert und bietet unter einem Dach sämtliche Fachbereiche an, die für Diabetiker relevant sind. Das<br />
medicum Hamburg definiert sein Angebot ausgehend von den Bedürfnissen der chronisch kranken Patienten;<br />
es hebt sich so von der sonst üblichen Spezialisierung der modernen Medizinlandschaft ab. Durch<br />
die enge Zusammenarbeit verschiedener Fachbereiche werden bestehende Versorgungsdefizite bei Diabetes<br />
gezielt behoben – was sowohl zu besseren Behandlungsergebnissen führt als auch zu Kosteneinsparungen<br />
für die Krankenkassen. Zudem ist das Modell auch für die Ausbildung des ärztlichen Nachwuchses<br />
geeignet – und zählt so zu den akademischen Lehrpraxen zweier Universitäten.<br />
Entstanden ist das medicum Hamburg 2008 aus der Neustrukturierung der Diabetiker Zentrale Hamburg.<br />
Mittlerweile betreibt das medicum Hamburg zwei Filialen mit jeweils neun Fachbereichen. Das erste<br />
deutsche „Themen-MVZ“ beschäftigt rund 100 Mitarbeiter.<br />
Umsetzung<br />
Es ist die Grundidee des medicum Hamburg, die Versorgung von Diabetikern an den Bedürfnissen der Patienten<br />
auszurichten. Bei der Behandlung von Diabetes ist die Expertise vieler verschiedener Fachbereiche<br />
gefragt; gleichzeitig fragmentiert das Gesundheitswesen. Das führt dazu, dass Diabetiker oftmals nicht die<br />
notwendige Anzahl an Untersuchungen wahrnehmen. Das medicum Hamburg geht dieses Versorgungsdefizit<br />
an, indem es in einer Praxis sämtliche Diabetes-relevanten Fachbereiche anbietet. Hierzu zählen:<br />
• Schwerpunktpraxis Diabetes<br />
• Schwerpunktpraxis Ernährungsmedizin<br />
• Kardiologie<br />
• Augenheilkunde<br />
• Hausarztmedizin<br />
• Innere Medizin<br />
• Psychotherapiezentrum<br />
• Parodontologie/Zahnmedizin<br />
• Fußambulanz mit Schuhorthopädiemechanikermeister und Podologieabteilung.<br />
168
medicum Hamburg<br />
Angeschlossen sind zudem eine Apotheke und ein Hilfsmittelgeschäft, in dem der gesamte Diabetesbedarf<br />
bezogen werden kann.<br />
Die im MVZ ansässigen Fachbereiche orientieren sich an einem gemeinsamen Behandlungspfad und<br />
arbeiten mit einer gemeinsamen Akte pro Patient. Dies ermöglicht ein einheitliches Vorgehen, den barrierefreien<br />
Datenaustausch und hilft Doppeluntersuchungen zu vermeiden. Bei komplizierten Fällen können<br />
– je nach Bedarf und ohne große Umstände – Fallkonferenzen durchgeführt werden, da alle Facharztrichtungen<br />
in einem Haus sitzen. Nicht zuletzt profitieren auch alle beteiligten Fachbereiche von der<br />
Zusammenarbeit und dem Blick über den Tellerrand.<br />
Von besonderer Bedeutung bei der Versorgung ist die Einbindung eines Psychotherapiezentrums sowie<br />
eines Zahnmediziners ins MVZ – schließlich sind die Versorgungsdefizite bei Diabetikern gerade in diesen<br />
beiden Bereichen gravierend.<br />
Die Patienten des medicum Hamburg brauchen für ihre Versorgung weniger Zeit und weniger (Fahr-)Geld<br />
– und sie profitieren von einer koordinierten Behandlung eines Ärzteteams. Aus Kassensicht bietet das<br />
Modell ebenfalls erhebliche Vorteile: Die Honorarforderungen des interdisziplinären Konzepts sind um<br />
rund 30 Prozent geringer als bei einer vergleichbaren Behandlung durch mehrere Einzelpraxen, da nur ein<br />
Behandlungsfall bezahlt werden muss. Das Konzept des medicum Hamburg ist nicht zuletzt auch auf die<br />
Arbeitsplatzanforderungen junger Ärzte optimal ausgerichtet, indem es familientaugliche Arbeitszeiten<br />
und Teilzeitstellen anbietet.<br />
Nächste Schritte<br />
Perspektivisch plant das medicum Hamburg die Integration weiterer Fachbereiche (Neurologie und Gynäkologie)<br />
sowie eines ambulanten Pflegedienstes. Darüber hinaus sind weitere Filialen in Hamburg geplant,<br />
um flächendeckend eine einheitliche und qualitätsgesteuerte Versorgung anbieten zu können. Den<br />
Patienten soll in Zukunft eine Zentralnummer für ihre gesundheitlichen Anliegen zur Verfügung stehen.<br />
Grundlage der weiteren Planung ist wie bisher die Ausbildung und Qualifizierung weiterer Fachkräfte, die<br />
für die Arbeit im MVZ spezifische Kenntnisse mitbringen.<br />
Ansprechpartner<br />
Dr. Matthias Riedl<br />
Ärztlicher Leiter und Geschäftsführer<br />
medicum Hamburg<br />
Standort Berliner Tor<br />
Beim Strohhause 2<br />
20097 Hamburg<br />
Telefon: 040 – 80 79 79 0<br />
E-Mail: m.riedl@medicum-hamburg.de<br />
www.medicum-hamburg.de<br />
Torsten Schudde<br />
Kaufmännischer Leiter<br />
medicum Hamburg<br />
Standort Berliner Tor<br />
Beim Strohhause 2<br />
20097 Hamburg<br />
Telefon: 040 – 80 79 79 0<br />
E-Mail: t.schudde@medicum-hamburg.de<br />
www.medicum-hamburg.de<br />
169
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Münchner Pflege Team<br />
Gemeinsam zu neuen Ufern<br />
Autor: Abdul Örs<br />
Management Summary<br />
Unter dem Slogan „Gemeinsam zu neuen Ufern“ plante das Münchner Pflege Team den Aufbau einer<br />
Koordinierungsstelle in München, um dem vielseitigen Hilfebedarf von Pflegebedürftigen und deren Angehörigen<br />
zu begegnen. Pflegebedürftige Menschen brauchen – abgesehen von der Pflege selbst – einen<br />
direkten Ansprechpartner, der ganzheitlich und individuell auf sie eingeht, der sie begleitet und der<br />
