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<strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

3. <strong>MSD</strong>-FORUM GesundheitsPARTNER<br />

Versorgung gestalten.<br />

Gemeinsam mehr erreichen!<br />

V. E. Amelung · R. Hess · R. Koschorrek · T. Lang · M. Mann<br />

H. Quodt · F. W. Schwartz · P. C. Scriba


Die redaktionelle Bearbeitung dieser Publikation erfolgte durch das inav – privates Institut für angewandte<br />

Versorgungsforschung GmbH. Die inhaltliche Verantwortung der einzelnen Beiträge liegt allein bei den jeweils<br />

genannten Autoren. <strong>MSD</strong> weist ausdrücklich auf die finanzielle Unterstützung dieser Publikation hin.<br />

Die Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten.<br />

ISBN 978-3-927107-10-6


3. <strong>MSD</strong>-FORUM GesundheitsPARTNER<br />

<strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Herausgeber:<br />

V. E. Amelung, R. Hess, R. Koschorrek, T. Lang, M. Mann, H. Quodt, F. W. Schwartz, P. C. Scriba<br />

Autoren:<br />

D. Bahr, M. Bangemann, W. Besier, W. Bölter, B. Denhoven, A. Donat, J. Ertl, A. Feyrer, J. Flohr,<br />

M. Göhl, S. Grandt, D. Griesbeck, L. Hager, G. Hauptmann, F. Herrmann, R. Hess, C. Heun-Letsch,<br />

H. Hildebrandt, M. Hinz, W. Hoffmann, B. Hoffmann, M. Huber, W. Hübner, T. Husemann,<br />

C. Jäger, S. Jedamzik, L. Kasprick, M. Keidel, M. Klemm, J. Klinghammer, A. Kloepfer, H. Knoth,<br />

P. Krase, D. Krollner, H. E. Langer, G. Lanzer, C. Marks, M. Merkel, D. Müller-Wieland, G. Neubauer,<br />

A. Örs, J. Pflaum, B. Pfeiff, R. Pourie, F. Püschner, T. Rampoldt, M. Riedl, U. Rothe, S. Ruchholtz,<br />

T. Ruck, T. Schudde, J. Schulze, S. Schwab, A. Schwarting, R. Thoma, D. Tillack, J. Trinemeier,<br />

N. van den Berg, J. N. Weatherly, M. Wirtz, M. Wüstefeld


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

INHALT<br />

Grußwort .................................................................... 5<br />

Vorwort ..................................................................... 6<br />

3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER ............................................. 8<br />

Nominierte Projekte und Preisträger des <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreises 2013<br />

ADAPTHERA ................................................................ 17<br />

AGnES ...................................................................... 27<br />

Algesiologikum ............................................................... 39<br />

Ärztenetz Südbrandenburg (ANSB) ................................................ 51<br />

DAK-Gesundheit .............................................................. 60<br />

Das Sächsische Betreuungsmodell ................................................ 72<br />

GeriVita ..................................................................... 82<br />

GO-LU und PRAVO ............................................................ 93<br />

Risiko-Radar Plötzlicher Herztod .................................................. 103<br />

TraumaNetzwerk DGU ® ........................................................ 112<br />

Weitere innovative Versorgungsprojekte zur Ausschreibung des <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

4sigma ..................................................................... 124<br />

Albertinen Herz- und Gefäßzentrum ............................................... 126<br />

Asklepios Klinik St. Georg ....................................................... 128<br />

Bezirkskrankenhaus Bayreuth .................................................... 131<br />

2


Inhalt<br />

Das Düsseldorfer Modell ....................................................... 134<br />

DermISplus .................................................................. 136<br />

Diabeteszentrum Billstedt-Horn .................................................. 139<br />

DiaLev ...................................................................... 141<br />

donauMED .................................................................. 144<br />

GenoGyn – Prävention-aktiv ..................................................... 147<br />

Gesundes Kinzigtal ............................................................ 149<br />

Institut für Gesundheitsökonomik ................................................. 152<br />

KHK ProMa .................................................................. 155<br />

Klinik-Apotheke des Universitätsklinikums CGC Dresden ............................... 157<br />

KOS e.G. .................................................................... 160<br />

Marienstift Arnstadt ........................................................... 163<br />

McDonald´s Kinderhilfe ......................................................... 165<br />

medicum Hamburg ............................................................ 168<br />

Münchener Pflege Team ........................................................ 170<br />

NetzWerk psychische Gesundheit (NWpG) ......................................... 173<br />

Praxisnetz GO IN e.V. .......................................................... 176<br />

Praxisnetzwerk Nürnberg Süd (PNS) ............................................... 178<br />

Ausschreibung <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2014 ........................................ 180<br />

Herausgeber- und Autorenverzeichnis .............................................. 182<br />

3


Grußwort<br />

GRUSSWORT<br />

Daniel Bahr, Bundesgesundheitsminister<br />

BMG/Dedeke<br />

„Veränderung ist das Gesetz des Lebens. Diejenigen, die nur auf die Vergangenheit oder die Gegenwart<br />

blicken, werden die Zukunft verpassen.“<br />

Die Worte des ehemaligen amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy lassen sich auch auf das Gesundheitswesen<br />

übertragen. Denn der medizinisch-technische Fortschritt und die sich verändernde Altersstruktur<br />

fordern ein ständiges Neu- und Umdenken in der Versorgung der Patientinnen und Patienten.<br />

Wir wollen, dass die Menschen in unserem Land weiterhin auf eines der besten Gesundheitssysteme der<br />

Welt bauen können. Dazu brauchen wir innovative Ideen, die den medizinischen Fortschritt schnellstmöglich<br />

zu ihnen bringen.<br />

Die Gesundheitspolitik kann nur für innovationsfreundliche Rahmenbedingungen sorgen. Für die Umsetzung<br />

werden starke Partner im Gesundheitswesen benötigt, die sich im Bereich Forschung und Entwicklung<br />

engagieren und Ideen entwickeln, mit denen eine bessere Versorgung für die Patientinnen und Patienten<br />

erreicht werden kann.<br />

<strong>MSD</strong> ist einer dieser Partner. Das Unternehmen setzt sich seit mehr als 20 Jahren für einen verbesserten<br />

Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten ein. Mehr noch: Mit seinem ausgelobten Gesundheitspreis würdigt<br />

<strong>MSD</strong> zum zweiten Mal in Folge herausragende Beispiele innovativer Versorgungslösungen Dritter –<br />

und schafft damit Anreize für einen fairen Wettbewerb. Aus diesem Grund habe ich gerne die Schirmherrschaft<br />

über den diesjährigen <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis übernommen.<br />

In diesem Jahr sind zehn Projekte nominiert, die sich in besonderer Weise der Gesundheitsversorgung<br />

und damit den Menschen in unserem Land verpflichtet fühlen. Nicht nur Inhalt und Zielsetzung der Projekte<br />

werden damit geehrt, sondern zugleich auch die Menschen in den Vordergrund gestellt, deren<br />

Ideen und Engagement dabei helfen, unser Gesundheitssystem zukunftsfest zu gestalten.<br />

Die Vielfalt der Projekte zeigt, dass es viele unterschiedliche Ideen im Gesundheitswesen gibt. Und ich<br />

bin überzeugt, dass es aufgrund der Vielzahl an interessanten und qualitativ hochwertigen Vorschlägen<br />

nicht einfach war, unter ihnen die Sieger des <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreises auszuwählen. Aber zu einer Preisverleihung<br />

gehört es – und das wird Jury und Nominierte gleichermaßen trösten –, dass zwar alle gewinnen,<br />

es aber erste, zweite und dritte Sieger gibt. Gerade das macht es doch so spannend.<br />

Ihnen, den Gästen der Preisverleihung, wünsche ich eine schöne Veranstaltung. Ich bin mir sicher, dass<br />

auf der Preisverleihung neue Impulse für zahlreiche Projekte gegeben werden.<br />

5


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

VORWORT<br />

Um die Herausforderungen der Zukunft in der gesetzlichen Krankenversicherung zu meistern, sind neue<br />

Wege erforderlich. Dazu gehören auch innovative Versorgungsstrukturen. Zwar gibt es bereits Ansätze<br />

für innovative, sektorenübergreifende Versorgungsstrukturen, dennoch werden nach wie vor über 90<br />

Prozent der Behandlungsfälle im gesetzlichen System der sektorenbezogenen Regelversorgung erbracht<br />

und abgerechnet. Seit der Einführung des Kassenwettbewerbs um Versicherte im Jahr 1993 bemüht sich<br />

die Reformgesetzgebung in Deutschland zwar um eine integrierte Versorgung, mit der die sektorale Ausrichtung<br />

der Versorgungsstrukturen überwunden werden soll. Dies ist aber bisher nicht flächendeckend<br />

gelungen – von einigen immer wieder vorgezeigten Insellösungen abgesehen (z. B. Gesundes Kinzigtal,<br />

Bundesknappschaft: Prosper, regionale Ärztenetze). Im Gegenteil: In der Regelversorgung hat sich die<br />

ambulante Versorgung weiter aufgesplittert; eine Folge der sektoralen Budgetierung, die zusammen mit<br />

dem Kassenwettbewerb eingeführt wurde. Es gibt somit im deutschen Gesundheitswesen eine Vielzahl<br />

von Einzelbeispielen „innovativer Versorgungsstrukturen“. Bisher sind dabei kassenübergreifende Verträge<br />

eher die Ausnahme. Im Wettbewerb können die einzelnen Krankenkassen kein Interesse daran haben,<br />

ihre Betriebsgeheimnisse durch eine externe Evaluation für Konkurrenten offen zu legen. Es gibt daher<br />

nur wenige evidenzbasierte Erkenntnisse, wie sich die Versorgungsangebote einzelner Krankenkassen<br />

auf eine kassenübergreifende Versorgungsstruktur auswirken würden. Wahrscheinlich ist es auch der<br />

bestehende Wettbewerbsdruck im deutschen Gesundheitswesen, der bisher verhindert hat, dass die<br />

bereits seit 2006 vorgesehene Zusammenführung pseudonymisierter Sozialdaten in einer Datenbank<br />

zum Zweck der Versorgungsforschung oder der epidemiologischen Forschung (§ 303a SGB V) realisiert<br />

wurde. Es gibt daher kaum gesicherte Aussagen darüber, welche der Versorgungsstrukturen, die in selektiven<br />

Verträgen der Krankenkassen vereinbart wurden, gegenüber der Regelversorgung zu einer effizienteren<br />

Versorgung führen würden – und zwar unter Berücksichtigung von Kosten und Qualität.<br />

Der <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis will daher bewusst solche konkreten Versorgungsprojekte würdigen und fördern,<br />

die bereits eine nachhaltige Verbesserung der medizinischen und/oder ökonomischen Ergebnisqualität<br />

gezeigt haben. Wesentliche Voraussetzung für die Preisverleihung ist daher, wo immer es möglich<br />

ist, eine ausreichende externe Evaluation der Ergebnisse eines bereits im Ansatz förderungswürdigen<br />

Modellprojektes durch unabhängige Institutionen. Damit unterscheidet sich dieser Gesundheitspreis von<br />

anderen – ebenfalls zu befürwortenden – Auszeichnungen, mit denen Anreize gesetzt werden sollen für<br />

die Einführung in sich schlüssiger Versorgungskonzepte. Die bisherigen Preisverleihungen zeigen, dass<br />

dieser weitergehende Ansatz einen positiven Einfluss hat auf die Qualität der eingehenden Bewerbungen,<br />

zwingt er doch die Bewerber, nicht nur ein Konzept zu entwickeln, dass die Versorgung verbessern<br />

soll, sondern von vornherein auch geeignete Qualitätsindikatoren zu definieren, um die Ergebnisse messen<br />

zu können – und schließlich, sich der danach vorgenommenen unabhängigen Bewertung zu stellen.<br />

Eine wesentliche Voraussetzung für die inhaltliche Bewertung der eingehenden Bewerbungen ist die<br />

Nachhaltigkeit innovativer Projekte zur Verbesserung der medizinischen und/oder ökonomischen Ergebnisqualität.<br />

Erwünscht sind daher Projekte, die langfristig einen relevanten Effizienzgewinn in der medizinischen<br />

Versorgung erwarten lassen – sei es durch eine bessere medizinische Qualität der Behandlung<br />

oder durch eine bessere Strukturqualität der Versorgung, mit der Wirtschaftlichkeitsreserven freigesetzt<br />

werden. Dies kann – insbesondere im Gegensatz zur sektoral gegliederten Regelversorgung – ein integ-<br />

6


Vorwort<br />

rierender, interdisziplinärer Versorgungsansatz sein, mit dem die bestehenden Schnittstellen überwunden<br />

werden können – durch eine effizientere Kooperation der Beteiligten (bezogen auf die Behandlung einer<br />

Erkrankung), den Einsatz moderner Technologien und die Einbeziehung präventiver oder rehabilitativer<br />

Maßnahmen. Dies kann aber auch eine Weiterentwicklung bereits bestehender Versorgungsprojekte<br />

sein, mit dem Ziel zusätzlicher Effizienzsteigerungen. Nachhaltigkeit bedeutet aber auch, dass die Finanzierbarkeit<br />

eines solchen innovativen Versorgungsprojektes durch einen oder mehrere Kostenträger gesichert<br />

ist.<br />

Wir als Juroren haben den Wunsch, auch 2014 vor die Herausforderung einer großen Zahl qualifizierter<br />

Bewerbungen gestellt zu werden – und diejenigen Projekte in ihrem Einsatz für eine bessere Versorgungsqualität<br />

zu unterstützen, die in einem transparenten Bewertungsverfahren mit einem Preis ausgezeichnet<br />

werden.<br />

Für die Jury<br />

Rainer Hess, Volker E. Amelung, Rolf Koschorrek, Thomas Lang, Mirjam Mann, Friedrich Wilhelm<br />

Schwartz, Peter C. Scriba<br />

Für die Geschäftsführung von <strong>MSD</strong> Deutschland<br />

Hanspeter Quodt<br />

7


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER<br />

<strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Volker E. Amelung, Martin Göhl, Tim Husemann, Thomas Lang, Thomas Rampoldt,<br />

John N. Weatherly, Michael Wüstefeld<br />

Management Summary<br />

Jeder Euro lässt sich nur einmal ausgeben. Wenn es an Mitteln fehlt, muss es erklärtes Ziel sein, den<br />

Mehrbedarf an kostenträchtiger Versorgung über Effizienzsteigerungen zumindest partiell zu decken.<br />

Im derzeitigen Versorgungsgeschehen lassen sich ohne Qualitätseinbußen Milliarden sparen. Optimiertes<br />

Schnittstellenmanagement, Compliance-Steigerung, konkrete Vereinbarungen von Therapiezielen<br />

sowie konsequente Evaluation sind klar erfolgsbestimmende Faktoren.<br />

Übergeordnetes Ziel des <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER ist es daher, die an der Gesundheitsversorgung<br />

Beteiligten an einen Tisch zu bringen, um voneinander zu lernen, sich gegenseitig zu motivieren und<br />

für eine effiziente und effektive Gesundheitsversorgung einzutreten.<br />

© <strong>MSD</strong><br />

Podiumsdiskussion beim 3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER : Marius Milde (AOK Plus), Dr. Rolf Koschorrek (CDU),<br />

Dr. Ursula Marschall (BARMER GEK), Wolfgang van den Bergh (ÄZ), Dr. Carsten Petersen (aha!), Eckehard Becker<br />

(KVSH), Hanspeter Quodt (<strong>MSD</strong>), (v. l.)<br />

8


Versorgung gestalten. Gemeinsam mehr erreichen!<br />

Nominierte und Preisträger des <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreises 2013 gemeinsam mit Juroren und Managing Director<br />

Hanspeter Quodt (<strong>MSD</strong>)<br />

© <strong>MSD</strong>/Bardehle<br />

Der integrierte <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis dient in dieser Hinsicht als Beschleuniger, um innovatives, an<br />

Qualität und Ökonomie orientiertes Denken und Handeln zu fördern.<br />

Der allgegenwärtige Systemwandel betrifft alle, auch <strong>MSD</strong>.<br />

<strong>MSD</strong> will seinen Beitrag zur Effizienzsteigerung und zum Erhalt der hohen Versorgungsqualität in Deutschland<br />

leisten und sich so als akzeptierter und aktiver Partner im Gesundheitswesen etablieren. Dazu gehört<br />

als erstes, Hürden und Vorurteile bei denen abzubauen, die gemeinsam die Gesundheitsversorgung effizienter<br />

und effektiver gestalten könnten. Es gilt Brücken zu bauen, um neue Wege zu gehen.<br />

Beim 3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER kamen mehr als 130 Vertreter aus Wissenschaft, Gesetzlichen<br />

Krankenversicherungen, Praxisnetzen, Managementgesellschaften, Berufsverbänden, Kassenärztlichen<br />

Vereinigungen, sowie Apotheker und Politiker aus dem gesamten Bundesgebiet zusammen.<br />

Sie erhielten relevante Informationen, tauschten sich „sektorübergreifend“ aus und brachten in ergebnisorientierten<br />

Workshops innovative Ideen zu neuen Wegen der Zusammenarbeit ein.<br />

9


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Workshop Ergebnisse<br />

Workshop 1<br />

AMNOG: Tauziehen um Vergleichstherapie und Preise – Zwischenbilanz nach fast 1.000 Tagen<br />

Workshopleitung: Dr. Thomas Lang<br />

Der Workshop begann mit drei Impulsreferaten: Silke Baumann, Leiterin<br />

der Projektgruppe des BMG „Preise, Bewertung und Erstattung von<br />

Arzneimitteln“ erläuterte die Sicht des Ministeriums zum AMNOG. Von<br />

den Erfahrungen der kassenärztlichen Vereinigung mit dem AMNOG<br />

berichtete Dr. Michael Viapiano, der stellvertretende Leiter der Kassenärztlichen<br />

Vereinigung Baden-Württemberg bei der Bezirksdirektion<br />

Karlsruhe. Die Erfahrungen aus Sicht der Krankenkassen beschrieb<br />

Dr. Heinz Giesen.<br />

Die anschließende Diskussion fokussierte zwei Schwerpunkte:<br />

• Welchen Einfluss hat das AMNOG auf die Versorgungsqualität?<br />

© <strong>MSD</strong><br />

• Welche Bedeutung haben die Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung<br />

auf das Verordnungsverhalten der Ärzte?<br />

Die Diskussion zum ersten Themenkomplex ergab, dass mit dem Gesetz nicht nur Kosten begrenzt<br />

werden sollen – auch die Versorgungsqualität solle steigen. Die Patienten sollen Zugang zu Arzneimitteln<br />

mit Zusatznutzen bekommen – also Innovationen mit patienten-relevantem Nutzen. In Bezug auf<br />

die Beurteilungskriterien wurde deutlich, dass bisher häufig der Preis im Fokus stand. Das AMNOG-<br />

Verfahren bietet die Chance zur Selektion von echten Innovationen; dies ist wichtiger als der alleinige<br />

Fokus auf den Preis. Die bisherigen Einsparungen werden auf ca. 120 Millionen Euro geschätzt. Die<br />

Workshop-Teilnehmer bemängeln in diesem Zusammenhang insbesondere eine zu kurzfristige Betrachtung.<br />

Viele (Versorgungs-) Effekte innovativer Medikamente würden erst nach einer längeren Anwendungsphase<br />

wirksam und sichtbar werden, also erst nach mehreren Jahren. Dies liegt zum Teil an<br />

den erforderlichen Daten für eine Beurteilung, die definiert und anschließend erhoben werden müssen.<br />

Solche Daten können aus dem Versorgungsalltag entnommen werden und liegen zum Teil schon vor<br />

(Real-life Daten, beispielsweise von Krankenkassen). Versorgungsstudien im Sinne von prospektiven,<br />

kontrollierten, doppelblinden Studien existieren aber zunächst nicht und können daher noch keine belastbaren<br />

Ergebnisse liefern. Aus Sicht der Workshopteilnehmer müssen allerdings adäquate Anreize<br />

geschaffen werden um, die Möglichkeiten praktikabel zu gestalten. Allgemein erscheint es wichtig, bei<br />

der Bewertung die Patienten präferenzen stärker einzubeziehen. Ebenso wurde gefordert, Wege zu<br />

finden, um Verträge nach § 130c SGB V stärker zu unterstützen.<br />

Die zweite Frage befasste sich mit dem Einfluss des AMNOG auf das Verordnungsverhalten der Ärzte.<br />

Bisher gab es 48 Verfahren zur frühen Nutzenbewertung, 20 Preisverhandlungen sind bereits abgeschlossen.<br />

Praxisbesonderheiten wurden lediglich in Ausnahmefällen vereinbart, was primär auf Unsicherheiten<br />

in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit zurückgeführt wurde. Hier muss mehr Klarheit für die<br />

Ärzte geschaffen werden. Der Information der Ärzte durch alle am System Beteiligten, kommt dabei<br />

eine besondere Rolle zu.<br />

10


Versorgung gestalten. Gemeinsam mehr erreichen!<br />

Workshop 2<br />

Anforderungen an Selektivverträge, um Versorgung erfolgreich zu managen<br />

Workshopleitung: RA Michael Wüstefeld<br />

Antje Domscheit, Referatsleiterin beim Bundesverwaltungsamt, berichtete zunächst über Vertragstypen<br />

und Verträge, die dem Bundesverwaltungsamt vorgelegt wurden. Marius Milde, Bereichsleiter<br />

Versorgungsmanagement der AOK PLUS, gab einen Input zu innovativen Ideen für zukünftige Maßnahmen,<br />

die die Generation innovativer Verträge fördern könnte. Frau Dr. Elisabeth Siegmund-Schultze,<br />

Abteilungsleiterin Versorgungsmanagement der Kaufmännischen Krankenkasse, stellte die Perspektive<br />

der Kassen dar.<br />

Die Diskussion umfasste die zwei zentralen Aspekte:<br />

• Wie sind die Anforderungen an Selektivverträge für eine Genehmigung durch die Aufsicht?<br />

• Wie müssten die Anforderungen angepasst werden, damit Selektivverträge zur Versorgungsoptimierung<br />

schneller bearbeitet werden können?<br />

In der Diskussion zum ersten Punkt wurde deutlich,<br />

dass es vor allem Kommunikationsprobleme sind, die in<br />

der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, Verträge<br />

würden vom BVA kaum bewilligt werden. An dieser<br />

Stelle wurde die Rolle des Bundesversicherungsamtes<br />

(BVA) noch einmal geklärt. Das BVA ist ausschließlich<br />

gehalten, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts<br />

(BSG) umzusetzen. Auch eine Klärung des Begriffes<br />

Integrierte Versorgung (IV) scheint nötig. Zwar konnten<br />

die Gesetze im Jahr 2006 zunächst durchaus so<br />

ausgelegt werden, als sollten sie vor allem zum Testen<br />

neuer Versorgungsformen anregen – in der späteren<br />

Rechtsprechung machte das BSG aber deutlich, dass<br />

die IV die Regelleistungen direkt zu ersetzen hatte. Damit<br />

reicht reine Struktur- oder Prozessoptimierung nicht<br />

aus, selbst wenn gesundheitsökonomische Vorteile belegt<br />

werden können. Zudem stellten die Workshopteilnehmer<br />

fest, dass es sich bei der „Bereinigung“ um<br />

eine gesetzliche Vorgabe ohne jeden Spielraum handelt. Abschließend wurde noch kurz auf derzeitige<br />

Defizite eingegangen. Vor allem im Bereich Pflege und in unterversorgten Regionen gibt es derzeit<br />

noch zu wenig IV.<br />

Der zweite Schwerpunkt lag auf der Frage, wie die Hürden für IV in den nächsten Jahren überwunden<br />

werden können. Nach Meinung der Teilnehmer sollten hier in erster Linie solche gesetzlichen Regularien<br />

abgebaut werden, die einer Veränderung im Wege stehen. Es wurde über einen möglichen Innovationsparagraphen<br />

diskutiert, der alle anderen selektivvertraglichen Regelungen ersetzen könnte. Dieser<br />

Paragraph könnte einen Art Rahmen bieten, der Spielräume eröffnet: auf Seiten der Kassen wie<br />

auch auf Seiten der Leistungserbringer. Auch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) könnten sich<br />

optional beteiligen. Ein Verzicht auf Bereinigung wäre förderlich. Ein sektorenübergreifender Finanztransfer<br />

wäre ein Anreiz (wenn IV beispielsweise stationäre Behandlung oder Pflege spart). Auch im<br />

Bereich der Daten wurde mehr Handlungsspielraum im Sinne eines vorgegeben Rahmens gefordert.<br />

© <strong>MSD</strong><br />

11


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Workshop 3<br />

Versorgung effizienter gestalten – Beispiele aus der Praxis<br />

Workshopleitung: Thomas Rampoldt<br />

Folgende Referenten beschrieben zur Einführung konkrete<br />

Beispiele aus der Praxis: Dr. Thomas Bahr, Gesellschafter der<br />

Management Gesellschaft UG-MaS Nürnberg, Dr. Jürgen Flohr,<br />

Vorstandsvorsitzender des Leipziger Gesundheitsnetz e. V. und<br />

Dr. Detlev Parow, Leiter Abteilung Versorgungsmanagement<br />

bei der DAK-Gesundheit.<br />

Die anschließende Diskussion orientierte sich an folgenden<br />

Schwerpunkten:<br />

• Welche Aufgaben können Praxisnetze im Versorgungsmanagement<br />

übernehmen?<br />

• Welche Grundvoraussetzungen müssen erfüllt werden, um<br />

diese erfolgreich zu leisten?<br />

Zunächst wurde der Titel des ersten Diskussionsschwerpunktes<br />

selbst diskutiert; es wurde entschieden, dass es nicht nur um<br />

Praxisnetze, sondern allgemein um Versorgungsnetze gehen<br />

sollte. Grundsätzlich können diese alle Versorgungsaufgaben<br />

übernehmen. Zentral ist dabei, dass konkrete Ziele definiert<br />

werden, die dann über die Zeit beibehalten oder neu definiert werden können. Außerdem muss<br />

eine Analyse erfolgen – und zwar immer in Bezug auf die spezifische, regionale Versorgungssituation<br />

und orientiert am konkreten Mangel. Das Management sollte durch Behandlungspfade zur Prozessoptimierung<br />

beitragen und die Aufgaben wahrnehmen im Hinblick auf Lotsenfunktion, Terminmanagement<br />

und Bewertung. Wichtig erscheint, sowohl für Patienten als auch für Ärzte die richtigen Anreize zu<br />

setzen.<br />

© <strong>MSD</strong><br />

Während der Diskussion des zweiten Themengebietes kristallisierte sich ein zentrales Stichwort<br />

heraus: Verbindlichkeit. Damit ist beispielsweise Netztreue für Ärzte gemeint wie auch für Patienten.<br />

Auch im Hinblick auf die Führung erscheint Verbindlichkeit sehr wichtig zu sein. Projekte sollten durch<br />

bottom-up-Entscheidungsprozesse legitimiert sein, die Führung muss dann jedoch verbindlich topdown<br />

wahrgenommen werden. Strukturen sind ein weiterer wesentlicher Bereich. Für die ärztliche<br />

Zusammenarbeit müssen Standards entwickelt und in der IT abgebildet werden. Ähnliches gilt für<br />

Prozesse, die beispielsweise durch Case-Management-Ansätze verbessert werden können. Für die<br />

Kommunikation zwischen Arzt und Patient sollte eine Corporate Identity etabliert werden, entsprechendes<br />

Marketing sollte beispielsweise etablierte Ärzte hervorheben. In der Geschäftsstelle sollte<br />

neben der ärztlichen Führung immer auch ein Geschäftsführer und nichtärztliche „Kümmerer“ sitzen.<br />

Auch hier ein zentrales Thema: die richtigen Anreize zu setzen – für Ärzte als auch für Patienten.<br />

12


Versorgung gestalten. Gemeinsam mehr erreichen!<br />

Workshop 4<br />

Förderung von Arztnetzen nach § 87b SGB V – Startschuss oder Fehlstart?<br />

Workshopleitung: Dr. Albrecht Kloepfer<br />

Der Workshop wurde durch drei<br />

Impulsreferate eingeleitet. Thomas<br />

Müller, Geschäftsführer Zentralstab<br />

Unternehmensentwicklung/-steuerung<br />

stellte die Sicht der KV Westfalen-Lippe<br />

auf die bisherige Förderung<br />

dar. Dr. Johannes Thormählen<br />

konnte als Vorstand der GWQ ServicePlus<br />

AG berichten. Und Dr. Veit<br />

Wambach beschrieb die Perspektive<br />

eines erfolgreichen Arztnetzes; er<br />

ist Vorsitzender des Vorstandes Gesundheitsnetz<br />

Qualität und Effizienz<br />

eG sowie Mitbegründer und Vorsitzender<br />

der Agentur deutscher Arztnetze.<br />

Zunächst wurde festgestellt, dass Arztnetze unterschiedliche Funktionen wahrnehmen können. So<br />

steht in Ballungsgebieten etwa ein Qualitätswettbewerb im Vordergrund, während strukturschwache<br />

Regionen bei der Sicherstellung flächendeckender Versorgung unterstützt werden. Arztnetze sollen<br />

dabei als Partner der KV verstanden werden. Problematisch erscheint zum heutigen Zeitpunkt die noch<br />

teils widersprüchliche Überlagerung gesetzlicher Rahmenbedingungen.<br />

Nach diesem Auftakt konzentrierte sich die Diskussion auf zwei Bereiche:<br />

© <strong>MSD</strong><br />

• Was sind die Chancen für die Patientenversorgung durch eine strukturierte Förderung von Arztnetzen?<br />

• Eine Zwischenbilanz und Potential zur weiteren Verbesserung der Fördersituation<br />

Die Diskussion zum ersten Punkt ergab, dass Arztnetze direkt als kommunale Ansprechpartner fungieren<br />

können, ohne notwendigerweise die KV einzubinden. Sie ermöglichen eine verbesserte interdisziplinäre<br />

Zusammenarbeit und ein professionalisiertes Praxismanagement. Eine Fokussierung auf<br />

spezifische regionale Versorgungsherausforderungen, die bestehende Strukturdefizite einbezieht, ist in<br />

solch kleinen und flexiblen Strukturen leichter möglich. Auch Patienten können mit dieser Regionalkompetenz<br />

verbindlicher eingebunden werden – ihre Bedürfnisse werden besser berücksichtigt.<br />

Schon der Beginn der Diskussion über eine Zwischenbilanz machte deutlich, dass es für genau eine<br />

solche Zwischenbilanz eigentlich noch zu früh ist. Arztnetze befänden sich heute eher noch in den<br />

Startvorbereitungen. Für eine weitere erfolgreiche Entwicklung müssen individuelle Potenziale erkannt<br />

und zugelassen werden. Die Räume für eine Entwicklung dürfen daher nicht zu eng gefasst werden.<br />

Diskutiert wurde auch die Idee, den Austausch zwischen den Netzen durch den Gesetzgeber zu fördern.<br />

Mitarbeiter erfolgreicher Arztnetze könnten so andere Netze beim Aufbau unterstützen. Dies<br />

würde vorhandenes Wissen unter anderen Bedingungen nutzbar machen und regionale Versorgungsdefizite<br />

kompensieren helfen.<br />

13


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Workshop 5<br />

Telemedizin: Die Lösung für eine effiziente Patientenversorgung?<br />

Workshopleitung: Dr. Johny N. Weatherly<br />

Der Workshop wurde durch drei Referate eingeleitet. Unterschiedliche Perspektiven wurden dar -<br />

gestellt von Dr. Lutz Hager, Geschäftsführer Versorgung der IKK Südwest, Dr. Siegfried Jedamzik,<br />

Vorstandsvorsitzender des Praxisnetzes GOIN e.V. und Dr. Manfred Klemm, Vorstandsvorsitzender der<br />

Regionales Gesundheitsnetz Leverkusen eG.<br />

Zwei Schwerpunkte wurden in der folgenden Diskussion behandelt:<br />

• Welche wichtigen Annahmen und Rahmenbedingungen müssen bei der Konzeption, Durchführung<br />

und Evaluation im Telemonitoring gegeben sein, damit ein Programm auch in der Sekundärprävention<br />

zum Erfolg wird?<br />

• Welche Rolle kann ein Industriepartner im Telemonitoring spielen?<br />

Die Diskussion befasste sich zunächst mit der Konzeption von Telemonitoring. Es wurde klar, dass<br />

Zielgruppe, Erkrankungen sowie Schweregrade schon von Beginn an konkret definiert und abgegrenzt<br />

werden müssen. Ferner zu beachten sind die Finanzierung, zeitlicher Horizont, Skalierbarkeit der Modelle<br />

(Evaluation) und mögliche Widerstände. Im Bereich der Durchführung geht es zunächst um die<br />

Selektion der richtigen Partner, um sinnvolle Kommunikation mit den Beteiligten und im Folgenden um<br />

deren Training zu ermöglichen. Das Projektmanagement an sich muss professionell angegangen werden,<br />

inklusive einer realistischen Zielgrößenfestlegung mit Unterzielen und der Definition von Erfolgserwartungen.<br />

Im Bereich der Evaluation geht es zunächst um die Erhebung valider Daten unter der<br />

Prämisse „weniger ist mehr“ und immer bezogen auf die zentrale Grundfrage: Funktioniert das Projekt?<br />

Die Workshopteilnehmer zeigten sich überzeugt, dass die Evaluation deutschlandweit oder sogar<br />

europaweit standardisiert werden sollte – mit festgelegten zu erhebenden Endpunkten.<br />

Die Diskussion zum zweiten Themenkomplex<br />

zeigte, dass Industriepartner<br />

grundsätzlich bestehende<br />

Kompetenz zur Verfügung stellen<br />

oder alternativ finanziell unterstützen<br />

können. So können beispielsweise<br />

Konzepte mit ausgearbeitet<br />

oder zur Verfügung gestellt sowie<br />

Erfahrung in der Projektentwicklung<br />

geteilt werden. Teilweise hilft auch<br />

bereits der Zugang zu Daten für ein<br />

spezifisches Projekt. Technikhilfe<br />

und Dienstleistungen (beispielsweise<br />

in der Gerätewartung) sind ebenfalls<br />

ein Thema, genau wie die große<br />

Erfahrung der Industrie im Bereich Schulung/Training. Gegebenenfalls kann auch der Außendienst<br />

für roll-outs genutzt werden. Im Bereich Marketing kann auch eine Handelsmarke die Glaubwürdigkeit<br />

eines Projektes aufwerten. Insgesamt werden möglichst schlüsselfertige Lösungen für eine umgehende<br />

Umsetzung gewünscht.<br />

© <strong>MSD</strong><br />

14


Versorgung gestalten. Gemeinsam mehr erreichen!<br />

Workshop 6<br />

Evaluation von Versorgungsmodellen richtig evaluiert<br />

Workshopleitung: Prof. Volker E. Amelung<br />

Der Workshop wurde durch drei Referate eingeleitet. Olaf Lodbrok, Geschäftsführer von Elsevier, beschrieb<br />

zuerst die Möglichkeiten der standardisierten Evaluation sowie von Matching-Verfahren. Gerade<br />

Evaluationen mit Routinedaten können zukünftig eine wichtige Rolle spielen. Dr. Ursula Marschall von<br />

der BarmerGEK beleuchtete anschließend die Position einer großen Krankenkasse zur Evaluationsthematik<br />

und auch zu den Grenzen der Evaluation. Abschließend stelle Dr. Axel Munte die ärztliche<br />

Perspektive dar.<br />

Die anschließende Diskussion hatte zwei Schwerpunkte:<br />

• Welche Aspekte sind bei der Ausgestaltung einer Evaluation im Versorgungsmanagement zu beachten<br />

– sollte Evaluation standardisiert sein?<br />

• Was sind die Herausforderungen in der Umsetzung, welche Rolle kann die Pharmaindustrie dabei<br />

übernehmen?<br />

Kontrovers wurde die erste Fragestellung diskutiert.<br />

Insbesondere stellte sich die Frage, ob sinnvollerweise<br />

überhaupt alle Versorgungskonzepte evaluiert<br />

werden sollten. In der Praxis hat sich herausgestellt,<br />

dass viele Verträge überhaupt nicht auf eine ausreichende<br />

Teilnehmerzahl kommen, um statistisch<br />

aussagekräftig ausgewertet werden zu können. Bei<br />

derartigen Verträgen gilt es auch zu prüfen, ob<br />

eine Evaluation vom Aufwand her zu rechtfertigen<br />

ist. Weiterer Schwerpunkt der Diskussion war die<br />

Frage, ob Evaluationen standardisiert werden sollten.<br />

So attraktiv dies auf den ersten Eindruck ist, so sehr<br />

muss bezweifelt werden, ob dies sinnvoll umgesetzt<br />

werden kann und ob die Projekte nicht zu unterschiedlich<br />

sind. Vermutlich wird man sich hier nur<br />

auf gewisse methodische Mindestanforderungen und<br />

Indikatoren einigen können. Unstrittig ist allerdings,<br />

dass Evaluationen bereits in der Konzeptionsphase<br />

mitgedacht werden müssen. Eine gute Evaluation muss grundsätzlich gleichzeitig mit dem Projektstart<br />

beginnen; es sollte sichergestellt werden, dass die Ergebnisse publiziert werden.<br />

Deutlich weniger kontrovers war die Diskussion über die Potenziale, die pharmazeutische Industrie<br />

in Evaluationen einzubinden. Insbesondere die hohe epidemiologische Methodenkompetenz in den<br />

Unternehmen könnte hier sinnvoll genutzt werden. Durch die Vielzahl an Studien, die in den Unternehmen<br />

durchgeführt oder begleitet werden, ist der Umgang mit Versorgungsdaten Kerngeschäft der<br />

pharmazeutischen Industrie. Außerdem müsste in der Industrie auch ein ausgesprochen hohes Eigeninteresse<br />

bestehen, an derartigen Studien beteiligt zu sein – schließlich leisten sie einen Beitrag, den<br />

Einsatz der Produkte nach der Zulassung weiter zu verfolgen. Eine ausgesprochen erfolgversprechende<br />

Kombination: komplementäre Kompetenzen und eigener Nutzen für die Produktentwicklung.<br />

© <strong>MSD</strong>/Bardehle<br />

15


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Weitere Informationen zum <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER finden Sie unter:<br />

http://www.msd.de/uebermsd/versorgungsmanagement/msd-forum-gesundheitspartner.html<br />

Ansprechpartner<br />

Dr. med. Tim Husemann<br />

<strong>MSD</strong> Sharp & Dohme GmbH<br />

Direktor Health Care Management & Contracting<br />

Lindenplatz 1<br />

85540 Haar<br />

tim.husemann@msd.de<br />

Martin Göhl<br />

<strong>MSD</strong> Sharp & Dohme GmbH<br />

Health Care Concept Manager<br />

Lindenplatz 1<br />

85540 Haar<br />

martin.goehl@msd.de<br />

16


ADAPTHERA • Das Rheuma-Netzwerk<br />

© <strong>MSD</strong>/Bardehle<br />

Brigitte Pfeiff mit Juror Dr. Thomas Lang<br />

2. Preis:<br />

ADAPTHERA<br />

Das Rheuma Netzwerk<br />

Autoren: Andreas Schwarting und Brigitte Pfeiff<br />

Management Summary<br />

Ziel des Rheuma-Netzwerks ADAPTHERA ist eine verbesserte, flächendeckende Versorgung von Rheuma-Patienten<br />

in Rheinland-Pfalz. Gemeinsam mit den Förderpartnern sowie den Partnern aus Forschung<br />

und dem Bereich der Patientenversorgung strebt ADAPTHERA eine koordinierte und fachgebietsübergreifende<br />

Behandlung an. Begleitende biomedizinische Forschungsprojekte, Schulungskonzepte sowie<br />

der Aufbau eines ADAPTHERA-Rheuma-Registers sollen die Versorgungsqualität zusätzlich verbessern.<br />

Zum Netzwerk gehört eine Vielzahl an Leistungserbringern aus den Bereichen der Primärversorgung und<br />

der Rheumatologie, insbesondere der rheumatologischen Schwerpunktpraxen und dem Hausärzteverband<br />

Rheinland-Pfalz. Initiatoren waren Brigitte Pfeiff vom Verein AIRA e.V. (heute PFEIFF mar.com) und<br />

17


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Prof. Dr. Andreas Schwarting vom SANA Rheumazentrum Rheinland-Pfalz, das seit 1. Januar 2013 unter<br />

ACURA Kliniken Rheinland-Pfalz firmiert.<br />

Seit Beginn der dreijährigen Pilotphase im Jahr 2010 wird ADAPTHERA als „Landesleitprojekt Rheuma“<br />

im Rahmen der Initiative Gesundheitswirtschaft Rheinland-Pfalz gefördert. Das ADAPTHERA Versorgungsnetzwerk<br />

wird dabei vom Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Rheinland-Pfalz<br />

unterstützt, in das begleitende biomedizinische Forschungsprojekt fließen Fördermittel des<br />

Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Klimaschutz und Landesentwicklung Rheinland-Pfalz. Durch<br />

die Kooperationsvereinbarung mit der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz können alle im Land<br />

Versicherten eingeschrieben und so innerhalb der Versorgungskette „Rheumatoide Arthritis“ behandelt<br />

werden.<br />

Partner in der<br />

Forschung<br />

Aira e.V./<br />

Aesku.Kipp Institut<br />

Universitätsmedizin<br />

Mainz (Uni Med)<br />

I<strong>MB</strong>EI,<br />

Institut für Medizinische Biometrie,<br />

Epidemiologie und Informatik<br />

an der Universitätsmedizin der<br />

Johannes Gutenberg – Universität Mainz<br />

Bioinformatik Uni Mainz<br />

IZKS<br />

Apothekeder Uni Med<br />

Hausärzte,<br />

Allgemeinmediziner<br />

Rheumaexperten RPS<br />

ARRP<br />

ADAPTERA<br />

Kassenärztliche Vereinigung<br />

Rheinland-Pfalz<br />

ACURA Kliniken Rheinland-Pfalz AG<br />

Rheumatologische Ambulanz<br />

der Uni Mainz<br />

Partner in der<br />

Patientenversorgung<br />

Rheumaorthopädie Diakoniekrankenhaus<br />

Bad Kreuznach<br />

Rheumaorthopädie Mainz<br />

WHO Zentrum für Rheuma-<br />

Pathologie<br />

Rheumaliga Rheinland-Pfalz<br />

Ministerium für Soziales, Arbeit,<br />

Gesundheit und Demographie<br />

Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz,<br />

Energie und Landesplanung<br />

Forschende Pharma-Unternehmen<br />

Innovative Diagnostik- und Biotech-Unternehmen<br />

Abbildung 1 –<br />

Das Netzwerk ADAPTHERA<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Förderpartner<br />

18


ADAPTHERA • Das Rheuma-Netzwerk<br />

Vom Startzeitpunkt der Patientenaufnahme im Januar 2012 bis August 2013 nahmen im Rahmen der<br />

fachgebietsübergreifenden Patientenversorgung bereits 202 Patienten an dem Projekt teil.<br />

Einleitung<br />

Das Netzwerk ADAPTHERA ist ein neuartiges Kooperationsmodell, das gleichzeitig die zahlreichen und<br />

unterschiedlichen Defizite in den Sektoren Versorgung und Forschung anspricht. Es versteht sich als<br />

„Netz für Netzwerke“ (Schwarting, Pfeiff, 2013). Auf dem Gebiet der Rheumatoiden Arthritis werden die<br />

unterschiedlichsten Partner in der Patientenversorgung und der Forschung sowie entsprechende Förderpartner<br />

zusammengebracht (s. Abbildung 1). In der folgenden Beschreibung steht die Patientenversorgung<br />

im Mittelpunkt.<br />

Versorgungsherausforderung<br />

Entzündlich-rheumatische Erkrankungen betreffen in Deutschland etwa 1,5 Millionen Menschen, das<br />

sind rund zwei Prozent der erwachsenen Bevölkerung (Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie, 2013).<br />

Rheumatoide Arthritis (RA) ist eine Autoimmunerkrankung, bei der die frühe Diagnose eine entscheidende<br />

Rolle spielt. Wenn die Krankheit zu spät erkannt wird, sind die betroffenen Gelenke oft unheilbar<br />

zerstört. Immens sind dabei nicht nur die Auswirkungen auf den einzelnen Betroffenen, sondern auch die<br />

gesamtgesellschaftlichen Kosten dieser Erkrankung. Die Krankheit trifft nicht nur ältere Menschen, sondern<br />

häufig auch Frauen und Männer mitten im erwerbsfähigen Alter (Schwarting/Pfeiff, 2013a). Daher<br />

spielen nicht nur die hohen Behandlungskosten eine Rolle; auch der häufig vollständige Verlust der Arbeitskraft<br />

muss miteinbezogen werden.<br />

Die Behandlungsmöglichkeiten haben sich in den letzten Jahren stark erweitert. Heute können die<br />

Schmerzen nicht nur gelindert werden, es ist vielmehr möglich, eine vollständige Remission der Erkrankung<br />

zu erreichen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Erkrankung frühzeitig diagnostiziert wird. Diese<br />

Entwicklung schlägt sich in neuen Diagnosekriterien nieder, die kürzlich auf internationaler Ebene entwickelt<br />

wurden. Hauptziel ist es, die Frühdiagnose zu erleichtern – denn nur dann ist eine erfolgversprechende<br />

Therapie möglich (Bundesärztekammer/Kassenärztliche Bundesvereinigung, 2010).<br />

Für die Versorgung bedeutet das: Die Krankheit muss früher erkannt und behandelt werden. Das zentrale<br />

Problem ist ein unnötiger Zeitverlust. Auf der Stufe der hausärztlichen Versorgung gibt es häufig immer<br />

noch Informationsdefizite. Daher verstreicht oft schon vor der Überweisung zur richtigen Versorgungsebene<br />

wertvolle Zeit. In der Folge ist dann die zeitnahe Terminvergabe beim Rheumatologen ein Problem.<br />

Die Patienten werden also zu spät beim spezialisierten Rheumatologen vorstellig, der verlässlich diagnostizieren<br />

und die Krankheit für die anschließende Behandlung sinnvoll klassifizieren kann (Aletaha et al.,<br />

2010). In der Folge hat schon ein Jahr nach den ersten Krankheitszeichen die Hälfte der betroffenen<br />

Menschen Schäden an den Gelenken, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Nach zehn Jahren sind<br />

dann etwa 60 Prozent der Erkrankten nicht mehr arbeitsfähig.<br />

Die Herausforderung besteht also darin, Menschen, die neu an rheumatisch-entzündlichem Rheuma<br />

erkranken, schnell zu erkennen und umgehend spezialisiert zu behandeln (Boekle, 2013). Allein in Rheinland-Pfalz<br />

umfasst diese Personengruppe der Neuerkrankten geschätzt jährlich bis zu 3.000 Menschen.<br />

Genauere Zahlen liegen nicht vor, da es bis jetzt kein einheitliches Rheumaregister gibt. Eine Erhebung<br />

dieser Fallzahlen ist ein weiteres Teilziel im Rahmen von ADAPTHERA. Dieser Herausforderung wird<br />

19


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

nun mit einem bundesweit einzigartigen Pilotprojekt begegnet. Eine koordinierte Kooperationsstruktur<br />

ermöglicht Menschen bei Ausbruch ihrer Erkrankung einen schnelleren Zugang zur fachärztlichen Behandlung.<br />

Die Versorgung wird dazu in einem landesweiten, sektorenübergreifenden Netzwerk koordiniert.<br />

Entstehungsgeschichte<br />

Initiatoren waren Brigitte Pfeiff vom Verein AIRA e.V. (heute PFEIFF mar.com) und Prof. Dr. Andreas<br />

Schwarting vom SANA Rheumazentrum Rheinland-Pfalz, das seit 1. Januar 2013 unter ACURA Kliniken<br />

Rheinland-Pfalz firmiert. Am 1. Januar 2012 wurde dann der Versorgungsvertrag für das Netzwerk ADAP-<br />

THERA unterschrieben. Bis heute konnten folgende Partner für das Netzwerk gewonnen werden (Schwarting,<br />

Pfeiff, 2013a):<br />

• Kassenärztliche Vereinigung und Hausärzteverband Rheinland-Pfalz<br />

• Rheumaexperten Rheinland-Pfalz<br />

• Rheumaliga Rheinland-Pfalz<br />

• Universitätsmedizin Mainz mit dem Schwerpunkt Rheumatologie, IZKS (interdisziplinäres Zentrum zur<br />

Koordinierung klinischer Studien) und I<strong>MB</strong>EI (Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und<br />

Informatik)<br />

• ARRP (Arbeitsgemeinschaft der Rheumatologen Rheinland-Pfalz)<br />

• Rheumaorthopädie (Diakonie Bad Kreuznach, Universitätsmedizin Mainz, Stiftsklinikum Koblenz, Westpfalzklinikum<br />

Kaiserslautern)<br />

• WHO Rheumapathologiezentrum der Uni Mainz<br />

• Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Rheinland-Pfalz<br />

• Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung Rheinland-Pfalz<br />

Kernelemente<br />

Versorgungskonzept<br />

Die rechtliche Grundlage für das Versorgungskonzept ADAPTHERA ist ein Kooperationsvertrag mit der<br />

Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz. Der Vertrag wurde für alle gesetzlich Versicherten geschlossen.<br />

Das Modell setzt bereits bei den Hausärzten der kassenärztlichen Versorgung an. Es unterstützt<br />

sie dabei, Verdachtsfälle der Rheumatoiden Arthritis zu erkennen. Ist ein Patient identifiziert, bei<br />

dem Rheumatoide Arthritis bestehen könnte, wird dem Arzt bei der Überweisung geholfen. Innerhalb<br />

kürzester Zeit wird so ein Termin bei einem geeigneten Facharzt oder bei nicht anders lösbaren Engpässen<br />

auch in einer entsprechenden Klinik, die zur ambulanten Versorgung zugelassen ist, ermöglicht.<br />

Die Vertragsärzte erbringen gegenüber den Patienten Leistungen im Rahmen der regulären Versorgung.<br />

Darüber hinaus werden Leistungen im Netzwerk ADAPTHERA zusätzlich angeboten und vergütet. Rheumatologen,<br />

die im Netzwerk ADAPTHERA aktiv sind, können bei gesetzlich versicherten Patienten, die<br />

an ADAPTHERA teilnehmen, also zusätzliche Ziffern abrechnen.<br />

20


ADAPTHERA • Das Rheuma-Netzwerk<br />

ADAPTHERA zeichnet sich durch einen sehr einfachen und niedrigschwelligen Zugang für Patienten<br />

als auch für Leistungserbringer aus. Hausärzte treten dem Netzwerk automatisch bei, wenn sie die<br />

ADAPTHERA Sonderziffer das erste Mal gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung abrechnen. Es<br />

muss dabei nicht nach Krankenkassen unterschieden werden. Das ADAPTHERA-eigene Faxformular,<br />

mit dem die Hausärzte ihre Patienten an Rheumatologen weiterleiten, beinhaltet nur vier zu bestätigende<br />

Fragen.<br />

Zielgruppe<br />

Die Rheumatoide Arthritis betrifft rund ein Prozent der Bevölkerung und ist damit die häufigste Autoimmunerkrankung.<br />

Bei Frauen ist sie rund zwei- bis dreimal häufiger als bei Männern. Die meisten Menschen<br />

erkranken zwischen dem 40. und dem 50. Lebensjahr. ADAPTHERA richtet sich an alle Menschen<br />

in Rheinland Pfalz, die neu an Rheumatoider Arthritis erkranken. Allein in Rheinland-Pfalz umfasst diese<br />

Personengruppe der Neuerkrankten jährlich bis zu 3.000 Menschen. Eine Teilnahme ist unabhängig von<br />

einer speziellen Krankenversicherung für alle möglich. Hausärzte können Patienten der gesetzlichen Krankenversicherungen<br />

einfach aufnehmen, ohne einen speziellen Vertrag unterzeichnen zu müssen. Damit<br />

gibt es nun für die gesamte Zielgruppe in diesem Bundesland einen barrierefreien Zugang zu einem umfassenden<br />

Versorgungskonzept.<br />

Versorgungselemente<br />

Eine wesentliche Ursache für die späte zielgerichtete Behandlung Rheumatoider Arthritis ist eine Unterversorgung<br />

mit Rheumatologen in Deutschland. Dies ist vor allem in einem Flächenland wie Rheinland-<br />

Pfalz ein großes Problem. Nach Berechnungen der Rheumaliga bräuchte dieses Bundesland allein<br />

50 (zusätzlich zu den derzeit 14) weitere niedergelassene Rheumatologen für ein optimales Arzt-Rheumapatienten-Verhältnis<br />

(Schwarting/Pfeiff, 2013). Dieses Problem kann leider realistisch nicht durch eine<br />

massive Ausweitung von Rheumatologen gelöst werden. Stattdessen wird angestrebt, die bestehenden<br />

Ressourcen bestmöglich zu nutzen.<br />

Dies wird durch eine Struktur erreicht, die durch bessere Vernetzung die zielgerichtete Behandlung von<br />

Fällen mit Priorität erlaubt. Das ist die Leistung des Netzwerks ADAPTHERA: es integriert die gesamte<br />

Versorgungskette „Rheumatoide Arthritis“ horizontal, vom Hausarzt bis zur Universitätsmedizin. Vertikal<br />

werden alle Stufen der Versorgung abgedeckt: von Früherkennung über die ambulante und stationäre<br />

Therapie bis hin zur Rehabilitation. Damit wird eine zentrale Terminkoordinierung möglich. Die Patienten<br />

erhalten den schnellstmöglichen Termin zur Vorstellung beim Rheumatologen – oder alternative Vorschläge,<br />

wenn Rheumatoide Arthritis ausgeschlossen werden kann. Durch diesen Vorfilter werden nur echte<br />

Verdachtsfälle zu den beteiligten Rheumatologen weitergeleitet.<br />

Somit ist ein wichtiges Element des Modells ein abgestuftes Screeningprogramm. Patienten mit ersten<br />

Anzeichen von früher Arthritis werden vom Primärversorger (Hausarzt, Orthopäde etc.) an die Schwerpunkt-Rheumatologen<br />

in der Früharthritis-Klinik überwiesen. Bestätigt sich die Diagnose, werden die<br />

Patienten in das Pilotprojekt übernommen. Hier werden dann auch die klinischen Daten erfasst und<br />

das serologische und gegebenenfalls bioptische Material gesammelt. Der Rheumatologe erarbeitet<br />

dann gemeinsam mit dem Patienten und dem Hausarzt einen angemessenen Therapieplan (Biermann,<br />

2012). Lässt sich die Diagnose (noch) nicht bestätigen, wird der Patient für eine spätere Wiedervorstellung<br />

erfasst. Die einzelnen Elemente und der Ablauf im Modell sind in Abbildung 2 noch einmal dargestellt.<br />

21


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Abbildung 2 – Risikoadaptierte individualisierte Rheumatherapie<br />

Hausärzte/primärer<br />

Versorgungssektor (Internisten,<br />

Orthopäden, etc.)<br />

Leitstelle SRZ/KK<br />

Frühe Arthritis<br />

Einschreibung in das Modell<br />

Screening I<br />

Dokumentation<br />

Wissenschaftliche Leitstelle<br />

positiv<br />

Termin innerhalb von<br />

1–2 Wochen<br />

negativ<br />

Früharthritis Klinik<br />

Rheumaorthopädie<br />

Screening II<br />

(rheumatologische<br />

Basisdiagnostik)<br />

Biopsie<br />

Arthritis – Verdacht nicht<br />

bestätigt<br />

Arthritis – Verdacht<br />

bestätigt<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Ausscheiden aus dem<br />

Modell<br />

Risikoadaptiertes<br />

interdisziplinäres<br />

Versorgungskonzept<br />

Mehrwert<br />

Die einzigartige, umfassende Kooperation ermöglicht rund 4,5 Millionen Einwohnern in Rheinland-<br />

Pfalz – ungeachtet ihrer Versicherung – den Zugang zu einer optimierten Versorgung von Rheumatoider<br />

Arthritis. Durch verbesserte Koordination in einem sektorenübergreifenden Netzwerk wird kostbare Zeit<br />

gespart. In den ersten zwölf Monaten Laufzeit wurden die Patienten im Netzwerk im Mittel 23,7 Tage<br />

nach dem ersten Besuch beim Hausarzt, beim Rheumatologen vorgestellt. Dies ist ein großer Zeitgewinn<br />

im Vergleich zum deutschen Durchschnitt von 13 Monaten (Schwarting, Pfeiff, 2013). Es ist dieser Zeitvorsprung,<br />

der in vielen Fällen vollständige Remission überhaupt erst möglich macht.<br />

Durch die vollständige Integration aller Versorgungsebenen wird der Patient über den gesamten Krankheitsverlauf<br />

lückenlos begleitet. Alles wird aus einer Hand geboten: Primärversorger (Hausarzt, Orthopäde),<br />

die Versorgungsebene Facharzt Rheumatologie, die Akutversorgung stationär und die Versorgungsebene<br />

Rehabilitation. Grabenkämpfe zwischen der Versorgung in der Fläche und klinischen oder<br />

universitären Einrichtungen werden so vermieden.<br />

Die Patienten erleben koordinierte und transparente Übergänge zwischen den beteiligten Sektoren der<br />

Behandlungskette. Klare Vorgaben für die Teilnahme am Versorgungsnetzwerk führen außerdem zu einer<br />

Verkürzung der Wartezeiten an den Schnittstellen, beispielsweise für Erstvorstellungstermine beim Facharzt<br />

für Rheumatologie. Insgesamt stieg die Quote fachärztlich betreuter Patienten mit Rheumatoider<br />

Arthritis. Die verbesserte Koordination verringert unkontrollierte Verschreibungen und die damit verbundenen<br />

vermeidbaren Nebenwirkungen medikamentöser Therapie.<br />

22


ADAPTHERA • Das Rheuma-Netzwerk<br />

Gleichzeitig werden durch den breiten, niedrigschwelligen Zugang schnell und ausreichend Patientendaten<br />

für eine Weiterentwicklung der Therapie gewonnen. Somit können Behandlung und Forschung im<br />

Netzwerk sinnvoll verknüpft werden. Gemeinsam wird eine individuell optimierte Therapie entwickelt, die<br />

schon zu Beginn der Erkrankung die Aussage über die wirksamste Therapiestrategie für den individuellen<br />

Patienten ermöglicht (Becker et al., 2013). Die dafür notwendige Datenerhebung nutzt gängige Software<br />

und findet via iPad statt. Alle an ADAPTHERA teilnehmenden rheumatologischen Praxen wurden hierfür<br />

mit iPads ausgestattet. Diese sind einfach bedienbar für Ärzte, Praxisassistenten und Patienten. Sie motivieren<br />

zur Teilnahme und sichern damit eine gute Qualität der Daten.<br />

Finanzierung<br />

Die Finanzierungsstrategie bindet bewusst mehrere Quellen ein. Hierdurch sollen das ADAPTHERA<br />

Rheuma-Netzwerk und die entstehenden Versorgungsstrukturen gesichert werden – nachhaltig und<br />

möglichst unabhängig von politischen Strategiewechseln.<br />

Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Rheinland-Pfalz unterstützte den Start<br />

von ADAPTHERA maßgeblich und fördert das Versorgungsnetzwerk in der dreijährigen Pilotphase als<br />

„Landesleitprojekt Rheuma“ im Rahmen der Initiative Gesundheitswirtschaft Rheinland-Pfalz.<br />

Hinzu kommen erhebliche Eigenmittel der Initiatoren: Mittel, die der Optimierung des Netzwerks und der<br />

Versorgungsforschung zur Verfügung stehen.<br />

Die dritte Säule der Finanzierung neben Fördermitteln und Eigenmitteln sind aktiv eingeworbene Fremdmittel<br />

(Sponsorengelder, Spenden und Einnahmen aus kooperativen Forschungsprojekten).<br />

Allein für den Aufbau der Struktur des Versorgungsnetzwerks stehen so insgesamt rund 550.000 Euro<br />

zur Verfügung. Gesetzliche Krankenkassen wurden bisher bewusst nicht in die Finanzierung der Pilotphase<br />

eingebunden, um ein barrierefreies und flächendeckendes Angebot zu schaffen – wichtig für die Betroffenen<br />

und die Qualität der Versorgungsforschung.<br />

Für die ADAPTHERA Forschungsprojekte und den Aufbau des ADAPTHERA RheumaRegisters fließen in<br />

der Pilotphase bis März 2014 zusätzlich rund 1.485.000 Euro aus Eigenmitteln der Initiatoren und durch<br />

Förderung des Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Klimaschutz und Landesentwicklung Rheinland-<br />

Pfalz ebenfalls im Rahmen der Initiative Gesundheitswirtschaft Rheinland-Pfalz.<br />

Management<br />

Das Schlüsselelement für eine erfolgreich individualisierte Rheumatherapie ist eine kontinuierliche Koordination<br />

der im Netzwerk zusammengeschlossenen Partner. Nur so werden nämlich eine reibungslose<br />

Zusammenarbeit, ein optimales Patientenmanagement und ein lückenloser Datenaustausch möglich.<br />

Die Koordination ist allerdings eine Herausforderung, da die Beteiligten sehr verschieden sind und<br />

sehr unterschiedliche Aktivitäten im Netzwerk wahrnehmen. Sie wird bei ADAPTHERA daher von einer<br />

Koordinationszentrale übernommen. Diese leistet das Netzwerk-Management, also die Koordination der<br />

Netzwerkpartner im Versorgungsnetzwerk, sowie das Patientenmanagement. Außerdem sichert sie die<br />

Qualität der Versorgungsabläufe und entwickelt das Netzwerk fortwährend weiter.<br />

Auch koordiniert die Zentrale die gemeinsame interne und externe Kommunikation aller an der Initiative<br />

beteiligten Partner. Vor allem kümmert sie sich um verschiedenste Austauschmöglichkeiten der Partner<br />

untereinander (Newsletter, Meetings etc.), um die Präsentation des gesamten Netzwerks nach außen<br />

und die Akquise neuer Partner, Handlungsfelder oder Projekte. Aber auch für Patienten oder die interes-<br />

23


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

sierte Öffentlichkeit wird ein Informationsangebot bereitgestellt. Solch eine Aufklärung ist speziell bei<br />

dieser Erkrankung wichtig für eine erfolgreiche Therapie. Häufig ist die lange Zeitspanne bis zur zielgerichteten<br />

Therapie nicht nur mit langen Wartezeiten bei spezialisierten Ärzten zu erklären, eine Rolle<br />

spielen oft auch Angst und mangelnde Aufklärung der Patienten (Schwarting, Pfeiff, 2013). Um hier Abhilfe<br />

zu schaffen, wird mittels verschiedener Kanäle auf die Erkrankung und das Netzwerk aufmerksam<br />

gemacht. Neben einer umfangreichen Homepage wird im Internet beispielsweise auch ein Film auf<br />

YouTube angeboten (Roeingh, 2013). Direkt vor Ort ist das Netzwerk mit Aktionen bei großen Arbeitgebern<br />

vor Ort – sogar eine Rheuma-Bustour wird durchgeführt. Auch telefonisch ist die Koordinationszentrale<br />

über eine direkte Patienten-Hotline erreichbar. Die ADAPTHERA Koordinationszentrale ist damit<br />

zentraler Ansprechpartner für Patienten, Ärzte und Öffentlichkeit, aber auch für Spender, Sponsoren oder<br />

zukünftige Partner.<br />

Für die Koordination der im Netzwerk stattfindenden medizinischen Forschung und Versorgungsforschung<br />

hat das Netzwerk neben der ADAPTHERA Koordinationszentrale eine Studienzentrale eingerichtet.<br />

Hier werden auch der Aufbau, die Betreuung und die Weiterentwicklung der Datenbank ADAPTHERA<br />

RheumaRegister vorangetrieben. Damit soll eine fortlaufende Verbesserung der Versorgung von Rheumapatienten<br />

ermöglicht werden.<br />

Evaluation<br />

Das ADAPTHERA Rheuma-Netzwerk wurde im Rahmen der Bewilligung der Fördermittel mehrfach extern<br />

begutachtet, sowohl durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung als auch durch Deutsche-Forschungsgemeinschaft-Gutachter<br />

des Wissenschaftsministeriums Rheinland-Pfalz. Nach den<br />

ersten zwölf Monaten wurden die Ergebnisse Anfang 2013 evaluiert und auf Zielerreichung überprüft.<br />

Insgesamt wurden bis zum 31. August 2013 500 Patienten von den Primärversorgern zugewiesen. 202<br />

davon erfüllten nach dem Termin beim Rheumatologen die Kriterien zur Aufnahme in das Rheumanetzwerk<br />

ADAPTHERA (s. Abbildung 3). 66 Prozent waren Frauen, der Altersgipfel lag bei 55 Jahren. Sie<br />

werden seit der Erstvisite den Qualitätszielen des Netzwerks entsprechend engmaschig begleitet und<br />

alle drei Monate gesehen (Schwarting et al., 2013).<br />

Abbildung 3 – Qualität der Zuweisungen<br />

190<br />

nach Akuttermin<br />

ausgeschlossen<br />

98<br />

Kriterien nicht erfüllt<br />

202<br />

frühe RA<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Durch umfangreiche Kommunikationsmaßnahmen und auf Grund des einfachen Zugangs für Patienten und<br />

Primärversorger haben sich Patienten aus dem gesamten Bundesland angemeldet. Die untenstehende<br />

Grafik veranschaulicht noch einmal die flächendeckende Versorgung früher Rheumatoide Arthritis Patienten<br />

im Netzwerk.<br />

24


ADAPTHERA • Das Rheuma-Netzwerk<br />

Abbildung 4 – Flächendeckende Versorgung<br />

1<br />

1<br />

3<br />

1 2 2 Betzdorf<br />

2<br />

1<br />

31<br />

1<br />

5<br />

2<br />

4<br />

2 1<br />

1<br />

19 4 1026<br />

1 2<br />

Bad Neuenahr/ 1<br />

2<br />

Ahrweiler<br />

Montabaur<br />

Koblenz<br />

3<br />

2 5<br />

3<br />

Bad Ems<br />

3<br />

4<br />

3<br />

Cochem<br />

23<br />

1 1<br />

3<br />

1<br />

1<br />

4<br />

3<br />

3 5<br />

1<br />

1<br />

4<br />

2<br />

Wittlich<br />

3<br />

5<br />

3<br />

1<br />

46 1<br />

1<br />

2<br />

8<br />

1<br />

Mainz<br />

1 1<br />

1<br />

2<br />

1<br />

Simmern<br />

27<br />

4 22<br />

Bingen 1<br />

1<br />

3<br />

1<br />

1<br />

3<br />

2<br />

Bad Kreuznach<br />

5<br />

Trier<br />

1 2<br />

Alzey 5<br />

10<br />

Worms<br />

1 1<br />

1 2<br />

1 11 10<br />

2<br />

1 1<br />

1<br />

3<br />

2<br />

Kusel<br />

1<br />

Ludwigshafen<br />

3 Bad Dürkheim<br />

1<br />

2<br />

10<br />

Kaiserslautern<br />

1 4 1<br />

2<br />

5<br />

4 3 6<br />

51<br />

1 Speyer<br />

8<br />

4 4<br />

1<br />

Zweibrücken<br />

8<br />

Pirmasens Landau<br />

3<br />

1 17<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Nächste Schritte<br />

Gegen Ende der Pilotphase besteht nun die Möglichkeit, das Netzwerk weiter auszubauen. Neben der<br />

Rheumatoiden Arthritis ist geplant, andere rheumatische Erkrankungen einzuschließen. Aufgrund der<br />

gut laufenden Kooperationen lassen sich weitere Krankheitsbilder verhältnismäßig einfach als weiteres<br />

Modul angliedern. Ein Ziel ist es – in Analogie zur Rheumatoiden Arthritis – die Frühdiagnose aller rheumatischen<br />

Erkrankungen zu verbessern. In Kooperation mit Arbeitgebern entsteht gerade ein Konzept zur<br />

allgemeinen Prävention muskuloskelettaler Erkrankungen, dessen Ergebnisse die Darstellung der Epidemiologie<br />

und Versorgung von Rheuma-Patienten vervollständigen werden.<br />

Die Rehabilitation chronisch kranker Patienten spielt eine große Rolle. Daher wird eine Rehabilitationsbehandlung<br />

für jeden ADAPTHERA Patienten angestrebt. Damit kann umfassender geholfen werden, als es<br />

die Akutmedizin mit ihren vor allem medikamentösen Ansätzen tun kann. Die Rehabilitation umfasst physiotherapeutische<br />

Aspekte (Kraft, Haltung, Ausdauer), ergotherapeutische und psychologische Aspekte<br />

(Anti-Stress Training) sowie sozialmedizinische Aspekte (berufliche Situation, GdB, Umschulung etc.). Ein<br />

Teilprojekt (s.u.) wird sich mit dem Effekt der Schulung auf die Compliance der Patienten im Verlauf auseinandersetzen.<br />

ADAPTHERA hat den Aufbau eines sich dynamisch entwickelnden Rheumaregisters zum Ziel. Über die<br />

bestehenden Datensammlungen auf dem Gebiet der Rheumatoiden Arthritis hinaus soll dieses Register<br />

nicht nur Patienten- und Versorgungsdaten sammeln, sondern sie auch mit dem Erfolg gewählter diagnostischer<br />

und therapeutischer Strategien verbinden (bis hin zum Anwendungsverhalten von Arzneimitteln,<br />

siehe Maiwald, 2013). Damit könnte die Versorgung in diesem Bereich umfassend evaluiert und<br />

optimiert werden.<br />

Nach dem PDCA-Zyklus des Qualitätsmanagements („plan-do-check-act“) werden aus identifizierten<br />

Schwachstellen des Netzwerkes kontinuierlich Verbesserungsvorschläge abgeleitet und umgesetzt. Sollte<br />

es sich etwa in Zukunft herausstellen, dass im Bereich einzelner Primärversorger zu häufig falsche<br />

positive Verdachtsdiagnosen gestellt werden, wird die Rheumaliga Rheinland-Pfalz in einzelnen Regionen<br />

teilnehmende Kollegen gezielt nachschulen – als Partner im ADAPTHERA Projekt, mit ihrem Patient-<br />

Partner Programm und zusammen mit Rheumatologen.<br />

25


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Ansprechpartner<br />

Prof. Dr. Andreas Schwarting<br />

Ärztlicher Direktor<br />

ACURA Kliniken Rheinland-Pfalz AG<br />

Kaiser-Wilhelm-Straße 9–11<br />

55543 Bad Kreuznach<br />

Telefon: 0671 – 93-2230<br />

E-Mail: andreas.schwarting@kh-acura-kliniken.com<br />

Brigitte Pfeiff<br />

ADAPTHERA Marketing + Kommunikation<br />

Telefon: 0170 – 4478 684<br />

E-Mail: ADAPTHERA@email.de<br />

Literatur<br />

ADAPTHERA (2013). Qualität der Zuweisungen. Interne Studiendaten vom 31.8.2013. Erhältlich über ADAPTHERA.<br />

ADAPTHERA (2013a). Flächendeckende Versorgung. Posterbeitrag. Erhältlich über ADAPTHERA.<br />

Becker, Marc; Menke, Julia; Tenzer, Stefan; Schild, Hansjörg; Wlodarski, Alexandra; Jeremias, Patricia; Trinder, Peter; Pfeiff,<br />

Brigitte; Maar, Bettina; Golbas, Mitra; Schwarting, Andreas (2013). ADAPTHERA – Das barrierefreie rheumatologische Versorgungsnetzwerk<br />

in Rheinland-Pfalz: Identifizierung von Biomarker-Profilen in Patientenproben mit diagnostizierter früher<br />

Rheumatoider Arthritis. Erhältlich über ADAPTHERA. Im Erscheinen.<br />

Biermann, Hans (2012). ADAPTHERA-Netzwerk in Rheinland-Pfalz: Kooperation mit Sana-Rheuma-Zentrum. In Orthopädische<br />

Nachrichten vom 23.4.2012. Abgerufen 5.9.2013, http://www.biermann-verlag.de/fachbereiche/orthopaedie/kliniken-praxen/kooperation-sana-rheuma-zentrum.<br />

Boekle, Ruth (2011). Lemke: Wirksamere Therapien bei Rheuma durch innovative Technologien. Rheinland-Pfalz Ministerium<br />

für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung. Pressemitteilung. 5.9.2013. http://www.mwkel.rlp.de/icc/internet/nav/08c/fe770101-a350-6401-a3b2-1714462b74cf,1b611b3a-8857-1318-86f6-2465e1df7d18,,,aaaaaaaa-aaaa-aaaa-aaab-000000000042&_ic_selumen=08c70d79-8d1c-7501-be59-26196bb7cb65&attr=8ae7077e-6af7-3a21-2fc5-be-<br />

150da4e825.<br />

Bundesärztekammer/Kassenärztliche Bundesvereinigung (2010). Neue Rheumaklassifikation soll Frühdiagnose erleichtern. In<br />

Ärzteblatt online vom 11. August 2010. 11.9.2013: http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/42315.<br />

Daniel Aletaha, Tuhina Neogi, Alan J. Silman, Julia Funovits, David T. Felson, Clifton O. Bingham, Neal S. Birnbaum, Gerd R.<br />

Burmester, Vivian P. Bykerk, Marc D. Cohen, Bernard Combe, Karen H. Costenbader, Maxime Dougados, Paul Emery, Gianfranco<br />

