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Stefan Sudmann - Dülmener Heimatblätter

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Heimatverein Dülmen e. V. Heft 1, Jahrgang 59, 2012


Heft 1, Jahrgang 59, 2012<br />

Blick in die Königstraße (heute Viktorstraße), die um 1909<br />

noch am Westring endete.


Inhaltsverzeichnis<br />

Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />

Günter Scholz<br />

Clemens Brentano in Dülmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />

Antonius Bödiger<br />

Die Männer mit den geschulterten Spaten – das Lager des Reichsarbeitsdienstes<br />

auf der Karthaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />

Die Gliederungen des Reichsarbeitsdienstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />

Was war der Reichsarbeitsdienst? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />

Bauliche Anlagen und Struktur der RAD-Abteilung Carthaus . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />

Die Aufgaben der RAD-Abteilung Carthaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />

Beziehungen zum Umland und zur Stadtbevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />

Kriegsende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34<br />

Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35<br />

<strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />

Seide für den König – Seide für den Führer: Die erfolglosen Bestrebungen zur<br />

Anpflanzung von Maulbeerbäumen im <strong>Dülmener</strong> Raum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38<br />

Die ersten Versuche im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38<br />

Unterstützung durch den Magistrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39<br />

Ablehnung durch die Stadtverordnetenversammlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39<br />

Nationalsozialismus: Fallschirmseide im Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . 41<br />

Beteiligung der Schulen im Amt Dülmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41<br />

Zurückhaltung in Buldern, Hiddingsel und Rorup . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42<br />

Franz König<br />

Es lebe unser Waldfriedhof – und sein Haus der Toten. – Ihre Beziehung zueinander<br />

und zur Stadt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45<br />

<strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />

Müllabfuhr auf dem Lande: Die Anfänge der geregelten Müllentsorgung in den<br />

<strong>Dülmener</strong> Umlandgemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53<br />

Buldern und Hiddingsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53<br />

Rorup . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55<br />

Kirchspiel und Hausdülmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56<br />

Merfeld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58


Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58<br />

Erik Potthoff<br />

Der Schloss-/Burgplatz um 1920 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60<br />

<strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />

Neues aus dem Stadtarchiv: Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64<br />

Wolfgang Werp<br />

Neuerscheinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67<br />

Autoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73<br />

Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73<br />

Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75<br />

Zuschriften und Manuskripte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75<br />

Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75


Günter Scholz<br />

Clemens Brentano in Dülmen<br />

Nur gut fünf Jahre (von September 1818 –<br />

Februar 1824) hat Clemens Brentano in Dülmen<br />

gewohnt. Doch für diesen so unruhigen,<br />

„heimatlosen“ Mann war dies schon eine lange<br />

Zeit an einem Ort, vor allem war es eine<br />

für ihn bedeutsame Periode, war doch sein<br />

weiteres Leben ganz stark bestimmt von dem<br />

Aufenthalt in Dülmen. Einige Dinge, die mit<br />

seinem Leben hier eng verknüpft und bedeutsam<br />

für ihn waren, erinnern heute noch in<br />

Dülmen an seinen Aufenthalt:<br />

1. Das in der Gedenkstätte Anna Katharina<br />

Emmerick eingebaute originale<br />

Zimmer der Anna Katharina. Diesen<br />

Raum hat Brentano zu Beginn seines<br />

Aufenthaltes in Dülmen eigenmächtig<br />

für Anna Katharina eingerichtet. Anna<br />

Katharinas Bett und das Bett ihrer<br />

Schwester Gertrud waren bis dahin<br />

im Wohnraum der Wohnung des Abbé<br />

Lambert. Ohne den Inhaber der Unterkunft<br />

zu fragen, machte Brentano<br />

Clemens Brentano 1819 (gezeichnet von Wil-<br />

die Vorratskammer zu einem Wohnhelm<br />

Hensel)<br />

raum für Anna Katharina. Während<br />

seines Aufenthaltes in Dülmen hat er<br />

in diesem Zimmer täglich am Bett der<br />

Kranken gesessen und ihre „Visionen“ notiert.<br />

2. Der Grabstein in der Grabkapelle. Diese Grabplatte aus Sandstein hat Brentano<br />

1825, ein Jahr nach Anna Katharinas Tod auf ihr Grab legen lassen, die darauf<br />

eingemeißelte Schrift hat er entworfen. Die Grabplatte ist nur deshalb so gut erhalten,<br />

weil die Platte 1858 bei der Errichtung eines Kreuzes auf dem Grab direkt über dem<br />

Sarg unter dem Erdboden vergraben worden ist.


6 Günter Scholz<br />

3. „Reliquien“, die Brentano als Andenken an Anna Katharina aus Dülmen mitgenommen<br />

hat, in einem aus dem Nachlass Brentanos stammenden Reliquienkasten in<br />

einer Vitrine der Gedenkstätte (darin auch zwei Eicheln, die er in Flamschen von<br />

dem Geburtshaus der Emmerick mitgenommen hat).<br />

4. Ein Lammfellmantel, den sein Bruder Christian bei einem Aufenthalt in Dülmen<br />

der Anna Katharina geschenkt hat (ebenfalls in einer Vitrine in der Gedenkstätte).<br />

5. Die Kopie eines Auszugs aus seinem <strong>Dülmener</strong> Tagebuch mit der durch Skizzen<br />

illustrierten Beschreibung, wie Anna Katharina die Wundmale an der Stirn unter<br />

ihrer Haube verbirgt.<br />

6. Kopien einiger an Anna Katharina gerichteter „Gebetsbriefe“, in denen Menschen<br />

von weit her um ihr Gebet bitten. Brentano hat einige solcher Briefe bewusst als<br />