bei Problemen oder Fragen zur Verfügung steht.<br />
Da hier ein Versorgungsdefizit gesehen wurde, konzipierte das Münchner Pflege Team ein eigenes, niedrigschwelliges<br />
Beratungs- und Begleitungskonzept. In der neu geschaffenen Koordinierungsstelle können<br />
sich Menschen jeden Alters, jeder Nationalität und unabhängig vom Sozialstatus bei Problemen individuell<br />
beraten und zu unterschiedlichen Versorgungsangeboten begleiten lassen. Ein Case Manager koordiniert<br />
die Hilfsprozesse und stimmt sie ab. Die Koordinationsstelle ist selbst ein privater Anbieter und sieht<br />
den Beratungsprozess als „Selbstverständlichkeit zur Alltagsbewältigung“.<br />
Umsetzung<br />
Das Konzept sieht vor, Menschen in allen Lebensfragen zu beraten sowie zu informieren – beispielsweise<br />
sozialpädagogisch, psychologisch, theologisch oder juristisch. Darüber hinaus bietet es Kriseninterventionen<br />
und eine Clearingstelle. In Abbildung 35 sind die Bestandteile des Beratungszentrums dargestellt.<br />
Der individuelle Hilfsprozess beginnt in der Koordinationsstelle immer mit dem Erstkontakt durch den<br />
Klienten, der psychische, physische und/oder soziale Probleme haben kann. Während der Öffnungszeiten<br />
ist der Erstkontakt jederzeit möglich – ohne Terminvereinbarung und ohne komplizierte Antragsformalitäten;<br />
so ist der niedrigschwellige Zugang zum Angebot gewährleistet. Besteht der Wunsch nach Beratung,<br />
wird ein Beratungstermin vereinbart. Gemeinsam mit einem festen Ansprechpartner werden problemlösungsorientierte<br />
Strategien erarbeitet, so dass der Klient sein Leben wieder autonom gestalten und positiv<br />
beeinflussen kann. Die Koordinationsstelle bietet jedoch keine spezifische Beratung, wie etwa eine<br />
Drogen- oder Schwangerschaftsberatung. In diesen Fällen erfolgt zunächst eine Art Clearing der Problemsituation.<br />
Anschließend wird der Klient an passende Einrichtungen vermittelt.<br />
Braucht der Klient über die Beratung hinaus weiterführende Unterstützung, etwa Hilfsleistungen, dann<br />
wird der Begleitungsprozess eingeleitet. Voraussetzung für dessen Erfolg ist eine Vertrauensbasis zwischen<br />
Ansprechpartner und Klient. Auf Wunsch des Klienten kann der Ansprechpartner deswegen als<br />
sogenannter Case Manager sowohl ein Netzwerk aufbauen als auch die unterschiedlichen Hilfsangebote<br />
koordinieren. Ist die Betreuung durch einen oder mehrere Fachdienste erforderlich, endet die Begleitung<br />
des Klienten erst dann, wenn der Beziehungsaufbau zum Fachdienst gelungen und die Versorgung sichergestellt<br />
ist.<br />
170
Münchner Pflege Team • Gemeinsam zu neuen Ufern<br />
Abbildung 35 – Übersicht über die konzeptionellen Bestandteile der Koordinierungsstelle<br />
Münchner Pflege Team<br />
Beratung & Information<br />
• Sozialpädagogisch<br />
• Psychologisch<br />
• Theologisch<br />
• juristisch<br />
Begleitung<br />
• Je nach Problem<br />
Begleitung und<br />
Hilfestellung hin zum<br />
jeweiligen Fachdienst<br />
Geschützte Gespräche<br />
• Geschützte Gespräche<br />
innerhalb eines vertrauten<br />
Rahmens ohne Dritte<br />
Niedrigschwelliger<br />
Zugang<br />
Clearingstelle<br />
Krisenintervention<br />
Geschützte Gespräche<br />
• Geschützte Gespräche<br />
innerhalb eines vertrauten<br />
Rahmens ohne Dritte<br />
Eigenverantwortung<br />
• Hilfeprozess freiwillig und<br />
kostenlos<br />
• Kontakt kann jederzeit<br />
abgebrochen werden<br />
Alle Themen ansprechbar<br />
• Fachpersonal steht bei<br />
jeder Problemsituation /<br />
Gesprächsthema zur<br />
Verfügung<br />
Charakter als „Offene<br />
Tür“<br />
• Zugang zum Erstgespräch<br />
für jeden innerhalb der<br />
Öffnungszeiten ohne<br />
Termin<br />
Direkter<br />
Ansprechpartner<br />
• Zuständig für Klienten<br />
unabhängig der aktuellen<br />
Problemlage<br />
Schweigepflicht<br />
• Keine Auskunft an Dritte<br />
ohne vorherige<br />
Schweigepflichtentbin -<br />
dung durch Klienten<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Nächste Schritte<br />
Perspektivisch wird die Koordinationsstelle des Münchner Pflege Teams ein geeignetes Netzwerk aufund<br />
ausbauen. Dazu sollen beispielsweise Telefonnotdienste (z. B. Telefonseelsorge oder Suchtnotruf),<br />
Kirchengemeinden, Vereine oder Gruppen kontaktiert werden, die ihre Klienten an die Koordinationsstelle<br />
weitervermitteln können. Zum anderen soll durch Öffentlichkeitsarbeit auf das Projekt aufmerksam gemacht<br />
werden. Innerhalb des Pflege Teams wird die Teilnahme an Arbeitskreisen angestrebt, sowie eine<br />
Zusammenarbeit mit Ämtern, Wohlfahrtsverbänden, medizinischen, psychologischen und therapeutischen<br />
Einrichtungen. Durch die Integration von sozialer Betreuung und gesundheitlicher Versorgung können<br />
die Hilfemaßnahmen für die Klienten individuell abgestimmt und lösungsorientiert koordiniert werden,<br />
so dass sich der Hilfesuchende wieder als Manager seines eigenen Lebens begreift.<br />
171
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Ansprechpartner<br />
Abdul Örs<br />
Geschäftsführer<br />
Münchner Pflege Team<br />
Wackersberger Str. 8<br />
81371 München<br />
Telefon: 089 – 203 55 62-00<br />