Ferraccioli, Johanna M. W. Hazes, Kathryn Hobbs, Tom W. J. Huizinga, Arthur Kavanaugh, Jonathan Kay, Tore K.<br />

Kvien, Timothy Laing, Philip Mease, Henri A. Ménard, Larry W. Moreland, Raymond L. Naden, Theodore Pincus, Josef S.<br />

Smolen, Ewa Stanislawska-Biernat, Deborah Symmons, Paul P. Tak, Katherine S. Upchurch, Jirˇí Vencovsky´, Frederick<br />

Wolfe, and Gillian Hawker: 2010 Rheumatoid Arthritis Classification Criteria: An American College of Rheumatology/European<br />

League Against Rheumatism Collaborative Initiative. ARTHRITIS & RHEUMATISM Vol. 62, No. 9, September 2010,<br />

pp 2569–2581.<br />

Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (2013). Rheuma in Zahlen – Betroffene Menschen in Deutschland. Zuletzt abgerufen<br />

am 11.9.2013 unter: http://dgrh.de/fileadmin/media/Die_DGRH/Presse/Rheuma_in_Zahlen_presse_aktual.pdf.<br />

Maiwald, Kerstin; Krämer, Irene; Pfeiff, Brigitte; Schwarting, Andreas (2013). Arzneimittel-Compliance im Rheuma-Versorgungsnetzwerk<br />

ADAPTHERA: Untersuchung der Arzneimittelanwendung bei Patienten mit Rheuma, die mit Methotrexat<br />

peroral oder subkutan behandelt werden. Erhältlich über ADAPTHERA. Im Erscheinen.<br />

Roeingh, Friedrich (2013). Wendelsheimer „Aesku.Kipp Institut“ setzt mit „ADAPTHERA“ auf Aufklärung und bessere Patientenversorgung.<br />

In Allgemeine Zeitung Rhein-Main Presse online, vom 09.02.2013. Abgerufen: 12.9.2013. http://www.allgemeine-zeitung.de/region/alzey/vg-woellstein/wendelsheim/12820333.htm.<br />

Schwarting, Andreas; Pfeiff, Brigitte; Amberger, Christopher; Pick, Dorothea; Hesse, Martin; Jendro, Michael Christian; Engels,<br />

Jörg; Böttger, Anke; Trautmann, Frank; Kuhn, Christoph; Majdandzic, Jozo; Ziese, Walter; Stadelmann, Marie-Luise; Dinges,<br />

Harald; Ultes-Kaiser, Sigrid; Menke, Julia; Hazenbiller, Anna; Bergmann, Gudrun; Nichelmann, Valentina (2013). Das rheumatologische<br />

Versorgungsnetzwerk ADAPTHERA: landesweitflächendeckend, barrierefrei-transsektoral. Erste Ergebnisse.<br />

Erhältlich über ADAPTHERA. Im Erscheinen.<br />

Schwarting/Pfeiff (2013). ADAPTHERA: Netzwerk für Individualisierte Rheumatherapie. 11.9.2013. http://gesundheitswirtschaft.rlp.de/no_cache/massnahmen/landesleitprojekte/?cid=107753&did=89425&sechash=0c317cf5.<br />

Schwarting/Pfeiff (2013a). Bewerbung um den <strong>MSD</strong> Gesundheitspreis 2013. Erhältlich über ADAPTHERA.<br />

26


AGnES • Eine innovative Option für die regionale Versorgung<br />

© <strong>MSD</strong>/Bardehle<br />

Dr. Neeltje van den Berg mit Juror Prof. Peter C. Scriba<br />

3. Preis:<br />

AGnES<br />

Eine innovative Option für die regionale Versorgung<br />

Autoren: Neeltje van den Berg und Wolfgang Hoffmann<br />

Management Summary<br />

Hauptziel des AGnES-Konzeptes ist die Entlastung von Hausärzten durch speziell qualifizierte Mitarbeiter<br />

des Praxisteams (Pflegefachkräfte, medizinische Fachangestellte, ArzthelferInnen). Das Konzept basiert<br />

auf der Delegation ärztlicher Leistungen, diese Leistungen werden beim Patienten zu Hause erbracht –<br />

ohne Beisein des behandelnden Arztes. Die Hausärzte können dadurch mehr Patienten in ihren Praxen<br />

betreuen.<br />

27


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

In Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt wurden zwischen 2005 und<br />

2008 insgesamt sieben Modellprojekte in Regionen durchgeführt, die von hausärztlicher Unterversorgung<br />

bedroht oder bereits unterversorgt sind; daran nahmen 55 Ärzte und 37 speziell qualifizierte nichtärztliche<br />

Fachkräfte teil. Neben den AGnES-Fachkräften wurden sektorübergreifend auch Apotheker und<br />

weitere Berufsgruppen einbezogen.<br />

Im Rahmen der Pilotprojekte machten die AGnES-Fachkräfte 11.228 Hausbesuche bei 1.430 Patienten;<br />

der Altersdurschnitt der Patienten lag dabei bei 79 Jahren.<br />

Durch eine Gesetzesänderung in § 87 Absatz 2b SGB V, die im März 2008 im Rahmen des Pflegeweiterentwicklungsgesetzes<br />

durch den deutschen Bundestag verabschiedet wurde, wurde die Delegation<br />

hausärztlicher Tätigkeiten außerhalb der Rufweite des Arztes erstmals grundsätzlich erlaubt. Das Konzept<br />

wurde ab dem 1.4.2009 in die Regelversorgung überführt.<br />

Die Abkürzung AGnES steht für arztentlastende, gemeindenahe, E-Health-gestützte, systemische Intervention.<br />

Einleitung<br />

In vielen ländlichen Gebieten in Deutschland steigt der Anteil der älteren Bevölkerung rapide an. Gleichzeitig<br />

gehen derzeit viele Ärzte in den Regionen in den Ruhestand (van den Berg et al., 2009). Häufig ist<br />

es schwierig, Nachfolger für frei werdende Hausarztpraxen zu finden. Daher benötigen diese Regionen<br />

innovative Konzepte, um dem sich abzeichnenden Mangel in der Primärversorgung zu begegnen.<br />

Das vorliegende Projekt widmet sich dieser Herausforderung. Bestimmte Aufgaben, die der Hausarzt<br />

üblicherweise im Haus der Patienten durchführt, werden an speziell ausgebildete, nicht-ärztliche Gesundheitsberufe<br />

delegiert. Damit kann die Anzahl von Patienten pro Hausarzt erhöht und dem möglichen<br />

Notstand entgegengewirkt werden.<br />

Versorgungsherausforderung<br />

Ein Blick auf die demographische Entwicklung in Deutschland macht die Herausforderung deutlich. Eine<br />

höhere Lebenserwartung kombiniert mit einer rückläufigen Geburtenrate bedeuten einen fortwährenden<br />

Anstieg des Anteils älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung. Obwohl die Bevölkerung in Deutschland<br />

aktuell durch Zuwanderung meist jüngerer Menschen steigt (Statistisches Bundesamt, 2013), wird<br />

diese Entwicklung nicht ausgeglichen. Die Zuwanderung ist zum einen nur auf die alten Bundesländer<br />

beschränkt. Zum anderen macht sich ein starkes Stadt-Land-Gefälle bemerkbar (s. Tabelle 1).<br />

Vor allem in ländlichen Regionen der neuen Bundesländer leben überproportional viele ältere Menschen.<br />

Die veränderte Altersstruktur in diesen Regionen geht mit einem erhöhten Anteil an Krankheitsbildern<br />

einher, die typisch sind für ältere Menschen. Beispiele hierfür sind chronische Erkrankungen, Einschränkungen<br />

der Mobilität und insbesondere Demenz. Häufig treten Erkrankungen auch in Kombination auf<br />

(Multimorbidität). Aus diesem Grund steigt der Bedarf an haus- und fachärztlicher Versorgung – genauso<br />

wie der Bedarf an stationären Behandlungen, rehabilitativen Anwendungen und Pflegeleistungen. Des<br />

Weiteren verändern sich die sozialen Strukturen. So nehmen Familienwohnstrukturen ab, wohingegen<br />

der Anteil an Single-Haushalten steigt. Dies hat unter anderem Konsequenzen für die familiäre Unterstützung<br />

bei der Familienpflege. Auch hiervon sind vor allem ländliche Regionen stark betroffen.<br />

28


AGnES • Eine innovative Option für die regionale Versorgung<br />

Tabelle 1 – Bevölkerungszahlen 2011 und 2012 nach Bundesländern<br />

Bundesland<br />

Bevölkerung am<br />

31.12.2011 31.12.2012<br />

Veränderung insgesamt<br />

In 1000 In 1000 in %<br />

Baden-Württemberg 10 512,4 10 569,1 56,7 0,5<br />

Bayern 12 443,4 12 519,6 76,2 0,6<br />

Berlin 3 326,0 3 375,2 49,2 1,5<br />

Brandenburg 2 453,2 2 449,5 – 3,7 – 0,1<br />

Bremen 652,2 654,8 2,6 0,4<br />

Hamburg 1 718,2 1 734,3 16,1 0,9<br />

Hessen 5 993,8 6 016,5 22,7 0,4<br />

Mecklenburg-Vorpommern 1 606,9 1 600,3 – 6,6 – 0,4<br />

Niedersachsen 7 774,3 7 779,0 4,7 0,1<br />

Nordrhein-Westfalen 17 544,9 17 554,3 9,4 0,1<br />

Rheinland-Pfalz 3 990,0 3 990,3 0,2 0,0<br />

Saarland 997,9 994,3 – 3,6 – 0,4<br />

Sachsen 4 054,2 4 050,2 – 4,0 – 0,1<br />

Sachsen-Anhalt 2 276,7 2 259,4 – 17,3 – 0,8<br />

Schleswig-Holstein 2 802,3 2 806,5 4,3 0,2<br />

Thüringen 2 181,6 2 170,5 – 11,1 – 0,5<br />

Deutschland 80 327,9 80 523,7 195,8 0,2<br />

Früheres Bundesgebiet (ohne Berlin-West) 64 429,3 64 618,6 189,3 0,3<br />

Neue Länder (ohne Berlin-Ost) 12 572,6 12 529,9 – 42,7 – 0,3<br />

Quelle: In Anlehnung an Statistisches Bundesamt (2013).<br />

Der demografische Wandel mit all seinen Facetten führt daher zu großen Herausforderungen für das<br />

deutsche Gesundheitssystem. Die Schwierigkeit liegt vor allem in der flächendeckenden Versorgung,<br />

abgestimmt auf die regionalen Unterschiede. Mit geänderter Demographie in ländlichen Gebieten ändern<br />

sich auch Aufgabenbreite, Diagnose- und Therapiezielvorstellungen. Vor allem interdisziplinäres Arbeiten<br />

durch die Vielzahl unterschiedlicher Erkrankungen – häufig bei ein und demselben Patienten – wird zum<br />

wichtigen Thema. Dies bedeutet, dass unterschiedliche Berufsgruppen enger zusammen arbeiten – wie<br />

Ärzte, Zahnärzte, Krankenpfleger oder Physiotherapeuten. Es bedarf einer umfassenden, integrierten und<br />

langfristigen Betreuung von altersbedingten Erkrankungen (Hoffmann, 2013).<br />

Ein besonderes Problem zeichnet sich speziell im Bereich der Allgemeinärzte ab. Mit ihren umfassenden,<br />

wohnortnahen medizinischen Leistungen spielen sie in Deutschland eine tragende Rolle in der primären<br />

Gesundheitsversorgung. Und als „Landärzte“ tragen sie in den ländlichen Regionen, vor allem in den<br />

neuen Bundesländern, einen großen Teil der genannten neuen Belastungen. Gleichzeitig scheinen sie<br />

jedoch gerade hier eine „aussterbende Spezies“ zu sein, wie eine aktuelle Kampagne zeigt (Kassenärztliche<br />

Vereinigung, 2013).<br />

29


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Seit 1999 ist die Zahl der Hausärzte in den neuen Bundesländern bereits um 1.041 gesunken, das entspricht<br />

einem Rückgang um 11,4 Prozent. Bis 2020 werden hier – je nach Bundesland – zwischen 38 und<br />

48 Prozent aller Hausärzte in den Ruhestand gehen (Kopetsch, 2010). Und sogar diese Zahlen zeigen nur<br />

einen Teil des Problems: die regionalen Ungleichgewichte sind nämlich so erheblich, dass in einigen Planungsbereichen<br />

die angestrebte Versorgung nicht mehr geleistet werden kann. Das hier beschriebene<br />

Projekt setzt an diesem Engpass des deutschen Gesundheitswesens an.<br />

Entstehungsgeschichte<br />

Das AGnES-Konzept wurde zwischen 2005 und 2008 in insgesamt sieben Modellprojekten in praxisnahen<br />

Studien erprobt. Dies geschah in Form prospektiver Implementationsstudien. Prospektiv bedeutet,<br />

dass Daten nach der Hypothesenerstellung speziell für die Überprüfung der Hypothese gesammelt werden.<br />

Es wurde die Implementation eines innovativen Versorgungsmodells für die Delegation hausärztlicher<br />

Tätigkeiten erprobt. Die Projekte fanden in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und<br />

Sachsen-Anhalt statt. Durch eine Gesetzesänderung in § 87 Absatz 2b SGB V im März 2008 wurde die<br />

Delegation hausärztlicher Tätigkeiten außerhalb der Rufweite des Arztes dann erstmals grundsätzlich erlaubt.<br />

Das AGnES-Konzept wurde mit dem zweiten Quartal 2009 in die Regelversorgung überführt (Van<br />

den Berg et al., 2010a).<br />

Kernelemente<br />

AGnES steht für Arztentlastende, Gemeindenahe, E-Healthgestützte, Systemische Intervention. Das<br />

Konzept sieht die Delegation hausärztlicher Leistungen an Angehörige nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe<br />

vor (z. B. medizinische Fachangestellte, Pflegekräfte). Die Leistungen werden überwiegend im Rahmen<br />

von Hausbesuchen durchgeführt. Somit kann die Anzahl der Patienten, die ein Hausarzt in seiner Praxis<br />

betreuen kann, bedeutend erhöht werden.<br />

In den Studien wurden die Machbarkeit und Akzeptanz des Konzepts bei Hausärzten und Patienten untersucht<br />

sowie die Effekte des AGnES-Konzeptes auf die Versorgung der Patienten. Die Modellprojekte<br />

unterscheiden sich im Setting, um möglichst unterschiedliche Rahmenbedingungen einzubeziehen. So<br />

sind Einzelpraxis, Gemeinschaftspraxis, Medizinisches Versorgungszentrum, Zweigpraxis und auch lokaler<br />

Hausärzteverbund vertreten. Auch unterschiedliche Beschäftigungsformen wurden berücksichtigt<br />

(Vollzeit oder Teilzeit). Tabelle 2 zeigt eine Übersicht über alle durchgeführten AGnES-Projekte.<br />

Versorgungskonzept<br />

Bisher durften ärztliche Leistungen nur in Rufweite eines Arztes stattfinden. Bei dem AGnES-Konzept ist<br />

das anders. Bestimmte Leistungen werden hier von medizinischen Fachangestellten oder Pflegekräften<br />

nicht in der Arztpraxis, sondern bei Hausbesuchen im Wohnraum des Patienten und in Abwesenheit des<br />

Arztes durchgeführt. In das Projekt werden sektorenübergreifend Berufsgruppen der Versorgung mit<br />

einbezogen – zum Beispiel Hausärzte, medizinische Fachangestellte, Pflegekräfte, Apotheker, Physiotherapeuten<br />

oder Wundschwestern.<br />

Die teilnehmenden Hausärzte bestimmen, welche Patienten gemeinsam von der AGnES-Fachkraft und<br />

dem Hausarzt betreut werden. Außerdem legen die Hausärzte fest, wie häufig Hausbesuche durchgeführt<br />

werden und welchen Anteil davon die AGnES-Fachkraft übernehmen darf. Auch über die Tätigkeiten,<br />

welche die AGnES-Fachkraft durchführt, entscheidet der beteiligte Arzt.<br />

30


AGnES • Eine innovative Option für die regionale Versorgung<br />

Tabelle 2 – Übersicht über die AGnES-Pilotprojekte<br />

AGnES-<br />

Projekt<br />

Mecklenburg-Vorpommern<br />

Phase 2–3<br />

Mecklenburg-Vorpommern<br />

Phase 4<br />

Brandenburg Sachsen Sachsen-<br />

Anhalt<br />

Projekt laufzeit 06/06 – 03/07 07/07 – 12/08 07/06 – 12/08 03/07 – 12/08 12/07 – 07/08 01/06 – 12/07<br />

Neubrandenburg<br />

(Qualifikationsprojekt)<br />

Projektförderung<br />

Ministerium<br />

für Gesundheit<br />

und Soziales<br />

Ministerium<br />

für Gesundheit<br />

und Soziales<br />

KV M-V<br />

Setting Einzelpraxen Lokale<br />

Hausärzte-<br />

Netzwerke<br />

AGnES-<br />

Fachkräfte (N)<br />

Teilnehmende<br />

Hausärzte (N)<br />

Patienten<br />

– Frauen<br />

– Männer<br />

Durchschnittsalter<br />

Patienten<br />

(Jahre)<br />

Altersbereich<br />

der Patienten<br />

(Jahre)<br />

83<br />

60<br />

23<br />

Europäischer<br />

Sozialfond<br />

Ministerium<br />

für Arbeit und<br />

Soziales, Gesundheit<br />

und<br />

Familie<br />

Medizinisches<br />

Versorgungszentrum<br />

Europäischer<br />

Sozialfond<br />

Ministerium<br />

für Soziales<br />

KV Sachsen<br />

Gesetzliche<br />

Krankenkasse<br />

Einzel- und<br />

Zweigpraxen<br />

Ministerium<br />

für Gesundheit<br />

und Soziales<br />

KV Sachsen-<br />

Anhalt<br />

AOK Sachsen-<br />

Anhalt<br />

Einzel- und<br />

Gemeinschaftspraxen<br />

EQUAL/<br />

InCareNet<br />

Einzel-, Zweigund<br />

Gemeinschaftspraxen<br />

3 3 3 6 8 14<br />

2 20 5 8 6 14<br />

351<br />

237<br />

114<br />

379<br />

244<br />

135<br />

282<br />

211<br />

71<br />

154<br />

123<br />

31<br />

74,5 77,9 76,7 81,5 80,5 79,8<br />

38–93 27–99 21–100 43–98 54–99 38–97<br />

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an van den Berg/Hoffmann (2013).<br />

181<br />

126<br />

55<br />

In der Regelversorgung wurde das AGnES-Konzept auf Regionen beschränkt, in denen Unterversorgung<br />

besteht oder droht, oder ein besonderer Versorgungsbedarf vorliegt. Für die Regelversorgung wurde eine<br />

Vergütung von 17 Euro einschließlich Fahrtkosten festgelegt (12,50 Euro für den Besuch eines weiteren<br />

Patienten in derselben häuslichen Gemeinschaft, für den Besuch eines Patienten in Alten- oder Pflegeheimen<br />

und/oder für den zweiten oder weiteren Besuch im Rahmen der postoperativen Versorgung).<br />

Die Qualifizierung anhand des AGnES-Curriculums (Dreier et al., 2009) wurde mit reduzierter Stundenzahl<br />

in die Regelversorgung übernommen und beträgt jetzt 170 bis maximal 220 Stunden.<br />

Für die Integration nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe in die hausärztliche Versorgung wurde als Weiterentwicklung<br />

des AGnES-Curriculums das modulare „Greifswalder 3-Stufen-Modell“ entwickelt. Die erste<br />

Stufe qualifiziert zur Übernahme von ärztlichen Tätigkeiten, die in Rufweite des Arztes und damit in der<br />

Arztpraxis ausgeführt werden sollen. In der zweiten Tätigkeitsstufe des Konzeptes delegiert der Arzt<br />

ausgewählte und spezifisch definierte Tätigkeiten, die in Haus oder Wohnung des Patienten stattfinden.<br />

In der dritten Stufe delegiert der Arzt medizinische Tätigkeiten, die ebenfalls beim Patienten zu Hause<br />

erfolgen. Diese sollen mit einem erhöhten Maß an Eigenständigkeit durchgeführt werden.<br />

31


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Zielgruppe<br />

Das Konzept wurde speziell für Regionen entwickelt, in denen nicht genügend Hausärzte vorhanden sind<br />

oder in denen ein sonstiger besonderer Versorgungsbedarf besteht. Das Modell richtet sich damit einerseits<br />

an Hausärzte, die in solchen Regionen im Bereich delegierbarer Gesundheitsleistungen unterstützt<br />

werden müssen. Gleichzeitig zielt es auch auf Patienten ab, denen damit in solchen Regionen trotz<br />

Ärztemangels eine hochwertige medizinische Versorgung zukommen kann (siehe Evaluation). Alter und<br />

Geschlecht der Zielgruppe sind in Tabelle 2 abgebildet.<br />

Versorgungselemente<br />

Zentrale Elemente des Konzepts sind:<br />

• Hausärztliche Tätigkeiten<br />

• Medikationsanamnese<br />

• Geriatrisches Assessment<br />

• Sturzprophylaxe mit Wohnungsbegehung<br />

• Telemedizin<br />

• Palliativversorgung.<br />

Wichtige Aspekte sind die umfangreiche Dokumentation der gesundheitlichen Situation und die delegierten<br />

Tätigkeiten. Die Daten werden direkt zuhause bei den Patienten in mobile Tablet-PCs eingegeben und<br />

mit Hilfe einer speziell entwickelten Dokumentationssoftware standardisiert dokumentiert. Dies ermöglicht,<br />

alle erhobenen und gemessenen diagnostischen und therapeutischen Parameter lückenlos nachzuvollziehen.<br />

Die am häufigsten delegierten Maßnahmen sind in Tabelle 3 dargestellt.<br />

Zusätzlich wurde in den abgeschlossenen Projekten von allen AGnES-Fachkräften ein detailliertes Fahrtenbuch<br />

geführt. Auch alle geplanten und nicht geplanten Gespräche und Interaktionen mit dem Hausarzt<br />

wurden darin registriert. So kann das Tätigkeitsspektrum der AGnES-Fachkräfte fortlaufend detailliert<br />

ermittelt und die einzelnen Tätigkeiten juristisch überprüft und bewertet werden. Außerdem lässt dies<br />

eine gesundheitsökonomische Berechnung der erforderlichen Vergütung für delegierte Hausbesuche zu.<br />

Auch das modulare AGnES-Curriculum wurde aus den Ergebnissen und Erfahrungen der Projekte entwickelt.<br />

Mehrwert<br />

Das Delegieren von Hausbesuchen brachte die gewünschte Entlastung für die Ärzte. Eine Auswertung<br />

der Abrechnungsdaten von vier teilnehmenden Hausarztpraxen ergab eine Zunahme der Anzahl der<br />

behandelten Patienten während der Projektlaufzeit um durchschnittlich 133 Patienten pro Quartal (van<br />

den Berg et al., 2012). Dies bedeutet eine Kompensation von einem Drittel bis zur Hälfte der Hausarztsitze<br />

in einer Region. Dies ist ein zentraler Erfolg, wenn in Zukunft Hausarztsitze nach Ausscheiden von<br />

Hausärzten nicht mehr nachbesetzt werden können (van den Berg et al., 2010a).<br />

Für den Patienten gab es zusätzlich einen nachweisbaren Mehrwert durch eine verbesserte Medikamentengabe<br />

(Fiß et al., 2010; Hoffmann et al., 2011). Mehr Patienten verfügten über eine Medikamentenliste<br />

und erhielten Unterstützung bei der Vorbereitung und Einnahme ihrer Medikamente. So stieg die Therapietreue<br />

insgesamt an, während von weniger Nebenwirkungen berichtet wurde.<br />

32


AGnES • Eine innovative Option für die regionale Versorgung<br />

Finanzierung<br />

Die notwendige Vergütung für den Hausbesuch einer AGnES-Fachkraft wurde modellhaft berechnet.<br />

Dabei wird die Versorgung eines größeren Patientenstammes in unterversorgten Regionen zu Grunde<br />

gelegt. Zu den Parametern der Modellrechnung zählen:<br />

• Laufende Personal-, Sach- und Investitionskosten für eine AGnES-Fachkraft<br />

• Kapazität einer AGnES-Fachkraft<br />

• Eingesparte Zeit des Hausarztes<br />

• Möglichkeit der Durchführung zusätzlicher Tätigkeiten des Hausarztes am Beispiel von Konsultationen<br />

in der Praxis<br />

• Umsatzverlust durch nicht selbst durchgeführte Hausbesuche.<br />

An dieser Stelle wurden Fahrtkosten vernachlässigt, da Fahrtkostenpauschalen bei hausärztlichen Hausbesuchen<br />

im EBM separat abgerechnet werden. Die in der Modellrechnung verwendeten Werte beruhen<br />

auf dem Durchschnitt aus rund 7.000 Hausbesuchen bei etwa 900 verschiedenen Patienten im Rahmen<br />

der Modellprojekte.<br />

Die Kapazität einer AGnES-Fachkraft wurde mit 1.200 Hausbesuchen pro Jahr berechnet. Die jährliche<br />

zeitliche Entlastung für den Hausarzt bei voller Kapazitätsauslastung einer AGnES-Fachkraft liegt dann bei<br />

rund 500 Stunden. Diese 500 Stunden sind schon bereinigt um die benötigte Zeit für Übergabegespräche<br />

und ungeplante Rücksprache sowie die mit den Hausbesuchen verbundene Koordinationstätigkeit.<br />

80 Prozent der eingesparten Zeit, also 400 Stunden, werden im Rechenmodell in zusätzliche Konsultationen<br />

in der Hausarztpraxis investiert. Dies entspricht circa 2.200 zusätzlichen Konsultationen in der<br />

Praxis. Bei angenommenen drei Konsultationen pro Patient im Quartal, ergibt dies einen zusätzlichen<br />

Umsatz von 29.627 Euro pro Jahr. Auf der Basis dieser Parameter wurde eine Vergütung für den Hausbesuch<br />

durch eine AGnES-Fachkraft in Höhe von 21,58 Euro berechnet (van den Berg, 2010a).<br />

Management<br />

Die teilnehmenden Hausärzte bestimmen, welche Patienten gemeinsam von der AGnES-Fachkraft und<br />

dem Hausarzt betreut wurden. Darüber hinaus legten die Hausärzte die Frequenz der Hausbesuche fest,<br />

die Verteilung der Hausbesuche zwischen einer AGnES-Fachkraft und einem Arzt sowie die durch die<br />

AGnES-Fachkraft durchzuführenden Tätigkeiten. Zusätzlich zu einzelnen Aufgaben wurden Module mit<br />

standardisierten Verfahren und Dokumentationen entwickelt. Diese Module decken Bereiche ab wie<br />

Medikationsanamnese, geriatrisches Assessment, Sturzprophylaxe mit Wohnungsbegehung, Telemedizin<br />

und Palliativversorgung. Sie umfassen mehrere Fragebögen, Tests und/oder Messungen, kombiniert mit<br />

den jeweiligen Patientendaten (Alter, Geschlecht, Diagnosen, Mobilität oder Pflegestufe).<br />

Mit einer speziell entwickelten Projektdokumentationssoftware konnten Patientendaten standardisiert dokumentiert<br />

werden, ebenso die delegierten Tätigkeiten und die speziellen Module einschließlich sämtlicher<br />

erhobenen und gemessenen diagnostischen und therapeutischen Parameter. Die für die einzelnen Module<br />

und Tätigkeiten benötigte Zeit wird ebenfalls automatisiert mitgespeichert. Um einen schnellen und sicheren<br />

Datenfluss zu ermöglichen, wurden die Informationen und Daten direkt vor Ort in mobile Tablet-PCs<br />

eingegeben. Dies ermöglicht ein fortwährendes Management des Programmes sowie Verbesserungen<br />

und Weiterentwicklungen. Wahrgenommen werden diese Funktionen vom Institut für Community Medicine,<br />

Abteilung Versorgungsepidemiologie und Community Health der Universitätsmedizin Greifswald.<br />

33


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Evaluation<br />

Bei allen AGnES-Projekten wurden die teilnehmenden Ärzte, die AGnES-Fachkräfte und die Patienten<br />

standardisiert befragt. Abgefragt wurden:<br />

• Akzeptanz des Konzeptes bei allen beteiligten Gruppen<br />

• Tatsächliche Arztentlastung durch die AGnES-Fachkraft<br />

• Erforderliche und tatsächlich vorhandene Kompetenzen der AGnES-Fachkraft<br />

• Qualität der medizinischen Versorgung innerhalb des Projektes.<br />

Zusätzlich wurde von den AGnES-Fachkräften ein detailliertes Fahrtenbuch geführt, in dem Fahrten und<br />

sämtliche geplanten und nicht geplanten Gespräche und Interaktionen mit dem Hausarzt registriert<br />

wurden. Somit konnte auf Basis der Auswertungen der Projektdokumentation, der standardisierten Befragungen<br />

und der zusätzlichen Dokumentationen das Tätigkeitsspektrum der AGnES-Fachkräfte detailliert<br />

ermittelt werden. Die einzelnen delegierten Tätigkeiten wurden juristisch geprüft und bewertet, die<br />

Vergütung der delegierten Hausbesuche gesundheitsökonomisch modelliert und ein modulares AGnES-<br />

Curriculum entwickelt. Die AGnES-Projekte wurden in Abstimmung mit der Ethikkommission der Universitätsmedizin<br />

Greifswald durchgeführt.<br />

Zwischen 2006 und 2008 nahmen 55 Ärzte und 37 umfassend qualifizierte, nicht-ärztliche AGnES-<br />

Fachkräfte an sieben Modellprojekten in den vier zuvor genannten Bundesländern teil. Es wurden bei<br />

insgesamt 1.430 Patienten 11.228 Hausbesuche durchgeführt. Das Durchschnittsalter der Patienten betrug<br />

79 Jahre. 95 Prozent der teilnehmenden Patienten waren multimorbid. 89 Prozent der Teilnehmer<br />

waren nicht oder nur eingeschränkt mobil. Des Weiteren hatten 47 Prozent der AGnES-Patienten eine<br />

Pflegestufe und 68 Prozent lebten in einem Single-Haushalt (van den Berg, 2009). Ein hoher Prozentsatz<br />

von 88,9 Prozent der AGnES-Patienten erhielten wiederholte Hausbesuche durch AGnES-Fachkräfte. Die<br />

Zahl der Hausbesuche pro Patient lag zwischen eins und 104. Dabei erhielten 44,6 Prozent der Patienten<br />

zwischen zwei und fünf Besuche, 17,8 Prozent zwischen sechs und zehn und 26,5 Prozent der Patienten<br />

mehr als zehn Besuche.<br />

Bezüglich der Evaluation der AGnES-Projekte gab es drei wichtige Schlüsselthemen:<br />

• Machbarkeit des AGnES-Konzeptes und Akzeptanz bei Hausärzten und Patienten<br />

• Systemische Effekte und Gesundheitsökonomie<br />

– Entwicklung der Anzahl der Hausbesuche während des Projekts (hausärztliche, delegierte und Gesamtanzahl)<br />

– Die Erhöhung der Gesamtanzahl der Patienten in den teilnehmenden Hausarztpraxen<br />

– Modellrechnung: Vergütung der delegierten Hausbesuche (Näheres unter Finanzierung)<br />

• Auswirkungen des AGnES-Konzeptes auf die Patientenversorgung und auf medizinische Endpunkte,<br />

am Beispiel<br />

– Analyse potenzieller Arzneimittelinteraktionen<br />

– Analyse der Entwicklung der Blutdruckwerte bei AGnES-Patienten mit Bluthochdruck<br />

Die Machbarkeit des AGnES-Konzeptes sowie die Akzeptanz bei den teilnehmenden Ärzten und Patienten<br />

wurden schon nach den ersten drei AGnES-Projekten in Mecklenburg-Vorpommern untersucht. Diese<br />

wurden zwischen November 2005 und März 2007 auf der Insel Rügen durchgeführt. Besonderes<br />

Augenmerk lag hier auf telemedizinischen Monitoringsystemen, die ebenfalls auf Machbarkeit und Ak-<br />

34


AGnES • Eine innovative Option für die regionale Versorgung<br />

zeptanz untersucht wurden (Terschüren et al., 2007; Fiß et al., 2010). An diesen drei Projekten nahmen<br />

zwei Hausärzte teil und drei AGnES-Fachkräfte, die der Berufsgruppe der Pflegekräfte zuzuordnen waren.<br />

Es wurden 550 Hausbesuche bei 105 Patienten durchgeführt. 48 Patienten nutzten verschiedene<br />

telemedizinische Monitoringsysteme. Im Laufe der Projekte wurde eine zunehmende Anzahl von medizinischen<br />

Tätigkeiten delegiert (s. Tabelle 3).<br />

Tabelle 3 – Häufigste delegierte Tätigkeiten in den ersten drei AGnES-Projekten in Mecklenburg-Vorpommern<br />

Tätigkeiten<br />

Anzahl<br />

Standardisierte Erhebung des Gesundheitszustands des Patienten 550<br />

Blutdruck- und Pulsmessung 402<br />

Pulsmessung 268<br />

Dokumentation von weiteren Symptomen, Beschwerden 236<br />

Blutzuckermessung 230<br />

Durchführung standardisierter Tests (z. B. für Demenz, Mobilität) 126<br />

Körpergewichtsmessung 81<br />

Medikamentenreview 78<br />

Beratung Flüssigkeitseinnahme 76<br />

Beratung/Schulung telemedizinische Systeme 58<br />

Sturzprophylaxe einschl. Wohnungsbegehung 45<br />

Messung Lungenfunktion 34<br />

12-Kanal-EKG 30<br />

Geriatrisches Assessment 26<br />

Schulung Peak flow-meter 18<br />

Blutentnahme 17<br />

Beratungsleistungen 17<br />

Koordination/Prüfung Leistungen Pflegedienst 15<br />

Spezielle Beratungsleistungen (z. B. bei Sterbefällen) 15<br />

Kontrolle Schmerztagebücher 13<br />

Behandlung von Wunden/Dekubitus 10<br />

Injektionen 6<br />

Messung Körpertemperatur 5<br />

Prüfung Medikamentenplan 2<br />

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an van den Berg et al. (2009).<br />

Insgesamt erhielten AGnES-Fachkräfte eine positive Resonanz seitens der Patienten:<br />

• 96,5 Prozent beschrieben die Fachkraft als kompetenten Ansprechpartner für Gesundheitsfragen.<br />

• 93,1 Prozent entwickelten ein Maß an Vertrauen in die AGnES-Fachkraft, das mit dem Vertrauen in den<br />

Hausarzt vergleichbar war.<br />

35


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

• 87,4 Prozent der Patienten befürworteten die Aussage, dass eine AGnES-Fachkraft Routine-Hausbesuche<br />

durchführen sollte und hausärztliche Hausbesuche auf besondere medizinische Situationen<br />

begrenzt werden können.<br />

Die teilnehmenden Hausärzte beurteilten die Qualität der Versorgung im Rahmen der AGnES-Projekte<br />

als gut für 74,1 Prozent der Patienten. Alle teilnehmenden Hausärzte waren der Meinung, dass das Delegieren<br />

von Hausbesuchen eine Entlastung für sie bedeute (van den Berg et al., 2009).<br />

Im Bereich der systemischen Effekte dieses Projekts wurden erhoben:<br />

• Entwicklung der Anzahl der Hausbesuche während der Projektlaufzeit (hausärztliche, delegierte und<br />

Gesamtanzahl der Hausbesuche)<br />

• Erhöhung der Gesamtanzahl der Patienten in den teilnehmenden Hausarztpraxen.<br />

Für die Untersuchung dieses potentiellen Effektes wurde die Entwicklung der Anzahl an Hausbesuchen<br />

von dem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) in Lübbenau (Brandenburg) mit insgesamt sechs<br />

Hausärzten analysiert und mit der Anzahl der Hausbesuche in einem nah gelegenen Landkreis verglichen.<br />

Diese Analyse wurde auf der Basis von Abrechnungsdaten des MVZ, der AOK Brandenburg<br />

und Projektdaten durchgeführt. So wurden Hausbesuche, die während der vier Abrechnungsquartale vor<br />

dem Projekt stattfanden, mit Hausbesuchen in acht Abrechnungsquartalen während des Projektes verglichen.<br />

Die Anzahl der von den Hausärzten des MVZ durchgeführten Hausbesuche verringerte sich von durchschnittlich<br />

168,2 Hausbesuchen je 1.000 Patienten vor dem Projekt, bis auf 132,9 Hausbesuche je 1.000<br />

Patienten während des Projektes. Der größte Effekt wurde bei der Anzahl der dringenden Hausbesuche<br />

beobachtet. Die Gesamtanzahl der Hausbesuche erhöhte sich nur leicht von durchschnittlich 168,2 Hausbesuche<br />

je 1.000 Patienten vor Beginn des AGnES-Projektes bis auf durchschnittlich 196,0 Hausbesuche<br />

je 1.000 Patienten während des Projektes, die Erhöhung war statistisch nicht signifikant. Die Anzahl der<br />

Hausbesuche im nah gelegenen Landkreis blieb in etwa gleich (van den Berg et al., 2010). Die Analyse<br />

belegt, dass die Delegation von Hausbesuchen an AGnES-Fachkräfte zu der gewünschten Abnahme der<br />

hausärztlichen Hausbesuche, nicht aber zu einer nennenswerten Zunahme der Gesamtanzahl der Hausbesuche<br />

geführt hat.<br />

In Bezug auf die Erhöhung der Gesamtanzahl der Patienten in den teilnehmenden Hausarztpraxen wurde<br />

ebenfalls eine umfangreiche Analyse durchgeführt. Zunächst wurde die theoretisch mögliche Anzahl<br />

zusätzlicher Patienten anhand der Kapazität der AGnES-Fachkräfte berechnet, die den Projektdaten und<br />

Literaturangaben entnommen war. In einer zweiten Analyse wurde auf der Basis von Abrechnungsdaten<br />

untersucht, wie sich die Anzahl der Patienten in den vier teilnehmenden Hausarztpraxen des Medizinischen<br />

Zentrums Lübbenau tatsächlich entwickelt hat. Die Kapazität der AGnES-Fachkräfte liegt bei durchschnittlich<br />

1.376,5 Hausbesuchen pro Jahr. Da Hausärzte durchschnittlich 1.200 Hausbesuche pro Jahr<br />

durchführen (von denen nicht alle delegierbar sind), wurde für die AGnES-Fachkraft eine 20-Stunden-<br />

Arbeitswoche angenommen. Die gesundheitsökonomische Analyse ergab, dass Hausärzte unter Berücksichtigung<br />

aller Variablen (einschließlich Urlaub, Krankheitstage, Fortbildung, Fahrzeiten etc.) durch die<br />

Delegation von Hausbesuchen 360 Arbeitsstunden einsparen können. In dieser Zeit können 170 zusätzliche<br />

Patienten pro Quartal behandelt werden. In den vier teilnehmenden Hausarztpraxen nahm die Anzahl<br />

der behandelten Patienten während der Projektlaufzeit dann auch um durchschnittlich 133 Patienten pro<br />

Quartal zu. Dies entspricht einer Realisation von 78 Prozent der theoretischen Kapazität einer halben Stelle<br />

der AGnES-Fachkraft (20 Stunden). Die Analyse zeigte, dass die Auslastung der AGnES-Fachkraft mit<br />

dem Grad der hausärztlichen Unterversorgung ansteigt.<br />

36


AGnES • Eine innovative Option für die regionale Versorgung<br />

Insgesamt ermöglicht das Modell, abhängig von der Alters- und Morbiditätsverteilung der Patientenpopulation,<br />

einen Ausgleich für ein Drittel bis der Hälfte der Hausarztsitze in einer Region, wenn diese<br />

nach Ausscheiden des Hausarztes nicht mehr nachbesetzt werden können (van den Berg et al., 2012).<br />

Die Evaluationsergebnisse wurden in anerkannten „peer-reviewed“ Zeitschriften veröffentlicht.<br />

Nächste Schritte<br />

AGnES zeigt, dass die Delegation außerhalb der Rufweite des Arztes neue Optionen für die Integration<br />

nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe in das Gesundheitssystem eröffnet. Insbesondere definierte Module<br />

(z. B. Sturzprophylaxe, Medikamentenanamnese, geriatrisches Assessment, Telemedizin) erscheinen<br />

sehr sinnvoll, um eine integrierte, sektorenübergreifende, flächenbezogene regionale Versorgung auf hohem<br />

Niveau sicherzustellen.<br />

Daher ist geplant, das AGnES-Konzept als flexible Versorgungsoption im Konzept „Gesundes Kinzigtal“<br />

zu implementieren. Hier ist ebenfalls eine umfangreiche Evaluation geplant. Konkrete Forschungsthemen<br />

sind:<br />

• Welche Module und Tätigkeiten sind im regionalen Versorgungskonzept „Kinzigtal“ sinnvoll?<br />

• Welche telemedizinischen Konzepte können in Kombination mit der Delegation implementiert werden?<br />

• Welche Anstellungsoptionen für die AGnES-Fachkräfte sind möglich (zum Beispiel in den Arztpraxen,<br />

in Pflegediensten, direkt beim Ärztenetz)?<br />

• Wie kann das AGnES-Konzept für Fachärzte weiterentwickelt werden?<br />

• Gesundheitsökonomische Evaluation: kann die AGnES-Versorgungsoption in das Konzept „Gesundes<br />

Kinzigtal“ integriert werden, ohne eine Erhöhung der Gesamtkosten zu verursachen?<br />

Hierbei können Angehörige nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe in das Projekt einbezogen werden, die<br />

bereits im Netzwerk Gesundes Kinzigtal bei niedergelassenen Ärzten, Pflegediensten oder in Krankenhäusern<br />

der Region tätig sind.<br />

Ansprechpartner<br />

Dr. rer. med. Neeltje van den Berg<br />

Stellvertretende Leitung<br />

Universitätsmedizin Greifswald<br />

Institut für Community Medicine,<br />

Abt. Versorgungsepidemiologie und Community<br />

Health<br />

Ellernholzstr. 1–2<br />

17487 Greifswald<br />

Telefon: 03834 – 867 771<br />

E-Mail: neeltje.vandenberg@uni-greifswald.de<br />

Prof. Dr. med. Wolfgang Hoffmann, MPH<br />

Geschäftsführender Direktor<br />

Universitätsmedizin Greifswald<br />

Institut für Community Medicine,<br />

Abt. Versorgungsepidemiologie und Community<br />

Health<br />

Ellernholzstr. 1–2<br />

17487 Greifswald<br />

37


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Literatur<br />

Dreier A, Rogalski H, Oppermann RF, Terschüren C, van den Berg N, Hoffmann W. A curriculum for nurses in Germany undertaking<br />

medically delegated tasks in primary care. J Adv Nurs 2010; 66:635–644.<br />

Fiß, T., Ritter, C.A., Alte, D., van den Berg, N., Hoffmann, W. (2010). Detection of drug related problems in an interdisciplinary<br />

health care model for rural areas in Germany. Pharmacy World and Science 2010, 32(5):566–574.<br />

Hoffmann W, van den Berg N, Thyrian JR, Fiss T. Frequency and determinants of potential drug-drug interactions in an elderly<br />

population receiving regular home visits by GPs – results of the home medication review in the AGnES-studies. Pharmacoepidemiology<br />

and Drug Safety 2011, 20(12):1311–1318.<br />

Hoffmann, Prof. Dr. med. Wolfgang (2013). Landarzt ade? Medizinische Versorgung der Zukunft, S. 45–52, in: CDU/CSU-<br />

Fraktion im Deutschen Bundestag (Hrsg.). Ländliche Räume, regionale Vielfalt, Wie gestalten wir die Zukunft? http://blogfraktion.de/2013/04/15/landarzt-ade-medizinische-versorgung-der-zukunft/,<br />

[Stand 20.08.2013].<br />

Kassenärztliche Bundesvereinigung (2013). Eine aussterbende Spezies. In: Mit dem Vorstand im Dialog. Blog. http://blog.kvb.<br />

de/vorstand/2013/09/16/eine-aussterbende-spezies/.<br />

Kopetsch, T. (2010). Dem deutschen Gesundheitswesen gehen die Ärzte aus! Studie zur Altersstruktur und Arztzahlentwicklung,<br />

Bundesärztekammer 15 und Kassenärztliche Bundesvereinigung, Berlin 2010. http://www.kbv.de/publikationen/36943.html<br />

(access: 07.04.2013).<br />

Kopetsch T. Dem deutschen Gesundheitswesen gehen die Ärzte aus! Studie zur Altersstruktur und Arztzahlentwicklung. 5.<br />

aktualisierte und komplett überarbeitete Auflage. Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung, Berlin<br />

2010. http://www.kbv.de/publikationen/36943.html (Zuletzt abgerufen am 24.9.2013).<br />

Statistisches Bundesamt (2013). Statistisches Bundesamt (2013): 80,5 Millionen Einwohner am Jahresende 2012 – Bevölkerungszunahme<br />

durch hohe Zuwanderung. Pressemitteilung Nr. 283 vom 27.08.2013. https://www.destatis.de/DE/Presse-<br />

Service/Presse/Pressemitteilungen/2013/08/PD13_283_12411pdf.pdf;jsessionid=812A30AB7A8234DB1AEA69A73174D<br />

4C5.cae3?__blob=publicationFile. Zuletzt abgerufen am 01.10.2013.<br />

Terschüren C., Fendrich, K., van den Berg, N., Hoffmann, W. (2007). Implementing new technology in the daily routine of a GP<br />

practice in a rural setting in northern Germany. Journal of Telemedicine and Telecare 2007, 13 (4):197–201.<br />

van den Berg, N., Fiß, T., Meinke, C., Heymann, R., Scriba, S., Hoffmann, W. (2009). GP support by means of AGnES-practice<br />

assistants and the use of telecare devices in a sparsely populated region in Northern Germany – proof of concept. BMC<br />

Family Practice 2009, 10:44.<br />

van den Berg, N., Meinke, C., Matzke, M., Heymann, R., Fleßa, S., Hoffmann, W. (2010). Delegation of GPhome visits to qualified<br />

practice assistants: assessment of economic effects in an ambulatory healthcare centre. BMC Health Services Research<br />

2010, 10:155.<br />

van den Berg N, Kleinke S, Heymann R, Oppermann RF, Jakobi B, Hoffmann W. (2010a) Transfer of the AGnES concept to the<br />

regular German health-care system: legal evaluation, reimbursement, qualification [Article in German]. Gesundheitswesen<br />

;72(5):285–92.<br />

van den Berg, N., Heymann, R., Meinke, C., Baumeister, S.E., Fleßa, S., Hoffmann, W. (2012). Effect of the delegation of GPhome<br />

visits on the development of the number of patients in an ambulatory healthcare centre in Germany. BMC Health<br />

Services Research 2012, 10;12(1):35.<br />

van den Berg, Neeltje, Hoffmann, Wolfgang (2013). AGnES – Delegation von hausärztlichen Tätigkeiten und Hausbesuchen an<br />

Angehörige nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe: eine innovative Option für die regionale Versorgung. Unveröffentlichter<br />

Wettbewerbsbeitrag, auf Anfrage erhältlich von den Verfassern.<br />

38


Algesiologikum • Sektorenübergreifende Versorgung hoch chronifizierter Schmerzpatienten<br />

Algesiologikum<br />

Sektorenübergreifende Versorgung hoch chronifizierter<br />

Schmerzpatienten<br />

Autor: Reinhard Thoma<br />

Management Summary<br />

Der Algesiologikum-Verbund ist ein Versorgungsnetzwerk für ambulante und vollstationäre Schmerztherapie.<br />

Ziel ist es, mit innovativen Konzepten und Strukturen moderne Behandlungsprogramme für Patienten<br />

mit hoch chronifizierten Schmerzen zu entwickeln – und zwar über Sektorengrenzen und Berufsgruppen<br />

hinweg. Der besondere Versorgungsansatz basiert daher auf sektorübergreifenden und multimodalen<br />

Behandlungspfaden im Rahmen einer qualitätsorientierten Versorgung; die Ausrichtung des Verbundes<br />

ist überregional und interdisziplinär.<br />

Das Netzwerk umfasst zwei medizinische Versorgungszentren, eine neurochirurgische Praxis sowie Stationen<br />

in vier Krankenhäusern der Regelversorgung und ein ambulantes Therapiezentrum mit einer physio-<br />

und ergotherapeutischen Praxis. Darüber hinaus bestehen mehrere integrierte Versorgungsverträge<br />

nach § 140a–d SGB V zwischen beiden MVZ und verschiedenen Krankenkassen. Zum Algesiologikum-<br />

Verbund gehören die Algesiologikum GmbH, das Algesiologikum MVZ und das MVZ ASAmed. Alle<br />

drei Institutionen finanzieren sich jeweils selbstständig und nachhaltig als eigenständige Unternehmen.<br />

Der Verbund wurde 2009 gegründet und hat seinen Sitz in Bayern.<br />

Einleitung<br />

Patienten mit chronischen Schmerzen leiden gleichzeitig unter körperlichen-, psychischen- und sozialen<br />

Belastungen. Die Betreuung solcher Patienten bedarf eines hohen Maßes an sektorübergreifender<br />

Vernetzung. Eine Sicherstellung der Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen wurde in<br />

Deutschland noch nicht erreicht – weder im ambulanten, noch im stationären Sektor. Durch die bestehenden<br />

Grenzen zwischen den Sektoren – und die dadurch entstehenden Therapiebrüche – kommt<br />

es zur Unterversorgung in ländlichen Gebieten sowie zu einer Über- und/oder Fehlversorgung in den<br />

Ballungsräumen.<br />

Mit dem überregional und interdisziplinär ausgerichteten Versorgungskonzept hat sich der Algesiologikum<br />

Verbund zum Ziel gemacht, innovative Konzepte und Behandlungsprogramme für hoch chronifizierte<br />

Patienten zu entwickeln. Im Rahmen der multimodalen Schmerztherapie werden die Patienten aktiv in<br />

den Therapieprozess eingebunden; sie erhalten individuell angepasste Behandlungsprogramme. Dadurch<br />

steigen Therapienutzen und die Lebensqualität der Patienten. Zudem können Therapiebrüche, Unter- und<br />

Fehlversorgung vermieden und Kosten eingespart werden.<br />

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3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Versorgungsherausforderung<br />

Circa 17 Prozent der deutschen Bevölkerung leidet an chronischen Schmerzen. Aufgrund demografischer<br />

und lebensstilbezogener Entwicklungen steigt dieser Anteil tendenziell an. Chronische Schmerzen gehen<br />

mit außerordentlich hohen körperlichen, psychischen und sozialen Belastungen einher. Um die Patienten<br />

mit chronischen Schmerzen zu versorgen und zu betreuen, ist ein hohes Maß an sektorenübergreifender<br />

Vernetzung unabdingbar.<br />

In Deutschland ist eine adäquate Behandlung von chronischen Schmerzpatienten weder im ambulanten<br />

noch im stationären Sektor sichergestellt. In diesem Zusammenhang zeigt sich in den ländlichen Regionen<br />

eine drastische Unterversorgung sowie in den Ballungsräumen eine Über- und Fehlversorgung (Thoma,<br />

2011). Durch eine fehlende sektorübergreifende Versorgung kommt es immer wieder zu Brüchen in<br />

der Therapie, was zudem die Behandlungskosten für die zugrundeliegenden Erkrankungen steigen lässt.<br />

Da Schmerzpatienten auf der Suche nach der Lösung ihres Problems oft verschiedene Ärzte unterschiedlicher<br />

Fachrichtungen aufsuchen, wird dieses Klientel auch als „doctor hopper“ bezeichnet. Häufig werden<br />

Hausärzte, Orthopäden, Neurologen, Radiologen, Schmerztherapeuten, Internisten und psychologische<br />

Psychotherapeuten aufgesucht. Ein solches „doctor hopping“ kann zu langwierigen Patientenkarrieren<br />

führen, was das Risiko für eine Chronifizierung des Schmerzes erhöht und die Behandlungskosten vervielfacht.<br />

Fragmentierte und unimodale Behandlungskonzepte sind aufgrund der Komplexität und Langwierigkeit<br />

von chronischen Schmerzen keine adäquate Behandlungsalternative und führen somit zu Über-,<br />

Unter- und/oder Fehlversorgung.<br />

Ein bedeutendes Instrument zur Optimierung der Versorgung stellt für ein interdisziplinäres und sektorübergreifendes<br />

Schmerzzentrum eine gemeinsame Patientenakte dar. Durch diese kann die reibungslose<br />

Kommunikation zwischen allen Behandlern im Team sichergestellt werden. Zudem ist dadurch die Patientenkarriere<br />

jederzeit und schnell verfügbar. Inter- und intrasektorale Übergänge verlaufen problemlos und<br />

ohne Zeit- und Informationsverluste. Das ist besonders wichtig, da eine fehlende Infrastruktur zu Versorgungsengpässen<br />

führen kann.<br />

Eine interdisziplinäre Kooperation stellt eine große Herausforderung dar. Sie ist komplex und erfordert ein<br />

hohes Maß an Kommunikation und Koordination – was derzeit nicht vergütet wird. Die stationären Algesiologikum-Zentren<br />

für Schmerzmedizin, das Algesiologikum MVZ und das MVZ ASAmed haben sich zum<br />

Algesiologikum-Verbund zusammengeschlossen. Ziel ist es, koordinierte und integrierte Behandlungspfade<br />

umzusetzen, um die bestehende Fehl- und Unterversorgung bei chronischen Schmerzpatienten zu<br />

verringern. Dies kann durch intra- und intersektorale Übergänge ohne großen Zeit- und Informationsverlust<br />

realisiert werden (Schneider, Klasen, Jennerwein, Amelung, Thoma, 2013).<br />

Entstehungsgeschichte<br />

Der Algesiologikum-Verbund ist aus der Vision entstanden, eine hoch intensive multimodale Schmerztherapie<br />

sicherzustellen – durch ein sektorübergreifendes Therapiekonzept sowie den Aufbau eines kooperativen<br />

Netzwerkes. Die Idee des Konzeptes ist, chronischen Schmerzen entgegenzuwirken, indem der<br />

Patient integrativ und frühzeitig behandelt wird.<br />

Im Algesiologikum – Zentrum für Schmerzmedizin im Diakoniewerk München-Maxvorstadt startete im<br />

Oktober 2008 das interdisziplinäre Therapiekonzept. Dieses konnte vom ersten Tag an in Vollbetrieb gehen.<br />

Verantwortlicher Chefarzt ist Dr. Thoma, der leitende Psychologe Dr. Klasen. Das multiprofessionelle<br />

Team bestand von Anfang an aus speziellen Schmerztherapeuten, psychologischen Psychotherapeuten<br />

und Bewegungstherapeuten.<br />

40


Algesiologikum • Sektorenübergreifende Versorgung hoch chronifizierter Schmerzpatienten<br />

In Folge des hohen Versorgungsbedarfs versorgt das Algesiologikum seit Juli 2009 psychisch belastete<br />

Schmerzpatienten in Kooperation mit dem Krankenhaus für Naturheilwesen in München-Harlaching. Seit<br />

September 2011 versorgt es gemeinsam mit der Clinic Dr. Decker in München-Schwabing Patienten mit<br />

chronischen Kopf-, Gesichts- und Nervenschmerzen. Seit April 2010 besteht eine Kooperation mit dem<br />

Krankenhaus Vilsbiburg, mit dem Ziel der Unterversorgung im ländlichen Raum entgegenzuwirken. Die<br />

multimodale Schmerztherapie stellt in allen kooperativen Einrichtungen die Basis des Behandlungskonzepts<br />

dar.<br />

Kernelemente<br />

Versorgungskonzept<br />

Die Versorgungsstruktur des Algesiologikum-Verbundes ist interdisziplinär und sektorenübergreifend ausgerichtet.<br />

Ziel ist es, eine flächendeckende, sektorübergreifende Versorgung für chronische Schmerzpatienten<br />

in der Region Bayern sicherzustellen. Dies soll durch innovative Konzepte und optimierte inter- und<br />

intrasektorale Übergänge sowie durch moderne Behandlungskonzepte über Sektoren- und Berufsgruppengrenzen<br />

hinaus verwirklicht werden. Die Chefärzte aus den stationären Einrichtungen bieten zusätzlich<br />

im Algesiologikum MVZ Sprechstunden an. Auf diese Weise werden die Patienten ambulant und<br />

stationär von einem Team behandelt. Der Algesiologikum-Verbund durchbricht dadurch die Sektorengrenzen<br />

und der Wechsel von ambulanten und stationären Therapiesettings wird optimiert.<br />

Kernelement des Algesiologikum-Konzepts bildet die multimodale Schmerztherapie mit sektorübergreifenden<br />

Behandlungspfaden. Die Patienten werden aktiv in den Therapieprozess einbezogen. Dadurch<br />

steigt der Therapienutzen und die Therapietreue der Schmerzpatienten. Die Patienten erhalten individuell<br />

zugeschnittene Behandlungsprogramme. Nicht zuletzt können somit die Versorgungs- und mit ihr die<br />

Lebensqualität schwer chronifizierter Schmerzpatienten gesteigert, Kosten eingespart und einer Unterbzw.<br />

Fehlversorgung entgegengesteuert werden.<br />

Alle Behandler im Algesiologikum-Verbund arbeiten engmaschig zusammen und stellen ein breites Spektrum<br />

an Therapieangeboten entlang der gesamten Behandlungskette bereit – mit Ausnahme der Rehabilitation<br />

(s. Tabelle 4).<br />

Tabelle 4 – Aufgaben der verschiedenen Fachrichtungen bei Algesiologikum<br />

Medizin Psychologie Ergotherapie Physiotherapie Sporttherapie Arbeitsmarktcoach<br />

Medizinische<br />

Info<br />

Visite<br />

Psychologische<br />

Info<br />

Entspannung<br />

(Meditation,<br />

Phantasiereise,<br />

Entspannung<br />

nach Jakobson)<br />

Info Bewältigungsgruppe<br />

Psychologische<br />

Schmerztherapie<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Körperwahrnehmung<br />

Gleichgewichtsund<br />

Koordinationstraining<br />

Rückenschule Nordic Walking Screening<br />

Atemtherapie<br />

Medizinische<br />

Trainingstherapie<br />

Info<br />

Unterstützung<br />

bei Zusammenstellung<br />

von Bewerbungsunterlagen<br />

Bewegungsbad Sporttherapie Training von Bewerbungsgesprächen<br />

Aktivitätstraining<br />

Aktive Unterstützung<br />

bei der<br />

Stellensuche<br />

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3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Im Algesiologikum MVZ und im MVZ ASAmed werden die chronischen Schmerzpatienten ambulant betreut<br />

und bei Bedarf den entsprechenden stationären Einrichtungen im Algesiologikum-Verbund und weiteren<br />

Anbietern im Bereich der Therapie chronischer Schmerzen (z. B. Tageskliniken) zugesteuert. Beide<br />

MVZ sind zudem Vertragspartner in verschiedenen IV-Verträgen zur ambulanten multimodalen Versorgung<br />

von Patienten mit Rückenschmerzen.<br />

Zielgruppe<br />

Das Algesiologikum-Konzept ist auf die Verbesserung der Versorgungsqualität von chronifizierungsgefährdeten<br />

und bereits chronifizierten Schmerzpatienten spezialisiert.<br />

Das Einzugsgebiet des Algesiologikum-Verbunds beschränkt sich zu über 95 Prozent auf Bayern. Dabei<br />

ist das Patienteneinzugsgebiet bei den stationären Patienten stärker gestreut als bei den ambulanten Patienten.<br />

Das multimodale Grundkonzept von Algesiologikum stellt zwar immer die Behandlungsbasis dar,<br />

jedoch variiert das Leistungsspektrum in Abhängigkeit vom Schwerpunkt der Einrichtung.<br />

Die Patienten der verschiedenen Einrichtungen unterscheiden sich demografisch sowohl in Hinblick auf<br />

ihr Durchschnittsalter als auch hinsichtlich ihres Geschlechts. Anteilig gibt es im ambulanten Bereich<br />

mehr Schmerzpatienten mit Chronifizierungsgrad I nach Gerbershagen (1996) als im stationären Bereich.<br />

Über alle stationären Einrichtungen hinweg werden durchschnittlich mehr Patienten mit Chronifizierungsgrad<br />

II (50–60 Prozent) als mit Chronifizierungsgrad III (30–40 Prozent) behandelt. Zudem weisen<br />

51 Prozent aller Schmerzpatienten, die im Algesiologikum-Verbund behandelt werden, einen Schweregrad<br />

4 nach von Korff, Ormel, Keefe (1992) auf. In Bezug auf die Angst- und Depressionsskalen der „Hospital<br />

Anxiety and Depression Scale“ (HADS; Zigmond, Snaith, 1983) sind die ambulanten Patienten weniger<br />

belastet als die stationären Patienten.<br />

Tabelle 5 – Unterschiede der Patienten bzgl. Chronifizierungsgrad, Schweregrad und Angst- und Depressionsskalen<br />

Schwerpunkte<br />

Chronifizierungsgrad Schweregrad nach von Korff HADS (RW≥11)<br />

I II III 0 1 2 3 4 Angst Depression<br />

vollstationär 3,6% 51,0% 45,4% 4,2% 4,1% 15,9% 24,4% 51,3% 43,3% 49,1%<br />

ambulant 16,8% 50,5% 32,7% 5,7% 8,7% 21,5% 24,2% 39,9% 36,6% 37,7%<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

In den verschiedenen stationären Einrichtungen existieren folgende Behandlungsschwerpunkte:<br />

• Rückenschmerzen<br />

• Schmerz im Alter<br />

• Tumorschmerzen<br />

• Fibromyalgie<br />

• Kopf-und Gesichtsschmerzen<br />

• Neuropathische Schmerzen<br />

• Psychisch stark belastete Patienten (Schneider, Klasen, Jennerwein, Amelung, Thoma, 2013).<br />

42


Algesiologikum • Sektorenübergreifende Versorgung hoch chronifizierter Schmerzpatienten<br />

Versorgungselemente<br />

Ambulante Versorgung<br />

Die ambulante Versorgung von Schmerzpatienten erfolgt im Algesiologikum MVZ und im MVZ ASAmed.<br />

In beiden MVZ wird durch ärztliche Schmerztherapeuten ein erstes ambulantes Screening durchgeführt.<br />

Je nach Befund werden die Patienten einem ambulanten oder stationären Therapiesetting im Algesiologikum-Verbund,<br />

kooperierenden Schmerztageskliniken oder zur weiteren Diagnostik, anderen Fachärzten<br />

zugesteuert. Neben der ambulanten Schmerztherapie im Rahmen der Regelversorgung bestehen Integrierte<br />

Versorgungsverträge nach § 140 a-d SGB V jeweils zwischen beiden MVZ mit verschiedenen Krankenkassen.<br />

Im ambulanten Therapiezentrum der Algesiologikum GmbH können Schmerzpatienten nach der multimodalen<br />

Therapie an ambulanten ergo- und physiotherapeutischen Gruppentherapien zur Schmerzbewältigung<br />

teilnehmen.<br />

Stationäre Versorgung<br />

Innerhalb der stationären Schmerzbehandlung kooperiert die Algesiologikum GmbH mit drei Krankenhäusern<br />

in München und einem in Vilsbiburg. Die Chefärzte der schmerztherapeutischen Krankenhausabteilungen<br />

sind anteilig im Algesiologikum MVZ und bei dem entsprechenden Krankenhausträger angestellt.<br />

Diese Regelung entspricht den Vorgaben des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes (VÄndG) von 2007.<br />

Im Folgenden werden die verschiedenen Therapieschwerpunkte der drei Krankenhäuser beschrieben:<br />

Algesiologikum – Zentrum für Schmerzmedizin im Diakoniewerk München-Maxvorstadt<br />

• Multimodale Schmerztherapie<br />

• Invasive und operative Methoden der Schmerzdiagnostik und -therapie<br />

• Behandlungen chronischer Rückenschmerzen und Schmerzen bei multimorbiden Patienten in höherem<br />

Lebensalter (z. B. Injektionen, epidurale Rückenmarksstimulation, etc.)<br />

Algesiologikum – Zentrum für Schmerzmedizin im Krankenhaus für Naturheilwesen in München-Harlaching<br />

• Konservativ-multimodale Behandlung<br />

• Behandlung von psychisch stark belasteten Patienten<br />

Algesiologikum – Zentrum für Schmerzmedizin in der Clinic Dr. Decker in München-Schwabing<br />

• Multimodale Schmerztherapie<br />

• Chronische Kopf- und Gesichtsschmerzen<br />

• Komplexe neuropathische Schmerzen<br />

Algesiologikum – Zentrum für Schmerzmedizin im Krankenhaus Vilsbiburg<br />

• Multimodale Schmerztherapie<br />

• Schmerztherapeutische Grundversorgung der ländlichen Bevölkerung<br />

• Behandlung von Tumorschmerzen<br />

43


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Die stationäre Betreuung wird durch die beteiligten Krankenhäuser im Rahmen bestehender Krankenhausabteilungen<br />

übernommen. Momentan stehen 81 Betten in München und 30 Betten in Vilsbiburg<br />

zur vollstationären Behandlung chronischer Schmerzpatienten bereit. Um die Leitlinien umsetzen und die<br />

Qualität des Algesiologikum-Konzepts sicherstellen zu können, werden sämtliche schmerz therapeutische<br />

Leistungen in den Krankenhäusern vom Algesiologikum-Behandlungsteam erbracht. Die Behandlungsteams<br />

setzen sich aus zwölf Ärzten verschiedener Fachdisziplinen, elf Diplom-Psychologen, sechs<br />

Physiotherapeuten, vier Ergotherapeuten, drei medizinischen Trainingstherapeuten und einem Arbeitsmarktcoach<br />

zusammen (Schneider, Klasen, Jennerwein, Amelung, Thoma, 2013).<br />

Arbeitsmarktcoaching bieten die Algesiologikum-Zentren für Schmerzmedizin für arbeitslose oder von<br />

Arbeitslosigkeit bedrohte Patienten an, die an der multimodalen Therapie teilnehmen (s. Tabelle 6). Die<br />

Patienten werden auch über den eigentlichen Behandlungszeitrum hinaus vom Arbeitsmarktcoach betreut.<br />

Initiiert wurde das Arbeitsmarktcoaching aufgrund der sozialen Probleme und der überdurchschnittlich<br />

hohen Anzahl an Arbeitsunfähigkeitstagen von Patienten mit chronischen Schmerzen.<br />

Tabelle 6 – Aufgaben des Arbeitsmarkcoaches<br />

Aufgaben des Arbeitsmarkcoachs<br />

• Erstberatung und Edukation<br />

• Unterstützung bei der beruflichen Orientierung<br />

• Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten eventueller Weiterbildungsmaßnahmen<br />

• Zusammenarbeit mit Renten-/ Bildungsträgern sowie Jobcentern<br />

• Kontaktsuche, -aufnahme und –pflege mit den Arbeitgebern<br />

• Unterstützung bei der Erstellung von Bewerbungsunterlagen<br />

• Vorstellungsgesprächscoaching<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Multidisziplinäres Assessmentcenter<br />

Das multidisziplinäre Assessmentcenter gilt als Kernelement der individuell zugeschnittenen Schmerztherapie.<br />

Im Algesiologikum-Verbund kommen die Patienten zunächst zu einem 60-minütigen Screening,<br />

welches ein ärztlicher Schmerztherapeut in einem der MVZ durchführt. Bereits bestehende Befunde<br />

werden gesichtet, eine körperliche Untersuchung und ein ärztliches Gespräch folgen. Können bei diesem<br />

Assessment somatische Schmerzursachen, sog. „red flags“ nicht ausgeschlossen werden, so wird der<br />

Patient zur weiteren Diagnostik an den entsprechenden Facharzt überwiesen. Nach Ausschluss von „red<br />

flags“ bei gleichzeitiger Feststellung von psycho-sozialen Belastungsfaktoren, sog. „yellow flags“, werden<br />

die Patienten dem multimodalen Assessmentcenter im Algesiologikum zugesteuert. Dieses beinhaltet<br />

folgende Maßnahmen:<br />

• umfassende Schmerzanamnese<br />

• bildgebende Untersuchungen (soweit erforderlich)<br />

• ausführliche psychologische Diagnostik<br />

• ergotherapeutische Untersuchung<br />

• physio- und/oder sporttherapeutische Untersuchung<br />

44


Algesiologikum • Sektorenübergreifende Versorgung hoch chronifizierter Schmerzpatienten<br />

Das multidisziplinäre Assessment endet mit einer Teambesprechung, in der auf der Grundlage der Untersuchungsergebnisse<br />

ein individueller Therapieplan entwickelt wird. Dieser wird anschließend gemeinsam<br />

mit dem Patienten besprochen und die genauen Therapieziele festgelegt (Schneider, Klasen, Jennerwein,<br />

Amelung, Thoma, 2013).<br />

Liegen bei einem Patienten weder „red flags“ noch „yellow flags“ vor, so ist keine stationäre Schmerztherapie<br />

indiziert. Der Patient wird dann im Algesiologikum MVZ bzw. im MVZ ASAmed ambulant schmerztherapeutisch<br />

weiterbehandelt oder ggf. mit einer Therapieempfehlung zurück zum Zuweiser überwiesen.<br />

Abbildung 5 – Steuerungsprozesse im Algesiologikum-Verbund<br />

Schmerzpatient<br />

Hausarzt / Facharzt<br />

Zurück zum Zuweiser<br />

mit konkreten<br />

Therapievorschlägen<br />

Ambulantes Screening<br />

durch ärztlichen<br />

Schmerztherapeuten<br />

nein<br />

yellow<br />

flags<br />

nein<br />

red<br />

flags<br />

nein<br />

Ambulante<br />

Schmerztherapie<br />

indiziert<br />

ja<br />

ja<br />

Andere Zentren:<br />

Neurologie<br />

Orthopädie<br />

Neurochirurgie<br />

Ärztliches Gespräch<br />

und Untersuchung<br />

Multidisziplinäres Assessmentcenter<br />

Physio- / sporttherapeutische<br />

Untersuchung<br />

Psychologisches<br />

Screening<br />

ja<br />

Teambesprechung<br />

Teilstationäre Schmerztherapie in<br />

Kooperation mit Tageskliniken<br />

Stationäre Schmerztherapie:<br />

Medikamentös<br />

Medikamentenentzug<br />

Interventionelle/ operative Verfahren<br />

Multimodale Therapie in offenen /<br />

geschlossenen Gruppen<br />

Ambulante<br />

Schmerztherapie:<br />

Interventionell<br />

Medikamentös<br />

Physiotherapie<br />

Ergotherapie<br />

Algesiologikum MVZ<br />

Ambulante<br />

Psychotherapie<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Entlassmanagement<br />

Das Entlassmanagement sorgt für eine kontinuierliche Versorgung an den Schnittstellen und gewährleistet<br />

eine bessere Kommunikation zwischen den beteiligten Sektoren. Es wird als teamorientierte und<br />

multiprofessionelle Aufgabe betrachtet. Nach dem stationären Aufenthalt müssen medizinische, pflegerische<br />

und rehabilitative Maßnahmen koordiniert und organisiert werden.<br />

Das Entlassmanagement verlangt folgende Maßnahmen in den stationären, schmerztherapeutischen Einrichtungen:<br />

• Festlegung eines definierten Ansprechpartners für das Entlassmanagement im Krankenhaus<br />

• Entwicklung von übergreifenden Beurteilungs-(Assessment-)Instrumenten im Entlassmanagement<br />

45


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

• Vernetzung und Kommunikation der Krankenhäuser mit nachgelagerten Einrichtungen aus Medizin,<br />

Rehabilitation und Pflege sowie Kostenträgern<br />

• Förderung von Maßnahmen im Bereich „Empowerment“ von Patienten und ihren Angehörigen<br />

• Aufstellung von spezifischen, interprofessionellen Behandlungspfaden und Versorgungsketten in der<br />

nachstationären Behandlung<br />

• Aufbau von ambulanten „Ankerpunkten“ (Patientenkoordinator-/begleiter) für den Übergang aus dem<br />

stationären Bereich.<br />

Mehrwert<br />

Alle Therapieprogramme im Algesiologikum-Verbund stützen sich auf die aktuellen wissenschaftlichen<br />

Standards der Schmerzforschung. Die Programme wurden auf der Basis des bio-psycho-sozialen Krankheitsverständnisses<br />

entwickelt. Demnach benötigen die Patienten nicht nur physische, sondern v.a. auch<br />

psychologische und soziale Versorgung, da der Schmerz großen Einfluss auf alle drei Bereiche hat. Eine<br />

positive Veränderung in einem der Bereiche kann die anderen Bereiche somit positiv beeinflussen, was<br />

die subjektive Lebensqualität des Patienten steigern kann.<br />

Einen weiteren großen Patientennutzen stellt die interdisziplinäre Behandlungsweise dar. Zum einen werden<br />

in regelmäßigen Teambesprechungen die individuellen Therapien und ihre Ziele abgestimmt. Zum<br />

anderen können Patienten längere Termine vereinbaren und mehrere Ärzte und Therapeuten gleichzeitig<br />

konsultieren.<br />

Da die Behandlung im ambulanten als auch im stationären Bereich durch das gleiche Team erfolgt, wird die<br />

