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Rinschede (2007: 82) bringt es in seiner Geographiedidaktik kategorisch auf den Punkt: „Aufgabe des Geographieunterrichts“ im Zusammenhang mit „mental maps“ sei es, im Sinne einer „Versachlichung“ auf das Vorstellungsbild der Schüler „einzuwirken“: „Dabei sind verschiedene Maßnahmen möglich: Zunächst müssen lückenhafte Raumvorstellungen ergänzt und erweitert werden. Falsche Informationen müssen korrigiert werden. Die Schüler müssen sich bewusst werden [...] ihrer subjektiven, d.h. lückenhaften und unkorrekten Vorstellung ...“ Eine solche Sicht hat fatale, geradezu entmutigende Wirkungen auf die lernenden Subjekte, zumal wenn im Unterricht lediglich die Kartierbarkeit physisch-materieller, erdräumlich lokalisierbarer Dinge eine Rolle spielt und ständig die „objektive“ Karte als Ideal vor Augen schwebt. 7 Wozu subjektives Kartographieren? Subjektiv angefertigte Zeichnungen gewähren tiefe Einblicke in Denk- und Verhaltensgewohnheiten des Subjekts, und zwar auf eine mitunter intensivere Weise als dies andere Medien vermögen. Die Karte ist wie die Sprache ein originäres, genuines Medium der Weltaneignung; durch Sprache kann die Karte allenfalls eine Ergänzung erfahren (vgl. Neuß 2001). Ein starker Rückhalt für die Auseinandersetzung mit subjektiver Kartographie findet sich in den Bildungsstandards der Deutschen Gesellschaft für Geographie. In erfreulicher Deutlichkeit treten sie für den „Umgang mit Karten aller Art“ ein und heben die generelle Konstruiertheit bzw. Subjektivität von Wahrnehmungen und Darstellungen der Welt hervor, setzen diese für geographisches Denken und Tun konstitutiv voraus (DGfG 2010: 6, 13, 15, 16, 18). Im Vordergrund steht die analytische Fähigkeit zum Dekodieren und kritischen Bewerten von Karten jedweder Art. Zur Kartenkompetenz gehört gleichermaßen die Fähigkeit, dass Schüler/innen konstruktiv tätig werden und Karten selbst anfertigen (vgl. DGfG 2010: 16f., Lenz 2009: 6). Die in diesem Bereich vorgesehenen topographischen Skizzen und einfachen thematischen Karten sind sicherlich dem besagten Kompetenzerwerb dienlich, sie bleiben jedoch hinter einer naheliegenden Erweiterung des Kompetenzspektrums zurück – nämlich die eigene Subjektivität ausdrücklich in eine Karte einzubringen und sich ihrer bewusst zu werden, wenigstens zeitweilig. 29

Subjektives Kartographieren nimmt die Eigenwilligkeit, Selbstverständlichkeit und Dignität der Sichtweisen von Kindern und Jugendlichen ernst und unterstützt sie in ihren geographischen Bezügen und Bindungen zur Welt. Die subjektive, selbst hergestellte Karte wird durch die Alltagsorientierung zu einem Medium der Selbstvergewisserung des Ichs und seines Standorts in der Welt. Das Unerwartete, Individuelle, Mutative und Performative spielt eine große Rolle in solchen Weltaufzeichnungen. Kinder und Jugendliche stellen ihren Lebensbereich so dar, wie er ihnen erscheint. Individuell wichtige Topoi wie z. B. ein Kiosk, ein Spielzeugwarenladen oder eine Ampel treten deutlicher und relativ größer gegenüber anderen, weniger bedeutsamen Details hervor. Charakteristisch sind wahrnehmungsbedingte Verzerrungen der Maßstäblichkeit, ebenso Vermischungen von Grund- und Aufriss, die an die Ungenauigkeiten historischer Karten erinnern. Wer darin etwa ein Manko sieht, das es rasch auszumerzen gilt, verkennt das persönlich bildende Potenzial dieser Karten einer subjektiven Vermessung der Welt. Nach „lebensbedeutsamen Kontexten“ (DGfG 2010: 30) muss nicht mühsam gesucht werde, sie tun sich wie von selbst auf. Jeder Mensch ist sein eigener Kartograph, der die Welt und seine Positionen in der Welt in einer fortwährenden Kartographie des eigenen Lebens erfasst und für sein Denken und Tun verinnerlicht (vgl. Daum/Werlen 2002). Freilich bedarf die Frage nach dem eigenen Selbst, z. B. nach den „Technologien des Selbst“ und seiner emanzipierten bzw. aufgeklärten Selbstbildung auf dem Hintergrund persönlicher „Situationen“ noch genauerer Klärung (vgl. hierzu ausführlicher Hasse 2007). Als sozialräumliche Praxis – innerhalb von Regionalisierungen, im Geographiemachen, in Verbindung mit einem relationalen Raumverständnis – erfährt der Umgang sowohl mit fremdem wie mit eigenen Karten eine neue Qualität. Karten sind nicht länger Spiegel „objektiver“ Gegebenheiten, sondern vielmehr Medium und Ziel praktischer Auseinandersetzung. Ein subjektbzw. sozialorientiertes Kartographieren hat den Vorzug, die Statik und die oft persönliche Belanglosigkeit konventioneller Raumdarstellungen zu überwinden und durch dynamischere, das Individuum herausfordernde Praxen des Kommunizierens und Handelns zu ersetzen. Subjektives Kartographieren als sozialräumliche Praxis stützt sich auf Institutionen sozialräumlicher Orientierung und praktizierter Welt-Bindung. Welt-Bindung wird hier verstanden als „die soziale Beherrschung räumlicher und zeitlicher Bezüge zur Steuerung des eigenen Tuns und der Praxis anderer“ (Daum/Werlen 2002). 30