Andenken an Anna Katharina unter seinen Handschriften aufbewahrt.<br />

7. Jeweils ein Exemplar der Erstauflagen seiner Emmerickschriften, darin deutlich<br />

der Hinweis auf „Dülmen“ und sein Verzicht auf das Autorenhonorar „zu Gunsten<br />

milder Stiftungen“. Im Gegensatz zu Goethe und Schiller, deren Autorenhonorare<br />

für ihr großbürgerliches Leben nicht ausreichten, hat der Millionärssohn Brentano<br />

seit seiner Begegnung mit Emmerick so einfach wie ein Mönch gelebt und neben<br />

Teilen aus seinem Vermögen auch die Honorare seiner weit verbreiteten Bücher für<br />

arme Leute zur Verfügung gestellt.<br />

In seinen umfangreichen Notizen und in seinen zahlreichen Briefen aus der <strong>Dülmener</strong><br />

Zeit findet man auch einige Nachrichten aus Dülmen. Das ermöglicht uns heute, die wir<br />

gerade das 700-jährige Stadtjubiläum gefeiert haben, Einblicke in die Situation der Stadt<br />

vor 200 Jahren. An die Feier des 500-jährigen Jubiläums war damals nicht zu denken, denn<br />

Teile der napoleonischen Truppen zogen durch die Stadt, rekrutierten auch Bürger Dülmens<br />

zu dem Feldzug nach Russland, dem bis dahin in der Weltgeschichte verlustreichsten<br />

Krieg. Einiges aus den Beschreibungen des damaligen Dülmen gleichen heutigen Berichten<br />

von Entwicklungsländern. Am ausführlichsten beschreibt Brentano seine Eindrücke vom<br />

Münsterland und von Dülmen in seinen ersten Briefen an die Freundin Luise Hensel in<br />

Berlin:<br />

„Donnerstag, den 7. September (1818), kam ich in Dülmen, einem einfältigen<br />

Landstädtchen an voll guter Ackerbau treibender Leute. . . . Ich logierte mich auf<br />

der Post ein, wo Christian gewohnt, und wo es voll Liebe aber schier luxuriös<br />

zugeht. Auch hier empfing mich alles voll Freude.“ 1<br />

„Hier wäre wohl alles, was du bedürftest, um glücklich zu leben, ein Städtchen<br />

ohne alle Kunst und Wissenschaft, wo man von keinem Dichter ein Wort weiß, wo


Clemens Brentano in Dülmen 7<br />

Abends vor jeder Türe die Kuh gemelkt wird, alles schier Holzschuhe trägt, ja<br />

leider selbst die Messdiener. Die Kinder auf den Straßen kommen dir entgegen<br />

und reichen dir Kusshändchen. Von weiblichen Arbeiten weiß man hier nichts,<br />

als Flachsbrechen, Hecheln, Spinnen und dgl. Selbst reichere Bürgerstöchter sind<br />

gekleidet wie Mägde. In ganz Dülmen ist wohl kein Roman und gewissermaßen<br />

keine Mode. Ein jeder trägt, was er hat, bis es zerreißt und doch ist hier eine<br />

Hauptpoststraße und ein Posthaus, und der Aufenthalt des Herzogs von Croÿ mit<br />

seinem Personal von dreißig Personen ein halbes Jahr hindurch. Bei allen dem<br />

spricht jedermann von unerhörtem Luxus und Sittenverderb seit etwa 10 Jahren.<br />

Die Kirche ist groß und schön und es sind viele Priester hier, meist gute einfache<br />

Menschen. Teils aufgehobene Mönche aus benachbarten Klöstern, die mit einzelnen<br />

aufgehobenen Klosterfrauen von ihrer kleinen Pension miteinander spärlich und<br />

auferbaulich leben. Vom König und der Regierung weiß man schier gar nichts,<br />

als dass man die Preußen nicht liebt. Und es ist schier kein Bürger, der nicht<br />

eine bittere Grausamkeit von den Berliner Jägern, oder eine Gotteslästerung und<br />

Heiligenschändung zu erzählen wüsste. Ohne einen Grimm gegen die Protestanten<br />

zu haben, sind sie den Leuten ganz fremd und selbst die Unterrichteten wissen<br />

schier nichts von der Geschichte der Reformation. Selbst die Jungfer Emmerick<br />

wusste vor dem Kriege nicht, dass es andere Religionen gebe als Katholiken, Juden<br />

und Türken. . . . Alle diese Leute und vor allem sie trauern heftig über den Verfall<br />

der Kirche in allen ihren Teilen und besonders der Priester.“ 2<br />

Kommentar: Die Stadt Dülmen hatte zu dieser Zeit ca. 1900 Einwohner, war auch<br />

innerhalb des Stadtgebietes noch stark von der Landwirtschaft bestimmt. Deutlich wird in<br />

der Darstellung auch, dass Stoff für Wäsche und Kleidung für die normale Bevölkerung<br />

sehr teuer war. Es gab damals noch keine industrielle Verarbeitung von Garnen und<br />

Stoffen. Das normale Material für Kleidung und Wäsche war Leinen. Deshalb spielten<br />

der Anbau und die Verarbeitung von Flachs eine große Rolle. Der Flachs wurde bei<br />

der Ernte „gerauft“, d. h. die Stängel wurden nicht abgemäht, wie es bei der Ernte von<br />

Getreide üblich ist, sondern aus dem Boden gezogen, damit von den Fasern im Stängel<br />

nichts verlorengeht. Die Stängel wurden dann gewässert, damit das verholzte Material<br />

um die Fasern fault, dann wurden die Stängel getrocknet, danach gebrochen, indem sie<br />

mit einem Hebel zerquetscht wurden. Die nun sichtbar gewordenen Fasern wurden mit<br />

dem anhängenden gefaulten Material mehrfach über einen groben Metallkamm gezogen:<br />