Bindung des Patienten zum Arzt oder Therapeuten gefestigt, Vertrauen wird aufgebaut und Compliance<br />

gefördert.<br />

Einen zusätzlichen Mehrwert bieten die elektronische Patientenakte des Praxisprogramms M1 (Compugroup)<br />

sowie das Qualitätssicherungsprogramm QUAST (Qualitätssicherung in der Schmerztherapie) –<br />

und zwar sowohl für die Leistungserbringer als auch für die Patienten. Die Behandler können über den<br />

gesamten Behandlungszeitraum hinweg auf sämtliche Patienteninformationen zugreifen – von der Krankheitsgeschichte<br />

bis hin zum aktuellen Behandlungsstatus des Patienten. Die Teilbehandlung eines jeden<br />

Behandlers kann folglich an den derzeitigen Behandlungsstatus angepasst werden. Weiterhin ist der<br />

Einsatz mobiler Endgeräte zur Verbesserung der Datenerfassung geplant.<br />

Der Algesiologikum-Verbund unterscheidet zusammenfassend zwischen einem internen und einem externen<br />

Versorgungsmehrwert (s. Tabelle 7).<br />

Tabelle 7 – Interner und externer Versorgungsmehrwert<br />

Interner Versorgungsmehrwert<br />

Intelligente sektorenübergreifende Versorgungskonzepte<br />

Hochprofessionelles und interdisziplinäres<br />

Behandlungsteam<br />

Elektronische Patientenakte<br />

Qualitätsmanagement-Programm<br />

Externer Versorgungsmehrwert<br />

IV-Verträge mit Krankenkassen gemäß SGB V und durch enge<br />

Kooperation mit IBZ Beruf Ost, bzw. unter Einbezug des SGB II<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

46


Algesiologikum • Sektorenübergreifende Versorgung hoch chronifizierter Schmerzpatienten<br />

Finanzierung<br />

Die Algesiologikum GmbH, das Algesiologikum MVZ und das MVZ ASAmed sind drei eigenständige<br />

Unternehmen, die sich selbstständig finanzieren. Die ambulanten Leistungen bei chronischen Schmerzpatienten<br />

werden jeweils eigenverantwortlich mit der Kassenärztlichen Vereinigung bzw. mit privaten<br />

Krankenkassen abgerechnet.<br />

Die vollstationären Leistungen werden im Rahmen des bestehenden Versorgungsauftrages jeweils vom<br />

entsprechenden Krankenhausträger mit den Krankenkassen abgerechnet. Die Algesiologikum GmbH erhält<br />

anschließend von den Krankenhäusern einen Anteil des Umsatzes für ärztliche und therapeutische<br />

Leistungen.<br />

Für die Algesiologikum GmbH wurde anfänglich mit einem negativen Deckungsbeitrag von 500.000 Euro<br />

und einem Erreichen der Gewinnschwelle nach vier Jahren gerechnet; für das Algesiologikum MVZ mit<br />

einem negativen Deckungsbeitrag in Höhe von 550.000 Euro und dem Überschreiten der Nutzenschwelle<br />

nach fünf Jahren. Die Algesiologikum GmbH erreichte ihre Gewinnschwelle bereits in 2010 – zwei<br />

Jahre früher als erwartet. Obgleich jährlich ein neuer stationärer Standort eröffnet und das MVZ kontinuierlich<br />

ausgeweitet wurde, konnte die Nutzenschwelle schon im dritten Jahr nach der GmbH- und MVZ-<br />

Gründung erreicht werden.<br />

Management<br />

Der Algesiologikum-Verbund wurde 2009 gegründet und setzt sich mittlerweile aus dem Algesiologikum<br />

MVZ in München, dem MVZ ASAmed in Fürth und der Algesiologikum GmbH mit Sitz in München zusammen.<br />

Die Algesiologikum GmbH betreibt ein ambulantes Therapiezentrum. Dieses umfasst eine Physio- und<br />

eine Ergotherapiepraxis.<br />

Das Algesiologikum MVZ mit Sitz in München versorgt seit 2009 Schmerzpatienten. Diese werden durch<br />

ein multidisziplinäres Team, bestehend aus 14 Ärzten verschiedener Fachbereiche und vier psychologischen<br />

Psychotherapeuten, betreut. 2012 wurden im Rahmen der ambulanten Regelversorgung 1.913 Patienten<br />

und 40 Patienten innerhalb von IV-Verträgen schmerztherapeutisch behandelt. Der Anteil der<br />

Schmerzpatienten, die im Algesiologikum MVZ behandelt wurden, ist seit 2009 kontinuierlich angestiegen.<br />

Seit 2013 gehört das MVZ ASAmed mit Sitz in Fürth dem Algesiologikum-Verbund an. 12 Ärzte verschiedener<br />

Fachrichtungen sowie zwei psychologische Psychotherapeutinnen bilden das multiprofessionelle<br />

Behandlungsteam. Im Jahr 2012 wurden 320 Patienten ausschließlich schmerztherapeutisch versorgt<br />

und über 100 Patienten innerhalb von IV-Verträgen.<br />

Die Schmerzambulanz am Kreiskrankenhaus Vilsbiburg ist Partner des Algesiologikum-Verbundes. Sie<br />

stellt die Schmerzversorgung in der ländlichen Region sicher.<br />

Die Algesiologikum GmbH hat seit 2009 bereits vier Kooperationsverträge zur vollstationären Versorgung<br />

von chronischen Schmerzpatienten mit Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung geschlossen.<br />

Drei der kooperierenden Krankenhäuser sind im Großraum München und eines in Vilsbiburg (Niederbayern).<br />

Alle Ärzte und Therapeuten, die auf den kooperierenden Stationen tätig sind, sind – auch um die<br />

Behandlungsqualität zu sichern – bei der Algesiologikum GmbH angestellt (Schneider, Klasen, Jennerwein,<br />

Amelung, Thoma, 2013).<br />

47


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Evaluation<br />

Auf Anfrage der AOK Bayern führte Algesiologikum eine Evaluation durch. Es sollte die Effektstärke der<br />

multimodalen Schmerztherapie analysiert werden. In diesem Zusammenhang wurden 370 Patienten untersucht,<br />

die 2011 stationär im Algesiologikum behandelt wurden. Die Effektstärke wurde anhand der<br />

mittleren und maximalen Schmerzintensität sowie dem aktuellen Wohlbefinden gemessen. Hinsichtlich<br />

der mittleren und maximalen Schmerzstärke wurde ein mittlerer Effekt von d=.45 und d=.32 festgestellt.<br />

Der Faktor Wohlbefinden wies einen starken Effekt von d=.79 auf. Diese Untersuchung deutet auf eine<br />

effektive multimodale Schmerztherapie in den Algesiologikum – Zentren für Schmerztherapie hin.<br />

Im Jahr 2012 veröffentlichte der Algesiologikum-Verbund eigene Evaluationen, u.a. auf dem deutschen<br />

Schmerzkongress in Form von Posterbeiträgen zu folgenden Themenbereichen:<br />

1. Berufliche Reintegration von Schmerzpatienten im multimodalen Therapieprogramm: erste Ergebnisse.<br />

Im Oktober 2011 wurde das interdisziplinäre Behandlungsteam des Algesiologikum-Verbundes um einen<br />

professionellen Arbeitsmarktcoach ergänzt. Ziel war es, die Patienten in den ersten Arbeitsmarkt zu reintegrieren.<br />

In diesem Rahmen wurden 256 Patienten von einem Arbeitsmarktcoach beraten. Es wurden<br />

insgesamt 378 Stellenangebote besprochen. In 183 Fällen kam es zu einem Kontakt mit dem Arbeitgeber.<br />

Aus der vollstationären Behandlung heraus konnten 12 chronische Schmerzpatienten unverzüglich in<br />

ein Arbeitsverhältnis vermittelt werden.<br />

Aus den Daten dieser Erhebung geht hervor, dass Patienten mit chronischen Schmerzen schon während<br />

des stationären Aufenthalts in den Arbeitsmarkt reintegriert werden können (Ritter, Klasen, Thoma, 2012).<br />

2. Einfluss verschiedener Parameter auf die Gestaltung multimodaler Therapieprogramme.<br />

Im Rahmen der vollstationären Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen unterscheiden sich<br />

die Schwerpunkte der verschiedenen Standorte des Algesiologikum-Verbundes. Dazu sollte geklärt werden,<br />

in wie weit sich die unterschiedlichen Therapieintensitäten auf die verschiedenen Schwerpunkte der<br />

einzelnen Standorte zurückführen lassen.<br />

Im Krankenhaus für Naturheilwesen in München-Harlaching wird die multimodale Schmerztherapie bei<br />

Patienten mit relevanten psychischen Komorbiditäten durchgeführt. Dort wiesen 32 Prozent der behandelten<br />

Patienten die Hauptdiagnose F45.41 auf (Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen<br />

Faktoren); in Vilsbiburg waren es nur 11 Prozent und im Diakoniewerk München-Maxvorstadt<br />

hatten lediglich 2 Prozent diese Hauptdiagnose. Die unterschiedliche Zusammensetzung der Patientenpopulationen<br />

in den einzelnen Einrichtungen bildet sich gut in der Häufigkeit der psychiatrischen Diagnosen<br />

ab (ICD-10 Diagnosegruppe F).<br />

In den verschiedenen Einrichtungen wurde das Grundkonzept des Algesiologikum weiterentwickelt. Somit<br />

konnte die Behandlung an die verschiedenen Bedürfnisse der einzelnen Patientengruppen angepasst<br />

und eine optimale Behandlung gewährleistet werden (Schneider, Klasen, Thoma, 2012).<br />

3. Untersuchung zu Möglichkeiten der Optimierung einer zwei- bis dreiwöchigen multimodalen Gruppenbehandlung.<br />

Die Inhalte und Konzepte der multimodalen Schmerztherapie stützen sich auf die Vorgaben der Deutschen<br />

Schmerzgesellschaft. Studien zufolge erzielen multimodale Gruppenbehandlungen bei einer Behandlungsintensität<br />

von über 100 Stunden nachhaltige Effekte. Im vollstationären Setting erhalten Patien-<br />

48


Algesiologikum • Sektorenübergreifende Versorgung hoch chronifizierter Schmerzpatienten<br />

ten aufgrund der ökonomischen und strukturellen Bedingungen der Krankenhäuser jedoch teilweise<br />

merklich niedrigere Therapieintensitäten.<br />

Im Rahmen der Evaluation wurde untersucht, ob eine höhere Gesamtbehandlungsintensität in Folge einer<br />

Erhöhung des Eigenübungsanteils zu einer Effizienzsteigerung der multimodalen Behandlung beiträgt.<br />

Die Messparameter „gemittelte Schmerzintensität“, „subjektives Wohlbefinden“, „Depressivität“,<br />

„Ängstlichkeit“ und „Affektives Schmerzerleben“ wiesen statistisch signifikante Veränderungen auf. Die<br />

Ergebnisse zeigen, dass auch kurze multimodale Interventionen positive Effekte erzielen können – auch<br />

wenn die Patienten einen hohen Chronifizierungsgrad und eine hohe psychische Belastung aufweisen. Es<br />

stellte sich heraus, dass die signifikanten Veränderungen der Messparameter nicht mit der Übungshäufigkeit<br />

in Zusammenhang stehen. Von Bedeutung war vor allem die Anleitung der situationsabhängigen<br />

Anpassung von Verhaltensweisen (Su-Schroll, Schmid, Metje, Brinkschmidt, 2012).<br />

4. Vergleich der Häufigkeit von psychischen Begleiterkrankungen bei Patienten mit einer Schmerzdiagnose<br />

F45.41 und bei Patienten mit Schmerzen des Bewegungsapparates ohne F45.41 Diagnose.<br />

Es wurden insgesamt 385 Patienten mit chronischen muskuloskeletalen Schmerzen untersucht, die zwischen<br />

Januar 2011 und April 2012 im Algesiologikum-Zentrum für Schmerzmedizin im Krankenhaus für<br />

Naturheilwesen in München-Harlaching behandelt wurden. Etwa 72 Prozent der Patienten wiesen die<br />

Diagnose F45.41 auf; etwa 28 Prozent der Patienten hatten chronische Schmerzen mit einer dominierenden<br />

muskuloskeletalen Schmerzdiagnose ohne F45.41. In beiden Gruppen wurde mindestens eine zusätzliche<br />

F-Diagnose festgestellt. Die Gruppen unterschieden sich jedoch wesentlich: bei den Patienten<br />

mit F45.41 treten deutlich häufiger manifeste psychische Komorbiditäten auf – im Besonderen affektive<br />

Störungen und Angststörungen. Jedoch spielen psychische Begleiterkrankungen bei Patienten mit muskuloskeletalen<br />

Schmerzen ebenso eine große Rolle. Von den F45.41 Patienten wiesen etwa 49 Prozent<br />

eine manifeste depressive Erkrankung auf, ca. 9 Prozent eine Angststörung und fast 12 Prozent eine gemischte<br />

Angst- und depressive Störung. Bei den Patienten mit einer chronischen muskuloskeletalen<br />

Schmerzdiagnose zeigte sich hingegen nur bei etwa 18 Prozent der Patienten eine manifeste depressive<br />

Erkrankung und bei jeweils ca. 3 Prozent eine Angststörung oder eine gemischte Angst- und depressive<br />

Störung.<br />

Diese Ergebnisse implizieren, dass eine differenzierte Schmerzdiagnostik hinsichtlich der Schmerzentstehung<br />

und -chronifizierung unumgänglich ist, um therapierelevante Subgruppen zu identifizieren. Bei multifaktoriellen<br />

Krankheitsbildern stellen nicht die globalisierten Konzepte die erste Therapiewahl dar – sondern<br />

eine Therapie, welche die individuellen schmerzchronifizierenden Faktoren berücksichtigt (Metje,<br />

Su-Schroll, Brinkschmidt, 2012).<br />

Nächste Schritte<br />

Für das Jahr 2013 ist in Kooperation mit der medizinischen Hochschule Hannover und dem privaten Institut<br />

für angewandte Versorgungsforschung GmbH eine prospektive Studie in Planung. Neben Kostenverläufen<br />

soll die Kosteneffektivität der Therapie im Algesiologikum-Verbund gemessen werden. Dazu werden<br />

die Kosten den Outcomes gegenübergestellt und ins Verhältnis gesetzt.<br />

Die Behandlung im Algesiologikum Verbund wird streng nach den Qualitätskriterien der Deutschen<br />

Schmerzgesellschaft durchgeführt. Analysiert werden die Faktoren Nachhaltigkeit, Effektivität, Kosteneffektivität<br />

und sektorenübergreifende Behandlungspfade der eigenen Therapiesettings; so soll die Entwicklung<br />

weiterer und differenzierter Qualitätskriterien vorangetrieben werden.<br />

49


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Durch weitere Kooperationen, insbesondere außerhalb des Gesundheitsbereiches, sollen weitere Problembereiche<br />

der chronischen Schmerzpatienten intensiver in die Behandlung der eigentlichen Krankheit<br />

integriert werden.<br />

Bis dato hat sich die sektorübergreifende Struktur des Algesiologikum-Verbundes als erfolgreich erwiesen<br />

– sowohl in den Ballungsräumen München und Nürnberg-Fürth-Erlangen als auch im ländlichen Gebiet<br />

um Vilsbiburg. Zukünftig soll das Konzept auch auf weitere Gebiete übertragen werden, in denen<br />

Schmerzpatienten unter- oder fehlversorgt sind.<br />

Ansprechpartner<br />

Dr. Reinhard Thoma<br />

Geschäftsführer der Algesiologikum GmbH<br />

Algesiologikum-Zentren für Schmerzmedizin<br />

Algesiologikum GmbH<br />

Karlstr.96<br />

80335 München<br />

Telefon: 089 – 890 517 26<br />

E-Mail: thoma@algesiologikum.de<br />

Literatur<br />

Gerbershagen, H. U. (1996). Das Mainzer Studienkonzept des Schmerzes: Eine Standortbestimmung. Antidepressiva als Analgetika.<br />

D. Klinger, R. Morawetz, U. Thoden and M. Zimmermann. Wien, Aarachne: 71–95.<br />

Metje, E., D. Su-Schroll, et al., (2012). Vergleich der Häufigkeit von psychischen Begleiterkrankungen bei Patienten mit einer<br />

Schmerzdiagnose F45.41 und bei Patienten mit Schmerzen des Bewegungsapparates ohne eine F45.41 Diagnose, Algesiologikum<br />

Zentrum für Schmerzmedizin im Krankenhaus für Naturheilwesen.<br />

Ritter, R., B. Klasen, et al., (2012). Berufliche Reintegration von Schmerzpatienten im multimodalen Therapieprogramm: erste<br />

Ergebnisse, Algesiologikum Zentren für Schmerzmedizin.<br />

Schneider, A.-M., Klasen, B., Jennerwein, C., Amelung, V. E., Thoma, R. (2013). „Sektorenübergreifende schmerzmedizinische<br />

Versorgung. Der Algesiologikum-Verbund.” Der Schmerz 27: 166–173.<br />

Schneider, A., B. Klasen, et al., (2012). Einfluss verschiedener Parameter auf die Gestaltung multimodaler Therapieprogramme,<br />

Algesiologikum Zentren für Schmerzmedizin, München.<br />

Su-Schroll, D., E. Schmid, et al., (2012). Untersuchung zu Möglichkeiten der optimierung einer zwei- bis dreiwöchigen multimodalen<br />

Gruppenbehandlung, Algesiologikum Zentrum für Schmerzmedizin im Krankenhaus für Naturheilwesen.<br />

Thoma, R. (2011). Ambulante und stationäre Versorgungswege chronischer Schmerzpatienten in Deutschland. Fokus Schmerzen.<br />

Analyse der aktuellen Versorgungssituation. A. Becker, A. Freytag, G. Glaeskeet al., Heidelberg, Medhochzwei-Verlag.<br />

von Korff M., J. Ormel, et al., (1992). „Grading the severity of chronic pain.” Pain 50: 133–149.<br />

Zigmond A.S., Snaith R.P. (1983). The hospital anxiety and depression scale. Acta Psychiatrica Scandinavica 67 (6): 361–370.<br />

50


Ärztenetz Südbrandenburg (ANSB)<br />

• Versorgungssicherung einer ländlichen Region<br />

© <strong>MSD</strong>/Bardehle<br />

Jens Zierz, Dr. Carsten Jäger mit Juror Prof. Friedrich W. Schwartz (v. r.)<br />

1. Preis:<br />

Ärztenetz Südbrandenburg (ANSB)<br />

Versorgungssicherung einer ländlichen Region<br />

Autor: Carsten Jäger<br />

Management Summary<br />

Gemeinsam mit seinen zahlreichen regionalen Partnern setzt sich das Ärztenetz Südbrandenburg (ANSB)<br />

dafür ein, in den Lausitzer Landkreisen Elbe Elster und Oberspreewald-Lausitz eine qualitativ hochwertige<br />

Versorgung sicherzustellen. Wie in vielen ländlichen Gebieten Brandenburgs haben auch diese beiden<br />

Landkreise mit der Überalterung der Bevölkerung und einem Mangel an Ärzten zu kämpfen. Im Fokus des<br />

Projekts steht daher das Ziel, die ambulante, freiberufliche Fachkompetenz zu erhalten.<br />

Der Einsatz einer elektronischen Patientenakte sowie strukturierte Behandlungspfade machen es möglich,<br />

einen Großteil der Differenzialdiagnostik und Vorbefundung auf den Hausarzt zu übertragen – und so die<br />

Fachärzte zu entlasten. Unterstützung erhalten die Hausarztpraxen von den Case Managern und Gemein-<br />

51


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

deschwestern des Ärztenetzes. Komplettiert wird das Versorgungsangebot durch netzeigene Strukturen,<br />

wie ein MVZ, eine Tagespflege für Demenzkranke, eine Demenz WG sowie die SAPV.<br />

Träger des gesamten Netzwerkes ist die ANSB GbR, ein Zusammenschluss von über 60 freiberuflich niedergelassenen<br />

Ärzten der Region. Seit 2008 bestehen Vollversorgungsverträge nach § 140a–d SGB V<br />

zwischen dem Ärztenetz Südbrandenburg, der AOK Nordost und der Barmer GEK. Der Versorgungsvertrag<br />

mit Budgetverantwortung „ProMEDplus“ zählt derzeit 11.000 eingeschriebene Patienten.<br />

Einleitung<br />

Das ländliche Gebiet Südbrandenburgs ist eine wirtschaftlich schwache Region. Es besteht die Gefahr einer<br />

Überalterung der Bevölkerung, die Region ist medizinisch unterversorgt, es herrscht Ärztemangel. Seit<br />

der Gründung im Jahr 2004 möchte das Ärztenetz Südbrandenburg diesem Mangel entgegenwirken. Ziel<br />

ist die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Versorgung in den beiden Lausitzer Landkreisen Elber-<br />

Elster und Oberspreewald-Lausitz.<br />

Versorgungsherausforderung<br />

Die Versorgungssituation im ländlichen Gebiet Südbrandenburgs ist geprägt vom überdurchschnittlichen<br />

Alter der Bevölkerung und dem starken Einwohnerrückgang, alleine seit 1990 ist die Zahl der Bewohner<br />

um 22 Prozent gesunken. Ursache hierfür ist unter anderem die Abwanderung junger Menschen in Ballungsgebiete.<br />

Da auch junge Mediziner abwandern, geht die Schere zwischen Versorgungsbedarf und<br />

Versorgungsangebot weiter auseinander. Bis 2015 erreicht jeder dritte Hausarzt in Brandenburg und Sachsen<br />

das Rentenalter; bundesweit werden 10.000 Allgemeinmediziner den Ruhestand antreten. Das Land<br />

Brandenburg besitzt als einziges Bundesland keine Universitätsklinik. Hausärzte bleiben vorwiegend am<br />

Wohnort, Fachärzte an ihrem Ausbildungsort. Der Landkreis Elbe-Elster verfügt als höchste stationäre<br />

Versorgungstufe über lediglich drei Häuser der Grundversorgung. Mit rund 106.000 Versicherten und nur<br />

110 niedergelassenen Ärzten kann man von einer Unterversorgung und einem Ärztemangel in dieser ländlichen<br />

und wirtschaftlichen Region sprechen.<br />

Ressourcen werden knapper, gleichzeitig steigt aufgrund der überalterten Bevölkerung der Bedarf – besonders<br />

problematisch ist die ambulant fachärztliche Versorgung. Gefragt sind also Möglichkeiten, einem<br />

möglichst breiten Patientenkreis den Zugang zu fachärztlichen Leistungen zu ermöglichen.<br />

Einen Ausweg aus dieser Problematik sucht die Bundesregierung in der Förderung Integrierter Versorgungformen.<br />

Hiermit sollen die Grenzen zwischen ambulanter, stationärer und rehabilitativer Versorgung<br />

aufgehoben werden. Die Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhausärzten soll<br />

gefördert werden. Das Ärztenetz Südbrandenburg hat diese Zusammenarbeit zum Ziel. Es koordiniert die<br />

Behandlungswege und optimiert die Auslastung von Arztpraxen (Lausitzer Rundschau, 2009).<br />

Entstehungsgeschichte<br />

Das Ärztenetz Südbrandenburg entstand aus einer Idee von MU Dr. (CS) Andreas Hagenow aus Elsterwerda<br />

(Elbe-Elster-Kreis). In den Gründungsjahren investierten die Ärzte als Gesellschafter der ANSB GbR, um<br />

eigene Managementstrukturen in Form der ANSB Consult GmbH aufzubauen, eine Geschäftsstelle anzu-<br />

52


Ärztenetz Südbrandenburg (ANSB)<br />

• Versorgungssicherung einer ländlichen Region<br />

mieten, Personal anzustellen und eine EDV-Vernetzung aufzubauen. Diese Bemühungen und Investitionen<br />

zahlten sich rasch aus, in Form einer besseren Zusammenarbeit und eines fortgeschrittenen Informationsflusses<br />

unter den Kollegen. Letztlich profitieren aber vor allem chronisch kranke und multimorbide Patienten<br />

von diesem Zusammenschluss. Im Frühjahr 2008 war das Versorgungskonzept des ANSB soweit<br />

entwickelt, dass es den regional relevanten Krankenkassen im Rahmen eines Selektivvertrages angeboten<br />

werden konnte. Es kam zum Abschluss zweier populationsbezogener IV-Verträge mit der AOK Brandenburg<br />

(heute AOK Nordost) und der Barmer Ersatzkasse (heute Barmer GEK). Durch die Zulassung des<br />

netzeigenen MVZ am 01.07.2012 wurde das Leistungsspektrum des Ärztenetz Südbrandenburg konsequent<br />

weiter ausgebaut. Weiterhin wird es auch hier seiner Verantwortung für die Region Elbe-Elster/<br />

Oberspreewald Lausitz gerecht, indem es jungen Ärzten mit der Anstellung eine flexible Möglichkeit zur<br />

ambulanten Tätigkeit ohne eigenes wirtschaftliches Risiko anbietet – beispielsweise auch in Teilzeit für<br />

junge Mütter (Jäger, 2012).<br />

Kernelemente<br />

Versorgungskonzept<br />

Verschiedene Einzelbausteine werden dabei zu einem gesamten Versorgungskonzept zusammengefügt,<br />

welches je nach Bedarf um neue Teilaspekte erweitert wird.<br />

• ProMEDplus<br />

• Zentrale Patientenakte: Software „Curanet Managed Care Solutions“<br />

• Demenzversorgung Lebensfreude<br />

• Spezialisierte Ambulante PalliativVersorgung (SAPV)<br />

• MVZ ANSB med Zentrum GmbH<br />

Die verschiedenen Projektteile haben das gemeinsame Ziel, eine hochwertige medizinische, pflegerische<br />

und betreuende Versorgung in der Region Südbrandenburg zu sichern und aufrecht zu erhalten – trotz<br />

Überalterung und Ärztemangel.<br />

In diesem Zusammenhang werden zwei Strategien konsequent, nachhaltig und parallel verfolgt:<br />

1. Neustrukturierung der Versorgung durch die Abstimmung von Behandlungspfaden und Entlastung der<br />

Praxen durch den Einsatz von nichtmedizinischem Personal<br />

2. Attraktive Angebote, um Ärzte in der Region zu halten und junge Ärzte zu motivieren, sich neu niederzulassen<br />

Beide Strategien wurden bislang erfolgreich umgesetzt und haben im ersten Quartal 2013 bereits zu zwei<br />

neuen Niederlassungen von Hausärzten im Ärztenetz Südbrandenburg geführt.<br />

Zielgruppe<br />

Im Mittelpunkt des ANSB stehen Zukunftssicherung und Erhalt der ambulanten, freiberuflichen ärztlichen<br />

Fachkompetenz. Das MVZ ANSB med Zentrum GmbH ist beispielsweise ein attraktiver Arbeitgeber für<br />

junge Ärzte mit geänderten Berufsvorstellungen. Zielgruppe sind vor allem weibliche Medizinabsolventen,<br />

die durch das MVZ ANSB die Möglichkeit erhalten sollen, einer attraktiven Tätigkeit im ambulanten Bereich<br />

in der Region nachgehen zu können – ohne wirtschaftlichen Druck, mit geregelten (Teilzeit-)Arbeitszeiten.<br />

53


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Denn es sind gerade die erhöhte Arbeitszeitbelastung, zusammen mit dem wirtschaftlichen Risiko umfangreicher<br />

Investitionen, die junge Mediziner von einer freiberuflichen Niederlassung abhalten.<br />

Mit dem Konzept sollen vor allem schwer kranke und chronisch kranke Patienten angesprochen werden.<br />

Dank einer umfassenden und strukturierten Behandlung durch den Hausarzt können unter anderem Doppeluntersuchungen,<br />

wiederholte Krankenhauseinweisungen und lange Wartezeiten reduziert oder ganz<br />

vermieden werden. Ambulante und sektorübergreifende Behandlungspfade bestehen bereits oder sind für<br />

folgende Patientengruppen geplant:<br />

• Patienten mit Diabetes<br />

• Patienten mit KHK<br />

• Patienten mit rheumatoider Arthritis<br />

• Schlaganfallpatienten<br />

• Patienten mit diabetischem Fußsyndrom<br />

• Kopfschmerzpatienten<br />

• Rückenschmerzpatienten<br />

• Allergiker (Mißlbeck, 2009).<br />

Versorgungselemente<br />

ProMEDplus<br />

Der populationsbezogene Vollversorgungsvertrag nach §§ 140a ff. SGB V ProMEDplus beinhaltet spezifisch<br />

geregelte haus- und fachärztliche, ambulante, wohnortnahe Versorgung. Primär ist der Vertrag auf<br />

eine indikationsübergreifende Betreuung von chronisch kranken und multimorbiden Patienten in der ANSB-<br />

Region ausgerichtet. Die ambulante Versorgung übernehmen niedergelassene Ärzte in Einzel praxen, Krankenhausärzte<br />

aus der Region und assoziierte Spezialpraxen – im Rahmen einer engen Kooperation zwischen<br />

Arzt und Versorgungsmanagement des Netzes und der Krankenkassen. In der ANSB-Region können<br />

Versicherte der AOK Nordost und der Barmer GEK ab Vollendung des 18. Lebensjahres an der Integrierten<br />

Versorgung im Rahmen von ProMEDplus teilnehmen. Seit Einschreibungsbeginn am 19.05.2008 nahmen<br />

insgesamt rund 11.000 Versicherte an ProMEDplus teil (Ärztenetz Südbrandenburg, o. J.).<br />

Zentrale Patientenakte: Software „Curanet Managed Care Solutions“<br />

Zentrales Element des Versorgungskonzeptes ist die speziell für das Ärztenetzwerk entwickelte Softwarelösung<br />

„Curanet Managed Care Solution“. Bereits 2006 hat das ANSB die Entwicklung einer eigenen<br />

Vernetzungssoftware in Auftrag gegeben. Durch diese elektronische Patientenakte hat – sofern die jeweilige<br />

Patienteneinwilligung vorliegt – jeder Netzarzt Zugriff auf die patientenbezogenen Informationen, wie<br />

etwa die elektronische Abbildung von zentralen Akteneinträgen, Behandlungspfaden, Medikationsplänen,<br />

Befundversand und Terminplanung im Rahmen von netzinternen Überweisungen. Durch folgende Maßnahmen<br />

wird die Datensicherheit der hochsensiblen Patientendaten sichergestellt:<br />

• Hochsicherheitsserver<br />

• KV Safenet Zertifizierung<br />

• Georedundanz<br />

54


Ärztenetz Südbrandenburg (ANSB)<br />

• Versorgungssicherung einer ländlichen Region<br />

• Biometrische Verfahren für Patienten (elektronsicher Fingerabdruck)<br />

• Qualifiziertes Personenzertifikat, sogenannte „SMART CARD“ für Ärzte<br />

• Durch die Software und ihre hohe Datensicherheit ist das Versorgungskonzept des ANSB bei Patienten,<br />

Ärzten und Kostenträgern in hohem Maße akzeptiert (Ärztenetz Südbrandenburg, o. J.; Jäger, 2012).<br />

Demenzversorgung Lebensfreude<br />

Das ANSB legt einen besonderen Schwerpunkt auf Versorgung demenzkranker Patienten. Hierzu wurde<br />

ein sechsstufiges Betreuungssystem unter dem Namen „Lebensfreude“ entwickelt.<br />

1. Die Diagnose Demenz erfolgt durch Ärzte des Ärztenetzes Südbrandenburg. Sie leiten neben der medizinischen<br />

Therapie die Betreuung im Rahmen des Projektes ein. Unterstützung erhalten die Praxen<br />

durch Demenzfachkräfte (DeFa), also speziell ausgebildete Schwestern des ANSB.<br />

2. Die Case Managerin und die Gemeindeschwester (agneszwei) des Ärztenetzes Südbrandenburg nehmen<br />

mit den Patienten Kontakt auf, sprechen mit den Angehörigen, leisten Aufklärung, koordinieren<br />

Termine und Hilfsmittel und bieten die Betreuung im Rahmen des Projektes Lebensfreude an.<br />

3. Case Managerin und Gemeindeschwester können zur Pflege und zur darüber hinaus gehenden Betreuung<br />

bis zu 62 ehrenamtliche Helfer einsetzen. Die Betreuung erfolgt im Rahmen einer 1:1-Betreuung; ein<br />

Helfer betreut also nur einen Demenzkranken.<br />

4. Angehörige haben die Möglichkeit, die erkrankten Patienten stundenweise in eine Demenzbetreuungsgruppe<br />

zu geben, um Freiräume für eigene Besorgungen zu nutzen.<br />

5. In eigener Trägerschaft betreibt das Ärztenetz eine auf Demenzkranke spezialisierte Tagespflege und<br />

hat dazu eine liebevoll restaurierte Fabrikantenvilla mit 7.000qm Park angemietet.<br />

6. Kürzlich erfolgte die Grundsteinlegung für einen neuen Gebäudekomplex mit drei abgestuften alternativen<br />

Wohnformen. Darunter soll sich eine Demenz-WG mit acht Plätzen befinden, welche die Möglichkeit<br />

bietet, demente Patienten rund um die Uhr zu unterstützen. Die Patienten sind dabei so selbstbestimmt<br />

wie möglich; sie selbst (oder bevollmächtigte Angehörige) sind Mieter, sie entscheiden frei über<br />

den Umfang der Unterstützung. Die Rahmenbedingungen der alternativen Wohnformen sind darauf<br />

ausgerichtet, die Fähigkeiten des Patienten so lange wie möglich zu erhalten. Dieses Bauvorhaben soll<br />

bis 2014 umgesetzt werden.<br />

Spezialisierte Ambulante PalliativVersorgung (SAPV)<br />

Seit 2012 ist das Ärztenetz Südbrandenburg Träger der Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung. Die<br />

SAPV stellt auf Grundlage einer multiprofessionellen und sektorübergreifenden Zusammenarbeit die ärztliche<br />

und pflegerische Komplexleistung sicher. Die Betreuung im Rahmen der SAPV zielt darauf ab, die<br />

Lebensqualität und Selbstbestimmung unheilbar kranker Menschen mit geringer Lebenserwartung zu<br />

verbessern. Durch die zielgerichtete Zusammenarbeit von Haus- und Fachärzten, Palliativmedizinern, spezialisierten<br />

Pflegekräften, ambulanten Hospizdiensten und psychoonkologischen Betreuungsdiensten können<br />

Voraussetzungen geschaffen werden für ein menschenwürdiges Leben bis zum Tod. Inhalte sind in<br />

diesem Zusammenhang alle notwendigen Beratungs- und Koordinationsleistungen. Ferner trägt die SAPV<br />

zur Vermeidung von nicht notwendigen Krankenhausaufenthalten bei und ergänzt das allgemeine Angebot<br />

der palliativmedizinischen und -pflegerischen Versorgung der Anbieter innerhalb der Primärversorgung.<br />

Die Leistungen der SAPV werden in der Regel lediglich sporadisch und phasenweise notwendig und ermöglichen<br />

die häusliche Betreuung für mehr als 90 Prozent der betreuten Patienten bis zum Tod. Zum<br />

SAPV gehören aktuell fünf Palliativmediziner, zwei Palliativ Care Koordinatoren und 60 Palliativ Care Pflegekräfte<br />

in 24 Pflegediensten. Weiterhin gehören zu den Kooperationspartnern der SAPV in Südbranden-<br />

55


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

burg ein Hospiz, zwei ambulante Hospizdienste, zwei Apotheken, eine Notfallseelsorge, ein Büro und ein<br />

Sanitätshaus.<br />

MVZ ANSB med Zentrum GmbH<br />

Ein weiterer Fokus liegt stets auch auf der Rekrutierung neuer Ärzte für eine ambulante Tätigkeit in der<br />

Region. Am 01.07.2012 wurde vor diesem Hintergrund das bundesweit erste Medizinische Versorgungszentrum<br />

(MVZ) in Trägerschaft eines Ärztenetzes gegründet: Die ANSB med Zentrum GmbH, zu 100 Prozent<br />

getragen von der ANSB GbR.<br />

Zum Zeitpunkt der Gründung des MVZ bestand es aus zwei Ärzten, einer Hausärztin und einem Gynäkologen.<br />

Nach der gut angelaufenen Startphase wurde das MVZ zum 01.02.13 sowie zum 01.04.13 jeweils<br />

durch eine Hausärztin nachbesetzt bzw. erweitert; zum 01.01.2014 konnte bereits eine weitere Ärztin<br />

verpflichtet werden. Das MVZ dient nicht prioritär der Generierung von Deckungsbeiträgen oder der selektiven<br />

Patientensteuerung, es wurde als Attrahirungsinstrument für junge Ärzte mit geänderten Berufsvorstellungen<br />

gegründet. Vor allem soll den weiblichen Medizinabsolventen eine ansprechende Möglichkeit<br />

der ambulanten Tätigkeit in der Region geboten werden – ohne wirtschaftlichen Druck und mit geregelten<br />

Arbeitszeiten. Darüber hinaus besteht im Rahmen der Änderung des § 95 (9b) SGB V des VStG die Möglichkeit,<br />

junge Ärzte mit der Zulassung aus der ANSB med Zentrum GmbH in eine Niederlassung zu entlassen<br />

und so die Praxisnachfolge von Netzärzten im Ruhestand zu sichern. Somit wird das ANSB seiner<br />

Versorgungsverantwortung in der Region gerecht – sowohl gegenüber Patienten als auch gegenüber den<br />

ausscheidenden Netzärzten (Ärztenetz Südbrandenburg, o. J.).<br />

Mehrwert<br />

Der Überweisungspfad Kardiologie steht beispielhaft für den Mehrwert der elektronischen Patientenakte,<br />

einem Kernstück des Versorgungskonzeptes. Er wird angewendet bei Patienten mit Verdacht auf kardiologische<br />

Erkrankungen, die zuvor noch nicht in kardiologischer Behandlung waren. Hier übernimmt der Hausarzt<br />

vor der Überweisung alle wichtigen Untersuchungen, die nicht zwangsläufig durch den Facharzt<br />

durchgeführt werden müssen. Darüber hinaus erhebt er die vollständige Anamnese. Alle erhobenen Daten<br />

überträgt der Hausarzt in den Behandlungspfad. Aus diesen Einträgen lassen sich automatisch die Daten<br />

in einer zentralen Patientenakte mit Behandlungspfadabbildung generieren. Den Überweisungsbrief mit<br />

den eingetragenen Daten bekommt anschließend der Kardiologe. Somit hat er alle den Patienten betreffenden<br />

Daten auf einen Blick zur Hand und kann sie als Basis für seine kardiologische Diagnostik nutzen.<br />

Hierdurch können sowohl Zeit als auch Kosten gespart werden. Behandlungswege werden koordiniert und<br />

die Auslastung der Arztpraxen optimiert. Durch die Konzentration auf den ambulanten Sektor können Krankenhauseinweisungen<br />

reduziert werden. Ferner kann insbesondere in strukturschwachen Regionen die<br />

Versorgung qualitativ hochwertig und umfassend aufrechterhalten werden – trotz Überalterung und einem<br />

deutlichen Ärztemangel (Harloff, 2010; Lausitzer Rundschau, 2009).<br />

Finanzierung<br />

Durch unbefristete IV-Verträge nach §§ 140 ff SGB V mit Budgetverantwortung zweier großer Versorgerkrankenkassen<br />

der Region (AOK Nordost und Barmer GEK) ist das Gesamtprojekt Ärztenetz Südbrandenburg<br />

finanziell nachhaltig finanziert.<br />

56


Ärztenetz Südbrandenburg (ANSB)<br />

• Versorgungssicherung einer ländlichen Region<br />

Tabelle 8 – Zeit und Budgetplan<br />

Zeit Maßnahme Kosten<br />

2004–2008 Netzgründungsphase, Strukturaufbau, Aufbau der Managementstrukturen<br />

und Abstimmungsprozesse<br />

2008 Entwicklung der zentralen Patientenakte und Implementierung erster<br />

Behandlungspfade<br />

Ca. 325.000 € (investiert)<br />

Ca. 260.000 € (investiert)<br />

Seit 2008 Abschluss der Vollversorgungsverträge mit Budgetverantwortung,<br />

Beginn Amortisationsphase<br />

2011–2012 Planungs- und Vorbereitungsphase der ANSB medZentrum GmbH Ca.100.000€ (investiert)<br />

2010–2012 Aufbau der SAPV, inkl. Ausbildung des Personals Ca. 40.000 € (investiert)<br />

2012 Vollständige Amortisation der Strukturaufbau- und IT-Entwicklungskosten<br />

2013 Entwicklung und Investition Demenz WG Ca.3 Millionen € (Investor)<br />

2012––2014 Gründung und Aufwuchs der ANSB medZentrum GmbH Ca.400.000 € (investiert)<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Das Ärztenetz Südbrandenburg wurde im November 2004 als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) mit<br />

ausschließlich niedergelassenen Ärzten gegründet. Die ANSB-Geschäftsstruktur besteht aus der ANSB<br />

GbR mit ihrem neunköpfigen Vorstand und der ANSB Consult GmbH mit zwei Geschäftsführern und einem<br />

Netzbüro. Das Ärztenetz Südbrandenburg ist ein Zusammenschluss von aktuell 46 Mitgliedern und<br />

16 Assoziierten, darunter 34 Haus- und 28 Fachärzte im südlichen Landkreis Elbe-Elster und in Landkreis<br />

Oberspreewald-Lausitz. Darüber hinaus kooperiert das Ärztenetz im Rahmen des ProMEDPlus-Vertrags<br />

mit der Dienstleistungstochter der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg KV COMM, sowie dem<br />

Klinikum Niederlausitz (Agentur deutscher Ärztenetze e.V.; Wulfert, 2010). Die ANSB Consult GmbH als<br />

netzeigene Managementgesellschaft ist Träger aller Maßnahmen. Ihre Gesellschafterin ist zu 100 Prozent<br />

die ANSB GbR mit ausschließlich niedergelassenen Vertragsärzten der Region. Alle weiteren niedergelassenen<br />

Gesellschaften und alle weiteren Projekte werden ebenfalls komplett von der ANSB GbR getragen.<br />

Somit ist sichergestellt, dass alle Maßnahmen in direktem Zusammenhang stehen mit den regionalen<br />

Bedürfnissen der ambulanten Patientenversorgung und somit unabhängig sind von Partikularinteressen<br />

Dritter. Das Servicezentrum Gesundheit Südbrandenburg (SGSB GmbH) mit eigenen Case Managern<br />

wurde am 09.09.09 gegründet. Die Nachhaltigkeit wird ebenso durch die Trägerstruktur gewährleistet.<br />

Alle Komponenten des Gesamtprojekts wurden bereits umgesetzt oder mit zielgenauen vertraglichen<br />

Verpflichtungen verbindlich geplant, strukturiert und finanziert. Verschiedene ärztliche Kompetenzteams<br />

sind für die Erarbeitung medizinischer Behandlungspfade zuständig. Direkt bei der ANSB Consult GmbH<br />

angestellt sind Case Manager, Palliativ-Care Koordinatoren und agneszwei-Fachkräfte. Die ANSB med-<br />

Zentrum GmbH hat zurzeit drei angestellte Ärzte und sieben Medizinische Fachangestellte. Dieses Teilprojekt<br />

wird bis Ende 2014 die notwendigen Betriebsmittel eigenständig erwirtschaften können.<br />

Darüber hinaus arbeitet das Ärztenetz mit folgenden regionalen Partnern zusammen:<br />

• Klinikum Niederlausitz (kommunales Klinikum der Grund- und Regelversorgung)<br />

• Fontana-Klinik Bad Liebenwerda (Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Muskulo-Skeletalen Systems)<br />

• Etwa 20 ambulante Pflegedienste der Region<br />

• Verschiedene stationäre Pflegeeinrichtungen der Region<br />

57


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

• Kommunen<br />

• Anbieter von Rehabilitationssport, Funktionstraining, Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie, Podologie<br />

und andere (Ärztenetz Südbrandenburg, o. J.).<br />

Evaluation<br />

Qualität und Effizienz des Versorgungsangebotes der IV-Verträge des ANSB werden im Rahmen einer<br />

externen Evaluation jährlich gemessen und bewertet. Die Ergebnisse dieser Analysen sind nicht im Detail<br />

öffentlich zugänglich und werden von den Vertragspartnern nicht freigegeben. Die Auswertungen der<br />

letzten fünf Jahre weisen bei den 11.000 eingeschriebenen Patienten durchschnittlich eine Effizienz bzw.<br />

eine Kostensenkung von 10,2 Prozent pro Jahr auf, und zwar in den Kostenbereichen stationäre Versorgung,<br />

Arzneimittelversorgung, ambulante Pflege, Fahrtkosten sowie Heil- und Hilfsmittel. Analysen zur<br />

Patientenzufriedenheit ergaben im Rahmen von anonymisierten Patientenbefragungen eine Weiterempfehlungsquote<br />

von 96 Prozent.<br />

Abbildung 6 – Aktuelle Struktur des ANSB<br />

Ärztenetz<br />

Südbrandenburg – ANSB<br />

Gesellschafter : ausschließlich<br />

Vertragsärzte<br />

GF: Herr Dr. Erhard Kiesel und<br />

Frau Sabine Banda<br />

ANSB Consult GmbH<br />

Gesellschafterin: ANSB<br />

GbR (100%)<br />

GF: Dr. Carsten Jäger,<br />

Jens Zierz<br />

• Netzmanagement<br />

• Netzbüro<br />

• ProMEDplus<br />

• Fortbildung<br />

• Zentrale IT<br />

• Behandlungspfade<br />

• Demenzversorgug<br />

• SAPV<br />

• agnes zwei<br />

• Projektentwicklung<br />

ANSB medZentrum<br />

GmbH<br />

Gesellschafterin : ANSB GbR<br />

(100%)<br />

GF: Andreas Bernhardt, Dr.<br />

Carsten Jäger<br />

Servicezentrum<br />

Gesundheit<br />

Südbrandenburg – SGSB<br />

GmbH<br />

• Case Management<br />

• JobCare<br />

• Demenzbetreuung<br />

• agnes zwei<br />

Palliativnetz<br />

Südbrandenburg<br />

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Ärztenetz Südbrandenburg (o. J.).<br />

58


Ärztenetz Südbrandenburg (ANSB)<br />

• Versorgungssicherung einer ländlichen Region<br />

Nächste Schritte<br />

Künftig soll das MVZ stärker in die Prozesse des Ärztenetzes Südbrandenburg einbezogen und vor allem<br />

in die Versorgungsverträge integriert werden. Zudem sollen die Lücken in der fachärztlichen Versorgung<br />

geschlossen werden, insbesondere in den Fachbereichen Augenheilkunde und Pädiatrie. Das MVZ soll<br />

perspektivisch über sechs bis acht Ärzte verfügen. Mittelfristig sind zwei bis drei weitere Standorte in der<br />

Region geplant (Ärztenetz Südbrandenburg, o. J.).<br />

Ansprechpartner<br />

Dr. Carsten Jäger<br />

Ärztenetz Südbrandenburg Consult GmbH<br />

Elsterstraße 23<br />

04910 Elsterwerda<br />

Telefon: 03533 – 489573<br />

Literatur<br />

Ärztenetz Südbrandenburg (o. J.). Versorgungssicherung einer ländlichen Region durch ein Ärztenetz.<br />

Harloff, I. (2010). „Integrierte Versorgung: In Südbrandenburg sinkt die Zahl der Klinikeinweisungen.” Ärzte Zeitung.<br />

Jäger, C. (2012). Das Netz soll’s richten! – Erwartungen, Erfolge und Fallstricke beim Aufbau regionaler Versorgungskonzepte<br />

am Beispiel Südbrandenburg. Vortrag im Rahmen der Landesdelegiertenversammlung am 21.04.2012.<br />

Lausitzer Rundschau (2009). „Tagesthemen: Netze sollen Mangel auffangen.”.<br />

Mißlbeck, A. (2009). „Versorgungsmodell in Brandenburg wächst.” Ärzte Zeitung.<br />

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3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

© <strong>MSD</strong>/Bardehle<br />

Sophie Schwab mit Juror Prof. Volker E. Amelung<br />

2. Preis:<br />

DAK-Gesundheit<br />

stattkrankenhaus<br />

Autoren: Markus Hinz und Sophie Schwab<br />

Management Summary<br />

Ambulante Hilfe statt Krankenhaus: Das Projekt stattkrankenhaus will schwer psychisch erkrankte Patienten<br />

kontinuierlich und individuell versorgen und so eine optimale Behandlung sicherstellen. Multiprofessionelle<br />

Teams ermöglichen eine gemeindenahe Betreuung des Patienten – in seinem häuslichen Umfeld, 24 Stunden<br />

am Tag, 365 Tage im Jahr. Die Betreuung wird durch diese Teams sektorenübergreifend koordiniert; zu<br />

den Teams gehören Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter sowie Gesundheits- und Krankenpflegekräfte.<br />

stattkrankenhaus ist ein Projekt der DAK-Gesundheit. Unter diesem Namen schließt die DAK-Gesundheit<br />

mit diversen Partnern Verträge zur Integrierten Versorgung nach den §§ 140a–d SGB V. Die Verträge werden<br />

von der DAK-Gesundheit über eine Zweijahrespauschale jeweils vollständig finanziert. Das Versorgungsmodell<br />

startete 2007 als „Hamburger Modell“, wird aber mittlerweile bundesweit umgesetzt. Für<br />

die Patienten ist die Teilnahme freiwillig und kostenfrei.<br />

60


DAK-Gesundheit • stattkrankenhaus<br />

Einleitung<br />

Psychotische Erkrankungen verlaufen aufgrund ihrer Komplexität meist ungünstig, Betroffene bleiben häufig<br />

lange Zeit unbehandelt. Aufgrund der unzureichenden ambulanten Behandlung werden Patienten mit<br />

psychotischen Erkrankungen üblicherweise voll- oder teilstationär versorgt. Das Versorgungsmodell „stattkrankenhaus“<br />

hat sich zum Ziel gesetzt, dieses Versorgungsdefizit zu beheben. Sein gesundheitspolitisches<br />

Ziel „ambulant vor stationär“ steht für den Anspruch, psychisch erkrankte Menschen im häuslichen<br />

Umfeld zu betreuen – unter Einbindung aller vorhandenen Strukturen. Im Fokus stehen die engmaschige<br />

Betreuung, Beratung und Schulung im Rahmen einer optimalen Abstimmung der Betroffenen.<br />

Versorgungsherausforderung<br />

Psychische Erkrankungen, bei denen unter anderem Halluzinationen, Wahn und Denkstörungen auftreten,<br />

sind hochkomplexe Störungen (s. Abbildung 7). Die Komplexität zeigt sich bereits im Frühverlauf<br />

einer beginnenden oder schon manifesten Psychose, jedoch insbesondere bei der Ersterkrankung und<br />

im weiteren Verlauf. Psychische Störungen sind gekennzeichnet durch eine Vielzahl an psychotischen<br />

Symptomen (positiv, negativ, kognitiv, Desorganisation) und assoziierten Symptomen (Agitation, Depression,<br />

Suizidalität). Hinzu kommen komorbide psychische oder somatische Störungen, verzögerte Persönlichkeitsentwicklungen,<br />

Traumata, Funktionseinbußen und sich daraus ergebende soziale Probleme:<br />

es wird beispielsweise die Schule, die Ausbildung oder die Arbeit abgebrochen; Kontakte zu Familie und<br />

Freunden gehen verloren (Lambert, o. J.).<br />

Abbildung 7 – Übersicht über Symptome, körperliche und psychische Begleiterkrankungen, soziale Konsequenzen,<br />

sonstige Probleme<br />

Symptome<br />

– Positivsymptomatik:<br />

Wahn, Halluzinationen, Desorganisation<br />

– Negative Symptome:<br />

z.B. Affektverflachung, Anhedonie<br />

(80% der Patienten im Verlauf;<br />

15.25% Defizitsyndrom)<br />

– Kognitive Defizite<br />

z.B. Lernen, Gedächtnis Konzentration<br />

(etwa 75% der Patienten; etwa 15% IQ < 70)<br />

– Assoziierte Symptome<br />

Aggression und/oder Delinquenz<br />

Somatische Komorbidität<br />

– Adipositas<br />

– Metabolisches Syndrom<br />

– Diabetes<br />

– Kardiovaskuläre Erkrankungen<br />

Soziale Konsequenzen<br />

– Schulabbruch/–probleme<br />

– Arbeitsabbruch/–probleme<br />

– Keine Ausbildung und/oder<br />

Arbeitslosigkeit<br />

– Beziehungsprobleme/<br />

Sozialangst/ ohne Partner<br />

– Familiäre Probleme<br />

– Wohnungslosigkeit<br />

– Frühberentung<br />

– Aggression / Delinquenz<br />

– Hohe Morbidität<br />

– Hohe Mortalität (20%<br />

kürzere Lebenserwartung)<br />

Psychische Komorbidität<br />

– Affektive Störungen (20–40%)<br />

– Suchtstörung (40–60%)<br />

– Angststörung (10–20%)<br />

– Zwangsstörung (5–15%)<br />

– Persönlichkeitsstörung (15–20%)<br />

Sonstige Probleme<br />

– Lange Dauer der unbehandelten<br />

Erkrankung (gilt für etwa 80%)<br />

– Suizidalität (10–20fach erhöht)<br />

– Trauma (60–80%)<br />

– Mangelnde Krankheitseinsicht<br />

zu Beginn (40–60%)<br />

– Non– Compliance (60–80%)<br />

– Gesamtbehandlungsabbruch<br />

(etwa 30% im ersten Jahr)<br />

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Lambert (o. J.).<br />

61


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Die Psychose ist eine relativ häufige Erkrankung. Nach konservativer Schätzung erkranken etwa ein bis<br />

zwei Prozent der Bevölkerung mindestens einmal im Leben. Circa 50 bis 60 Prozent der Angehörigen<br />

leiden selbst an einer psychischen Erkrankung und etwa 25 Prozent sogar an einer psychotischen Störung.<br />

Der Verlauf und die Prognose hängen maßgeblich von der Qualität der Behandlungen ab.<br />

Es existieren zwölf unterschiedliche diagnostische Entitäten, bei welchen das Krankheitsbild durch psychotische<br />

Symptome geprägt ist, v.a. die schizophrenen Störungen, die bipolare Störung oder die schwere<br />

Depression (Lambert, o. J.).<br />

Tabelle 9 – Diagnosen nach ICD-10<br />

F1-Störungen F2-Störungen F3-Störungen<br />

Substanz-induzierte psychotische<br />

Störung (F1x.5)<br />

Schizophrenie (F20)<br />

Anhaltende wahnhafte Störung<br />

(F22)<br />

Akute vorübergehende<br />

psychotische Störung (F23)<br />

Induzierte wahnhafte Störung (F23)<br />

Schizoaffektive Störung (F25)<br />

Sonstige nichtorganische<br />

psychotische Psychose (F28)<br />

Nicht näher bezeichnete<br />

nichtorganische Psychose<br />

Manische Episode mit psychotischen<br />

Symptomen (F30)<br />

Bipolar affektive Störung (F31)<br />

Schwere depressive Episode mit<br />

psychotischen Symptomen (F32.3)<br />

Rezidivierende depressive Störung,<br />

gegenwärtig schwere depressive Episode<br />

mit psychotischen Symptomen (F33.3)<br />

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Lambert (o. J.).<br />

Laut neuesten epidemiologischen Studien liegt die Inzidenz von Schizophrenie-Fällen bei 15,2 pro 100.000<br />

Einwohner. Die Ein-Jahres Prävalenz liegt im Median bei 3,3 pro 100.000 Einwohner, die Lebenszeitprävalenz<br />

im Median bei 4,0 pro 100.000 Einwohner und das Lebenszeitmorbiditätsrisiko im Median bei<br />

7,2 pro 100.000 Einwohner. Die Ein-Jahres Prävalenz für die bipolare Störung I (mit psychotischen Symptomen)<br />

liegt bei 0,6 Prozent und die Lebenszeitprävalenz liegt bei einem Prozent (Lambert, o. J.).<br />

Psychische Störungen sind sehr viel häufiger als man aufgrund von Arbeitsunfähigkeitsdaten annehmen<br />

würde. Das zeigen die Erhebung der „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS)“ des<br />

Robert Koch-Instituts und die Zusatzuntersuchung „Psychische Gesundheit“ (DGES-MHS). Demnach beträgt<br />

die 12-Monats-Prävalenz für vollkommen ausgeprägte psychische Störungen rund 25 Prozent bei erwachsenen<br />

Männern und 33 Prozent bei erwachsenen Frauen in der Altersgruppe von 18–79 Jahren. Insgesamt<br />

ist jährlich etwa ein Drittel der Bevölkerung von mindestens einer psychischen Störung betroffen.<br />

Die drei häufigsten psychischen Störungen sind Angststörungen (12-Monatsprävalenz: 16,2 %), Alkoholstörungen<br />

(11,2 %) und die unipolare Depression (8,2 %). Frauen sind beinahe von allen psychischen Störungen<br />

sehr viel häufiger betroffen als Männer. Eine Zunahme von Arbeitsunfähigkeiten aufgrund von<br />

psychischen Erkrankungen ist seit circa 15 Jahren die auffälligste Entwicklung im Arbeitsunfähigkeitsgeschehen.<br />

Mit einem Anteil von 14,5 Prozent an Fehltagen befinden sich die psychischen Erkrankungen<br />

nach den Muskel-Skelett Erkrankungen auf Platz 2 der wichtigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeit (DAK<br />

2013).<br />

62


DAK-Gesundheit • stattkrankenhaus<br />

Verlauf<br />

Zumeist beginnt die Erkrankung bei den Betroffenen sehr früh: zwischen dem 15. und dem 25. Lebensjahr.<br />

Psychotische Störungen verlaufen meist ungünstig aufgrund der Komplexität der Erkrankung, der Behandlungsverzögerung<br />

und des unzureichenden Hilfesystems. Nur 10 bis 15 Prozent der Betroffenen<br />

durchlaufen lediglich eine Episode im Leben. Bei allen anderen existieren nach der ersten Episode dauerhafte<br />

Symptome oder aber wiederkehrende Episoden – mit oder ohne dauerhafte Symptome bzw. mit<br />

einer zunehmenden Verschlechterung des Krankheitsbildes. Dieser Verlauf wird vor allem durch die Behandlungsfaktoren<br />

bestimmt.<br />

Für die Betroffenen mit nur einer Episode ist insbesondere eine adäquate Früherkennung notwendig; und<br />

es ist wichtig, dass die Behandlung so früh wie möglich begonnen wird. Damit wird unter anderem eine<br />

gute Therapieadhärenz möglich sowie die Behandlung eventuell bestehender komorbider psychischer<br />

Störungen (Lambert, o. J.).<br />

Behandlung<br />

Betroffene bleiben häufig lange Zeit unbehandelt. Die Mehrzahl ist durchschnittlich bereits etwa zwei bis<br />

fünf Jahre erkrankt, bevor eine angemessene biologische und psychische Behandlung beginnt. Eine zunehmende<br />

Behandlungsverzögerung kann zu folgenden schwerwiegenden Auswirkungen auf den Verlauf<br />

und die Prognose der Erkrankung führen:<br />

• Zunahme der Suizidversuche vor Beginn der ersten Behandlung<br />

• Abnahme des Funktionsniveaus vor Beginn der ersten Behandlung, einschließlich der Arbeitsfähigkeit<br />

oder des Ausbildungsstatus<br />

• Ungünstiger Verlauf und ungünstige Prognose der Erkrankung mit niedrigen „Recovery“-Raten, häufigen<br />

Rückfällen und einer reduzierten Lebensqualität<br />

• Verminderte Behandlungszufriedenheit<br />

• Schlechte Teilnahme an der Therapie<br />

• Vermehrter Abbruch der Gesamtbehandlung<br />

• „Non-Remission“ einer komorbiden Suchterkrankung<br />

• Erhöhte direkte und indirekte Langzeitkosten.<br />

Zahlreiche Faktoren erschweren die Behandlung von psychotischen Störungen. Dazu gehört die hohe<br />

Rate der medikamentösen Non-Adhärenz. 50 Prozent der Erkrankten setzten innerhalb eines Jahres ihre<br />

Medikamente ab, 75 Prozent innerhalb von zwei Jahren. Weiterhin verweigern 20 Prozent der Betroffenen<br />

die komplette Medikamenteneinnahme. Ein Anteil von 20 bis 40 Prozent der Patienten bricht innerhalb<br />

von 12 bis 18 Monaten die gesamte Behandlung ab (Lambert, o. J.).<br />

Kosten<br />

Einer Studie von Konnopka et al., (2009) zufolge lagen 2007 die jährlichen direkten Versorgungskosten<br />

von schizophrenen Patienten zwischen 14.000 und 18.000 Euro. Ergänzend entstanden Privatausgaben<br />

durch die Angehörigen in Höhe von 950 bis 1.700 Euro sowie Produktivitätsverluste von 25.000 bis<br />

30.000 Euro. Für die Gesundheitskosten für Patienten mit Bipolaren Störungen oder schweren Depressionen<br />

mit psychotischen Symptomen gibt es zwar nur niedrigwertigere Untersuchungen, dennoch bewe-<br />

63


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

gen sich diese laut Berechnungen des Hamburger IV-Psychose-Modells im gleichen Rahmen. Von großer<br />

Bedeutung ist, dass voll- oder teilstationäre Behandlungen der schwer erkrankten Patienten rund 80 bis<br />

90 Prozent der direkten Kosten verursachen. Die Gesamtjahreskosten für die an Schizophrenie erkrankten<br />

Patienten werden pro Jahr auf 5 bis 10 Milliarden Euro geschätzt (Lambert, o. J.).<br />

Derzeitige Versorgungsstrukturen in Deutschland<br />

Betroffene mit psychotischen Erkrankungen werden in Deutschland üblicherweise im Krankenhaus volloder<br />

teilstationär, in der psychiatrischen Institutsambulanz und/oder von niedergelassenen Psychiatern<br />

behandelt. Quartalsweise steht den Leistungserbringern nur ein geringes Budget für diese Behandlungen<br />

zur Verfügung, so dass die Anzahl an Patientenkontakten pro Quartal sehr gering ausfällt. Darüber hinaus<br />

wird den Patienten teilweise die für sie notwendige Therapie nicht zur Verfügung gestellt: durchschnittlich<br />

erhalten nur etwa 30 Prozent aller Patienten und 5 bis 10 Prozent der schwer erkrankten Patienten Zugang<br />

zur Psychotherapie. Aufgrund der unzureichenden ambulanten Behandlung werden Erkrankte größtenteils<br />

voll- oder teilstationär behandelt. Daraus resultiert, dass etwa 80 bis 90 Prozent der direkten Kosten<br />

pro Jahr für die schwer erkrankten psychotischen Patienten für voll- oder teilstationäre Behandlungen<br />

ausgegeben werden. Trotz dieser Behandlungsdefizite bei diesen Schwererkrankten existieren deutschlandweit<br />

nur wenige Integrierte Versorgungsmodelle (Lambert, 2010).<br />

Zukünftige Versorgungstrukturen<br />

Länder wie Australien, England oder Kanada haben begonnen, Spezialzentren für Psychose-Betroffene<br />

aufzubauen, um die Qualität der Behandlung zu verbessern. In diesen Zentren werden verschiedene multiprofessionelle<br />

Behandlungsinstitutionen auf struktureller Ebene miteinander vernetzt. Um auch in<br />

Deutschland solche Therapieformen standardgemäß anbieten zu können, müssen finanzielle Ressourcen<br />

vom stationären in den ambulanten Bereich verschoben werden. Dies kann durch ein sogenanntes Assertive<br />

Community Treatment (ACT) gelingen: multiprofessionelle Teams, bestehend aus Psychose-Experten,<br />

bieten im eigenen Umfeld eine multimodale Behandlung an.<br />

Um die Qualität der Behandlung zu verbessern sind grundsätzlich sowohl strukturelle als auch inhaltliche<br />

Veränderungen notwendig. Auf struktureller Ebene müssen verschiedene Behandlungsinstitutionen vernetzt<br />

werden. Die Kommunikation und Koordination unter den Leistungserbringern muss stattfinden. Die<br />

inhaltliche Optimierung kann erreicht werden, indem verschiedene Therapieformen nachhaltig, phasenspezifisch<br />

und individuell integriert werden.<br />

Entstehungsgeschichte<br />

Um eine sektorenübergreifende, vernetzte und nachhaltige Behandlung für schwer an Psychose erkrankte<br />

Patienten zu gewährleisten, schloss die DAK-Gesundheit als erste Krankenkasse im Jahr 2007<br />

(01.05.2007) mit dem Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf einen Vertrag zur Integrierten Versorgung<br />

nach §140 SGB V („Hamburger Modell“). Weitere Krankenkassen wie die HEK, IKK Classic und die AOK<br />

Rheinland Hamburg schlossen sich diesem Modell an. Die DAK-Gesundheit entwickelte das Hamburger<br />

Modell weiter und adaptierte es an die Strukturen anderer Leistungsanbieter. Das Versorgungsmodell<br />

„stattkrankenhaus“ läuft erfolgreich in Rheinland-Pfalz und Bayern und unter anderem Namen auch in<br />

Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.<br />

64


DAK-Gesundheit • stattkrankenhaus<br />

Kernelemente<br />

Versorgungskonzept<br />

Das Versorgungskonzept stattkrankenhaus ist ein Vertrag auf Grundlage der §§ 140a–d SGB V. Es beinhaltet<br />

eine am Patienten ausgerichtete Versorgung, die im Einklang steht mit dem gesundheitspolitischen<br />

Ziel „ambulant vor stationär“.<br />

Das Konzept ist auf zwei Jahre ausgelegt, so dass die Patienten ab dem Zeitpunkt ihrer Einschreibung<br />

über zwei Jahre hinweg die Vorteile der optimierten Versorgung nutzen können (DAK Presse, 2012).<br />

Der Anspruch des Versorgungskonzeptes stattkrankenhaus ist es, durch den flexiblen Einsatz von vorhandenen<br />

und neuen Instrumenten durch die Leistungserbringer, die akut psychisch erkrankten Menschen<br />

auch im häuslichen Umfeld zu betreuen – unter Einbindung aller ambulanten Versorgungsstrukturen.<br />

Ferner sollen Klinikeinweisungen vermieden und gleichzeitig die Behandlungskontinuität verbessert werden.<br />

Hauptaugenmerk liegt hierbei auf der nachhaltigen Steigerung der sozialen Kompetenz sowie der<br />

Lebensqualität der Patienten.<br />

Folgende Zielsetzungen wurden unter anderem für das Versorgungsmodell stattkrankenhaus festgelegt:<br />

• Umsetzung eines strukturierten und kontinuierlichen Behandlungsverlaufes<br />

• Sicherstellung einer sektorenübergreifenden Kooperation durch die frühzeitige Einbindung des ambulanten<br />

Sektors schon während des stationären Aufenthalts<br />

• Sicherstellung der Behandlungskontinuität durch Zurseitestellung eines persönlichen Bezugstherapeuten<br />

(Fallmanager) über die gesamte Laufzeit der Teilnahme<br />

• Aufbau von multiprofessionellen Teams<br />

• Etablierung umfassender Qualitätssicherungsmaßnahmen – unter Einbezug einer qualitätsbezogenen<br />

Dokumentation und einer wissenschaftlichen Evaluierung<br />

• Optimierung der Versorgung durch Behandlungsformen, die flexibel sind und sich an den individuellen<br />

Bedürfnissen der Patienten orientieren<br />

• Die Vermeidung einer Ausweitung der stationären Behandlung in Anbetracht der anhaltenden stationären<br />

Überbelegung<br />

• Verkürzung der stationären Aufenthaltsdauer<br />

• Reduzierung patientenbezogener Folgekosten<br />

• Besserung des Krankheitsverlaufes<br />

• Vermeidung von Fehlmedikation durch eine individuell abgestimmte und leitlinienorientierte Pharmakotherapie<br />

nach AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften<br />

e.V.)<br />

• Informationsübermittlung und Motivation des Patienten zur aktiven Teilnahme am integrierten Behandlungsprogramm<br />

• Umsetzung einer individuellen, bedürfnisorientierten Betreuung, um die Kooperation mit den Patienten<br />

und ihren Angehörigen zu verbessern<br />

• Förderung der individuellen, familiären und sozialen Ressourcen des Patienten.<br />

65


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

In Ergänzung zu dem Ziel, ambulante, teil- und vollstationäre Behandlungsangebote zu integrieren, ist eine<br />

enge Abstimmung anzustreben – mit weiteren gemeindepsychiatrischen Angeboten, beispielsweise im<br />

Bereich Wohnen und Arbeiten. Obwohl diese Angebote nicht explizit Teil des Leistungsspektrums des<br />

Integrierten Versorgungsvertrages sind, ermöglicht das multiprofessionelle Team jedoch eine gute Koordination<br />

und Abstimmung mit den übrigen gemeindepsychiatrischen Anbietern.<br />

Kernelement des Vertrages ist die engmaschige Betreuung, Beratung und Schulung im Rahmen einer<br />

optimalen Abstimmung der Betroffenen. Das vereinbarte Vergütungsmodell („Capitation-Modell“) ermöglicht<br />

den teilnehmenden Einrichtungen, den Behandlungsumfang und den Behandlungsort individuell<br />

zu definieren und an den Patienten anzupassen. Durch die multiprofessionellen Behandlungsteams wird<br />

der Patient auch zu Hause behandelt. Alle vorhandenen Strukturen werden eingebunden: in Form von<br />

psychiatrischen und psychotherapeutischen Maßnahmen, erbracht von Ärzten, Psychologen, Sozialarbeitern,<br />

Ergotherapeuten und Pflegekräften. Zudem ist eine permanente Erreichbarkeit sichergestellt. Das<br />

multiprofessionelle Team ist zu den üblichen Arbeitszeiten erreichbar. Außerhalb dieser Arbeitszeiten<br />

kann man den Bereitschaftsdienst der Kliniken aufsuchen; er tauscht sich mit dem interdisziplinären Team<br />

über den Patienten aus und gewährleistet so die Behandlungskontinuität.<br />

Die Verträge im Rahmen der Integrierten Versorgung werden gezielt abgeschlossen, um die aus der Umsetzung<br />

gewonnenen Erkenntnisse zu nutzen, das Konzept weiter zu entwickeln und gegebenenfalls auf<br />

weitere Diagnosegruppen auszuweiten (DAK, 2013).<br />

Zielgruppe<br />

Zielgruppe sind ersterkrankte oder mehrfach erkrankte Patienten: Patienten die durch einen niedergelassenen<br />

Psychiater zur stationären Krankenhausbehandlung eingewiesen wurden und Patienten, die in die<br />

Notfallaufnahme eingewiesen wurden. Das Versorgungsmodell bezieht sich indikationsspezifisch auf die<br />

ICD-Diagnosen Psychose und schwere Depression (stattkrankenhaus, 2010).<br />

Versorgungselemente<br />

Die Behandlung nach der stationären Aufnahme im Krankenhaus gliedert sich in zwei Phasen:<br />

• 1. Phase: voll-/teilstationäre Krankenhausbehandlung<br />

• 2. Phase: ambulante, intensive poststationäre Behandlung<br />

Zu Beginn der stationären (Erst-)Behandlung wird den Patienten regelhaft ein Fallmanager zur Seite gestellt.<br />

Der Fallmanager begleitet die Patienten im Laufe der gesamten Behandlungskette im Rahmen der<br />

Integrierten Versorgung, unabhängig davon, in welchem Setting sich der Patient gerade befindet. Die<br />

Behandlungsplanung nimmt der Fallmanager vor. Eine derartige Versorgung findet in der Regelversorgung<br />

nicht statt. Durch den sektorübergreifenden Ansatz erfolgt frühzeitig eine Verknüpfung mit der<br />

Psychiatrischen Institutsambulanz.<br />

Die ambulante Behandlung im Anschluss an den stationären Aufenthalt erfolgt durch multiprofessionelle<br />

Teams. Diese Teams setzen sich zusammen aus Mitarbeitern der Krankenhäuser und der Psychiatrischen<br />

Institutsambulanzen. Die Teams nehmen bereits vor der Entlassung der Patienten aus der stationären<br />

Behandlung mit den Krankenhausärzten Verbindung auf, um einen Übergang ohne Brüche zu gewährleisten.<br />

Während der ambulanten Behandlung können – neben den üblichen ambulanten PIA Angeboten –<br />

alle Strukturen und Angebote der sonst nur für stationäre Patienten zugänglichen Bereiche in Anspruch<br />

genommen werden (Stationsärzte, Gruppen etc.). Derartige Möglichkeiten der integrativen Verzahnung<br />

sind in der Regelversorgung nicht möglich.<br />

66


DAK-Gesundheit • stattkrankenhaus<br />

Die folgende Abbildung 8 zeigt, welche Behandlungsmodule das Versorgungskonzept stattkrankenhaus<br />

anbietet.<br />

Abbildung 8 – Behandlungsmodule des stattkrankenhauses<br />

Casemanagement<br />

Beratung in sozialen<br />

Fragen<br />

Psychotherapie<br />

Patient<br />

Ergotherapie<br />

Ärztliche<br />

Behandlung<br />

Ergotherapie<br />

Ärztliche<br />

Behandlung<br />

Aufsuchende Module<br />

Wohnortnahe Module<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Ferner liegt der Schwerpunkt auf der Nutzung regionaler Infrastrukturen. In diesem Zusammenhang soll<br />

mit möglichen Vorbehandlern Kontakt aufgenommen werden – mit dem Ziel, einen optimalen Informationsaustausch<br />

und ein gemeinsames Behandlungskonzept zu ermöglichen.<br />

67


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Mehrwert<br />

Neben einer qualitativ hochwertigen Versorgung profitieren die Teilnehmer von der Behandlungskontinuität.<br />

