Rotes Grün
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6. Neue Geschichten –<br />
wie die Ideen in Bewegung kommen<br />
Nie war die Wahlfreiheit größer, nie war die soziale Ungleichheit schreiender,<br />
nie war die Natur gefährdeter. Potenziell sind die Länder des Nordens<br />
ein Hort der Selbstbestimmung geworden, faktisch aber herrscht<br />
in ihnen und auf dem Globus insgesamt der gnadenlose Zwang einer<br />
naturzerstörenden Ökonomie.<br />
Diktaturen sind zusammengebrochen, viele Millionen Menschen haben<br />
in den vergangenen 30 Jahren Wahlrechte erhalten. Zu den alten<br />
bürgerlichen Demokratien in Westeuropa und Nordamerika sind neue<br />
in Osteuropa, Lateinamerika und anderswo hinzugekommen. Diese neu<br />
gewonnene politische Freiheit wurde mit dem ultraliberalen Gang der<br />
Ökonomie sogleich wieder entwertet und besteht vielfach nur noch aus<br />
einer luftigen Hülle reiner Potenzialität.<br />
Denn Freiheit ohne Gleichheit – so bezeugen Arm in Arm die alte Philosophie<br />
und die moderne Erfahrung – ist ein unfaires Spiel, eine Veranstaltung,<br />
bei der die Vermögenden ihre Macht und ihre Stimmen vervielfachen,<br />
während der Souverän zwar das Personal, aber nicht dessen<br />
Taten wählen darf.<br />
Das 20. Jahrhundert hat auf die Frage, wie denn Freiheit und Gleichheit<br />
ins Verhältnis zu setzen sind, zwei Antworten hervorgebracht. Die<br />
östliche, aus extremer, partiell noch feudaler Ungleichheit, Krieg und<br />
Faschismus hervorgegangene lautete: Im Interesse sozialer Gleichheit<br />
ist die politische Freiheit zunächst sekundär und sogar zu beseitigen –<br />
sie wird später neu entstehen.<br />
Diese Erwartung stützte sich auf zwei Prognosen: Die Befreiung von<br />
Ausbeutung werde die individuellen Produktivkräfte freisetzen, und die<br />
Eigentumsform Staat werde dafür sorgen, dass Krisen, Arbeitslosigkeit<br />
und sonstige Gebrechen kapitalistischer Reproduktion überwunden<br />
werden. Die erste Erwartung hat sich sehr schnell als Illusion erwiesen<br />
und wurde durch Zwang, später durch Planvorgaben, ersetzt. Die zweite<br />
war immerhin einige Jahrzehnte lebendig und hat auch im Westen bis<br />
in die 1970er Jahre hinein ein breites Echo gefunden.<br />
Der Westen hat nach dem Zweiten Weltkrieg dem traditionellen bürgerlichen<br />
Verständnis vom Primat der wirtschaftlichen Freiheit und der