E-Mail: abdul.oers@tagespflege-westpark.de<br />
www.muenchenpflege.de<br />
172
NetzWerk psychische Gesundheit (NWpG)<br />
NetzWerk psychische Gesundheit (NWpG)<br />
Versorgung von Menschen mit psychischer Erkrankung<br />
Autor: Frank Herrmann<br />
Management Summary<br />
Das Netzwerk psychische Gesundheit (NWpG) ist ein von der Techniker Krankenkasse (TK) entwickelter<br />
Vertrag zur Integrierten Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Das NWpG ist regional<br />
aufgestellt und populationsbezogen.<br />
Ziel des Vertrags ist es, die Versorgungssituation der Betroffenen zu verbessern: sie sollen so weit wie<br />
möglich in ihrem vertrauten sozialen und beruflichen Umfeld bleiben können und dort stabilisiert werden.<br />
Der Vertrag ermöglicht den Patienten einen zeitnahen, niedrigschwelligen und jederzeit verfügbaren Zugang<br />
zur Versorgung. Eine Koordinierungsstelle übernimmt in Zusammenarbeit mit Ärzten die Abstimmung<br />
der Behandlung. Dem Versicherten steht während der gesamten Behandlungsdauer ein fester<br />
Fall-Manager zur Verfügung. Die enge Verzahnung der beteiligten Versorgungspartner sorgt für einen<br />
kontinuierlichen Behandlungsverlauf über die Sektorengrenzen hinweg – und ermöglicht eine langfristige<br />
Stabilisierung der Patienten.<br />
Die Verträge mit dem Netzwerk werden in (Pilot-)Versorgungsregionen mit der jeweiligen Landesvertretung<br />
der TK geschlossen. Die Vertragspartner sind vornehmlich gemeinde- und sozialpsychiatrisch ausgerichtete<br />
Träger. Start war 2009 in Berlin, mittlerweile sind 13 Verträge in 11 Bundesländern abgeschlossen;<br />
Mitte April 2013 waren bereits über 5.300 TK-Versicherte in den Vertrag eingeschrieben. Sowohl die<br />
KKH, die AOK Rheinland/Hamburg als auch die die DAK-Gesundheit in Sachsen sind dem Vertrag beigetreten.<br />
Umsetzung<br />
Der Vertrag NWpG ist ein Referenzvertrag zur Integrierten Versorgung psychisch Kranker nach §140 a und<br />
b SGB V. Einschreiben können sich Versicherte mit einer ICD-10-Diagnose F10.5 bis F94, denen in den<br />
letzten zwölf Monaten vor Einschreibung in mindestens zwei Quartalen Antipsychotika verordnet wurden,<br />
oder die wegen psychischer Probleme im Krankenhaus behandelt werden mussten. Die meisten<br />
Versicherten werden durch die TK – in Zusammenarbeit mit den Vertragspartnern – auf die Möglichkeit<br />
einer Einschreibung aufmerksam gemacht, wenn sie die Aufnahmekriterien erfüllen. Die Teilnahme am<br />
Vertrag ist bis zu einem Zeitraum von drei Jahren möglich; eine Verlängerung um jeweils zwölf Monate<br />
kann zusätzlich beantragt werden.<br />
Nach der Einschreibung wird dem Patienten ein fester Fall-Manager zugeordnet, welcher ein individuelles<br />
Behandlungsteam zusammenstellt. Der Fall-Manager ist Bindeglied zwischen den Leistungserbringern<br />
und persönlicher Ansprechpartner. Er steht dem Versicherten während der gesamten Behandlungsdauer<br />
173
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
zur Verfügung. Die Zuordnung des Fall-Managers erfolgt durch die Koordinierungsstelle; sie übernimmt<br />
die bedeutende Funktion der Versorgungssteuerung über die Sektorengrenzen hinweg. Diese Aufgabe<br />
erfüllt sie in enger Zusammenarbeit mit den Ärzten.<br />
Zu den konkreten Vertragsleistungen des Netzwerks gehört die möglichst ambulante Behandlung und<br />
Begleitung der Patienten – insbesondere in Krisensituationen. Die Versorgung zeichnet sich dabei durch<br />
zwei zentrale Elemente aus:<br />
• die Zuhause-Versorgung (home treatment)<br />
• den Einbezug von Angehörigen sowie des Umfelds des Patienten (Trialog).<br />
Vorbild für das Behandlungsvorgehen ist das Konzept des Need adapted treatment (bedürfnisgerechte<br />
Behandlung), welches in Skandinavien bereits weitestgehend angewendet wird. Nach dem Prinzip des<br />
offenen Dialogs werden dabei in Krisensituationen die Patienten von multiprofessionellen und mobilen<br />
Teams Zuhause versorgt. Wenn sich das häusliche Umfeld für die Krisenbewältigung nicht eignet, stehen<br />
den Patienten sogenannte Krisenpensionen oder Rückzugsräume mit Krisenbetten zur Verfügung. Diese<br />
vermitteln den Betroffenen eine Wohnatmosphäre, was sich erfahrungsgemäß positiv auf die Krisenbewältigung<br />
auswirkt. Der Trialog als zweites Kernelement erweitert in Krisensituationen die Perspektive<br />
der Patienten, aktiviert ihre Ressourcen und stärkt ihre Selbstbewältigungskräfte.<br />
Das ursprüngliche Finanzierungsmodell für das NWpG wurde von der TK aufgrund einer intensiven Analyse<br />
der eigenen Kostenentwicklung erarbeitet. Es stellt eine optimale Abstimmung zwischen den inhaltlichen<br />
Aspekten der Versorgungsidee und den wirtschaftlichen Anforderungen dar: Risikoadjustierte Versorgungspauschalen<br />
pro Versicherten, pro Jahr, mit Budgetverantwortung des Vertragspartners. Das<br />
Modell wurde auf Grundlage der gewonnen Erfahrungen im Jahr 2012 gemeinsam von den Krankenkassen<br />
und den 13 Vertragspartnern überarbeitet. Am 1. Januar 2013 trat das optimierte Vergütungsprogramm<br />
in Kraft.<br />
Nächste Schritte<br />
Das NWpG wird sowohl intern durch die TK als auch extern evaluiert. Gemeinsam mit dem AQUA-Institut<br />
