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Karl Odenbach Über kindliche Phantasielandkarten ∗ „Ewig jung ist nur die Phantasie.“ Schiller, An die Freunde Es wird immer Menschen mit Phantasie geben, die sich in guten Stunden ein Reich erbauen, das unsichtbar bleibt, weil die Bausteine Gedanken und Einfälle sind. Sei es, daß es die Sehnsucht nach einer Flucht aus dem enttäuschenden Alltag ist, die das Traumland entstehen läßt, sei es, daß es bestimmte Ideen, Reformpläne, kritische Gedankengänge sind, die auf dem Grunde der Phantasie ein Gebäude von kühler Nüchternheit errichten – ob mehr Gefühl, ob mehr Verstand: die Vorstellung von einem Lande, das nach seinem Willen belebt, regiert und eingerichtet ist, hat für den Menschen etwas Verlockendes. Wir wissen aus der Lebensgeschichte Mörikes, wie er mit seinem Herzensfreunde Ludwig Amandus Bauer das ferne Eiland Orplid erdachte, dem sie Einrichtungen und Gesetze, eine Mythologie und Geschichte gaben. Der ,,Maler Nolten“ mit dem ,,phantasmagorischen Zwischenspiel“, dem ,,Letzten König von Orplid“, ist ein unvergängliches Zeugnis für diese Einfälle einer romantischen Phantasie geblieben. Auf der andern Seite spielen ähnliche Neigungen mit, wenn Thomas Morus die ,,nova insula Utopia“ mit kommunistischer Staatsverfassung erfand, wenn Campanella sich den ,,Sonnen- ∗ Erstmals erschienen in: »Westermanns Pädagogische Beiträge«, 9. Jg. 1957, S. 217–226; erneut abgedruckt in: Wolfgang Hinrichs (Hrsg.): Karl Odenbach, Die Übung im Unterricht, Braunschweig, 7. Aufl. 1981, S. 119–137. Die Herausgeber danken dem Westermann Verlag sowie Herrn Prof. Dr. Wolfgang Hinrichs (Universität Siegen), der den wissenschaftlichen Nachlass von Karl Odenbach verwaltet, für die Zustimmung zum erneuten Nachdruck des Textes. 43

staat“ ausdachte und schließlich eine ganze Literatur utopischer Idealstaaten geschrieben wurde. Es ist nicht überraschend, wenn ähnliche Phantasien schon bei Kindern zu umfangreichen Vorstellungs- und Gedankenkomplexen führen; denn die kindliche Phantasie ist noch kühn und unerschrocken und findet zudem im Märchen vom Schlaraffenland willkommene Anregung. So hat Hans Zulliger in seinem Buche „Heilende Kräfte im kindlichen Spiel“ (Stuttgart 1952) von dem „Sangoi-Land“ berichtet, einem Land, das in einer Kinder-Kollektiv- Phantasie ausgedacht und durch lange Zeit hindurch belebt und erfüllt wurde. Von dem Ausdenken von Phantasieländern bis zu ihrer kartenmäßigen Darstellung dürfte kein großer Schritt sein, sofern nur diese Art der Darstellung überhaupt bekannt ist. So finden wir in den utopischen Romanen bildähnliche Landkarten; doch wollen wir uns hier allein kindlichen Leistungen zuwenden und zunächst einige Jugenderinnerungen mitteilen. Friedrich Georg Jünger schreibt in seinem Buche „Grüne Zweige“ (München 1951, S. 30): „… auch war es ein Vergnügen für mich, mit Hilfe von Bleistift und Papier Inseln zu entwerfen, auf denen ich Gebirge, Wälder, Flüsse, Höhlen und alte Bäume eintrug.“ Erich Pfeiffer-Belli erzählt in einer Plauderei, nachdem er über Kleckse im Löschblatt gesprochen hat: „Obendrein fühlten wir uns zu Klecksographien … angeregt, indem wir die großen und kleinen Tintenflecken mit Strichen verbanden und so die phantastischsten Land- und Seekarten entstehen ließen...“ (Tagespresse 8. 10. 53). C. K. Chesterton berichtet in seiner Selbstbiographie („Der Mann mit dem goldnen Schlüssel“, Freiburg 1952: 43): „Vielleicht zum Glück für den Zustand des Hausgartens übertrug ich schon früh meine Träume … hauptsächlich in der Form, daß ich wildausschweifende Karten von fabelhaften Ländern zeichnete, die mit Menschen von unglaublicher Gestalt und Farbe bevölkert waren und die noch unglaublichere Namen trugen!“ Dieses reizvolle Spiel, für das wir hier nur drei Zeugen angeführt haben, ist verbreiteter, als man glaubt. Kinder, die mit der kartenmäßigen Darstellung von Landschaften vertraut sind und schon Landkarten gezeichnet haben, werden durch zufällige Konturen auf einem Blatt Papier, die entfernt an eine Küstenlinie, ein geographisches Symbol erinnern, durch Kleckse und Linien auf dem Löschblatt, durch eine beschlagene Fensterscheibe, auf der man so leicht mit dem Zeigefinger wischen kann, angeregt, Linien zu ziehen und weiterzuführen und Punkte und Striche zu einem sinnvollen Ganzen zu ver- 44

