26.10.2012 Aufrufe

Stefan Sudmann - Dülmener Heimatblätter

Stefan Sudmann - Dülmener Heimatblätter

Stefan Sudmann - Dülmener Heimatblätter

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

18 Günter Scholz<br />

Wie stark das Leben der Menschen in Dülmen von der Religion geprägt war, zeigt sich<br />

in Brentanos Lebensstil, mit dem er sich bewusst in das Leben der <strong>Dülmener</strong> einfügte:<br />

„Morgens stand er frühe auf und ging in die Kirche, wo er immer an derselben<br />

Stelle kniend die Heilige Messe mit tiefer Erbauung anhörte. Das mächtige Gebetbuch,<br />

welches er vor sich aufgeschlagen hielt, und die ernste Haltung des Mannes<br />

erregten, wie ein Augenzeuge berichtete, die Aufmerksamkeit aller, welche ihn zum<br />

ersten Male sahen.“<br />

„Große Achtung erwarb er sich bei den Bewohnern des Städtchens durch die<br />

Demut und Treue, mit denen er sich bei allen hergebrachten Andachtsübungen der<br />

Gemeinde beteiligte. Täglich betete er (abends) mit seinen Hausleuten gemeinsam<br />

den Rosenkranz. Und allwöchentlich sah man ihn, wie es in jener Gegend Sitte war,<br />

mit ausgespannten Armen die Stationen des Kreuzweges besuchen.“ 10<br />

In Brentanos „Lied vom Tod von Anna Katharina Emmerick“ weist der Vers: „Bezahle<br />

den Kreuzweg der Frau“, darauf hin, dass man den Kreuzweg auch von anderen gegen<br />

Bezahlung – wohl bei Krankheit – für sich beten ließ. Das Gedicht nimmt den Vorgang<br />

auf, dass Anna Katharina vor ihrem Sterben eine arme Frau hat den Kreuzweg für sich<br />

beten lassen. Im Sterbebett bittet sie Brentano, die Frau dafür zu bezahlen.<br />

Kommentar: In der Beurteilung der sittlichen Zustände zeigt sich Brentanos antiaufklärerische<br />

Position und seine romantische Weltsicht. Das einfache, ursprüngliche Leben<br />

war bei den Romantikern paradiesisch verklärt. Dabei nimmt man „bäurische Sitte der<br />

Priester“ und „Vernachlässigung der Ordnung, Zierde und Reinlichkeit“ in Kauf. „Einfalt“<br />

gegenüber der „Vielfalt“ der Lebensvorstellungen hatte einen hohen Wert, darauf gründet<br />

nach dieser Anschauung die Sittlichkeit und nicht auf Gelehrsamkeit und Wissen. Stets hat<br />

Brentano seinen einfältigen ältesten Bruder Anton wegen seiner hohen und eindeutigen<br />

Sittlichkeit bewundert.<br />

Die kleine Geschichte mit dem Gänse hütenden Mädchen zeigt, wie in dieser Gesellschaft<br />

schon kleine Kinder zur Arbeit herangezogen werden und bei dieser scheinbar so<br />

einfachen Arbeit doch unter enormen Druck stehen. Denn die Kleidung und die Angst des<br />

Mädchens entsprechen nicht im Geringsten unserem aus Märchen gewonnenen romantischen<br />

Bild der „Gänseliesel“.<br />

Da Brentano sich in Dülmen mit Anna Katharina Emmerick in den Dienst der armen<br />

Leute stellte, findet man in seinen Briefen immer wieder Hinweise auf die Situation der<br />

Armen in Dülmen. Das damit entstehende Bild von Dülmen wird dadurch sicher einseitig.<br />

Denn es gab auch besser situierte Bürger in Dülmen. Brentano hat auch mit ihnen Kontakt

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!