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Lyrik<br />
von Jetztzwei<br />
50 Stimmen herausgegeben von<br />
Björn Kuhligk und Jan Wagner<br />
Björn Kuhligk wurde 1975 in Berlin geboren. Seit 2006 leitet<br />
er die Lyrikwerkstatt open poems der literaturWERKstatt<br />
Berlin. Nach Es gibt hier keine Küstenstraßen (2001) und seinem<br />
Gedichtband Am Ende kommen Touristen (Berlin Verlag<br />
2002) erschien zuletzt Großes Kino (Berlin Verlag 2005).<br />
Jan Wagner, geboren 1971 in Hamburg, lebt in Berlin. Bis<br />
2003 Mitherausgeber der internationalen Literaturschachtel<br />
Die Außenseite des Elementes. Im Berlin Verlag erschienen<br />
die Gedichtbände Probebohrung im Himmel (2001) und<br />
Guerickes Sperling (2004), zusammen mit Björn Kuhligk<br />
publizierte er die Anthologie Lyrik von Jetzt. 74 Stimmen<br />
(2003) sowie das Buch Der Wald im Zimmer (BvT 2007). Er<br />
erhielt u.a. den Mondseer Lyrikpreis (2004), den Anna-Seghers-<br />
Preis (2004) und den Ernst-Meister-Preis (2005).<br />
© 2008 BV Berlin Verlag GmbH, Berlin Verlag<br />
Alle Rechte vorbehalten
NORA BOSSONG<br />
Rattenfänger<br />
Zwei Jungen traf ich<br />
unterm Brückenbogen nachts,<br />
die pinkelten den Pfosten an und<br />
sagten, dass sie sieben seien,<br />
sagten, dass sie Läuse hätten.<br />
Sie lachten über mich, als ich<br />
es glauben wollte. Nichts zu holen<br />
außer Läuse, verriet der Kleinere.<br />
Er zeigte aufs Gebüsch und trat<br />
mir auf den Spann. Ich hätt mich gern<br />
in ihn verliebt, so billig war<br />
in jener Nacht sonst nichts mehr<br />
zu erleben. Der Große fragte, ob es stimmt,<br />
dass auch das Tier allein<br />
nicht sterben kann. Es war<br />
zu spät für Jungen unter dieser Brücke.<br />
CHRISTIAN SCHLOYER<br />
an den angler in monets bildern<br />
merk dir nie an den wolken (wenn<br />
da ein meer ist – & da<br />
ist ein meer) wo du die fisch<br />
falle versenkst, merk dir immer das über<br />
fließende blau (merks dir am<br />
über) am fluss vom himmel<br />
ins meer, merk dir genau wann<br />
du das meer in den himmel<br />
versenkst, merk dir kein meer<br />
an den wolken (& es gibt diese<br />
wolken – nicht alle sind blau) merk dir am besten<br />
den fisch<br />
HERBERT HINDRINGER<br />
landschaft<br />
als ich das dritte mal hinfiel, blieb ich liegen<br />
es war ein so schöner tag<br />
für die, die mich betraten<br />
manche stellten ihre uhr auf mir eine stunde zurück<br />
hinter den hügelketten, die uns die hälse zuschnüren<br />
gibt es kein vorwort für frühling<br />
da hält kein aufkleber<br />
wir kamen mit einer reise hierher<br />
die ferne kommt von dort und weiter weiß man nicht
MARCUS ROLOFF<br />
Sète<br />
die toten sind immer die andern<br />
auch am meer, vor dem sich der<br />
friedhof aufstellt: zersiedelte<br />
hügelgebrüder mit dem abgebrochenen<br />
lebensfaden, kreuze wie notlicht.<br />
totenlampe, totale sonne, seeblick, tief<br />
ist die ruhe über den christussymbolen<br />
vom schreibtisch aus der charakter der<br />
schatten mediterran, wie man sagt<br />
beträufelt vom lichtschwenker.<br />
SANDRA TROJAN<br />
ICH HAB DICH mit den anderen<br />
Psychiatern draußen tanzen sehen<br />
beim Sackhüpfen am Samstag<br />
Dir war keiner der neuen Schritte fremd<br />
Piagets Jeté und Freuds berühmter Dreifach-Lutz<br />
(dessen Einschlag dem einer Bombe glich)<br />
Du bist über den Dielenboden geschlittert<br />
drehtest dich um die blanken Knöchel<br />
so schutzlos ich konnte nicht mehr<br />
KARIN FELLNER<br />
betrittst du den tag eine bluebox<br />
mit federfüßen und nur<br />
ein kleines halskratzen sagt<br />
du bist sterblich doch sonst<br />
jubiliert das blau<br />
