Rotes Grün
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6. Neue Geschichten<br />
auf das Recht beschränkten Gleichheit neue und für breite Bevölkerungsschichten<br />
spürbare Elemente hinzugefügt: ausgebauter Sozialstaat, erweiterte<br />
politische Rechte, Steuerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage,<br />
Gleichklang von Massenproduktion und Massenkonsum, deutlich<br />
gesteigerte Erwerbstätigkeit der Frauen, Technisierung der Haushalte,<br />
Relativierung der zwischenstaatlichen Konkurrenz im eigenen Machtkreis.<br />
Diese zusätzlichen Elemente waren die Grundlage des »Goldenen<br />
Zeitalters«, das in der Nachkriegszeit begann und bis in die 1970er Jahre<br />
währte. Der Osten hatte eine gewisse zivilisierende Wirkung auf den<br />
Westen entfaltet, zur Nivellierung sozialer Ungleichheiten und zu zwischenstaatlichen<br />
Arrangements beigetragen.<br />
Der Rollback startete in den USA und Großbritannien bereits vor dem<br />
Ende der Systemkonkurrenz, aber nach dem Kollaps des Ostens hat die<br />
Rücksichtslosigkeit im Westen deutlich zugenommen. So war das Verschwinden<br />
der östlichen Antwort, die in den Umwälzungen von 1989/91<br />
gestorben ist, auch ein wesentlicher Grund für die Erosion westlicher<br />
Ideen und westlicher Praxis. Selbst wenn es die globale Gefährdung<br />
ökologischer Kreisläufe nicht gäbe, wäre trotzdem über ein neues Modell<br />
gesellschaftlicher Entwicklung nachzudenken, das Wohlstand für<br />
die größtmögliche Zahl erlauben würde.<br />
Dieses Nachdenken muss nun aber den ökologischen Imperativ voll<br />
und ganz annehmen, wenn dabei eine glaubwürdige Geschichte herauskommen<br />
soll. Wirksame, den Nerv treffende Interventionen setzen<br />
immer zweierlei voraus: Erstens den Status quo moralisch und logisch<br />
entzaubern und zweitens etwas Lebenswerteres anbieten. Die<br />
Entzauberung ist weit gediehen, aber eine Alternative noch nicht greifbar,<br />
obwohl mittlerweile jede Wohlstandsgenossin und jeder Wohlstandsgenosse<br />
weiß oder doch zu ahnen beginnt, dass die heutige Art<br />
des Produzierens und Konsumierens nur noch sehr begrenzt in die Zukunft<br />
zu verlängern ist.<br />
In der Vergangenheit waren Ideen des Freiheitsgewinns und der Weltverbesserung<br />
wichtig, weil sie eine in Erkenntnis begründete Hoffnung<br />
formulierten. In der Gegenwart muss die Antizipation einer anderen<br />
Welt mehr sein als eine begründete Hoffnung und mehr sein als eine intellektuelle<br />
Übung im Kampf gegen alte Deutungsmuster. Denn im ökologischen<br />
Licht wird Vorsorge, also die Vorwegnahme des Künftigen, zu<br />
einem nicht hintergehbaren Gebot. Dieser Zwang, Zukunft zu denken,