Digitale Edition, hg. von THOMAS MARSCHLER, Augsburg ... - OPUS
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22 Diese psychologischen Reflexionen Augustins sind aber nur die Widerspiegelung seines eigenen inneren Zustandes, und wenn irgendwo, dann gilt hier bei ihnen das auf Augustin geprägte Wort: „Er hatte immer gelebt, was er gedacht hatte.“ 1 Denn mit ungewöhnlicher Wucht wirkte in seiner Seele jener Trieb nach Lust und „Ruhe“, jenes Naturgesetz, dem er in dem Leitmotiv seiner Confessiones den berühmten erhabenen Ausdruck gab: Tu (domine) excitas, ut laudare te delectet, quia fecisti nos ad te, et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te! 2 Seine ganze Persönlichkeit in allen ihren Fähigkeiten und Wirkungen ist von diesem außerordentlichen Drange nach Glückseligkeit und Frieden beherrscht. Deshalb ist auch der Grundstrom des augustinischen Denkens wesentlich subjektiv ethisch gerichtet, d. h. es findet seine Aufgabe nicht in der möglichst interesselosen, rein theoretischen Erforschung objektiver Wahrheiten, sondern die Wahrheitserkenntnis ist für Augustin vor allem anderen Bereicherung und Beseligung des erkennenden Subjekts. Er nennt es darum absurd, wenn die Akademiker behaupten, das Ziel und Glück des Weisen liege allein in dem Forschen nach Wahrheit (in sola ipsa inquisitione veritatis), ohne zu hoffen, sie jemals zu erreichen; 3 und es sind törichte und unglückliche Menschen, welche die Gier nach neuen Erkenntnissen nicht zur Ruhe und zu dem Genüsse der erkannten sicheren Wahrheit kommen läßt. 4 Denn nur der Besitz der Wahrheit macht glücklich, und der Mensch verlangt nach ihr wie nach Brot: Die Wahrheit ist die 1 W i l h . D i l t h e y , Einleitung in die Geisteswissenschaften, Berlin 1883, Bd. 1, S. 335. 2 conf. l. 1, c. 1, n. 1. 3 contra Acad. l. 1, c. 3, n. 9; ib. l. 2, c. 7, n. 16; de beata vita c. 2, n. 14. 4 de vera rel. c. 53, n. 102 – n. 103.
23 Nahrung der hungernden Seele. 1 Und wenn wir einmal die ganze, volle Wahrheit besitzen werden, was aber nur der ewige Lohn der Seligen ist, dann ist die Wahrheit das Leben 2 , dann wird sie ganz verkostet; 3 denn die ewige Glückseligkeit ist nichts anderes als die Freude (gaudium), die Lust (delectatio) an dem Lichte der Wahrheit. 4 Darin, daß die Wahrheit beseligt, liegt die Erklärung dafür, daß die Menschheit so gewaltig um ihren Besitz ringt; denn: Omnium certa sententia est, qui ratione quoquo modo uti possunt, b e at os e s se omnes h omines velle 5 . Wie sehr auch die einzelnen Philosophenschulen sich in ihren Lehrmeinungen widerstreiten, in dem einen Punkte stimmen sie alle, ob Epikureer oder Stoiker, völlig überein: sie streben in ihrem Forschen, Sinnen und Leben dem gemeinsamen Ziele zu, das glückselige Leben zu ergreifen; haec una fuit causa philosophandi. 6 Dieses glückselige Leben finden aber die Menschen, da es, um ein glückseliges zu sein, ein ewiges sein muß 7 , nicht in dem Genüsse der vergänglichen und nie ganz befriedigenden irdischen Güter; es kann vielmehr nur bestehen in der fruitio boni incommutabilis 8 , d. i. in der fruitio Dei. 9 Gott ist die höchste, wahre Lust und Seligkeit; und alles Ergötzen, was die Menschen in den irdischen Gütern 1 epist. 1, n. 3; vgl. in Joh. evg. tr. 41, n. 1. 2 enchir. c. 1 7 ; conf. l. 9, c. 10, n. 24. 3 de beata vita c. 4, n. 35; vgl. conf. l. 4, c. 12, n. 18. 4 conf. l. 10, c. 23, n 33; sermo 179, c. 6. 5 de civ. Dei l. 10, c. 1, n. 1; vgl. de beata vita c. 2, n. 1 0 ; – de moribus eccl. cath. l. 1, c. 3, n. 4; – en. in ps. 32, sermo 2, n . 1 5 ; – en. in ps. 118, sermo 1, n. 1; – sermo 150, c. 3, n. 4; – sermo 306, c. 3; – conf. l. 10, c. 20, n. 29; – de trin. l. 13, c. 4, n. 7; – ib. c. 20, n. 25. 6 sermo 150, c. 3, n. 4; vgl. de civ. Dei l. 19, c. 1, n. 3. 7 vgl. z. B. sermo 150, c. 8, n. 10. 8 de civ. Dei l. 11, c. 13. 9 de beata vita c. 4, n. 34; – de ordine l. 2, c. 7, n. 20; – de doctr. Christ. l. 1, c. 33, n. 37; – retract. l. 1, c. 1, n. 4.