Das interdisziplinäre Team sorgt im Rahmen des Projektes stattkrankenhaus zudem für einen fließenden<br />

Übergang vom stationären in den ambulanten Bereich. Durch die Steigerung der Teilnehmerzufriedenheit<br />

und der Lebenszufriedenheit können Rückfälle und Chronifizierungen verringert werden. Ebenso<br />

kann der Patient in Krisensituationen im Rahmen der ambulanten Versorgung betreut werden. Die stationäre<br />

Behandlung wird vermieden, der Drehtüreneffekt somit reduziert. Ein Bezugstherapeut ist als fester<br />

Ansprechpartner mit dem Fall vertraut und sorgt für eine optimale Steuerung im Krankheitsprozess. Weiterhin<br />

steht das multiprofessionelle Team von stattkrankenhaus 24 Stunden täglich und 365 Tage im Jahr<br />

für den Patienten zur Verfügung und garantiert ihm Sicherheit in Krisensituationen (DAK, 2012).<br />

Je früher drohende Rückfälle und Chronifizierungen erkannt und behandelt werden können, umso besser<br />

kann der Patient in seiner häuslichen Umgebung betreut werden; längerfristig stationäre Krankenhausbehandlungen<br />

werden umgangen. Daraus resultiert eine bessere ambulante Versorgung, die ebenso finanziell<br />

belohnt wird. Intention des Vertrages ist außerdem, unnötiges „Krankenhaushopping“ zu vermeiden.<br />

So gehört zum Vertrag, dass alle Teilnehmer nach drei Tagen Aufenthalt in einem anderen Krankenhaus<br />

nach Hause entlassen oder in ein IV-Krankenhaus überwiesen werden (Bock, 2012).<br />

Schließlich kann man von einer Win-Win-Situation für alle Beteiligten sprechen. Das Versorgungskonzept<br />

verspricht den Patienten mehr Kontinuität, Verbindlichkeit und Flexibilität in Krisensituationen, während<br />

Angehörige die Betroffenen schneller und selbstverständlicher einbeziehen und begleiten können. Für die<br />

Kliniken entsteht durch die Entkopplung von Personal und Betten mehr Handlungsspielraum, Flexibilität<br />

für den Einsatz von personellen Ressourcen und mehr Planungssicherheit. Weiterhin kann die DAK-Gesundheit<br />

mit Kostendeckelung und Kostentransparenz rechnen – und im Einzelfall auch mit einer Kostenreduktion<br />

durch Synergieeffekte.<br />

Finanzierung<br />

Der Versorgungsvertrag „stattkrankenhaus“ wird gänzlich von der DAK-Gesundheit finanziert. Im Rahmen<br />

einer Zweijahrespauschale (Capitationmodell) übernimmt sie die Kosten des Vertrags. Die Patienten<br />

nehmen freiwillig an dem Versorgungsmodell teil und müssen lediglich die gesetzlich vorgeschriebenen<br />

Zuzahlungen leisten. Die Finanzierung des Versorgungsmodells über Kopfpauschalen ermöglicht dem<br />

Leistungsanbieter, die jeweiligen Versorgungsleistungen individuell an den Patienten anzupassen und<br />

zugleich eine möglichst kostengünstige Umsetzung der Behandlung anzubieten (Lambert, 2010).<br />

Management<br />

Durch die Weiterentwicklung des 2007 initiierten Projektes „Hamburger Modell“ entstand das Versorgungskonzept<br />

stattkrankenhaus, mit der DAK-Gesundheit als Gründer und Vertragspartner. Das Versorgungsprojekt<br />

stattkrankenhaus basiert auf einem Vertrag auf Grundlage der §§ 140a–d SGB V. Im Rahmen<br />

dieses Integrierten Versorgungsvertrages ist ein multiprofessionelles Team für die Behandlung und<br />

Betreuung der Patienten zuständig. Mittlerweile existieren im Rahmen dieses Versorgungskonzeptes<br />

bundesweit Verträge. Die neuesten Verträge wurden zum 01.07.2013 bzw. zum 01.10.2013 mit den Bezirkskliniken<br />

Schwaben bzw. mit dem kbo-Isar-Amper-Klinikum München-Ost abgeschlossen. Insgesamt<br />

nehmen ca. 1.500 Patienten p.a. an dieser Form der optimierten Versorgung teil.<br />

68


DAK-Gesundheit • stattkrankenhaus<br />

Evaluation<br />

Dem Projekt stattkrankenhaus liegt noch keine Evaluation zu Grunde, jedoch wird an dieser Stelle auf die<br />

Evaluation des „Hamburger Modells“ verwiesen, an welchem die DAK ebenfalls vertraglich mitwirkt.<br />

Ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Projekten ist, dass das Hamburger Modell die niedergelassenen<br />

Ärzte ausdrücklich in den Vertrag miteinbezieht, während das Konzept stattkrankenhaus auf<br />

ein bereits bestehendes und funktionierendes Netzwerk aus ambulantem und stationärem Gefüge aufbaut.<br />

Mit Ausnahme von diesem Unterschied sind beide Versorgungsmodelle nahezu identisch, so dass<br />

die Evaluationsergebnisse des Hamburger Modells auf stattkrankenhaus übertragen werden können.<br />

Bis dato fand die Untersuchung des Hamburger Modells in zwei Studien statt:<br />

• ACCES-Studie (Vorstudie)<br />

(Titel: Assertive Community Treatment (ACT) a part of Integrated care versus Standard Care: a 12-month<br />

trial in patients with first- and multiple-episode schizophrenia-spectrum disorders treated with quetiapine<br />

IR; Lambert et al., in press)<br />

• IV-Evaluation (begleitende Evaluationsstudie)<br />

(Titel: Assertive Community Treatment (ACT) as part of Integrated Care in 95 first- and multiple-episode<br />

patients with psychotic disorders: a 2-year follow-up study. Lambert et al., in preparation).<br />

Das Hamburger Modell ist im Vergleich zu vielen anderen Modellen der Integrierten Versorgung vermutlich<br />

sowohl in der Vorstudie als auch in der begleitenden Studie das am besten evaluierte Modell.<br />

Für beide Evaluationsstudien gab es primäre- und sekundäre Erfolgskriterien. Primäres Erfolgskriterium<br />

war die Zeit bis zum Gesamtbehandlungsabbruch. Sekundäre Erfolgskriterien umfassten die Non-Compliance<br />

mit der Medikation, die Veränderung der Psychopathologie, den Schweregrad der Erkrankung,<br />

das Funktionsniveau, die Lebensqualität und die Behandlungszufriedenheit seitens der Patienten und ihren<br />

Angehörigen. Die Behandlungsdichte war ein weiteres Kriterium.<br />

In der ACCESS-Studie wurden zwei Hamburger Sektoren mit gleich großer Population einander gegenüber<br />

gestellt: Der Sektor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des UKE (UKE) und der Sektor des<br />

Asklepios Westklinikums Hamburg (RISSEN). Die Einschlusskriterien waren folgende:<br />

• Alter: 18–65 Jahre<br />

• Diagnosen (nach DSM-IV-TR): Schizophrenieforme Störung, Schizophrenie, Schizoaffektive Störung,<br />

Wahnhafte Störung und Psychotische Störung, nicht näher differenziert; Patienten mit einer psychotischen<br />

Ersterkrankung und/oder mehrfacherkrankte Patienten mit mindestens einem psychotischen<br />

Rückfall mit darauf folgender stationärer Aufnahme aufgrund von medikamentöser Non-Adhärenz innerhalb<br />

der letzten 24 Monate.<br />

Die Studienpopulation setzte sich aus 120 Patienten zusammen. Darunter 64 in der UKE (ACT) und 56 in<br />

der RISSEN Gruppe (Standard Care; SC). 101 Patienten (84,7%) beendeten die 52-Wochen-Studie.<br />

Hinsichtlich des ersten Erfolgskriteriums brachen insgesamt 17 von 120 Teilnehmern (14,2%) die gesamte<br />

Behandlung ab. Davon waren vier aus der ACT Gruppe und 13 aus der SC Gruppe.<br />

Es zeigten sich kaum Unterschiede in den verwendeten Skalen. Ausschließlich in Bezug auf die Zufriedenheit<br />

mit der Behandlung nach Einschätzung von Patienten und Angehörigen wurden signifikante Unterschiede<br />

festgestellt. Hier zeigte sich eine größere Behandlungszufriedenheit in der ACT-Gruppe. In<br />

nahezu allen sekundären Behandlungserfolgskriterien zeigten sich signifikant positive Effekte. Einge-<br />

69


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

schlossen wurden hierbei die Schwere der Erkrankung, der Psychopathologie, des Funktionsniveaus, der<br />

Lebensqualität und der Zufriedenheit mit der Behandlung seitens der Patienten und ihren Angehörigen.<br />

Ferner befanden sich zum Ende des Studienzeitraums signifikant mehr Teilnehmer aus der ACT-Gruppe<br />

in Arbeit, lebten häufiger in Unabhängigkeit und zeigten signifikant häufiger eine Reduktion ihres Suchtmittelkonsums.<br />

Im Vergleich der Kosteneffizienz der beiden Behandlungsbedingungen wurden geringe Unterschiede in<br />

den Kosten erfasst. Die Implementierung eines ACT Teams ließ die ambulanten Kosten für diese Patientengruppe<br />

steigen, während die stationären Kosten jedoch so deutlich sanken, dass es zu einer Reduktion<br />

der Gesamtkosten kam.<br />

Am 01.05.2007 wurden die Integrierten Versorgungsverträge mit den Krankenkassen geschlossen. Es<br />

wurde zudem die Vereinbarung getroffen, dass eine standardisierte und fortlaufende Evaluation aller eingeschlossenen<br />

Patienten durchgeführt wird.<br />

Seit der Vertragsschließung bis zum Zwischenauswertungsdatum am 30.09.2011 (Laufzeit: 4,5 Jahre)<br />

wurden alles in allem 158 Patienten in das Hamburger Modell eingeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt befanden<br />

sich die Teilnehmer durchschnittlich 145,2 Wochen in der Integrierten Versorgung (2,8 Jahre).<br />

Bezüglich der primären Erfolgskriterien kam es zu einem Behandlungsabbruch bei nur 5,1 Prozent der<br />

Patienten. Im Vergleich zu Behandlungsabbrüchen in der Regelversorgung (23,2%) ist hier ein enormer<br />

Erfolg zu verzeichnen.<br />

Die Aufnahmewerte der sekundären Erfolgskriterien wiesen hohe Psychopathologiewerte auf, hohe Werte<br />

für den Schweregrad der Erkrankung, ein niedriges Funktionsniveau, eine schlechte Lebensqualität und<br />

eine geringe Zufriedenheit in der Vorbehandlung nach Meinung der Patienten und ihren Angehörigen. Im<br />

Rahmen der begleitenden Evaluation zeigte sich, dass es zu einer hochsignifikanten Reduktion der Psychopathologie<br />

und Schwere der Erkrankung kam sowie zu einer Verbesserung des Funktionsniveaus.<br />

Darüber hinaus kam es im Verlauf der Behandlung zu einem signifikanten Anstieg der Lebensqualität der<br />

Patienten. Auch die Befragungen der Teilnehmer und ihrer Angehörigen zeigte eine signifikante Steigerung<br />

der Behandlungszufriedenheit.<br />

In den 4,5 Jahren Laufzeit wurden insgesamt 33.368 Behandlungen durchgeführt. Im Rahmen der Integrierten<br />

Versorgung ergibt sich im Vergleich zur Regelversorgung mit 0,2 Kontakten pro Woche ein 7,5-<br />

mal häufigerer Behandlungskontakt pro Woche. Darüber hinaus erhöhte sich der Anteil von Patienten mit<br />

Psychotherapie von 7,3 Prozent auf 55,7 Prozent (Lambert et al., 2010; Bock et al., 2012).<br />

Ebenso bestätigt das IGES-Institut in einer Publikation, dass sich die Substitution von stationärer/tagesklinischer<br />

Versorgung durch ambulante Versorgung auf den Kostenbereich auswirkt. Die ambulanten Kosten<br />

der Home-Treatment-Gruppe sind wesentlich höher und die Kosten der voll- und teilstationären deutlich<br />

niedriger als in der Kontrollgruppe. Zwar ist dieser Unterschied statistisch nicht signifikant, trotzdem wird<br />

die Intervention „Home-Treatment“ aufgrund ihres hohen Nutzenwertes nach den üblichen gesundheitsökonomischen<br />

Maßstäben als kosteneffektiv angesehen (Nolting, 2012).<br />

Nächste Schritte<br />

Laut DAK Gesundheitsreport 2013 ist die Zunahme von Fehltagen aufgrund einer psychischen Diagnose<br />

die auffälligste Entwicklung im Arbeitsunfähigkeitsgeschehen. Demnach ist die Anzahl der Fehltage seit<br />

1997 um 165 Prozent gestiegen und die Quote an Betroffenen, die an einer psychischen Erkrankung leiden,<br />

um 142 Prozent gestiegen. Im Jahr 2012 lagen psychische Erkrankungen erstmalig auf Rang 2 der<br />

70


DAK-Gesundheit • stattkrankenhaus<br />

wichtigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeit, gemessen an ihrem Anteil an Fehltagen (DAK, 2013). Aus<br />

diesem Grund verbessert die DAK-Gesundheit stetig ihre am Kundenbedarf ausgerichteten Versorgungsprogramme<br />

in Bezug auf psychische Erkrankungen. In diesem Zusammenhang geht es um den Roll-out<br />

des Konzeptes stattkrankenhaus auf unterschiedliche Regionen und Partner. Somit sollen weitere Patienten<br />

mit der Diagnose Psychose in allen Krankheitsphasen durch ein effektives Versorgungsmanagement<br />

unterstützt werden. Im Bereich Bayern werden derzeit beispielsweise weitere Abschlüsse mit den Regionen<br />

Oberbayern und Franken angestrebt.<br />

Ansprechpartner<br />

Markus Hinz<br />

DAK-Gesundheit<br />

Unternehmen Leben<br />

Vertragsgebiet Bayern<br />

Haidenauplatz 3<br />

81667 München<br />

Telefon: 089 – 9047550-1104<br />

E-Mail: markus.hinz@dak.de<br />

Sophie Schwab<br />

DAK-Gesundheit<br />

Unternehmen Leben<br />

Vertragsgebiet Bayern<br />

Haidenauplatz 3<br />

81667 München<br />

Telefon: 089 – 9047550-100<br />

E-Mail: sophie.schwab@dak.de<br />

Literatur<br />

Bock, T. (2012). Und sie bewegt sich doch – Entwicklungspotential der Krankenhausversorgung. Neue Versorgungskonzepte<br />

zur Behandlung zur Behandlung psychischer Erkrankungen. Torhoven C. and W. T. heidelberg.<br />

DAK (2012). stattkrankenhaus – Ein überregionales, sektorenüberreifendes und innovatives Modell.<br />

DAK (2013). Gesundheitsreport, IGES Institut GmbH.<br />

DAK Presse (2012). Ambulante Hilfe statt Krankenhaus. DAK-Gesundheit, Landeskrankenhaus und Pfalzklinikum ziehen Bilanz<br />

im versorgungsmodell „stattkrankenhaus, DAK Gesundheit.<br />

Lambert, M., Bock, T., Meigel-Schleiff, C., Lange, B., Ohm, G., Bussopulos, A., Frieling, M., Golks, D., Kerstan, A., Nika, L.,<br />

Lange, M., Schödlbauer, Schöttle, D., Sauerbier, A-l, Rietschel, L., Wiedemann K. Schimmelmann, B. Naber, D., Karow, A.<br />

(o. J.). 5 Jahre Integrierte Versorgung von Patienten mit psychotischen Erkrankungen: Das Hamburger Modell. Hamburg.<br />

Lambert, M., Naber, D., Bock, T., Meigel-Schleiff, C., Omh, G., Braun, M., Bussopulos, A., Frieling, M., Golks, D., Kerstan, A.,<br />

Meister, K., Nika, L., Rietschel, L., van der Sande, A., Sauerbier, A-L., Schödlbauer, M., Schöttle, D. (2010). Integrierte Versorgung<br />

von Patienten mit psychotischen Erkrankungen: Das Hamburger Modell. Innovative Konzepte im Versorgungsmanagement<br />

von ZNS-Patienten. V. E. Amelung, Bergmann, F., Falkai, P., Hauth, I., Jaleel, E., Meier, U., Reichmann, H., Roth-<br />

Sackenheim, C. Berlin, MWV mbH & Co KG.<br />

Nolting, H.-D., Hackmann, T. (2012). Bestandsaufnahme von komplexen lokalen, regionalen und überregionalen sektorübergreifenden<br />

Modellprojekten zur Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen – Abschlussbericht. Berlin, IGES<br />

Institut GmbH.<br />

stattkrankenhaus (2010). stattkrankenhaus – gemeindenahe und patientenorientierte Psychiatrie außerhalb des Krankenhauses.<br />

Ein Projekt des Pfalzklinikums und des Landeskrankenhauses.<br />

71


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Das Sächsische Betreuungsmodell<br />

Innovation durch Integration<br />

Autor: Ulrike Rothe und Jan Schulze<br />

Management Summary<br />

Das Sächsische Diabetes-Management-Programm (SDMP) war ein ergebnisorientiert angelegtes, integratives<br />

Betreuungsmodell für Diabetespatienten in Sachsen. Das Programm lief von 2000 bis 2002 und<br />

wurde bereits positiv evaluiert: Das Betreuungsmodell führte nachweislich zu einem verbesserten Gesundheitszustand<br />

der Teilnehmer.<br />

Das erfolgreiche SDMP soll nun weiterentwickelt werden; Ziel ist ein ganzheitliches, sektorenübergreifendes,<br />

populationsbezogenes Chronic-Care-Modell für multimorbide Diabetespatienten mit einem<br />

Metabolisch-Vaskulären Syndrom. Um die Versorgung multimorbider Diabetespatienten in Sachsen kontinuierlich<br />

und flächendeckend zu verbessern, sollen die Patienten frühzeitig erkannt und risikoadäquat<br />

therapiert werden – auf Basis integrativer Praxis-Leitlinien und mit Hilfe eines Screening-Tools.<br />

Das Programm soll später wieder ergebnisorientiert evaluiert werden. Unter der Schirmherrschaft der<br />

Sächsischen Landesärztekammer will die Fachkommission Diabetes SLÄK einen Arbeitskreis „Versorgungsstrukturen“<br />

gründen, um zeitnah Verträge abschließen zu können, beispielsweise nach § 140a–d<br />

SGB V oder § 73a SGB V.<br />

Einleitung<br />

In den westlichen Ländern nehmen chronische Erkrankungen deutlich zu; die große Mehrheit dieser<br />

meist älteren Patienten hat sogar mehrere dieser chronischen Erkrankungen gleichzeitig (sog. Multimorbidität).<br />

Dieses Phänomen wird auch als Chronic-Care-Krise bezeichnet. Diabetes mit Metabolisch-Vaskulärem<br />

Syndrom (MVS) ist ein typisches Beispiel für ein gleichzeitiges Vorkommen mehrerer dieser weit<br />

verbreiteten komplexen chronischen Erkrankungen, von krankhaftem Übergewicht (abdominaler Adipositas),<br />

Fettstoffwechselstörung (Dyslipidämie), Blutdruckerhöhung und (Prä-)Diabetes und damit für Multimorbidität.<br />

Aufgrund von Über- und Fehlernährung sowie mangelnder Bewegung steigt die Anzahl an<br />

Patienten mit diesem komplexen Syndrom MVS jedes Jahr. Diese multimorbiden Patienten tragen ein<br />

erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Komplikationen wie z. B. Herzinfarkt. Diabetes ist in ca. 80 Prozent mit<br />

MVS verknüpft und neben der Bürde für die Betroffenen auch eine große volkswirtschaftliche Belastung.<br />

Um diese Folgeerkrankungen einzudämmen, sind Früherkennungsmaßnahmen nötig. Denn in einem frühen<br />

Krankheits-Stadium lassen sich schwerwiegende Komplikationen noch vermeiden. Zudem ist ein<br />

leitlinienbasiertes Behandlungsprogramm erforderlich. Deshalb wurde die komplexe Praxis-Leitlinie „Metabolisch-Vaskuläres<br />

Syndrom“ (MVS) für multimorbide Patienten von der multidisziplinären Fachkommission<br />

Diabetes der Sächsischen Landesärztekammer (SLÄK) unter Einbeziehung von Hausärzten, DiabetesberaterInnen<br />

und auch Patienten in Zusammenarbeit mit einem unabhängigen wissenschaftlichen<br />

Beirat deutscher Experten verschiedener Fachdisziplinen entwickelt und überarbeitet (die 2. Neuauflage<br />

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Das Sächsische Betreuungsmodell • Innovation durch Integration<br />

befindet sich im Druck). Diese erste komplexe Praxis-Leitlinie für multimorbide Patienten gibt Empfehlungen<br />

zur Vorbeugung (Prävention), Früherkennung und einer effektiven und effizienten Behandlung dieses<br />

komplexen Syndroms. Auf Basis dieser Praxis-Leitlinie sowie den positiven Evaluationsergebnissen des<br />

Sächsischen Diabetes-Betreuungsmodells (SDMP), das bei 80 Prozent der Diabetes-Patienten in ganz<br />

Sachsen nachweislich zu signifikant niedrigeren HbA1c sowie Blutdruckwerten führte, soll nun das SDMP<br />

zu einem innovativen Chronic Care Management-Konzept (CCM) für multimorbide Patienten mit einem<br />

MVS weiterentwickelt werden.<br />

Versorgungsherausforderung<br />

Diabetes mellitus ist eine chronische Stoffwechselerkrankung, deren Auswirkungen auf die Gesellschaft<br />

weiter zunimmt. In Deutschland leiden rund 8 Prozent der Bevölkerung an Diabetes mellitus; die Neuerkrankungsrate<br />

(Inzidenz) beträgt 360/100.000 pro Jahr. Mit zunehmendem Alter steigt die Inzidenzrate,<br />

bei den über 60-Jährigen liegt sie bei 1.200/100.000 (Hien et al., 2013). Der demographische Wandel und<br />

die Überalterung der Gesellschaft lassen vermuten, dass auch die Inzidenzrate weiter steigt. Internationale<br />

Analysen zeigten, dass sich die Anzahl der Erwachsenen mit Diabetes in den letzten drei Jahrzenten<br />

weltweit verdoppelte (Heidemann, 2013).<br />

Studien belegen, dass Diabetiker am häufigsten aufgrund kardiovaskulärer Erkrankungen stationär aufgenommen<br />

werden müssen. Die Sterblichkeit ist um das 2,6- bis 4,2-fache erhöht. 70 Prozent aller Todesfälle<br />

bei Diabetikern sind durch kardiovaskuläre Erkrankungen verursacht. Präventive Maßnahmen sind<br />

deshalb äußerst sinnvoll.<br />

Die Komplexität der Behandlung mehrerer chronischer Erkrankungen ist eine große Herausforderung für<br />

den einzelnen Arzt, ist zeit- und kostenintensiv und verursacht oft Versorgungsdefizite, die als „Chronic-<br />

Care-Krise“ bezeichnet werden (Huppertz, 2011; Rothe et al., 2008). Notwendig ist deshalb die Entwicklung<br />

neuartiger Versorgungsformen zur Lösung der komplexen Probleme bei Multimorbidität. Die rein<br />

indikationsspezifischen top-down eingeführten Disease-Management-Programme (sog. DMPs) reichen<br />

zur Lösung der Probleme multimorbider Patienten mit MVS nicht aus.<br />

Neue Versorgungskonzepte<br />

Sektorenübergreifende populationsorientierte Versorgung oder auch Chronic Care Management (CCM)<br />

heißt das innovative Zukunftsmodell. Das CCM setzt auf eine ganzheitliche Betrachtung des Patienten.<br />

Es ist die derzeit beste moderne Form, auf Basis kooperativer Versorgungsstrukturen mit sektorenübergreifenden<br />

komplexen Praxis-Leitlinien und Patientenmonitoring über den gesamten Krankheitsverlauf<br />

und alle Versorgungsebenen hinweg die Versorgung chronisch kranker, multimorbider Patienten nachhaltig<br />

und flächendeckend, populations- und ergebnisorientiert zu verbessern. Deshalb soll in Sachsen<br />

(und später in ganz Deutschland) auf der Basis der außerordentlich positiven Erfahrungen mit der Implementation<br />

und Evaluation des Sächsischen Diabetes-Betreuungsmodells (der 2. Generation) ein Paradigmenwechsel<br />

im Diabetes-Management erfolgen: weg vom Fokus auf das indikationsspezifische<br />

Management einzelner chronischer Erkrankungen hin zu einer ganzheitlichen Sicht, einem krankheitsunabhängigen,<br />

evidenzbasierten Rahmenkonzept, einem CCM (der 3. Generation), das der Komplexität<br />

von Krankheitsverläufen Rechnung trägt und neue Perspektiven für die Versorgung gerade der meist<br />

multimorbiden Diabetespatienten mit einem MVS auch in Deutschland bieten könnte.<br />

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3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Abbildung 9 – Das Chronic-Care-Modell beinhaltet Ansätze zur Behandlung chronisch erkrankter Patienten, unabhängig<br />

der Indikation<br />

2013<br />

Interdisziplinäre<br />

Praxisteams<br />

Leitlinie<br />

Diabetes<br />

Kooperative<br />

Entscheidungsfindung<br />

Praxis-Leitlinie<br />

Leitlinie<br />

Hypertonie<br />

Chronic Care<br />

Management<br />

(Multimorbidität)<br />

MVS<br />

Longitudinales<br />

Patienten-<br />

Monitoring<br />

Leitlinie<br />

Fettstoffwechsel<br />

störungen<br />

Aktive<br />

Patientenrolle<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Entstehungsgeschichte<br />

Das neu zu entwickelnde Chronic Care Modell (CCM) in Sachsen greift auf eine lange Geschichte zurück.<br />

Gerade diese Erfahrungen machen das CCM zu einem so interessanten und vielversprechenden Vorhaben.<br />

Nach einer Pilot-Studie (EVA-Studie) des Sächsischen Betreuungsmodells wurde im Jahre 2000<br />

das Sächsische Diabetes-Management-Programm (SDMP) entwickelt und vertraglich implementiert:<br />

1. Diabetes-Vereinbarung (1991): sächsische Diabetologen entwickelten die 1. Diabetes-Vereinbarung in<br />

Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen und den gesetzlichen Krankenkassen.<br />

Diabetologische Schwerpunktpraxen (DSP) wurden etabliert zur ambulanten spezialisierten Versorgung<br />

(als Folgemodell der ehemaligen Dispensairesprechstunden vor 1989).<br />

2. Diabetes-Vereinbarung (1994/1995): diese Vereinbarung bezog die Hausärzte stärker mit ein und etablierte<br />

ein Qualitätsmanagement in Form von zunächst drei Qualitätszirkeln in den drei Regierungsbezirken.<br />

3. Diabetes-Vereinbarung (1999): als sog. „Sächsisches Diabetes-Management-Programm“ (SDMP der<br />

2. Generation): basierend auf sektorenübergreifenden Praxis-Leitlinien der Fachkommission Diabetes<br />

SLÄK. Diese populationsbezogene Vereinbarung verfolgte nunmehr das Ziel, die gesamte sächsische<br />

Diabetes-Population flächendeckend einzuschließen durch Befähigung aller Hausärzte und Diabetologischen<br />

Schwerpunktpraxen, am SDMP teilzunehmen. Deshalb war es wichtig, den Aufwand für<br />

Dokumentation, Qualitätsmanagement und Administration minimal zu halten.<br />

74


Das Sächsische Betreuungsmodell • Innovation durch Integration<br />

Abbildung 10 – Historische Entwicklung des sächsischen Diabetes-Betreuungsmodells<br />

Integriertes Versorgungssystem als<br />

Sächsisches Diabetes-<br />

Management-Programm (SDMP)<br />

1991<br />

1. sächsische<br />

Diabetes-<br />

Vereinbarung<br />

1994/95<br />

2. sächsische<br />

Diabetes-<br />

Vereinbarung<br />

positive Evaluation<br />

des SDMP<br />

2000 2002<br />

1999<br />

2003<br />

3. sächsische<br />

Diabetes-<br />

Vereinbarung<br />

Ablösung der sächsischen<br />

Diabetes-Vereinbarung<br />

durch RSA-DMPs der<br />

Bundesregierung<br />

Chronic-<br />

Care-<br />

Modell<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Insgesamt kam es durch die Vernetzung/Zusammenarbeit aller am Versorgungsprozess beteiligten<br />

Akteure zu einer signifikanten Qualitätsverbesserung bei der Diabetesbetreuung. Nach erfolgreicher Evaluation<br />

des SDMP der 2. Generation in den Jahren 2000 bis 2002 wurden die sächsischen Diabetes-<br />

Vereinbarungen 2003 durch die zentral diktierten RSA-DMP der Bundesregierung abgelöst (Rothe, 2003).<br />

Seitdem wuchs die Kritik an dem eindimensionalen Ansatz der DMP und die Forderung insbesondere der<br />

Hausärzte nach einem krankheitsübergreifenden Konzept, das den Anforderungen der multimorbiden,<br />

chronisch kranken Patienten mit MVS gerecht wird. Deshalb soll nun als SDMP der 3. Generation ein innovatives<br />

Chronic Care Modell entwickelt werden.<br />

Kernelemente<br />

Versorgungskonzept<br />

Das Ziel ist es, die gesamte sächsische Diabetes-Population flächendeckend einzuschließen – durch<br />

Befähigung aller Hausärzte und Diabetologischen Schwerpunktpraxen (DSP), am SDMP teilzunehmen.<br />

Das Betreuungs-Modell war charakterisiert durch kooperative Versorgungsstrukturen und einen minimalen<br />

Aufwand für Qualitätsmanagement und Koordination. Es war ergebnisorientiert angelegt: nicht die<br />

Betreuungsprozesse wurden dokumentiert und kontrolliert, sondern die Ergebnisse. Zunächst<br />

dienten HbA1c und Blutdruck als Qualitätsparameter. Zur Beurteilung der Betreuungsprozesse, die durch<br />

Leitlinien geregelt waren, dienten Abrechnungsdaten der KV, die zur Evaluation mit herangezogen wurden<br />

und nicht zusätzlich von den Ärzten dokumentiert werden mussten. Die Neuartigkeit/Innovation des<br />

SDMP war, dass Schwerpunktärzte und Hausärzte verschiedener Versorgungslevel gemeinsam das<br />

Qualitätsmanagement in Qualitätszirkeln durchführten und diskutierten, was entscheidend für den späteren<br />

Erfolg des Programms war: die kollektive Diskussion der Ergebnisse half, Barrieren zwischen den<br />

verschiedenen Versorgungsebenen niederzureißen und ein „selbstunterstützendes“ System zu etablieren,<br />

um die Versorgungsqualität zu verbessern. Wir schlussfolgerten daraus, dass sektorenübergreifende<br />

(integrierte) Versorgungsstrukturen nur mit einem sektorenübergreifenden Qualitätsmanagement-System<br />

funktionieren können.<br />

75


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Das SDMP der 2. Generation soll nun zu einem Chronik Care Modell (CCM = SDMP der 3. Generation)<br />

weiterentwickelt werden auf der Basis der positiven Evaluationsergebnisse des SDMP sowie der komplexen<br />

Praxis-Leitlinie MVS für multimorbide Diabetespatienten.<br />

Zielgruppe<br />

Das Sächsische Betreuungsmodell der 3. Generation zielt auf multimorbide Diabetespatienten mit MVS<br />

ab. Die Zielgruppe besteht zunächst aus den ca. 350.000 bekannten T2DM-Patienten in Sachsen sowie<br />

Patienten mit einem MVS, deren Zahl in Sachsen auf rund eine Million Menschen geschätzt wird und die<br />

u. a. im betriebsärztlichen Setting mittels Screening-Fragebögen identifiziert werden sollen.<br />

Versorgungselemente<br />

Das SDMP basierte auf den vier Kernelementen eines Disease-Managements nach Hunter et al., 1997<br />

und enthielt bereits erste Ansätze eines Chronic Care Modells: [1.] integrierte, versorgungsebenenübergreifende<br />

Praxis-Leitlinien (als Wissens- und Handlungsbasis), [2.] integrierte, kooperative Versorgungsstrukturen<br />

(besonders zwischen Hausärzten und DSP), [3.] ein integriertes Qualitätsmanagement (in versorgungsebenenübergreifenden<br />

Qualitätszirkeln) und [4.] Patienten-Schulung (zum Selbstmanagement).<br />

In Anlehnung an das Wagner’sche Chronic Care Modell (CCM) soll das sektorenübergreifende, populationsorientierte<br />

Versorgungskonzept folgende Kernelemente beinhalten: qualifizierte interdisziplinär<br />

arbeitende Teams mit komplexem Leistungsspektrum auf der Basis komplexer Leitlinien für multimorbide<br />

Patienten mit definierten Schnittstellen (der komplexen Praxis-Leitlinie MVS), einer kooperativen Entscheidungsfindung<br />

(auch sektorenübergreifend), einem Patientenmonitoring über den gesamten Krankheitsverlauf<br />

hinweg (z. B. mittels Patientenregister, Telemedizin) und einer aktiven Patientenrolle (Schulung<br />

und Empowerment = Mitbestimmung) (s. Abbildung 9).<br />

Die Praxis-Leitlinie MVS wurde in Vorbereitung der Entwicklung und Implementation eines innovativen<br />

CCM-Programmes seit 2006 durch die Fachkommission Diabetes der SLÄK, die bereits umfangreiche<br />

Erfahrungen bei der Erarbeitung von Praxis-Leitlinien im Rahmen von Diabetes und seiner Komplikationen<br />

hat, entwickelt. Denn bei der Komplexität des MVS ist es für den in Praxis und Klinik tätigen Arzt undenkbar,<br />

bei dem mit mehreren Krankheiten oder deren Vorstufen (Adipositas, Diabetes mellitus Typ 2, Fettstoffwechselstörungen,<br />

Hypertonie etc.) belasteten Patienten verschiedenste Leitlinien durchzuarbeiten,<br />

die allesamt auf das Management einzelner chronischer Erkrankungen fokussieren. Die Einbeziehung lokal<br />

tätiger Ärzte, als die künftigen Leitlinien-Anwender bereits in den Entwicklungsprozess, ist wesentlich für<br />

deren spätere Akzeptanz bei den Anwendern in der Praxis sowie deren Umsetzung im Versorgungsprozess.<br />

Deshalb arbeiten in der Fachkommission Diabetes SLÄK neben Ärzten aller Versorgungslevel (vorwiegend<br />

Vertreter der diabetologischen und allgemeinmedizinischen Fachgesellschaften und Berufsverbände)<br />

weitere Standesvertreter aus den Fachbereichen Diabetologie und Stoffwechsel, Kardiologie,<br />

Angiologie sowie Hausärzte, Assistenzberufe und Patientenverbände mit. Aufgrund der hohen Relevanz<br />

der bisher bekannten und diskutierten Risikofaktoren für metabolische und vaskuläre Krankheiten haben<br />

wir den Begriff „Metabolisch-Vaskuläres-Syndrom“ (MVS) eingeführt. Die Fachkommission hat sich bei<br />

der Definition und Diagnostik für den internationalen Konsens (Alberti, 2009) entschieden. Die Grundlage<br />

für die Praxis-Leitlinie MVS in ihrer gesamten Komplexität bilden die bereits existierenden anerkannten, auf<br />

Evidenz basierenden Leitlinien zu Adipositas, Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen und Diabetes.<br />

Grundsätzlich sollte bei Manifestation einer Facette des MVS stets nach den anderen gesucht werden, da<br />

diese oft schon im Latenzstadium nachweisbar sind, d. h. es sollte immer eine komplette Diagnostik erfolgen.<br />

Die Anzahl und die Ausprägung der bestehenden Risikofaktoren und bereits vorhandene Gefäßveränderungen<br />

bestimmen die Therapieziele. Die Festlegung der Therapieintensität erfolgt stets nach einer Risikoschätzung<br />

(z. B. nach dem PROCAM-Score). Eine Änderung des Lebensstils mit dem vorrangigen Ziel<br />

76


Das Sächsische Betreuungsmodell • Innovation durch Integration<br />

der Gewichtsreduktion ist der wichtigste und effektivste Teil der Empfehlungen der neuen Leitlinie MVS.<br />

Ernährungstherapie und physische Aktivität können alle Komponenten des MVS günstig beeinflussen.<br />

Betroffene Personen, die mit den vorgenannten Maßnahmen die Therapieziele nicht erreichen, bedürfen<br />

einer gut abgestimmten medikamentösen Intervention, die auch synergistische Effekte berücksichtigt.<br />

Wesentliche Elemente des CCM zur Versorgung von Diabetespatienten mit MVS sind die o. g. Risikofragebögen<br />

(Screening-Tools) zur frühzeitigen Diagnostik metabolisch-vaskulärer Erkrankungen. Im Rahmen<br />

der Initiative „Gesundheitsziele“ soll der für Deutschland bereits evaluierte Findrisk-Fragebogen<br />

sowie der in einer Pilotstudie im Rahmen eines Public-Health-(NBLIII)-Projektes der Medizinischen Fakultät<br />

der TU Dresden entwickelte und validierte spezielle Screening-Fragebogen MVS im betriebsärztlichen<br />

Setting eingesetzt sowie Kassenpatienten angeschrieben werden, um Risikopersonen frühzeitig zu identifizieren,<br />

zu schulen, zu beobachten und zu behandeln.<br />

Mehrwert<br />

Der CCM-Ansatz konzentriert sich bei der Behandlung von Diabetespatienten nicht nur auf die Einzeldiagnose,<br />

sondern schließt auch die Risikofaktoren/Begleiterkrankungen in das Konzept mit ein, eine<br />

ganzheitliche kooperative Versorgung auf der jeweils richtigen Versorgungsebene auf der Basis komplexer<br />

Praxis-Leitlinien (nicht nur für eine Erkrankung). Einen zusätzlichen Mehrwert für Patienten stellen<br />

außerdem das kontinuierliche Patienten-Monitoring über den gesamten Krankheitsverlauf und über alle<br />

Versorgungsebenen hinweg sowie die komplexen Patienten-Schulungen dar. Die Schulungen animieren<br />

den Patienten, das Versorgungskonzept mitzugestalten – und so selbst ein Teil des Modells zu werden;<br />

die Motivation zum Selbstmanagement der Patienten steigt.<br />

Auch für die Leistungsträger bringt das CCM einen erheblichen Zusatznutzen. Schwere Krankheitsereignisse,<br />

kostspielige Klinikaufenthalte und Pflegebedürftigkeit können vermieden werden. Zudem steigt die<br />

Lebensqualität der Patienten. All das führt zu niedrigeren Kosten für die Behandlungen von Spätkomplikationen<br />

mit Folgen wie Arbeitsunfähigkeit, Krankenhausaufenthalte, Rehabilitationsmaßnahmen oder Erwerbsunfähigkeit.<br />

Folgende positive Aspekte aus dem SDMP gehen in die Entwicklung eines CCM mit ein:<br />

• Entwicklung komplexer, sektorenübergreifende Leitlinien:<br />

welche die Versorgung multimorbider chronisch kranker Patienten nachhaltig verbessern. Die Praxis-<br />

Leitlinien stellen einen Handlungsleitfaden für Ärzte dar, sind aber nicht bindend. Die Versorgung erfolgt<br />

dadurch strukturierter und leitliniengerecht nach dem aktuellen Wissensstand.<br />

• Kommunikation und Kooperation fördern:<br />

Bisher vorhandene Hürden und Diskrepanzen zwischen den Ärzten konnten durch den gemeinsamen<br />

Dialog in den Qualitätszirkeln überwunden werden; die Qualität der Versorgung stieg. Neben den finanziellen<br />

Anreizen war es vor allem dieser sektorenübergreifende Ansatz, der zu einer frühen Überweisung<br />

der Patienten in eine Schwerpunktpraxis führte.<br />

• Dokumentationsaufwand für Qualitätsmanagement reduzieren:<br />

Das Diabetes-Management-Programm erreichte eine hohe Beteiligung der sächsischen Ärzte, was<br />

insbesondere den niedrigen bürokratischen Hürden durch den ergebnisorientierten Ansatz zu verdanken<br />

war. Ärzte wurden nicht dazu aufgefordert, den Behandlungsprozess genau zu dokumentieren,<br />

was für sie einen erhöhten Mehraufwand bedeutet hätte. Die Qualität wurde unter anderem anhand<br />

von den Ergebnisparametern HbA1c und Blutdruck beurteilt. Zur Beurteilung der Betreuungsprozesse<br />

nutzte man die Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen (Sekundärdatenquelle).<br />

In Qualitätszirkeln arbeiteten Hausärzte und DSP sektorenübergreifend zusammen; sie konnten so ein<br />

erfolgreiches Qualitätsmanagement gewährleisten.<br />

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3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Finanzierung<br />

Das SDMP war vertraglich implementiert (Strukturvertrag zwischen Krankenkassen und KV) und wurde<br />

mittels Pseudo-GOP’s vergütet. Die Finanzierung des integrierten Versorgungskonzeptes betrug nur ca.<br />

1/10 der Kosten, die die jetzigen weniger effektiven DMP’s verursachen (vor allem für den erheblichen<br />

administrativen Aufwand). Die Zahlung eines qualitätsorientierten Bonus an Hausärzte durch die Ersatzkassen<br />

war nach einer Laufzeit von 1–2 Jahren vorgesehen, um die Kooperation zwischen den Ärzten zu<br />

verbessern. Durch Messung und Honorierung guter Ergebnisqualität sollten die teilnehmenden Ärzte<br />

motiviert werden, Patienten rechtzeitig an eine diabetologische Schwerpunktpraxis zu überweisen, um<br />

die Stoffwechselqualität ihrer Patienten zu verbessern, die dann am Ende finanziell belohnt wurde. Dabei<br />

war nur ein mittlerer Bonus von ca. 3 Euro pro Patient und Quartal vorgesehen, und trotzdem war bereits<br />

die Hoffnung darauf sehr wirksam. Die Primärkassen zahlten hingegen einen geringfügigen Überweisungsbonus<br />

(also prozessorientiert).<br />

Weiterhin existiert unter sächsischer Leitung ein dreijähriges EU-Projekt mit 20 Partnern und einer großen<br />

Fördersumme. Beteiligte Partner sind: IDF-EUROPE, der deutsche Bundesverband Managed Care<br />

und weitere Partner aus mehreren EU-Ländern sowie die Fachkommission Diabetes der SLÄK, verschiedene<br />

Berufsverbände und die Techniker Krankenkasse. Eine finanzielle und organisatorische Nachhaltigkeit<br />

des Konzepts ist damit gesichert.<br />

Management<br />

Dem SDMP lag ein arbeitsteiliges Prinzip zugrunde. Die Hausärzte waren angehalten, die Patienten an<br />

eine Schwerpunktpraxis zu überweisen, wenn sich die Einstellung der Blutzucker- und Blutdruckwerte<br />

binnen zwei Quartalen nicht besserten. Die Schwerpunktpraxen wiederum hatten spätestens nach drei<br />

Quartalen die Therapie wieder in die Hände des Hausarztes zu legen.<br />

Wesentlich auch für die Umsetzung des CCMs ist die Kooperation zwischen Hausärzten und diabetologischen<br />

Schwerpunktpraxen (DSPs). Der Hausarzt soll, neben dem Betriebsarzt, anhand von Screening-<br />

Tools Patienten mit einem MVS ausfindig machen und sie dann möglichst frühzeitig für weitere Maßnahmen<br />

an eine DSP überweisen.<br />

Als organisatorische und fachliche Wissensbasis für die Versorgung von Patienten mit MVS dient die<br />

komplexe, evidenzbasierte Praxis-Leitlinie MVS. Sie ermöglicht eine wissenschaftlich fundierte, umfassende,<br />

ganzheitliche Versorgung multimorbider Patienten.<br />

Wie schon das SDMP setzt auch das künftige CCM-Konzept auf regelmäßige sektorenübergreifende<br />

Qualitätszirkel. Dabei sollen Ärzte aller Versorgungsebenen ein gemeinsames Qualitätsmanagement<br />

durchführen. Diese kollektive Diskussion macht das CCM zu einem sich selbst unterstützenden, kontinuierlich<br />

verbessernden System.<br />

Evaluation<br />

Das SDMP wurde bereits positiv evaluiert mittels einer deskriptiven begleitenden Beobachtungsstudie<br />

(Versorgungsforschung). Es wurde die Ergebnisqualität untersucht. Im SDMP waren etwa 75 Prozent aller<br />

Hausärzte und 100 Prozent der Schwerpunktpraxen in Sachsens beteiligt. Das führte zu einer fast<br />

flächendeckenden, ca. 90-prozentigen Beteiligung der sächsischen Diabetes-Population (291.771 Patienten),<br />

was auf die hohe Akzeptanz des SDMP durch Ärzte und Patienten hinwies. In allererster Linie war<br />

die hohe und wachsende Teilnahmerate durch den minimalen bürokratischen Aufwand des SDMP erreicht<br />

worden, weil es ergebnisorientiert angelegt war.<br />

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Das Sächsische Betreuungsmodell • Innovation durch Integration<br />

Ein wesentliches Ergebnis war, dass Patienten frühzeitiger in eine Schwerpunktpraxis überwiesen<br />

wurden. Vor Etablierung des SDMP kamen die Patienten bei einem medianen (mittleren) HbA1c-Wert<br />

von 8,5 Prozent, am Ende des Programms bereits bei 7,5 Prozent, wie in den Leitlinien empfohlen. Je<br />

früher Patienten in eine Schwerpunktpraxis überwiesen wurden, umso besser waren die Ergebnisse von<br />

HbA1c und Blutdruck in der gesamten Region. Die Effektivität des SDMP in der Versorgungsrealität kann<br />

einerseits auf die rechtzeitige Überweisung von Patienten an die Schwerpunktpraxen und andererseits<br />

auf die Anhebung der Kompetenz der Hausärzte durch das Training in innovativen sektorenübergreifenden<br />

Qualitätszirkeln durch Schwerpunktpraxen zurückgeführt werden – was die Machbarkeit des integrierten<br />

Versorgungsansatzes ohne bürokratische Hürden widerspiegelt. Die Evaluationsergebnisse zeigten<br />

eindrucksvoll, dass durch die einheitlich empfohlenen Diagnostik- und Therapiestrategien nach drei<br />

Jahren sehr gute Behandlungsergebnisse erzielt wurden, wie es höchstens bei Typ-1-Diabetikern unter<br />

Studienbedingungen möglich war (DCCT, 2005). Bemerkenswert war hierbei insbesondere, dass diese<br />

Ergebnisse unter Routinebedingungen möglich waren: Bis zum Jahr 2003 und der dann erfolgten Einführung<br />

von DMP-Diabetes wurden ca. 300.000 Diabetiker (ca. 6,7 % der sächsischen Bevölkerung) von ca.<br />

2.000 sächsischen Ärzten entsprechend der Vorgaben der sächsischen sektorenübergreifenden Diabetes-Leitlinien,<br />

die die wissenschaftliche Basis bildeten, betreut. Dabei konnten ganz wesentliche Verbesserungen<br />

der Stoffwechsel- und Blutdruckeinstellungen erreicht werden. 58 Prozent aller Patienten, die<br />

zu Beginn der Beobachtung eine unzureichende Blutzuckereinstellung aufwiesen (HbA1c > 7,5 %), konnten<br />

bis zum Ende der Beobachtung in einen akzeptablen Bereich zurückgeführt werden (HbA1c ≤ 7,5 %).<br />

Bezogen auf alle eingeschlossenen Diabetiker konnte der mittlere HbA1c-Wert von 7,1 % ± 1,4 auf 6,8 %<br />

± 1,1 abgesenkt werden. Ähnlich gute Ergebnisse wie beim HbA1c konnten im SDMP auch bezüglich der<br />

Blutdruckabsenkung erreicht werden.<br />

Das integrierte Sächsische Diabetes-Betreuungsmodell (der 2. Generation) ist ein innovativer Weg gewesen,<br />

um die Diabetes-Versorgung kontinuierlich und landesweit zu verbessern. Mit diesem Betreuungsmodell<br />

ließen sich die mittleren HbA1c- und Blutdruckwerte kontinuierlich in einem ganzen Land senken.<br />

Abbildung 11 – Bessere Versorgung durch Integration<br />

6,2% 7,2 %<br />

1 / 2000<br />

6,4% 7,4 %<br />

6,6% 7,6 %<br />

6,8% 7,8 %<br />

7,0% > 7,8 %<br />

HbA1c<br />

7,1 + 1,3% 6,8 + 1,2%<br />

Blutdruck<br />

144/82 mmHg 140/81 mmHg 4 / 2002<br />

Quelle: Eigene Darstellung..<br />

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Nächste Schritte<br />

Derzeit soll das SDMP weiterentwickelt werden mit dem Ziel eines Paradigmenwechsels im Disease<br />

Management: weg vom Fokus auf das indikationsbezogene Management einzelner chronischer Erkrankungen<br />

hin zu einer ganzheitlichen Sicht, einem Chronic Care Konzept, das insbesondere Hausarztpraxen<br />

helfen soll, die Ergebnisqualität ihrer chronisch kranken, multimorbiden Patienten zu verbessern und damit<br />

ganz neue Perspektiven für die Versorgung gerade der meist multimorbiden Diabetespatienten mit<br />

MVS auch in Deutschland, zunächst modellhaft in Sachsen, bieten kann.<br />

Ziel ist nun die flächendeckende Implementation der Praxis-Leitlinie im Rahmen eines CCM-Programmes /<br />

Vertrages in Sachsen – von Präventionsmaßnahmen, Diagnostik, Therapiezielen und Therapiestandards<br />

des MVS insbesondere für Hausärzte, Internisten, Kardiologen, Angiologen, Gefäßchirurgen – durch intensive<br />

Weiter- und Fortbildungsaktivitäten und bevölkerungsweite Aufklärungskampagnen und Früherkennungsmaßnahmen.<br />

Dabei sollen die vielfältigen, positiven Erfahrungen mit der flächendeckenden Implementation<br />

und Evaluation des Sächsischen Betreuungsmodells (SDMP) zwischen 2000 und 2002 einfließen.<br />

In Verhandlungen mit den Krankenkassen soll das CCM für MVS später auch vertraglich implementiert<br />

werden (nach § 73 oder § 140 a–d SGB V). Durch den bisherigen Erfolg des SDMP und eine weiterhin<br />

ergebnisorientierte Betreuung der Patienten kann eine messbare Qualitätsverbesserung und eine Reduktion<br />

von Herzinfarkten erwartet werden.<br />

Ansprechpartner<br />

Priv.-Doz. Dr. med. Ulrike Rothe<br />

Stellvertretende Vorsitzende der Fachkommission Diabetes SLÄK<br />

Medizinische Fakultät der TU Dresden, I<strong>MB</strong><br />

Bereich Epidemiologie und Versorgungsforschung<br />

Fetscherstr. 74<br />

01307 Dresden<br />

Telefon: 0351 – 3177 231<br />

E-Mail: ulrike.rothe@tu-dresden.de<br />

www.imib.med.tu-dresden.de/diabetes/<br />

Literatur<br />

Alberti, K.G., Grundy S.M., Zimmet P.Z. et al. (2009). Harmonizing the metabolic syndrome: a joint interim statement of the<br />

International Diabetes Federation Task Force on Epidemiology and Prevention; National Heart, Lung, and Blood Institute;<br />

American Heart Association; World Heart Federation; International Atherosclerosis Society; and International Association<br />

for the Study of Obesity. Circulation, 2009 Oct 20;120(16):1640–5.<br />

The Diabetes Control and Complications Trial/Epidemiology of Diabetes Interventions and Complications (DCCT/EDIC) Study<br />

Research Group (2005). Intensive Diabetes Treatment and Cardiovascular Disease in Patients with Type 1 Diabetes. N Engl<br />

J Med 2005; 353:2643–2653.<br />

Hien, P., Böhm, B., Claudi-Böhm, S. et al. (2013). Diabetes-Handbuch, 7. Auflage, Springer Verlag, Heidelberg, Berlin, http://link.<br />

springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-540-48552-0.pdf.<br />

Heidemann, C.; Du, Y.; Schubert, I. et al. (2013). Prävalenz und zeitliche Entwicklung des bekannten Diabetesmellitus Ergebnisse<br />

der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1), Springer-Verlag Berlin Heidelberg, http://edoc.rki.de/<br />

oa/articles/reStimZmeS2/<strong>PDF</strong>/28z6BcQzEazE.pdf.<br />

Hunter D.J., Fairfield G. (1997). Disease management, Bmj 315, 50–53.<br />

80


Das Sächsische Betreuungsmodell • Innovation durch Integration<br />

Huppertz, E. (2011). Krankheitskostenstudien bei Diabetes mellitus: Allgemeine und besondere Aspekte: Springer-Verlag.<br />

http://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2Fs11428-010-0642-3.pdf.<br />

Rothe U., Müller G., Kunath H., Schulze J. (2003). Nutzen und Risiken des Disease Managements bei Diabetes mellitus. In:<br />

Pfaff, H. et al., (Hrsg.): Handbuch Gesundheitswissenschaften: Gesundheitsversorgung und Disease Management – Grundlagen<br />

und Anwendungen der Versorgungsforschung. Verlag Hans Huber Bern – Göttingen – Toronto – Seattle, 1. Auflage<br />

2003, 269–274.<br />

Rothe, Verlohren, Schulze (2011). Modernes Diabetes-Management, Vom Managed-Care über Disease Management zum<br />

Chronic-Care-Management.<br />

Schulze, J., Rothe, U. (2008). Leitlinie Metabolisch-Vaskuläres-Syndrom. Ein gutes Beispiel für eine evidenzbasierte, praxisorientierte,<br />

interkollegiale Zusammenarbeit.<br />

81


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

© <strong>MSD</strong>/Bardehle<br />

Dr. Jürgen Flohr, Lysann Kasprick mit Juror Dr. Rolf Koschorrek (v. r.)<br />

Sonderpreis:<br />

GeriVita<br />

Geriatrischer Versorgungslebenslauf<br />

Autoren: Jürgen Flohr und Lysann Kasprick<br />

Management Summary<br />

Die Clusterkonzeption GeriVita – der geriatrische Versorgungslebenslauf –, innerhalb des Modellprojektes<br />

GeriNet Leipzig, des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz, hat zum Ziel,<br />

geriatrische Patienten auf einem qualitativ hohen Niveau sektorenübergreifend zu versorgen und zu<br />

beraten. Das Projekt will die Souveränität der Patienten im Alter sicherstellen und deren Autonomie stärken<br />

– für ein selbstbestimmtes Leben im häuslichen Umfeld.<br />

GeriVita entstand 2012 aus einer Kooperation zwischen dem GeriNet Leipzig und dem Leipziger Gesundheitsnetz<br />

e. V. und soll bis Ende 2015 als Modellprojekt erprobt werden.<br />

Der Partner GeriNet ist ein im Jahr 2011 gegründetes Netzwerk mit über 900 versorgungsrelevanten<br />

Leistungserbringern aus der Region Leipzig. Zu ihm gehören unter anderem Haus- und Fachärzte, Pflege-<br />

82


GeriVita • Geriatrischer Versorgungslebenslauf<br />

fachkräfte, Apotheker, Krankenhäuser und die Wohnungswirtschaft. Das Netzwerk wird durch das Sächsische<br />

Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz sowie den sächsischen gesetzlichen Krankenkassen<br />

unterstützt.<br />

Das Leipziger Gesundheitsnetz e. V. wurde 2009 gegründet und besteht aktuell aus über 100 niedergelassenen<br />

Ärzten und Therapeuten.<br />

Die Kooperation der beiden Netze im Projekt GeriVita ist eine regionale Antwort auf den demografischen<br />

Wandel. Sie soll helfen, Über-, Unter- und Fehlversorgungen zu vermeiden. Eine Regelfinanzierung des<br />

Versorgungsmodells wird angestrebt.<br />

Einleitung<br />

Mit einer stetigen Zunahme des Altenquotienten steigt die Anzahl multimorbider, geriatrischer Patienten<br />

in Deutschland. Werden geriatrische Krankheiten frühzeitig erkannt, können sich Patienten und Angehörige<br />

bereits bei Beginn der Erkrankung mit dem Thema Versorgung auseinandersetzen. Deshalb entwickelte<br />

das Modellprojekt GeriVita einen Screening-Bogen zur Identifizierung des geriatrischen Patienten<br />

in der Haus- und Facharztpraxis. Der Fragebogen mit dem Namen ANGELINA ermöglicht es, den geriatrischen<br />

Patienten mit seinen unterschiedlichen Risikopotentialen rechtzeitig zu identifizieren und eine<br />

bestmögliche Versorgung in seinem Heimatquartier zu ermöglichen.<br />

Geriatrische Patienten benötigen ein komplexes, sektorenübergreifendes Versorgungsmodell – mit vielen<br />

unterschiedlichen Experten aus unterschiedlichen Fachbereichen. Ein Problem ist das zwar umfangreiche,<br />

jedoch sehr unstrukturierte ambulante Versorgungsangebot in Deutschland; es kann Patienten und<br />

Angehörige schnell überfordern. Das Leipziger Gesundheitsnetz und GeriNet Leipzig haben sich zum<br />

GeriVita-Modellprojekt zusammengeschlossen, um für diese umfangreichen Probleme eine Lösungsmöglichkeit<br />

zu bieten: Alle geriatrischen Patienten, die sich in einer Hausarztpraxis des Leipziger Gesundheitsnetzes<br />

vorstellen, werden anhand des Screening-Fragebogens ANGELINA auf geriatrische Symptome<br />

hin untersucht. Der ANGELINA-Fragebogen ist zum einen ein Selbstauskunftsbogen mit einer<br />

ergänzten Fremdeinschätzung durch den Mediziner. Im Falle einer geriatrischen Erkrankung und dem erfassten<br />

Risikopotential wird auch im Rahmen einer präventiven Hilfestellung der GeriNet-Fallmanager auf<br />

Wunsch informiert. Der Fallmanager begleitet je nach Bedarf den Patient und seine Familie durch das<br />

Gesundheits- und Sozialsystem. Die Hilfeleistung wird in drei Säulen unterschieden:<br />

1. finanzielle Hilfe<br />

2. strukturelle Hilfe<br />

3. kommunikativ-intersektorale Hilfe<br />

Der GeriNet Fallmanager übernimmt dann das nötige Versorgungsmanagement und leitet den Patienten<br />

anhand von einem individuellen Versorgungsplan an. Der Haus- und Facharzt, Therapeuten, Pflegedienst<br />

etc. erhalten ebenfalls auf Wunsch die aktuelle Hilfeplanung.<br />

Ziel ist es, dem Patienten und seiner Familie ein umfangreiches, problemfreies älter werden in der eigenen<br />

häuslichen Umgebung zu ermöglichen.<br />

Versorgungsherausforderung<br />

Der demografische Wandel stellt Deutschland vor zahlreiche Herausforderungen, um die soziale Sicherung<br />

aufrechtzuerhalten. Die Alterung der Bevölkerung ist Folge des Double-Aging-Prozesses. Auf der<br />

83


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

einen Seite geht die Zahl der Geburten zurück. Zwar soll der Anteil der unter 15-Jährigen leicht steigen<br />

– von 10,5 Prozent im Jahr 2005 auf 11,4 Prozent im Jahr 2020 – dennoch wird die Altersgruppe der unter<br />

20-Jährigen im bundesdeutschen Durchschnitt zahlen- und anteilsmäßig kleiner. Auf der anderen Seite<br />

steigt die Lebenserwartung. Außerdem führt der demografische Wandel zu einer Veränderung der Gesellschaft;<br />

beispielsweise existieren mehr Einpersonenhaushalte.<br />

Das hat erhebliche Auswirkungen auf das deutsche Gesundheitswesen und damit auf die Versorgung der<br />

Bevölkerung. Konsequenzen zeigen sich bei Finanzierungs- und Ausgabeneffekten.<br />

Der Finanzierungseffekt ist aufgrund der Verdoppelung des Altenquotienten in der deutschen Bevölkerung<br />

sehr stark. Besonders deutlich wird das in den neuen Bundesländern (s. Abbildung 12). Die Anzahl<br />

der Beitragszahler sinkt, während die Zahl der Beitragsempfänger stetig steigt. Das umlagefinanzierte<br />

System der gesetzlichen Krankenkassen ist dadurch gefährdet. Kam im Jahr 2009 noch ein Nichterwerbstätiger<br />

auf 2,8 Erwerbstätige (also Beitragszahler), wird im Jahr 2020 eine Gleichverteilung erwartet<br />

(Statistisches Bundesamt, 2009).<br />

Der Ausgabeneffekt wiederum beschreibt die Verteilung der Ausgabenprofile im Alter. Nachweislich<br />

sind die Gesundheitsausgaben in der Zeit vor dem Tod am höchsten. Eine effiziente Versorgung älterer<br />

Menschen kann somit Kosten sparen, was bei der zu erwartenden Entwicklung zwingend notwendig<br />

ist. Das Verbleiben zu Hause stellt daher im Alter nicht nur den größten Wunsch für jeden einzelnen<br />

Betroffenen dar, sondern wird für die nächsten Generationen eine der größten Herausforderungen im<br />

Solidaritätsprinzip. Umso wichtiger wird das rechtzeitige Erkennen der Risikofaktoren im Alter, um präventiv<br />

in der Aufklärung und Begleitung der geriatrischen Patienten und ihren Familien wirken zu können.<br />

Abbildung 12 – Altenquotient der Bundesländer 2008 und 2030<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

2008<br />

2030<br />

20<br />

10<br />

0<br />

BW BY HE NI NW RP SL SH TH BB MV SN ST BE HB HH<br />

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2011).<br />

84


GeriVita • Geriatrischer Versorgungslebenslauf<br />

Die Geriatrie ist ein Zweig der Medizin, der sich mit den Erkrankungen und den präventiven, klinischen,<br />

rehabilitativen und sozialen Aspekten älterer Menschen beschäftigt (Bundesverband Geriatrie, 2010). Die<br />

deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG), die Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie<br />

(DGGG) und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Klinisch-Geriatrischen Einrichtungen e.V. (BAG) definieren<br />

den geriatrischen Patienten wie folgt:<br />

• Geriatrische Multimorbidität<br />

• Hohes Lebensalter (überwiegend 70 Jahre oder älter)<br />

• Die geriatrische Multimorbidität ist hierbei vorrangig vor dem kalendarischen Alter zu sehen<br />

oder:<br />

• Alter 80+ Jahre auf Grund der alterstypisch erhöhten Vulnerabilität, z. B. wegen des Auftretens von<br />

Komplikationen und Folgeerkrankungen, der Gefahr der Chronifizierung sowie des erhöhten Risikos eines<br />

Verlustes der Autonomie mit Verschlechterung des Selbsthilfestatus.<br />

Laut WHO soll bei geriatrischen Patienten insbesondere gewährleistet werden, dass sie neben ihrer<br />

Krankheit weiterhin am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und ihr Leben selbstbestimmt führen können.<br />

Geriater stehen somit vor der Herausforderung, eine komplexe, interdisziplinäre und fachmedizinische<br />

Behandlung zu erbringen. Gleichzeitig soll dem Patienten im Rahmen eines Gesamtbehandlungskonzepts<br />

soziale Unterstützung geboten werden.<br />

Diesem herausfordernden Versorgungsprozess wird die derzeitige Situation in der Akut- und Rehabilitationsmedizin<br />

nicht ausreichend gerecht. Gründe dafür sind beispielsweise ein unzureichendes Screening<br />

zur Gesundheitssituation älterer Menschen, mit dem frühzeitig Risikopotentiale erkannt werden könnten.<br />

Auch die Wechselwirkungen der fachlichen Spezifikationen werden nicht ausreichend berücksichtigt<br />

(etwa Doppeluntersuchungen). Die dafür notwendige sektorenübergreifende Zusammenarbeit der Leistungserbringer<br />

ist in Deutschland durch die gesundheitspolitischen Strukturen schwer zu realisieren. Damit<br />

der Patient einen ausreichenden Grad an Selbstständigkeit erreichen kann, sollte auch der Rehabilitationsbedarf<br />

stärker in den Fokus rücken.<br />

In Sachsen liegt der Anteil der Bevölkerung über 65 Jahre bei 23,5 Prozent. Für 2020 wird ein Anstieg auf<br />

28,5 Prozent prognostiziert. Im Jahr 2008 hatte Sachsen den höchsten Altenquotienten Deutschlands.<br />

Das Bundesland musste einen Weg finden, mit diesem Problem umzugehen.<br />

Um der Entwicklung des Altenquotienten zu begegnen, wurde 2009 mit der Entwicklung eines Geriatriekonzepts<br />

begonnen – unter der Leitung des Sächsischen Staatsministeriums und des Landesverbandes<br />

Geriatrie in Sachsen. Darin wird die Situation in Sachsen ausführlich beschrieben, weitere Handlungsmöglichkeiten<br />

werden aufgezeigt. Das Geriatriekonzept teilt Sachsen in vier regionale Bereichsgruppen<br />

auf. In absoluten Zahlen weisen die Regionen Leipzig und Dresden die höchsten Zahlen der über 65-Jährigen<br />

in Sachsen auf. Aufgrund ihrer großen Einwohnerzahl leben in beiden Städten mehr als 100.000<br />

Einwohner, die älter sind als 65 Jahre. Diese Zahl ist maßgeblich für den Bedarf der geriatrischen Versorgung.<br />

GeriVita ist eine Antwort auf die komplexen Versorgungssysteme im Alter sowie der hohen Ausgabenprofile<br />

und der starken demografischen Alterung in Sachsen, insbesondere in Leipzig. Die Notwendigkeit<br />

eines transparenten und regional wirkenden Versorgungsnetzwerks wird durch den ersten Zwischenbericht<br />

der evaluierenden Hochschule noch einmal unterstrichen, der bestätigt, dass die Vielfalt an Versorgungsangeboten<br />

weder zur rechtzeitigen Vorsorgen noch zum Verbleib im Heimatquartier führt.<br />

85


Ein interdisziplinäres Versorgungskonzept für geriatrische Patienten ist deshalb sehr zu begrüßen. Im ambulanten<br />

Bereich soll versucht werden, sektorenübergreifende Strukturen aufzubauen, um älteren Patienten<br />

im Alter ein selbstbestimmtes Leben in ihrer häuslichen Umgebung bieten zu können.<br />

Entstehungsgeschichte<br />

Das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz hat auf Basis seines landes -<br />

eigenen Geriatriekonzepts das Land Sachsen in vier Modellregionen aufgeteilt, um in jeder Region ein<br />

regional wirkendes geriatrisches Netzwerk zu etablieren. Jedes Netzwerk ist dadurch mit den speziellen<br />

regionalen Gegebenheiten vertraut und hilft auf direktem Wege den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort.<br />

GeriNet Leipzig, für die Stadt und den Landkreis Leipzig, stellt eines der vier Modellregionen dar und<br />

wurde im Jahre 2011 gegründet. Seit seiner Gründung zählt das Projekt rund 900 Mitglieder. Aus der<br />

Kooperation im Jahre 2012 mit dem Leipziger Gesundheitsnetz e. V. entstand GeriVita (s. Abbildung 13).<br />

Das Leipziger Gesundheitsnetz e. V. ist 2009 entstanden und besteht zurzeit aus über 100 Haus- und<br />

Fachärzten sowie Therapeuten. Es resultierte aus der Idee, ambulant tätige Ärzte aller Fachbereiche zu<br />

vernetzen, um den Patienten eine sektorenübergreifende, bedarfsgerechte und innovative Versorgung<br />

bieten zu können.<br />

Kernelemente<br />

Versorgungskonzept<br />

Die ambulante Versorgung ist in Deutschland breit aufgestellt. Verschiedene Angebote versuchen, den<br />

steigenden Bedarf der Patienten abzudecken. In Summe werden die Angebote aber schnell unübersichtlich.<br />

Gerade für geriatrische Patienten stellt das Angebot eine große Herausforderung dar, die manchmal<br />

unüberbrückbar erscheint.<br />

Der geriatrische Patient zeichnet sich durch ein hohes Alter aus. Er ist geprägt durch seine Multimorbidität<br />

und Vulnerabilität und er ist leicht anfällig für Erkrankungen. Ein komplexes und individuelles Versorgungskonzept<br />

ist für diese Patienten deshalb von besonderer Bedeutung. GeriVita macht es möglich, Risikopatienten<br />

frühzeitig zu erkennen – mit Hilfe des Selbstauskunftsbogen ANGELINA. Das hat den Vorteil,<br />

dass sich zu diesem Zeitpunkt noch präventive Maßnahmen einleiten lassen und Patienten und Angehörige<br />

von Anfang an, an ihrem Versorgungsprozess und einer Entscheidungsfindung für das Leben<br />

mit Einschränkungen im Heimatquartier vorsorgen und bewusst teilnehmen können. Die Identifizierung<br />

geriatrischer Patienten mit dem Selbstauskunftsbogen ANGELINA erfolgt in einer der Arztpraxen des<br />

Leipziger Gesundheitsnetzes e.V. Bei Bedarf wird der Patient an einen GeriNet-Fallmanager überwiesen,<br />

der sich dann um das individuelle Versorgungskonzept kümmert, welches für den Patienten und seine<br />

Angehörige ideal ist. Dabei sind diese bei der Entwicklung des Versorgungskonzepts eingebunden. Im<br />

Rahmen von Selbsthilfegruppen, Angehörigenschulungen sowie Entlastungsprogrammen bildet der pflegende<br />

Angehörige einen der wichtigsten Bausteine, um ein Verbleiben des Betroffenen zu Hause ermöglichen<br />

zu können. Sie werden geschult, um zukünftig leichter selbstständige Entscheidungen für sich und<br />

ihren Betroffenen zu treffen.


