Rotes Grün
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– was die ökologische Überdehnung gesellschaftlich bedeutet<br />
35<br />
senhaft finden sich merkwürdig subjektlose Aufrufe zur Revolution –<br />
Revolutionen ohne Revolutionäre. Diese Aufrufe sind besser als reines<br />
Moralisieren, aber die notwendige Trennschärfe haben sie nicht. Deshalb<br />
ist es zunächst geboten, die Botschaft der naturwissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse ins Gesellschaftliche zu übersetzen und zu fragen, welche<br />
politisch-konzeptionellen Leitlinien daraus folgen.<br />
Wir leben in einer »vollen Welt«. Das war schon vor längerer Zeit der<br />
Befund des US-Ökonomen Herman Daly (2005), der damit den Begriff<br />
des Anthropozän vorweggenommen hat, ohne ihn zu nennen. Er meinte<br />
damit, dass die Welt des Menschen heute nahezu vollständig die natürlichen<br />
Kreisläufe prägt. In früheren Jahrhunderten, in der »leeren Welt«,<br />
war die menschliche Aneignung der Natur eher ein unbedeutendes Phänomen,<br />
blieb regional begrenzt und hatte noch keinen globalen Charakter.<br />
Was die einen taten, war für die Menschen auf anderen Kontinenten<br />
– jeweils in ökologischer Hinsicht – ohne Bedeutung.<br />
In einer vollen Welt ist das anders. Hier ist jeder Zuwachs zugleich<br />
ein Rückgang, jeder Nutzen ein Schaden an anderer Stelle. Deshalb, so<br />
Dalys Schlussfolgerung in ökonomischer Terminologie, ist der Grenznutzen<br />
des Wachstums tendenziell null und kann auch negativ werden,<br />
wenn die angerichteten Schäden den gestifteten Nutzen übersteigen.<br />
Daly nennt das »unökonomisches Wachstum« und ist mit diesem<br />
Begriff leider eine Ausnahme geblieben. Denn in aller Regel gilt immer<br />
noch, was Kenneth Boulding, ein anderer Begründer der ökologischen<br />
Ökonomie, schon vor 40 Jahren feststellte: »Wer glaubt, dass in einer<br />
endlichen Welt immerwährendes Wachstum möglich sei, ist entweder<br />
ein Verrückter oder ein Ökonom.« 11<br />
Was als Mehrung des Wohlstands erscheint, wird zum globalen Nullsummenspiel,<br />
in dem jeder Gewinn zugleich ein Verlust ist, jeder Vorteil<br />
des einen der Nachteil des anderen. Beim Nullsummenspiel aber bleibt<br />
es nicht, wenn es über längere Zeit anhält. Denn die Verluste und Schäden<br />
summieren sich nicht nur, sondern können auch den Zusammenbruch<br />
von Ökosystemen bedeuten.<br />
Vor diesem Hintergrund dämmert allmählich selbst einigen hartnäckigen<br />
Verfechtern freier Märkte, wie in der Enquete-Kommission Wachs-<br />
11<br />
Diesen prägnanten Ausdruck soll Kenneth Boulding 1973 während einer Anhörung<br />
des US-Kongresses verwendet haben.