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Nahrung der hungernden Seele. 1 Und wenn wir einmal die ganze, volle Wahrheit<br />
besitzen werden, was aber nur der ewige Lohn der Seligen ist, dann ist die Wahrheit<br />
das Leben 2 , dann wird sie ganz verkostet; 3 denn die ewige Glückseligkeit ist nichts<br />
anderes als die Freude (gaudium), die Lust (delectatio) an dem Lichte der Wahrheit. 4<br />
Darin, daß die Wahrheit beseligt, liegt die Erklärung dafür, daß die Menschheit so<br />
gewaltig um ihren Besitz ringt; denn: Omnium certa sententia est, qui ratione<br />
quoquo modo uti possunt, b e at os e s se omnes h omines velle 5 . Wie sehr auch<br />
die einzelnen Philosophenschulen sich in ihren Lehrmeinungen widerstreiten, in<br />
dem einen Punkte stimmen sie alle, ob Epikureer oder Stoiker, völlig überein: sie<br />
streben in ihrem Forschen, Sinnen und Leben dem gemeinsamen Ziele zu, das<br />
glückselige Leben zu ergreifen; haec una fuit causa philosophandi. 6 Dieses<br />
glückselige Leben finden aber die Menschen, da es, um ein glückseliges zu sein, ein<br />
ewiges sein muß 7 , nicht in dem Genüsse der vergänglichen und nie ganz<br />
befriedigenden irdischen Güter; es kann vielmehr nur bestehen in der fruitio boni<br />
incommutabilis 8 , d. i. in der fruitio Dei. 9 Gott ist die höchste, wahre Lust und<br />
Seligkeit; und alles Ergötzen, was die Menschen in den irdischen Gütern<br />
1<br />
epist. 1, n. 3; vgl. in Joh. evg. tr. 41, n. 1.<br />
2<br />
enchir. c. 1 7 ; conf. l. 9, c. 10, n. 24.<br />
3<br />
de beata vita c. 4, n. 35; vgl. conf. l. 4, c. 12, n. 18.<br />
4<br />
conf. l. 10, c. 23, n 33; sermo 179, c. 6.<br />
5<br />
de civ. Dei l. 10, c. 1, n. 1; vgl. de beata vita c. 2, n. 1 0 ; – de moribus eccl. cath. l. 1, c. 3, n. 4; –<br />
en. in ps. 32, sermo 2, n . 1 5 ; – en. in ps. 118, sermo 1, n. 1; – sermo 150, c. 3, n. 4; – sermo<br />
306, c. 3; – conf. l. 10, c. 20, n. 29; – de trin. l. 13, c. 4, n. 7; – ib. c. 20, n. 25.<br />
6<br />
sermo 150, c. 3, n. 4; vgl. de civ. Dei l. 19, c. 1, n. 3.<br />
7<br />
vgl. z. B. sermo 150, c. 8, n. 10.<br />
8<br />
de civ. Dei l. 11, c. 13.<br />
9<br />
de beata vita c. 4, n. 34; – de ordine l. 2, c. 7, n. 20; – de doctr. Christ. l. 1, c. 33, n. 37; – retract. l. 1,<br />
c. 1, n. 4.