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Stefan Sudmann - Dülmener Heimatblätter

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Clemens Brentano in Dülmen 7<br />

Abends vor jeder Türe die Kuh gemelkt wird, alles schier Holzschuhe trägt, ja<br />

leider selbst die Messdiener. Die Kinder auf den Straßen kommen dir entgegen<br />

und reichen dir Kusshändchen. Von weiblichen Arbeiten weiß man hier nichts,<br />

als Flachsbrechen, Hecheln, Spinnen und dgl. Selbst reichere Bürgerstöchter sind<br />

gekleidet wie Mägde. In ganz Dülmen ist wohl kein Roman und gewissermaßen<br />

keine Mode. Ein jeder trägt, was er hat, bis es zerreißt und doch ist hier eine<br />

Hauptpoststraße und ein Posthaus, und der Aufenthalt des Herzogs von Croÿ mit<br />

seinem Personal von dreißig Personen ein halbes Jahr hindurch. Bei allen dem<br />

spricht jedermann von unerhörtem Luxus und Sittenverderb seit etwa 10 Jahren.<br />

Die Kirche ist groß und schön und es sind viele Priester hier, meist gute einfache<br />

Menschen. Teils aufgehobene Mönche aus benachbarten Klöstern, die mit einzelnen<br />

aufgehobenen Klosterfrauen von ihrer kleinen Pension miteinander spärlich und<br />

auferbaulich leben. Vom König und der Regierung weiß man schier gar nichts,<br />

als dass man die Preußen nicht liebt. Und es ist schier kein Bürger, der nicht<br />

eine bittere Grausamkeit von den Berliner Jägern, oder eine Gotteslästerung und<br />

Heiligenschändung zu erzählen wüsste. Ohne einen Grimm gegen die Protestanten<br />

zu haben, sind sie den Leuten ganz fremd und selbst die Unterrichteten wissen<br />

schier nichts von der Geschichte der Reformation. Selbst die Jungfer Emmerick<br />

wusste vor dem Kriege nicht, dass es andere Religionen gebe als Katholiken, Juden<br />

und Türken. . . . Alle diese Leute und vor allem sie trauern heftig über den Verfall<br />

der Kirche in allen ihren Teilen und besonders der Priester.“ 2<br />

Kommentar: Die Stadt Dülmen hatte zu dieser Zeit ca. 1900 Einwohner, war auch<br />

innerhalb des Stadtgebietes noch stark von der Landwirtschaft bestimmt. Deutlich wird in<br />

der Darstellung auch, dass Stoff für Wäsche und Kleidung für die normale Bevölkerung<br />

sehr teuer war. Es gab damals noch keine industrielle Verarbeitung von Garnen und<br />

Stoffen. Das normale Material für Kleidung und Wäsche war Leinen. Deshalb spielten<br />

der Anbau und die Verarbeitung von Flachs eine große Rolle. Der Flachs wurde bei<br />

der Ernte „gerauft“, d. h. die Stängel wurden nicht abgemäht, wie es bei der Ernte von<br />

Getreide üblich ist, sondern aus dem Boden gezogen, damit von den Fasern im Stängel<br />

nichts verlorengeht. Die Stängel wurden dann gewässert, damit das verholzte Material<br />

um die Fasern fault, dann wurden die Stängel getrocknet, danach gebrochen, indem sie<br />

mit einem Hebel zerquetscht wurden. Die nun sichtbar gewordenen Fasern wurden mit<br />

dem anhängenden gefaulten Material mehrfach über einen groben Metallkamm gezogen:<br />

„gehechelt“, und so das gefaulte Material ausgekämmt. Die übriggebliebenen Leinenfasern<br />

wurden gesponnen, das ergab ein relativ starkes Garn, das deshalb auch nur zu groben

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