Rotes Grün
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Gleichheit<br />
73<br />
Dieser Gedanke ist so ungeheuerlich, dass man ihn kaum zu denken<br />
wagt. Bislang ist Gleichheit ein rechtliches und politisches Postulat, das<br />
im Sinne des Staatsbürgers und der Rechtsperson in gewissen Grenzen<br />
wirklich werden kann, wenn die garantierenden Institutionen einigermaßen<br />
funktionieren. Jenseits von Politik und Recht ist Gleichheit bestenfalls<br />
eine ethische Verpflichtung, häufig auch nur Gegenstand einer<br />
herrschaftstechnischen Abwägung. Zu viel Ungleichheit könnte irgendwann<br />
die Legitimation der gegebenen Ordnung gefährden und vielleicht<br />
zur Revolte führen. Nicht zuletzt deshalb enthalten die meisten Vorschläge<br />
für alternative Wohlstandsmaße, die in den vergangenen Jahren<br />
zahlreich entstanden sind, auch Indikatoren, die Ungleichheit zum<br />
Ausdruck bringen sollen. 16<br />
Ökologisch begründete Gleichheit hat eine andere Qualität. Sie ist<br />
nicht das Ergebnis eines Herrschaftskalküls, sondern ein Herrschaft unterwanderndes<br />
Recht. Sie steht quer zu den bisher geltenden ökonomischen<br />
Leitprinzipien. Selbst zum Einkommen, das aus Leistung, Mühe<br />
und Anstrengung resultiert und wegen eben dieser Quelle Anerkennung<br />
genießt, steht ökologische Gleichheit in einem Spannungsverhältnis, das<br />
sich nicht einfach auflösen lässt. Ökologische Gleichheit ist ein Anschlag<br />
nicht nur auf die hergebrachte Eigentumsordnung, sondern auch auf individualistische<br />
Leistungs- und Lohnprinzipien.<br />
Die Folgen des neuen ökologischen Menschenrechts wären in der<br />
Tat radikal. Nicht nur Gesellschaften mit nicht-nachhaltigem Nutzungsniveau<br />
kämen unter Rechtfertigungszwang, sondern Individuen. Was<br />
unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit seit langem an radikalen<br />
Verteilungsforderungen gestellt wird, bekäme eine zwingende ökologische<br />
Begründung. In religiöser Sprache: Du sollst nicht verzehren deines<br />
Mitmenschen Lebensbasis.<br />
Das ganze bisherige System der Begründung und der Selbstrechtfertigung<br />
des ökonomisch Gewohnten geriete aus den Fugen. Privates Eigentum,<br />
das jenseits eines nicht-nachhaltigen Niveaus Verfügung über<br />
Natur begründet, wäre nicht mehr legitim. Wirtschaftliche Aktivitäten,<br />
die nicht-nachhaltige Niveaus bedienen, und die Einkommen, die aus<br />
solchen Aktivitäten stammen, wären nicht mehr zu rechtfertigen. Der<br />
16<br />
Einen Überblick über alternative Wohlstandsmaße bietet die Enquete-Kommission<br />
Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität (2013).