„gehechelt“, und so das gefaulte Material ausgekämmt. Die übriggebliebenen Leinenfasern<br />

wurden gesponnen, das ergab ein relativ starkes Garn, das deshalb auch nur zu groben


8 Günter Scholz<br />

Stoffen verarbeitet werden konnte. In der Gedenkstätte Anna Katharina Emmerick ist noch<br />

ein Knäuel von solchem Garn ausgestellt und auch ein grober Leinenrock aus diesem<br />

Material, den Anna Katharina getragen hat.<br />

Die „Kostbarkeit“ von Stoffen zeigt<br />

sich darin, dass die Kleidung lange getragen<br />

wird, und auch darin, dass Brentano<br />

immer wieder Verwandte und Bekannte (alles<br />

wohlhabende Leute, die sich auch Wollund<br />

Seidenstoffe leisten konnten) immer<br />

wieder um Stoffreste bittet.<br />

Die Stadt ist also recht arm. Dennoch<br />

gibt es eine „Hauptpoststraße“ und ein<br />

„Posthaus“, d. h. durch die Stadt führte eine<br />

wichtige Verbindungsstraße und deshalb<br />

auch eine Postlinie, heute ähnlich einer<br />

Bahnlinie. Zu dieser Hauptpostlinie gehörte<br />

auch ein Posthaus als Übernachtungsmöglichkeit<br />

für die Reisenden, aber auch<br />

als Haltestation für die Kutschen und Pferde.<br />

Der Herzog von Croÿ, seit der Säkularisation<br />

1803 im Besitz des Stifts- und Klostervermögens<br />

hatte städtisches Flair in die<br />

Stadt gebracht, er hatte z. B. die Misthaufen<br />

vor den Häusern auf den Straßen beseitigen<br />

lassen, brachte mit seinem Personal<br />

auch Leben, vor allem auch Nachfrage in<br />

die Stadt, aber er verweilte nur halbjährlich<br />

in Dülmen.<br />

Die „aufgehobenen“ Mönche und Nonnen<br />

sind Mönche und Nonnen, die bei der<br />

Anna Katharina Emmerick (Handzeichnung von<br />

Julia Gräfin Schmiesing-Kerßenbrock, „Gloria<br />

Patri et Filio et Sp. Scto“ von Luise Hensel geschrieben)<br />

Säkularisation 1803 (dazu zählte auch die Aufhebung aller Klöster im Deutschen Reich)<br />

ihre Klöster verlassen mussten, weil diese in weltlichen Besitz übergingen. Die neuen<br />

Besitzer, Fürsten und Adlige, die den gesamten Landbesitz, die Immobilien, die Bibliotheken,<br />

die Kunstwerde, die aus Edelmetall gefertigten und z. T. sehr kostbaren Kelche<br />

und Monstranzen übernommen hatten, mussten den enteigneten Angehörigen der Klos-


Clemens Brentano in Dülmen 9<br />

tergemeinschaften eine Pension zahlen. Der Klosterpriester Abbé Lambert war ein solch<br />

„aufgehobener Geistlicher“ und Anna Katharina, die er als Haushälterin in seine Wohnung<br />

aufgenommen hatte, war eine solche „aufgehobene“ Nonne.<br />

In dem rein katholischen Gebiet war bis dahin der Bischof von Münster gleichzeitig<br />

der Landesherr, deshalb der Titel „Fürstbischof“. Nach mehrfachem Wechsel der Landesherrschaft<br />

in den politisch wirren Jahren am Anfang des 19. Jahrhunderts hatte am Ende<br />

1813 der preußische König, der ganz eng mit der protestantischen Kirche verbunden war,<br />

die Herrschaft auch im katholischen Münsterland übernommen. Deshalb die beschriebene<br />

Fremdheit und Unbeliebtheit der Preußen. „Gotteslästerungen“ und „Heiligenschändungen“<br />

waren also Verletzungen von religiösen Vorstellungen der Katholiken.<br />

Innenansicht des Emmerick-Geburtshauses


10 Günter Scholz<br />

„Im Ganzen ist noch viel Unschuld hier im Lande. Verführung und Ausschweifung<br />

und auch Luxus sind selten unter dem Gesinde; Zucht, Demut und Fleiß der<br />

Dienstboten überraschten mich oft. Zur Erhaltung der Eigentümlichkeit und Sittenreinheit<br />

des Landvolks trägt es viel bei, dass es nur wenige zusammenhängende<br />

Dörfer hier gibt, wo die Leute nebeneinander wohnend in Laster und Klatscherei<br />

durcheinander fallen. Hier wohnt jeder Bauer mit seiner Familie, zu welcher auch<br />

das Vieh gehört, in einem einzeln liegenden Haus, dicht von einigen alten Eichen<br />

umgeben, die ihn vor Wind und Wetter schützen, und rings um ihn her liegen seine<br />

häufig mit Zäunen oder Erdwällen eingefriedeten Äcker. In einer Entfernung von<br />

etwa einer Viertelstunde liegt ein ähnlicher Besitz, größer oder kleiner, und eine<br />

Anzahl solcher Wirtschaften bilden eine Bauerschaft, deren wieder mehrere eine<br />

Pfarrgemeinde bilden. Das Land ist hierdurch von den reizendsten Baumgruppen<br />

und tausend heimischen grünen Zäunen und schattigen Winkeln bedeckt. Oft musste<br />

ich denken, wenn ich von Haus zu Haus durch grüne Pfade und Buschwege zog:<br />

„Welches Land zu schönem, unschuldigem Kinderleben! Welche Einsamkeiten und<br />

welche Unzahl von reizenden Brombeersträuchern!“<br />

„Die Einrichtung der Bauernhäuser, und teilweise in gewissem Grade auch der<br />