staat“ ausdachte und schließlich eine ganze Literatur utopischer Idealstaaten<br />

geschrieben wurde.<br />

Es ist nicht überraschend, wenn ähnliche Phantasien schon bei Kindern zu<br />

umfangreichen Vorstellungs- und Gedankenkomplexen führen; denn die<br />

kindliche Phantasie ist noch kühn und unerschrocken und findet zudem im<br />

Märchen vom Schlaraffenland willkommene Anregung. So hat Hans Zulliger<br />

in seinem Buche „Heilende Kräfte im kindlichen Spiel“ (Stuttgart 1952) von<br />

dem „Sangoi-Land“ berichtet, einem Land, das in einer Kinder-Kollektiv-<br />

Phantasie ausgedacht und durch lange Zeit hindurch belebt und erfüllt wurde.<br />

Von dem Ausdenken von Phantasieländern bis zu ihrer kartenmäßigen Darstellung<br />

dürfte kein großer Schritt sein, sofern nur diese Art der Darstellung<br />

überhaupt bekannt ist. So finden wir in den utopischen Romanen bildähnliche<br />

Landkarten; doch wollen wir uns hier allein kindlichen Leistungen zuwenden<br />

und zunächst einige Jugenderinnerungen mitteilen.<br />

Friedrich Georg Jünger schreibt in seinem Buche „Grüne Zweige“ (München<br />

1951, S. 30): „… auch war es ein Vergnügen für mich, mit Hilfe von<br />

Bleistift und Papier Inseln zu entwerfen, auf denen ich Gebirge, Wälder,<br />

Flüsse, Höhlen und alte Bäume eintrug.“ Erich Pfeiffer-Belli erzählt in einer<br />

Plauderei, nachdem er über Kleckse im Löschblatt gesprochen hat: „Obendrein<br />

fühlten wir uns zu Klecksographien … angeregt, indem wir die großen<br />

und kleinen Tintenflecken mit Strichen verbanden und so die phantastischsten<br />

Land- und Seekarten entstehen ließen...“ (Tagespresse 8. 10. 53).<br />

C. K. Chesterton berichtet in seiner Selbstbiographie („Der Mann mit dem<br />

goldnen Schlüssel“, Freiburg 1952: 43): „Vielleicht zum Glück für den<br />

Zustand des Hausgartens übertrug ich schon früh meine Träume … hauptsächlich<br />

in der Form, daß ich wildausschweifende Karten von fabelhaften<br />

Ländern zeichnete, die mit Menschen von unglaublicher Gestalt und Farbe<br />

bevölkert waren und die noch unglaublichere Namen trugen!“<br />

Dieses reizvolle Spiel, für das wir hier nur drei Zeugen angeführt haben, ist<br />

verbreiteter, als man glaubt. Kinder, die mit der kartenmäßigen Darstellung<br />

von Landschaften vertraut sind und schon Landkarten gezeichnet haben,<br />

werden durch zufällige Konturen auf einem Blatt Papier, die entfernt an eine<br />

Küstenlinie, ein geographisches Symbol erinnern, durch Kleckse und Linien<br />

auf dem Löschblatt, durch eine beschlagene Fensterscheibe, auf der man so<br />

leicht mit dem Zeigefinger wischen kann, angeregt, Linien zu ziehen und<br />

weiterzuführen und Punkte und Striche zu einem sinnvollen Ganzen zu ver-<br />

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