hat die TK den Zuschlag für ein Forschungsvorhaben des Bundesministeriums für Gesundheit erhalten.<br />
Das Thema: „Verbesserung der Versorgung von Menschen mit psychischen Störungen“. Evaluationsobjekt<br />
wird das NWpG sein, sodass in naher Zukunft mit Ergebnissen dieser externen Evaluation gerechnet<br />
werden kann. Des Weiteren ist die TK bestrebt, die Teilnehmerzahl im Netzwerk zu erhöhen. Großes<br />
Rekrutierungspotential liegt in der Zuweisung über Kliniken und niedergelassene Ärzte. Klinikverantwortliche<br />
und niedergelassene Ärzte sollen im Rahmen von Informationsveranstaltungen über das Projekt informiert<br />
und zur Kooperation motiviert werden. Um die Qualität der Versorgung im NWpG weiter zu fördern,<br />
zielt die TK zudem darauf ab, den Wettbewerb zwischen den Vertragsregionen zu etablieren. Dies<br />
soll durch die Einführung eines Benchmarks für Prozess- und Ergebnisqualität geschehen. Nicht zuletzt<br />
plant die TK, die eingeschriebenen Patienten telefonisch zu befragen – zu ihrer Zufriedenheit mit dem<br />
Netzwerk sowie zu dessen Wirksamkeit. Dadurch sollen nicht nur frühzeitig Informationen zur Projektqualität<br />
gesammelt werden, sondern gegebenenfalls auch Informationen, um weitere Kooperationspartner<br />
zu gewinnen.<br />
174
NetzWerk psychische Gesundheit (NWpG)<br />
Ansprechpartner<br />
Frank Herrmann<br />
Experte für Integrierte Versorgung<br />
Techniker Krankenkasse<br />
Versorgungsmanagement<br />
Bramfelder Straße 140<br />
22305 Hamburg<br />
Telefon: 040 – 6909 1630<br />
E-mail: frank.herrmann@tk.de<br />
www.tk.de<br />
175
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Praxisnetz GO IN e.V.<br />
Ein Mehrwert für die Patienten in der Region IngolStadtLandPlus<br />
Autor: Siegfried Jedamzik<br />
Management Summary<br />
GO IN e.V. ist ein regionales Ärztenetz und ein Verein, welcher ein populationsorientiertes Projekt zur Integrierten<br />
Versorgung initiierte. Es will die flächendeckende, wohnortnahe, ambulante medizinische Versorgung<br />
in der Region IngolStadtLandPlus sicherstellen, eine hohe Versorgungsqualität erhalten und gute<br />
Arbeitsbedingungen für Ärzte schaffen. Dabei setzt GO IN auf die Vernetzung aller beteiligten Leistungserbringer,<br />
die Ausrichtung an einheitlichen Behandlungsstandards sowie die kontinuierliche Weiterbildung.<br />
Das GO IN Netzwerk hat seinen Sitz in Ingolstadt und umfasst die Landkreise Neuburg-Schrobenhausen,<br />
Eichstätt und Pfaffenhofen. In dieser Region vernetzt GO IN Ärzte und Kliniken und unterhält drei Notfallpraxen<br />
– als Ergänzung zu den ärztlichen Bereitschaftsdiensten. Zu den Netzwerkpartnern gehören das<br />
Klinikum Ingolstadt, die Kliniken St. Elisabeth in Neuburg, das Kreiskrankenhaus Schrobenhausen und das<br />
Geriatriezentrum in Neuburg.<br />
Das Praxisnetz GO IN e.V. wurde am 10. August 2000 gegründet und verfügt über eine eigene Verwaltung,<br />
die GO IN Geschäftsstelle. Am 1. Juli 2009 schloss GO IN – als erstes Ärztenetz in Deutschland –<br />
einen netzzentrierten Facharztvertrag mit der Audi BKK. Im GO IN Verbund sind derzeit 477 Netzärzte<br />
aktiv (211 Fach- und 266 Hausärzte).<br />
Umsetzung<br />
Das Praxisnetz GO IN wurde am 10. August 2000 als Interessenvertretung der niedergelassenen Vertragsärzte<br />
gegründet. Als Non-Profit-Unternehmen soll es die Leistungserbringer besser verzahnen und<br />
eine integrierte, flächendeckende Versorgung in der Region Ingolstadt sicherstellen. Das Netzwerk ist<br />
eine Antwort auf zukünftige Versorgungsherausforderungen und den drohenden Ärztemangel.<br />
Am Versorgungsangebot von GO IN können alle Patienten in der Region IngolStadtLandPlus teilnehmen,<br />
deren Arzt Mitglied bei GO IN ist. Audi BKK-Patienten erhalten von ihrem behandelnden Arzt einige Zusatzleistungen<br />
– Dank des netzzentrierten Vertrags, etwa kürzere Wartezeiten oder Abendtermine. Die<br />
Organisation, Information und Kommunikation des Praxisnetzes übernimmt die GO IN Geschäftsstelle.<br />
Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht die Unterstützung der Ärzte.<br />
Bei der Behandlung orientieren sie sich an netzintern entwickelten Patientenleitlinien für spezifische<br />
Krankheitsbilder. Die Netzwerkärzte verpflichten sich zudem, regelmäßig an Fortbildungen teilzunehmen<br />
– ein weiterer Garant für eine flächendeckend hohe Versorgungsqualität. GO IN bietet dazu verschiedene<br />
Weiterbildungsmöglichkeiten an. Jährlich können die Mitglieder beispielsweise an einem interaktiven<br />
DMP-Fortbildungsworkshop teilnehmen, der von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) als<br />
jährliche medizinische Regelfortbildung anerkannt wird. Zudem finden Qualitätszirkel für die unterschiedlichen<br />
Fachbereiche statt – allein im Jahr 2012 waren es 64.<br />
176
Praxisnetz GO IN e.V.<br />
Patienten profitieren nicht nur von der verbesserten Abstimmung zwischen den Leistungserbringern. Das<br />
kostenlose Wartezimmermagazin GO sensibilisiert sie zudem für aktuelle Gesundheitsthemen. Das Magazin<br />
wird von der GO IN Geschäftsstelle in Eigenregie redaktionell gestaltet und erscheint in Zusammenarbeit<br />