Bürgerhäuser, hat einen durchaus patriarchalischen Charakter. Das ganze Haus<br />

ist gewissermaßen um den Herd versammelt. Das Feuer auf eiserner Platte an der<br />

Erde an einer Mauer, und was zum Herde gehört, ist immer am besten in Ordnung<br />

im ganzen Haus. Der erste Eintritt ins Haus führt in diese Küche, in der auch<br />

das ganze Leben vor sich geht. Die Schlafstellen sind in den Wänden in einer Art<br />

eingemauerten Schränken, deren Türen bei Tag geschlossen sind, angebracht. Oft<br />

in der Küche selbst, öfter in einer dicht anliegenden Tenne stehen links und rechts<br />

Kühe oder Pferde auf etwas tieferem Boden, so dass ihre Futtertröge zu ebener Erde<br />

stehen und sie durch Pfähle fressend die Köpfe hereinstecken. Ein beweglicher Arm<br />

von Eisen oder Holz führt den Kochkessel von der Wasserpumpe über das Feuer.<br />

In einem Haus sah ich das Kind, damit es nicht ins Feuer fallen möchte, in dem<br />

runden Ausschnitt eines Brettes, das sich an einer Stange um einen Pfeiler bewegte,<br />

im Kreise herumlaufen. Am anderen Ende dieses großen Raumes oder in der durch<br />

ein Tor abgesonderten Tenne wird gedroschen oder Flachs gebrochen; oben drüber<br />

liegt das Heu, Stroh und Getreide. Die Hausfrau am Feuer übersieht alles. Die<br />

Fenster von kleinen Scheiben enthalten oft noch aus alter Zeit kleine Glasmalereien,<br />

Sprüche, Wappen, auch wohl kleine Heiligenbilder. Gewöhnlich findet man Goffinés<br />

‚Handpostille‘, Overbergs ‚Katechismus‘ und ‚Biblische Geschichte‘ auf einem<br />

Brett stehen oder in einer Lade, worin die Sonntagskleider liegen, und ein paar


Clemens Brentano in Dülmen 11<br />

Äpfel dabei, auf dass sie einen guten Geruch haben mögen. Vor dem Fenster<br />

rauschen die Bäume. Die Leute sind einfältig, fleißig, kräftig, gastfrei und fromm.<br />

Alle diese Einrichtung ist beim reichen Bauern vollständig bis zur Behaglichkeit,<br />

ja bis zum Schmuck. Ich habe bei solchen wohl einmal eine zierliche Winterküche<br />

gesehen, wo im Sommer statt des Feuers ein großer Blumenstrauß vor der mit<br />

Porzellantäfelchen ausgelegten Feuerstelle glänzte. Bei armen Bauern ist alles<br />

dieses roher und einfacher, aber immer sehr vertraulich und heimatlich. Eines nur,<br />

was jedoch immer seltener wird, beschwert den Ungewohnten in den Wohnungen<br />

der ärmeren Leute sehr, nämlich der Mangel eines Rauchfangs. Der Rauch zieht<br />

nach Belieben aus allen Öffnungen hinaus, was bei Regentagen sehr unangenehm<br />

ist, weil dann die Wohnung oft von dichtem Rauch erfüllt ist.“ 3<br />

Ein solches Haus ohne Schornstein, ein sogenanntes „Rauchhaus“, findet Brentano in<br />

dem Geburtshaus der A. K. Emmerick in Flamschen. 4<br />

„Ich ging in diesen Tagen drei Stunden weit von Dülmen nach der Bauerschaft<br />

Flamske, zu dem väterlichen Haus der Emmerick, worin jetzt ihr ältester Bruder<br />

Bernd Emmerick mit Frau und Kind wirtschaftet. Dieser Ort gehört zu der Jakobipfarrei<br />

des eine halbe Stunde davon entfernten Städtchens Coesfeld. Ich wollte<br />

die Stelle sehen, wo sie geboren ist und wo ihre Wiege gestanden.<br />

Ich fand eine baufällige, von Lehm zusammengeknetete, mit altem bemoosten Stroh<br />

gedeckte Scheune. Als ich durch das geflickte, halboffene Scheunentor hineintrat,<br />

stand ich in einer Rauchwolke, in welcher ich kaum einen Schritt weit vor mich hin<br />

irgendetwas erkannte. Ihr Bruder und seine Frau begrüßten mich etwas verwundert,<br />

doch gleich sehr freundlich, als ich ihnen einen Gruß von der Schwester brachte,<br />

und die anfangs befremdeten Kinder nahten sogleich auf den Befehl des Vaters und<br />

reichten mir Kusshändchen.<br />

In dem leeren viereckigen Raum des Hauses fand ich keine Stube, was man so<br />

nennen kann; ein Winkel war abgeschlagen, worin der plumpe, bäurische Webstuhl<br />

des einen Bruders stand. Einige alte, von Rauch geschwärzte Laden zeigten,<br />

wenn man sie öffnete, große Bettladen voll Stroh, auf welchen einige Federkissen<br />

lagen; da schliefen die Leute. Auf der entgegengesetzten Seite schaut das Vieh<br />

hinter Pfählen hervor. Alle Gerätschaften stehen und hängen umher; oben von der<br />

Balkendecke hängen Stroh und Heu und Spinnenweben voll Rauch und Ruß herab,<br />

und das Ganze war undurchsichtig voll Rauch.