GeriVita • Geriatrischer Versorgungslebenslauf<br />

Abbildung 13 – Kooperation zwischen Leipziger Gesundheitsnetz e.V. und GeriNet Leipzig<br />

GeriVita<br />

Leipziger<br />

Gesundheitsnetz e.V.<br />

GeriNet Leipzig<br />

Haus- Fachärzte<br />

Hausärzte<br />

Ambulante Pflegedienste<br />

Pflegeheime<br />

Fachärzte<br />

Tagespflege<br />

etc.<br />

Therapeuten<br />

> 100 Mitglieder<br />

(seit 2009)<br />

> 900 Mitglieder<br />

(seit 2011)<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Zielgruppe<br />

GeriNet Leipzig ist ein Modellprojekt, das auf Basis des sächsischen Geriatriekonzepts entwickelt wurde,<br />

um der spezifischen Versorgungssituation des Landes Sachsen zu begegnen. Sachsen ist aufgrund seines<br />

extrem hohen Altersquotienten besonders früh von den Konsequenzen der demografisch älter werdenden<br />

Bevölkerung betroffen. Das Kooperationsprojekt GeriVita ist in der Stadt und im Landkreis Leipzig<br />

angesiedelt und gezielt auf die ältere Bevölkerung ausgerichtet – den aktiven Senior und den älter werdenden<br />

geriatrischen Patienten (Definition siehe Ausgangssituation).<br />

Ältere Menschen und deren Angehörige sollen durch das Modellprojekt aktiv in ihren Entscheidungsprozessen<br />

im Rahmen des Gesundheits- und Sozialsystems unterstützt werden. Ein selbstverantwortliches<br />

Leben auch im Alter in der Häuslichkeit ist das oberste Ziel. Das Versorgungsangebot in Deutschland<br />

ist sehr vielfältig, jedoch für den alternden Menschen und seinen Angehörigen häufig strukturlos und<br />

das Finden der geeigneten Unterstützungsmöglichkeit häufig allein nicht zu finden. Menschen, die nach<br />

einem Krankenhausaufenthalt Unterstützung suchen, fühlen sich in den deutschen Versorgungsstrukturen<br />

häufig schlecht betreut oder gar nach Auszug aus der eigenen Häuslichkeit falsch beraten – genau wie<br />

Patienten, die aufgrund ihrer Multimorbidität mehrere Leistungserbringer aufsuchen sollten, sind mit den<br />

vielfachen Angeboten überfordert. Ein individuelles Fallmanagement mit einem festen Ansprechpartner<br />

87


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

kann dabei eine große Hilfe für die betroffenen Personen sein. Deshalb wird in dem Modellprojekt Geri-<br />

Vita all denjenigen Patienten eine Teilnahme an einem Screening mit dem ANGELINA-Fragebogen angeboten,<br />

die eine Hausarztpraxis des Leipziger Gesundheitsnetzes aufsuchen und mindestens vier<br />

Erkrankungen aufweisen. Bei Bedarf empfiehlt der Hausarzt dann eine Sprechstunde mit einem dafür<br />

ausgebildeten Fallmanager.<br />

Versorgungselemente<br />

Alle Patienten, die Mehrfacherkrankungen haben, also mindestens vier Krankheiten, und die älter sind als<br />

75 Jahre, können in einer hausärztlichen Gemeinschaftspraxis des Leipziger Gesundheitsnetzes einen<br />

Selbstauskunftsbogen ausfüllen – den Screening-Bogen ANGELINA. Mit diesem Bogen wird der Patient<br />

zu seinem Wohn- und Hilfsbedarf befragt, zur Einnahme von Medikamenten, zur Mobilität, zur Funktionsfähigkeit<br />

seiner Sinne, nach Krankenhausaufenthalten, seinen kognitiven Fähigkeiten und zu seiner Gefühlsstimmung.<br />

Das Bewertungssystem führt zu einer Erstidentifikation geriatrischer Symptome. Der<br />

Arzt kann so den Bedarf des Patienten ermitteln, der über die ärztlichen Belange hinaus geht. Die Befragung<br />

wird durch den Hausarzt in einer der Leipziger Gesundheitsnetz-Praxen durchgeführt. Weist die<br />

Befragung des Patienten geriatrische Symptomatiken auf, überweist der Hausarzt ihn zum Erstgespräch<br />

an einen GeriNet-Fallmanager. Diesen können der Patient und/oder der Angehörige jeden ersten Freitag<br />

im Monat zum Erstgespräch aufsuchen – zwischen 8.00 Uhr und 12.00 Uhr in der Praxis von Frau Dr.<br />

med. Sommer und Herrn Dr. med. Flohr in Leipzig.<br />

Die GeriNet-Fallmanager können dann aus dem persönlichen Erstgespräch und aus dem bereits ausgefüllten<br />

Selbstauskunftsbogen den spezifischen Versorgungsbedarf der o. g. Kategorien (Mobilität,<br />

Kognition, Aktivitäten des täglichen Lebens etc.) des Patienten ermitteln. Während der Beratung füllt<br />

der Fallmanager ein Beratungsprotokoll aus. Dabei dokumentiert er Angaben zur Person, zum Berater<br />

und zur Pflegestufe des Patienten. Des Weiteren wird in diesem Bogen auch der Beratungsinhalt festgehalten,<br />

wie beispielsweise die Inanspruchnahme von Schulungskonzepten oder gestellte Anträge<br />

(Schwerbehindertenausweis, Pflegestufe, Rehabilitation, Sozialhilfe). Abhängig vom Bedarf werden daraufhin<br />

weitere Schritte eingeleitet, um dem Patienten systematisch eine adäquate Versorgung im Heimatquartier<br />

zu ermöglichen.<br />

Die Abstimmung über ein entsprechendes Versorgungskonzept entsteht in Zusammenarbeit mit dem<br />

Patienten. Patient und Angehörige werden in den Entscheidungsprozess von Anfang an integriert: Vorund<br />

Nachteile von Versorgungsstrukturen werden besprochen, am Ende trifft der Patient die Entscheidung<br />

über das Versorgungskonzept selbst. Dieses Schulungsprogramm soll dem Konzept Nachhaltigkeit<br />

verleihen, die Patientensouveränität stärken und seine Entscheidungs- und Handlungskompetenz<br />

steigern – damit das ambulante Versorgungsangebot für Patient und Angehörige beherrschbarer wird und<br />

bleibt.<br />

Durch die Übernahme des Fallmanagements von einem dafür ausgebildeten Mitarbeiter des GeriNet<br />

Leipzig kann die Versorgung innerhalb der häuslichen Umgebung des Patienten organisiert werden. Dem<br />

Patienten wird es durch die Teilnahme an dem Versorgungskonzept ermöglicht, ein selbstbestimmtes<br />

Leben zu führen – in seiner gewohnten, häuslichen Umgebung.<br />

Der Patient hat zudem die Möglichkeit, dem Fallmanager eine Vollmacht zur weiteren Organisation seiner<br />

Versorgung auszustellen. Vier Wochen nach dem Koordinationsgespräch wird erneut Rücksprache über<br />

den entwickelten Hilfeplan gehalten. Die Durchführung des Versorgungskonzepts wird ergebnisorientiert<br />

evaluiert.<br />

88


GeriVita • Geriatrischer Versorgungslebenslauf<br />

Abbildung 14 – Ablaufprozess nach positiver Identifikation eines geriatrischen Patienten in der Hausarztpraxis<br />

Leipziger Gesundheitsnetzwerk e.V.<br />

Hausärztliche Gemeinschaftspraxen<br />

GeriNet Leipzig<br />

> 75 Jahre<br />

min. 4<br />

Erkrankungen<br />

Screeningbogen<br />

ANGELINA<br />

(Selbstauskunftsbogen)<br />

Identifikation geriatrischer Patienten<br />

Ermittlung des nichtärztlichen Bedarfs<br />

Einleitung der<br />

individuellen<br />

Fallsteuerung mit<br />

Erstgespräch<br />

durch<br />

Fallmanager<br />

Diagnostische und<br />

Therapeutische Behandlung<br />

durch Hausarzt<br />

Rückmeldung<br />

Beratungsprotokoll<br />

Einwilligungserklärung<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Mehrwert<br />

Die Beratungs-, Versorgungs- und Behandlungsprozesse werden in einer elektronischen Patientenakte<br />

gespeichert. Durch den effizienteren Versorgungsprozess werden bürokratische Strukturen abgebaut und<br />

Doppeluntersuchungen vermieden – dank einer verbesserten Kommunikation und Kooperation der Leistungserbringer<br />

aller Sektoren. Die Behandlungsschritte der Patienten können dadurch besser aufeinander<br />

abgestimmt werden. Das spart Zeit, wovon Leistungsempfänger, also der Patient, Leistungserbringer<br />

(Ärzte, Pflegekräfte, Therapeuten) und Leistungsfinanzierer profitieren (Krankenkassen und Selbstzahler).<br />

Die elektronische Patientenakte führt in Verbindung mit dem Screening-Bogen ANGELINA zu einer verbesserten<br />

Identifikation von Hochrisikopatienten. Sekundäre Präventionsmaßnahmen können frühzeitig<br />

eingeleitet werden. Im Idealfall führt das zu gesundheitsökonomischen Einsparungsmöglichkeiten für<br />

die Krankenkassen (Leistungsfinanzierer). Zudem können durch ein Fallmanagement Über-, Unter- und<br />

Fehlversorgung aufgedeckt und unnötige Kosten vermieden werden. Dieser Mehrwert für Patient und<br />

Arzt wird in einer Regelversorgung nicht geboten.<br />

Durch ein auf den Patienten individuell abgestimmtes Versorgungsmanagement kann man den Versorgungsanforderungen<br />

gerecht werden – eine Aufgabe, die ältere Menschen oft überfordern: zu groß und<br />

dadurch zu unübersichtlich ist das Angebot. Das Lenken und Leiten – in regionalen Beratungs-, Behandlungs-<br />

und Versorgungspfaden und durch einen regionalen GeriNet-Fallmanager – ermöglicht ein gezieltes<br />

Eingehen auf die Bedürfnisse des Patienten – und damit ein Leben in häuslicher Umgebung. Durch<br />

das gemeinsame Erörtern der unterschiedlichen Handlungsoptionen wird die Patientensouveränität gestärkt;<br />

eigenmächtige Entscheidungen, die unter Umständen gar nicht im Interesse des Patienten sind,<br />

werden vermieden. Zudem verschafft man sich durch das persönliche Gespräch die Gewissheit, dass der<br />

89


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Patient die unterschiedlichen Handlungsoptionen verstanden hat. Das Ziel der Wissenserweiterung zeigt<br />

sich auch in Form von Schulungen: für ein selbstbestimmtes Leben im Alter und um Krisensituationen<br />

zukünftig besser bewältigen zu können. Durch ein höheres Selbstwertgefühl des Patienten steigt schließlich<br />

dessen Lebensqualität. Geistige und körperliche Mobilität werden gestärkt, Depressionen wird vorgebeugt.<br />

Tabelle 10 – Projektziele und Mehrwert für die am Prozess Beteiligten<br />

Patienten und Angehörige<br />

Ärzte-, Pflege- und Therapeutenschaft<br />

Kostenträger<br />

Kommune und Wohnungswirtschaft<br />

Fallmanagement führt zu einer verbesserten Nutzung von<br />

Versorgungsangeboten<br />

Selbstbestimmtes Leben in häuslicher Umgebung<br />

Mehr Autonomie durch Stärkung der Handlungskompetenz<br />

Elektronische Patientenakte führt durch Zeitgewinn zu effizienteren<br />

Patientenversorgung<br />

Reduzierung des bürokratischen Aufwands<br />

Über-, Unter- und Fehlversorgung wird vermieden<br />

(keine Doppeluntersuchungen)<br />

Qualitätsverbesserung durch Förderung sektorenübergreifender<br />

Zusammenarbeit<br />

Folgekosten aus Über-, Unter- und Fehlversorgung werden verringert<br />

Durch häusliche Umgebung Vermeidung von Landflucht<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Das Modellprojekt GeriVita bietet auch der Region Leipzig und Umland einen Mehrwert. Durch das<br />

Management der GeriNet-Mitarbeiter wird das Verbleiben in der gewohnten häuslichen Umgebung ermöglicht.<br />

Landflucht wird vermieden. Eine Dokumentation der Versorgungsstruktur in der elektronischen<br />

Patientenakte ermöglicht zudem eine zukunftssichere Städte- und Sozialplanung.<br />

Finanzierung<br />

Das Modellprojekt GeriNet wird als Modellprojekt vom Sächsischen Staatsministerium für Soziales<br />

und Verbraucherschutz sowie von den gesetzlichen Krankenkassen seit Januar 2011 gefördert. In der<br />

ersten Projektphase läuft das Modellprojekt bis zum 31.12.2013. Die zweite Projektphase schließt sich<br />

voraussichtlich bis zum 31.12.2015 nahtlos an, um auch hier eine repräsentative Verlaufsforschung im<br />

Rahmen einer fünfjährigen Fallbegleitung der geriatrischen Patienten ermöglichen zu können. Für das<br />

im Jahre 2012 aus der Kooperation zwischen GeriNet Leipzig und dem Leipziger Gesundheitsnetz e.V.<br />

entstandene GeriVita liegt kein gesondertes Vertragsmodell mit einer Krankenkasse vor, beispielsweise<br />

nach § 73 SGB V oder § 140a–d SGB V, und zwar weder für das Screening-Verfahren ANGELINA noch<br />

für die anschließenden Beratungsleistungen. Eine Förderung durch das Sächsische Staatsministerium für<br />

Soziales und Verbraucherschutz liegt aber nahe und wird deshalb in Zukunft angestrebt. Auch eine Förderung<br />

durch die Kassenärztliche Vereinigung sowie der federführenden gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen<br />

rückt in den Fokus der Finanzierungssäulen.<br />

Zudem muss keine Pflegestufe des zu betreuenden Patienten vorliegen. Eine koordinierte Steuerung bei<br />

komplexem Hilfebedarf des Patienten ist bereits in § 7a SGB XI verankert.<br />

90


GeriVita • Geriatrischer Versorgungslebenslauf<br />

Management<br />

Das Modellprojekt GeriVita ist aus der Kooperation von GeriNet Leipzig und dem Leipziger Gesundheitsnetz<br />

e.V. entstanden.<br />

GeriNet Leipzig besteht aus drei Mitarbeitern und ca. 900 Netzwerkmitgliedern. Projektleiter ist Dr. med.<br />

Ralf Sultzer, Chefarzt des HELIOS Geriatriezentrums Zwenkau und stellvertretender Vorsitzender des<br />

Landesverbands Geriatrie. Frau Lysann Kasprick ist Projektmanagerin. Sie hat eine abgeschlossene Berufsausbildung<br />

als Krankenschwester, ist Diplom Sozialpädagogin (FH) und hat zudem einen Masterabschluss<br />

in Gesundheitswissenschaften. Die dritte Mitarbeiterin ist die Diplom-Pflegewirtin Henrike Baldauf.<br />

Sie besitzt zwei Jahre Berufserfahrung im Bereich Pflege und Rehabilitationsberatung.<br />

Die Projektleitung des Leipziger Gesundheitsnetzes besteht ebenfalls aus drei Mitarbeitern: Dr. med.<br />

Jürgen Flohr als Projektleiter sowie den Ansprechpartnern Sandra Kemerle (Diplom Psychologin) und<br />

Sebastian Klein (M.Sc. Medieninformatik). Das Netzwerk besteht derzeit insgesamt aus über 100 Mitgliedern.<br />

Evaluation<br />

Das Modellprojekt GeriVita wird seit seinem Beginn im Juli 2012 wissenschaftlich von der Westsächsischen<br />

Hochschule Zwickau betreut und evaluiert. Ein Ende der Erprobung ist für den 31.12.2015 vorgesehen.<br />

Dabei werden Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität gemessen. In einer ersten Phase wurden die<br />

Qualitätsparameter bereits deskriptiv ausgewertet.<br />

Bis zur ersten Evaluation des Projekts im März 2013 nahmen 24 Patienten die Beratung durch einen GeriNet-Fallmanager<br />

in Anspruch, davon je zwölf Frauen und Männer. 11 Patienten suchten den Fallmanager<br />

persönlich auf, 13 wurden durch Angehörige vertreten. Im Mittel lag das Alter der Patienten bei 79,1 ± 4,3<br />

Jahren.<br />

Patienten und Angehörige wollten überwiegend über Leistungen zur Pflegeversicherung beraten werden<br />

(88%). All diese Patienten waren zu Beginn ihrer Beratung in keiner Pflegestufe. 57 Prozent von ihnen<br />

stellten daraufhin einen Antrag. Ein Drittel der Patienten übergaben ihre Versorgung durch eine Vorsorgevollmacht/Patientenverfügung<br />

in die Hände der Fallmanager.<br />

Nächste Schritte<br />

GeriVita strebt ein flächendeckendes geriatrisches Versorgungskonzept in Leipzig und Umland an. Versorgungsmöglichkeiten<br />

sollen aufeinander abgestimmt werden, unterstützt durch Netzwerk- und Fallmanager.<br />

Da die Erstellung und Implementierung von Screening-Instrumenten der rechtzeitigen Erkennung von<br />

Risikopotential im Alter dient, sollen auch Notfallaufnahmen und Krankenhäuser zukünftig an dem Screening<br />

teilnehmen. Es wird eine präventive Untersuchung aller über 70-Jährigen beim Hausarzt angestrebt.<br />

Zudem soll ein Leistungskatalog von den GeriNet-Fallmanagern sowie den Ärzten des Leipziger Gesundheitsnetzes<br />

erarbeitet werden. In Form einer Leitlinie sollen darin die finanziellen, strukturellen und kommunikativen<br />

Hilfestellungen für den Patienten beschrieben sein.<br />

Die Patienten- und Dienstleistungsplattform des Leipziger Gesundheitsnetzes e.V. soll weiterentwickelt<br />

werden, beispielsweise durch eine online zur Verfügung gestellte geodifferenzierte Datenbank mit allen<br />

91


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Versorgungsanbietern der Region. Zudem verfolgt GeriVita das Ziel, die elektronische Patientenakte weiterzuentwickeln<br />

für eine verbesserte Kommunikation und Kooperation zwischen den Leistungserbringern.<br />

Dabei werden datenschutzrechtliche Vorgaben strikt eingehalten.<br />

Als eine der vier Modellregionen wird GeriNet finanziell durch das Sächsische Staatministerium unterstützt.<br />

Eine erste Evaluation zur Prozess-, Struktur- und Ergebnisqualität des Projekts wurde bereits vorgenommen.<br />

Zukünftig soll es eine finanzielle Beteiligung der kommunalen und länderspezifischen Strukturen<br />

geben.<br />

GeriVita bietet dem Freistaat Sachsen eine regionale und individuelle Lösung für geriatrische Patienten,<br />

aus der Aktionspläne wie zu Diabetes und Demenz abgeleitet werden können. Deshalb erhofft man sich<br />

zukünftig auch bei GeriVita eine Teilfinanzierung durch das Sächsische Staatsministerium für Soziales und<br />

Verbraucherschutz sowie durch die Sächsische Staatskanzlei.<br />

Ansprechpartner<br />

Dr. Jürgen Flohr<br />

Projektleitung<br />

Leipziger Gesundheitsnetz e.V.<br />

Prager Str. 191<br />

04299 Leipzig<br />

Telefon: 0341 – 355 408 28<br />

E-Mail:<br />

sebastian.klein@gesundheitsnetz-leipzig.de<br />

www.gesundheitsnetz-leipzig.de<br />

Dr. med. Ralf Sultzer/ M.Sc. Lysann Kasprick<br />

Projektleitung/ Projektmanagement<br />

GeriNet<br />

Pestalozzistr. 9<br />

04442 Zwenkau<br />

Telefon: 034203 – 42 125<br />

E-Mail: lysann.kasprick@gerinet-leipzig.de<br />

www.gerinet-leipzig.de<br />

Literatur<br />

Bundesverband Geriatrie (2010). Weißbuch Geriatrie, Die Versorgung geiatrischer Patienten: Strukturen und Bedarf – Status<br />

Quo und Weiterentwicklung, 2. durchgesehene Auflage, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2010.<br />

Kloppisch, C. (2012). GeriVita - Geriatrischer Versorgungslebenslauf Sicherstellung der Patientenautonomie im Rahmen der<br />

umfassenden geriatrischen Versorgung in der Hausarztpraxis, Zwischenergebnisse der ersten Beratung geriatrischer Patienten<br />

im Jahr 2012, Zwickau 2012.<br />

Knoblauch, D. (2009). Geriatriekonzept des Freistaates Sachsen, Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz,<br />

Dresden 2009.<br />

Statistisches Bundesamt (2011). Demographischer Wandel in Deutschland, Bevölkerungs- und Haushaltsentwicklung im Bund<br />

und in den Ländern, Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Wiesbaden 2011.<br />

Statistisches Bundesamt (2009). Bevölkerung Deutschlands bis 2060, 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Wiesbaden<br />

2009.<br />

92


GO-LU und PRAVO • Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz optimiert versorgen<br />

GO-LU und PRAVO<br />

Optimierung der Versorgung von Patienten mit chronischer<br />

Herzinsuffizienz<br />

Autoren: Jürgen Pflaum und Jörg Trinemeier<br />

Management Summary<br />

Das Versorgungsprojekt zur Optimierung der Versorgung von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz<br />

bietet Herzinsuffizienz-Patienten eine qualitativ hochwertige und individuelle Versorgung, die über die<br />

Regelversorgung hinausgeht. Die Patienten werden interdisziplinär versorgt und anhand abgestimmter<br />

Behandlungspfade betreut – und zwar sowohl von Haus- und Fachärzten als auch von speziell ausgebildeten<br />

Krankenschwestern, den so genannten Herzinsuffizienz-Nurses, die die Patienten zu Hause besuchen<br />

und regelmäßig telefonisch betreuen.<br />

Die Umsetzung im ambulanten Sektor in den Regionen Ludwigshafen und Speyer soll vor allem die Lebenserwartung<br />

der Patienten steigern und deren Lebensqualität erhöhen. Darüber hinaus ergeben sich<br />

wirtschaftliche Vorteile für die Kostenträger. Weiterhin wird hier eine Behandlung im multiprofessionellen<br />

Team ermöglicht, für die schon bei vielen anderen chronischen Erkrankungen entscheidende Verbesserungen<br />

gezeigt wurden: durch ein verbessertes Verständnis der Patienten für ihre Erkrankung können sie<br />

effektivere Coping-Strategien entwickeln, dadurch kommt es zu einer Erhöhung der Lebensqualität und<br />

zu einer Prognoseverbesserung.<br />

Das Projekt wird getragen von den Ärztenetzen GO-LU (Gesundheitsorganisation Ludwigshafen eG) und<br />

PRAVO (Praxisnetz Vorderpfalz in Speyer). Integrierte Versorgungsverträge nach § 140a-d SGB V bestehen<br />

mit der Vertragsarbeitsgemeinschaft des BKK Landesverbandes Mitte, der Sozialversicherung für Landwirtschaft,<br />

Forsten und Gartenbau Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland sowie der IKK Südwest. Derzeit<br />

sind etwa 30 Prozent der Gesamtversicherten dieser Kassen in den beiden Netz-Regionen eingeschrieben.<br />

Einleitung<br />

Kardiologische Erkrankungen stellen eine erhebliche Gefahr dar, vor allem für die alternde Bevölkerung in<br />

westlichen Ländern. Während sich viele Versorgungsprojekte eher inhaltlichen Zielen widmen, geht das<br />

vorliegende Projekt die organisatorischen und strukturbedingten Herausforderungen an. Durch die Etablierung<br />

eines neuen Berufsfeldes sollen Haus- und Fachärzte entlastet und Patienten mit mehr Verantwortung<br />

betraut werden. Die sogenannte Herzinsuffizienz-Nurse leistet einen erheblichen Betrag zur<br />

verbesserten Kommunikation und Koordination aller Behandler und trägt langfristig zu einer erhöhten<br />

Lebensqualität der Patienten bei.<br />

Versorgungsherausforderung<br />

Die chronische Herzinsuffizienz ist in vielen westlichen Nationen eine der größten Versorgungsherausforderungen,<br />

schließlich betrifft sie einen erheblichen Anteil der alternden Bevölkerung. Genaue Zahlen für<br />

93


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Prävalenz und Inzidenz gibt es nicht. In Deutschland wird aber von einer Prävalenz von rund einem Prozent<br />

der Bevölkerung ausgegangen (Neumann, 2009). Je höher das Alter, desto höher auch die Prävalenzraten<br />

(Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) et al. 2009). Aus diesem<br />

demographischen Grund, und wegen des technischen Fortschritts, ist von einer steigenden Tendenz<br />

auszugehen. Bei Männern und Frauen gibt es deutliche Unterschiede im Schweregrad der Krankheit. So<br />

ist sie die häufigste Diagnose für einen stationären Krankenhausaufenthalt bei Frauen und nur die dritthäufigste<br />

bei Männern. Außerdem ist die Krankheit die zweithäufigste Todesursache bei Frauen und die<br />

vierthäufigste Todesursache bei Männern (Neumann, Biermann et al., 2009).<br />

Trotz guter Evidenzlage und einer vorliegenden S3-Leitlinie ist die Fehlversorgung in Deutschland gegenwärtig.<br />

Oftmals kommt es zu einer unnötigen Dekompensation, weil zum Beispiel Medikamente fehlverordnet<br />

oder nicht eingenommen werden. Die daraus resultierenden unnötigen Krankenhausaufenthalte<br />

sind nicht nur kostspielig, sie belasten auch die Patienten. Grund für die Fehlversorgung ist eine zu geringe<br />

Einbindung des Patienten und die unzureichende Kommunikation zwischen den Leistungserbringern<br />

– sowohl im Vorfeld als auch im Nachgang. In der Nationalen Versorgungsleitlinie werden unterschiedliche<br />

Maßnahmen erwähnt, wie Schnittstellenmanagement ein Teil der Versorgung werden kann, und<br />

zwar, ohne den Patienten weiter zu belasten, sondern ihm im Gegenteil mehr Aufmerksamkeit und Kontinuität<br />

in der Versorgung zu sichern. Insbesondere das regelmäßige Monitoring kritischer Parameter –<br />

schon bevor ein Krankenhausaufenthalt überhaupt notwendig wird – ermöglicht, gefährliche Veränderungen<br />

des Gesundheitszustandes beim Herzinsuffizienz-Patienten früh zu erkennen und entsprechende<br />

Maßnahmen zeitnah einzuleiten.<br />

Die vorliegende Projektvorstellung zeigt, dass eine neue Berufsgruppe zur Behandlung einer chronischen<br />

Krankheit erheblich beitragen kann – die sogenannte Herzinsuffizienz-Nurse. Sie ermöglicht es, die klaffende<br />

Lücke zwischen den Versorgungssektoren zu schließen und somit die Kommunikation und Koordination<br />

zwischen allen Akteuren zu verbessern. Für die Patientenversorgung bringt der persönliche Kontakt<br />

eine engmaschige Therapiekontrolle, er ist aber auch Motivation für den eigenverantwortlichen<br />

Umgang mit der Krankheit (Coping-Strategien). Für alle Beteiligten kann die Versorgungsqualität erhöht<br />

werden.<br />

Entstehungsgeschichte<br />

Im Rahmen des vorliegenden Versorgungsprojektes „Optimierung der Versorgung von Patienten mit<br />

chronischer Herzinsuffizienz“ wurde die Grundidee von HealthNetCare HF der Kardiologischen Universitätsklinik<br />

Würzburg übernommen und an ambulante Strukturen angepasst. Ziel war es, mehr Patienten<br />

mit einer chronischer HI regelmäßig bei Hausarzt und Facharzt vorzustellen und Krankenhauseinweisungen<br />

zu vermeiden.<br />

HealthNetCare HF ist ein Versorgungsprogramm für Patienten mit Herzinsuffizienz, das durch die Würzburger<br />

Kardiologen in der Region Würzburg und darüber hinaus etabliert wurde. Diesem Managed-Care-<br />

Ansatz liegt eine interdisziplinäre Versorgung zugrunde; er wird von spezialisiertem Pflegepersonal nach<br />

standardisierten Vorgaben unterstützt und koordiniert (Nurses). Im Rahmen des Projektes ist eine Telefonschwester<br />

für etwa 100 bis 120 Patienten zuständig. Im Quartal telefoniert sie je nach Schweregrad<br />

der Herzinsuffizienz des Patienten ein bis vier Mal mit dem Patienten und erkundigte sich anhand detaillierter<br />

Fragebögen über den Gesundheitszustand und die Medikamentenadhärenz. Bei schwerwiegenden<br />

Veränderungen werden sogleich die entsprechenden Ärzte eingeschaltet. Durch das vertrauensvolle<br />

Verhältnis zwischen Patient und Schwester waren die Patienten motiviert, sich aktiv an der Krankheitsbewältigung<br />

zu beteiligen. Dies spiegelt sich in den Ergebnissen der Evaluation wider, welche positive<br />

94


GO-LU und PRAVO • Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz optimiert versorgen<br />

Veränderungen zeigen bezüglich Lebensqualität, Überlebensrate, Grad der Herzschwäche und Anteil der<br />

Krankenhausaufenthalte (Bundesministerium für Bildung und Forschung (B<strong>MB</strong>F), 2008).<br />

Die INH-Studie (INH = Interdisziplinäres Netzwerk Herzinsuffizienz) ist eine multizentrische, randomisierte,<br />

prospektive Studie, welche die Wirkung von HealthNetCare HF evaluiert – durchgeführt von den Kardiologen<br />

Angermann, Ertl und Störk (Kardiologische Universitätsklinik Würzburg). Das Studiensetting begrenzte<br />

sich bisher auf stationäre Strukturen und adressierte vor allem Akutpatienten.<br />

Die Kooperation zwischen der Forschungsgruppe aus Würzburg und den Arztnetzen GO-LU und PRAVO<br />

hat zum Ziel, den Fokus von INH auf ambulante Strukturen auszuweiten und die Ergebnisse vergleichend<br />

zu evaluieren. Die beiden Netze fungieren in diesem Projekt als Managementgesellschaft<br />

im Sinne des Fünften Bandes des Sozialgesetzbuchs und sind der direkte Integrierte Versorgungs-<br />

Vertragspartner nach § 140 SGB V mit dem BKK Landesverband Mitte, der Sozialversicherung für Landwirtschaft,<br />

Forsten und Gartenbau Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland sowie der IKK Südwest. Die<br />

Beauftragung der ärztlichen Leistungserbringer erfolgt primär aus dem Kreis der Mitgliedsärzte der<br />

beiden Netze.<br />

Kernelemente<br />

Versorgungskonzept<br />

Das Versorgungskonzept, das im Rahmen des Projektes entwickelt wurde, bezieht sich auf Patienten mit<br />

Herzinsuffizienz (HI).<br />

Herzinsuffizienz ist ein sehr komplexes Krankheitsbild und ist – gerade bei der älteren Bevölkerung – die<br />

häufigste Ursache für eine Krankenhauseinweisung (Neumann, Biermann et al. 2009). Je nach Schwere<br />

der Krankheit sind unterschiedliche Leistungserbringer an der Behandlung beteiligt. Ausschlaggebend für<br />

eine optimierte Versorgung dieser Patienten ist ein gutes Versorgungsmanagement: Die Versorgung soll<br />

strukturiert, koordiniert und nach standardisierten Vorgaben in multiprofessionellen Teams ablaufen (Bundesärztekammer<br />

(BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) et al. 2009).<br />

Ziel des vorliegenden Versorgungskonzeptes ist es, die Zusammenarbeit aller Leistungserbringer im<br />

ambulanten Sektor zu bündeln und sie für den Patienten zugänglicher zu machen. Dazu wurde das<br />

Berufsbild der Herzinsuffizienz-Nurse geschaffen; sie betreut Patienten sowohl persönlich zu Hause als<br />

auch telefonisch und steht mit allen weiteren Leistungserbringern im engen Kontakt. Alle miteinander<br />

kooperierenden Akteure des Integrierten Bersorgungsvertrages sind in Abbildung 1 dargestellt.<br />

Der Ablauf des Versorgungsmanagements funktioniert nur dann reibungslos, wenn alle Tätigkeiten leitliniengerecht<br />

unter den spezialisierten Akteuren aufgeteilt werden und die Kommunikation über die gemeinsam<br />

behandelten Patienten ohne große technische oder administrative Hindernisse möglich ist. Als<br />

elektronische Datenbasis (elektronische Fallakte) steht den Ärzten und HI-Nurses in Ludwigshafen und<br />

Speyer ein eigens entwickeltes IT-System zur Verfügung, auf das alle Beteiligten datenschutzrechtlich<br />

konform zugreifen können. Neben patientenorientierter Kommunikation und Koordination zwischen allen<br />

Beteiligten dient das IT-gestützte ‚Integrierte Versorgungsmanagement‘ zur Qualitätssicherung der mit<br />

den Krankenkassen vereinbarten Versorgungsziele und zur Abrechnung der Verträge nach der gestzlich<br />

geforderten Norm des § 295 SGB V .<br />

Eine Schlüsselfunktion in diesem Versorgungsprojekt haben die HI-Nurses, speziell weitergebildete Medizinische<br />

Fachangestellte mit langjähriger internistischer Erfahrung oder examinierte Pflegekräfte aus<br />

dem Bereich Kardiologie. Die HI-Nurses koordinieren den strukturierten Behandlungspfad für jeden ein-<br />

95


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

zelnen Patienten und begleiten sie kontinuierlich. Damit gewährleisten die HI-Nurses die Kommunikation<br />

auf medizinisch-professioneller Ebene. Zeitgleich sind sie auch Vertrauensperson für die Patienten, die sie<br />

entweder telefonisch beraten oder regelmäßig zuhause aufsuchen.<br />

Die Case-Manager sind wie die HI-Nurses bei dem Ärztenetz angestellt und übernehmen die Aufgaben des<br />

Vertragscontrollings, der Koordination und Dokumentation sowie die Kontaktpflege mit den haus- und fachärztlichen<br />

Praxen, die an der Versorgung teilnehmen. Die Case-Manager stellen sicher, dass der Patient zur<br />

richtigen Zeit vom richtigen Akteur versorgt wird bzw. aktiv in die Behandlung mit eingebunden wird.<br />

Die HI-Nurse ist nicht zu verwechseln mit der so genannten „IV-MFA“, die jeder Arzt im ambulanten<br />

Sektor für die zusätzliche Kommunikation für die Abwicklung von Zusatzverträgen freistellt. Während die<br />

HI-Nurse die Patientenversorgung vor Ort (meist zuhause) übernimmt, ist es die Aufgabe der IV-MFA, als<br />

Schnittstelle zwischen den Ärzten und dem Arztnetz (GO-LU und PRAVO) ansprechbar zu sein.<br />

Abbildung 15 – Versorgungsschema der optimierten Versorgung für Patienten mit chronischer HI<br />

IV-MFA<br />

Arzt<br />

(ambulant)<br />

Quartalsweise WV*<br />

Patient<br />

Schnittstelle zum<br />

Arztnetz / HI-Nurse<br />

Mitgliedsarzt<br />

Kontinuierliche Kommuni-<br />

kation mit Ärzten<br />

Versorgung vor Ort /<br />

telefonisch<br />

Krankenkasse<br />

IV-Vertrag<br />

GO-LU<br />

PRAVO<br />

Angestellt beim<br />

Arztnetz<br />

HI-Nurse<br />

Case-Manager<br />

* WV: Die Wiedervorstellung (WV) beim Arzt erfolgt – sofern nicht anders indiziert – einmal/Quartal.<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Zielgruppe<br />

Grundsätzlich können alle Patienten teilnehmen, die an einer chronischen Herzinsuffizienz erkrankt sind,<br />

klassifiziert nach den NYHA-Stadien. Die Patienten müssen bei einer der folgenden Krankenkassen versichert<br />

sein, da mit diesen Kassen der Integrierte Versorgungsvertrag nach § 140a-d SGB V abgeschlossen<br />

wurde:<br />

• Vertragsarbeitsgemeinschaft des BKK Landesverbandes Mitte<br />

• Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland<br />

• IKK Südwest<br />

Derzeit sind etwa 30 Prozent der Versicherten dieser Krankenkassen mit gesicherter Diagnose Herzinsuffizienz<br />

in den beiden Netz-Regionen eingeschrieben.<br />

96


GO-LU und PRAVO • Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz optimiert versorgen<br />

Patienten der NYHA-Stufen I–III können in dem Integrierten Versorgungsvertrag betreut werden. Patienten<br />

der NYHA-Stufe IV werden aufgrund aufwendigerer Versorgungsmaßnahmen einem anderen Behandlungsmanagement<br />

zugeordnet. Sollte die HI aufgrund einer primären Lungenerkrankung entstanden<br />

sein, dürfen die Patienten nicht eingeschlossen werden.<br />

Wie in Abbildung 16 dargestellt, erfolgt die Patientenansprache in der Praxis des Hausarztes mit nachfolgender<br />

Erst-Untersuchung. Es folgt die Vorstellung beim niedergelassenen Kardiologen, der die einschlägige<br />

HI-Diagnostik sowie Herzecho- und EKG-Befundung in einer intensiven HI-Sprechstunde durchführt.<br />

Sollte sich der Patient im Anschluss für eine Teilnahme an dem Vertrag entscheiden, erfolgt unmittelbar<br />

die regelmäßige Betreuung durch die HI-Nurse, die dem Patienten fest zugeteilt wird.<br />

Abbildung 16 – Das Versorgungsmanagement der Patienten mit chronischer Herzinsuffizient basiert auf der ausführlichen<br />

Information über das Projekt zu Beginn und der kontinuierlichen Betreuung durch die HI-Nurse sowie<br />

ihre ärztlichen Kollegen<br />

Patientenansprache<br />

• Patienteninformation<br />

über neues Projekt<br />

• Unterstützung durch<br />

HI-Nurse<br />

HI-Sprechstunde<br />

• Information über Extraleistungen<br />

in Vertrag<br />

• Einschreibung in den IV-<br />

Vertrag<br />

regelmäßige<br />

Betreuung<br />

• Betreuung durch<br />

HI-Nurse telefonisch /<br />

zuhause<br />

• Wiedervorstellung bei<br />

HA / FA<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Versorgungselemente<br />

In dem Projekt geht es vornehmlich darum, die Versorgung von Patienten mit einer chronischen Herzinsuffizienz<br />

zu optimieren. Dies geschieht vor allem durch<br />

• eine verbesserte Kommunikation zwischen Haus- und Fachärzten,<br />

• die Etablierung und Einhaltung von klinischen Behandlungspfaden (nach aktuellem Stand der Leitlinien)<br />

und<br />

• durch speziell ausgebildete HI-Nurses, die die Behandlung persönlich betreuen und abstimmen.<br />

– Die Patienten werden informiert und überwacht (pro Patient 45 Minuten); je nach Erkrankungsgrad im<br />

Schnitt alle 2 bis 4 Wochen, in Akutphasen aber auch bis zu tägliche Kontakte<br />

– Bei jedem Kontakt werden Blutdruck, Puls und erhoben und in der elektronischen Fallakte dokumentiert;<br />

die Nurse fragt nach akuter Atemnot, Ödemen und dem Allgemeinbefinden der Patienten<br />

– Weichen die erhobenen Ist-Werte von den vereinbarten Ziel-Werten ab oder besteht akuter medizinischer<br />

Handlungsbedarf, informiert die Nurse die betreuende Hausarztpraxis und setzt den Arzt über<br />

die aktuelle Versorgungssituation in Kenntnis<br />

– Neben der regelmäßigen Überwachung der Patienten finden Schulungsmaßnahmen statt, damit die<br />

Patienten ihre Krankheit besser verstehen und aktiv an dem Versorgungsprogramm mitwirken<br />

können(zu Medikamenten-Einnahme, Gewichtskontrolle, Ernährung oder zur Bedeutung regelmäßiger<br />

Bewegung).<br />

Die folgende Tabelle listet detailliert sämtliche Einzelprozesse auf, sowie die Aufgabenverteilung unter<br />

den Leistungserbringern.<br />

97


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Tabelle 11 – Übersicht sämtlicher Aufgaben der hausärztlichen und fachärztlichen Versorgungssektoren,<br />

dargestellt nach einem möglichen chronologischen Ablauf der Versorgungsschritte. Die Ärzte werden durch die<br />

HI-Nurse unterstützt.<br />

Ambulanter Sektor HA HI-<br />

Nurse<br />

Patientenansprache und Information x<br />

HI-Sprechstunde: Informationen über Extraleistungen / Einschreibung in IV- x x<br />

Vertrag<br />

Anamnese / ärztliche Untersuchungen x<br />

Eingruppierung der Patienten nach HI-Betreuungsstufe und NYHA-Stadium x x<br />

Koordination der Behandlung (mit anderen Ärzten), Leitlinienkonform, Einhaltung<br />

sämtlicher Behandlungspfade, Richtlinien, etc.<br />

x<br />

Individuelle Patientenberatung (Ernährungsberatung, Raucherberatung, x<br />

Sportgruppen)<br />

Auswertung des elektronischen Patiententagebuchs x<br />

FA<br />

KH<br />

Kontinuierliche persönliche (zuhause) oder telefonische Betreuung des Patienten<br />

Überweisung an Facharzt (nur in Notfällen an das Krankenhaus) x<br />

x<br />

Erweiterte Diagnostik, Risikostratifizierung und Beratung (leitlinienkonform) x<br />

Zeitnahe Benachrichtigung an HA (Ergebnisse überliefern) und Unterstützung<br />

x<br />

der Hausärzte (differenzierte Therapieplanung)<br />

Patientenschulung über Pathophysiologie, Symptomatologie, Therapieformen,<br />

x x<br />

Früherkennung von Komplikationen, Kontrollmöglichkeiten, Selbstbe-<br />

obachtung<br />

Vergabe von Behandlungsterminen innerhalb von 5 Arbeitstagen x x<br />

Fortführung der vom FA oder KH vorgeschlagenen Therapie x x<br />

Übergang in den stationären Sektor<br />

Kommunikationsschnittstelle zwischen Hausarzt, Facharzt, Krankenhaus x<br />

Einweisung in die Klinik x<br />

Prüfung der Notwendigkeit einer stationären Behandlung x<br />

Prüfung der Notwendigkeit eines ambulanten Pflegedienstes nach der Entlassung<br />

Sofortige Übermittlung sämtlicher relevanter Informationen und des Entlassungsberichts<br />

an HA und FA<br />

x<br />

x<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Die Managementgesellschaften sind dafür zuständig, dass alle organisatorischen und technischen Prozesse<br />

reibungslos funktionieren. Die Aufgaben sind im Einzelnen:<br />

• Patienteneinschreibung in den IV-Vertrag im elektronischen Datenmanagement (sollte dies der Hausarzt<br />

noch nicht übernommen haben)<br />

• Festlegen der Teil-Prozesse und der Soll-Strukturen der ärztlichen Betreuung (nach Behandlungspfad)<br />

im Datenmanagementsystem<br />

• Koordination der Termine zwischen Patient und Arztpraxen<br />

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GO-LU und PRAVO • Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz optimiert versorgen<br />

• Überwachen der Vertragsinhalte und Koordination der Behandlungsabläufe, mit besonderer Rücksicht<br />

auf das Einhalten festgelegter Behandlungsziele<br />

• Anleitung und Zusammenarbeit mit den HI-Nurses, vor allem bezüglich administrativer Tätigkeiten<br />

• Organisation und Durchführung der Fallkonferenzen<br />

• Dokumentation und Quittierung der Versorgungsleistungen innerhalb des Vertrages<br />

• Aufbereitung aller dokumentierten Leistungen für die Abrechnung<br />

• Durchführung der zentralen Abrechnung nach § 295 SGB V.<br />

Ferner organisieren die Managementgesellschaften regelmäßig Qualitätszirkel mit den teilnehmenden<br />

Ärzten. Sämtliche Leistungserbringer (auch die HI-Nurses) nehmen hieran teil, um eine leitliniengerechte<br />

und qualitative Behandlung zu gewährleisten. Folgende Themen werden in diesen Zirkeln abgehandelt:<br />

• Fortbildungen zum Krankheitsbild Herzinsuffizienz nach dem aktuellen Stand der nationalen und internationalen<br />

Leitlinien<br />

• HI-Konferenzen zur dezidierten Fallbesprechung<br />

• Analyse der gesammelten Daten zur Einordnung und Diskussion der Ergebnisqualität der Ärzte<br />

• Möglichkeiten der Optimierung sämtlicher Behandlungsprozesse<br />

• Auseinandersetzen mit Behandlungspfaden und Kooperationsregeln sowie Einarbeitung von Verbesserungen<br />

• Dokumentation diagnostischer Daten, Arztkontakte, Medikation und der stationären Therapie in der<br />

Datenbank.<br />

Ein ergänzender Teil der Qualitätssicherung ist die zuverlässige und ordnungsgemäße Dokumentation der<br />

Daten. Diese muss zu jeder Zeit und von jedem Leistungserbringer erbracht werden, damit der Nächstbehandelnde<br />

ein vollständiges Hintergrundwissen besitzt. Die folgende Übersicht zeigt die Komplexität<br />

der Dokumentation auf.<br />

Tabelle 12 – Eine Säule des Versorgungsprojektes ist das funktionierende Datenmanagement, welches für alle<br />

einen wichtigen Beitrag zu der Kommunikation beiträgt<br />

Zuständigkeiten für die Dokumentation HA HI-<br />

Nurse<br />

FA<br />

Verpflichtende elektronische Dokumentation und die Nutzung des elektronischen x x x<br />

Datenmanagements<br />

Zeitnahe Übermittlung und Einforderung therapierelevanter Informationen an/von allen<br />

x x x<br />

Leistungserbringern, z. B. im elektronischen Patientenpass<br />

Vollständige Dokumentation der gesicherten Haupt- und Nebendiagnosen x x<br />

Regelmäßige Dokumentation der qualitätssichernden HI-Parameter und Dokumentation<br />

des elektronischen HI-Datensatzes<br />

Inhaltliche Kontrolle und Pflege der dokumentierten medizinischen Datensätze<br />

x<br />

x<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Die unterschiedlichen Versorgungselemente werden in der folgenden Darstellung abschließend zusammengefasst.<br />

99


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Abbildung 17 – Die Versorgungselemente fokussieren sich auf den ambulanten Sektor; vor allem die HI-Nurses<br />

sollen zwischen den Behandlungsebenen koordinieren und die Patienten persönlich begleiten<br />

Elektronisches Datenmanagement zur verbesserten Kommunikation<br />

Hausarzt<br />

HI-Nurse<br />

Facharzt<br />

HI-Nurse<br />

Leistungserbringer<br />

Krankenhaus<br />

Instrumente<br />

Einstufung in den<br />

Behandlungspfad:<br />

• NYHA-Stadium<br />

• Betreuungsstufe<br />

• Weitere<br />

Diagnostik<br />

• Stratifizierung<br />

• Patientenschulungen<br />

• Überprüfung der<br />

Notwendigkeit einer<br />

stationären<br />

Behandlung / Pflege<br />

• Etablierung von praktikabel umsetzbaren Behandlungspfaden nach<br />

Vorgaben (inter-)nationaler Leitlinien<br />

• Terminmanagement (z.B. zeitnahe Vergabe von Terminen)<br />

• Persönliche Betreuung durch die HI-Nurse, Schnittstelle für die<br />

Kommunikation<br />

• Qualitätszirkel (Fortbildungen, Fallkonferenzen)<br />

Management<br />

Ärztenetze als Managementgesellschaften:<br />

Gesundheitsorganisation<br />

Ludwigshafen eG<br />

Praxisnetz Vorderpfalz<br />

Aufgaben (Auswahl):<br />

• Versorgungssteuerung<br />

• Administration<br />

• Qualitätszirkel<br />

• Durchführung der<br />

Abrechnung<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Mehrwert<br />

Der Mehrwert für die HI-Patienten kann in unterschiedliche Kategorien eingeteilt werden. Zu den medizinischen<br />

Zielen zählen eine verbesserte Diagnostik und die insgesamt optimierte Versorgung durch<br />

den Einsatz der HI-Nurses. In der Konsequenz können kardiologische Ereignisse, wie beispielsweise<br />

Dekompensationen und Herzinfarkte, vermieden oder reduziert sowie der Verlauf der Herzinsuffizienz<br />

verlangsamt werden; auf jeden Fall jedoch wird eine Prognoseverbesserung erzielt. Dies führt insgesamt<br />

zu einer geringeren Mortalität aufgrund von Herzinsuffizienz.<br />

Die Erfahrungen des HealthCareNet HF in Würzburg zeigen, dass sich Patienten durch die HI-Nurse persönlich<br />

betreut und motiviert fühlen. Durch die zusätzliche Betreuung und das verbesserte Wissen über<br />

ihre Krankheit ergeben sich eine erhöhte Therapie-Compliance sowie eine gesteigerte Lebensqualität.<br />

Auch für die Leistungserbringer ergeben sich Vorteile aus dem Programm. Sie tragen dazu bei, die Leitlinien<br />

zur Diagnostik und Therapie auf innovative Art und Weise umzusetzen – und sie werden hierfür<br />

angemessen honoriert. Die geplante Evaluation des IV-Vertrages schafft einerseits einen Anreiz, die<br />

Daten zu dokumentieren, andererseits erhalten sie einen Überblick über Diagnostik, Therapie, klinische<br />

Verläufe und den Ressourcenverbrauch in der täglichen Praxis.<br />

Finanzierung<br />

Im Rahmen des Projekts entstehende Zusatzleistungen werden nicht über die Regelversorgung gedeckt<br />

(erhöhter Zeit- und Kommunikationsaufwand, Koordination sämtlicher Leistungserbringer, Case Manage-<br />

100


GO-LU und PRAVO • Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz optimiert versorgen<br />

ment, HI-Nurse, etc.). Das Projektvorhaben wird durch den Integrierten Versorgungsvertrag mit der Krankenkasse<br />

finanziert und sichert so die Honorierung der Leistungserbringer für die Leistungen aus dem<br />

Versorgungsprogramm für Herzinsuffizienz-Patienten.<br />

Management<br />

Bei dem vorliegenden IV-Vertrag handelt es sich um eine Kooperation zwischen Gesetzlichen Krankenkassen<br />

(BKK Landesverband Mitte; Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau;<br />

IKK Südwest), der Gesundheitsorganisation Ludwigshafen (GO-LU) und dem Praxisnetz Vorderpfalz<br />

(PRAVO) in Speyer. Beide Ärzteorganisationen sind Mitglieder der Agentur Deutscher Arztnetze e. V.<br />

Insgesamt haben sich rund 380 Ärzte und Psychotherapeuten zu dem Ärztenetz Gesundheitsorganisation<br />

Ludwigshafen (GO-LU) zusammengeschlossen. Der Vorstandsvorsitzende ist derzeit Dr. Christof Heun-<br />

Letsch; er hat insgesamt vier weitere Vorstandskollegen. Geschäftsführer ist Jürgen Pflaum.<br />

Die Ärzte der Gesundheitsorganisation Ludwigshafen decken die Regionen um Ludwigshafen, Bad Dürkheim<br />

und im Rhein-Pfalz-Kreis ab. Das Ärztenetz schloss Verträge mit unterschiedlichen Krankenkassen,<br />

um in der Region flächendeckend die medizinische Versorgung zu gewährleisten und so sinnvoll wie möglich<br />

zu gestalten. Sämtliche Diagnose- und Behandlungsangebote der Mitgliedsärzte sind qualitätsgeprüft.<br />

Das Praxisnetz Vorderpfalz (PRAVO) wurde im Jahre 2000 als PRAVO GbR gegründet. Mittlerweile decken<br />

die mehr als 100 Ärzte 48 Fachrichtungen ab. Die Geschäftsführung für das PRAVO Versorgungsmanagement<br />

liegt bei Dr. Clemens Spiekermann für den ärztlichen und bei Jörg Trinemeier für den betriebswirtschaftlichen<br />

Bereich.<br />

Folgende Regionen werden von den Ärzten versorgt: Speyer, Verbandsgemeine Dudenhofen (Dudenhofen,<br />

Harthausen und Hanhofen), Gemeinde Römerberg (Berghausen, Heiligenstein und Mechtersheim)<br />

sowie angrenzende Regionen im Süden und im Westen von Speyer.<br />

Die Grundsätze von PRAVO ruhen auf vier Pfeilern:<br />

• Kommunikation und Kooperation: Besonders die interdisziplinäre und intersektorale Kommunikation<br />

steht im Fokus des Ärztenetzes; Ziel ist, eine qualitative Versorgung ohne Doppeluntersuchungen zu<br />

gewährleisten.<br />

• Prävention: In dem eigens eingerichteten Präventionszentrum sind alle präventionsmedizinischen<br />

Sprechstunden, Schulungen und Kurse gebündelt.<br />

• Zukunftsfähige Konzepte: PRAVO fordert und fördert den Dialog zwischen allen Akteuren im Gesundheitswesen<br />

in der Region, um innovative Konzepte in die Praxis umzusetzen.<br />

• Qualität: Als Dienstleistungsunternehmen unterstützt die PRAVO Service GmbH alle Mitgliedspraxen<br />

bei der Umsetzung eines Qualitätsmanagementsystems.<br />

Evaluation<br />

Seit Sommer 2012 arbeiten alle Beteiligten des HI-Versorgungsprogramms an der Adaptierung und<br />

Umsetzung der Konzeptidee des HealthNetCare-HF (Kardiologische Universitätsklinik Würzburg bzw.<br />

Deutsches Zentrum für Herzinsuffizienz). Im Rahmen der bereits vorgestellten INH-Studie konnten<br />

wegweisende Studienergebnisse für die Behandlung und regelmäßige Betreuung von Herzinsuffizienz-<br />

Patienten publiziert werden (Angermann, Störk et al., 2007; Störk et al., 2009).<br />

101


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Alle beteiligten Akteure berichten sehr positiv über die bisher erreichten Ergebnisse. Die Ärzte begrüßen<br />

die regelmäßige Vorstellung der chronisch Erkrankten und die verbesserte Kommunikation und Koordination<br />

mit den Co-Behandlern. Die Patienten fühlen sich nachhaltig besser betreut und haben durch den<br />

regelmäßigen Nurse-Kontakt eine deutlich verbesserte Compliance aufgebaut. Unnötige Krankenhaus-<br />

Aufenthalte konnten in vielen Fällen durch das ambulante Versorgungskonzept vermieden werden.<br />

Eine detaillierte Evaluation des Integrierten Versorgungsprogramms Herzinsuffizienz haben beide Arztnetze<br />

für 2015 geplant.<br />

Nächste Schritte<br />

Seit Sommer 2012 wurden die HI-Patienten von den beteiligten Arztpraxen detektiert, die Patienten informiert<br />

und nach Zustimmung in das Versorgungsprogramm eingeschrieben. Insgesamt werden mittlerweile<br />

über 1.200 Patienten mit dem innovativen Versorgungskonzept durch ihre Hausärzte, ihre kardiologischen<br />

Fachärzte und die Herzinsuffizienz-Nurses kontinuierlich betreut.<br />

In den nächsten Schritten sollen die Versorgungsroutinen sowie die IT-Prozesse in den Regionen der<br />

Ärztenetze weiter ausgerollt werden. Ferner gilt es, den realen Betrieb in den Praxen vor Ort zu begleiten<br />

und gegebenenfalls Prozesse weiter zu verbessern. In 2015 ist die Evaluation vorgesehen, in der die erzielten<br />

Ergebnisse des Versorgungsmodells analysiert und bewertet werden sollen.<br />

Die derzeitige Einschreibequote ist mit 30 Prozent der Herzinsuffizienz-Patienten der teilnehmenden<br />

Krankenkassen schon heute sehr hoch. Ab Sommer 2015 soll das Versorgungsprogramm auf weitere<br />

Krankenkassen und weitere Indiaktionsgebiete ausgeweitet werden.<br />

Ansprechpartner<br />

Jürgen Pflaum<br />

Geschäftsführer<br />

GO-LU Gesundheitsorganisation Ludwigshafen eG<br />

Paul-Klee-Str. 1<br />

67061 Ludwigshafen<br />

Telefon: 0621– 6600300<br />

E-Mail: pflaum@go-lu.de<br />

Jörg Trinemeier<br />

Geschäftsführer<br />

PRAVO Versorgungsmanagement GmbH<br />

Diakonissenstr. 29<br />

67346 Speyer<br />

Telefon: 0178–78 549 61 und 06232–100 12 65<br />

E-Mail: trinemeier@pravo.de<br />

Literatur<br />

Angermann, C., S. Stork, et al., (2007). „Abstract 2709: a prospective randomised trial comparing the efficacy of a standardised<br />

supraregionally transferable program for monitoring and education of patients with systolic heart failure with usual care: the<br />

Interdisciplinary Network for Heart failure (INH) study.“ Circulation 116(II‘601).<br />

Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), et al., (2009) Nationale VersorgungsLeitlinie Chronische<br />

Herzinsuffizienz – Langfassung, 1. Auflage. Version 7, 2009.<br />

Bundesministerium für Bildung und Forschung (B<strong>MB</strong>F), (2008). Herzinsuffizienz: Länger und besser leben mit der Telefonschwester.<br />

Newsletter. N. 39. Hamburg.<br />

Neumann, T., J. Biermann, et al., (2009). „Herzinsuffizienz: Häufigster Grund für Krankenhausaufenthalte.“ Deutsches Ärzteblatt<br />

106(16): 269–275.<br />

Störk et al., (2009). „Evidence based disease management in patients with heart failure (HeartNetCare-HF© Würzburg).“<br />

Dtsch Med Wochenschr 134(15): 773–776.<br />

102


Risiko-Radar Plötzlicher Herztod<br />

Intervention zur Verbesserung der Patientensicherheit<br />

Risiko-Radar Plötzlicher Herztod<br />

Autoren: Simone Grandt, Lutz Hager und Gunter Hauptmann<br />

Management Summary<br />

Das Projekt Risiko-Radar Plötzlicher Herztod hat zum Ziel, Patienten vor einem plötzlichen Herztod zu<br />

schützen, die durch eine kontraindizierte Kombination von Arzneimitteln einem erhöhten Risiko ausgesetzt<br />

sind. Diese Patienten sollen mit Hilfe einer softwaregestützten Analyse von Abrechnungsdaten<br />

bereits im Rahmen der Routineversorgung identifiziert werden. Darüber hinaus koordiniert das Projekt die<br />

Information der betroffenen Patienten und Ärzte und stellt umfangreiche Hilfestellungen zur Minimierung<br />

des individuellen Risikos zur Verfügung. Das Risiko eines plötzlichen Herztods kann somit reduziert werden;<br />

die Arzneimittelsicherheit wird verbessert.<br />

Risiko-Radar Plötzlicher Herztod ist ein gemeinsames Projekt der IKK Südwest, der Kassenärztlichen<br />

Vereinigung Saarland (KVS) sowie des Softwareherstellers RpDoc ® Solutions GmbH. Es wird unterstützt<br />

vom Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie des Saarlands sowie dem Bundesinstitut<br />

für Arzneimittel und Medizinprodukte.<br />

Für die Umsetzung in den Versorgungsalltag wurde das Projekt als Modellvorhaben zwischen der<br />

IKK Südwest und der KVS vertraglich geregelt nach §§ 63ff. SGB V. Nach erfolgreicher Durchführung im<br />

Saarland soll zunächst eine regionale Ausweitung auf Rheinland-Pfalz erfolgen; darüber hinaus ist eine<br />

bundesweite Umsetzung vorgesehen.<br />

Einleitung<br />

Die Verordnung von unterschiedlichen Arzneimitteln muss gut abgestimmt sein, sonst entstehen vermeidbare<br />

Kosten – vor allem aber können Patienten ernsthaft geschädigt werden, in manchen Fällen geht<br />

es sogar ums Überleben. Schließlich können manche Medikamente einen plötzlichen Herztod auslösen,<br />

wenn sie falsch dosiert oder falsch kombiniert werden. Dieses Risiko ist in der Praxis viel schwerer zu<br />

beherrschen als es auf den ersten Blick erscheint. Gerade die zunehmende Zahl an Multimorbiditäten<br />

führt oft dazu, dass unterschiedliche Spezialisten ein und den gleichen Patienten behandeln. Eine sichere<br />

Abstimmung aller verabreichten Medikamente ist so nur schwer zu gewährleisten. Das hier vorgestellte<br />

Pilotprojekt im Saarland zeigt einen erfolgversprechenden Weg, diese potentiell tödlichen Risiken mit<br />

Hilfe bestehender Abrechnungsdaten beherrschbar zu machen.<br />

Versorgungsherausforderung<br />

Fehlerhafte Verordnung von Arzneimitteln ist ein ernsthaftes Problem. Sie verursacht nicht nur hohe<br />

volkswirtschaftliche Kosten, sondern kann auch zu dauerhaften Erkrankungen und sogar zum Tod führen.<br />

103


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

3,8 Prozent der internistischen Patienten kommen aufgrund von Medikamentennebenwirkungen in die<br />

stationäre Krankenhausaufnahme. 44 Prozent dieser Nebenwirkungen wären vermeidbar (Dormann et<br />

al., 2003). In England wird sogar von 5,2 Prozent stationärer Aufnahmen aufgrund von unerwünschten<br />

Arzneimittelwirkungen ausgegangen, die zu zwei Dritteln vermeidbar waren. An den Folgen von Arzneimittelnebenwirkungen,<br />

die bei stationärer Aufnahme bestanden, sterben jährlich 5.700 Patienten in England,<br />

das entspricht 0,15 Prozent aller stationär aufgenommenen Patienten (Pirmohamed et al., 2004).<br />

Eine norwegische Studie mit 85.363 Patienten stellt fest, dass 18,4 Prozent aller Patienten über 70 Jahren<br />

während eines Jahres mindestens eine inadäquate Verordnung durch ihren Arzt erhielten (Brekke et<br />

al., 2008). Besonders betroffen sind ältere, multimorbide Patienten, die mehrere Medikamente einnehmen.<br />

Der plötzliche Herztod („Sekundenherztod“) verursacht mehr Todesfälle als AIDS, Brustkrebs, Bronchialkarzinom<br />

und Schlaganfall zusammen (Van Noord, Eijgelsheim, Stricker, 2010). 40 Todesfälle täglich werden<br />

beispielsweise in den Niederlanden auf plötzlichen Herztod zurückgeführt (Straus, Bleumink, Dieleman,<br />

Stricker, Sturkenboom, 2004). Auch bei einem Teil dieser Fälle ist der plötzliche Herztod nicht<br />

unvermeidbar, sondern auf fehlerhaft verordnete Arzneimittel zurückzuführen. Bisher wurden mehr als<br />

700 Fallberichte über Herzrhythmusstörungen veröffentlicht, die auf Arzneimittel zurückzuführen sind<br />

und in der Regel tödlich verlaufen. Frauen sind von dieser Nebenwirkung doppelt so häufig betroffen wie<br />

Männer (Makkar, Fromm, Steinman, Meissner, Lehmann, 1993).<br />

Ob ein Arzneimittel dieses Risiko in sich birgt, lässt sich am EKG erkennen. Die Verlängerung des sogenannten<br />

QT-Intervalls im EKG zeigt an, dass das Arzneimittel das Risiko für plötzlichen Herztod erhöht.<br />

Die gleichzeitige Gabe mehrerer solcher Arzneimittel ist besonders gefährlich. Sie ist üblicherweise<br />

ausdrücklich nicht erlaubt, wird in der Praxis jedoch beobachtet. Dies liegt daran, dass für den<br />

einzelnen Arzt bei der Verordnung nicht ohne weiteres erkennbar ist, ob mehrere solcher Mittel verordnet<br />

wurden. Außerdem verschreibt der Arzt üblicherweise ohne konkrete Kenntnis der Medikation anderer<br />

Ärzte, die den Patienten ebenfalls behandeln. Somit besteht eine große Gefahr von Mehrfachverschreibungen<br />

mit möglichen Todesfolgen. An dieser Herausforderung setzt das hier vorgestellte Konzept<br />

an.<br />

Entstehungsgeschichte<br />

In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche vielversprechende Medikamente vom Markt genommen,<br />

weil sie zum plötzlichem Herztod führen können. Die Nebenwirkung „QT-Intervall-Verlängerung“ wurde<br />

wegen des Risikos für den plötzlichen Herztod zu einem wichtigen Zulassungskriterium. Eine aktuelle<br />

Studie zeigt, dass die Verlängerung des QT-Intervalls während der letzten 15 Jahre sogar einer der häufigsten<br />

Gründe war für den Widerruf der Zulassung von nicht-kardialen Arzneimitteln (Wood und Roden,<br />

2004). Dabei wurden gut wirksame Arzneimittel weltweit vom Markt genommen, weil die von den Zulassungsbehörden<br />

herausgegebene Warnung in der Praxis nicht beachtet wurde, eine Kombination mit<br />

weiteren QT-Intervall verlängernden Arzneimittel zu vermeiden (Smalley et al., 2000).<br />

Denn nicht nur wichtige Antibiotika, sondern auch viele neue Arzneimittel, bieten zwar einen Zusatznutzen,<br />

bergen aber auch das Risiko der QT-Verlängerung – wie etwa Wirkstoffe zur Behandlung der chronischen<br />

Hepatitis C, oder Citalopram und Escitalopram, die häufig zur Behandlung von Depressionen<br />

eingesetzt werden, einer der weltweit häufigsten Formen psychischer Störungen. In Deutschland wurden<br />

2010 allein 283 Millionen Tagesdosen Citalopram und 58 Millionen Tagesdosen Escitalopram verordnet.<br />

104


Risiko-Radar Plötzlicher Herztod<br />

Im August 2011 hat nun die amerikanische Zulassungsbehörde für Arzneimittel (FDA) aufgrund der<br />

Ergebnisse einer klinischen Studie einen Warnhinweis zu Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Citalopram<br />

veröffentlicht. Am 31.10.2011 hat der deutsche Hersteller in Absprache mit der deutschen Zulassungsbehörde<br />

BfArM in einem „Rote-Hand Brief“ die Ärzte in Deutschland auf das Risiko aufmerksam gemacht.<br />

Die empfohlene Maximaldosis für Citalopram wurde reduziert und die Kombination mit weiteren<br />

das QT-Intervall verlängernden Arzneimitteln untersagt. Am 5. Dezember 2011 wurden Ärzte in<br />

Deutschland informiert, dass ein ähnliches Risiko besteht für Escitalopram, einen mit dem Citalopram<br />

eng verwandten Wirkstoff. Schließlich hat die Bundesoberbehörde am 12.01.2012 mitgeteilt, dass sie<br />

es nicht mehr für vertretbar hält, Arzneimittel in den Verkehr zu bringen, die eine Wirkstoffstärke von<br />

60 mg Citalopram haben. Die entsprechenden Zulassungen für diese Einzeldosisstärke wurden widerrufen.<br />

Der Umfang der Verordnung dieser Medikamente und die möglichen tödlichen Gefahren durch fehlerhafte<br />

Mehrfachverordnung haben ein umgehendes Handeln nötig gemacht.<br />

Kernelemente<br />

Versorgungskonzept<br />

Zur Entwicklung und Implementierung eines innovativen Lösungskonzeptes zur Reduktion des Risikos<br />

eines plötzlichen Herztodes wurden von IKK Südwest und KV Saarland so genannte Arbeitspakte (AP)<br />

initiiert. Die bereits abgeschlossenen Arbeitspakete werden im Folgenden vorgestellt.<br />

• AP1: Bildung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe zur Projektsteuerung<br />

Zur inhaltlichen und operativen Projektsteuerung gründeten die IKK Südwest und die KV Saarland eine<br />

gemeinsame Arbeitsgruppe. Sie erarbeitet und diskutiert das Gesamtkonzept und trifft alle projektbezogenen<br />

Entscheidungen.<br />

• AP2: Entwicklung einer Wissensbasis zu QT-Intervall-Verlängerung durch Arzneimittel<br />

In Deutschland gibt es keine zugänglichen Informationsquellen oder Arzneimitteldatenbanken, die<br />

strukturierte Informationen enthalten zur QT-Intervall-Wirksamkeit von Arzneimitteln. Daher entwickelte<br />

die RpDoc ® Solutions GmbH eine solche Wissensdatenbank zu den zugelassenen Arzneimitteln.<br />

RpDoc ® Solutions GmbH erstellte dazu zunächst eine RpDoc ® QT-Intervallverlängerungs-Kategorisierungssystematik<br />

auf Grundlage einer wissenschaftlichen Literaturrecherche. Dazu wurden Arzneimittel<br />

gruppiert, die das QT-Intervall verlängern, sowie die Wirkstoffe, die das Risiko dieser Arzneimittel erhöhen.<br />

• AP3: Retrospektive Analyse der Versicherten der IKK Südwest mit dem RpDoc ® Risiko-Radar Arzneitherapie<br />

Auf dieser Basis wurde die Arzneitherapie aller bei der IKK Südwest versicherten Patienten analysiert –<br />

mittels der Analysesoftware RpDoc ® Risikoradar Arzneitherapie (Version 3.04, RpDoc ® Solutions GmbH,<br />

Saarbrücken). Die Ergebnisse werden im Kapitel Evaluation nachfolgend beschrieben.<br />

• AP4: Entwicklung einer Intervention zur Kontrolle vermeidbaren Risikos für plötzlichen Herztod<br />

Die gemeinsame Arbeitsgruppe der IKK Südwest und der KV Saarland entwickelte ein detailliertes Interventionskonzept,<br />

um das vermeidbare Risiko für einen plötzlichen Herztod aufgrund von QT-Intervall<br />

verlängernden Arzneimitteln zu kontrollieren. Es sollte den datenschutzrechtlichen Anforderungen gerecht<br />

werden, das Patienten-Arzt-Verhältnis stärken und verhindern, dass Patienten aufgrund ihrer<br />

105


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Ängste die Therapie unkontrolliert absetzen. Das Interventionskonzept wurde mit niedergelassenen<br />

Ärzten sowohl in der Arbeitsgruppe als auch in der Vertreterversammlung der KVS diskutiert und beschlossen.<br />

• AP5: Entwicklung des Expertensystems RpDoc ® Risiko-Radar-Praxis zur Verordnungsunterstützung<br />

Um die QT-Wirksamkeit für jeden Wirkstoff zu prüfen, entwickelte die RpDoc ® Solutions GmbH eine eigene<br />

Software – mit finanzieller Unterstützung des Saarländischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit,<br />

Frauen und Familie und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Über<br />

den geschützten Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Saarland ist das internetbasiertes Expertensystem<br />

zur Beurteilung der QT-Intervall-Wirksamkeit von Arzneimittelwirkstoffen für jeden Arzt im Saarland<br />

verfügbar. Es werden zusätzlich die Literaturquellen genannt, auf die sich die Bewertung stützt. Der<br />

Arzt hat darüber hinaus die Möglichkeit, über einen Link die Zusammenfassung der Studien in der National<br />

Library of Medicine nachzulesen.<br />

• AP6: Diskussion des Projektes mit der zuständigen Bundesoberbehörde (BfArM) und dem Gesundheitsministeriums<br />

des Saarlands<br />

Die Ergebnisse der Problemanalyse sowie der Entwurf für die Intervention wurden mit dem BfArM und<br />

dem saarländischen Gesundheitsminister diskutiert. Nach Prüfung durch die Fachabteilung hat sich das<br />

BfArM bereit erklärt, das Projekt zu begleiten. Außerdem beteiligt es sich an der wissenschaftlichen Evaluation<br />

und unterstützt die Entwicklung des Expertensystems finanziell. Der Gesundheitsminister des<br />

Saarlands hat die Schirmherrschaft für das Projekt übernommen und die Entwicklung des Expertensystems<br />

ebenfalls finanziell unterstützt.<br />

• AP7: Implementierung<br />

Das Projekt wurde in den Routinebetrieb überführt. Fortwährende Analysen der Verordnungsdaten filtern<br />

gefährdete Patienten heraus. Nach Information und Einverständnis der Betroffenen wird ein Risikoreport<br />

in elektronischer Form erstellt. Entsprechend dem erarbeiteten Prozedere wird dieser anschließend dem<br />

ausgewählten Koordinator der Arzneitherapie über die KVS zugeleitet.<br />

Zielgruppe<br />

Das Modellprojekt richtet sich zunächst an alle Vertragsärzte im Saarland. Das Modellvorhaben ist nach<br />

§§63 ff. SGB V vertraglich geregelt zwischen der IKK Südwest und der Kassenärztlichen Vereinigung<br />

Saarland. Mit einbezogen wurden Versicherte, die vom 01.07.2009 bis 31.12.2011 durchgehend bei der<br />

IKK Südwest versichert waren, oder die am 01.07.2009 versichert waren und bis 31.12.20011 verstarben.<br />

Die Versicherten mussten am 01.07.2009 mindestens 18 Jahre alt sein. Die folgende Abbildung 18a zeigt<br />

die Alters- und Geschlechtsverteilung der lebenden Versicherten, die Abbildung 18b der verstorbenen<br />

Versicherten.<br />

106


Risiko-Radar Plötzlicher Herztod<br />

Abbildung 18a – Alters- und Geschlechtsverteilung der lebenden Versicherten<br />

5650 5650<br />

1998 1998<br />

5493 5493<br />

3086 3086<br />

10337 10337<br />

5650 5650<br />

15464 15464<br />

5493 5493<br />

22230 22230<br />

10337 10337<br />

28168 28168<br />

15464 15464<br />

27345 27345<br />

22230 22230<br />

22273 22273<br />

28168 28168<br />

23779 23779<br />

27345 27345<br />

20038 20038<br />

22273 22273<br />

16294 16294<br />

23779 23779<br />

15602 15602<br />

20038 20038<br />

16155 16155<br />

16294 16294<br />

14506 14506<br />

15602 15602<br />

7602 7602<br />

16155 16155<br />

Männlich Männlich<br />

Männlich Männlich<br />

Quelle: 30000 30000 Eigene 25000 25000 Darstellung.<br />

20000 20000<br />

1998 1998<br />

3086 3086<br />

30000 30000 25000 25000 20000 20000 14506 14506 15000 15000 10000 10000 5000 5000<br />

7602 7602<br />

15000 15000 10000 10000 5000 5000<br />

80 80 + + 80 80 + + 3165 3165<br />

75 75 - 79 - 79 75 75 - 79 - 79 3072 3072<br />

70 70 - 74<br />

80 80 - + 74 + 70 70 - 74<br />

80 - 7480 + +<br />

5028<br />

3165 3165 5028<br />

65 65 - 69<br />

75 75 - 69 79 - 79 65 65 - 69<br />

75 75 - 69 79 - 79<br />

5199<br />

3072 3072 5199<br />

60 60 - 64<br />

70 70 - 64 74 - 74 60 60 - 64<br />

70 70 - 64 74 - 74<br />

9713<br />

5028 5028 9713<br />

55 55 - 59<br />

65 65 - 59 69 - 69 55 55 - 59<br />

65 65 - 59 69 - 69<br />

5199 5199<br />

15236 15236<br />

50 50 - 54<br />

60 60 - 54 64 - 64 50 50 - 54<br />

60 60 - 54 64 - 64<br />

9713 9713<br />

22297 22297<br />

45 45 49 - 49<br />

55 55 - 59 - 59 45 45 - 49<br />

55 55 - 49 59 - 59<br />

15236 15236<br />

27568 27568<br />

40 40 44 - 44<br />

50 50 - 54 - 54 40 40 - 44<br />

50 50 - 44 54 - 54<br />

25961 25961<br />

22297 22297<br />

35 35 39 - 39<br />

45 45 - 49 - 49 35 35 39 - 39<br />

45 45 - 49 - 49<br />

21391 21391<br />

27568 27568<br />

30 30 34 - 34<br />

40 40 - 44 - 44 30 30 34 - 34<br />

40 40 - 44 - 44<br />

24505 24505<br />

25961 25961<br />

25 25 29 - 29<br />

35 35 - 39 - 39 25 25 29 - 29<br />

35 35 - 39 - 39<br />

23186 23186<br />

21391 21391<br />

20 20 24 - 24<br />

30 30 - 34 - 34 20 20 24 - 24<br />

30 30 - 34 - 34<br />

19374 19374<br />

24505 24505<br />

15 15 19 - 19<br />

25 25 - 29 - 29 15 15 19 - 19<br />

25 25 - 29 - 29<br />

16860 16860<br />

23186 23186<br />

10 10 14 - 14<br />

20 20 - 24 - 24 10 10 14 - 14<br />

20 20 - 24 - 24<br />

15638 15638<br />

19374 19374<br />

5 - 59<br />

- 9<br />

15 15 - 19 - 19 5 - 59<br />

- 9<br />

15 15 - 19 - 19<br />

13768 13768<br />

16860 16860<br />

0 - 04<br />

- 4<br />

10 10 - 14 - 14 0 - 04<br />

- 4<br />

10 10 - 14 - 14<br />

7186 7186<br />

15638 15638<br />

0 05 - 59<br />

- 9 5 - 59<br />

- 09<br />

0 5000 5000 10000 10000 15000 13768 15000 13768 20000 20000 25000 25000 30000 30000<br />

