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Rotes Grün

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6. Neue Geschichten<br />

Ebenso falsch ist die Erwartung, ohne gesellschaftliche Bewegung<br />

im Rücken durch die Institutionen marschieren und dort verändernd<br />

wirken zu können. Ist die Gesellschaft starr, sind es die Instanzen erst<br />

recht. Von 100 engagierten Aktivistinnen und Aktivisten, die voller Tatendrang<br />

in nationale Parlamente ziehen, verwandeln sich 95 in Paragrafenreiter<br />

und Fraktionsopportunisten. Die Revolutionäre ziehen ins<br />

Hohe Haus, aber das einzige, das sich verändert, sind die Revolutionäre<br />

selbst. Zu groß ist die korruptive Kraft der kleinen Privilegien. Zu<br />

stark ist der Sog verrechtlichter Verfahren, die den Gedanken an Veränderungen<br />

jenseits des kleinkarierten Antragswesens schon im Keim<br />

ersticken. Volksvertreter in einer auch nur rudimentär dem Begriff angemessenen<br />

Weise sind – jedenfalls auf der nationalen, lobbydurchsetzten<br />

Ebene – eine seltene Spezies.<br />

Veränderungen beginnen in der Gesellschaft und dort zunächst in den<br />

Köpfen. Aber die Köpfe sind ihrerseits nicht nur Ausgangspunkte, sondern<br />

auch Resultate, geprägt vom jeweiligen Zeitgeist, von den vorherrschenden<br />

Begriffen, von den Deutungsmustern, die unsere Sinne dirigieren.<br />

Deshalb ist es wichtig, das Denken selbst zu denken, das heißt,<br />

kritisch zu prüfen, ob die ideellen Werkzeuge, mit denen wir uns orientieren,<br />

vielleicht eher der Trübung als der Klarsicht dienen.<br />

Die grobschlächtigen Verzerrungen der Begriffe sind leicht zu durchschauen.<br />

Das beginnt dann üblicherweise mit dem ersten Akt der Aufklärung:<br />

mit dem Begriff Arbeitnehmer. Er stellt seine Arbeitskraft zur<br />

Verfügung und gibt seine Arbeit. Das ist der Kern der Sache. Er ist also<br />

vor allem Geber und heißt trotzdem Nehmer, weil der eine Aspekt, der<br />

auch dazu gehört, das Entgegennehmen des Arbeitsplatzes, aus leicht<br />

zu durchschauendem Interesse des Gegenpols begriffsbildend wirkt.<br />

Das hat für die andere Seite, die Arbeit nimmt und trotzdem Geber<br />

heißt, den äußerst willkommenen Kollateralnutzen, dass die Schuldfrage<br />

gleich mit erledigt ist. Wer nimmt, muss sich rechtfertigen, hat<br />

eine Bringschuld, ist zur Gegenleistung verpflichtet und sollte wohl eher<br />

eine demütige Haltung pflegen. Wer gibt, ist gut, kann und darf wohl<br />

erwarten, dass sein Geben die volle Anerkenntnis des minderen Standpunkts,<br />

des Nehmens, bekommt. Die Verkehrung der Verhältnisse, die<br />

beim Begriffspaar Arbeitnehmer/Arbeitgeber offensichtlich ist, endet<br />

hier nicht, sondern durchzieht nahezu das gesamte Feld des von Konflikten<br />

geprägten Handelns.

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