12 Günter Scholz<br />

Geburtshaus von Anna Katharina Emmerick in Flamschen<br />

Hier, in dieser finsteren, armen Nacht, voll Unordnung und Unbequemlichkeit, ward<br />

dieses feine, reine, leichte, lichtvolle, geistreiche Wesen geboren und erzogen, da,<br />

und nirgends anders erhielt es seine Unschuld in Gedanken, Worten und Werken.<br />

Ich dachte an die Krippe in Bethlehem.<br />

Ich aß vor dem Tor auf einem Holzblock Pumpernickel, Butter und Milch, und der<br />

fromme Bernd Emmerick sprach bei jedem kurzen Redesatz die Worte ‚mit Gott‘<br />

aus.<br />

Ich nahm einen alten, berauchten und zerrissenen Muttergotteskupferstich, der an<br />

der Türe des Raumes, wo sie geschlafen hatte, angeklebt war, mit mir und schenkte<br />

den Leuten ein anderes Bildchen. Dann las ich einige Eicheln auf unter den zwei


Clemens Brentano in Dülmen 13<br />

großen Eichbäumen, die vor der Hütte stehen, und nahm von den guten Leuten<br />

Abschied.“ 5<br />

Kommentar: Der Kotten in Flamschen, das Geburtshaus der Anna Katharina, ist eines<br />

der wenigen Zeugnisse für das Leben der armen Menschen um 1800. Häuser, Wohnungen<br />

von Adligen, von reichen Bürgern sind viele als Zeugnisse der damaligen Kultur erhalten.<br />

Die Wohnungen der Armen, die Möblierung solcher Wohnungen aber sind zerstört worden,<br />

da sie keinen Wert besaßen. Selbst in dem nach Bränden neu errichteten Haus wird noch<br />

deutlich, wie die armen Leute auf dem Lande damals gelebt haben, wenn auch durch den<br />

Neubau vieles schöner geworden ist, als es damals war (Mauerwerk, Dach, Tenne).<br />

Haus Limberg an der Münsterstraße


14 Günter Scholz<br />

Das in der Gedenkstätte Anna Katharina Emmerick bewahrte Zimmer der Anna<br />

Katharina gibt ein ebenso seltenes Beispiel für eine Wohnung armer Leute in der Stadt.<br />

An der Fensterbrüstung dieses Zimmers kann man die geringe Mauerstärke (16 cm) der<br />

Außenwand dieses Zimmers sehen und somit auch eine Vorstellung von dem Wohngefühl<br />

in einem solchen Raum in der kalten Jahreszeit bekommen. Man muss dazu in Betracht<br />

ziehen, was Brentano von der Einrichtung des Zimmers berichtet:<br />

„Hier rücke ich das Bett der Emmerick, das dem Zug, Küchendampf, Anlauf der<br />

Fremden, dem beständigen Sturm der Schwester ausgesetzt war seit Jahren, in die<br />

Kammer und schaffte die Viktualien aus dieser in eine entlegene, die ich ausbauen<br />

ließ. Wachstuch hab ich ihr neben das Bett an der Wand befestigt, wo man durch<br />

eine Ritze den Himmel sah, so dass sie durch den Zug das heftigste Zahnweh hatte,<br />

bis sie erst in der anderen Kammer ist.“ 6<br />

Kommentar: Das Fachwerk hier besteht wie auch sonst in den einfachen Häusern aus<br />

den aus Balken (hier dünnen Balken) gebildeten Fächern, die ausgefüllt sind mit Lehm,<br />

der zur besseren Haltbarkeit mit Reisig oder mit Stroh versetzt ist. Das eingefügte Material<br />

kann sich durch die Austrocknung von den Balken lösen, so dass Ritzen in der Wand<br />

entstehen.<br />

Die Wohnbedingungen in der Wohnung des Abbé Lambert verdeutlicht eine kleine<br />

von Brentano beschriebene Szene:<br />

„Sie (Anna Katharina) war heute Morgen ziemlich heiter und es war Hoffnung da,<br />

dass sie erzählen würde. Aber da hat das Unglück den unseligen Mann herangeschafft,<br />

der alle vierzehn Tage mit vielen Umständen und großem Zeitaufwand die<br />

Ofenröhren ausputzt und der zu dem Gestank der jungen Hühner, welche immer<br />

piepen und für Lambert gefüttert werden, noch den Ruß und seine schwarze Essigfarbe<br />

stinken ließ. Dazwischen schreien die Schweine des Hofes. Dazu kommt<br />

noch Rauch, und Fett an den Ofen.“ 7<br />

Kommentar: In dem Wohnraum und auch in dem von Brentano eingerichteten Zimmer<br />

der Emmerick stand jeweils ein kleiner eiserner Ofen, wie aus Brentanos Skizze des<br />

Zimmers hervorgeht. Diese Öfen waren mit einem langen bis kurz unter die Decke<br />

reichenden Rohr an den Schornstein angeschlossen. Das Rohr sollte so auch als Heizung<br />

wirken. In dem Rohr setzte sich Ruß von dem damals verwendeten Heizmaterial: Holz<br />

und Torf fest. Deshalb war die beschriebene Reinigung nötig. Dazu wurde in dem Raum<br />

das Rohr abgenommen und offensichtlich auch in dem Raum gereinigt. Damit das Rohr<br />

nicht durchrostete, wurde es immer wieder gestrichen und der Ofen mit Fett eingerieben.