dass du kein ende siehst<br />
in belichteten wänden<br />
aquarien der ferne<br />
mögliche aufwinde oder<br />
liebhaber die in deine<br />
augen springen und dich<br />
sattsam füllen mit schaum<br />
hinter der rundung schnurren<br />
leise die projektoren
CHRISTIAN RÖSE<br />
Am Abend<br />
so wie wir uns am Fenster stehen sehn<br />
so stehn wir dort beinah<br />
der Rauch zieht rechts vorüber und dein Kleid<br />
ein Faden reißt sich los der lose war<br />
sowie ich dich im Zimmer halten will<br />
halte ich nur dein Haar<br />
weit schlägt das Fenster eine Landschaft auf<br />
dein Haar ist was am Morgen übrig bleibt<br />
weil es bereits am Abend übrig war<br />
MARCUS POETTLER<br />
savanne (mit weitwinkel)<br />
der langstelzige vogel<br />
(einem kaiser gleich)<br />
schreitet die reihen ab<br />
(die aufgeworfenen erdschollen)<br />
im trockenen flussbett<br />
ein abwesender stein<br />
(blass und schweigsam)<br />
der den dammbruch ersehnt<br />
(den regenguss und den tau)<br />
wie der amphibienkörper<br />
(in abwehr<br />
zusammengekrümmt)<br />
ein versatzstück<br />
(ein gesprenkeltes mal)<br />
weiter
CHRISTOPHE FRICKER<br />
für Gisèle<br />
Sieh in den beinernen Himmel<br />
am höchsten Mittag,<br />
er hat den Morgen und den Abend<br />
an die Seiten verwiesen,<br />
und sag mir, ob der schlanke Vogel<br />
ohne Federn, ohne Augen<br />
nicht ein Stein ist,<br />
der seit Tagen fliegt.<br />
SWANTJE LICHTENSTEIN<br />
dran glauben<br />
gewichtloses meinen einer trauer<br />
grachtenlang rettet die verdünnung<br />
deine hüfte, die leugnung eines<br />
gedanken, der aus dem bau kommt.<br />
im rothaus am see vom wohnwagen aus<br />
guckst du kühe, die salz leckend grasend<br />
den wald stärken.<br />
NORBERT LANGE<br />
Military Shot. Antike<br />
So ’ne Flaschenchose, Holzzeug, ähnlich Fass.<br />
Wie Zeit umgeht Schwachsinn. Sie hieven das<br />
Ins Wasser für unseren Macher, mehr Tonne<br />
Als Boot. Weil der die Stadt nicht kriegen darf.<br />
So heißt es drüben, ziehen wir das Ding hier<br />
An Stricken von Bord, die Venen, Archimedes<br />
Stricke. Brot-Mensch genannt wird das. Aus Bronze,<br />
Taucherglocke, umgestülptes Glas. Fotoshooting.<br />
Seifenblase. Säuft einfach ab. Wasser. Schwach.<br />
– Damit sollen wir Tyrus erobern? – Wohl kaum.
DANIELA DANZ<br />
Gabriel zu Maria<br />
eine träge Aufmerksamkeit heftet meinen Blick<br />
auf das Buch<br />
ein Ziehen im Unterleib<br />
als käme einer den ich erwarte<br />
ich öffne das Fenster<br />
und sehe dem Bogen eines Vogels nach<br />
über dem nebligen Feld<br />
bis er abbricht und steil nach unten stürzt<br />
auf einen Punkt zu<br />
an dem der Nebel aufreißt<br />
und ein panischer Hase<br />
den nächsten Haken nicht mehr ausführt<br />
das Frühlicht blendet<br />
daß ich die Hand<br />
vor die Augen halten muß<br />
ein Geruch von Maiglöckchen kommt herein<br />
bevor ich die Läden zuschlage<br />
es ist jemand im Zimmer<br />
CARL-CHRISTIAN ELZE<br />
anatolische stunde<br />
er hatte die hellblauen augen auf mir<br />
ich vergaß, wer ich war & aß wie sein hund<br />
versunken in brot, trunken vor butter.<br />
wir sprachen ein deutsch hinterm haus<br />
an den hängen, gebrochene sätze von städten<br />
da wo man federn lässt & kinder.<br />
wir gingen rauchend, die jacken voll nüsse<br />
zwischen den bäumen die blicke der kühe sanft<br />
sämig ihren geschmack noch am gaumen.<br />
wir kamen auf feinde zu sprechen, verwundete<br />
stellen im feld, sein gesicht wie ein stein, denn nachts<br />
steigt das wild aus den zedern & scharrt.<br />
wir tranken den çaj in die körper wie schlaf<br />
wir schliefen am tisch langsam ein, nur der hund<br />
blieb breitköpfig schwer auf den beinen.