Weiblich Weiblich<br />

Weiblich Weiblich<br />

0 - 04<br />

- 4 0 - 04<br />

- 4<br />

7186 7186<br />

0 0<br />

0 0 5000 5000 10000 10000 15000 15000 20000 20000 25000 25000 30000 30000<br />

Männlich<br />

Abbildung 18b – Alters- und Geschlechtsverteilung der verstorbenen Versicherten<br />

563 563<br />

80 80 + + 80 80 + +<br />

Männlich<br />

375 375<br />

75 75 - 79 - 79 75 75 - 79 - 79<br />

563 563<br />

373 373<br />

8070 - + 74 - + 74 70 70 - 8074<br />

- 80 + 74 +<br />

375 375 231 231<br />

7565 - 69 79<br />

- 69 79<br />

7565 - 69 79<br />

- 69 79<br />

373 373 236 236<br />

7060 - 64 74<br />

- 64 7460 7060 - 64 74<br />

- 64 74<br />

231 23178178<br />

6555 - 59 69<br />

- 59 69<br />

6555 - 59 69<br />

- 59 69<br />

236 236 148 148<br />

6050 - 54 64<br />

- 54 6450 6050 - 54 64<br />

- 54 64<br />

178 178 98 98<br />

5545 - 49 59<br />

- 49 59<br />

5545 - 49 59<br />

- 49 59 5270<br />

5270<br />

148 148 59 59<br />

98 98 31 31<br />

59 59 24 24<br />

5040 - 44 54<br />

- 5440 5040 - 44 54<br />

- 44 54 22 227171<br />

4535 - 39 49<br />

- 39 49<br />

4535 - 39 49<br />

- 39 49 17 17 52 52<br />

4030 - 34 44<br />

- 34 4430 4030 - 34 44<br />

- 34 44 7 22 7 22<br />

Weiblich<br />

Weiblich<br />

172 172<br />

140 140<br />

80 80 172 172<br />

84 84140140<br />

70 8070<br />

80<br />

71847184<br />

694 694<br />

694 694<br />

2031<br />

20<br />

3525 - 29 39<br />

- 29 39<br />

3525 - 29 39<br />

- 29 39 317<br />

317<br />

24 1124<br />

11<br />

3020 - 24 34<br />

- 24 3420 3020 - 24 34<br />

- 24 34 57<br />

57<br />

203203<br />

2515 - 19 29<br />

- 19 29<br />

2515 - 19 29<br />

- 19 29<br />

3<br />

3<br />

112<br />

112<br />

2010 - 14 24<br />

- 14 2410 2010 - 14 24<br />

- 14 24 05<br />

05<br />

13<br />

13<br />

515 - 515 9 -- 199<br />

- 19 155 15 -- 19 59<br />

-- 19 9<br />

3<br />

3<br />

600 600 500 500 400 400 300 300 200 200 100 100 2 02<br />

01010 - 14 - 14 10 10 - 14 - 14 0 0<br />

0100100 200 200 300 300 400 400 500 500 600 600 700 700 800 800<br />

1 1 5 - 59<br />

- 9 5 - 59<br />

- 9 3 3<br />

600 600<br />

500 500<br />

400 400<br />

300 300<br />

200 200<br />

100 100<br />

0<br />

0<br />

0 0 100 100 200 200 300 300 400 400 500 500 600 600 700 700 800 800<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

107


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Versorgungselemente<br />

Die Intervention zur Kontrolle des vermeidbaren Risikos für einen plötzlichen Herztod ist in Abbildung 19<br />

detailliert dargestellt und wird nachfolgend in fünf Schritten praktisch erläutert.<br />

Abbildung 19 – Überblick über die wichtigen Details der Intervention<br />

Arzt KVS IKK Südwest Versicherte(r)<br />

Information der KV-Ärzte über das Projekt<br />

per Fax durch die KVS<br />

Auswahl der zu berücksichtigenden<br />

Versicherten durch die IKK Südwest<br />

Ermitteln der betroffenen Verordner<br />

Information betroffener Ärzte<br />

über angeschriebene<br />

Versicherte und Risiko<br />

Information der KVS über<br />

angeschriebene Versicherte<br />

und betroffene Verordner<br />

Information der KVS über<br />

eingeschriebene Versicherte und<br />

verordnete Arzneimittel<br />

Information der Versicherten<br />

durch die IKK Südwest:<br />

EINSCHREIBUNG<br />

Information des / der verordnenden Ärzte<br />

über Patient / Verordnungen /<br />

Managementhinwiese<br />

Rückmeldung an KV zu Risikoreduktion /<br />

Entscheidungsgründe<br />

Information der IKK über<br />

Risikoreduktion / Entscheidungsgründe<br />

Auslösen der Bezahlung<br />

Rückmeldung an KVS<br />

Messung der Risiken im<br />

Verlauf<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

(1) Vorab: Verordnung von risikoinduzierten Medikamenten<br />

Dem Patienten wird aufgrund einer Erkrankung ein Medikament verordnet, durch das er laut Fachinformation<br />

adäquat behandelt wird (z. B. Citalopram bei Depression). Unabhängig davon erhält er aufgrund<br />

einer anderen Erkrankung von einem weiteren Arzt ein zusätzliches Medikament. Problematisch ist die<br />

Kombination beider Arzneimittel, da sie das QT-Intervall verlängern und somit das Risiko erhöhen für<br />

Torsades de Pointes Herzrhythmusstörungen und den plötzlichen Herztod. Durch meist fehlende Informationen<br />

über die QT-Intervall verlängernden Wirkungen ist es dem Arzt nicht möglich, das Risiko zu<br />

erkennen.<br />

(2) Identifikation von Risikopatienten<br />

Die Verordnungen werden zu Abrechnungszwecken an die IKK Südwest übermittelt; die RpDoc ® Datenanalyse-Software<br />

kann diese Verordnungsdaten nun analysieren. Sie generiert einen Warnhinweis, sobald<br />

parallele Verordnungen von solchen Arzneimitteln erkannt werden, die das QT-Intervall verlängern.<br />

(3) Einleitung risikominimierender Maßnahmen<br />

Um die behandelnden Ärzte (Verordner) über das Risiko der parallelen Verordnung zu informieren, wird<br />

der identifizierte Risikopatient von der IKK Südwest kontaktiert und sein schriftliches Einverständnis dazu<br />

eingeholt. Der Patient kann dann einen Therapie-koordinierenden Arzt selbst bestimmen. Empfohlen wird<br />

108


Risiko-Radar Plötzlicher Herztod<br />

der Hausarzt; wenn aber der Patient damit nicht einverstanden ist oder es im individuellen Fall sinnvoll<br />

erscheint, dass ein anderer Arzt die Therapie koordiniert, wird die Aufgabe einem anderen Arzt übertragen.<br />

Unter Berücksichtigung des Datenschutzes informiert der Therapiekoordinator die verordnenden<br />

Ärzte über das Risiko und zeigt Möglichkeiten zur Risikoreduktion auf. Die behandelnden Ärzte entscheiden<br />

im Anschluss über die optimale individuelle Therapie des Patienten. Darüber hinaus wird den Patienten<br />

vermittelt, dass Schwindel oder ein kurzfristiger Bewusstseinsverlust Hinweise auf Herzrhythmusstörungen<br />

sein können, und dass Durchfall und Erbrechen das Risiko für Herzrhythmusstörungen erhöhen.<br />

In beiden Fällen sollte der Arzt konsultiert werden. Die Hinweise und Empfehlungen zur Minimierung<br />

vermeidbarer Risiken für Patienten und Ärzte wurden von einer gemeinsamen Expertengruppe der IKK<br />

Südwest und der KV Saarland festgelegt.<br />

(4) Nutzung eines Expertensystems zur Risikoidentifikation<br />

Während des Therapieoptimierungsprozesses und der Weiterbehandlung muss sichergestellt werden,<br />

dass es sich bei einem neu verordneten Wirkstoff nicht um ein QT-Intervall verlängerndes Arzneimittel<br />

handelt. Dies kann nicht durch eine retrospektive Analyse von Abrechnungsdaten der Krankenkasse erfolgen.<br />

Daher wird dem Arzt ein internetbasiertes Expertensystem zur Beurteilung der QT-Intervall-Wirksamkeit<br />

von Arzneimittelwirkstoffen zur Verfügung gestellt, zu dem jeder Arzt im Saarland über den geschützten<br />

Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Saarland Zugang hat. Die Software analysiert die<br />

QT-Wirksamkeit für jedes Arzneimittel, das künftig eingesetzt werden soll.<br />

(5) Kontinuierliche Ergebnismessung<br />

Die Risikoreduktion wird evaluiert und quantitativ gemessen mit Rückmeldebögen der behandelnden<br />

Ärzte zur Risikoreduktion, sowie durch erneute retrospektive Analysen von Krankenkassendaten nach<br />

drei und sechs Monaten. Diese Evaluation bildet die Grundlage für einen kontinuierlichen Optimierungsprozess<br />

der Arzneitherapiesicherheit.<br />

Mehrwert<br />

Im Rahmen des Projektes wird eine Datenbank zur Verfügung gestellt, mit der der Arzt Wirkstoffe auf ihre<br />

QT-Intervall verlängernde Wirkung überprüfen kann. Damit kann vermieden werden, dass Patienten potentiell<br />

gefährliche Kombinationen von Wirkstoffen erhalten. Bei der Umstellung eines QT-Intervall verlängernden<br />

Medikaments wird kontrolliert, dass es nur durch ein Medikament mit geringeren oder ähnlichen<br />

Risiken ersetzt wird. Durch die gemeinsame Abstimmung über eine Datenbank werden Gefährdungen<br />

der Patienten durch fehlerhafte Verschreibungen vermieden: Gefährdungen mit möglicher Todesfolge.<br />

Wirksame und bewährte Medikamente können so weiter ohne die diese Risiken verschrieben werden.<br />

Mittelbar werden auch die nicht unerheblichen Folgekosten stationärer Aufenthalte auf Grund solcher<br />

fehlerhaften Verschreibungen reduziert.<br />

Das dargestellte Projekt ist weltweit die erste Intervention, die effektiv die arzneitherapiebedingten Risiken<br />

für den plötzlichen Herztod identifizieren und reduzieren kann. Das Projekt hat einen deutlichen Anteil<br />

an der Verbesserung von Qualität und Sicherheit der Arzneitherapie in Deutschland. Zudem macht es das<br />

untersuchte Risiko im Zeitverlauf messbar und schafft so die Voraussetzung für eine kontinuierliche Verbesserung<br />

der Behandlungsqualität.<br />

Finanzierung<br />

Die Anschubfinanzierung für das Pilotprojekt wurde durch die beteiligten Projektpartner gedeckt. Dabei<br />

wurden die Betriebskosten durch einen Vertrag nach §§ 63 ff. SGB V zwischen IKK Südwest und KVS<br />

gesichert. Der Restmittelbedarf für die geplante Weiterentwicklung wurde durch das Bundesinstituts für<br />

109


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Arzneimittel und Medizinprodukte zugesagt. Dies trägt auch die Kosten für die notwendigen Software-<br />

Anpassungen für den bundesweiten Einsatz. Im Modellprojekt wurde nach §§ 63 ff. SGB V für die behandelnden<br />

Ärzte eine extrabudgetäre Aufwandsentschädigung festgelegt. Sie deckt die zusätzlich nötigen<br />

Maßnahmen für die Risikoreduktion ab.<br />

Management<br />

Die beteiligten Projektpartner sind die IKK Südwest, die Kassenärztliche Vereinigung Saarland (KVS) und<br />

die RpDoc ® Solutions GmbH, Saarbrücken. Das Konzept wird unterstützt durch das Ministerium für Soziales,<br />

Gesundheit, Frauen und Familie des Saarlands und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte<br />

(BfArM).<br />

Dabei analysiert die IKK Südwest kontinuierlich mit Hilfe der Software RpDoc ® die Arzneimittelverordnungsdaten<br />

ihrer Versicherten und identifiziert so vermeidbare medizinische und ökonomische Risiken. Diese Risiken<br />

werden in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe mit der Kassenärztlichen Vereinigung Saarland diskutiert.<br />

Hier werden Risiken und zielführende Möglichkeiten der Risikokontrolle gemeinsam festgelegt. Für die<br />

Minimierung des Risikos wurde ein Vertrag nach §§ 63 ff. SGB V zwischen der IKK Südwest und der Kassenärztlichen<br />

Vereinigung Saarland geschlossen. Das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie<br />

des Saarlands hat die Schirmherrschaft übernommen und fördert die Lösungsentwicklung finanziell.<br />

Die Analyse der Verordnungsdaten im Verlauf und die von den behandelnden Ärzten erfolgenden Rückmeldungen<br />

ermöglichen eine fortlaufende wissenschaftliche Evaluation. Diese erfolgt in Zusammenarbeit<br />

mit dem BfArM.<br />

Evaluation<br />

Mit Hilfe der Analysesoftware RpDoc ® Risikoradar Arzneitherapie (Version 3.04, RpDoc ® Solutions GmbH,<br />

Saarbrücken) wurde die Arzneitherapie von insgesamt 441.627 Versicherten der IKK Südwest retrospektiv<br />

von Juli 2009 bis Dezember 2011 analysiert (s. Tabelle 13).<br />

Tabelle 13 – Ergebnisse der retrospektiven IKK Südwest Krankenkassendaten-Analyse<br />

Anzahl Versicherte Überlebende Verstorbene<br />

Anzahl Versicherte (%) 441.627 437.597 4.030<br />

mit Citalopram 12.768 (2,9%) 12.531 (2,9%) 237 (5,9%)<br />

davon Männer 4.716 (2,0%) 4.602 (2,0%) 114 (4,5%)<br />

davon Frauen 8.052 (3,8%) 7.929 (3,8%) 123 (8,4%)<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Bei den Patienten, die mit dem Antidepressivum Citalopram behandelt wurden, wurde in einem Beobachtungszeitraum<br />

von 30 Monaten näher untersucht, ob eine Begleitverordnung eines weiteren Arzneimittels<br />

vorlag, die gemäß Fachinformation eine kontraindizierte, QT-Intervall verlängernde Wirkung zeigt.<br />

Nächste Schritte<br />

Perspektivisch sind weitere Arbeitspakete geplant. So wird das Projekt, welches bisher auf das Saarland<br />

beschränkt war, bereits im ersten Schritt flächendeckendend in Rheinland-Pfalz ausgrollt. Die Umsetzung<br />

in ganz Deutschland ist in Planung. Zudem wurde eine Untersuchung zur Wirksamkeit und Akzeptanz der<br />

110


Risiko-Radar Plötzlicher Herztod<br />

Intervention initiiert. Bis Dezember 2013 soll mit finanzieller Unterstützung des BfArM das internetbasierte<br />

Expertensystem RpDoc ® Risiko-Radar-Praxis für Ärzte deutschlandweit nutzbar sein – und die Kombination<br />

mehrerer QT-Intervall verlängernder Arzneimittel verhindern.<br />

In Vorbereitung befindet sich ferner eine prospektive randomisierte Studie zur Relevanz der Abweichung<br />

vom bestimmungsgemäßen Gebrauch durch Kombination von QT-Intervall verlängernden Arzneimitteln.<br />

Eine inhaltliche Ausweitung der risikoreduzierenden Intervention auf weitere schwerwiegende Arzneimittelrisiken<br />

ist geplant. Als Ergänzung zu den risikominimierenden Maßnahmen sollen potentielle Risikopatienten<br />

zusätzlich proaktive, vorausschauende Hinweise erhalten.<br />

Die bisher vorliegenden Rohdaten lassen schon erkennen, dass eine weitere Analyse der generierten Daten<br />

gerechtfertigt ist. Bevor aus ihnen jedoch inhaltliche Schlussfolgerungen abgeleitet werden können, müssen<br />

sie noch um weitere mögliche Einflussfaktoren korrigiert werden. Eine externe wissenschaftliche Evaluation<br />

sowie die Publikation der Daten soll in Zusammenarbeit mit der Fachabteilung des BfArM erfolgen.<br />

Ansprechpartner<br />

IKK Südwest<br />

Dr. Lutz Hager<br />

Geschäftsführer Versorgung<br />

Berliner Promenade 1<br />

66111 Saarbrücken<br />

Telefon: 0681 – 936 96 2500<br />

E-Mail: lutz.hager@ikk-sw.de<br />

Kassenärztliche Vereinigung Saarland<br />

Dr. Gunter Hauptmann<br />

Vorsitzender des Vorstandes<br />

Europaallee 7 – 9<br />

66113 Saarbrücken<br />

Telefon: 0681 – 99 83 70<br />

RpDoc ® Solutions GmbH<br />

Simone Grandt<br />

Geschäftsführende Gesellschafterin<br />

Heinrich-Barth Str. 1–1a<br />

66121 Saarbrücken<br />

Telefon: 0681 – 968 150<br />

Literatur<br />

Brekke, M., Rognstad, S., Straand, J., Furu, K., Gjelstad, S., Bjorner, T. (2008). Pharmacologically inappropriate prescriptions for<br />

elderly patients in general practice: How common? Baseline data from The Prescription Peer Academic Detailing (Rx-PAD)<br />

study. . Scand J Prim Health Care, 26(2):80–85.<br />

Dormann, H., Criegee-Rieck, M., Neubert, A., Egger, T., Geise, A., Krebs, S. (2003). Lack of awareness of community acquired<br />

adverse drug reactions upon hospital admission: dimensions and consequences of a dilemma. Drug Saf, 26(5):353–362.<br />

Pirmohamed, M., James, S., Meakin, S., Green, C., Scott, A., Walley, T. (2004). Adverse drug reactions as cause of admission to<br />

hospital: prospective analysis of 18 820 patients. BMJ, 329(7456):15–19.<br />

Smalley, W., Shatin, D., Wysowski, D. K., Gurwitz, J., Andrade, S. E., Goodman, M., et al., (2000). Contraindicated use of cisapride.<br />

JAMA: the journal of the American Medical Association, 284(23):3036–3039.<br />

Straus, S., Bleumink, G., Dieleman, J., Stricker, B., Sturkenboom, M. (2004). The incidence of sudden cardiac death in the general<br />

population. J Clin Epidemiol, 57(1):98–102.<br />

Van Noord, C., Eijgelsheim, M., Stricker, B. H. C. (2010). Drug‐and non‐drug‐associated QT interval prolongation. British journal<br />

of clinical pharmacology, 70(1):16–23.<br />

Wood, A. J., Roden, D. M. (2004). Drug-induced prolongation of the QT interval. New England Journal of Medicine, 350(10):1013–<br />

1022.<br />

111


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

© <strong>MSD</strong>/Bardehle<br />

Prof. Steffen Ruchholtz mit Juror Dr. Thomas Lang (v. r.)<br />

1. Preis:<br />

TraumaNetzwerk DGU ®<br />

Flächendeckende Verbesserung der Schwerverletztenversorgung<br />

in Deutschland<br />

Autor: Steffen Ruchholtz<br />

Management Summary<br />

Schwerverletzte Patienten in Deutschland flächendeckend und bestmöglich zu versorgen, ist das Ziel des<br />

TraumaNetzwerks DGU ® . Durch eine Vernetzung von mindestens fünf Krankenhäusern aus einer Region<br />

wird es möglich, eine qualitativ hochwertige und flächendeckende Versorgung von Schwerverletzten<br />

sicherzustellen – jederzeit verfügbar, deutschlandweit, und in zertifizierten Kliniken. Ohne eine solche Vernetzung<br />

ist nicht gewährleistet, dass ein Traumapatient innerhalb von 30 Minuten in einem entsprechenden<br />

Traumazentrum versorgt werden kann.<br />

112


TraumaNetzwerk DGU ®<br />

Bis September 2013 schlossen sich bereits 549 solcher Kliniken zu 44 TraumaNetzwerken zusammen.<br />

Die Versorgung wurde personell und infrastrukturell verbessert; die Sterberate schwerverletzter Patienten<br />

sank nachweislich.<br />

Das TraumaNetzwerk DGU ® wurde 2006 von der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie gegründet.<br />

Einleitung<br />

Die flächendeckende medizinische Versorgung schwerverletzter Patienten ist in Deutschland zwar weitestgehend<br />

sichergestellt, dennoch ist auch bekannt, dass sich die Versorgung häufig verzögert. Gründe<br />

dafür sind unter anderem strukturelle und organisatorische Probleme. Hinzu kommen geographische und<br />

infrastrukturelle Versorgungsunterschiede: Schwerverletzte werden in ländlichen Regionen anders versorgt<br />

als in Hauptstadtregionen.<br />

Um die Schwerverletztenversorgung in Deutschland trotz begrenzter Ressourcen zu gewährleisten und<br />

zu optimieren, verfolgt das TraumaNetzwerk DGU ® das Ziel, eine flächendeckende Behandlung sicherzustellen<br />

– und zwar jederzeit verfügbar, interdisziplinär und hochqualitativ. Dazu schließen sich zertifizierte<br />

Kliniken einer Region sowie Rehabilitationseinrichtungen und kompetente Praxen zusammen. Durch eine<br />

leitliniengerechte Behandlung können die Sterberaten gesenkt werden; die Lebensqualität der Patientensteigt.<br />

Versorgungsherausforderung<br />

Unfallbedingte Todesfälle sind in Deutschland von größerer Bedeutung als beispielsweise bösartige Neubildungen<br />

oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. So zählen Unfälle in Deutschland zur fünfthäufigsten Todesursache;<br />

sie sind sogar die häufigste Ursache für verlorene Lebensjahre (Bundesanstalt für Arbeitsschutz<br />

und Arbeitsmedizin, 2010). Etwa 33.000 bis 38.000 Menschen verletzen sich in Deutschland jährlich<br />

schwer (Haas et al., 1997; Kuhne et al., 2006; Liener et al., 2004).<br />

Obwohl die flächendeckende Versorgung Schwerverletzter weitestgehend sichergestellt ist, kommt es<br />

immer wieder zu Diskussionen über eine verzögerte Versorgung. Gründe dafür liegen in strukturellen und<br />

organisatorischen Problemen.<br />

Insgesamt wird in Deutschland deutlich, dass sich – unter geographischen Gesichtspunkten – die medizinische<br />

Ausstattung zur Versorgung von Schwerverletzten sehr unterscheidet. Bestätigt wird dies durch<br />

die Daten des Statistischen Bundesamtes: bezogen auf die die Anzahl der Verkehrsunfälle variiert die<br />

Mortalität je nach Bundesland zwischen 0,5 und 2,7 Prozent; sie ist am niedrigsten in Stadtstaaten (z. B.<br />

Berlin, Hamburg) und am höchsten in den nord-östlichen Flächenländern (z. B. Mecklenburg-Vorpommern,<br />

Brandenburg) (Statisches Bundesamt, 2011). Weiterhin dürfen auch die Unterschiede der Versorgungsqualität<br />

in den Krankenhäusern nicht vernachlässigt werden. Die Probleme sind bedingt durch:<br />

• Unterschiede in der Infrastruktur einzelner Regionen<br />

• Unterschiedliche apparative Ausstattung der Krankenhäuser<br />

• Unterschiedliche Behandlungskonzepte bei der Therapie schwerverletzter Patienten<br />

• Unterschiedliche Qualifikation der beteiligten Personen<br />

• Kommunikationsprobleme zwischen Kliniken einer Region.<br />

113


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Aufgrund dieser Tatsachen ist es eine wichtige Herausforderung und Aufgabe, die Versorgung von<br />

schwerverletzten Patienten zu verbessern und sicherzustellen. Zwar können die geographischen und infrastrukturellen<br />

Unterschiede nicht beeinflusst werden, die Versorgung lässt aber in anderen Bereichen<br />

optimieren.<br />

Dazu gründete die DGU im Jahr 2006 den Arbeitskreis zur Umsetzung des Weißbuchs Schwerverletztenversorgung<br />

und TraumaNetzwerk (AKUT). Durch den Aufbau sogenannter Netzwerkstrukturen zwischen<br />

einzelnen Traumazentren mit verschiedenen Versorgungsstufen soll deutschlandweit eine lebensnotwendige<br />

und gleichzeitig patientenorientierte Versorgung von Schwerverletzten sichergestellt und gewährleistet<br />

werden.<br />

Entstehungsgeschichte<br />

Schon in den 70er Jahren zeigten amerikanische Studien, dass die Versorgungsqualität in spezialisierten<br />

Zentren deutlich besser war. Auch die Sterberate konnte gezielt gesenkt werden. Somit entstand die<br />

Idee, Traumazentren zu etablieren. Schon damals stand ein möglichst schneller und direkter Transport<br />

schwerverletzter Patienten im Vordergrund. Wirksamkeit und Nutzen solcher Zentren wurden bereits in<br />

zahlreichen Studien belegt (Celso et al., 2006; Nathens et al., 2004).<br />

Nicht zuletzt wegen der staatlich verordneten Einrichtung von Traumazentren und der damit verbundenen<br />

Unzufriedenheit nicht berücksichtigter Kliniken, sowie der Schwierigkeit der flächendeckenden Umsetzung<br />

in ländlichen Regionen, sind die USA bis heute nicht vollständig mit einem Netzwerk aus optimal<br />

ausgestatteten Traumazentren abgedeckt (Nathens et al., 2004).<br />

In Deutschland sind laut TraumaNetzwerk bisher mindestens 650 Kliniken in die Versorgung schwerverletzter<br />

Patienten eingebunden. Im Gegensatz zu dem amerikanischen Modell versucht das TraumaNetzwerk<br />

DGU ® Traumazentren regional zu vernetzen. Hierfür kommen Kliniken in Frage, welche die strukturellen,<br />

apparativen und personellen Voraussetzungen für eine optimale Schwerverletztenversorgung<br />

erfüllen. Die Einrichtungen sollen sich selbstständig von externen Instanzen prüfen lassen sowie auf Basis<br />

von einheitlichen Verträgen zusammenarbeiten (Ruchholtz et al., 2012).<br />

Zum erfolgreichen Aufbau von TraumaNetzwerken wurden im Durchschnitt jeweils sieben Planungstreffen<br />

und Fortbildungsveranstaltungen durchgeführt. Bis zum September 2013 wurden insgesamt 605<br />

Krankenhäuser einer Prüfung unterzogen; 549 Krankenhäuser aus 44 TraumaNetzwerken wurden bereits<br />

zertifiziert (s. Abbildung 20). Aktuell besteht ein TraumaNetzwerk durchschnittlich aus 14 Kliniken mit acht<br />

lokalen, vier regionalen und zwei überregionalen Traumazentren.<br />

114


TraumaNetzwerk DGU ®<br />

Abbildung 20 – Zertifizierte TraumaNetzwerke in Deutschland<br />

Quelle: Arbeitskreis Umsetzung Weißbuch TraumaNetzwerk DGU ® (AKUT) (2013).<br />

Kernelemente<br />

Versorgungskonzept<br />

Im Jahr 2012 wurde das „Weißbuch Schwerverletztenversorgung der DGU“ in revidierter Version veröffentlicht.<br />

Das Weißbuch gibt Empfehlungen, um eine fachgerechte und qualitativ hochwertige Versorgung<br />

von Schwerstverletzten zu gewährleisten (Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie<br />

e.V., 2012). 2011 wurde darüber hinaus die S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung<br />

veröffentlicht und mit den Inhalten des Weißbuchs abgeglichen (AWMF, 2011).<br />

Um Teil des TraumaNetzwerks DGU ® zu werden, müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein (s. Abbildung<br />

21). Auf dieser Basis ordnet das Weißbuch die Kliniken grundsätzlich drei verschiedenen Versorgungsstufen<br />

zu – so gibt es lokale Traumazentren (LTZ), regionale Traumazentren (RTZ) und überregionale (ÜTZ)<br />

Traumazentren. Möchte eine Klinik aufgenommen werden, muss sie zunächst selbst ihre Versorgungstufe<br />

einschätzen. Im Anschluss wird auf Grundlage des Weißbuchs und eines Audits die Versorgungsstufe<br />

festgelegt. Um sich zu einem TraumaNetzwerk zusammenzuschließen, sind mindestens fünf Kliniken<br />

unterschiedlicher Versorgungsstufen notwendig, die unter mindestens einem ÜTZ regional vernetzt zusammenarbeiten.<br />

Dabei müssen die strukturellen, apparativen und personellen Voraussetzungen für eine<br />

qualitativ hochwertige Schwerverletztenversorgung in allen Kliniken erfüllt sein. Zwischen den Kliniken<br />

wird ein einheitlicher Kooperationsvertrag geschlossen.<br />

115


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Abbildung 21 – Bedingungen für den Eintritt in das TraumaNetzwerk DGU ®<br />

Anmeldung anhand<br />

einer<br />

Selbsteinschätzung<br />

für eine<br />

Versorgungsstufe<br />

Festhaltung<br />

getroffener<br />

Absprachen in einem<br />

Kooperationsvertrag<br />

zwischen Kliniken<br />

Durchführung von<br />

Qualitätszirkeln und<br />

Weiter- und<br />

Fortbildungen<br />

Endgültige Einstufung<br />

nach Kriterien des<br />

Weißbuches im<br />

Rahmen einer<br />

Besichtigung vor Ort<br />

(Audit)<br />

Zusammenarbeit von<br />

mind. 5 Kliniken<br />

(unterschiedliche<br />

Versorgungsstufen)<br />

und mind. 1 ÜTZ pro<br />

Netzwerk<br />

Re- Auditierungen<br />

Bei<br />

Einstufungskonflikten<br />

Anwendung spezieller<br />

Schlichtungsverfahren<br />

Bestimmung der<br />

Größe eines<br />

TraumaNetzwerks<br />

erfolgt durch Kliniken<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Für die Zertifizierung eines TraumaNetzwerks werden beispielsweise Qualitätszirkel mit Beteiligung folgender<br />

Personen/Organe gefordert:<br />

• Ärztliche Leiter der Traumazentren<br />

• Ärztliche Leiter Rettungsdienst<br />

• Leiter der Rettungsleitstellen<br />

• Vertreter der Rettungsdienste der Region des TraumaNetzwerk<br />

• Leiter der Rehabilitationseinrichtungen<br />

• Kooperierende niedergelassene Ärzte.<br />

Die Qualitätszirkel finden zwei Mal pro Jahr statt. Dabei wird zum einen die Ergebnisqualität diskutiert,<br />

auch mithilfe eines Online-Kurzberichts des TraumaRegisters DGU ® . Zum anderen können innerhalb der<br />

Zirkel beispielsweise Schnittstellenprobleme identifiziert werden; entsprechende Gegenmaßnahmen lassen<br />

sich zeitnah einleiten. Mindestens einmal im Jahr werden darüber hinaus Fort- und Weiterbildungen<br />

durchgeführt.<br />

116


TraumaNetzwerk DGU ®<br />

Nach dem ersten Audit zur Einordnung der Klinik in eine Versorgungsstufe erfolgt nach drei Jahren eine<br />

Reauditierung. Es werden unter anderem die empfohlenen Veränderungen während des ersten Audits<br />

analysiert. Zusätzlich wird sowohl die Qualität der Dokumentation im TraumaRegister DGU ® geprüft, als<br />

auch die Durchführung innerklinischer Maßnahmen des Qualitätsmanagements (z. B. Qualitätszirkeltreffen,<br />

Berücksichtigung des TraumaRegister DGU ® bei der eigenen Qualitätsanalyse).<br />

Zielgruppe<br />

Das TraumaNetzewerk DGU ® richtet sich als Versorgungskonzept mit regionaler Vernetzung an jeden<br />

schwerverletzten Patienten in der Bundesrepublik Deutschland, der vom Unfallort in den Schockraum<br />

eines zertifizierten Krankenhauses transportiert werden kann.<br />

Versorgungselemente<br />

Die Idee des TraumaNetzwerks DGU ® besteht darin, alle schwer verletzten Patienten möglichst schnell<br />

und direkt in ein spezialisiertes Traumazentrum zu transportieren. Um dies zu ermöglichen, wird ein Verbund<br />

qualifizierter Traumazentren eingerichtet, die sich jeweils aus zertifizierten Kliniken zusammensetzen.<br />

Durch Vernetzung und Kooperation soll eine zeitnahe, flächendeckende und hoch qualitative Versorgung<br />

von Schwerverletzten gewährleistet werden: innerhalb von 30 Minuten soll jeder Traumapatient in<br />

einem entsprechenden Traumazentrum versorgt werden.<br />

Das TraumaNetzwerk DGU ® orientiert sich vor allem an den Empfehlungen des „Weißbuchs Schwerverletztenversorgung<br />

der DGU“. Kliniken, die sich einem TraumaNetzwerk anschließen wollen, müssen bestimmte<br />

Voraussetzungen erfüllen – hinsichtlich Struktur, Organisation und Ausstattung, der Förderung<br />

von Qualität und Sicherheit sowie der Kooperation der Kliniken durch Qualitätszirkel und Fortbildungsveranstaltungen<br />

(Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V., 2012).<br />

Einen weiteren wichtigen Bestandteil der Versorgung stellt die Rehabilitation dar; im Weißbuch wird<br />

gefordert, dass die Traumazentren eng mit den stationären und ambulanten Rehabilitationseinrichtungen<br />

kooperieren sollten (Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V., 2012). Dadurch<br />

soll ein reibungsloser Versorgungsablauf gewährleistet werden – von der klinischen Behandlung bis hin<br />

zur sozialen und beruflichen Reintegration. Um als Rehabilitationseinrichtung in ein TraumaNetzwerk<br />

integriert zu werden, müssen bestimmte personelle, räumliche und apparative Voraussetzungen erfüllt<br />

sein. Diese sind vorwiegend im Anforderungsprofil der gesetzlichen Unfallversicherungsträger definiert.<br />

Mehrwert<br />

Durch die Vernetzung von Traumazentren verschiedener Versorgungsstufen sowie Rehabilitationseinrichtungen<br />

und kompetenten ambulanten Versorgern, kann für die Traumapatienten eine sehr zeitnahe, regionale<br />

Versorgung in einem zertifizierten Krankenhaus gewährleistet werden. Sie können von einer interdisziplinären,<br />

leitliniengerechten und qualitativ hochwertigen Behandlung profitieren. Folglich kann die<br />

Sterblichkeit sinken und sich die Lebensqualität verbessern.<br />

Die wichtigste Voraussetzung, um als Klinik in ein TraumaNetzwerk aufgenommen zu werden, ist das<br />

erfolgreiche Bestehen eines Audits. Um diese Anforderungen zu erfüllen, haben sich zahlreiche Kliniken<br />

in ihrer Struktur und Organisation verändert (s. Abbildung 22) (Mand et al., 2012). Darüber hinaus lassen<br />

sich die Kliniken in gewissen zeitlichen Abständen selbstständig extern überprüfen. Eine Zusammenarbeit<br />

auf Basis einheitlicher Verträge wird ermöglicht. Aufgrund dieser Gegebenheiten kann eine qualitätsorientierte,<br />

integrierte, zeitnahe und flächendeckende Versorgung von schwerverletzten Patienten erreicht<br />

werden.<br />

117


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Abbildung 22 – Veränderungen bei den Kliniken durch die Teilnahme am TraumaNetzwerk DGU ® , in Prozent<br />

Installation von Röntenanlagen 17<br />

Veränderung der Hintergrunddienste<br />

16<br />

Veränderung der Dienstpläne<br />

20<br />

personelle Veränderungen<br />

24<br />

Installation von Ultraschallgeräten25<br />

25<br />

vertraglich festgelegte Kooperationen in Kliniken<br />

31<br />

Einführung von Schockraumleitlinien in ÜTZ<br />

32<br />

Bereitstellung von Notfall-OP-Sieben<br />

34<br />

Einführung von Schockraumleitlinien in LTZ<br />

89<br />

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Mand et al. (2012).<br />

0 20 40 60 80 100<br />

Finanzierung<br />

Finanziert wird das Projekt TraumaNetzwerk DGU ® ausschließlich durch Audit- und Teilnahmegebühren<br />

am TraumaRegister DGU ® . Dabei werden die Auditgebühren bzw. die Auditeinnahmen genutzt, um unter<br />

anderem die Mitarbeiterbesuche in den Kliniken zu finanzieren oder etwa die Homepage zu gestalten und<br />

die Betreuung durch eine Hotline zu ermöglichen.<br />

Die Teilnahmegebühren wiederum kommen der Datenbankpflege, den Evaluationsstudien und der weiteren<br />

Entwicklung des Projekts zugute. In einem Abstand von drei Jahren ist laut Versorgungskonzept eine<br />

Reauditierung vorgesehen. Für ein Audit werden 5.000 Euro veranschlagt. Für die Teilnahme am Trauma-<br />

Register DGU ® werden in den folgenden zwei Jahren je 500 Euro fällig.<br />

Management<br />

Leistungsstruktur<br />

Der Arbeitskreis zur Umsetzung des Weißbuchs Schwerverletztenversorgung und das TraumaNetzwerk<br />

(AKUT) der DGU leiten seit 2006 das TraumaNetzwerk DGU ® . 2009 wurde zusätzlich die AKUT-Lenkungsgruppe<br />

initiiert. Mitglieder der Lenkungsgruppe sind:<br />

• Sprecher AKUT<br />

• Geschäftsführer der Akademie der Unfallchirurgie der DGU (AUC)<br />

• Mitarbeiter der AKUT-Geschäftsstelle<br />

• Generalsekretär DGU<br />

• Qualitätsbeauftragter TraumaRegister DGU ® .<br />

Das Aufgabenspektrum der AKUT-Lenkungsgruppe beinhaltet die in Abbildung 23 dargestellten Aspekte.<br />

118


TraumaNetzwerk DGU ®<br />

Abbildung 23 – Aufgabenfeld der AKUT-Lenkungsgruppe<br />

Einstufung von Kliniken<br />

(Einspruchs- und Schlichtungsverfahren)<br />

Weiterentwicklung der Zertifizierung<br />

(z. B. Re-Audit) und Revision Weißbuch<br />

Abstimmung und Unterstützung<br />

bei der Zertifizierung von Netzwerken<br />

Anfragen zu Aktivitäten im TraumaNetzwerk<br />

(z. B. Fortbildung)<br />

Weiterentwicklung<br />

im internationalen Bereich<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Organisationsstruktur<br />

Um eine erfolgreiche und effektive Organisation des Projekts zu ermöglichen, arbeiten verschiedene<br />

Partner auf unterschiedlichen Ebenen zusammen.<br />

• Akademie der Unfallchirurgie der DGU (AUC)<br />

Die AUC ist verantwortlich für die wirtschaftliche Umsetzung des TraumaNetzwerks DGU ® und den Prozess<br />

der Zertifizierung. Sie ließ die Software für die Steuerung der Zertifizierung sowie eine eigene Homepage<br />

entwickeln (www.dgu-traumanetzwerk.de). Ferner nutzt sie das TraumaRegister DGU ® zur Qualitätssicherung<br />

und zum Benchmarking innerhalb des TraumaNetzwerks.<br />

• AKUT-Geschäftsstelle in Marburg<br />

Die AKUT-Geschäftsstelle ist wiederum verantwortlich, die Zertifizierung gezielt umzusetzen: Kliniken<br />

werden bei der Auditierung bzw. Zertifizierung unterstützt. Dazu wurde die Firma DIOcert GmbH (Mainz)<br />

beauftragt, deren Auditoren von der Geschäftsstelle geschult werden. Zusätzlich pflegt AKUT die Homepage<br />

des Traumanetzwerks. Die Gruppe setzt sich zusammen aus dem Sprecher des AKUT, Mitglieder der<br />

AUC und der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie am Universitätsklinikum Marburg.<br />

• Zertifizierungsunternehmen DIOcert GmbH (Mainz)<br />

Dieses Zertifizierungsunternehmen – mit seinen professionellen und gezielt am Projekt geschulten Auditoren<br />

– überprüft, ob die Erfüllung des Weißbuchs zur Schwerverletztenversorgung erfüllt sind – anhand<br />

einer sechsstündigen Begehung der Traumazentren.<br />

• Sektion Notfall-, Intensivmedizin und Schwerverletztenversorgung/DGU<br />

Diese Gruppe unterstützt bezüglich wissenschaftlicher Aspekte die AKUT-Lenkungsgruppe.<br />

119


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

• Beirat TraumaNetzwerk DGU ®<br />

Der Beirat berücksichtigt fach- und berufsübergreifende Aspekte und besteht aus folgenden Mitgliedern:<br />

ADAC, Deutsche Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin, Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie,<br />

Rettungsdienste, Ärztliche Leiter Rettungsdienste, Deutscher Verkehrssicherheitsrat, Deutsche<br />

Gesetzliche Unfallversicherung, Fach und Berufsverbände Rehabilitation, Klinikunternehmen,<br />

Kostenträger und Sozialministerien.<br />

Evaluation<br />

In einem Zeitraum von vier Jahren (2008–2011) wurden erstmalig 25.249 (100 Prozent) schwerverletzte<br />

Patienten in Bezug auf die Versorgungsqualität untersucht (Ruchholtz et al., 2013). Diese Untersuchung<br />

erfolgte ausschließlich in auditierten Kliniken.<br />

Die Analyse erfolgte anhand der Daten, welche die Kliniken im TraumaNetzwerk DGU ® verpflichtend prospektiv<br />

im TraumaRegister DGU ® dokumentieren. Das TraumaRegister DGU ® – als einziges bereits 1993<br />

gegründetes Register dieser Art in Deutschland – ermöglicht neben wissenschaftlichen Studien auch<br />

notwendige Qualitätsanalysen. Zusätzlich müssen bei einer objektiven Beurteilung der Versorgungsqualität<br />

sowohl die relevanten Behandlungszeiten als auch die Unterschiede in der Verletzungsschwere der<br />

Patienten berücksichtigt werden.<br />

Die 25.249 untersuchten Patienten waren durchschnittlich 48 Jahre alt. Der Anteil der Männer war höher.<br />

Hauptsächlich wurden die Verletzungen durch Verkehrsunfälle verursacht.<br />

Im Vergleich der Versorgungsstufen der zertifizierten Kliniken (LTZ, RTZ, ÜTZ) fielen deutliche Unterschiede<br />

auf – hinsichtlich anatomischer Verletzungen, Störungen der Vitalparameter und der Sterberaten.<br />

62 Prozent der Patienten wurden in einem ÜTZ versorgt, 32 Prozent in einem RTZ und 6 Prozent in einem<br />

LTZ (s. Abbildung 24). Der Unterschied in der Verletzungsschwere in den verschieden Versorgungsstufen<br />

konnte am Injury Severity Score sichtbar gemacht werden: der durchschnittliche Score im LTZ lag bei 19;<br />

im RZT bei 22 und im ÜTZ bei 24. Dieser Score repräsentiert die anatomische Verletzungsschwere.<br />

Abbildung 24 – Aufteilung der schwerletzten Patienten in Traumazentren<br />

6%<br />

62%<br />

32%<br />

LTZ (1.551)<br />

RTZ (7.971)<br />

ÜTZ (15.757)<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

120


TraumaNetzwerk DGU ®<br />

Aufgrund der höheren Verletzungsschwere waren die Beatmungszeit, die Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation<br />

und die gesamte Aufenthaltsdauer im ÜTZ deutlich länger (s. Abbildung 25).<br />

Abbildung 25 – Beatmungstage und Aufenthaltsdauer<br />

21,4<br />

20,0<br />

19,0<br />

15,0<br />

Beatmungstage<br />

Tage auf der Intensivstation<br />

10,0<br />

7,6<br />

9,0<br />

Krankenhausverweildauer<br />

5,0<br />

5,2 4,9<br />

3,6<br />

4,9<br />

1,7<br />

0,0<br />

LTZ RTZ ÜTZ<br />

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Arbeitskreis Umsetzung Weißbuch TraumaNetzwerk DGU ® (AKUT)<br />

(2013).<br />

Insgesamt wurde die durchschnittliche Dauer bis zur Durchführung notwendiger diagnostischer und therapeutischer<br />

Maßnahmen als gut bewertet. Die längste Zeitdauer zwischen Unfall und Eintreffen des<br />

Patienten im Krankenhaus wurde im ÜTZ gemessen: Die Patienten wurden häufiger intubiert oder aber<br />

die Strecke mit dem Hubschrauber zum ÜTZ war relativ weit.<br />

Im Laufe der ersten Klinikphase veränderten sich diese temporären Unterschiede und kehrten sich ins<br />

Gegenteil um. Die Dauer der Basisdiagnostik im ÜTZ wurde deutlich verkürzt – vermutlich aufgrund eines<br />

sogenannten Trainingseffekts, der aus höheren Fallzahlen resultierte, sowie einer verbesserten Ausstattung<br />

der Klinik.<br />

Da die Diagnostik in den ÜTZ nun weniger Zeit in Anspruch nahm, konnten auch lebensrettende Maßnahmen<br />

in kürzester Zeit durchgeführt werden. Weiterhin konnten die lebensrettenden Maßnahmen in LTZ<br />

und RTZ unter einer geringen, aber effektiven Stundenzahl gehalten werden – beispielsweise Notfalloder<br />

Schädeloperationen.<br />

Mit Hilfe von internationalen Berechnungen der TRISS (Trauma Score and the Injury Severity Score) und<br />

nationalen Methoden der sogenannten RISC war es möglich, die erwarteten Letalitäten mit den beobachteten<br />

Letalitäten zu vergleichen (Boyd et al., 1987; Huber-Wagner, 2009).<br />

Beide Methoden zur Analyse des Behandlungsergebnisses wurden als sehr aussagekräftig deklariert.<br />

Der RISC-Score erfasste eine Kalkulation von 18.306 Fällen. Der TRISS-Score wies jedoch einige Mängel<br />

121


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

auf. Aufgrund nicht konstanter Parameter wurde dieser Score seltener kalkuliert und beinhaltete somit nur<br />

12.479 Fälle.<br />

Es zeigt sich, dass die in jeder Versorgungsstufe erwarteten Letalitäten höher geschätzt wurden als die<br />

tatsächlich auftretenden Letalitäten. So wurde beobachtet, dass die Differenz zwischen erwarteter und<br />

beobachteter Letalität in Bezug auf den TRISS-Score bei 3,5 Prozent lag und in Bezug auf den RISC-Score<br />

bei 2,1 Prozent.<br />

Um die Beurteilung der Versorgungsdaten jedoch komplett zu bestätigen, fehlt es an einschlägigen Informationen.<br />

Hintergrund sind folgende Einschränkungen:<br />

1. Die Angaben der Kliniken können unvollständig sein, da eine Überprüfung der Dokumentationsqualität<br />

erst im Rahmen eines Reaudits erfolgt.<br />

2. Des Weiteren können direkte Gründe für die Unterschiede in Versorgungszeiten und Versorgungsqualität<br />

durch das TraumaRegister DGU ® nicht aufgezeigt werden.<br />

3. Außerdem wurden nur diejenigen Kliniken untersucht, die ein Audit erfolgreich bestanden haben.<br />

4. Letztendlich wurden schwerverletzte Patienten vor der Einführung des TraumaNetzwerk DGU ® nicht<br />

erfasst, sodass ein „Vorher-Nachher-Vergleich“ nicht möglich ist.<br />

Zusammenfassend zeigt sich jedoch: Mit diesem Projekt ist es erstmals gelungen, durch einen Verbund<br />

von qualifizierten Traumazentren die Versorgung Schwerverletzter in ganz Deutschland sicherzustellen.<br />

Des Weiteren hat das TraumaNetzwerk DGU ® nachweislich zu einer besseren personellen und strukturellen<br />

Infrastruktur für die Versorgung schwerverletzter Patienten geführt. Die beobachtete Letalität liegt<br />

nun signifikant unter der erwarteten Letalität.<br />

Nächste Schritte<br />

Mit der Einführung des TraumaNetzwerks DGU ® gelang es, die personelle und strukturelle Infrastruktur<br />

für die Versorgung schwerverletzter Patienten gezielt zu verbessern. Langfristig bildet dieses Projekt ein<br />

System zur ständigen Verbesserung und Aufrechterhaltung optimaler flächendeckender Schwerverletztenversorgung<br />

in der Bundesrepublik Deutschland. Von der Akutklinik bis hin zur sozialen und beruflichen<br />

Rehabilitation wird der schwerverletzte Patient nachweislich auf höchstem Niveau behandelt. Durch die<br />

Organisationsstruktur mit verpflichtenden Qualitätsmanagementsystemen und kontinuierlicher Überprüfung<br />

ist sichergestellt, dass sich die Versorgung ständig weiterentwickelt. Das Projekt TraumaNetzwerk<br />

DGU ® gilt allgemein als sehr gut akzeptiert und damit auch als sehr erfolgreich.<br />

Ansprechpartner<br />

Prof. Dr. med. Steffen Ruchholtz<br />

Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie<br />

Universitätsklinik Gießen-Marburg<br />

Baldingerstrasse<br />

35043 Marburg<br />

Telefon: 06421–586 62 16<br />

E-Mail: ruchholt@med.uni-marburg.de<br />

122


TraumaNetzwerk DGU ®<br />

Literatur<br />

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) (2011). Leitlinie „Polytrauma /<br />

Schwerverletzten-Behandlung“. www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/012-019.html; Zugriff am 10.10.2013.<br />

Boyd, C.R. et al., (1987). Evaluating trauma care: the TRISS method, Trauma Score and the Injury Severity Score, J Trauma,<br />

27:370–8. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2010). Unfallstatistik – Unfalltote und Unfallverletzte 2008<br />

in Deutschland.<br />

Celso B, Tepas J, Langland-Orban B, Pracht E, Papa L, Lottenberg L et al., (2006). A systematic review and meta-analysis<br />

comparing outcome of severely injured patients treated in trauma centers following the establishment of trauma systems.<br />

J Trauma; 60(2):371–378.<br />

Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGU) e.V. (2012). Weißbuch Schwerverletztenversorgung: Empfehlungen<br />

zur Struktur, Organisation, Ausstattung sowie Förderung von Qualität und Sicherheit in der Schwerverletzten-Versorgung<br />

in der Bundesrepublik Deutschland, 2 ed., Thieme.<br />

Haas NP, von Fournier C, Tempka A, Sudkamp NP (1997). Trauma center 2000. How many and which trauma centers does<br />

Europe need around the year 2000? Unfallchirurg; 100(11):852–858.<br />

Huber-Wagner, S. et al., (2009). Working Group on Polytrauma of the German Trauma, society Effect of whole-body CT during<br />

trauma resuscitation on survival: a retrospective, multicentre study, 373:1455–61, Lancet.<br />

Kuhne CA, Ruchholtz S, Buschmann C, Sturm J, Lackner CK, Wentzensen A et al., (2006). Trauma centers in Germany. Status<br />

report. Unfallchirurg; 109(5):357–366.<br />

Liener UC, Rapp U, Lampl L, Helm M, Richter G, Gaus M et al., (2004). Incidence of severe injuries. Results of a populationbased<br />

analysis. Unfallchirurg; 107(6):483–490.<br />

Mand, C. et al., (2012). Organizational, personnel and structural alterations due to participation in TraumaNetwork DGU, The<br />

first stocktaking, Unfallchirurg, 115(5):417–426.<br />

Nathens, A.B. et al., (2004). Development of trauma systems and effect on outcomes after injury, 363(9423):1794–1801, Lancet.<br />

Ruchholtz, S. et al., (2013). Improving the quality of trauma care by implementation of a statewide trauma network, Ann Surg.<br />

Ruchholtz, S. et al., (2012). Regionalisation of trauma care in Germany: the „TraumaNetwork DGU-Project“, Eur J Trauma<br />

Emerg Surg, 38:11–17.<br />

Statistisches Bundesamt (2011). Unfallentwicklung auf deutschen Straßen 2010. Arbeitskreis Umsetzung Weißbuch Traumanetzwerk<br />

DGU ® (AKUT) (2013). Die flächendeckende.<br />

Verbesserung der Schwerverletztenversorgung in Deutschland durch das TraumaNetzwerk DGU ® der Deutschen Gesellschaft<br />

für Unfallchirurgie.<br />

123


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

4sigma<br />

Diabetes Prävention Fit heute – fit morgen<br />

Autor: Ralf Pourie<br />

Management Summary<br />

Fit heute – fit morgen ist ein Projekt zur Diabetesprävention, das gemeinsam von der 4sigma GmbH und<br />

der Schwenninger Krankenkasse durchgeführt wurde. Für die Gruppe der sogenannten „Best-Ager“ (35–<br />

55 Jährige) sollte ein effizientes Präventionsprogramm entwickelt werden, das sich flächendeckend umsetzen<br />

lässt.<br />

Die meisten Diabetes-Typ-2-Erkrankungen sind Folge eines dauerhaft ungesunden Lebensstils und könnten<br />

mit einfachen Präventionsmaßnahmen vermieden werden – wie einer Ernährungsumstellung oder<br />

einer aktiveren Lebensgestaltung. Doch gerade bei älteren Menschen sind diese Lebensstiländerungen<br />

nur schwer zu erreichen. Das Projekt Fit heute – fit morgen setzt deshalb bei den „Best-Agern“ an; es<br />

will potentiell gesundheitsgefährdete Menschen bereits in den besten Jahren erreichen und sie fit fürs<br />

Alter machen. Hierzu prüften die Projektpartner, ob gängige Schulungsmaßnahmen zur gesunden Ernährung<br />

und aktiver Lebensgestaltung effizienter und flächendeckend umsetzbar sind, wenn diese durch<br />

eine kompetente Beratung und eine kosteneffiziente telemetrische Unterstützung über längere Zeit begleitet<br />

werden.<br />

An dem 12-monatigen Projekt nahmen 184 Personen teil. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung<br />

förderte Fit heute – fit morgen als eines von drei Industrieprojekten im Rahmen des Verbundprojektes<br />

Lifescience.biz. Weitere Projektpartner waren das Fraunhofer Institut für Arbeitsorganisation in<br />

Stuttgart sowie das Institut für Klinische Chemie der Universität Magdeburg.<br />

Umsetzung<br />

Für die Teilnahme am Projekt Fit heute – fit morgen kamen Personen im Alter zwischen 35–55 Jahren in<br />

Frage, die bereits eindeutige Gesundheitsrisiken aufwiesen, wie Übergewicht, Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen,<br />

jedoch noch keine Folgeerkrankungen entwickelt hatten, etwa Diabetes mellitus<br />

Typ 2 oder koronare Herzerkrankungen. Interessenten wurden über drei Rekrutierungswege gewonnen:<br />

eine Maßnahme zur betrieblichen Gesundheitsförderung von acht Betrieben in Baden-Württemberg, ein<br />

Präventionsprogramm für Krankenversicherte der Schwenninger Krankenkasse und ein universitätsgestütztes<br />

Präventionsprogramm für die regionale Bevölkerung.<br />

Zu Beginn des Projekts wurden die Studienteilnehmer in drei Gruppen aufgeteilt. Sämtliche Teilnehmer<br />

erhielten standardmäßig eine zweistündige Gruppenschulung vor Ort, einen praxisorientierten Ratgeber<br />

sowie drei ärztliche Folgeuntersuchungen im Abstand von je vier Monaten. Je nach Gruppenzugehörigkeit<br />

erhielten die Teilnehmer nach der Gruppenschulung eine unterschiedliche Betreuung, die sich im<br />

Wesentlichen in der Frequenz und dem Medium der Beratung unterschied (s. Tabelle 14).<br />

124


4sigma • Diabetes Prävention Fit heute – fit morgen<br />

Tabelle 14 – Übersicht über die Beratungsgruppen im Projekt Fit heute – fit morgen<br />

Betreuungsgruppe<br />

Standardschulung<br />

Gruppenschulung &<br />

Infobroschüre<br />

Ärztliche Eingangs-,<br />

Verlaufs- und Abschlussuntersuchungen<br />

(0–4–8–12 Monate)<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Betreuungsgruppe Telefon (4sigma)<br />

Gruppenschulung & Infobroschüre<br />

Ausstattung mit AiperMotion für<br />

12 Monate<br />

Individuelle monatliche telefonische<br />

Begleitung<br />

Ärztliche Eingangs-, Verlaufsund<br />

Abschlussuntersuchungen<br />

(0–4–8–12 Monate)<br />

Betreuungsgruppe Brief (Universität)<br />

Gruppenschulung & Infobroschüre<br />

Ausstattung mit AiperMotion für<br />

12 Monate<br />

Schriftliche wöchentliche Feedbackberichte<br />

durch Universität Magdeburg<br />

Ärztliche Eingangs-, Verlaufsund<br />

Abschlussuntersuchungen<br />

(0–4–8–12 Monate)<br />

Die Auswertung der Daten brachte wichtige Erkenntnisse für die Entwicklung weiterer Präventionsprogramme.<br />

Ein einjähriges Motivations- und Schulungsprogramm, das telemetrische technische Hilfsmittel<br />

einsetzt, um zur körperlichen Aktivität zu animieren und Ernährungsgewohnheiten zu steuern, konnte<br />

deutlich effektiver und statistisch signifikant Gesundheitsrisiken bekämpfen als herkömmliche Präventionsmaßnahmen.<br />

Zudem erwies sich das Programm als eine sinnvolle und wirksame Ergänzung im Maßnahmenkatalog<br />

zur Diabetes-Prävention.<br />

Hinsichtlich der Akzeptanz und Compliance bei den Teilnehmern zeigte sich, dass Präventionsangebote<br />

besser angenommen und konsequenter durchgeführt werden, wenn sich die Teilnehmer als Mitglied einer<br />

Gruppe verstehen und sich – idealerweise persönlich – mit anderen Programmteilnehmern austauschen<br />

können. Dies hilft den Teilnehmern, sich gegenseitig zu motivieren und problematische Phasen<br />

gemeinsam durchzustehen.<br />

Nächste Schritte<br />

Aufgrund der Studienergebnisse des Projekts Fit heute – fit morgen entwickelte die 4sigma GmbH gemeinsam<br />

mit der Schwenninger Krankenkasse ein prototypisches Programm zur Diabetes-Primärprävention,<br />

das heute jedem Kostenträger für eine flächendeckende Anwendung angeboten werden kann.<br />

Perspektivisch soll eine Ausdehnung des Projektes auf weitere Zielgruppen erfolgen, um je nach gesundheitlicher<br />

Risikokonstellation eine Altersgruppe gezielt ansprechen und mit einem aktiven Lebensstil vertraut<br />

machen zu können.<br />

Ansprechpartner<br />

Ralf Pourie<br />

Geschäftsführer<br />

4sigma GmbH<br />

Bajuwarenring 19<br />

82041 Oberhaching<br />

Telefon: 089–950 084 460<br />

E-Mail: ralf.pourie@4sigma.de<br />

125


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Albertinen Herz- und Gefäßzentrum<br />

Regelhafte Implantation MRT-fähiger Schrittmacher<br />

Autor: Dirk Krollner<br />

Management Summary<br />

Seit Anfang des Jahres 2012 führt das Albertinen Herz-und Gefäßzentrum die regelhafte Implantation<br />

von MRT-fähigen Schrittmachern bei seinen Patienten durch. Magnetresonanztomographie-Untersuchungen<br />

gefährdeten bisher das Leben der Träger von Herzschrittmachern und waren daher strikt<br />

verboten. Die Patienten mussten für die Diagnostik des Weichteilgewebes mit Computertomographien<br />

(CT) Vorlieb nehmen – eine im Vergleich mit dem MRT deutlich unterlegene Methode und verbunden<br />

mit hoher Strahlendosis.<br />

Mit dem innovativen Vorgehen des Albertinen Herz- und Gefäßzentrums wird es Patienten mit Schrittmacher<br />

nun möglich, die Vorteile der MRT-Diagnostik zu nutzen. In Anbetracht der hohen Prävalenz von<br />

Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird so einer breiten Bevölkerungsschicht ein medizinischer Mehrwert geboten.<br />

Zudem wird bei den Betroffenen das Bewusstsein für unnötige Strahlenbelastung geschult.<br />

MRT-fähige Schrittmacher werden derzeit von den Kostenträgern (noch) nicht vergütet. Die Albertinen-<br />

Gruppe hat eine Vorreiterrolle übernommen und implantiert die neuen Herzschrittmacher regelhaft an<br />

den Standorten Albertinen-Krankenhaus und Evangelisches Amalie-Sieveking-Krankenhaus. Erste Kliniken<br />

wie das Klinikum Delmenhorst haben sich der Idee bereits angeschlossen.<br />

Umsetzung<br />

Der Einsatz eines Schrittmachers bei Patienten mit zu langsamen Herzschlag zählt zu den etablierten<br />

Therapieformen in der Kardiologie, brachte für die Patienten bisher jedoch den Nachteil mit sich, dass sie<br />

ein absolutes Verbot für MRT-Untersuchungen hatten. MRTs sind aber die Diagnostikmethode erster<br />

Wahl für die Darstellung von Weichteilgewebe wie des Nervensystems, zur Früherkennung von Schlaganfällen<br />

und zur Erkennung von muskuloskeletalen Erkrankungen. Für Patienten mit Herzschrittmachern<br />

blieb als Diagnosemethode ausschließlich die Computertomographie (CT). Diese ist jedoch mit einer<br />

hohen Strahlenbelastung verbunden und gegenüber dem MRT deutlich ungenauer.<br />

Herkömmliche Schrittmacher werden durch die Magnetfelder einer MRT beeinträchtigt. Hauptproblem<br />

stellen dabei die Elektroden dar, über die der Schrittmacher mit dem Herzen in Verbindung steht. Die<br />

Elektroden messen die elektrische Aktivität des Herzens und geben die Impulse des Schrittmachers an<br />

den Herzmuskel ab – damit das Herz schlägt, auch wenn es selber keinen elektrischen Impuls aussendet.<br />

Die vom MRT erzeugte magnetische Energie wird von herkömmlichen Schrittmachern aufgenommen<br />

und zur Spitze der Elektrode geführt. An dieser Stelle wird sie gebündelt und kann so stark werden, dass<br />

im Gewebe Vernarbungen entstehen. Werden diese Vernarbungen zu groß, kann das Gewebe keine<br />

elektrischen Ströme mehr leiten und der Schrittmacher seine Funktion nicht mehr erfüllen.<br />

126


Albertinen Herz- und Gefäßzentrum<br />

Herstellern von Herzschrittmachern ist es nun vor kurzem gelungen, MRT-kompatible Geräte herzustellen<br />

und auf den Markt zu bringen. Bei diesen Geräten ist es möglich, einen MRT-Modus zu aktivieren, der<br />

das Gerät gegen das Magnetfeld abschirmt.<br />

Das Albertinen Herz-und Gefäßzentrum setzte diese neuen Geräte zunächst nur bei sehr jungen Patienten<br />

ein sowie bei Patienten, bei denen eine Kernspinuntersuchung bereits absehbar war. Zwar ist es<br />

hochwahrscheinlich, dass Herzschrittmacherpatienten im Laufe ihres Lebens eine MRT-Untersuchung<br />

benötigen, jedoch ist es schwierig, eine konkrete Bedarfsgruppe vorherzusagen. Aktuelle Studien zu<br />

MRT-fähigen Schrittmachern kommen zu positiven Ergebnissen, was in Fachkreisen zur aktuellen Diskussion<br />

um eine flächendeckende Implementierung führte. Aufgrund dieser Ergebnisse schätzte man im<br />

Albertinen Herz-und Gefäßzentrum die reguläre Implantation der neuen Geräte als sinnvoll ein und entschied<br />

sich, die innovativen Geräte bei allen Patienten einzusetzen. Auch wenn dies – aufgrund noch<br />

mangelnder Vergütung durch die Kostenträger – für die Klinik mit mehreren hundert Euro Mehrkosten<br />

verbunden ist, wird die Behandlung seit 2012 an den Standorten Albertinen-Krankenhaus und am Evangelischen<br />

Amalie-Sieveking-Krankenhaus durchgeführt.<br />

Herzschrittmacher-Patienten des Albertinen Herz-und Gefäßzentrum können dank der innovativen Behandlungsmethode<br />

von der MRT-Diagnostik profitieren – sogar im Bereich der Brustkorborgane und des<br />

Herzens. Dies bedeutet für die Betroffenen eine effektive Maßnahme zur Vermeidung von Strahlenbelastung;<br />

strahlenbedingten Gesundheitsschäden wird somit vorgebeugt.<br />

Nächste Schritte<br />

Das Albertinen Herz- und Gefäßzentrum strebt die Umsetzung eines flächendeckenden Einsatzes von<br />

MRT-fähigen Herzschrittmachern in Deutschland an. Derzeit sind die neuen Geräte noch sehr teuer. Damit<br />

sie zu wirtschaftlichen Preisen angeboten werden können bzw. die Kosten in die Fallpauschalenvergütung<br />

des DRG-Systems aufgenommen werden, müssen die Krankenkassen vom qualitativen Mehrwert<br />

der Behandlung überzeugt werden. Hierfür benötigt es aus Sicht des Albertinen Herz- und<br />

Gefäßzentrums weitere innovativ denkende Kliniken und Praxen, die eine Vorreiterrolle übernehmen.<br />

Denn nur wenn viele Kliniken dem Beispiel folgen und nicht renditeorientiert, sondern in erster Linie nach<br />

Qualitätsgesichtspunkten agieren, kann ein echter Mehrwert für die Patientenversorgung geschaffen<br />

werden. Dies ist die Grundlage, um neue Behandlungsformen in den Leistungskatalog aufzunehmen, die<br />

dem Wirtschaftlichkeitsgebot im Sozialgesetzbuch entsprechen.<br />

Ansprechpartner<br />

Dr. Dirk Krollner<br />

Leiter des Albertinen Herz- und Gefäßzentrums der Albertinen Gruppe<br />

Albertinen Herz- und Gefäßzentrum<br />

Süntelstraße 11a<br />

2257 Hamburg<br />

Telefon: 040 – 5588 6808<br />

E-Mail: dirk.krollner@albertinen.de<br />

www.albertinen-herzzentrum.de<br />

127


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Asklepios Klinik St. Georg<br />

Prävention und Frühdiagnostik von Diabetes mellitus Typ 2 durch<br />

aktives Screening von Patienten mit koronarer Herzerkrankung<br />

Autoren: Martin Merkel und Dirk Müller-Wieland<br />

Management Summary<br />

Die Prävalenz der Volkskrankheit Diabetes mellitus Typ 2 ist in Deutschland sehr hoch. Betroffen sind<br />

rund fünf Millionen Menschen. Zusätzlich wird von einer Dunkelziffer von etwa drei Millionen ausgegangen<br />

sowie von etwa sechs Millionen Prä-Diabetikern. Diabetes mellitus und das Metabolische Syndrom<br />

zeigen sich dabei als typische Risikofaktoren für vaskuläre Erkrankungen. So besteht bei diesen Patienten<br />

sehr häufig ein Prä- oder bereits ein manifester Diabetes.<br />

Das in 2008 initiierte Projekt der Asklepios Klinik St. Georg in Form einer Zusammenarbeit der diabetologischen<br />

und der kardiologischen Abteilungen hat daher zum Ziel, bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung<br />

(KHK) oder anderen arteriosklerotischen Erkrankungen einen bislang unbekannten Diabetes mellitus<br />

zu identifizieren. Das Screening erfolgt mit Hilfe eines oralen Glukosetoleranztests (oGTT), dem Goldstandard<br />

zur Diagnostik eines Diabetes mellitus. Die frühzeitige Entdeckung soll für diese Patienten präventive<br />

Maßnahmen ermöglichen – um das Erkrankungsrisiko zu senken bzw. bei einem bestehenden Diabetes<br />

die Versorgung zu verbessern.<br />

Eine erste Auswertung der Daten der Asklepios Klinik zeigte, dass bei einem Viertel der 1.410 untersuchten<br />

KHK-Patienten ein Diabetes mellitus und bei einem Drittel ein Prä-Diabetes entdeckt werden konnte.<br />

Für zwei weitere Projekte wurden finanzielle Mittel beantragt.<br />

Umsetzung<br />

Auf den Stationen des Herz-Gefäß und Diabetes-Zentrums der Asklepios Klinik St. Georg, insbesondere<br />

auf den Stationen der Kardiologie erfolgte das Screening bei Patienten (vorwiegend mit KHK) auf Diabetes<br />

mellitus mittels Glukosetoleranztests (oGTT). Dieser Test gilt als Goldstandard zur Diagnostik und wird<br />

von der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) genauso empfohlen wie von der Deutschen Gesellschaft<br />

für Kardiologie (DGK). Eine erste Auswertung der bisher durchgeführten Tests ergab, dass bei 26<br />

Prozent der 1.410 untersuchten Patienten ein Diabetes mellitus vorlag; bei weiteren 35 Prozent ein Prä-<br />

Diabetes (s. Abbildung 26).<br />

Um eine Unterdiagnose der Erkrankung zu vermeiden, muss ein oGTT durchgeführt werden; die alleinige<br />

Bestimmung des HbA1c-Wertes als Diagnosekriterium ist nicht ausreichend. Diese Schlussfolgerung war<br />

möglich, da von der Mehrzahl der Patienten gleichzeitig ein HbA1c-Wert vorlag. Nach dem Screening wurden<br />

die Ergebnisse dem jeweiligen Hausarzt übermittelt. Die Patienten wurden therapiert beziehungsweise<br />

hinsichtlich Prävention und Lebensstiländerung beraten. In den Stationen, auf denen der Test durchgeführt<br />

wurde, waren die Mitarbeiter im Anschluss für die Erkrankung Diabetes mellitus sensibilisiert. Auf<br />

Grundlage einer besseren Koordinierung konnte auch eine bessere Versorgung gewährleistet werden.<br />

128


Asklepios Klinik St. Georg<br />

Abbildung 26 – Screening von Patienten mit Arteriosklerose mittels oGTT auf Diabetes<br />

1500<br />

1<br />

0,8<br />

1000<br />

0,6<br />

oGTT (n)<br />

500<br />

0,4<br />

oGTT (%)<br />

0,2<br />

0<br />

Gesamt<br />

Normal<br />

IFT<br />

IGT<br />

Diabestes<br />

neu<br />

0<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Nächste Schritte<br />

Nach Zusage der Finanzierung soll im Rahmen zweier weiterer zweijähriger wissenschaftlicher Projekte<br />

zum einen das Screening mittels oGTT intensiviert werden, zum anderen ist das Ziel, zusätzliche Untersuchungen<br />

durchzuführen sowie in einer Datenbank zu dokumentieren (z. B. Bestimmung des HbA1c-<br />

Wertes, Blutproben). Unterstützen könnte eine Medizinische Fachangestellte, die täglich anwesend ist.<br />

Um weitere oder gar bessere Plasmaparameter zur Früherkennung eines Diabetes zu entwickeln, werden<br />

die Resultate im Zusammenhang ausgewertet. Darüber hinaus werden Hausärzte gesondert schriftlich<br />

über die Ergebnisse informiert; eine Weiterbehandlung wird empfohlen. Das kann zu einer stärkeren Vernetzung<br />

der Sektoren führen. Prä-Diabetikern wird eine Schulung zur Prävention angeboten. Die Patienten<br />

mit einem entdeckten Diabetes erhalten neben therapeutischen Maßnahmen eine Lebensstilintervention<br />

sowie eine Schulung.<br />

Um die Effektivität von Prävention und Diagnostik von Diabetes bei Patienten mit KHK durch ein oGTT-<br />

Screening zu demonstrieren, sollen in einem zweiten Projekt die Lebensqualität erhoben werden, die<br />

Therapie, der aktuelle HbA1c-Wert sowie eventuelle Diabetes-Komplikationen. Anhand eines standardisierten<br />

Fragebogens werden die bisher untersuchten 1.410 Patienten und deren behandelnden Ärzte telefonisch<br />

interviewt. Zusammen mit einem externen Institut soll das Projekt anschließend evaluiert werden.<br />

129


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Ansprechpartner<br />

Prof. Dr. med. M. Merkel<br />

Prof. Dr. med. D. Müller-Wieland<br />

1.Medizinische Abteilung<br />

Asklepios Klinik St. Georg<br />

Lohmühlenstr. 5<br />

20099 Hamburg<br />

Telefon: 040 – 181 885-2352<br />

E-Mail: m.merkel@asklepios.com<br />

130


Bezirkskrankenhaus Bayreuth<br />

Bezirkskrankenhaus Bayreuth<br />

Telehealth im Smarthome – Teletherapie von Sprachstörungen<br />

bei Parkinson-Patienten<br />

Autor: Bettina Hoffmann und Matthias Keidel<br />

Management Summary<br />

Innerhalb des Modellprojekts „Telehealth im Smarthome“ werden Parkinson-Patienten mit rigid-hypokinetischen<br />

Dysarthrien telemedizinisch mit Sprach- und Sprechtherapie versorgt. Die Patienten kommunizieren<br />

dabei zeitsynchron, online – dialogisch mit ihren Ärzten und Therapeuten über eine internetbasierte<br />

Bild- und Tonübertragung (screen to screen).<br />

Auf diese Art und Weise wird dem motorisch eingeschränkten Parkinsonpatienten ermöglicht, mit einer<br />

effektiven Frequenz an einer Sprachtherapie teilzunehmen. Zudem ist Telehealth im Smarthome eine<br />

Antwort auf medizinisch unterversorgte Gebiete und die mangelnde Infrastruktur auf dem Land.<br />

Das Bezirkskrankenhaus Bayreuth initiierte das Modellprojekt 2011. Eine erste Evaluation im November<br />

2012 konnte zeigen, dass Patienten eine verbesserte Kommunikations- und Teilhabemöglichkeit erleben<br />

– was zu einer erhöhten Lebensqualität führt.<br />

Umsetzung<br />

Parkinson ist eine der häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen des Nervensystems, an der insbesondere<br />

ältere Menschen erkranken. Typische Symptome sind unter anderem Bewegungsmangel, Zittern<br />