Clemens Brentano in Dülmen 15<br />

Kammer im Hinterhaus Limberg<br />

In der Wohnung wurden Hühnerküken großgezogen, denn im Winter (es ist Januar)<br />

war es für diese auf der Tenne unter der Wohnung zu kalt. Das war damals durchaus bei<br />

den weniger wohlhabenden Leuten üblich. Unter der Wohnung ist die Tenne mit dem<br />

Schweinestall, eine Treppe führt direkt von der Tenne nach oben in die Wohnung, so ist<br />

das Quieken der Schweine dort deutlich zu hören.<br />

Zu Beginn des Jahres 1819 hatte Brentano sich bewusst eine Wohnung bei ganz<br />

einfachen Bauersleuten gewählt. Er beschreibt die für ihn „idyllische“ Situation:<br />

„Ich befinde mich wohl und wohne bei einem demütigen lieben frommen und<br />

heiteren Priester im Haus seines Bruders eines rechtschaffenen Ackerbürgers. Die<br />

Leute sind alle einfältig, fromm und sehr gut, es ist ein sehr getreuer Hund da,<br />

zahme Hühner fressen einem aus der Hand, die Frau ein Muster der Güte und<br />

Freundlichkeit, rasch und unermüdet, hat ein liebes flinkes Kind, das tausend Späße<br />

macht. Am Feuer am Küchenboden sitzt es sich gut unter frommen Knechten und<br />

Mägden und der alte Oheim ein Franziskanerbruder klar und heiter und schuldlos<br />

wird geneckt. Abends sitzen wir alle vor der Türe und genießen das Vergnügen


16 Günter Scholz<br />

die Kühe nach Haus gehen zu sehen, welche mit großer Freude von dem Kinde<br />

begrüßt werden. Ich esse auch mit diesen lieben Menschen und befinde mich in<br />

dieser Hinsicht besser als je.“ 8<br />

Über Bildung und Sittlichkeit schreibt Brentano:<br />

„Im allgemeinen ist die Frömmigkeit und Sittenreinheit im Münsterlande noch so<br />

groß, dass mir ein Priester beteuerte, höchst selten komme ihm eine Versündigung<br />

zwischen den beiden Geschlechtern im Beichtstuhl vor, und wenn es der Fall sei,<br />

wäre wohl schon geschehen, dass die Schuldigen laut weinend in den Beichtstuhl<br />

gestürzt seien und sich im Eifer der Reue so laut angeklagt hätten, dass Gefahr<br />

gewesen sei, alle Umstehenden vernähmen ihr Vergehen.<br />

Die guten Leute haben diese Treue gegen Gott und seine Heilsanstalt nicht sowohl<br />

dem Wissen als dem Gewissen und der gläubigen Teilnahme an den Heilsmitteln<br />

der katholischen Kirche zu verdanken. Ich habe die heilige Schrift bei keinem Laien<br />

gefunden, man hört keine Bibelsprüche sprechen, aber man sieht ihre Lehre üben.<br />

Die frommen Bauern und ihr treues katholisches Kirchenleben sind die Bibelstellen<br />

selbst. Ein den Anforderungen der Zeit mehr entsprechender Volksunterricht<br />

begann erst in der lebenden Generation durch die Bildung der Schullehrer und<br />

-lehrerinnen in Overbergs Schule, der im ganzen Lande wie ein Vater und Heiliger<br />

verehrt wird. Ich bin niemand begegnet, der nicht für die Arbeiten Overbergs<br />

höchst dankbar gewesen wäre, aber auch niemand, der mir beteuert hätte, die<br />

Leute seien frömmer dadurch geworden als ihre Voreltern. Alle waren durch seine<br />

große Einfalt und heiligmäßige Andacht und Menschenfreundlichkeit weit mehr<br />

gerührt als für seine Werke begeistert; der fromme Mann gab seinen Werken den<br />

Segen. Die Kranke selbst (Anna Katharina), deren höchstes Priester- und Freundesideal<br />

Overberg ist, hat mir öfter geäußert, dass sie oft fühle und in Gesichten<br />

sehe, wie die alten, armen, mühseligen Dorfschullehrer, welche, um zu leben, dabei<br />

schneidern mussten, mehr Segen zu frommer Kinderzucht gehabt hätten als die<br />

neuen abgerichteten Lehrer und Schuljuffern, die sehr häufig durch das bestandene<br />

Examen eine kleine Eitelkeit gewönnen. Ein jedes Werk besitze ein gewisses Maß<br />

des Fruchtens; sobald aber der Lehrer einen Wohlgeschmack, ein Selbstgefühl an<br />

seinem Werk genieße, so verzehre er einen Teil von dessen Segen für sich selbst<br />

und so sei es oft jetzt der Fall, ohne dass man es äußerlich gerade merke. Die<br />

Lehrerinnen fühlten: ‚Wir lehren gut‘, die Kinder: ‚Wir lernen gut‘, die Eltern<br />

freuten sich über die gelehrten, klugen Kinder, in allen entstehe ein Streben, noch<br />

mehr nach außen zu glänzen und um sich zu greifen. Lesen und Schreiben gehe


Clemens Brentano in Dülmen 17<br />

viel besser, der Feind aber säe für diese erweiterte Fähigkeit täglich mehr Unkraut<br />

in den Weg und die Frömmigkeit und Tugend werde täglich geringer.<br />

Ich fand die Quelle der noch lebenden Sitteneinfalt und Andacht weit mehr in<br />

treuem Festhalten an dem überlieferten Glauben und der Tugend von frommen<br />

Voreltern her, in großer Achtung vor den Priestern und ihrem Segen, im fleißigen<br />

Kirchenbesuch und Gebrauch der Sakramente als in erweitertem Unterricht. Ich<br />

kann nicht vergessen, wie ich morgens ganz frühe neben einem Zaun hergehend,<br />

Kinderworte hörte und stillstehend lauschend ein zerlumptes Hirtenmädchen von<br />

etwa sieben Jahren hinter einigen Gänsen auf einer Wiese gehend sah mit einer<br />

Weidenrute in der Hand; es sagte mit unnachahmlicher Andacht und Wahrheit:<br />

‚Guten Morgen, lieber Herr Gott! Gelobt sei Jesus Christus und lieber Vater im<br />

