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Braunschweigisches Jahrbuch 49.1968 - Digitale Bibliothek ...

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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> Braunschweig<br />

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042519<br />

beginnt sich zu lösen, wenn man bedenkt, daß alle Unternehmungen des Sommers<br />

18°5, also auch die Fahrt nach Helmstedt, Antworten waren auf die besondere<br />

Situation, in die ihn der Tod Schillers gebracht hatte 27). Es genügt nicht darauf hinzuweisen,<br />

daß Goethe nach den Belastungen des Jahresanfangs einer Ablenkung und<br />

Zerstreuung im äußeren Sinne bedurfte; dieses in gleichzeitigen Briefen ausgesprochene<br />

Motiv hat der Dichter später in den Hintergrund treten lassen. Vielmehr<br />

hat sich Goethe seit dem Frühjahr 1805 bis in den Sommer hinein in einer Krise<br />

seiner Lebensentwicklung befunden, die wirklich eine ernste Bedrohung seiner<br />

gesamten Existenz darstellte. Diese Lebenkrise kündigte sich an in einer Krankheit.<br />

Es waren vor allem akute und gefährliche Nierenstörungen, von denen er heimgesucht<br />

wurde. Ungefähr zur gleichen Zeit erkrankte auch Schiller. Goethe konnte<br />

den Ansturm seiner Krankheit abwehren; Schiller erlag ihr am 9. Mai. Dumpfe<br />

Resignation breitete sich über Goethes Seele, besonders als der Versuch fehlgeschlagen<br />

war, den "Demetrius", das von Schiller hinterlassene Dramenfragment, zu<br />

vollenden. Brieflich hat sich Goethe hierzu nur Zelter gegenüber offen ausgesprochen.<br />

Es war am 1. Juni 1805, als er schrieb 28):<br />

la, daa,te mia, selbst 2U verlieren, und flerliere nun einen Freund und in demselben<br />

die Hälfte meines Daseyns. EigentlidJ sollte idJ eine neue LebenS'Weise anfangen; aber dazu<br />

ist in meinen 'Jahren audJ kein Weg mehr.<br />

Wie stellt sich diese Krise des Jahres 1805 hinein in den Zusammenhang und<br />

Fortgang des Goethelebens? Die gemeinsam mit Schiller durchlebte Zeit der<br />

Weimarer Hochklassik war vorüber. Goethe stand an der Schwelle seiner Altersjahre.<br />

" Schillers Tod und der Umbruch im Öffentlich-Politischen bezeichnen einen der großen<br />

Epocheneinschnitte in Goethes Leben" 29). Diese Krankheits- und Lebensalterskrise<br />

des 56. Jahres ist vergleichbar der Todkrankheit des Leipziger Studenten und dem<br />

Erlebnis der inneren Wiedergeburt in Italien. Sie ist ferner zu vergleichen mit der<br />

Erschütterung, die dem greisen Dichter noch im Jahre 1813 durch das Ulrike­<br />

Erlebnis zuteil wurde. Die Helmstedtreise des Sommers 1805, über die sich Goethe<br />

aus der Distanz der späteren Jahre so ausführlich Rechenschaft ablegte, gewinnt<br />

dann an Bedeutung, wenn man sie vor dem Hintergrund der damals durchlittenen<br />

Krise betrachtet. Mit anderen Worten: der autobiographische Bericht in den Tagund<br />

Jahresheften spiegelt etwas vom Prozeß der Selbstwiederherstellung in jener<br />

Zeit.<br />

Es empfiehlt sich, unter diesem Blickpunkt die Annalenschilderung des Jahres<br />

1805 als Ganzes in die Betrachtung mit einzubeziehen. Man sieht dann, wie Goethe<br />

zu erkennen gibt, daß er sich damals nicht allein durch eigene Kraft aus dem trostlosen<br />

Zustand innerer Lähmung und Bedrückung wieder aufgerafft hat, sondern daß<br />

es verschiedener Anregungen von außen her bedurfte, um ihn in rechter Weise ins<br />

Leben zurückzuführen. Nach der Schilderung der Tag- und '1ahreshefte hat sich<br />

dieser Vorgang in drei großen Schritten vollzogen. Beistand und Gefährte war ihm<br />

in dieser Genesungszeit Friedrich August Wolf. Goethe preist es als die Fürsorge<br />

17) G ö tt i n g S7-59.<br />

28) B 19. 8.<br />

29) HAB r Bd. 3, 514 (Morawe).<br />

13°

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