(Tremor), erhöhte Muskelspannungen und Gleichgewichtsstörungen. 90 Prozent der Patienten leiden<br />

zudem unter Sprechstörungen. Die Folge ist häufig eine geringere Teilnahme an sozialer Interaktion, was<br />

zu starken Einschränkungen in der Lebensqualität führen kann. Diese Beeinträchtigungen können therapeutisch<br />

behandelt werden. Allerdings ist die Organisation der poststationäre Behandlung insbesondere<br />

in ländlichen Regionen nicht immer einfach.<br />

Die neurologische Klinik des Bezirkskrankenhauses Bayreuth bietet als Lösung eine Telesprachtherapie<br />

an: Der Patient kann in seiner häuslichen Umgebung verbleiben und so im ambulanten und poststationären<br />

Rahmen an dem Sprechtraining teilnehmen. Diese therapeutische Leistung wird im Smarthome zur<br />

Unterstützung eines ‚ambient assistant living’ via Internet realisiert, als interaktiver, audiovisueller Dialog.<br />

Dafür erhält der Patient einen Behandlungskoffer, indem sich alle notwendigen technischen Geräte befinden.<br />

Patient und Therapeut agieren in Echtzeit miteinander.<br />

Diese technologisierte Therapieleistung erspart dem Patienten aufwendige Wege und ermöglicht eine<br />

therapeutische Betreuung im eigenen Wohnzimmer. Die Therapiefrequenz kann gesteigert werden.<br />

Durch Telehealth im Smarthome kann zum einen die geringe Dichte an Fachtherapeuten ausgeglichen<br />

werden, zum anderen müssen durch das Telemedizinkonzept die motorisch eingeschränkten Patienten<br />

nicht den Weg in eine Praxis oder Klinik auf sich nehmen, sodass weniger Patiententransferleistungen<br />

erbracht werden müssen.<br />

131


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

In einer prospektiven Studie von 2005 bis 2008 wurde die Effizienz der virtuellen Telesprachtherapie<br />

(screen to screen) im Vergleich zur klassischen Therapie (face to face) bei Patienten mit Aphasie (Störung<br />

der Sprachverarbeitung) geprüft. Das Bayrische Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und<br />

Frauen finanzierte die Studie. Die Ergebnisse zeigten, dass sich die Sprachdefizite in beiden Gruppen signifikant<br />

verbesserten. Auch von Patientenseite wird dieses Ergebnis bestätigt: die Fähigkeit zu kommunizieren<br />

und die Teilnahme am Alltagsleben verbesserten sich – die Lebensqualität stieg an.<br />

Das aktuelle Modellprojekt wurde 2011 von der Neurologischen Klinik im Bezirkskrankenhaus Bayreuth<br />

mit einer voraussichtlichen Dauer von zwei Jahren gestartet. Die technische Umsetzung erfolgt in Kooperation<br />

mit dem Zentrum Teleneurologie des Universitätsklinikums Erlangen. Der Therapieerfolg wird unter<br />

anderem durch den Bewertungsbogen der LSVT-Foundation sowie dem Voice-Handicap-Index (VHI) evaluiert.<br />

Abbildung 27 – Voice-Handicap-Index (VHI) nach 4-wöchiger LSVT-Teletherapie<br />

Voice Handicap Index (VHI)<br />

140<br />

120<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

Vorher<br />

Nachher<br />

P F E<br />

0<br />

vorher<br />

nachher<br />

vorher<br />

nachher<br />

vorher<br />

nachher<br />

vorher<br />

nachher<br />

vorher<br />

nachher<br />

vorher<br />

nachher<br />

vorher<br />

nachher<br />

vorher<br />

nachher<br />

1 2 3 4 5 6 7 8<br />

Patienten<br />

P= Physisch; F=Funktionell; E=Emotional<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Eine erste Zwischenanalyse der acht in die Studie eingebundenen Parkinson-Patienten wurde bereits im<br />

November 2012 durchgeführt und führte zu folgenden Ergebnissen: Bei einer durchgehend guten Compliance<br />

der Patienten veränderte sich die Sprachfähigkeit bei jedem Teilnehmer positiv. Der VHI, ein Indikator<br />

für die subjektive Belastung aufgrund der Stimmstörung nahm ab (s. Abbildung 27).<br />

Die Ergebnisse weisen auf eine hohe Effizienz der Telesprachtherapie hin. Patienten gaben aufgrund ihrer<br />

verbesserten Fähigkeit zum sozialen, kommunikativen Miteinander eine verbesserte Lebensqualität an.<br />

132


Bezirkskrankenhaus Bayreuth<br />

Nächste Schritte<br />

Zukünftig soll das Programm von „jungen Kranken“ auf „alte Gesunde“ ausgedehnt werden, um dem<br />

demographischen Wandel zu begegnen. Für ältere multimorbide und pflegebedürftige Menschen bzw.<br />

für Menschen mit einer motorischen Behinderung (z. B. Schlaganfall, Querschnittslähmung, Multiple<br />

Sklerose) können zusätzliche Telemedizinkonzepte angeboten werden; dem Versorgungsengpass wird<br />

begegnet.<br />

Ansprechpartner<br />

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Matthias Keidel<br />

Chefarzt Klinik für Neurologie<br />

Schmerzambulanz<br />

Bezirkskrankenhaus Bayreuth<br />

Nordring 2<br />

95445 Bayreuth<br />

Telefon: 0921 – 283-3300<br />

E-Mail:<br />

matthias.keidel@bezirkskrankenhaus-bayreuth.de<br />

www.bezirkskrankenhaus-bayreuth.de<br />

Bettina Hoffmann M.A.<br />

Neurolinguistin<br />

Klinische Linguistin (BKL)<br />

Bezirkskrankenhaus Bayreuth, Klinik für Neurologie<br />

Nordring 2<br />

95445 Bayreuth<br />

Telefon: 0921 – 283-6432<br />

E-Mail:<br />

bettina.hoffmann@bezirkskrankenhaus-bayreuth.de<br />

www.bezirkskrankenhaus-bayreuth.de<br />

133


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Das Düsseldorfer Modell<br />

Integrierte Versorgung der frühen Arthritis<br />

Autor: Hans-Eckhard Langer<br />

Management Summary<br />

Ziel des Modellprojekts ist es, die frühe rheumatoide Arthritis frühzeitig zu diagnostizieren und adäquat zu<br />

therapieren – durch eine sektorübergreifende, aufeinander abgestimmte und individuelle Versorgung. Zudem<br />

sollen Ressourcen kosteneffektiver eingesetzt und administrative Hürden abgebaut werden.<br />

Externe Evaluationsergebnisse über bis zu 7 Jahre deuten darauf hin, dass durch das integrierte Versorgungsmodell<br />

eine hohe Ergebnisqualität erreicht wird – bei optimiertem Ressourceneinsatz.<br />

Das Integrierte Versorgungsprojekt nach § 140 a-d SGB V startete am 01. Juli 2005. Zurzeit sind mehr als<br />

600 Patienten eingeschrieben. Das Konzept ist in Deutschland bislang einzigartig. Vertragspartner sind<br />

RHIO (Rheumatologie, Immunologie, Osteologie) Düsseldorf mit einer rheumatologischen Schwerpunktpraxis,<br />

das Evangelische Krankenhaus (EVK) Düsseldorf, die KV Consult der Kassenärztlichen Vereinigung<br />

Nordrhein (KVNo) sowie auf Kassenseite die DAK Gesundheit (anfangs DAK und Hamburg Münchener<br />

Krankenkasse HMK). Finanziert wird das Modell über risikoabhängige Komplexpauschalen.<br />

Umsetzung<br />

Für das Projekt wurde gemeinsam mit Hausärzten ein Screening-Tool entwickelt. Mit diesem sollen Hausoder<br />

Fachärzte möglichst innerhalb der ersten 16 Wochen nach Krankheitsbeginn eine frühe Arthritis<br />

identifizieren. Im Anschluss werden Risikopatienten an die Früharthritis-Klinik überwiesen. Dort werden<br />

ein zweites, erweitertes Screening sowie eine Basisdiagnostik durchgeführt. Auf Basis der Untersuchungen<br />

wird ein patientenindividueller Score ermittelt, der den Krankheitsverlauf vorhersagt. Bei Patienten<br />

mit einem Score zwischen 0 und 2 verläuft die Krankheit mit einer Wahrscheinlichkeit von über 75 Prozent<br />

günstig; sie werden nur niederschwellig fachrheumatologisch mitbehandelt, sollen sich aber zu drei<br />

weiteren Nachkontrollen in der Früharthritisklinik vorstellen. Patienten mit einem hohen Risiko für einen<br />

ungünstigen, chronischen Verlauf (Score 3 bis 13) erhalten weitere diagnostische Maßnahmen. Nach einem<br />

zweiten Scoring und einer abschließenden Gesamtbeurteilung durch den Rheumatologen wird der<br />

Patient in eine von vier Risikogruppen eingeteilt. Alle drei Monate wird die Einstufung überprüft und gegebenenfalls<br />

angepasst. Je nach Risikogruppe werden unterschiedliche, risikobezogene Therapien eingeleitet.<br />

Alle Patienten erhalten zudem die strukturierte Patientenschulung „Chronische Polyarthritis/rheumatoide<br />

Arthritis“ der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie. Das Therapiekonzept ist generell<br />

gekennzeichnet durch ein engmaschiges Therapie- und Verlaufsmonitoring, eine outcome-orientierte<br />

Therapiesteuerung/Adaptation/Modifikation sowie durch die Koordination und Kooperation aller am Versorgungsprozess<br />

Beteiligten. Dadurch wird die Versorgung optimiert und an die individuellen Bedürfnisse<br />

angepasst.<br />

134


Das Düsseldorfer Modell • Integrierte Versorgung der frühen Arthritis<br />

Nächste Schritte<br />

Das Modellprojekt wurde nach Abschluss der Anschubfinanzierung der Integrierten Versorgung in die<br />

Regelfinanzierung überführt. Ein Integrierter Versorgungsvertrag mit der BKK ESSANELLE wurde am<br />

01.07.2010 unterzeichnet und erweitert das Düsseldorfer Modell auf alle entzündlich-rheumatischen Erkrankungen.<br />

Das Projekt ist also auf andere Settings übertragbar. Bei optimierten Ressourceneinsatz<br />

steigert es die Ergebnisqualität. Das integrative, risikobezogene Versorgungsmodell kann also als gelungenes<br />

Beispiel eines neuartigen Versorgungsansatzes in der Rheumatologie bezeichnet werden.<br />

Ansprechpartner<br />

Priv. Doz. Dr. med. Hans-Eckhard Langer<br />

RHIO (Rheumatologie, Immunologie, Osteologie) Düsseldorf<br />

Fürstenwall 99<br />

40217 Düsseldorf<br />

Telefon: 0211–520 666 0 oder -11<br />

E-Mail: Dr.Langer@rheuma-online.de<br />

135


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

DermISplus<br />

Dermatoonkologische Versorgung von Immunsupprimierten Patienten<br />

Autor: Wolfgang Bölter<br />

Management Summary<br />

Patienten mit einer Organtransplantation haben aufgrund der transplantationsbedingten Immunsuppression<br />

ein bis zu 20-fach erhöhtes Risiko, an Hauttumoren zu erkranken. Hierbei ist insbesondere eine rasche<br />

Progredienz von aktinischen Keratosen zu aggressiv wachsenden invasiven Plattenepithelkarzinomen<br />

von Bedeutung. Das Versorgungsprojekt DermISplus bietet für diese Patienten eine optimale,<br />

risikoadjustierte und dermatoonkologische Nachsorge. Das Projekt will Qualität, Wirtschaftlichkeit, Patientenorientierung<br />

und Behandlungssicherheit innerhalb des gesamten Versorgungsprozesses optimieren.<br />

Initiiert und entwickelt wurde das Versorgungsmodell durch den DermIS-Arbeitskreis, bestehend aus<br />

onkoderm e.V., dem Facharztnetz niedergelassener Dermatologen mit Schwerpunkt Dermatoonkologie<br />

und spezialisierten dermatologischen Fachkliniken in räumlicher oder institutioneller Nähe zu den wichtigsten<br />

Transplantationszentren Deutschlands. Für die Projektumsetzung wurde als koordinierende Stelle<br />

die GSB Deutsche Gesundheitssystemberatung GmbH beauftragt.<br />

Basierend auf den Regelungen zur Integrierten Versorgung nach § 140 a-d SGB V wurde ein strukturiertes,<br />

dermatoonkologisches Versorgungskonzept entwickelt.<br />

Umsetzung<br />

Ein umfassendes Versorgungskonzept, das verhindert, nach einer Organtransplantation frühzeitig an<br />

Hautkrebs zu erkranken, ist selten und noch nicht Bestandteil des gesetzlichen Leistungskatalogs. Im<br />

Rahmen von DermISplus sollen einerseits Behandlungs- und Lebensqualität von organtransplantierten<br />

Patienten verbessert und andererseits Morbidität, Folgeerkrankungen und Krankheitsprogressionen verhindert<br />

werden, indem präventive und kurative dermatoonkologische Leistungen vernetzt werden und<br />

die Zusammenarbeit mit allen am Behandlungsprozess beteiligten – besonders qualifizierten – Akteuren<br />

intensiviert wird. Bei bereits bestehenden Hautkrebserkrankungen bietet DermISplus eine ambulante,<br />

spezialfachärztliche Behandlung an. Durch sie können u.a. auch stationäre Leistungen – primäre Behandlungen<br />

oder zum Teil mehrfache Rehospitalisierungen – vermieden werden.<br />

Das Integrierte Versorgungskonzept beinhaltet folgende Leistungen:<br />

• Einschreibung und Beratung der Patienten<br />

• Frühzeitige Sanierung von aktinischen Keratosen und Screeningmaßnahmen zur Verhinderung des Entstehens<br />

von Plattenepithelkarzinomen, Schulung der Patienten, z. B. zum UV-Schutz und Sicherung der<br />

Patientenadhärenz<br />

• Sektorübergreifende Therapieplanung<br />

136


DermISplus • Dermatoonkologische Versorgung von Immunsupprimierten Patienten<br />

• Jährlich abgestimmte und fortwährende Hautkrebsfrüherkennung in Folge einer Risikostratifizierung<br />

• Qualitätsgesicherte, indikationsspezifische und ggf. wiederholte photodynamische Therapie (PDT)<br />

• Nachbehandlung bei vorhandenen Resttumoren<br />

• Förderung der dermatoonkologischen Behandlung im ambulanten Bereich<br />

• Behandlung nach definierten und verbindlichen Behandlungspfaden<br />

• Dokumentation und Evaluation des Behandlungsverlaufs.<br />

Das DermISplus-Konzept ermöglicht eine regionale und bundesweit flächendeckende Versorgung durch<br />

hochqualifizierte medizinische Versorgungseinrichtungen. Die Leistungserbringung im Rahmen der Behandlungspfade<br />

wurde vier Leistungsebenen zugeordnet. Die Leistungen des DermIS-Netzwerks befinden<br />

sich in der Versorgungsebene drei und vier (s. Tabelle 15).<br />

Tabelle 15 – Vier Ebenen von Versorgung<br />

1. Versorgungsebene<br />

2. Versorgungsebene<br />

3. Versorgungsebene<br />

* DermIS Netzwerk<br />

4. Versorgungsebene<br />

* DermIS Netzwerk<br />

• Facharzt für<br />

Innere Medizin<br />

• Ermächtigter<br />

Facharzt für<br />

Transplantationschirurgie<br />

• Transplantationszentren<br />

• Facharzt für<br />

Dermatologie<br />

• Facharzt für<br />

Dermatologie<br />

und Zusatzweiterbildung<br />

medikamentöse<br />

Tumortherapie<br />

• Facharzt für Dermatologie<br />

und Zusatzweiterbildung<br />

medikamentöse Tumortherapie<br />

• Zulassung als onkologisch<br />

verantwortlicher Arzt bei der<br />

zuständigen KV<br />

oder<br />

• Erfüllung der Zulassungsvoraussetzungen<br />

als onkologisch<br />

verantwortlicher Arzt<br />

soweit die zuständigen KVen<br />

keine Onkologievereinbarung<br />

mit den Krankenkassen<br />

vereinbart haben<br />

• Facharzt für Dermatologie<br />

und Zusatzweiterbildung<br />

medikamentöse Tumortherapie<br />

• Zulassung als onkologisch<br />

verantwortlicher Arzt bei der<br />

zuständigen KV<br />

oder<br />

• Erfüllung der Zulassungsvoraussetzungen<br />

als onkologisch<br />

verantwortlicher Arzt soweit<br />

die zuständigen KVen keine<br />

Onkologievereinbarung mit<br />

den Krankenkassen vereinbart<br />

haben<br />

• Mindestzahl von 200 mit PDT<br />

(photodynamische Therapie)<br />

behandelten Patienten pro Jahr<br />

(PKV + GKV)<br />

• Mindestzahl von 200 mit PDT<br />

behandelten Patienten pro Jahr<br />

(PKV + GKV)<br />

• Zulassung zum ambulanten<br />

Operieren nach § 115b SGB V<br />

• Operateur in einer Haupt- oder<br />

Belegabteilung an einem der<br />

teilnehmenden Krankenhäuser<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Die Behandlungspfade stellen sicher, dass die jeweiligen Versorgungsebenen verstärkt zusammen arbeiten,<br />

in den kurativen wie in den präventiven Behandlungsphasen. Ein spezielles Dokumentations- und<br />

Überleitverfahren bringt Vorteile für den Patienten, wie zum Beispiel:<br />

• Versorgungssicherheit und Einbindung in ein strukturiertes und kooperatives Früherkennungs- und Behandlungskonzept<br />

• Vermeidung von Folgeerkrankungen durch innovative Behandlungsmethoden<br />

137


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

• Steigerung der Lebensqualität und Lebensdauer<br />

• Stärkung von ambulanten und kurzstationären Behandlungen<br />

Die Dokumentationsbögen sind zugleich Abrechnungsgrundlage für die IV-Vergütung. Die Vergütung erfolgt<br />

extrabudgetär auf Basis von Komplex-/Fallpauschalen für die Behandlungsleistungen der teilnehmenden<br />

Leistungserbringer. Über die Höhe der jeweiligen Fallpauschalen wird mit den Krankenkassen<br />

verhandelt.<br />

Nächste Schritte<br />

Die bereits geknüpften Kontakte zu Krankenkassen auf Landes- und Bundesebene werden weiterhin<br />

vertieft. Die Initiatoren des Integrierten Versorgungsprojektes streben Abschlüsse von Verträgen zur Integrierten<br />

Versorgung mit Krankenkassen an. Im Rahmen einer zeitlich und örtlich stufenweisen Modellumsetzung<br />

ist es möglich, dass die ersten Patienten des Versorgungskonzeptes sehr kurzfristig das Leistungsangebot<br />

von DermISplus in Anspruch nehmen. Ein Evaluierungskonzept und ein Messinstrument<br />

zur Beurteilung des Therapieerfolges werden entwickelt. Die Evaluationsergebnisse sollen dazu dienen,<br />

die Versorgungsinhalte bei bestehendem Bedarf anzupassen sowie die Wirtschaftlichkeit zu messen.<br />

Ansprechpartner<br />

Wolfgang Bölter<br />

Prokurist<br />

GSB Deutsche Gesundheitssystemberatung GmbH<br />

Wiesenkamp 22a<br />

22359 Hamburg<br />

Telefon: 040 – 226 227 545<br />

E-Mail: wolfgang.boelter@deutsche-gsb.de<br />

www.deutsche-gsb.de<br />

138


Diabeteszentrum Billstedt-Horn<br />

Diabeteszentrum Billstedt-Horn<br />

Auswirkungen der pulsierenden Magnetfeldtherapie<br />

auf die Wundheilung der diabetischen Fußwunde<br />

Autor: Christian Marks<br />

Management Summary<br />

Das Projekt des Diabeteszentrum Billstedt-Horn befasst sich mit Auswirkungen der pulsierenden Magnetfeldtherapie<br />

auf die Wundheilung der diabetischen Fußwunde. Im Jahr 2006 wurde an zehn Patienten<br />

eine Anwendungsbeobachtung durchgeführt, die Erfahrungen mit dieser Therapie wurden dokumentiert.<br />

Zusätzlich zur üblichen Versorgung wurden Patienten im mittleren bis höheren Lebensalter mit einem<br />

Magnetfeldtherapiesystem behandelt; die Veränderung der Wundabmessungen wurde festgehalten. Die<br />

Beobachtungen lieferten Anhaltspunkte dafür, dass schlecht heilende Wunden schneller heilen, wenn<br />

das Diabetische Fußsyndrom begleitend mit der pulsierenden Magnetfeldtherapie behandelt wird.<br />

Umsetzung<br />

Das Diabetische Fußsyndrom – umgangssprachlich auch „diabetischer Fuß“ genannt – ist gekennzeichnet<br />

durch eine Kombination aus neuropathischen sowie mikro- und makroangiopathischen Veränderungen<br />

vor dem Hintergrund einer chronisch voranschreitenden Systemerkrankung. Diabetische Ulzera sind<br />

zumeist druckinitiiert. Durch die häufig schlechte Durchblutung heilt die Wunde meist sehr langsam. Des<br />

Öfteren wird die Wundheilung zusätzlich durch bakterielle Infektionen verkompliziert. So dauert der Heilungsprozess<br />

schnell ein halbes Jahr oder länger, wenn keine adäquate Therapie erfolgt oder die Compliance<br />

der Patienten mangelhaft ist.<br />

Ambulant wird die diabetische Fußwunde konventionell behandelt: mit wundreinigenden Substanzen,<br />

Wundtoilette, kleinen chirurgischen Eingriffen, Wundauflagen, üblichen Verbandsstoffen, entlastenden<br />

Therapieschuhen und orthopädischem Maßschuhwerk. In der stationären Versorgung kommen zusätzlich<br />

gefäßchirurgische Verfahren zum Einsatz.<br />

Zusätzlich zu den konventionellen Behandlungsmethoden existiert die pulsierende Magnetfeldtherapie,<br />

deren medizinische Bedeutung allerdings umstritten ist. Im Diabeteszentrum Billstedt-Horn mit seinem<br />

angeschlossenen Fußzentrum sollte nun beobachtet werden, wie sich die pulsierende Magnetfeldtherapie<br />

auf die Wundheilung der diabetischen Fußwunde auswirkt. Zwischen Frühjahr und Herbst 2006<br />

wurden daher zehn männliche und weibliche Patienten im mittleren bis höheren Lebensalter mit der<br />

Magnetfeldtherapie behandelt – zusätzlich zur konventionellen Wundbehandlung. Benutzt wurde das<br />

Magnetfeldtherapie-System EMA 100 mit Ringspule der Firma Eckart Rase Medizintechnik, Heuchelheim.<br />

Die Intensität und Frequenz des elektromagnetischen Felds sind veränderbar. Eine individuelle Impulssteuerung<br />

erzeugt in der Spule ein optimiertes Magnetfeld, das für die gewünschte lokale Behandlung<br />

nutzbar ist. Die Veränderung der Wundfläche wurde gemessen mit Hilfe des Visitrak Digital<br />

Wundmess-Systems von Smith & Nephew, Lohfelden.<br />

139


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Die Patienten wurden zufällig ausgewählt. Sie mussten bereit sein, regelmäßig zweimal pro Woche an<br />

einer 20-minütigen Behandlung teilzunehmen. Die Therapie wurde über durchschnittlich acht Wochen<br />

durchgeführt. Ein Patient brach die Therapie nach der ersten Sitzung ab, weil er diese als unangenehm<br />

empfand. Die anderen Patienten erschienen nicht immer regelmäßig zur Behandlung. In jedem dokumentierten<br />

Fall konnte jedoch mindestens eine Behandlung pro Woche umgesetzt werden. Zuletzt erschienen<br />

noch sechs der Patienten regelmäßig. Eine Aufteilung in zwei Gruppen (mit und ohne begleitende<br />

konventionelle Wundbehandlung) erfolgte nicht.<br />

Die größten Fortschritte wurden allgemein im Verlauf der ersten sechs bis acht Wochen gesehen (in dieser<br />

Versuchsanordnung nach etwa 12 bis 16 Behandlungen). Danach unterschieden sich die Wundverläufe<br />

kaum von der natürlichen Abheilung. Insgesamt liefen sie aber gleichmäßiger und regelhafter ab. Mit<br />

Ausnahme eines Patienten hatten die Teilnehmer durch die Magnetfeldtherapie zumeist ein angenehmes<br />

Wärmegefühl, teils ein geringes Kribbeln.<br />

Insgesamt lässt sich aus den vorliegenden Daten entnehmen, dass die pulsierende Magnetfeldtherapie<br />

bei schlecht heilenden Wunden multimorbider Patienten eine mögliche ergänzende Behandlungsform ist.<br />

So zeigten sich subjektiv verbesserte Wundverläufe – zum einen verkürzten sich Abheilungszeiträume,<br />

zum anderen wurden Parameter verbessert, die üblicherweise zur Beurteilung eines Wundverlaufes herangezogen<br />

werden. Die pulsierende Magnetfeldtherapie sollte im speziellen Fall des Diabetischen Fußsyndroms<br />

jedoch nicht ausschließlich angewendet werden, sondern nur begleitend.<br />

Nächste Schritte<br />

Bei der vorgestellten Untersuchung handelt es sich um eine Anwendungsbeobachtung. Die Ergebnisse<br />

sind nicht als signifikant anzusehen, sondern verstehen sich als Tendenzen. Trotzdem weisen die ersten<br />

Erkenntnisse in eine positive Richtung. Es wird daher vorgeschlagen, weitere Untersuchungen anzuschließen.<br />

Dabei sollten Frequenzen und Intensitäten geändert und ggf. auch unterschiedliche therapeutische<br />

Verfahren und Geräte zum Einsatz kommen.<br />

Ansprechpartner<br />

Dr. med. Christian Marks<br />

Ärztlicher Leiter<br />

Facharzt für Allgemeinmedizin, Diabetologe DDG/ÄK, Ernährungsmediziner DGE, Naturheilverfahren,<br />

Chirotherapie, Sozialmedizin, Akupunktur, Suchtmedizin<br />

Diabeteszentrum Billstedt-Horn<br />

Manshardtstrasse 117 A<br />

22119 Hamburg<br />

Telefon: 040 – 688 6078–0<br />

E-Mail: dr.marks@praxis-manshardtstrasse.de<br />

140


DiaLev • Früherkennung und Prävention von Diabetes mellitus Typ 2<br />

DiaLev<br />

Früherkennung und Prävention von Diabetes mellitus Typ 2<br />

Autoren: Bodo Denhoven, Wolfgang Hübner und Manfred Klemm<br />

Management Summary<br />

DiaLev ist ein Projekt zur Früherkennung und Prävention von Diabetes mellitus Typ 2, entwickelt vom<br />

Regionalen Gesundheitsnetz Leverkusen eG und der pronova BKK. Das Gesundheitsnetz Leverkusen ist<br />

ein operativer Zusammenschluss von ambulant niedergelassenen Haus- und Fachärzten sowie lokal ansässigen<br />

Diakoniestationen im Großraum Leverkusen; es hat derzeit 98 aktive Mitglieder.<br />

Für das Projekt erarbeiteten die beiden Partner insgesamt 15 Maßnahmen, die drei grundlegende Präventionsziele<br />

verfolgen:<br />

• Menschen mit einem erhöhten Diabetes-Risiko zu erkennen,<br />

• diese auf Vorstufen des Diabetes zu untersuchen,<br />

• und sie dem Risiko entsprechend frühzeitig zu behandeln und zu beraten sowie sie zur Verhaltensänderung<br />

anzuleiten.<br />

Anhand des eigens entwickelten Behandlungspfades DiaLev werden die Teilnehmer gezielt über den<br />

Umgang mit ihren Krankheitsrisiken informiert. Derzeit sind 433 Versicherte im Projekt eingeschrieben.<br />

Wichtiger Bestandteil des Projekts ist die Etablierung einer datenbankgestützten, webbasierten Führungs-<br />

und Dokumentations-EDV. Sie koordiniert neben den Behandlungspfaden die Dokumentation<br />

und Leistungshonorierung. Dies garantiert eine qualitativ hochwertige Versorgung über die Sektorengrenzen<br />

hinweg und bietet so einen Mehrwert – für den einzelnen Versicherten wie auch gesamtwirtschaftlich.<br />

Umsetzung<br />

Das Projekt DiaLev startete zum 1. Januar 2011 durch den Vertragsabschluss des Gesundheitsnetzes<br />

Leverkusen mit der pronova BKK. Die pronova BKK weist innerhalb des Gesundheitsnetzes eine Versichertenabdeckung<br />

von 45 Prozent auf. In der ersten Projektphase (Entwicklungsphase) wurde die webbasierte<br />

Datenbank etabliert; sie dient den beteiligten Leistungserbringern als Behandlungsgrundlage. In<br />

die Datenbank integriert wurden Softwaremodule zur Registrierung, zur Dokumentation und zur Abrechnung<br />

sowie der eigens entwickelte Behandlungspfad. Zudem wurde von den Projektpartnern ein Maßnahmenkatalog<br />

mit 15 Punkten erarbeitet (s. Tabelle 16).<br />

Die zweite Projektphase (Etablierungsphase) begann am 1. Oktober 2011. Von diesem Zeitpunkt an konnten<br />

sich die teilnehmenden Ärzte elektronisch in das Projekt einschreiben und die ersten Versicherten in<br />

den DiaLev-Behandlungspfad aufnehmen. Diese Aufnahme erfolgt anhand einer Risikostratifizierung, die<br />

mit Hilfe eines erweiterten Fragebogens (FindRisk) durchgeführt wird. Dieser teilt die Teilnehmer in drei<br />

Risikogruppen ein:<br />

141


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

• A: Personen mit erhöhtem Risiko, die jedoch die Kriterien für „Prädiabetes“ (noch) nicht erfüllen<br />

• B: Personen, bei denen die Kriterien für Prädiabetes erfüllt sind<br />

• C: Personen, bei denen ein manifester Diabetes diagnostiziert wurde und somit die Kriterien für das<br />

Disease-Management-Programm Diabetes erfüllt sind.<br />

Personen der Risiko-Gruppe B werden in das Projekt aufgenommen und für die Teilnahme am Schulungsprogramm<br />

PRAEDIAS motiviert – ein strukturiertes Schulungsprogramm zur Selbstmotivation der Patienten,<br />

das den Ausbruch des Diabetes effektiv verhindern bzw. verzögern kann. Neben Schulungseinheiten<br />

finden regelmäßige Kontrolluntersuchungen gemäß dem Behandlungspfad statt. Dieses Vorgehen zielt<br />

ab auf eine nachhaltige Lebensstilmodifikation der Risiko-Gruppe.<br />

Tabelle 16 – 15-Punkte Maßnahmenkatalog des Projekts DiaLev<br />

Maßnahmenkatalog<br />

• FindRisk-Bogen flächendeckend bekannt machen und ausfüllen lassen: in Arztpraxen, werksärztlichen Diensten,<br />

Apotheken und bei Informationsveranstaltungen zum Einsatz bringen und bewerben<br />

• Diagnostik des Diabetes mellitus Typ 2 bei Hausärzten intensivieren<br />

• Ausbildung von Medizinischen Fachangestellten zu Präventionsstrategien der Praxen<br />

• Diagnosebasierte Aufnahme in das Disease Management Programm Diabetes<br />

• Einsatz eines evaluierten Schulungsprogramms PRAEDIAS zur Prädiabetesintervention<br />

• „Train the Trainer“ Schulungen zu PRAEDIAS durchführen<br />

• Begleitung des Patienten mit Prädiabetes und Evaluierung der Maßnahmen über 3–5 Jahre<br />

• Aufklärung über die Auswirkungen von Bewegung zur Diabetesvermeidung und Behandlung aufzeigen<br />

• Anbieten und Vermitteln von vielfältigen Bewegungsangeboten im Raum Leverkusen durch Arztpraxen, Sportvereine,<br />

Fitness-Studios, VGS (Verein für Gesundheit und Sport)<br />

• Förderung der beruflichen Prävention über regionale Werksdienste; bei Arbeitnehmern, die den werksärztlichen<br />

Dienst in Anspruch nehmen, Durchführung des FindRisk-Bogens anbieten; bei Auffälligkeit ➝ Konsultation des<br />

Hausarztes<br />

• Aufklärungsarbeit in Kindergärten und Schulen<br />

• Schulung der Mitarbeiter ➝ gesunde Ernährung in Kindergärten und Ganztagsschulen<br />

• Vermitteln von Ernährungskursen; Übersicht über Ernährungskurse im Raum Leverkusen und Umgebung erstellen,<br />

mit Patient besprechen und Kurse vermitteln<br />

• Aufklärung über die Auswirkungen des Rauchens<br />

• Anbieten und Vermitteln von Raucherentwöhnungskursen<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Das Projekt wurde systematisch dokumentiert. Die so generierten Daten lassen einen positiven Trend<br />

erkennen hinsichtlich der Früherkennung von Diabetes. Ebenso zeichnet sich ab, dass die Krankenkassen<br />

aufgrund der Präventionsmaßnahmen Kosten sparen.<br />

Nächste Schritte<br />

Die ursprünglich geplante dritte Phase des Projekts, die regionale Übertragung von DiaLev auf umliegende<br />

Regionen, wurde nicht in die Wege geleitet. Stattdessen arbeitet das Gesundheitsnetz Leverkusen<br />

aufgrund der positiven Erfahrungen mit dem Programm an einer Ausdehnung auf andere chronische<br />

142


DiaLev • Früherkennung und Prävention von Diabetes mellitus Typ 2<br />

Krankheitsbilder wie KHK, Bluthochdruck, Asthma und COPD, Niereninsuffizienz und Schmerzerkrankungen.<br />

Es steht hierzu im Austausch mit verschiedenen Krankenkassen. Ebenso werden die technischen<br />

Projektbestandteile hinsichtlich einer geografischen und indikationsspezifischen Ausdehnung weiterentwickelt.<br />

Gezielte Schulungen sollen den Ärzten zudem helfen, die Patienten erfolgreicher zu motivieren.<br />

Ansprechpartner<br />

Dr. med. Bodo Denhoven<br />

Technisch administrative Leitung<br />

Dr. med. Wolfgang Hübner<br />

Medizinische Leitung<br />

Dr. rer.nat. Manfred Klemm<br />

Konzeptorganisation<br />

Regionales Gesundheitsnetz Leverkusen eG<br />

Dhünnberg 25<br />

51375 Leverkusen<br />

Telefon: 0241 – 404 999 19<br />

www.gesundheitsnetz-leverkusen.de<br />

143


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

donauMED<br />

Sektorenübergreifende Versorgung von Patienten<br />

mit Herzinsuffizienz<br />

Autoren: Johannes Ertl, Dagmar Griesbeck und Martin Huber<br />

Management Summary<br />

Das Arztnetz donauMED hat für die Behandlung von Patienten mit der Diagnose Herzinsuffizienz einen<br />

eigenen Behandlungspfad entwickelt. Zentrales Element dieses Behandlungspfades ist der Herzinsuffizienz-Pass<br />

für Patienten. Dieser ermöglicht, den Krankheitsverlauf kontinuierlich zu überwachen, den Patienten<br />

für seine Erkrankung zu sensibilisieren – sowie eine sektorenübergreifende Dokumentation und<br />

Versorgung. Der Behandlungszeitraum im donauMED-Behandlungspfad erstreckt sich über die 24 Wochen<br />

nach der Diagnose; in dieser Zeit wird der Patient engmaschig überwacht und in die Krankheitsdokumentation<br />

eingebunden. So sollen Krankenhauseinweisungen vermieden und Krankheitskosten reduziert<br />

werden.<br />

Zum Arztnetz donauMED gehören derzeit 89 Ärzte (Haus- und Fachärzte in etwa gleicher Verteilung)<br />

sowie drei Kliniken (Klinikum St. Elisabeth in Straubing, Klinik Bogen, Orthopädische Fachklinik Schwarzach).<br />

Das Netzwerk bietet seit 2008 den donauMED-Herzinsuffizienz-Pass an, im April 2013 wurde der<br />

Pass aktualisiert – gemäß den überarbeiteten Leitlinien der europäischen Gesellschaft für Kardiologie.<br />

Seit Projektbeginn wurden 500 Patientenpässe ausgegeben.<br />

Umsetzung<br />

Das Versorgungskonzept von donauMED für Patienten mit Herzinsuffizienz ist ein 24-wöchiges, engmaschiges<br />

Überwachungsprogramm, das sich in sieben Schritte gliedert:<br />

1. Identifikation des Herzinsuffizienz-Patienten<br />

2. Einstufung nach NYHA-Klassen<br />

3. Festlegung der Medikation<br />

4. Patientenaufklärungsgespräch<br />

5. Erstdokumentation im Patientenpass<br />

6. Aushändigung des Patientenpasses an den Patienten<br />

7. Vereinbarung der Folgetermine.<br />

Sobald bei einem Patienten durch einen donauMED-Netzarzt eine Herzinsuffizienz diagnostiziert wird,<br />

wird ihm ein personalisierter Herzinsuffizienz-Pass ausgestellt. Der Arzt legt die Medikation laut Versorgungsleitlinie<br />

fest. Danach wird der Patient über seine Krankheit sowie das weitere Vorgehen im Versor-<br />

144


donauMED • Sektorenübergreifende Versorgung von Patienten mit Herzinsuffizienz<br />

gungsprojekt aufgeklärt. Während des Programms muss er täglich selbstständig Blutdruck, Puls und<br />

Gewicht kontrollieren. Die Werte trägt er in seinen Patientenpass ein und bespricht sie in den Folgeterminen<br />

mit dem behandelnden Arzt. Während des Überwachungszeitraums finden neben der Erstdiagnose<br />

sechs Termine statt. Das erste Mal kommt der Patient nach zwei Wochen zur Folgeuntersuchung<br />

in die Praxis. Dabei werden die vom Patienten festgehaltenen Werte gemeinsam mit dem Arzt besprochen.<br />

Gegebenenfalls wird die Therapie angepasst sowie das weitere Vorgehen beraten. Ist die Dokumentation<br />

erfolgreich verlaufen, wird die Seite der ersten zwei Überwachungswochen aus dem Patientenpass<br />

getrennt und an das Netzbüro zur Evaluation übermittelt. Die Patientendaten werden hierfür<br />

anonymisiert.<br />

In den weiteren Folgeterminen werden die notierten Werte sowie mögliche Zielparameter besprochen; je<br />

nach Bedarf wird die Therapie angepasst. Nach jedem Termin ist der Arzt verpflichtet, eine Folgedokumentation<br />

auszufüllen und an das Netzbüro weiterzuleiten.<br />

Der Patient wird im donauMED-Projekt nicht nur engmaschig überwacht, sondern gleichzeitig auch in die<br />

Versorgung eingebunden. Den Betroffenen wird der Ernst ihrer Krankheit bewusst gemacht: z. B. durch<br />

die tägliche Kontrolle von Blutdruck, Puls und Gewicht. Durch die gemeinsame Besprechung der erfassten<br />

Werte wird dem Patienten zudem vermittelt, dass seine Daten wichtig sind für die Kontrolle seiner<br />

Krankheit.<br />

Abbildung 28 – Patientenpass Herzinsuffizienz: Selbstdokumentation (links) und ärztliche Folgedokumentation aus<br />

dem donauMED-Patientenpass (rechts)<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

145


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Der Herzinsuffizienz-Pass ist patientengerecht gestaltet und enthält nützliche Informationen. Dies ist<br />

nicht nur für den Patienten vorteilhaft; der Patientenpass ist auch Erinnerungshilfe für den Arzt, um die<br />

Medikation anzupassen. Die Dokumentationspflicht für den Arzt fördert die leitliniengerechte Umsetzung<br />

von Therapieempfehlungen und gewährleistet eine einheitliche Versorgungsqualität im donauMED-Netzwerk.<br />

Durch die Werte im Patientenpass lassen sich Veränderungen im Krankheitsverlauf schnell erkennen<br />

und mögliche akutstationäre Krankenhauseinweisungen verhindern. Nicht zuletzt profitiert der Patient<br />

von einer erleichterten sektorenübergreifenden Zusammenarbeit, wenn er bei Fachärzten oder in<br />

Kliniken seinen Patientenpass vorweisen kann.<br />

Nächste Schritte<br />

Aufgrund der positiven Erfahrungen mit dem Behandlungspfad für Herzinsuffizienz wurden von donau-<br />

MED weitere Behandlungspfade für Diabetes und Hypertonie entwickelt und implementiert. Diese sollen<br />

analog zum Behandlungspfad Herzinsuffizienz evaluiert und gemäß den Leitlinien der jeweiligen Fachgesellschaften<br />

aktualisiert werden.<br />

Ansprechpartner<br />

Johannes Ertl<br />

Geschäftsführung<br />

donauMED GmbH & Co. KG<br />

Oskar-von-Miller-Str. 6<br />

94315 Straubing<br />

Telefon: 09421 – 968770<br />

E-Mail: info@donaumed.com<br />

www.donaumed.com<br />

Dagmar Griesbeck<br />

Assistentin der Geschäftsführung<br />

donauMED GmbH & Co. KG<br />

Oskar-von-Miller-Str. 6<br />

94315 Straubing<br />

Telefon: 09421 – 968770<br />

E-Mail: info@donaumed.com<br />

www.donaumed.com<br />

Dr. med. Martin Huber<br />

Geschäftsführung<br />

donauMED GmbH & Co. KG<br />

Oskar-von-Miller-Str. 6<br />

94315 Straubing<br />

Telefon: 09421 – 968770<br />

E-Mail: info@donaumed.com<br />

www.donaumed.com<br />

146


GenoGyn – Prävention-aktiv • Erweiterte Präventionsmedizin in der Frauenheilkunde<br />

GenoGyn – Prävention-aktiv<br />

Erweiterte Präventionsmedizin in der Frauenheilkunde<br />

Autor: Jürgen Klinghammer<br />

Management Summary<br />

GenoGyn ist ein im Jahr 1997 gegründetes, unabhängiges Gemeinschaftsunternehmen mit knapp 600<br />

niedergelassenen Frauenärztinnen und Frauenärzten. Es unterstützt bei der Praxisführung, bietet eigene<br />

Fort- und Weiterbildungen und fokussiert sich auf die Präventionsmedizin. Ziele sind eine qualitativ hochwertige<br />

Versorgung sowie die Wirtschaftlichkeit der Praxis.<br />

Für die gesamtgesellschaftliche Gesunderhaltung hat die Gesundheitsprävention der Frau höchste Priorität<br />

– schließlich ist die Frau die Gesundheitsministerin der ganzen Familie. Die Arbeit der Gynäkologen<br />

besteht daher zum Großteil aus präventiven Versorgungsmaßnahmen. Um ein eigens zertifiziertes Fortbildungskonzept<br />

in der Präventionsmedizin zu entwickeln, wurde 2008 das Projekt GenoGyn-Präventionaktiv<br />

ins Leben gerufen. Inhalt des Projektes sind das Osteoporosescreening, Schilddrüsenerkrankungen,<br />

gesunde Ernährung, Gewichtsreduktion mit genetischer Stoffwechseluntersuchung, Prävention von<br />

Herz-Kreislauf Erkrankungen mit Messung der Halsschlagader, Prävention von Burn out und depressiven<br />

Erkrankungen, das Projekt „Körperliche Aktivität in allen Lebenslagen“, „Gesund im Alter“ sowie ein eigenes<br />

zertifiziertes Fortbildungskonzept in der Präventionsmedizin. In Folge dessen werden bundesweit<br />

regelmäßig Intensiv-Seminare angeboten. Inhalte und Anwendung der Präventionsmedizin wurden bisher<br />

mehr als 260 teilnehmenden Ärzten vermittelt.<br />

In Kooperation mit Diabetologen aus dem Raum Köln entstand im Jahr 2009 das Versorgungskonzept<br />

GestDiabGyn, das die Versorgung des Schwangerschafts-Diabetes verbessern soll. Finanziert wird das<br />

Projekt GenoGyn-Prävention-aktiv ausschließlich aus genossenschaftlichen Mitteln.<br />

Umsetzung<br />

Gynäkologen nehmen eine Schlüsselposition in der Präventionsmedizin ein, da sie Frauen jeden Alters in<br />

regelmäßigen Abständen erreichen und 90 Prozent ihrer Leistungen aus Vorsorgeuntersuchungen bestehen.<br />

GenoGyn sieht es daher als sinnvoll und verpflichtend an, das Präventionsspektrum einer qualifizierten<br />

Praxis zu erweitern, um Frauen eine umfassende und qualitativ hochwertige Versorgung zu ermöglichen<br />

(s. Tabelle 17).<br />

Um die erweiterten Präventionsleistungen anbieten und im Praxisalltag umsetzen zu können, bedarf es<br />

der notwendigen Qualifikation der Frauenärzte. Aus diesem Grund wurde mit dem Projekt GenoGyn-<br />

Prävention-aktiv im Jahr 2008 ein eigenes zertifiziertes Fortbildungskonzept entwickelt. In den 4-tägigen<br />

Intensiv-Seminaren werden alle relevanten Bereiche der Präventionsmedizin sowie die praktische Anwendung<br />

thematisiert. Die Seminare finden in regelmäßigen Abständen deutschlandweit statt. Geno-<br />

Gyn-Prävention-aktiv kooperiert dabei mit der Akademie für Gesundheitsförderung und Prävention e.V.<br />

(AEGP) sowie seit 2010 mit der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Anti-Aging Medizin e.V.<br />

147


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

(GSAAM). Unter die relevanten Bereiche fallen beispielsweise das Metabolische Syndrom, Adipositas,<br />

kardiovaskuläre Risiken, Hormonersatztherapie, moderne Krebsfrüherkennung, Depression etc.<br />

Durch eine aktive Öffentlichkeitsarbeit wird auf das Projekt GenoGyn-Prävention-aktiv aufmerksam gemacht<br />

– sowie auf Notwendigkeit und Möglichkeit von Prävention. Zudem findet man seit 2013 auf der<br />

Website des Therapeutennetzwerkes Präventionsmedizin Informationen zu Präventionsmaßnahmen sowie<br />

ein bundesweites Verzeichnis geeigneter Therapeuten (www.praevention-online.net).<br />

Tabelle 17 – Spektren gynäkologischer Versorgung<br />

Spektrum einer qualifizierten gynäkologischen Praxis<br />

• Seelische Begleitung in allen Lebensphasen<br />

• Beratung junger Frauen bezüglich sinnvoller Impfungen und Antikonzeptionsmaßnahmen<br />

• Beratung bei Kinderwunsch und Schwangerschaftsbetreuung<br />

• Beratung hinsichtlich Wechseljahre und Altersprävention<br />

Erweitertes Präventionsspektrum<br />

• Altersgemäßes Impfprogramm<br />

• Gesunde Ernährung<br />

• Gewichtsreduktionsmaßnahmen<br />

• Programme zu körperlichen Aktivität<br />

• Osteoporose Screening<br />

• Inkontinenzprävention<br />

• Altersgesundheit<br />

• Depressions- bzw. Burn-Out-Problematik<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Nächste Schritte<br />

GenoGyn versucht auch weiterhin, die Anwendung einer aktiven Gesundheitsprävention voranzutreiben<br />

und die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, um die Gesundheit kommender Generationen nachhaltig positiv<br />

zu beeinflussen. Dazu werden unter anderem wichtige medizinische Erkenntnisse genutzt – beispielsweise<br />

im Bereich der sogenannten fetalen Programmierung, wonach Kinder übergewichtiger Schwangerer<br />

bereits im Jugendalter ein erhöhtes Risiko für Übergewicht und Diabetes aufweisen.<br />

Ansprechpartner<br />

Dr. Jürgen Klinghammer<br />

Vorstandsmitglied der GenoGyn<br />

An der Kemperwiese 5<br />

51069 Köln<br />

Telefon: 0221 – 687 010<br />

E-Mail: dr.klinghammer@t-online.de<br />

www.genogyn-rheinland.de<br />

148


Gesundes Kinzigtal<br />

„Starke Muskeln – Feste Knochen“<br />

Gesundes Kinzigtal • „Starke Muskeln – Feste Knochen“<br />

Autor: Helmut Hildebrandt, Dörte Tillack, Arthur Feyrer und Thomas Ruck<br />

Management Summary<br />

Starke Muskeln – Feste Knochen ist ein Programm der Gesundes Kinzigtal GmbH zur Prävention von<br />

Frakturen bei Patienten mit Osteoporose. Das Programm dauert zwei Jahre und ist multimodular aufgebaut.<br />

Der erste Baustein ist eine intensive medizinische Check-Up-Untersuchung der Patienten; diese<br />

umfasst eine Auffälligkeitsprüfung beim Hausarzt oder Orthopäden und ggf. eine Knochendichtemessung<br />

per Dual-Röntgen-Absorptiometrie-Verfahren (DXA). Im zweiten Schritt erhalten die Patienten je<br />

nach Risikogruppe ein differenziertes Bewegungsprogramm zur Sturzprophylaxe und zur Aktivierung des<br />

Muskelaufbaus. Ein begleitendes Beratungs- und Betreuungsangebot zur Ernährung und Sturzprophylaxe<br />

für Patienten und Angehörige rundet das Programm ab.<br />

Starke Muskeln – Feste Knochen wurde 2007 entwickelt und ist Bestandteil der populationsorientierten<br />

Integrierten Versorgung im Gesunden Kinzigtal. Am Versorgungsprogramm beteiligen sich Haus- und<br />

Fachärzte, Physiotherapeuten, Fitnessstudios, Turn- und Sportvereine sowie Apotheken. Bis Ende August<br />

2013 waren 798 Teilnehmer eingeschrieben. Die Gesamtkosten des Programms trägt seit 2012 die<br />

Gesundes Kinzigtal GmbH.<br />

Das Investment in eine intensivere medizinische Untersuchung und Medikation, gezielte Bewegungsangebote<br />

und Unterstützung des Selbstmanagements hat sich gelohnt – so die interne und externe Evaluation.<br />

Ergebnis: Ein signifikant geringeres Frakturrisiko (OR: 0,68), eine beinahe Verdoppelung leitliniengerechter<br />

Arzneimitteltherapie und eine durchschnittliche Kostenersparnis von 225 Euro gegenüber einer<br />

analogen Vergleichsgruppe.<br />

Umsetzung<br />

Starke Muskeln – Feste Knochen steht allen Mitgliedern des Programms Gesundes Kinzigtals offen, die<br />

ein leichtes, erhöhtes oder stark erhöhtes osteoporotisches Frakturrisiko aufweisen. Entwickelt wurde<br />

das Programm von einer Projektgruppe aus Haus- und Fachärzten des Ärztenetzes MQNK sowie der<br />

Managementgesellschaft Gesundes Kinzigtal GmbH. In der ersten Projektphase wurden Prävalenzdaten<br />

von Osteoporose für die Region Kinzigtal erhoben. Daraufhin wurde eine Grundkonzeption entwickelt und<br />

in einer sechsmonatigen Pilotphase in den Arztpraxen eingeführt. Nach der Testphase wurde das Programm<br />

aufgrund der vorliegenden Erfahrungen angepasst. In der dritten Phase (ab 2011) wurde das Programm<br />

überprüft und erneut weiterentwickelt. Seit Oktober 2012 wird es den Patienten in seiner neuesten<br />

Form angeboten (s. Abbildung 29).<br />

149


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Abbildung 29 – Modularer Aufbau des Programms „Starke Muskeln – Feste Knochen“<br />

Baustein 1<br />

Baustein 2<br />

Baustein 3<br />

Medizinische<br />

Check-Up-<br />

Untersuchung<br />

Risikoadjustiertes<br />

Bewegungsprogramm<br />

Schulungs- und<br />

Beratungstermine<br />

zu Ernährung und<br />

Bewegung<br />

Einteilung in<br />

Risikogruppen<br />

Risikoadjustierte<br />

Medikation<br />

Bereitstellung von<br />

Informationsmaterial<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Gesamtprogrammdauer pro Patient: 2 Jahre<br />

Die Versorgung basiert auf den drei Bausteinen der Osteoporose-Prävention:<br />

1. Ärztliche Betreuung, engmaschige Begleitung und Motivierung, medikamentöse Therapie<br />

2. Gezielte Bewegungsangebote zur Sturzprophylaxe und Aktivierung zum Muskelaufbau<br />

3. Begleitende Ernährungsberatung und Unterstützung der Selbstmanagementkompetenz<br />

Zu Beginn des Präventionsprogramms findet eine intensive medizinische Untersuchung statt. Der Hausarzt<br />

oder Orthopäde befragt den Patienten und setzt ein Risikoscore-Instrument ein. Bei Bedarf wird die<br />

Knochendichte per DXA gemessen. Die Kosten für letztere werden von der Gesundes Kinzigtal GmbH<br />

übernommen, sofern sich der Patient für das Programm einschreibt. Nach der Einschreibung werden die<br />

Patienten in zwei Risikogruppen eingeteilt: Gruppe A mit leichtem Osteoporose-Risiko, Gruppe B mit erhöhtem<br />

Risiko oder bereits bestehender Osteoporose. Je nach Risikogruppe erhält der Teilnehmer ein<br />

differenziertes Bewegungsprogramm – bei Physiotherapeuten, im Sportverein oder im Fitnessclub. Die<br />

Medikation wird individuell und leitliniengerecht angepasst. Zusätzlich können die Patienten und Angehörigen<br />

regelmäßig kostenlose Schulungs- und Beratungstermine wahrnehmen. Dort werden Informationen<br />

zu den Themen Ernährung, Bewegung und Sturzprophylaxe vermittelt.<br />

Die salutogenetische Ausrichtung des Versorgungsprogramms sowie die enge Zusammenarbeit der verschiedenen<br />

Leistungsanbieter ermöglichen eine effektive Osteoporose-Prävention. Die Lebensqualität<br />

der Betroffenen kann dadurch erhöht werden.<br />

Evaluationsergebnisse zeigen, dass sich für die, die mindestens zwei Jahre in das Programm eingeschriebenen<br />

AOK- und LKK-Versicherten (n = 410) innerhalb von zwei Jahren die Zahl der stationär behandelten<br />

Frakturen halbierte und zusätzlich auch noch positive Effekte bei einer Matched Pairs Vergleichsgruppe im<br />

Kinzigtal eintraten (beide im Kinzigtal praktizierenden Orthopäden sind Partner des Programms, d.h. das<br />

Programm hat einen gewissen „Abfärbeeffekt“ auch auf die nicht in der IV eingeschriebenen Versicherten<br />

im Kinzigtal). Zudem sind die GKV-Gesamtkosten bei den eingeschriebenen Versicherten im Schnitt im<br />

zweiten Jahr nach Programmstart um 225 Euro/pro Quartal/pro Kopf niedriger als bei der Vergleichsgruppe.<br />

150


Gesundes Kinzigtal • „Starke Muskeln – Feste Knochen“<br />

Abbildung 30 – Entwicklung der Frakturprävalenz Versicherter mit Osteoporose<br />

4%<br />

Start<br />

Intervention<br />

3%<br />

Anteil in %<br />

2%<br />

1%<br />

0%<br />

3,4% 2,9% 2,4% 2,9% 1,5% 1,5% 2,4% 1,2%<br />

-2. Jahre - 1. Jahr + 1. Jahr + 2.Jahr<br />

Vergleichsgruppe<br />

Programmteilnehmer<br />

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Hildebrandt (2013).<br />

Nächste Schritte<br />

In Zukunft soll das Programm sowohl vor Ort als auch national weiterentwickelt werden. Vor Ort steht die<br />

Anpassung und Ausarbeitung aufgrund neuer Evaluationsergebnisse an. Zudem sollen weitere Leistungspartner<br />

gewonnen werden – so wurden für den Aufbau einer Selbsthilfegruppe „Osteoporoseprävention<br />

im Kinzigtal“ bereits erste Kontakte geknüpft.<br />

Starke Muskeln – feste Knochen ist zudem ein Programm, das gut auf andere Regionen und Gruppen<br />

übertragen werden kann. Das gesamte Programm wurde als Teil von Behandlungspfaden der Softwarelösung<br />

CGM Net zur Verfügung gestellt und kann in 50 Prozent aller deutschen Praxen eingesetzt werden.<br />

Zudem haben sieben Ärztenetze, die bei der OptiMedis AG unter Vertrag stehen, und drei in den Niederlanden<br />

geplante Ärztenetze eine Vereinbarung getroffen: entwickelte Programme wie Starke Muskeln –<br />

Feste Knochen sind frei untereinander nutzbar und weiterentwickelbar.<br />

Ansprechpartner<br />

Helmut Hildebrandt<br />

Geschäftsführer<br />

Gesundes Kinzigtal GmbH<br />

Strickweg 3d<br />

77716 Haslach<br />

Telefon: 07832–97489-0<br />

E-Mail: info@gesundes-kinzigtal.de<br />

www.gesundes-kinzigtal.de<br />

Dr. Dörte Tillack<br />

Allgemeinmedizin<br />

Dr. Arthur Feyrer<br />

Orthopädie<br />

Thomas Ruck<br />

Physiotherapie<br />

151


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Institut für Gesundheitsökonomik<br />

Projekt zur Verbesserung der Arzneimittelversorgung<br />

Autor: Peter Krase und Günter Neubauer<br />

Management Summary<br />

Das Modellprojekt des Instituts für Gesundheitsökonomik (IfG) zielt darauf ab, neben der Medikamentenversorgung<br />

von Patienten auch Arzneimittel-Compliance und -Adherence zu steigern. Erreicht werden<br />

soll dieses Ziel durch eine sogenannte patientenindividuelle Verblisterung: Der Apotheker prüft die Gesamtmedikation<br />

und sortiert die Medikamente sichtbar ein; der Einnahmezeitpunkt ist klar erkennbar.<br />

Gerade ältere Patienten, die täglich mehrere Medikamente einnehmen müssen, können die Einnahme<br />

leichter kontrollieren. Unerwünschte Arzneimittelwechselwirkungen werden damit genauso reduziert wie<br />

Krankenhausaufenthalte und Todesfälle aufgrund einer falschen oder fehlenden Medikamenteneinnahme.<br />

Um die Wirkung des Konzeptes im Versorgungsalltag zu prüfen, startete die AOK Bayern im Jahr 2009<br />

das Projekt „Patientenindividuelle Arzneimittel-Verblisterung für Bewohner von Pflegeheimen“. An dem<br />

Modellvorhaben nach §§ 63 bis 65 SGB V nahmen 581 Pflegeheimbewohner aus 19 Pflegeheimen teil.<br />

Zehn Apotheken versorgten diese mit Arzneimittel-Blistern.<br />

Die Evaluation zeigte positive Ergebnisse im Hinblick auf die Versorgungsqualität und Versorgungswirtschaftlichkeit.<br />

Umsetzung<br />

Ziel des Modellprojekts ist es, sowohl das Medikamentenmanagement als auch die Arzneimittel-Compliance<br />

bzw. -Adherence zu verbessern. Dazu stellt der Apotheker die Medikation patientenindividuell und<br />

einnahmezeitpunktbezogen zusammen (verblistern).<br />

Für die Evaluation des Projektes wurden die Abrechnungsdaten einer Studiengruppe, deren Teilnehmer<br />

verblistert versorgt wurden, mit den Abrechnungsdaten einer herkömmlich versorgten Studiengruppe<br />

verglichen. Zudem wurden Heimbewohner und Personal interviewt und Daten von beteiligten Apothekern<br />

erhoben. Eingeflossen sind auch unabhängig erhobene Ergebnisse von Heimprüfungen des MDK Bayern.<br />

Hinsichtlich Versorgungsqualität und Versorgungswirtschaftlichkeit zeigten sich unter anderem folgende<br />

Vorteile der patientenindividuellen Verblisterung:<br />

• Die Therapietreue und die Arzneimittel-Compliance wurden erhöht.<br />

• Verbessert wurden die zugeordneten Arzneimittel, Einnahmezeitpunkte und Abgabengenauigkeiten<br />

sowie hygienische Bedingungen.<br />

• Das Pflegepersonal wurde zeitlich entlastet.<br />

• Die Fachkompetenz der Apotheker wurde noch stärker in die Arzneimittel-Versorgung eingebracht: Der<br />

Apotheker überblickt die Gesamtheit der Verordnungen und kann Doppelverordnungen oder Gefahren<br />

152


Institut für Gesundheitsökonomik • Projekt zur Verbesserung der Arzneimittelversorgung<br />

durch potentielle Wechselwirkungen erkennen. Auffälligkeiten kann er an die verordnenden Ärzte weiterleiten,<br />

damit diese gegebenenfalls korrigierend eingreifen.<br />

• In Bezug auf die Versorgungswirtschaftlichkeit zeigte ein Querschnittsvergleich zwischen 2008 und<br />

2009, dass eingeschriebene Pflegeheimbewohner im Schnitt pro Woche 31 Euro weniger Kosten verursachen<br />

(s. Abbildung 31).<br />

Abbildung 31 – Durchschnittliche Mehr- bzw. Minderausgaben der AOK Bayern für Pflegebewohner (N= 428) im<br />

Querschnittsvergleich.<br />

Wöchentliche Mehr- und Minderausgaben je Bewohner im<br />

Durchschnitt (Januar 2009)<br />

Pauschale der Apotheker für die Verblisterung<br />

+ 6,10 Euro<br />

Minderausgaben für stationäre Versorgung<br />

- 33,60 Euro<br />

Mehrausgaben für ambulant-ärztliche<br />

Versorgung<br />

+ 1,54 Euro<br />

Reduzierter Arzneimittelverwurf bei Todesfall<br />

- 0,54 Euro<br />

Minderausgaben für Arzneimittelversorgung<br />

- 4,40 Euro<br />

NETTOMINDERAUSGABEN JE WOCHE(N BLISTER) im Durchschnitt<br />

Quelle: Eigene Darstellung nach IfG (2011).<br />

- 30,90 Euro<br />

Weitere Studien bestätigen einen patientenrelevanten Zusatznutzen sowie reduzierte Kosten. Insgesamt<br />

lässt sich somit durch die patientenindividuelle Arzneimittel-Verblisterung die Versorgungsqualität und<br />

-wirtschaftlichkeit deutlich verbessern.<br />

Nächste Schritte<br />

Ab Januar 2014 soll ein zweites Projekt in der Region Bad Reichenhall – Berchtesgadener Land realisiert<br />

werden. Die Durchführung dieses Projektes erstreckt sich über einen Zeitraum von zwei Jahren. Die Modellregion<br />

will die patientenindividuelle Arzneimittel-Verblisterung auf die ambulante Versorgung ausweiten.<br />

Die Erfahrungen und Ergebnisse aus dem Projekt können als Grundlage dienen für die Weiterentwicklung<br />

der Arzneimittelversorgung in ganz Bayern und Deutschland.<br />

153


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Ansprechpartner<br />

Peter Krase<br />

Ressortdirektor Vorstandsressort 1<br />

AOK Bayern<br />

Carl-Wery-Straße 28<br />

81739 München<br />

Telefon: 089 – 627 30 156<br />

E-Mail: peter.krase@by.aok.de<br />

Prof. Dr. Günter Neubauer<br />

Institut für Gesundheitsökonomik (IfG)<br />

Nixenweg 2b<br />

81739 München<br />

Telefon: 089 – 605 198<br />

E-Mail: guenter.neubauer@ifg-muenchen.com<br />

154


KHK ProMa • Ein aufsuchendes Case-Management-Konzept<br />

KHK ProMa<br />

Ein aufsuchendes Case-Management-Konzept<br />

Autor: Werner Besier<br />

Management Summary<br />

Das Versorgungsprogramm KHK ProMa (Projekt Mannheim) richtet sich an Patienten mit Koronarer Herzkrankheit<br />

(KHK), die an mindestens zwei weiteren chronischen Erkrankungen leiden. Zusätzlich zur Regelversorgung<br />

werden diese Patienten durch einen persönlichen Fallmanager versorgt – bei sich zu Hause.<br />

Das aufsuchende Case Management schafft eine Vertrauensbasis zwischen Fallmanager und Patient. Der<br />

Fallmanager erhält einen Einblick in das psychosoziale Umfeld des Betroffenen und er kann den Krankheitsverlauf<br />

engmaschig monitorieren. Die Compliance des Patienten und das Selbstversorgeverhalten sollen so<br />

gestärkt werden. Es können Begleiterkrankungen mit erheblichem Interventionsbedarf erkannt werden, die<br />

zuvor unentdeckt geblieben wären (z. B. Depression mit Suizidalität). Und im Falle eines negativen Verlaufs<br />

kann der Case Manager frühzeitig eingreifen. Insgesamt werden somit Lebensqualität und Mobilität der<br />

Patienten verbessert, stationäre Behandlungen vermieden und gesundheitsökonomische Vorteile erreicht.<br />

Das Projekt wurde von dem Gesundheitsprojekt Mannheim e.G. initiiert und zwischen Januar 2011 und<br />

September 2012 durchgeführt. Alle Meilensteile wurden eingehalten – einzige Ausnahme war eine zeitliche<br />

Abweichung bei der Einschreibung der Patienten. Derzeit findet eine Nachbeobachtung statt (drittes<br />

Quartal 2013).<br />

Erste Evaluationsergebnisse des Instituts for Public Health der Medizinischen Fakultät Mannheim der<br />

Universität Heidelberg zeigen positive Auswirkungen auf die anfallenden Behandlungskosten.<br />

Umsetzung<br />

Andere Case-Management-Programme sind meist auf den telefonischen Kontakt beschränkt. Eine persönliche<br />

Bindung wird oft nicht hergestellt. Diese ist aber essenziell für eine bestmögliche Versorgung. Im Gegensatz<br />

dazu setzt das KHK ProMa Projekt auf ein persönliches, aufsuchendes Case Management. Von der<br />

teilnehmenden Hausarztpraxis wird ein Dialogassistent eingesetzt – in der Regel die erste Medizinische<br />

Fachangestellte (MFA). Sie hält regelmäßig Kontakt zum Case Manager. Kommt es bei den Patienten zu<br />

Auffälligkeiten, meldet der Case Manager diese an den Dialogassistenten, der schließlich den Arzt miteinbezieht<br />

(s. Abbildung 32). Dadurch werden integrative Kommunikation und Zusammenarbeit möglich.<br />

An dem Modellprojekt KHK ProMa nahmen insgesamt 24 Hausarztpraxen teil. Einschreiben konnten sich<br />

Patienten mit KHK und mindestens zwei weiteren chronischen Krankheiten. Die insgesamt 384 Teilnehmer<br />

wurden in vier Gruppen aufgeteilt. Je nach Gruppe unterschieden sich die Interventionen. Lediglich die 116<br />

Patienten der Gruppe 1 wurden intensiv und regelmäßig alle 14 Tage von einem Fallmanager zu Hause besucht.<br />

Aufgabe des Fallmanagers war es einerseits, klinische Parameter zu erheben (z. B. Gewicht, Blutdruck,<br />

Atemnot, Laborwerte). Zum anderen sollte er ein persönliches Verhältnis zu dem Patienten aufbauen<br />

und ihn unterstützen. Die zweite Gruppe von 101 Patienten wurde vom Case Manager nicht unterstützt,<br />

155


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

sondern nur alle zwei Wochen befragt, beispielsweise nach dem Wohlbefinden. Die 113 Patienten der Gruppe<br />

3 erhielten nur ein Anfangs-, Zwischen- und Endassessment. Gruppe 4 umfasste 64 Patienten: die sogenannten<br />

„Verweigerer“. Sie werden lediglich durch einen Erst-, Zwischen- und Abschlussbogen erfasst.<br />

Abbildung 32 – Vereinfachte Darstellung des Versorgungsablaufs des KHK ProMa-Projektes<br />

KHK-Patient<br />

Aufsuchendes Case<br />

Management<br />

(inkl. Hausbesuch zu<br />

Beginn erforderlich)<br />

Kommunikation<br />

Dialogassistenz<br />

(1. MFA)<br />

Hausarztpraxis<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Finanziert wird das Projekt durch die Firma <strong>MSD</strong> Sharp & Dohme GmbH, durch das Mannheimer Institut<br />

for Public Health sowie durch das Gesundheitsprojekt Mannheim e.G.<br />

Nächste Schritte<br />

Die Infrastruktur für das qualitative Case Management wurde einmalig aufgebaut, die Fallmanager wurden<br />

geschult und zertifiziert. Geeignet ist der Case-Management-Ansatz jedoch nicht nur bei KHK-Patienten,<br />

sondern bei allen chronisch kranken Patienten, die ihre Basisbehandlung bei ihrem Hausarzt in<br />

Anspruch nehmen. Die Delegation ärztlicher Leistungen an nicht-ärztliches Personal kann somit realistisch<br />

umgesetzt werden, der Hausarzt wird weiter entlastet.<br />

Erste Ergebnisse der Evaluation zeigen positive Auswirkungen auf die anfallenden Be handlungskosten.<br />

Endgültige Ergebnisse werden zum Jahresende 2013 erwartet.<br />

Ansprechpartner<br />

Dr. med. Werner Besier<br />

Gesundheitsprojekt Mannheim e.G.<br />

Liebfrauenstraße 21<br />

68259 Mannheim<br />

Telefon: 0621 – 79 00 440<br />

E-Mail: praxis@dr-besier.de<br />

156


Klinik-Apotheke des Universitätsklinikums CGC Dresden<br />

Klinik-Apotheke des Universitätsklinikums CGC<br />

Dresden<br />

Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit durch Kombination<br />

des Einsatzes von Stationsapothekern mit Unit-Dose-Versorgung<br />

Autor: Holger Knoth<br />

Management Summary<br />

Die Klinik-Apotheke des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden (UKD) hat ein Versorgungsmodell<br />

konzipiert und umgesetzt, das Patienten effizienter mit Arzneimitteln versorgt und eine sichere und<br />

effektive Arzneimitteltherapie gewährleistet. Kern des Projektes ist neben einer Unit-Dose-Versorgung<br />

mit festen peroralen Arzneimitteln die Integration eines Apothekers in das multiprofessionelle Stationsteam<br />

und somit in den Behandlungsprozess. Der Stationsapotheker steht Patienten, Ärzten und Pflegepersonal<br />

als Ansprechpartner und Berater vor Ort zur Verfügung, was gewinnbringend für alle am<br />

Medikationsprozess Beteiligten ist und zu ökonomischen Vorteilen für das Krankenhaus führt.<br />

Durch die verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit und die unterstützende Arzneimittellogistik werden<br />

Fehler reduziert und vermieden, das ärztliche und pflegerische Personal entlastet und Arzneimittelverbrauchskosten<br />

gesenkt. Darüber hinaus ermöglicht das Modell einen unproblematischen Schnittstellentransfer<br />

zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, in dem der Stationsapotheker die<br />

Arzneimittelanamnese durchführt bzw. überprüft, Entlassgespräche mit Patienten führt, den Medikationsteil<br />

in Entlass- und Verlegungsbriefen kontrolliert und der Patient mit Entlassmedikation versorgt<br />

wird.<br />

Das Projekt startete 2007 auf einer orthopädischen Station und wird derzeit auf 15 Stationen verwirklicht.<br />

Aktuell sind 13 Mitarbeiter (10 Stationsapotheker und 3 PTAs/Pharm.-Ing.) involviert. Die Finanzierung<br />

erfolgt durch das UKD und die in das Projekt integrierten Kliniken.<br />

In einer 2012 durchgeführten Umfrage unter Ärzten und Pflegepersonal stimmten 85 Prozent der Befragten<br />

zu, dass das Versorgungsmodell die Arzneimitteltherapiesicherheit erhöht.<br />

Umsetzung<br />

Im UKD ist der Stationsapotheker Teil des Wertschöpfungsprozesses bei der Behandlung des Patienten.<br />

Um die Versorgung mit Arzneimitteln zu optimieren, ist er von Anfang an in die Patientenbetreuung eingebunden.<br />

Damit der zuständige Stationsapotheker dem Versorgungsbedarf einer Universitätsklinik gerecht<br />

werden kann, ist er unter der Woche täglich in den Stationsablauf integriert und steht Patienten und<br />

Stationspersonal als kompetenter Ansprechpartner vor Ort zur Verfügung.<br />

Bereits bei der Patientenaufnahme hat er eine wesentliche Funktion: die Durchführung bzw. Überprüfung<br />

der Arzneimittelanamnese des Patienten sowie die Umstellung der Hausmedikation auf im Klinikum ge-<br />

157


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

listete Präparate. Die orale Medikation wird im Anschluss patientenindividuell in der Klinik-Apotheke zusammengestellt<br />

und zeitnah an die Station geliefert. Ein nahtloser Übergang an der Schnittstelle zwischen<br />

ambulanter und stationärer Versorgung wird somit gewährleistet.<br />

Im weiteren Verlauf des Krankenhausaufenthaltes führt der Apotheker im Anschluss an die ärztliche Visite<br />

eine Kurvenvisite durch, bei der die Medikation des Patienten u.a. auf Kontraindikationen, relevante Wechselwirkungen<br />

sowie die korrekte Dosierung der Arzneimittel überprüft wird. Bei Arzneimitteln mit geringer<br />

therapeutischer Breite und damit verbundenem erhöhten Nebenwirkungspotential empfiehlt der Stationsapotheker<br />

ein Therapeutisches Drug Monitoring und passt in Zusammenarbeit mit dem Arzt die<br />

Dosierung an. Der Patient wird täglich mit für ihn individuell zusammengestellten festen peroralen Arzneimitteln<br />

in sog. Unit-Dose-Tüten beliefert. Diese werden in der Klinik-Apotheke mit Hilfe eines modernen<br />