Himmel! Gegrüßt seist du, Maria, voll der Gnaden: Ich will gut sein, ich will fromm<br />

sein. Alle liebe Heilige, alle heilige Engel: ich will gut sein. Ich habe ein Stück Brot,<br />

das esse ich; für das liebe Brot danke ich. Ach, helft mir auch, dass mir die Gänse<br />

nicht ins Getreide laufen und dass kein böser Junge eine tot wirft. Helft mir doch,<br />

ich will ein gutes Kind sein, lieber Vater im Himmel!‘ Dieses Gebet hatte gewiss<br />

aus alter, überlieferter Hausandacht das arme Kind sich selbst zusammengesucht;<br />

schwerlich würde ein neuer Schullehrer sein Gebet gewürdigt haben.<br />

Wenn ich die häufig geringe Wissenschaftlichkeit und bäurische Sitte der Priester<br />

bei ihrer gewissenhaften Frömmigkeit, wenn ich die große Vernachlässigung der<br />

Ordnung, Zierde und Reinlichkeit in vielen Kirchen und manche Nachlässigkeit im<br />

Anstande des Gottesdienstes erwäge, wenn ich bedenke, dass alles Volk plattdeutsch<br />

redet und dass Unterricht und Predigt hochdeutsch gehalten werden und darum<br />

schwer ganz zu Herzen gehen, wenn ich die sehr einfältige, rohe Erziehung der<br />

meisten Kinder betrachte und bei allem diesem die Reinheit, Unschuld, Tüchtigkeit,<br />

den frommen Glauben und geraden verstehenden Sinn der geringsten dieser Leute<br />

für manche tieferen Dinge täglich erfahre, so fühle ich recht lebhaft, dass der<br />

Herr und seine Gnade, mehr als in Wort und Schrift, lebendig bei seiner Kirche<br />

ist, nämlich wesentlich und lebendig mit schöpferischer Kraft in seinen Heiligen<br />

Sakramenten, die fortgesetzt ewig neu da sind durch die von ihm aus von Hand<br />

zu Hand übergebene wundervolle heilige Kraft der Priesterweihe. Die Kirche, ihr<br />

Segen, ihre Heil-, Heiligungs- und Wunderkraft ist da und besteht fest wie die<br />

Natur und wird die Natur überleben, denn sie ist eine Kraft und keine Schöpfung<br />

Gottes, und davon empfangen alle, die an Jesu und seiner Kirche Wort glauben.“ 9


18 Günter Scholz<br />

Wie stark das Leben der Menschen in Dülmen von der Religion geprägt war, zeigt sich<br />

in Brentanos Lebensstil, mit dem er sich bewusst in das Leben der <strong>Dülmener</strong> einfügte:<br />

„Morgens stand er frühe auf und ging in die Kirche, wo er immer an derselben<br />

Stelle kniend die Heilige Messe mit tiefer Erbauung anhörte. Das mächtige Gebetbuch,<br />

welches er vor sich aufgeschlagen hielt, und die ernste Haltung des Mannes<br />

erregten, wie ein Augenzeuge berichtete, die Aufmerksamkeit aller, welche ihn zum<br />

ersten Male sahen.“<br />

„Große Achtung erwarb er sich bei den Bewohnern des Städtchens durch die<br />

Demut und Treue, mit denen er sich bei allen hergebrachten Andachtsübungen der<br />

Gemeinde beteiligte. Täglich betete er (abends) mit seinen Hausleuten gemeinsam<br />

den Rosenkranz. Und allwöchentlich sah man ihn, wie es in jener Gegend Sitte war,<br />

mit ausgespannten Armen die Stationen des Kreuzweges besuchen.“ 10<br />

In Brentanos „Lied vom Tod von Anna Katharina Emmerick“ weist der Vers: „Bezahle<br />

den Kreuzweg der Frau“, darauf hin, dass man den Kreuzweg auch von anderen gegen<br />

Bezahlung – wohl bei Krankheit – für sich beten ließ. Das Gedicht nimmt den Vorgang<br />

auf, dass Anna Katharina vor ihrem Sterben eine arme Frau hat den Kreuzweg für sich<br />

beten lassen. Im Sterbebett bittet sie Brentano, die Frau dafür zu bezahlen.<br />

Kommentar: In der Beurteilung der sittlichen Zustände zeigt sich Brentanos antiaufklärerische<br />

Position und seine romantische Weltsicht. Das einfache, ursprüngliche Leben<br />

war bei den Romantikern paradiesisch verklärt. Dabei nimmt man „bäurische Sitte der<br />

Priester“ und „Vernachlässigung der Ordnung, Zierde und Reinlichkeit“ in Kauf. „Einfalt“<br />

gegenüber der „Vielfalt“ der Lebensvorstellungen hatte einen hohen Wert, darauf gründet<br />

nach dieser Anschauung die Sittlichkeit und nicht auf Gelehrsamkeit und Wissen. Stets hat<br />

Brentano seinen einfältigen ältesten Bruder Anton wegen seiner hohen und eindeutigen<br />

Sittlichkeit bewundert.<br />

Die kleine Geschichte mit dem Gänse hütenden Mädchen zeigt, wie in dieser Gesellschaft<br />

schon kleine Kinder zur Arbeit herangezogen werden und bei dieser scheinbar so<br />

einfachen Arbeit doch unter enormen Druck stehen. Denn die Kleidung und die Angst des<br />

Mädchens entsprechen nicht im Geringsten unserem aus Märchen gewonnenen romantischen<br />

Bild der „Gänseliesel“.<br />

Da Brentano sich in Dülmen mit Anna Katharina Emmerick in den Dienst der armen<br />

Leute stellte, findet man in seinen Briefen immer wieder Hinweise auf die Situation der<br />

Armen in Dülmen. Das damit entstehende Bild von Dülmen wird dadurch sicher einseitig.<br />

Denn es gab auch besser situierte Bürger in Dülmen. Brentano hat auch mit ihnen Kontakt