mit der Ingolstädter Zeitung alle zwei Monate. Sämtliche 336 GO IN Praxen erhalten das Magazin<br />
zur Auslage.<br />
Wichtiger Bestandteil der integrierten Versorgung durch GO IN sind zudem die GO IN Notfallpraxen. Diese<br />
vereinen ambulante und stationäre Notfallversorgung unter einem Dach und bieten hilfesuchenden<br />
Patienten eine Anlaufstelle – insbesondere außerhalb der normalen Praxisöffnungszeiten. Ambulant zu<br />
versorgende Erkrankungen werden dort behandelt. Gegenwärtig sind im Klinikum Ingolstadt die GO IN<br />
Notfallpraxis und die GO IN Kindernotfallpraxis in Betrieb sowie eine weitere Notfallpraxis in den Kliniken<br />
St. Elisabeth Neuburg/Donau. Einen Teil der medizinischen Leistungen übernimmt das entsprechend<br />
qualifizierte medizinische GO IN Fachpersonal. Dadurch werden Ärzte entlastet, Wartezeiten reduziert<br />
und die Effizienz der Versorgung wird gesteigert. Nicht zuletzt helfen die Notfallpraxen auch den Klinikärzten,<br />
da ausschließlich lebensbedrohliche Erkrankungen in die jeweilige Notaufnahme überwiesen werden.<br />
Die bisher erhobenen Behandlungszahlen zeigen, dass 85 Prozent der Patienten in den ambulanten<br />
Notfallpraxen behandelt werden können, ohne dass eine Einweisung ins Krankenhaus notwendig ist. Dies<br />
ist auch im Hinblick auf Kosteneinsparungen von großer Bedeutung.<br />
Nächste Schritte<br />
GO IN beteiligt sich an zwei größeren Projekten, die perspektivisch zur Versorgungsverbesserung in der<br />
Region beitragen sollen: „EMPOWER“ und „ByMedConnect“.<br />
Das EU-gestützte Projekt „EMPOWER“ beschäftigt sich mit der Entwicklung telemedizinischer Anwendungen,<br />
um das Selbstmanagement von Diabetespatienten zu fördern. Die in diesem Projekt entwickelten<br />
Versorgungstools für Diabetiker sollen künftig auch den Patienten des GO IN Netzes zur Verfügung<br />
stehen.<br />
Das zweite Projekt „ByMedConnect“, gefördert vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und<br />
Gesundheit, wird in Zusammenarbeit mit dem Helmholtz Zentrum München realisiert. In den vergangenen<br />
drei Jahren haben die Projektpartner einen fachübergreifenden, standardisierten eArtzbrief entwickelt.<br />
Dieser soll die patientenzentrierte Kommunikation und Koordination in der Region verbessern. Die<br />
Testphase ist bereits angelaufen, das Projekt wurde zum 31.07.2013 beendet.<br />
Ansprechpartner<br />
Dr. med. Siegfried Jedamzik<br />
1. Vorsitzender GO IN e.V.<br />
Praxisnetz GO IN e.V.<br />
Oberer Grasweg 50<br />
85055 Ingolstadt<br />
Telefon: 0841 – 886 680<br />
E-Mail: siegfried.jedamzik@go-in-ingolstadt.de<br />
www.goin.info<br />
177
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Praxisnetzwerk Nürnberg Süd (PNS)<br />
Telemedizin, Vernetzung, Versorgungssteuerung am Beispiel der<br />
Asthmatikerversorgung<br />
Autor: Michael Bangemann<br />
Management Summary<br />
Um die vielen Beteiligten an der Patientenversorgung elektronisch zu vernetzen, initiierte das Praxisnetz<br />
Nürnberg Süd e.V. (PNS) ein Projekt zur telemedizinischen Vernetzung und Steuerung der Versorgung – in<br />
der Pilotphase für Patienten mit Asthma bronchiale und beschränkt auf Hausärzte und Fachärzte im Einzugsbereich<br />
des Praxisnetz Nürnberg Süd e.V.<br />
Die medizinische Betreuung sollte verbessert werden durch die Vernetzung und die schnellere Abstimmung<br />
zwischen den behandelnden Ärzten. Eine elektronische Datenverarbeitung sollte zudem die Zusatzarbeit<br />
von Ärzten reduzieren und Doppeldokumentationen vermeiden. Die erfassten Daten aus der<br />
Netzdatenbank ermöglichen Auswertungen, die weit über die Möglichkeiten eines Praxisverwaltungssystems<br />
hinaus gehen.<br />
An dem Projekt nahmen sechs Pilotpraxen aus dem Praxisnetz Nürnberg Süd e.V. teil, mit insgesamt 12<br />
Ärzten. Extern evaluiert wurden 1.180 Verordnungen von 381 Patienten aus sechs Quartalen.<br />
Zu den beteiligten Partnern gehören PNSoftware und BüroOrganisation GmbH, KCS-IT GmbH Nürnberg,<br />
GlaxoSmithKline (GSK) GmbH München, das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS Erlangen<br />
und METEAN als Medizintechnisches Test- und Anwendungszentrum zur Evaluation und Zertifizierung<br />
des Datenschutzes.<br />
Umsetzung<br />
Die Pilotstudie begann am 8. April 2009 und wurde 2011 beendet. Zu den Teilnehmern zählten sechs<br />
freiwillige Pilotpraxen aus dem Praxisnetz Nürnberg Süd e.V. mit insgesamt 12 Ärzten. Mit Hilfe einer<br />
Software wurden die Verwaltungssysteme der Arztpraxen an das Datenbanksystem des Praxisnetzes<br />
angeschlossen. Diese dafür entwickelte PNSoftware ermöglicht eine elektronische Erfassung strukturierter<br />
medizinischer Befunde – und somit einen wichtigen Datenaustausch zwischen Arzt und Patient. Die<br />
erhobenen Daten können praxis- und fachgebietsübergreifend ausgewertet, an den jeweiligen Arzt zurück<br />
gespielt und dort direkt für die Versorgung der Patienten genutzt werden. Dank der Vernetzung der<br />
Praxen können die notwendigen Therapien leitliniengerecht und einfach durchgeführt und besser gemessen<br />
werden. Die Technik wurde zunächst im Rahmen der Verträge mit der AOK Bayern und der BARMER<br />
GEK erprobt und schließlich eingeführt.<br />