Rinschede (2007: 82) bringt es in seiner Geographiedidaktik kategorisch auf<br />

den Punkt: „Aufgabe des Geographieunterrichts“ im Zusammenhang mit<br />

„mental maps“ sei es, im Sinne einer „Versachlichung“ auf das Vorstellungsbild<br />

der Schüler „einzuwirken“: „Dabei sind verschiedene Maßnahmen möglich:<br />

Zunächst müssen lückenhafte Raumvorstellungen ergänzt und erweitert<br />

werden. Falsche Informationen müssen korrigiert werden. Die Schüler müssen<br />

sich bewusst werden [...] ihrer subjektiven, d.h. lückenhaften und unkorrekten<br />

Vorstellung ...“<br />

Eine solche Sicht hat fatale, geradezu entmutigende Wirkungen auf die lernenden<br />

Subjekte, zumal wenn im Unterricht lediglich die Kartierbarkeit physisch-materieller,<br />

erdräumlich lokalisierbarer Dinge eine Rolle spielt und<br />

ständig die „objektive“ Karte als Ideal vor Augen schwebt.<br />

7 Wozu subjektives Kartographieren?<br />

Subjektiv angefertigte Zeichnungen gewähren tiefe Einblicke in Denk- und<br />

Verhaltensgewohnheiten des Subjekts, und zwar auf eine mitunter intensivere<br />

Weise als dies andere Medien vermögen. Die Karte ist wie die Sprache ein<br />

originäres, genuines Medium der Weltaneignung; durch Sprache kann die<br />

Karte allenfalls eine Ergänzung erfahren (vgl. Neuß 2001). Ein starker Rückhalt<br />

für die Auseinandersetzung mit subjektiver Kartographie findet sich in<br />

den Bildungsstandards der Deutschen Gesellschaft für Geographie. In erfreulicher<br />

Deutlichkeit treten sie für den „Umgang mit Karten aller Art“ ein<br />

und heben die generelle Konstruiertheit bzw. Subjektivität von Wahrnehmungen<br />

und Darstellungen der Welt hervor, setzen diese für geographisches<br />

Denken und Tun konstitutiv voraus (DGfG 2010: 6, 13, 15, 16, 18). Im Vordergrund<br />

steht die analytische Fähigkeit zum Dekodieren und kritischen<br />

Bewerten von Karten jedweder Art.<br />

Zur Kartenkompetenz gehört gleichermaßen die Fähigkeit, dass Schüler/innen<br />

konstruktiv tätig werden und Karten selbst anfertigen (vgl. DGfG 2010:<br />

16f., Lenz 2009: 6). Die in diesem Bereich vorgesehenen topographischen<br />

Skizzen und einfachen thematischen Karten sind sicherlich dem besagten<br />

Kompetenzerwerb dienlich, sie bleiben jedoch hinter einer naheliegenden<br />

Erweiterung des Kompetenzspektrums zurück – nämlich die eigene Subjektivität<br />

ausdrücklich in eine Karte einzubringen und sich ihrer bewusst zu<br />

werden, wenigstens zeitweilig.<br />

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