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konkret<br />
Kurz befragt<br />
Christine<br />
Rutschmann<br />
Die Programmverantwortliche<br />
des SRK für Osteuropa ist<br />
ausgebildete Pflegefachfrau<br />
und hat einen Master in Public<br />
Health. Die 52-Jährige arbeitet<br />
seit 1990 fürs SRK und hat<br />
eine 15-jährige Tochter.<br />
Wie erleben Sie Weissrussland?<br />
Die Bevölkerung ist zurückhaltend,<br />
aber enorm gastfreundlich und stolz.<br />
Sogar die Ärmsten würden ihrem Gast<br />
eine Suppe kochen und niemals zugeben,<br />
dass sie zu wenig für sich haben.<br />
Nach der Wirtschaftskrise 2008 hat<br />
die Armut sehr stark zugenommen. Einige<br />
müssen sich im Winter sogar entscheiden<br />
zwischen Heizen oder Essen.<br />
Ihr Glaube, die Kolleginnen<br />
vom Roten Kreuz und<br />
Gutes tun für die Schwächsten<br />
– das alles gibt der<br />
Rotkreuz-Freiwilligen<br />
Nina Shumik Energie und<br />
Lebensfreude<br />
Jahre als Serviceangestellte im selben<br />
Restaurant, worauf sie besonders stolz<br />
ist. Als junge Frau verbrachte sie einige<br />
Jahre im benachbarten Polen, wo noch<br />
zwei ihrer Geschwister leben. Die Melodie<br />
in ihrer Stimme führt daher, dass<br />
ihre weissrussische Muttersprache noch<br />
«Wir verleihen unserem eigenen<br />
Leben einen tieferen Sinn.»<br />
heute mit polnischen Ausdrücken ausgeschmückt<br />
wird, wie uns die Übersetzerin<br />
verrät. Wie bei allen älteren Menschen<br />
hier ist der Zweite Weltkrieg, unter dem<br />
sowohl Weissrussland wie auch Polen<br />
besonders stark litten, in ihrer Erinnerung<br />
stark präsent.<br />
Letzter Sonnenstrahl<br />
Doch es ist nicht nur die Erinnerung an die<br />
schwere Kriegszeit, welche die beiden<br />
Frauen verbindet. Nina Shumik bringt<br />
auch die Welt und den Alltag von aussen<br />
in die Stube von Yva-Everina Yoch. Sie haben<br />
ein Vertrauensverhältnis aufgebaut.<br />
«Die langen Tage und schlaflosen Nächte<br />
sind einsam und der Besuch von Nina<br />
ist ein Lichtblick», sagt die hochbetagte<br />
Frau. Dazu gehören das Gespräch beim<br />
Tee ebenso wie die Handreichungen von<br />
Nina Shumik im Haushalt oder die Pflege<br />
des kleinen Blumengartens vor dem Fenster,<br />
an dessen Anblick sich Yva-Everina<br />
Yoch im Sommer täglich erfreut. Sie öffnet<br />
das Fenster ihrer Wohnung im ersten<br />
Stock und zeigt auf die blühenden Sonnenblumen.<br />
Schon bald werden sie verwelken<br />
und damit an die Vergänglichkeit<br />
des Lebens erinnern.<br />
Dank dem Einsatz von unermüdlichen<br />
Babuschkas wie Nina Shumik wird der<br />
letzte Lebensabschnitt von Yva-Everina<br />
Yoch und vielen anderen, die ein entbehrungsreiches<br />
Leben hinter sich haben,<br />
doch noch von einem Sonnenstrahl berührt.<br />
➥ redcross.ch/weissrussland<br />
Die politische Situation ist umstritten.<br />
Warum engagiert sich<br />
das SRK?<br />
Wir unterstützen das Weissrussische<br />
Rote Kreuz, das über zu wenig finanzielle<br />
Mittel verfügt und keine Spenden<br />
sammeln kann. Das SRK bringt sein<br />
Wissen ein. Nicht nur die Ausbildung<br />
von professionellen Pflegepersonen ist<br />
uns ein Anliegen, sondern auch die<br />
Freiwilligenschulung. Das ist dringend<br />
nötig. 20% der Bevölkerung wären auf<br />
Sozialhilfe angewiesen. Es gibt über<br />
eine halbe Million Behinderte und genau<br />
so viele alte Alleinstehende. Sie<br />
sind sich oft selbst überlassen.<br />
Erreichen Sie genug?<br />
Es ist kein Tropfen auf den heissen<br />
Stein, eher eine Lawine, die wir auslösen.<br />
Es geht darum, dem Staat zu<br />
beweisen, wie er mit einfachen Mitteln<br />
die Situation verbessern kann. Es gibt<br />
Dörfer, wo nur noch alte Menschen<br />
zurückgeblieben sind. Sie sind es sich<br />
nicht gewohnt, Unterstützung anzunehmen.<br />
Wir wollen zeigen, was Hilfe zur<br />
Selbsthilfe bewirkt. Vereinsamte Menschen<br />
werden häufiger krank, aber<br />
gegenseitige Unterstützung wirkt sich<br />
positiv auf die Gesundheit aus. Unser<br />
Ziel ist es, ein Netzwerk aufzubauen.<br />
<strong>Humanité</strong> 4/<strong>2012</strong> 27