Um den relevanten Datenaustausch zu gewährleisten, wurden folgende wichtige Instrumente genutzt:<br />
eine PNSoftware, ein ACT-Fragetest (Asthmakontrolltest), der inzwischen Bestandteil der nationalen Versorgungsleitlinien<br />
ist, sowie einige technische Geräte. Die Patienten konnten so vor dem Arztbesuche<br />
bereits Fragen zu ihrem Gesundheitszustand beantworten. Der ACT-Test fragt etwa die Gesundheitssitu-<br />
178
Praxisnetzwerk Nürnberg Süd (PNS)<br />
ation des Asthmapatienten während der letzten vier Wochen ab. Wird beispielsweise ein schlechter Gesundheitszustand<br />
festgestellt, wird gegebenenfalls die Medikation angepasst.<br />
Die Ergebnisse der Evaluation zeigen, dass alles in allem der ACT-Test in den Praxen nur teilweise akzeptiert<br />
wurde. Im Gegensatz dazu stieg die Zahl der Anwendungen. Die Arzneimittelversorgungskosten gingen<br />
um 17 bis 33 Prozent zurück. Wichtiger aber war die Entwicklung der gesamten Grundlagentechnik. Dadurch<br />
konnten organisatorische und technische Abläufe wesentlich verbessert werden. Leitlinien können<br />
gezielt umgesetzt und an Qualitätsparametern messbar geprüft werden. Insgesamt bietet das Konzept<br />
Vorteile für Patienten und Ärzte und verbessert so die Versorgungssituation der Patienten (s. Abbildung 36).<br />
Abbildung 36 – Vorteile einer Vernetzung für Patienten, Haus- und Fachärzte<br />
Vorteile für Patienten<br />
Schnellere Terminvergabe bei Fachärzten von Praxis zu Praxis<br />
Altersgerechte Medikation<br />
Optimierte Prüfung der Arzneimittelverträglichkeit & gezielte<br />
Behandlungsempfehlungen<br />
Erinnerung an notwendige medizinische Maßnahmen<br />
Gemeinsame Terminplanung der beteiligten Arztpraxen<br />
Abendsprechstunde für Berufstätige bis 19.00 Uhr<br />
Vorteile für Patienten<br />
Keine Eingriffe in das Praxisverwaltungssystem<br />
Schnellere Krankenhausentlassung<br />
Verbesserte medizinische Betreuung durch<br />
schnellere Abstimmung der behandelnden Ärzte<br />
Verbesserte Patientenversorgung<br />
Zugang zu organisierten Patientenschulungen<br />
Keine zusätzliche Dokumentation<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Das komplette technische Knowhow wurde vom Praxisnetz und der PNSoftware finanziert. Die Unterstützung<br />
bei organisatorischen Treffen der Arztpraxen und Fortbildungen übernahm GSK GmbH München.<br />
Dank der Beteiligung der PNSoftware GmbH und von Dr. Michael Bangemann konnte ein symbolisches<br />
Honorar von einem Euro je Test an jede Praxis gezahlt werden.<br />
Nächste Schritte<br />
Bereits 50 Haus- und Fachärzte nehmen an dem Projekt teil und übermitteln regelmäßig die medizinischen<br />
Daten aus den verschiedensten Praxissystemen. Im weiteren Verlauf können andere Leistungsanbieter<br />
im Gesundheitswesen miteinbezogen werden, wie etwa das Klinikum Nürnberg, Pflegedienste,<br />
Patienten, Angehörige und weitere Partner.<br />
Aufgrund der Erfahrungen aus dem Pilotprojekt ist es nun möglich, die Technik für andere Erkrankungen<br />
einzusetzen – wie am Beispiel der Versorgung der COPD gezeigt wurde. Die Vergütung wird vom Praxisnetz<br />
künftig aus den erzielten Einsparungen finanziert.<br />
Ansprechpartner<br />
Dr. Michael Bangemann<br />
Vorsitzender Praxisnetz Nürnberg Süd e.V.<br />
Nibelungenstr. 19 · 90461 Nürnberg<br />
Telefon: 0911 – 815 16 22<br />
E-Mail: info@praxis-bangemann.de<br />
www.pns-nbg.de<br />
179
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Ausschreibung <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2014<br />
Mit der Ausschreibung des <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreises 2014 soll erneut die Zusammenarbeit aller Beteiligten<br />
im Gesundheitswesen an einer effektiven Versorgung gestärkt und innovative sowie nachhaltige<br />
Versorgungsoptimierung in Deutschland gewürdigt werden. Die im Jahr 2013 nominierten und ausgezeichneten<br />
Projekte belegen, dass es nicht nur Ideen gibt, sondern bereits zahlreiche Projekte, die innovative<br />
Versorgung realisiert haben und einen Nutzen für die Patienten bringen. Dieses Engagement gilt es<br />
auch weiterhin zu würdigen und zu fördern.<br />
Für den <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2014 können sich konkrete Versorgungsprojekte bewerben, die eine<br />
nachhaltige Verbesserung der medizinischen und/oder ökonomischen Ergebnisqualität gezeigt haben.<br />
Über die Preisvergabe entscheidet auch im Jahr 2014 wieder eine unabhängige Jury bestehend aus: Prof.<br />
Dr. Volker E. Amelung (Vorstandsvorsitzender Bundesverband Managed Care und Schwerpunktprofessur<br />
für Internationale Gesundheitssystemforschung an der Medizinischen Hochschule Hannover), Dr. Rainer<br />
Hess (ehemaliger unabhängiger Vorsitzender G-BA, Vorstand Deutsche Stiftung Organtransplantation<br />
DSO), Dr. Rolf Koschorrek (CDU), RAin Mirjam Mann (GF ACHSE e.V.) Prof. Dr. med. Friedrich W.<br />
Schwartz, Em. (Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Medizinische<br />
Hochschule Hannover), Prof. Dr. Peter C. Scriba (ehemaliger Direktor, Medizinische Klinik Innenstadt,<br />
Klinikum der Universität München) und Dr. med. Thomas Lang (Direktor Market Access, <strong>MSD</strong>).<br />