Unit-Dose-Kommissionierautomaten hergestellt, was zu einer Entlastung des Pflegepersonals durch<br />

Wegfall des zeitaufwendigen Stellens führt. Auf den Unit-Dose-Tüten sind wichtige Angaben wie Patientenname,<br />

Fallnummer, Station, Bezeichnung des Arzneimittels und des Wirkstoffes, Datum und Uhrzeit<br />

der Einnahme sowie besondere Einnahmehinweise aufgedruckt. Der damit verbundene Informationsgewinn<br />

für den Patienten führt zu weniger Fehlern bei der Einnahme und erhöht die Compliance. Einen besonderen<br />

Schwerpunkt legt die Klinik-Apotheke auf den rationalen Einsatz von Antibiotika zur Minimierung<br />

von Resistenzbildungen und Reduktion der Arzneimittelkosten. Außerdem werden selten genutzte, teure<br />

orale Arzneimittel (sog. Sonderanforderungen) zentral in der Klinik-Apotheke gelagert. Durch die optimierte<br />

Logistik sind diese allen versorgenden Stationen zugänglich. Wird der Patient vor dem Wochenende<br />

oder einem Feiertag entlassen, ist durch die Unit-Dose-Versorgung eine Mitgabe der Entlassmedikation<br />

möglich.<br />

Die effizientere Gestaltung des Wertschöpfungsprozesses führt zu zahlreichen Vorteilen: So werden z. B.<br />

fehlerhafte Arzneimitteleinnahmen und Doppelverordnungen verringert und Wechselwirkungen vermieden.<br />

Der Patient fühlt sich besser betreut und findet im Stationsapotheker einen kompetenten Ansprechpartner.<br />

Pharmazeutische Interventionen werden mit Hilfe der Online-Datenbank DokuPik ® dokumentiert<br />

und regelmäßig ausgewertet. Die dadurch aufgedeckten Schwachstellen im Medikationsprozess können<br />

durch gezielte Schulungen und Prozessumstrukturierungen zukünftig vermieden werden. Pflegekräfte<br />

und Ärzte gewinnen durch die zusätzliche Patientenbetreuung des Apothekers Zeit, die sie wiederum in<br />

die Behandlung des Patienten investieren können. Die optimierte Prozesskette führt zu wirtschaftlichen<br />

Verbesserungen, demgegenüber stehen die Personal- und Investitionskosten für den Kommissionierautomaten.<br />

Nächste Schritte<br />

Perspektivisch soll das Versorgungskonzept auf weitere Kliniken (Innere Medizin, Neurologie, Dermatologie)<br />

ausgeweitet werden, so dass die Zahl der versorgten Betten von derzeit 439 auf etwa 600 steigen<br />

wird.<br />

Die bislang schwer zu evaluierende Wirtschaftlichkeit des Projektes soll zukünftig durch eine Kosten-<br />

Nutzen-Analyse der Versorgungsstruktur in Zusammenarbeit mit dem klinikinternen Qualitätsmanagement<br />

erfolgen, bei welcher der quantitative und qualitative Mehrwert über die Zeit beschrieben werden<br />

soll. Ein Schwerpunkt soll dabei die Bewertung der Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit durch<br />

Einbindung des Stationsapothekers in den Medikationsprozess sein.<br />

158


Klinik-Apotheke des Universitätsklinikums CGC Dresden<br />

Ansprechpartner<br />

Dr. rer. nat. Holger Knoth<br />

Leiter der Klinik-Apotheke<br />

Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden<br />

Fetscherstr. 74<br />

01307 Dresden<br />

Telefon: 0351 – 458 2330<br />

E-Mail: holger.knoth@uniklinikum-dresden.de<br />

www.uniklinikum-dresden.de/das-klinikum/<br />

geschaftsbereiche/klinik-apotheke<br />

159


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

KOS e.G.<br />

Das Kompetenznetz Orthopädie/Unfallchirurgie Saar e.G.<br />

Autor: Gerd Lanzer<br />

Management Summary<br />

Das Kompetenznetz Orthopädie/Unfallchirurgie Saar e.G. (KOS e.G.) will die Versorgung der saarländischen<br />

Bevölkerung bei Erkrankungen und Verletzungen der Haltungs- und Bewegungsorgane sicherstellen.<br />

Dazu haben sich im Saarland qualitätsorientierte Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie<br />

Physiotherapeuten in freier Praxis vernetzt.<br />

Darüber hinaus wird Wert gelegt auf eine saarlandweite, flächendeckende und wohnortnahe fachärztliche<br />

Versorgung. Durch Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen der KOS-Akademie wird die orthopädisch-unfallchirurgische<br />

Versorgung seit 6 Jahren ständig verbessert.<br />

KOS e.G. ist eine eingetragene Genossenschaft, die bereits 2007 gegründet wurde.<br />

Zurzeit besteht das Kompetenznetz aus 57 kassenärztlich tätigen Fachärzten für Orthopädie und Unfallchirurgie<br />

sowie ca. 150 Physiotherapeuten. Derzeit bestehen vier Integrierte Versorgungsverträge nach<br />

§ 140a–d SGB V, die v.a. durch die Verhandlungsstrategie ihres Vorstandsvorsitzenden implementiert<br />

wurden:<br />

mit der IKK Südwest, der Barmer-GEK, der DAK sowie ein Vertrag mit der Barmer-GEK und Techniker<br />

Krankenkasse zur endoprothetischen Versorgung der Gonarthrose und Coxarthrose.<br />

Umsetzung<br />

Die KOS-Ärzte und KOS-Physiotherapeuten sind flächendeckend über das gesamte Saarland niedergelassen.<br />

Durch die aktive Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen im Netz wurde ein hoher medizinischer<br />

Standard in der Versorgung erreicht. Die Mitarbeit der Physiotherapeuten deckt zunehmend die<br />

Anforderungen an Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention bei muskuloskelettalen Beschwerden ab. Der<br />

Orthopäde/Unfallchirurg organisiert als Case Manager eine umfangreiche Diagnostik und Versorgung – in<br />

kurzer Zeit und auf hohem Niveau. Folgender Mehrwert ergibt sich aus dem Versorgungsangebot für die<br />

Patienten:<br />

• Wahlfreiheit über die Teilnahme an langfristigen Programmen der Integrierten Versorgung<br />

• Terminvergabe innerhalb von drei Tagen<br />

• Verbesserte Verzahnung von Praxis sowie Krankenhaus- und Reha-Einrichtungen<br />

• Facharztuntersuchung innerhalb des ambulanten Sektors (Facharztstatus)<br />

• Intensiver Erfahrungsaustausch, erhöhte Prozesstransparenz und Vermeidung von Doppeluntersuchungen<br />

160


KOS e.G. • Das Kompetenznetz Orthopädie/Unfallchirurgie Saar e.G.<br />

• Kooperation der Fachärzte mit anderen Teilbezeichnungen durch Weiterüberweisung zu netzwerkinternen<br />

Spezialisten<br />

• Zeitgewinnung durch verpflichtende Einführung des Qualitätsmanagements<br />

• Verkürzung von Arbeitsunfähigkeitszeiten durch zeitnahen Therapiebeginn.<br />

Bereits im Jahr der Gründung wurde eine Informations- und Kommunikationsstruktur aufgebaut – bestehend<br />

aus einem KOS-Intranet, KOS-Internet, KOS-Lexikon, KOS-Akademie sowie aus Kooperationen mit<br />

anderen Einrichtungen. Die Struktur wurde regelmäßig dynamisch weiterentwickelt und hat sich in dieser<br />

Form bewährt.<br />

Durch das KOS-Intranet wurde die interne Kommunikation zwischen den verschiedenen Berufsgruppen<br />

verbessert. Über das KOS-Internet haben die Patienten die Möglichkeit, sich durch bestimmte Suchbegriffe<br />

einen Versorger auszusuchen, der für ihre Erkrankung und wohnortnah zuständig ist.<br />

Im Rahmen der KOS-Akademie finden fachärztliche und physiotherapeutische Weiterbildungen statt –<br />

pro Jahr sechs Veranstaltungen, jeweils zu medizinischen und physiotherapeutischen Themen. In diesem<br />

November (2013) findet bereits der 7. Kooperationskongress mit weit über hundert Ärzten und Physiotherapeuten<br />

statt.<br />

Weiterhin finden Mitarbeiterweiterbildungen und -schulungen zu spezifischen Themen statt – wie beispielsweise<br />

Hygiene, Strahlenschutz oder Verbandstechniken. Vorträge und Informationsveranstaltungen<br />

für Patienten werden von einzelnen Netzarztpraxen angeboten und vom KOS finanziell unterstützt. Seit<br />

der Gründung des Kompetenznetzwerks sind unter anderem Kooperationen mit folgenden Einrichtungen<br />

entstanden:<br />

• IOKN Saar e.V. (Interdisziplinäres Osteologisches Kompetenznetz Saar e.V.)<br />

• IQR (Interdisziplinärer Qualitätszirkel Rheuma)<br />

• Facharztforum Saar (Zusammenschluss von etwa 250 unterschiedlichen Fachärzten und Psychotherapeuten<br />

innerhalb des Saarlandes)<br />

• Berufsverband BVOU e.V. (Landesverband des Berufsverbandes der Orthopäden und Unfallchirurgen<br />

Berlin).<br />

Nächste Schritte<br />

Eine geplante Aktivität ist die Terminvergabe über das Internet, damit Patienten deutlich schneller Termine<br />

vereinbaren können. Um die Marke KOS noch bekannter zu machen und um das Image zu steigern,<br />

sollen Social-Media-Kanäle aufgebaut werden – wie beispielsweise eine Facebook-Fanpage. Schließlich<br />

stehen Verhandlungen über Integrierte Versorgungsverträge Osteoporose an – mit der Techniker Krankenkasseund<br />

der Knappschaft-Bahn-See. Zudem wird mit einem Krankenhaus über die Gründung einer<br />

KOS eigenen Abteilung im Krankenhaus verhandelt.<br />

161


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Ansprechpartner<br />

Dr. Gerd Lanzer<br />

Vorstandsvorsitzender<br />

Kompetenznetz Orthopädie und Unfallchirurgie SAAR – KOS e.G.<br />

Bismarckstraße 11<br />

66333 Völklingen<br />

Telefon: 06898 – 901 93 03<br />

E-Mail: geschaeftsstelle@kos-eg.de<br />

www.kos-eg.de<br />

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Marienstift Arnstadt • Versorgung neu Denken – Integrierte Behandlung von Endoprothetik<br />

Marienstift Arnstadt<br />

Versorgung neu Denken – Integrierte Behandlung von Endoprothetik<br />

Autor: Angelika Donat<br />

Management Summary<br />

Die Orthopädische Fachklinik des Marienstifts Arnstadt bietet seit acht Jahren die Behandlung von künstlichen<br />

Hüft-, Knie- und Schultergelenken an sowie den Wechsel von Knieendoprothesen – beides im Rahmen<br />

eines Integrierten Versorgungsvertrags nach § 140a–d SGB V. Das Konzept basiert auf einer integrierten,<br />

sektorenübergreifenden Vernetzung sowie einer lückenlosen Kommunikation aller Leistungserbringer,<br />

die an der Versorgung beteiligt sind. In das Modell eingeschriebene Patienten profitieren von dem mehrstufigen<br />

Diagnostik-, Therapie- und ambulanten Nachsorgeprogramm – mit einer individuellen Begleitung<br />

durch einen Fall-Manager. Der Patient wird 18 Monate im Modell begleitet, hat den Fallmanager als ständigen<br />

Ansprechpartner, der alle notwendigen Behandlungsschritte organisiert. Durch die enge Zusammenarbeit<br />

der Versorgungsbereiche wird die Behandlung von Endoprothetik-Patienten optimiert; die Behandlungsqualität<br />

wird durch die Erschließung therapeutischer Synergien deutlich verbessert. Finanziert<br />

wird das Modell über spezielle Fallpauschalen. Am IV-Projekt zur Behandlung von Endoprothetik beteiligen<br />

sich neben der Orthopädischen Klinik des Marienstift Arndstadt sechs Krankenkassen (Barmer-GEK, Techniker<br />

Krankenkasse, Deutsche Angestellten Krankenkasse, Hamburg-Münchener-Krankenkasse, HEK –<br />

Hanseatische Krankenkasse, IKK classic), niedergelassene Ärzte (Hausärzte, Orthopäden, Chirurgen),<br />

Reha-Kliniken (stationär und ambulant), Hilfsmittelversorger und ambulante Physiotherapien.<br />

Umsetzung<br />

In den Integrierten Versorgungsvertrag der Orthopädischen Klinik Marienstift Arnstadt können sich diejenigen<br />

Patienten einschreiben, denen der Einsatz eines künstlichen Hüft-, Knie- oder Schultergelenks oder<br />

aber ein Knieendoprothesenwechsel bevorsteht – und die bei einer der sechs Partnerkassen versichert<br />

sind. Die Teilnahme am Modell erfolgt freiwillig mit der Unterzeichnung der Teilnahmeerklärung. Mit der<br />

Einschreibung beginnt das mehrstufiges Diagnostik-, Therapie- sowie Nachsorgeprogramm des IV-Modells.<br />

Dieses umfasst vier Module, die verschiedene Interventionen beinhalten (s. Abbildung 33).<br />

In der präoperativen Phase wird dem Patienten unter anderem ein Fall-Manager zugeteilt. Er begleitet den<br />

Patienten durch das 18-monatige Programm, steht ihm als persönlicher Ansprechpartner zur Verfügung<br />

und koordiniert die Behandlungsschritte berufsgruppenübergreifend. Operiert wird spätestens drei Wochen<br />

nachdem die Indikation für den Eingriff gestellt wurde. Bei Diagnostik und Therapie kommt die<br />

Oberflächen-EMG-gestützte Ganganalyse zum Einsatz, die die natürliche elektrische Aktivität eines Muskels<br />

misst. Funktions-, Koordinations- und Wahrnehmungsstörungen können so objektiv erfasst und die<br />

Therapiemaßnahmen entsprechend angepasst werden. Komplikationen und ein vorzeitiger Verschleiß<br />

der Endoprothese lassen sich dadurch effektiv vermeiden. In der ambulanten Nachsorge geht es vor allem<br />

um die physiotherapeutische Behandlung sowie die soziale Reintegration des Patienten.<br />

163


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Abbildung 33 – Übersicht über die Module des IV-Vertrages<br />

Präoperative<br />

Phase<br />

Zuteilung eines<br />

Fall-Managers<br />

Oberflächen-<br />

EMG-<br />

Ganganalyse<br />

Klinische<br />

Untersuchungen<br />

/ Labor<br />

Nachbehandlung<br />

Kontrolluntersuchungen<br />

nach 6<br />

Monaten, 1 Jahr<br />

und 1<br />

Jahren<br />

Vorbehandlung<br />

Peri-/<br />

postoperative<br />

Phase<br />

Operation<br />

Ärztliche<br />

Befundkontrollen<br />

Ambulante<br />

Nachsorge<br />

Medizinische<br />

Trainingstherapie<br />

(14 Einheiten,<br />

2x wöchentlich)<br />

Oberflächen-<br />

EMG-<br />

Ganganalyse<br />

Gangschule /<br />

Unterarmstütz-<br />

entwöhnung<br />

Schulung des<br />

alltäglichen<br />

Lebens (ADL)<br />

Rehabilitationsphase<br />

Ambulante /<br />

stationäre<br />

Reha-<br />

Maßnahmen<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Durch die enge Abstimmung der beteiligten Vertragspartner werden Doppeluntersuchungen vermieden<br />

und der Behandlungserfolg wird nachweislich verbessert. Der IV-Vertrag stößt daher nicht nur bei den<br />

Patienten und Vertragspartnern auf große Akzeptanz – in Studien konnten gegenüber der Regelversorgung<br />

eine deutlich geringere stationäre Verweildauer festgestellt werden, geringere Behandlungskosten,<br />

eine höhere Patientenzufriedenheit sowie weniger Arbeitsunfähigkeitstage. Die Patienten profitieren von<br />

einer hohen Aufgeklärtheit, sind wesentlich besser über den gesamten Behandlungsablauf informiert.<br />

Das einheitliche, hochqualifizierte Nachsorgeprogramm wird durch den Patienten als besonders positiv<br />

für den Behandlungserfolg bewertet.<br />

Nächste Schritte<br />

Die positiven Effekte der Integrierten Versorgung bei der Behandlung von Endoprothetik der Orthopädischen<br />

Klinik Marienstift Arnstadt sind mittlerweile auch in den angrenzenden Bundesländern bekannt. Die<br />

Klinik gewinnt dadurch viele Patienten aus dem weiteren Umland. Zudem findet ein stetiger Ausbau des<br />

Partner-Netzwerks statt. Pro Jahr gewinnt die Klinik beispielsweise zehn physiotherapeutische Praxen mit<br />

entsprechender Qualifikation hinzu. Nicht zuletzt wurde die Orthopädische Klinik 2012 in die Focus-Klinikliste<br />

aufgenommen – und zählt dort zu den 25 am meisten zu empfehlenden Fachkliniken für Orthopädie.<br />

Perspektivisch soll das IV-Partner-Netz weiter ausgebaut sowie die Behandlungsqualität im Modell kontinuierlich<br />

optimiert werden.<br />

Ansprechpartner<br />

Angelika Donat<br />

Leiterin Zentrales Controlling<br />

Marienstift Arnstadt<br />

Orthopädische Fachklinik<br />

Wachsburgallee 12<br />

99310 Arnstadt<br />

Telefon: 03628–720 220<br />

www.ms-arn.de<br />

164


McDonald’s Kinderhilfe<br />

Ronald McDonald Oasen<br />

McDonald’s Kinderhilfe • Ronald McDonald Oasen<br />

Autor: Dr. Micha Wirtz<br />

Management Summary<br />

Die Ronald McDonald Oasen sind ein Projekt der McDonald’s Kinderhilfe Stiftung, welches ambulante<br />

Klinikaufenthalte für Kinder und ihre Familien so angenehm wie möglich gestalten möchte. Da immer<br />

mehr Behandlungen ambulant durchgeführt werden, entstehen lange Wartezeiten. In den Ronald McDonald<br />

Oasen finden die kleinen Patienten und ihre Angehörigen einen Rückzugsort direkt in der Kinderklinik;<br />

sie können die Wartezeit dort in angenehmer Atmosphäre überbrücken. Dies soll den Genesungsprozess<br />

fördern und die Belastung für Patienten und Eltern reduzieren.<br />

Die McDonald’s Kinderhilfe Stiftung setzt sich in Deutschland seit 26 Jahren für die Gesundheit und das<br />

Wohlergehen von Kindern ein. Das Programm der Ronald McDonald Oasen gibt es seit 2008 und wird<br />

aus Mitteln der Stiftung sowie angeworbenen Fördermitteln finanziert. Bis heute wurden deutschlandweit<br />

drei Oasen in Kinderkliniken eröffnet: in Erlangen, Köln und Sankt Augustin. Sowohl bei den Kindern<br />

und Eltern als auch beim Klinikpersonal stoßen die Oasen auf ein durchweg positives Feedback. Das<br />

zeigte ein unabhängiges Gutachten der Ludwig-Maximilians-Universität München. Drei weitere Ronald<br />

McDonald Oasen sind geplant beziehungsweise bereits im Bau.<br />

Umsetzung<br />

Zu den Grundvoraussetzungen für die Realisierung der Ronald McDonald Oasen gehören der proaktive<br />

Anstoß durch die Klinik und die kooperative Zusammenarbeit zwischen der Klinik und der Ronald McDonald<br />

Oase. Der Erfolg einer Oase hängt maßgeblich von der Integration in den Klinikalltag ab. Unerlässlich<br />

ist daher ist ein hoher Informationsaustausch zwischen Klinikleitung, Klinik- und Pflegepersonal sowie<br />

dem Team der Ronald McDonald Oasen. Zum anderen müssen grundlegende Bedingungen bezüglich der<br />

ambulanten Fallzahlen (mehr als 11.700 pro Jahr) und der baulichen Voraussetzungen erfüllt sein (ausreichend<br />

Platz in der Klinik bzw. innerhalb des Klinikgeländes).<br />

Die Oasen sind ca. 150 Quadratmeter groß und so in die Klinik integriert, dass die Behandlungsräume in<br />

maximal zwei bis drei Gehminuten erreicht werden können. In den Oasen gibt es diverse Entspannungsmöglichkeiten<br />

wie eine Spielecke mit Schaukel und Kinderbüchern sowie Möglichkeiten für den Austausch<br />

mit anderen Eltern (s. Abbildung 34). Die Oasenleitung und ehrenamtliche Mitarbeiter stehen<br />

während der gesamten ambulanten Behandlungszeit als Ansprechpartner zur Verfügung. Sämtliche Angebote<br />

der Oasen sind kostenlos, so auch Kaffee und Softgetränke. Überdies besteht die Möglichkeit,<br />

warme Speisen zuzubereiten. Je nach Größe der Oase kann diese zusätzlich bis zu vier Appartements<br />

enthalten, in denen Eltern besonders kranker oder neugeborener Kinder übernachten können; so wird<br />

eine familienzentrierte Betreuung ermöglicht.<br />

165


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Abbildung 34 – Aufenthaltsraum der Ronald McDonald Oase Erlangen<br />

Quelle: McDonald‘s Kinderhilfe Stiftung.<br />

Eltern empfinden den Einfluss der Oase auf die weitere Behandlung ihrer Kinder durchweg positiv, wie<br />

eine unabhängige Umfrage unter 1.676 Familien zeigte. Auch beim Klinikpersonal stoßen die Oasen auf<br />

breite Zustimmung. Denn die Oasen schaffen eine verbesserte Ausgangssituation für die Behandlung,<br />

indem sich Kinder und Eltern während der Wartezeiten nicht in den Klinikgängen aufhalten müssen und<br />

sie dadurch wesentlich entspannter sind. Dies kommt nicht zuletzt dem Behandlungserfolg zugute und<br />

unterstützt und beschleunigt den Genesungsprozess. Somit sind die Ronald McDonald Oasen nicht nur<br />

für Patienten und ihre Familien ein echter Mehrwert, sie sind auch für die Kinderkliniken eine sinnvolle<br />

Ergänzung des Angebots – und somit ein wichtiger Standortvorteil.<br />

Nächste Schritte<br />

Derzeit sind Ronald McDonald Oasen in drei weiteren Kliniken geplant; konkrete Vertragsverhandlungen<br />

sind bereits angelaufen. Eine der drei Oasen wird im Altonaer Kinderkrankenhaus in Hamburg entstehen.<br />

Hier wird zusätzlich ein Ronald McDonald Haus erbaut, welches in der Nähe der Kinderklinik Familien<br />

schwer kranker Kinder ein Zuhause auf Zeit bietet. Auf insgesamt 750 Quadratmetern werden im Rahmen<br />

des Projekts elf Apartments errichtet – mit einem großen Aufenthaltsraum, der gleichzeitig als Ro-<br />

166


McDonald’s Kinderhilfe • Ronald McDonald Oasen<br />

nald McDonald Oase dienen wird. Die Bauarbeiten für das Projekt sollen im November 2013 beginnen.<br />

Die Fertigstellung und Eröffnung der Oase sowie des Ronald McDonald Hauses in Hamburg sind für das<br />

zweite Quartal 2014 geplant.<br />

Ansprechpartner<br />

Dr. Micha Wirtz<br />

Direktor Kommunikation<br />

McDonald’s Kinderhilfe Stiftung<br />

Max-Lebsche-Platz 15<br />

81377 München<br />

Telefon: 089 – 740 066 50<br />

E-Mail: micha.wirtz@mdk.org<br />

www.mcdonalds-kinderhilfe.org<br />

167


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

medicum Hamburg<br />

Innovative patientenzentrierte ambulante Diabetiker-Rundum-<br />

Versorgung aus einer Hand<br />

Autor: Matthias Riedl und Torsten Schudde<br />

Management Summary<br />

Das medicum Hamburg ist die größte Diabetesschwerpunktpraxis in Deutschland. Die Praxis ist als MVZ<br />

strukturiert und bietet unter einem Dach sämtliche Fachbereiche an, die für Diabetiker relevant sind. Das<br />

medicum Hamburg definiert sein Angebot ausgehend von den Bedürfnissen der chronisch kranken Patienten;<br />

es hebt sich so von der sonst üblichen Spezialisierung der modernen Medizinlandschaft ab. Durch<br />

die enge Zusammenarbeit verschiedener Fachbereiche werden bestehende Versorgungsdefizite bei Diabetes<br />

gezielt behoben – was sowohl zu besseren Behandlungsergebnissen führt als auch zu Kosteneinsparungen<br />

für die Krankenkassen. Zudem ist das Modell auch für die Ausbildung des ärztlichen Nachwuchses<br />

geeignet – und zählt so zu den akademischen Lehrpraxen zweier Universitäten.<br />

Entstanden ist das medicum Hamburg 2008 aus der Neustrukturierung der Diabetiker Zentrale Hamburg.<br />

Mittlerweile betreibt das medicum Hamburg zwei Filialen mit jeweils neun Fachbereichen. Das erste<br />

deutsche „Themen-MVZ“ beschäftigt rund 100 Mitarbeiter.<br />

Umsetzung<br />

Es ist die Grundidee des medicum Hamburg, die Versorgung von Diabetikern an den Bedürfnissen der Patienten<br />

auszurichten. Bei der Behandlung von Diabetes ist die Expertise vieler verschiedener Fachbereiche<br />

gefragt; gleichzeitig fragmentiert das Gesundheitswesen. Das führt dazu, dass Diabetiker oftmals nicht die<br />

notwendige Anzahl an Untersuchungen wahrnehmen. Das medicum Hamburg geht dieses Versorgungsdefizit<br />

an, indem es in einer Praxis sämtliche Diabetes-relevanten Fachbereiche anbietet. Hierzu zählen:<br />

• Schwerpunktpraxis Diabetes<br />

• Schwerpunktpraxis Ernährungsmedizin<br />

• Kardiologie<br />

• Augenheilkunde<br />

• Hausarztmedizin<br />

• Innere Medizin<br />

• Psychotherapiezentrum<br />

• Parodontologie/Zahnmedizin<br />

• Fußambulanz mit Schuhorthopädiemechanikermeister und Podologieabteilung.<br />

168


medicum Hamburg<br />

Angeschlossen sind zudem eine Apotheke und ein Hilfsmittelgeschäft, in dem der gesamte Diabetesbedarf<br />

bezogen werden kann.<br />

Die im MVZ ansässigen Fachbereiche orientieren sich an einem gemeinsamen Behandlungspfad und<br />

arbeiten mit einer gemeinsamen Akte pro Patient. Dies ermöglicht ein einheitliches Vorgehen, den barrierefreien<br />

Datenaustausch und hilft Doppeluntersuchungen zu vermeiden. Bei komplizierten Fällen können<br />

– je nach Bedarf und ohne große Umstände – Fallkonferenzen durchgeführt werden, da alle Facharztrichtungen<br />

in einem Haus sitzen. Nicht zuletzt profitieren auch alle beteiligten Fachbereiche von der<br />

Zusammenarbeit und dem Blick über den Tellerrand.<br />

Von besonderer Bedeutung bei der Versorgung ist die Einbindung eines Psychotherapiezentrums sowie<br />

eines Zahnmediziners ins MVZ – schließlich sind die Versorgungsdefizite bei Diabetikern gerade in diesen<br />

beiden Bereichen gravierend.<br />

Die Patienten des medicum Hamburg brauchen für ihre Versorgung weniger Zeit und weniger (Fahr-)Geld<br />

– und sie profitieren von einer koordinierten Behandlung eines Ärzteteams. Aus Kassensicht bietet das<br />

Modell ebenfalls erhebliche Vorteile: Die Honorarforderungen des interdisziplinären Konzepts sind um<br />

rund 30 Prozent geringer als bei einer vergleichbaren Behandlung durch mehrere Einzelpraxen, da nur ein<br />

Behandlungsfall bezahlt werden muss. Das Konzept des medicum Hamburg ist nicht zuletzt auch auf die<br />

Arbeitsplatzanforderungen junger Ärzte optimal ausgerichtet, indem es familientaugliche Arbeitszeiten<br />

und Teilzeitstellen anbietet.<br />

Nächste Schritte<br />

Perspektivisch plant das medicum Hamburg die Integration weiterer Fachbereiche (Neurologie und Gynäkologie)<br />

sowie eines ambulanten Pflegedienstes. Darüber hinaus sind weitere Filialen in Hamburg geplant,<br />

um flächendeckend eine einheitliche und qualitätsgesteuerte Versorgung anbieten zu können. Den<br />

Patienten soll in Zukunft eine Zentralnummer für ihre gesundheitlichen Anliegen zur Verfügung stehen.<br />

Grundlage der weiteren Planung ist wie bisher die Ausbildung und Qualifizierung weiterer Fachkräfte, die<br />

für die Arbeit im MVZ spezifische Kenntnisse mitbringen.<br />

Ansprechpartner<br />

Dr. Matthias Riedl<br />

Ärztlicher Leiter und Geschäftsführer<br />

medicum Hamburg<br />

Standort Berliner Tor<br />

Beim Strohhause 2<br />

20097 Hamburg<br />

Telefon: 040 – 80 79 79 0<br />

E-Mail: m.riedl@medicum-hamburg.de<br />

www.medicum-hamburg.de<br />

Torsten Schudde<br />

Kaufmännischer Leiter<br />

medicum Hamburg<br />

Standort Berliner Tor<br />

Beim Strohhause 2<br />

20097 Hamburg<br />

Telefon: 040 – 80 79 79 0<br />

E-Mail: t.schudde@medicum-hamburg.de<br />

www.medicum-hamburg.de<br />

169


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Münchner Pflege Team<br />

Gemeinsam zu neuen Ufern<br />

Autor: Abdul Örs<br />

Management Summary<br />

Unter dem Slogan „Gemeinsam zu neuen Ufern“ plante das Münchner Pflege Team den Aufbau einer<br />

Koordinierungsstelle in München, um dem vielseitigen Hilfebedarf von Pflegebedürftigen und deren Angehörigen<br />

zu begegnen. Pflegebedürftige Menschen brauchen – abgesehen von der Pflege selbst – einen<br />

direkten Ansprechpartner, der ganzheitlich und individuell auf sie eingeht, der sie begleitet und der<br />

bei Problemen oder Fragen zur Verfügung steht.<br />

Da hier ein Versorgungsdefizit gesehen wurde, konzipierte das Münchner Pflege Team ein eigenes, niedrigschwelliges<br />

Beratungs- und Begleitungskonzept. In der neu geschaffenen Koordinierungsstelle können<br />

sich Menschen jeden Alters, jeder Nationalität und unabhängig vom Sozialstatus bei Problemen individuell<br />

beraten und zu unterschiedlichen Versorgungsangeboten begleiten lassen. Ein Case Manager koordiniert<br />

die Hilfsprozesse und stimmt sie ab. Die Koordinationsstelle ist selbst ein privater Anbieter und sieht<br />

den Beratungsprozess als „Selbstverständlichkeit zur Alltagsbewältigung“.<br />

Umsetzung<br />

Das Konzept sieht vor, Menschen in allen Lebensfragen zu beraten sowie zu informieren – beispielsweise<br />

sozialpädagogisch, psychologisch, theologisch oder juristisch. Darüber hinaus bietet es Kriseninterventionen<br />

und eine Clearingstelle. In Abbildung 35 sind die Bestandteile des Beratungszentrums dargestellt.<br />

Der individuelle Hilfsprozess beginnt in der Koordinationsstelle immer mit dem Erstkontakt durch den<br />

Klienten, der psychische, physische und/oder soziale Probleme haben kann. Während der Öffnungszeiten<br />

ist der Erstkontakt jederzeit möglich – ohne Terminvereinbarung und ohne komplizierte Antragsformalitäten;<br />

so ist der niedrigschwellige Zugang zum Angebot gewährleistet. Besteht der Wunsch nach Beratung,<br />

wird ein Beratungstermin vereinbart. Gemeinsam mit einem festen Ansprechpartner werden problemlösungsorientierte<br />

Strategien erarbeitet, so dass der Klient sein Leben wieder autonom gestalten und positiv<br />

beeinflussen kann. Die Koordinationsstelle bietet jedoch keine spezifische Beratung, wie etwa eine<br />

Drogen- oder Schwangerschaftsberatung. In diesen Fällen erfolgt zunächst eine Art Clearing der Problemsituation.<br />

Anschließend wird der Klient an passende Einrichtungen vermittelt.<br />

Braucht der Klient über die Beratung hinaus weiterführende Unterstützung, etwa Hilfsleistungen, dann<br />

wird der Begleitungsprozess eingeleitet. Voraussetzung für dessen Erfolg ist eine Vertrauensbasis zwischen<br />

Ansprechpartner und Klient. Auf Wunsch des Klienten kann der Ansprechpartner deswegen als<br />

sogenannter Case Manager sowohl ein Netzwerk aufbauen als auch die unterschiedlichen Hilfsangebote<br />

koordinieren. Ist die Betreuung durch einen oder mehrere Fachdienste erforderlich, endet die Begleitung<br />

des Klienten erst dann, wenn der Beziehungsaufbau zum Fachdienst gelungen und die Versorgung sichergestellt<br />

ist.<br />

170


Münchner Pflege Team • Gemeinsam zu neuen Ufern<br />

Abbildung 35 – Übersicht über die konzeptionellen Bestandteile der Koordinierungsstelle<br />

Münchner Pflege Team<br />

Beratung & Information<br />

• Sozialpädagogisch<br />

• Psychologisch<br />

• Theologisch<br />

• juristisch<br />

Begleitung<br />

• Je nach Problem<br />

Begleitung und<br />

Hilfestellung hin zum<br />

jeweiligen Fachdienst<br />

Geschützte Gespräche<br />

• Geschützte Gespräche<br />

innerhalb eines vertrauten<br />

Rahmens ohne Dritte<br />

Niedrigschwelliger<br />

Zugang<br />

Clearingstelle<br />

Krisenintervention<br />

Geschützte Gespräche<br />

• Geschützte Gespräche<br />

innerhalb eines vertrauten<br />

Rahmens ohne Dritte<br />

Eigenverantwortung<br />

• Hilfeprozess freiwillig und<br />

kostenlos<br />

• Kontakt kann jederzeit<br />

abgebrochen werden<br />

Alle Themen ansprechbar<br />

• Fachpersonal steht bei<br />

jeder Problemsituation /<br />

Gesprächsthema zur<br />

Verfügung<br />

Charakter als „Offene<br />

Tür“<br />

• Zugang zum Erstgespräch<br />

für jeden innerhalb der<br />

Öffnungszeiten ohne<br />

Termin<br />

Direkter<br />

Ansprechpartner<br />

• Zuständig für Klienten<br />

unabhängig der aktuellen<br />

Problemlage<br />

Schweigepflicht<br />

• Keine Auskunft an Dritte<br />

ohne vorherige<br />

Schweigepflichtentbin -<br />

dung durch Klienten<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Nächste Schritte<br />

Perspektivisch wird die Koordinationsstelle des Münchner Pflege Teams ein geeignetes Netzwerk aufund<br />

ausbauen. Dazu sollen beispielsweise Telefonnotdienste (z. B. Telefonseelsorge oder Suchtnotruf),<br />

Kirchengemeinden, Vereine oder Gruppen kontaktiert werden, die ihre Klienten an die Koordinationsstelle<br />

weitervermitteln können. Zum anderen soll durch Öffentlichkeitsarbeit auf das Projekt aufmerksam gemacht<br />

werden. Innerhalb des Pflege Teams wird die Teilnahme an Arbeitskreisen angestrebt, sowie eine<br />

Zusammenarbeit mit Ämtern, Wohlfahrtsverbänden, medizinischen, psychologischen und therapeutischen<br />

Einrichtungen. Durch die Integration von sozialer Betreuung und gesundheitlicher Versorgung können<br />

die Hilfemaßnahmen für die Klienten individuell abgestimmt und lösungsorientiert koordiniert werden,<br />

so dass sich der Hilfesuchende wieder als Manager seines eigenen Lebens begreift.<br />

171


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Ansprechpartner<br />

Abdul Örs<br />

Geschäftsführer<br />

Münchner Pflege Team<br />

Wackersberger Str. 8<br />

81371 München<br />

Telefon: 089 – 203 55 62-00<br />

E-Mail: abdul.oers@tagespflege-westpark.de<br />

www.muenchenpflege.de<br />

172


NetzWerk psychische Gesundheit (NWpG)<br />

NetzWerk psychische Gesundheit (NWpG)<br />

Versorgung von Menschen mit psychischer Erkrankung<br />

Autor: Frank Herrmann<br />

Management Summary<br />

Das Netzwerk psychische Gesundheit (NWpG) ist ein von der Techniker Krankenkasse (TK) entwickelter<br />

Vertrag zur Integrierten Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Das NWpG ist regional<br />

aufgestellt und populationsbezogen.<br />

Ziel des Vertrags ist es, die Versorgungssituation der Betroffenen zu verbessern: sie sollen so weit wie<br />

möglich in ihrem vertrauten sozialen und beruflichen Umfeld bleiben können und dort stabilisiert werden.<br />

Der Vertrag ermöglicht den Patienten einen zeitnahen, niedrigschwelligen und jederzeit verfügbaren Zugang<br />

zur Versorgung. Eine Koordinierungsstelle übernimmt in Zusammenarbeit mit Ärzten die Abstimmung<br />

der Behandlung. Dem Versicherten steht während der gesamten Behandlungsdauer ein fester<br />

Fall-Manager zur Verfügung. Die enge Verzahnung der beteiligten Versorgungspartner sorgt für einen<br />

kontinuierlichen Behandlungsverlauf über die Sektorengrenzen hinweg – und ermöglicht eine langfristige<br />

Stabilisierung der Patienten.<br />

Die Verträge mit dem Netzwerk werden in (Pilot-)Versorgungsregionen mit der jeweiligen Landesvertretung<br />

der TK geschlossen. Die Vertragspartner sind vornehmlich gemeinde- und sozialpsychiatrisch ausgerichtete<br />

Träger. Start war 2009 in Berlin, mittlerweile sind 13 Verträge in 11 Bundesländern abgeschlossen;<br />

Mitte April 2013 waren bereits über 5.300 TK-Versicherte in den Vertrag eingeschrieben. Sowohl die<br />

KKH, die AOK Rheinland/Hamburg als auch die die DAK-Gesundheit in Sachsen sind dem Vertrag beigetreten.<br />

Umsetzung<br />

Der Vertrag NWpG ist ein Referenzvertrag zur Integrierten Versorgung psychisch Kranker nach §140 a und<br />

b SGB V. Einschreiben können sich Versicherte mit einer ICD-10-Diagnose F10.5 bis F94, denen in den<br />

letzten zwölf Monaten vor Einschreibung in mindestens zwei Quartalen Antipsychotika verordnet wurden,<br />

oder die wegen psychischer Probleme im Krankenhaus behandelt werden mussten. Die meisten<br />

Versicherten werden durch die TK – in Zusammenarbeit mit den Vertragspartnern – auf die Möglichkeit<br />

einer Einschreibung aufmerksam gemacht, wenn sie die Aufnahmekriterien erfüllen. Die Teilnahme am<br />

Vertrag ist bis zu einem Zeitraum von drei Jahren möglich; eine Verlängerung um jeweils zwölf Monate<br />

kann zusätzlich beantragt werden.<br />

Nach der Einschreibung wird dem Patienten ein fester Fall-Manager zugeordnet, welcher ein individuelles<br />

Behandlungsteam zusammenstellt. Der Fall-Manager ist Bindeglied zwischen den Leistungserbringern<br />

und persönlicher Ansprechpartner. Er steht dem Versicherten während der gesamten Behandlungsdauer<br />

173


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

zur Verfügung. Die Zuordnung des Fall-Managers erfolgt durch die Koordinierungsstelle; sie übernimmt<br />

die bedeutende Funktion der Versorgungssteuerung über die Sektorengrenzen hinweg. Diese Aufgabe<br />

erfüllt sie in enger Zusammenarbeit mit den Ärzten.<br />

Zu den konkreten Vertragsleistungen des Netzwerks gehört die möglichst ambulante Behandlung und<br />

Begleitung der Patienten – insbesondere in Krisensituationen. Die Versorgung zeichnet sich dabei durch<br />

zwei zentrale Elemente aus:<br />

• die Zuhause-Versorgung (home treatment)<br />

• den Einbezug von Angehörigen sowie des Umfelds des Patienten (Trialog).<br />

Vorbild für das Behandlungsvorgehen ist das Konzept des Need adapted treatment (bedürfnisgerechte<br />

Behandlung), welches in Skandinavien bereits weitestgehend angewendet wird. Nach dem Prinzip des<br />

offenen Dialogs werden dabei in Krisensituationen die Patienten von multiprofessionellen und mobilen<br />

Teams Zuhause versorgt. Wenn sich das häusliche Umfeld für die Krisenbewältigung nicht eignet, stehen<br />

den Patienten sogenannte Krisenpensionen oder Rückzugsräume mit Krisenbetten zur Verfügung. Diese<br />

vermitteln den Betroffenen eine Wohnatmosphäre, was sich erfahrungsgemäß positiv auf die Krisenbewältigung<br />

auswirkt. Der Trialog als zweites Kernelement erweitert in Krisensituationen die Perspektive<br />

der Patienten, aktiviert ihre Ressourcen und stärkt ihre Selbstbewältigungskräfte.<br />

Das ursprüngliche Finanzierungsmodell für das NWpG wurde von der TK aufgrund einer intensiven Analyse<br />

der eigenen Kostenentwicklung erarbeitet. Es stellt eine optimale Abstimmung zwischen den inhaltlichen<br />

Aspekten der Versorgungsidee und den wirtschaftlichen Anforderungen dar: Risikoadjustierte Versorgungspauschalen<br />

pro Versicherten, pro Jahr, mit Budgetverantwortung des Vertragspartners. Das<br />

Modell wurde auf Grundlage der gewonnen Erfahrungen im Jahr 2012 gemeinsam von den Krankenkassen<br />

und den 13 Vertragspartnern überarbeitet. Am 1. Januar 2013 trat das optimierte Vergütungsprogramm<br />

in Kraft.<br />

Nächste Schritte<br />

Das NWpG wird sowohl intern durch die TK als auch extern evaluiert. Gemeinsam mit dem AQUA-Institut<br />

hat die TK den Zuschlag für ein Forschungsvorhaben des Bundesministeriums für Gesundheit erhalten.<br />

Das Thema: „Verbesserung der Versorgung von Menschen mit psychischen Störungen“. Evaluationsobjekt<br />

wird das NWpG sein, sodass in naher Zukunft mit Ergebnissen dieser externen Evaluation gerechnet<br />

werden kann. Des Weiteren ist die TK bestrebt, die Teilnehmerzahl im Netzwerk zu erhöhen. Großes<br />

Rekrutierungspotential liegt in der Zuweisung über Kliniken und niedergelassene Ärzte. Klinikverantwortliche<br />

und niedergelassene Ärzte sollen im Rahmen von Informationsveranstaltungen über das Projekt informiert<br />

und zur Kooperation motiviert werden. Um die Qualität der Versorgung im NWpG weiter zu fördern,<br />

zielt die TK zudem darauf ab, den Wettbewerb zwischen den Vertragsregionen zu etablieren. Dies<br />

soll durch die Einführung eines Benchmarks für Prozess- und Ergebnisqualität geschehen. Nicht zuletzt<br />

plant die TK, die eingeschriebenen Patienten telefonisch zu befragen – zu ihrer Zufriedenheit mit dem<br />

Netzwerk sowie zu dessen Wirksamkeit. Dadurch sollen nicht nur frühzeitig Informationen zur Projektqualität<br />

gesammelt werden, sondern gegebenenfalls auch Informationen, um weitere Kooperationspartner<br />

zu gewinnen.<br />

174


NetzWerk psychische Gesundheit (NWpG)<br />

Ansprechpartner<br />

Frank Herrmann<br />

Experte für Integrierte Versorgung<br />

Techniker Krankenkasse<br />

Versorgungsmanagement<br />

Bramfelder Straße 140<br />

22305 Hamburg<br />

Telefon: 040 – 6909 1630<br />

E-mail: frank.herrmann@tk.de<br />

www.tk.de<br />

175


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Praxisnetz GO IN e.V.<br />

Ein Mehrwert für die Patienten in der Region IngolStadtLandPlus<br />

Autor: Siegfried Jedamzik<br />

Management Summary<br />

GO IN e.V. ist ein regionales Ärztenetz und ein Verein, welcher ein populationsorientiertes Projekt zur Integrierten<br />

Versorgung initiierte. Es will die flächendeckende, wohnortnahe, ambulante medizinische Versorgung<br />

in der Region IngolStadtLandPlus sicherstellen, eine hohe Versorgungsqualität erhalten und gute<br />

Arbeitsbedingungen für Ärzte schaffen. Dabei setzt GO IN auf die Vernetzung aller beteiligten Leistungserbringer,<br />

die Ausrichtung an einheitlichen Behandlungsstandards sowie die kontinuierliche Weiterbildung.<br />

Das GO IN Netzwerk hat seinen Sitz in Ingolstadt und umfasst die Landkreise Neuburg-Schrobenhausen,<br />

Eichstätt und Pfaffenhofen. In dieser Region vernetzt GO IN Ärzte und Kliniken und unterhält drei Notfallpraxen<br />

– als Ergänzung zu den ärztlichen Bereitschaftsdiensten. Zu den Netzwerkpartnern gehören das<br />

Klinikum Ingolstadt, die Kliniken St. Elisabeth in Neuburg, das Kreiskrankenhaus Schrobenhausen und das<br />

Geriatriezentrum in Neuburg.<br />

Das Praxisnetz GO IN e.V. wurde am 10. August 2000 gegründet und verfügt über eine eigene Verwaltung,<br />

die GO IN Geschäftsstelle. Am 1. Juli 2009 schloss GO IN – als erstes Ärztenetz in Deutschland –<br />

einen netzzentrierten Facharztvertrag mit der Audi BKK. Im GO IN Verbund sind derzeit 477 Netzärzte<br />

aktiv (211 Fach- und 266 Hausärzte).<br />

Umsetzung<br />

Das Praxisnetz GO IN wurde am 10. August 2000 als Interessenvertretung der niedergelassenen Vertragsärzte<br />

gegründet. Als Non-Profit-Unternehmen soll es die Leistungserbringer besser verzahnen und<br />

eine integrierte, flächendeckende Versorgung in der Region Ingolstadt sicherstellen. Das Netzwerk ist<br />

eine Antwort auf zukünftige Versorgungsherausforderungen und den drohenden Ärztemangel.<br />

Am Versorgungsangebot von GO IN können alle Patienten in der Region IngolStadtLandPlus teilnehmen,<br />

deren Arzt Mitglied bei GO IN ist. Audi BKK-Patienten erhalten von ihrem behandelnden Arzt einige Zusatzleistungen<br />

– Dank des netzzentrierten Vertrags, etwa kürzere Wartezeiten oder Abendtermine. Die<br />

Organisation, Information und Kommunikation des Praxisnetzes übernimmt die GO IN Geschäftsstelle.<br />

Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht die Unterstützung der Ärzte.<br />

Bei der Behandlung orientieren sie sich an netzintern entwickelten Patientenleitlinien für spezifische<br />

Krankheitsbilder. Die Netzwerkärzte verpflichten sich zudem, regelmäßig an Fortbildungen teilzunehmen<br />

– ein weiterer Garant für eine flächendeckend hohe Versorgungsqualität. GO IN bietet dazu verschiedene<br />

Weiterbildungsmöglichkeiten an. Jährlich können die Mitglieder beispielsweise an einem interaktiven<br />

DMP-Fortbildungsworkshop teilnehmen, der von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) als<br />

jährliche medizinische Regelfortbildung anerkannt wird. Zudem finden Qualitätszirkel für die unterschiedlichen<br />

Fachbereiche statt – allein im Jahr 2012 waren es 64.<br />

176


Praxisnetz GO IN e.V.<br />

Patienten profitieren nicht nur von der verbesserten Abstimmung zwischen den Leistungserbringern. Das<br />

kostenlose Wartezimmermagazin GO sensibilisiert sie zudem für aktuelle Gesundheitsthemen. Das Magazin<br />

wird von der GO IN Geschäftsstelle in Eigenregie redaktionell gestaltet und erscheint in Zusammenarbeit<br />

mit der Ingolstädter Zeitung alle zwei Monate. Sämtliche 336 GO IN Praxen erhalten das Magazin<br />

zur Auslage.<br />

Wichtiger Bestandteil der integrierten Versorgung durch GO IN sind zudem die GO IN Notfallpraxen. Diese<br />

vereinen ambulante und stationäre Notfallversorgung unter einem Dach und bieten hilfesuchenden<br />

Patienten eine Anlaufstelle – insbesondere außerhalb der normalen Praxisöffnungszeiten. Ambulant zu<br />

versorgende Erkrankungen werden dort behandelt. Gegenwärtig sind im Klinikum Ingolstadt die GO IN<br />

Notfallpraxis und die GO IN Kindernotfallpraxis in Betrieb sowie eine weitere Notfallpraxis in den Kliniken<br />

St. Elisabeth Neuburg/Donau. Einen Teil der medizinischen Leistungen übernimmt das entsprechend<br />

qualifizierte medizinische GO IN Fachpersonal. Dadurch werden Ärzte entlastet, Wartezeiten reduziert<br />

und die Effizienz der Versorgung wird gesteigert. Nicht zuletzt helfen die Notfallpraxen auch den Klinikärzten,<br />

da ausschließlich lebensbedrohliche Erkrankungen in die jeweilige Notaufnahme überwiesen werden.<br />

Die bisher erhobenen Behandlungszahlen zeigen, dass 85 Prozent der Patienten in den ambulanten<br />

Notfallpraxen behandelt werden können, ohne dass eine Einweisung ins Krankenhaus notwendig ist. Dies<br />

ist auch im Hinblick auf Kosteneinsparungen von großer Bedeutung.<br />

Nächste Schritte<br />

GO IN beteiligt sich an zwei größeren Projekten, die perspektivisch zur Versorgungsverbesserung in der<br />

Region beitragen sollen: „EMPOWER“ und „ByMedConnect“.<br />

Das EU-gestützte Projekt „EMPOWER“ beschäftigt sich mit der Entwicklung telemedizinischer Anwendungen,<br />

um das Selbstmanagement von Diabetespatienten zu fördern. Die in diesem Projekt entwickelten<br />

Versorgungstools für Diabetiker sollen künftig auch den Patienten des GO IN Netzes zur Verfügung<br />

stehen.<br />

Das zweite Projekt „ByMedConnect“, gefördert vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und<br />

Gesundheit, wird in Zusammenarbeit mit dem Helmholtz Zentrum München realisiert. In den vergangenen<br />

drei Jahren haben die Projektpartner einen fachübergreifenden, standardisierten eArtzbrief entwickelt.<br />

Dieser soll die patientenzentrierte Kommunikation und Koordination in der Region verbessern. Die<br />

Testphase ist bereits angelaufen, das Projekt wurde zum 31.07.2013 beendet.<br />

Ansprechpartner<br />

Dr. med. Siegfried Jedamzik<br />

1. Vorsitzender GO IN e.V.<br />

Praxisnetz GO IN e.V.<br />

Oberer Grasweg 50<br />

85055 Ingolstadt<br />

Telefon: 0841 – 886 680<br />

E-Mail: siegfried.jedamzik@go-in-ingolstadt.de<br />

www.goin.info<br />

177


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Praxisnetzwerk Nürnberg Süd (PNS)<br />

Telemedizin, Vernetzung, Versorgungssteuerung am Beispiel der<br />

Asthmatikerversorgung<br />

Autor: Michael Bangemann<br />

Management Summary<br />

Um die vielen Beteiligten an der Patientenversorgung elektronisch zu vernetzen, initiierte das Praxisnetz<br />

Nürnberg Süd e.V. (PNS) ein Projekt zur telemedizinischen Vernetzung und Steuerung der Versorgung – in<br />

der Pilotphase für Patienten mit Asthma bronchiale und beschränkt auf Hausärzte und Fachärzte im Einzugsbereich<br />

des Praxisnetz Nürnberg Süd e.V.<br />

Die medizinische Betreuung sollte verbessert werden durch die Vernetzung und die schnellere Abstimmung<br />

zwischen den behandelnden Ärzten. Eine elektronische Datenverarbeitung sollte zudem die Zusatzarbeit<br />

von Ärzten reduzieren und Doppeldokumentationen vermeiden. Die erfassten Daten aus der<br />

Netzdatenbank ermöglichen Auswertungen, die weit über die Möglichkeiten eines Praxisverwaltungssystems<br />

hinaus gehen.<br />

An dem Projekt nahmen sechs Pilotpraxen aus dem Praxisnetz Nürnberg Süd e.V. teil, mit insgesamt 12<br />

Ärzten. Extern evaluiert wurden 1.180 Verordnungen von 381 Patienten aus sechs Quartalen.<br />

Zu den beteiligten Partnern gehören PNSoftware und BüroOrganisation GmbH, KCS-IT GmbH Nürnberg,<br />

GlaxoSmithKline (GSK) GmbH München, das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS Erlangen<br />

und METEAN als Medizintechnisches Test- und Anwendungszentrum zur Evaluation und Zertifizierung<br />

des Datenschutzes.<br />

Umsetzung<br />

Die Pilotstudie begann am 8. April 2009 und wurde 2011 beendet. Zu den Teilnehmern zählten sechs<br />

freiwillige Pilotpraxen aus dem Praxisnetz Nürnberg Süd e.V. mit insgesamt 12 Ärzten. Mit Hilfe einer<br />

Software wurden die Verwaltungssysteme der Arztpraxen an das Datenbanksystem des Praxisnetzes<br />

angeschlossen. Diese dafür entwickelte PNSoftware ermöglicht eine elektronische Erfassung strukturierter<br />

medizinischer Befunde – und somit einen wichtigen Datenaustausch zwischen Arzt und Patient. Die<br />

erhobenen Daten können praxis- und fachgebietsübergreifend ausgewertet, an den jeweiligen Arzt zurück<br />

gespielt und dort direkt für die Versorgung der Patienten genutzt werden. Dank der Vernetzung der<br />

Praxen können die notwendigen Therapien leitliniengerecht und einfach durchgeführt und besser gemessen<br />

werden. Die Technik wurde zunächst im Rahmen der Verträge mit der AOK Bayern und der BARMER<br />

GEK erprobt und schließlich eingeführt.<br />

Um den relevanten Datenaustausch zu gewährleisten, wurden folgende wichtige Instrumente genutzt:<br />

eine PNSoftware, ein ACT-Fragetest (Asthmakontrolltest), der inzwischen Bestandteil der nationalen Versorgungsleitlinien<br />

ist, sowie einige technische Geräte. Die Patienten konnten so vor dem Arztbesuche<br />

bereits Fragen zu ihrem Gesundheitszustand beantworten. Der ACT-Test fragt etwa die Gesundheitssitu-<br />

178


Praxisnetzwerk Nürnberg Süd (PNS)<br />

ation des Asthmapatienten während der letzten vier Wochen ab. Wird beispielsweise ein schlechter Gesundheitszustand<br />

festgestellt, wird gegebenenfalls die Medikation angepasst.<br />

Die Ergebnisse der Evaluation zeigen, dass alles in allem der ACT-Test in den Praxen nur teilweise akzeptiert<br />

wurde. Im Gegensatz dazu stieg die Zahl der Anwendungen. Die Arzneimittelversorgungskosten gingen<br />

um 17 bis 33 Prozent zurück. Wichtiger aber war die Entwicklung der gesamten Grundlagentechnik. Dadurch<br />

konnten organisatorische und technische Abläufe wesentlich verbessert werden. Leitlinien können<br />

gezielt umgesetzt und an Qualitätsparametern messbar geprüft werden. Insgesamt bietet das Konzept<br />

Vorteile für Patienten und Ärzte und verbessert so die Versorgungssituation der Patienten (s. Abbildung 36).<br />

Abbildung 36 – Vorteile einer Vernetzung für Patienten, Haus- und Fachärzte<br />

Vorteile für Patienten<br />

Schnellere Terminvergabe bei Fachärzten von Praxis zu Praxis<br />

Altersgerechte Medikation<br />

Optimierte Prüfung der Arzneimittelverträglichkeit & gezielte<br />

Behandlungsempfehlungen<br />

Erinnerung an notwendige medizinische Maßnahmen<br />

Gemeinsame Terminplanung der beteiligten Arztpraxen<br />

Abendsprechstunde für Berufstätige bis 19.00 Uhr<br />

Vorteile für Patienten<br />

Keine Eingriffe in das Praxisverwaltungssystem<br />

Schnellere Krankenhausentlassung<br />

Verbesserte medizinische Betreuung durch<br />

schnellere Abstimmung der behandelnden Ärzte<br />

Verbesserte Patientenversorgung<br />

Zugang zu organisierten Patientenschulungen<br />

Keine zusätzliche Dokumentation<br />

Quelle: Eigene Darstellung.<br />

Das komplette technische Knowhow wurde vom Praxisnetz und der PNSoftware finanziert. Die Unterstützung<br />

bei organisatorischen Treffen der Arztpraxen und Fortbildungen übernahm GSK GmbH München.<br />

Dank der Beteiligung der PNSoftware GmbH und von Dr. Michael Bangemann konnte ein symbolisches<br />

Honorar von einem Euro je Test an jede Praxis gezahlt werden.<br />

Nächste Schritte<br />

Bereits 50 Haus- und Fachärzte nehmen an dem Projekt teil und übermitteln regelmäßig die medizinischen<br />

Daten aus den verschiedensten Praxissystemen. Im weiteren Verlauf können andere Leistungsanbieter<br />

im Gesundheitswesen miteinbezogen werden, wie etwa das Klinikum Nürnberg, Pflegedienste,<br />

Patienten, Angehörige und weitere Partner.<br />

Aufgrund der Erfahrungen aus dem Pilotprojekt ist es nun möglich, die Technik für andere Erkrankungen<br />

einzusetzen – wie am Beispiel der Versorgung der COPD gezeigt wurde. Die Vergütung wird vom Praxisnetz<br />

künftig aus den erzielten Einsparungen finanziert.<br />

Ansprechpartner<br />

Dr. Michael Bangemann<br />

Vorsitzender Praxisnetz Nürnberg Süd e.V.<br />

Nibelungenstr. 19 · 90461 Nürnberg<br />

Telefon: 0911 – 815 16 22<br />

E-Mail: info@praxis-bangemann.de<br />

www.pns-nbg.de<br />

179


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Ausschreibung <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2014<br />

Mit der Ausschreibung des <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreises 2014 soll erneut die Zusammenarbeit aller Beteiligten<br />

im Gesundheitswesen an einer effektiven Versorgung gestärkt und innovative sowie nachhaltige<br />

Versorgungsoptimierung in Deutschland gewürdigt werden. Die im Jahr 2013 nominierten und ausgezeichneten<br />

Projekte belegen, dass es nicht nur Ideen gibt, sondern bereits zahlreiche Projekte, die innovative<br />

Versorgung realisiert haben und einen Nutzen für die Patienten bringen. Dieses Engagement gilt es<br />

auch weiterhin zu würdigen und zu fördern.<br />

Für den <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2014 können sich konkrete Versorgungsprojekte bewerben, die eine<br />

nachhaltige Verbesserung der medizinischen und/oder ökonomischen Ergebnisqualität gezeigt haben.<br />

Über die Preisvergabe entscheidet auch im Jahr 2014 wieder eine unabhängige Jury bestehend aus: Prof.<br />

Dr. Volker E. Amelung (Vorstandsvorsitzender Bundesverband Managed Care und Schwerpunktprofessur<br />

für Internationale Gesundheitssystemforschung an der Medizinischen Hochschule Hannover), Dr. Rainer<br />

Hess (ehemaliger unabhängiger Vorsitzender G-BA, Vorstand Deutsche Stiftung Organtransplantation<br />

DSO), Dr. Rolf Koschorrek (CDU), RAin Mirjam Mann (GF ACHSE e.V.) Prof. Dr. med. Friedrich W.<br />

Schwartz, Em. (Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Medizinische<br />

Hochschule Hannover), Prof. Dr. Peter C. Scriba (ehemaliger Direktor, Medizinische Klinik Innenstadt,<br />

Klinikum der Universität München) und Dr. med. Thomas Lang (Direktor Market Access, <strong>MSD</strong>).<br />

Als Teilnahmevoraussetzungen gelten fünf Kriterien:<br />

1. Das Versorgungsprojekt soll eine nachhaltige Verbesserung der medizinischen und/oder ökonomischen<br />

Ergebnisqualitat gezeigt haben.<br />

2. Es müssen externe Evaluationsergebnisse vorliegen. Auch Pilotprojekte, die bereits vielversprechende<br />

Ergebnisse vorweisen können förderungswürdig sein.<br />

3. Inhaltlich sollen insbesondere Indikationen folgender großer Volks- und Infektionskrankheiten sowie<br />

seltene Erkrankungen aufgegriffen werden: Diabetes mellitus Typ 2, Herz-Kreislauferkrankungen, Immunologie<br />

(Rheumatologie, Gastroentrologie), onkologische Erkrankungen, Osteoporose, Schmerz<br />

(degenerative Gelenkerkrankungen), Virusinfektionen (Hepatitis C, HIV).<br />

4. Der Ansatz soll Patienten und Versicherte dabei unterstützen, konkrete Gesundheitsziele für sich zu<br />

kennen, zu verstehen und zu erreichen sowie ihre Teilhabe am Versorgungsprozess mit zu fördern.<br />

5. Das Projekt soll eine effiziente Versorgung über verschiedene Sektoren hinweg darstellen und beinhalten.<br />

Der <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis wird auf bis zu fünf Projekte aufgeteilt. Zusätzlich zum Hauptpreis wird im<br />

Jahr 2014 wieder ein Sonderpreis an das Projekt mit dem größten Patientennutzen und erfolgreicher aktiver<br />

Einbindung der Patienten vergeben.<br />

Projektinitiatoren, die an einer Bewerbung für den <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2014 interessiert sind, können<br />

ihre Bewerbung an folgenden Gesichtspunkten orientieren:<br />

• Eingereicht durch (Name, Versorgungsstruktur)<br />

180


Ausschreibung <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2014<br />

• Verbindliche Gliederung<br />

– Beschreibung der Leitidee des Projektes auf max. 350 Zeichen<br />

– Ziele des Projektes und der beteiligten Partner<br />

– Beschreibung des innovativen Konzeptes, der Versorgungsstruktur, der Finanzierung, des Patientennutzens<br />

bzw. des Versorgungsmehrwertes für die Versicherten<br />

– Externe Evaluationsergebnisse (medizinischer/gesundheitlicher Mehrnutzen/ Effizienzsteigerung)<br />

– Inhaltliche, zielbezogene Perspektiven, organisatorische und finanzielle Nachhaltigkeit<br />

– Zeit- und Budgetplan<br />

• Ansprechpartner, Funktion<br />

• Legitimation des Bewerbers<br />

• Adresse, Telefon, E-Mail<br />

Die Bewerbung sollte einen Gesamtumfang von 15 Seiten nicht überschreiten und weniger als 5 <strong>MB</strong><br />

Speicherkapazität beanspruchen. Relevante Publikationen oder Evaluationsberichte können in einem separaten<br />

Anhang eingereicht werden.<br />

Eine Bewerbung ist bis zum 15. April 2014 möglich. Die Unterlagen können dazu in elektronischer Fassung<br />

gesendet werden an: gesundheitspreis@msd.de<br />

Weitere Informationen auch unter: www.msd.de<br />

181


3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Herausgeber- und Autorenverzeichnis<br />

Prof. Dr. Volker E. Amelung<br />

Schwerpunktprofessur fur Internationale<br />

Gesundheitssystemforschung,<br />

Medizinische Hochschule Hannover<br />

Bundesverband Managed Care e.V.<br />

Vorstandsvorsitzender<br />

Daniel Bahr<br />

Bundesministerium für Gesundheit<br />

Bundesminister<br />

Dr. Michael Bangemann<br />

Praxisnetz Nürnberg Süd e.V.<br />

Vorsitzender<br />

Dr. med. Werner Besier<br />

Gesundheitsprojekt Mannheim e.G.<br />

Vorstandsvorsitzender<br />

Wolfgang Bölter<br />

GSB<br />

Deutsche Gesundheitssystemberatung GmbH<br />

Prokurist<br />

Dr. med. Bodo Denhoven<br />

Regionales Gesundheitsnetz Leverkusen eG<br />

Technisch administrative Leitung<br />

Angelika Donat<br />

Marienstift Arnstadt<br />

Leiterin Zentrales Controlling<br />

Johannes Ertl<br />

donauMED GmbH & Co. KG<br />

Geschäftsführung<br />

Dr. Arthur Feyrer<br />

Gesundes Kinzigtal GmbH<br />

Orthopädie<br />

Dr. Jürgen Flohr<br />

Leipziger Gesundheitsnetz e.V.<br />

Projektleitung<br />

Martin Göhl<br />

<strong>MSD</strong> SHARP & DOHME G<strong>MB</strong>H<br />

Health Care Concept Manager<br />

Simone Grandt<br />

RpDoc ® Solutions GmbH<br />

Geschäftsführende Gesellschafterin<br />

Dagmar Griesbeck<br />

donauMED GmbH & Co. KG<br />

Assistentin der Geschäftsführung<br />

Dr. Lutz Hager<br />

IKK Südwest<br />

Geschäftsführer Versorgung<br />

Dr. Gunter Hauptmann<br />

Kassenärztliche Vereinigung Saarland<br />

Vorsitzender des Vorstandes<br />

Frank Herrmann<br />

Techniker Krankenkasse<br />

Versorgungsmanagement<br />

Dr. Rainer Hess<br />

Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation<br />

ehemaliger unabhängiger Vorsitzender<br />

des Gemeinsamen Bundesausschusses<br />

Dr. med. Christof Heun-Letsch<br />

GO-LU Gesundheitsorganisation Ludwigshafen eG<br />

1. Vorsitzender<br />

Helmut Hildebrandt<br />

Gesundes Kinzigtal GmbH<br />

Geschäftsführer<br />

Dipl.-Kfm. (FH) Markus Hinz<br />

DAK-Gesundheit<br />

Vertragsgebiet Bayern<br />

Prof. Dr. med. Wolfgang Hoffmann, MPH<br />

Universitätsmedizin Greifswald<br />

Abt. Versorgungsepidemiologie und Community<br />

Health<br />

Geschäftsführender Direktor<br />

Bettina Hoffmann M.A.<br />

Bezirkskrankenhaus Bayreuth<br />

Neurolinguistin Klinische Linguistin (BKL)<br />

182


Herausgeber- und Autorenverzeichnis<br />

Dr. med. Martin Huber<br />

donauMED GmbH & Co. KG<br />

Geschäftsführung<br />

Dr. med. Wolfgang Hübner<br />

Regionales Gesundheitsnetz Leverkusen eG<br />

Medizinische Leitung<br />

Dr. med. Tim Husemann<br />

<strong>MSD</strong> SHARP & DOHME G<strong>MB</strong>H<br />

Director Health Care Management & Contracting<br />

Dr. Carsten Jäger<br />

Ärztenetz Südbrandenburg Consult GmbH<br />

Geschäftsführer<br />

Dr. med. Siegfried Jedamzik<br />

Bayerische TelemedAllianz<br />

Geschäftsführer<br />

Lysann Kasprick<br />

GeriNet<br />

Projektmanagement<br />

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Matthias Keidel<br />

Bezirkskrankenhaus Bayreuth<br />

Klinik für Neurologie Schmerzambulanz<br />

Chefarzt<br />

Dr. rer.nat. Manfred Klemm<br />

Regionales Gesundheitsnetz Leverkusen eG<br />

Konzeptorganisation<br />

Dr. Jürgen Klinghammer<br />

GenoGyn<br />

Vorstandsmitglied<br />

Dr. Albrecht Kloepfer<br />

Büro für Gesundheitspolitische Kommunikation<br />

Leiter<br />

Dr. rer. nat. Holger Knoth<br />

Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden<br />

Leiter der Klinik-Apotheke<br />

Dr. Rolf Koschorrek<br />

CDU<br />

Peter Krase<br />

AOK Bayern<br />

Ressort-Direktor<br />

Dr. Dirk Krollner<br />

Albertinen Herz- und Gefäßzentrum<br />

der Albertinen Gruppe<br />

Leiter<br />

Dr. med. Thomas Lang<br />

<strong>MSD</strong> SHARP & DOHME G<strong>MB</strong>H<br />

Direktor Market Access<br />

Priv. Doz. Dr. med. Hans-Eckhard Langer<br />

RHIO (Rheumatologie, Immunologie, Osteologie)<br />

Düsseldorf<br />

Dr. Gerd Lanzer<br />

Kompetenznetz Orthopädie und Unfallchirurgie<br />

SAAR – KOS e.G.<br />

Vorstandsvorsitzender<br />

Mirjam Mann<br />

ACHSE e.V.<br />

Geschäftsführerin<br />

Dr. med. Christian Marks<br />

Facharzt für Allgemeinmedizin, Diabetologe DDG/<br />

ÄK, Ernährungsmediziner DGE, Naturheilverfahren,<br />

Chirotherapie, Sozialmedizin, Akupunktur,<br />

Suchtmedizin<br />

Diabeteszentrum Billstedt-Horn<br />

Ärztlicher Leiter<br />

Prof. Dr. med. Martin Merkel<br />

Asklepios Klinik St. Georg<br />

Oberarzt<br />

Prof. Dr. med. Dirk Müller-Wieland<br />

Asklepios Klinik St. Georg<br />

Oberarzt<br />

Prof. Dr. Günter Neubauer<br />

Institut für Gesundheitsökonomik (IfG)<br />

Direktor<br />

Abdul Örs<br />

Münchner Pflege Team<br />

Geschäftsführer<br />

Jürgen Pflaum<br />

GO-LU Gesundheitsorganisation Ludwigshafen eG<br />

Geschäftsführer<br />

Brigitte Pfeiff<br />

ADAPTHERA<br />

Marketing + Kommunikation<br />

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3. <strong>MSD</strong>-Forum GesundheitsPARTNER • <strong>MSD</strong>-Gesundheitspreis 2013<br />

Ralf Pourie<br />

4sigma GmbH<br />

Geschäftsführer<br />

Dr. Franziska Püschner<br />

inav – privates Institut für angewandte Versorgungsforschung<br />

GmbH<br />

Manager Gesundheitsökonomie<br />

Hanspeter Quodt<br />

<strong>MSD</strong> SHARP & DOHME G<strong>MB</strong>H<br />

Managing Director und Vorsitzender der Geschäftsführung<br />

Thomas Rampoldt<br />

Ärztegenossenschaft Nord eG.<br />

Geschäftsführer<br />

Dr. Matthias Riedl<br />

medicum Hamburg<br />

Ärztlicher Leiter und Geschäftsführer<br />

Priv.-Doz. Dr. med. Ulrike Rothe<br />

Medizinische Fakultät der TU Dresden, I<strong>MB</strong><br />

Bereich Epidemiologie und Versorgungsforschung<br />

Fachkommission Diabetes SLÄK<br />

Stellvertretende Vorsitzende<br />

Prof. Dr. med. Steffen Ruchholtz<br />

Universitätsklinik Gießen-Marburg<br />

Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie<br />

Direktor<br />

Thomas Ruck<br />

Gesundes Kinzigtal GmbH<br />

Physiotherapie<br />

Torsten Schudde<br />

medicum Hamburg<br />

Kaufmännischer Leiter<br />

Sophie Schwab<br />

DAK-Gesundheit<br />

Vertragsgebiet Bayern<br />

Leiterin<br />

Prof. Dr. Andreas Schwarting<br />

ACURA Kliniken Rheinland-Pfalz AG<br />

Ärztlicher Direktor<br />

Prof. Dr. med. Friedrich Wilhelm Schwartz, Em.<br />

Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin<br />

und Gesundheitssystemforschung<br />

Medizinische Hochschule Hannover<br />

Prof. Dr. Peter C. Scriba<br />

ehemaliger Direktor der Medizinischen Klinik<br />

Innenstadt der Ludwig-Maximilians-Universität<br />

München<br />

Dr. Reinhard Thoma<br />

Algesiologikum GmbH<br />

Geschäftsführer<br />

Dr. Dörte Tillack<br />

Gesundes Kinzigtal GmbH<br />

Allgemeinmedizin<br />

Jörg Trinemeier<br />

PRAVO Versorgungsmanagement GmbH<br />

Geschäftsführer<br />

Dr. rer. med. Neeltje van den Berg<br />

Universitätsmedizin Greifswald<br />

Abt. Versorgungsepidemiologie und Community<br />

Health<br />

Stellvertretende Leitung<br />

Dr. John N. Weatherly<br />

NEWSTAND Management Akademie<br />

Geschäftsführer<br />

DGbV Deutsche Gesellschaft für<br />

Bürgerorientiertes Versorgungsmanagement<br />

Präsident<br />

Dr. Micha Wirtz<br />

McDonald’s Kinderhilfe Stiftung<br />

Direktor Kommunikation<br />

Michael Wüstefeld<br />

Opti-med. Gesundheitsmanagement GmbH<br />

Geschäftsführer<br />

Prof. Dr. med. Jan Schulze<br />

Sächsische Landesärztekammer<br />

Präsident<br />

184


© 2014<br />

<strong>MSD</strong> SHARP & DOHME G<strong>MB</strong>H<br />

Lindenplatz 1<br />

85540 Haar<br />

www.msd.de<br />

ISBN 978-3-927107-10-6<br />

CORP-1038477-0022

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