Als Teilnahmevoraussetzungen gelten fünf Kriterien:<br />
1. Das Versorgungsprojekt soll eine nachhaltige Verbesserung der medizinischen und/oder ökonomischen<br />
Ergebnisqualitat gezeigt haben.<br />
2. Es müssen externe Evaluationsergebnisse vorliegen. Auch Pilotprojekte, die bereits vielversprechende<br />
Ergebnisse vorweisen können förderungswürdig sein.<br />
3. Inhaltlich sollen insbesondere Indikationen folgender großer Volks- und Infektionskrankheiten sowie<br />
seltene Erkrankungen aufgegriffen werden: Diabetes mellitus Typ 2, Herz-Kreislauferkrankungen, Immunologie<br />
(Rheumatologie, Gastroentrologie), onkologische Erkrankungen, Osteoporose, Schmerz<br />
(degenerative Gelenkerkrankungen), Virusinfektionen (Hepatitis C, HIV).<br />
4. Der Ansatz soll Patienten und Versicherte dabei unterstützen, konkrete Gesundheitsziele für sich zu<br />
kennen, zu verstehen und zu erreichen sowie ihre Teilhabe am Versorgungsprozess mit zu fördern.<br />
5. Das Projekt soll eine effiziente Versorgung über verschiedene Sektoren hinweg darstellen und beinhalten.<br />
Der <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis wird auf bis zu fünf Projekte aufgeteilt. Zusätzlich zum Hauptpreis wird im<br />
Jahr 2014 wieder ein Sonderpreis an das Projekt mit dem größten Patientennutzen und erfolgreicher aktiver<br />
Einbindung der Patienten vergeben.<br />
Projektinitiatoren, die an einer Bewerbung für den <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2014 interessiert sind, können<br />
ihre Bewerbung an folgenden Gesichtspunkten orientieren:<br />
• Eingereicht durch (Name, Versorgungsstruktur)<br />
180
Ausschreibung <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2014<br />
• Verbindliche Gliederung<br />
– Beschreibung der Leitidee des Projektes auf max. 350 Zeichen<br />
– Ziele des Projektes und der beteiligten Partner<br />
– Beschreibung des innovativen Konzeptes, der Versorgungsstruktur, der Finanzierung, des Patientennutzens<br />
bzw. des Versorgungsmehrwertes für die Versicherten<br />
– Externe Evaluationsergebnisse (medizinischer/gesundheitlicher Mehrnutzen/ Effizienzsteigerung)<br />
– Inhaltliche, zielbezogene Perspektiven, organisatorische und finanzielle Nachhaltigkeit<br />
– Zeit- und Budgetplan<br />
• Ansprechpartner, Funktion<br />
• Legitimation des Bewerbers<br />
• Adresse, Telefon, E-Mail<br />
Die Bewerbung sollte einen Gesamtumfang von 15 Seiten nicht überschreiten und weniger als 5 <strong>MB</strong><br />
Speicherkapazität beanspruchen. Relevante Publikationen oder Evaluationsberichte können in einem separaten<br />
Anhang eingereicht werden.<br />
Eine Bewerbung ist bis zum 15. April 2014 möglich. Die Unterlagen können dazu in elektronischer Fassung<br />
gesendet werden an: gesundheitspreis@msd.de<br />
Weitere Informationen auch unter: www.msd.de<br />
181
3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Herausgeber- und Autorenverzeichnis<br />
Prof. Dr. Volker E. Amelung<br />
Schwerpunktprofessur fur Internationale<br />
Gesundheitssystemforschung,<br />
Medizinische Hochschule Hannover<br />
Bundesverband Managed Care e.V.<br />
Vorstandsvorsitzender<br />
Daniel Bahr<br />
Bundesministerium für Gesundheit<br />
Bundesminister<br />
Dr. Michael Bangemann<br />
Praxisnetz Nürnberg Süd e.V.<br />
Vorsitzender<br />
Dr. med. Werner Besier<br />
Gesundheitsprojekt Mannheim e.G.<br />
Vorstandsvorsitzender<br />
Wolfgang Bölter<br />
GSB<br />
Deutsche Gesundheitssystemberatung GmbH<br />
Prokurist<br />
Dr. med. Bodo Denhoven<br />
Regionales Gesundheitsnetz Leverkusen eG<br />
Technisch administrative Leitung<br />
Angelika Donat<br />
Marienstift Arnstadt<br />
Leiterin Zentrales Controlling<br />
Johannes Ertl<br />
donauMED GmbH & Co. KG<br />
Geschäftsführung<br />
Dr. Arthur Feyrer<br />
Gesundes Kinzigtal GmbH<br />
Orthopädie<br />
Dr. Jürgen Flohr<br />
Leipziger Gesundheitsnetz e.V.<br />
Projektleitung<br />
Martin Göhl<br />
<strong>MSD</strong> SHARP & DOHME G<strong>MB</strong>H<br />
Health Care Concept Manager<br />
Simone Grandt<br />
RpDoc ® Solutions GmbH<br />
Geschäftsführende Gesellschafterin<br />
Dagmar Griesbeck<br />
donauMED GmbH & Co. KG<br />
Assistentin der Geschäftsführung<br />
Dr. Lutz Hager<br />
IKK Südwest<br />
Geschäftsführer Versorgung<br />
Dr. Gunter Hauptmann<br />
Kassenärztliche Vereinigung Saarland<br />
Vorsitzender des Vorstandes<br />
Frank Herrmann<br />
Techniker Krankenkasse<br />
Versorgungsmanagement<br />
Dr. Rainer Hess<br />
Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation<br />
ehemaliger unabhängiger Vorsitzender<br />
des Gemeinsamen Bundesausschusses<br />
Dr. med. Christof Heun-Letsch<br />
GO-LU Gesundheitsorganisation Ludwigshafen eG<br />
1. Vorsitzender<br />
Helmut Hildebrandt<br />
Gesundes Kinzigtal GmbH<br />
Geschäftsführer<br />
Dipl.-Kfm. (FH) Markus Hinz<br />
DAK-Gesundheit<br />
Vertragsgebiet Bayern<br />
Prof. Dr. med. Wolfgang Hoffmann, MPH<br />
Universitätsmedizin Greifswald<br />
Abt. Versorgungsepidemiologie und Community<br />
Health<br />
Geschäftsführender Direktor<br />
Bettina Hoffmann M.A.<br />
Bezirkskrankenhaus Bayreuth<br />
Neurolinguistin Klinische Linguistin (BKL)<br />
182
Herausgeber- und Autorenverzeichnis<br />
Dr. med. Martin Huber<br />
donauMED GmbH & Co. KG<br />
Geschäftsführung<br />
Dr. med. Wolfgang Hübner<br />
Regionales Gesundheitsnetz Leverkusen eG<br />
Medizinische Leitung<br />
Dr. med. Tim Husemann<br />
<strong>MSD</strong> SHARP & DOHME G<strong>MB</strong>H<br />
Director Health Care Management & Contracting<br />
Dr. Carsten Jäger<br />
Ärztenetz Südbrandenburg Consult GmbH<br />
Geschäftsführer<br />
Dr. med. Siegfried Jedamzik<br />
Bayerische TelemedAllianz<br />
Geschäftsführer<br />
Lysann Kasprick<br />
GeriNet<br />
Projektmanagement<br />
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Matthias Keidel<br />
Bezirkskrankenhaus Bayreuth<br />
Klinik für Neurologie Schmerzambulanz<br />
Chefarzt<br />
Dr. rer.nat. Manfred Klemm<br />
Regionales Gesundheitsnetz Leverkusen eG<br />
Konzeptorganisation<br />
Dr. Jürgen Klinghammer<br />
GenoGyn<br />
Vorstandsmitglied<br />
Dr. Albrecht Kloepfer<br />
Büro für Gesundheitspolitische Kommunikation<br />
Leiter<br />
Dr. rer. nat. Holger Knoth<br />
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden<br />
Leiter der Klinik-Apotheke<br />
Dr. Rolf Koschorrek<br />
CDU<br />
Peter Krase<br />
AOK Bayern<br />
Ressort-Direktor<br />
Dr. Dirk Krollner<br />
Albertinen Herz- und Gefäßzentrum<br />
der Albertinen Gruppe<br />
Leiter<br />
Dr. med. Thomas Lang<br />
<strong>MSD</strong> SHARP & DOHME G<strong>MB</strong>H<br />
Direktor Market Access<br />
Priv. Doz. Dr. med. Hans-Eckhard Langer<br />
RHIO (Rheumatologie, Immunologie, Osteologie)<br />
Düsseldorf<br />
Dr. Gerd Lanzer<br />
Kompetenznetz Orthopädie und Unfallchirurgie<br />
SAAR – KOS e.G.<br />
Vorstandsvorsitzender<br />
Mirjam Mann<br />
ACHSE e.V.<br />
Geschäftsführerin<br />
Dr. med. Christian Marks<br />
Facharzt für Allgemeinmedizin, Diabetologe DDG/<br />
ÄK, Ernährungsmediziner DGE, Naturheilverfahren,<br />
Chirotherapie, Sozialmedizin, Akupunktur,<br />
Suchtmedizin<br />
Diabeteszentrum Billstedt-Horn<br />
Ärztlicher Leiter<br />
Prof. Dr. med. Martin Merkel<br />
Asklepios Klinik St. Georg<br />
Oberarzt<br />
Prof. Dr. med. Dirk Müller-Wieland<br />
Asklepios Klinik St. Georg<br />
Oberarzt<br />
Prof. Dr. Günter Neubauer<br />
Institut für Gesundheitsökonomik (IfG)<br />
Direktor<br />
Abdul Örs<br />
Münchner Pflege Team<br />
Geschäftsführer<br />
Jürgen Pflaum<br />
GO-LU Gesundheitsorganisation Ludwigshafen eG<br />
Geschäftsführer<br />
Brigitte Pfeiff<br />
ADAPTHERA<br />
Marketing + Kommunikation<br />
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3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />
Ralf Pourie<br />
4sigma GmbH<br />
Geschäftsführer<br />
Dr. Franziska Püschner<br />
inav – privates Institut für angewandte Versorgungsforschung<br />
GmbH<br />
Manager Gesundheitsökonomie<br />
Hanspeter Quodt<br />
<strong>MSD</strong> SHARP & DOHME G<strong>MB</strong>H<br />
Managing Director und Vorsitzender der Geschäftsführung<br />
Thomas Rampoldt<br />
Ärztegenossenschaft Nord eG.<br />
Geschäftsführer<br />
Dr. Matthias Riedl<br />
medicum Hamburg<br />
Ärztlicher Leiter und Geschäftsführer<br />
Priv.-Doz. Dr. med. Ulrike Rothe<br />
Medizinische Fakultät der TU Dresden, I<strong>MB</strong><br />
Bereich Epidemiologie und Versorgungsforschung<br />
Fachkommission Diabetes SLÄK<br />
Stellvertretende Vorsitzende<br />
Prof. Dr. med. Steffen Ruchholtz<br />
Universitätsklinik Gießen-Marburg<br />
Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie<br />
Direktor<br />
Thomas Ruck<br />
Gesundes Kinzigtal GmbH<br />
Physiotherapie<br />
Torsten Schudde<br />
medicum Hamburg<br />
Kaufmännischer Leiter<br />
Sophie Schwab<br />
DAK-Gesundheit<br />
Vertragsgebiet Bayern<br />
Leiterin<br />
Prof. Dr. Andreas Schwarting<br />
ACURA Kliniken Rheinland-Pfalz AG<br />
Ärztlicher Direktor<br />
Prof. Dr. med. Friedrich Wilhelm Schwartz, Em.<br />
Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin<br />
und Gesundheitssystemforschung<br />
Medizinische Hochschule Hannover<br />
Prof. Dr. Peter C. Scriba<br />
ehemaliger Direktor der Medizinischen Klinik<br />
Innenstadt der Ludwig-Maximilians-Universität<br />
München<br />
Dr. Reinhard Thoma<br />
Algesiologikum GmbH<br />
Geschäftsführer<br />
Dr. Dörte Tillack<br />
Gesundes Kinzigtal GmbH<br />
Allgemeinmedizin<br />
Jörg Trinemeier<br />
PRAVO Versorgungsmanagement GmbH<br />
Geschäftsführer<br />
Dr. rer. med. Neeltje van den Berg<br />
Universitätsmedizin Greifswald<br />
Abt. Versorgungsepidemiologie und Community<br />
Health<br />
Stellvertretende Leitung<br />
Dr. John N. Weatherly<br />
NEWSTAND Management Akademie<br />
Geschäftsführer<br />
DGbV Deutsche Gesellschaft für<br />
Bürgerorientiertes Versorgungsmanagement<br />
Präsident<br />
Dr. Micha Wirtz<br />
McDonald’s Kinderhilfe Stiftung<br />
Direktor Kommunikation<br />
Michael Wüstefeld<br />
Opti-med. Gesundheitsmanagement GmbH<br />
Geschäftsführer<br />
Prof. Dr. med. Jan Schulze<br />
Sächsische Landesärztekammer<br />
Präsident<br />
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© 2014<br />
<strong>MSD</strong> SHARP & DOHME G<strong>MB</strong>H<br />
Lindenplatz 1<br />
85540 Haar<br />
www.msd.de<br />
ISBN 978-3-927107-10-6<br />
CORP-1038477-0022