Clemens Brentano in Dülmen 19<br />

Früheres Grab der Anna Katharina Emmerick<br />

gehabt, z. B. mit Dr. Wesener, mit einer Reihe von Geistlichen, mit dem Kupferschmied<br />

Meiners. Die Beschreibung der Situation der armen Leute in Dülmen steht immer im<br />

Zusammenhang mit Bitten um Stoffreste für die Armen:<br />

„Ich weiß nicht liebste Frau Mutter, ob sie in ihrer Haushaltung oder in der ihrer<br />

Kinder und Freunde auch so einen alten Klapperkasten oder Sack haben, wie ich<br />

ihn bei meiner Mutter kannte, um der guten Kranken eine Freude damit zu machen.<br />

Haben sie aber dergleichen, so tun sie doch ihren Schatzkasten auf und lassen sie<br />

uns etwas zukommen, das verwandelt sich hier in tausend Kleinigkeiten. Welche<br />

den hiesigen sehr armen Kindern gar nützlich sind und aus kleinen Mustern und<br />

Resten von Stoffen macht sie Kissen für Reliquien. Kurz sie kann alles brauchen,<br />

denn das Jesuskind reckt und streckt schier alles, dass es ausreicht.<br />

Solche Lappen, welche an vielen Orten verworfen und versteckt herumliegen,<br />

kommen mir, seit ich sehe was die Emmerick draus zustande kriegt, immer vor<br />

wie ganz vergessene arme Seelen, welche erlöst werden durch ihre Hände, und so<br />

bitte ich sie denn liebe Frau Mutter, öffnen sie uns aus ihrer Nähe ein paar solcher


20 Günter Scholz<br />

Kerker. Alle Art von Zeug, Linnen, Kattun, Seide, Tuch, was es ist, macht ihr eine<br />

große Freude und verwandelt sich in Segen.“ 11<br />

„Die meisten Einwohner sind sehr arm und zwar bettelarm, doch sie sind genügsam<br />

und nicht undankbar und viele sind einfältig fromm.“ 12<br />

August 1821 an Claudine Piautaz, das ist die Haushälterin in der Familie Brentano in<br />

Frankfurt:<br />

„Ich bitte dich nämlich von dir und den guten Kindern des Georgs und der Meline<br />

und Toni und allen guten milden Menschen mir einen Bettelsack voll allerlei<br />

Flicken und Lappen, alten Kleidern, altem Linnen und Bändeln, Schnüren und<br />

Stoff jeder Art, es sei, was es sei, zusammen zu betteln und wenn du einen rechten<br />

Sack voll beisammen hast, so lass ihn zumachen und an mich hierher senden.<br />

Ich kenne hier arme fromme Leute, welche mit besonderem Segen alle solche<br />

Lappen zur Kleidung neu geborener und kleiner Schulkinder verarbeiten. Die<br />

Armut ist hier so groß, dass manche Wöchnerin nicht hat ihr Kind zu bedecken,<br />

viele Kinder sind so elend bekleidet, dass sie kaum zur Schule und Kirche können,<br />

und es ist ihnen mit einem alten Lappen Zeug oft der Weg zur Lehre und zum<br />

Empfang aller Kirchen Gnaden bereitet. . . . Es werden mit diesen Geschenken<br />

besonders arme Neugeborene gegen Weihnachten bekleidet, und es ist dies eine<br />

Weihnachtsgabe, welche weniger kostet und mehr Segen bringt als die kostbarsten<br />

Geschenke, welche sich die Reichen machen. Alles was Zeug ist, groß und klein,<br />

von jedem Stoff und Form ist brauchbar.“ 13<br />

24. Dezember 1821:<br />

„Jetzt ist es sehr kalt, viele arme Kinder frieren sehr, arme Leute haben kein Wasser,<br />

weil die Brunnen vertrocknet sind und die Teiche gefroren. Da können sie die Kühe<br />

nicht tränken, da können diese keine Milch geben, da müssen auch wohl Kinder<br />

und Eltern noch hungern zu der Kälte.“ 14<br />

Januar 1822:<br />

„Sie (Anna Katharina Emmerick) dankt ihnen herzlich für das überschickte Alte. Sie<br />

hat es bereits an höchst elende Menschen zum Notwendigen verarbeitet, ausgeteilt.<br />

Der liebe Gott hat sie zu dieser Gabe getrieben, denn es war große Not bei armen<br />

Wöchnerinnen und Leuten, die sich nicht bedecken konnten, um zur Kirche zu


Clemens Brentano in Dülmen 21<br />

Wohnung des Paters Limberg an der Borkener Straße<br />

kommen. Ein solcher Lappen erhält manche Seele, die unerquickt hungert und<br />

bloß am Rande der Verzweiflung steht, an einem Stückchen Zeug halten sie sich<br />

zuweilen und springen über den Abgrund und kehren zum Gebet und zu Glauben,<br />

Hoffen und Lieben zurück.“ 15<br />

März 1822 in einem Brief an den Bruder Christian:<br />

„Nun habe ich noch eine kleine Bitte an dich, die du nicht vergessen musst, weil<br />

sie so ganz hinten (in dem Brief) steht. Es ist für die hiesigen Armen. Kannst du<br />

mir nicht bei den Geschwistern etwas alte Kleider, Lappen Flicken und Leinwand<br />

zusammen betteln und an Frau Hirn senden, dass sie es mir bald zukommen lässt.<br />

Die arme Kranke (Anna Katharina) hat gar nichts mehr auszuteilen. Sie zerreißt<br />

und färbt ihre Betttücher, und es ist dergleichen ihre einzige Freude. Ich schaffe


22 Günter Scholz<br />

zwar, wo es Not tut Neues an, aber die Auswahl und das besonnene Benutzen des<br />

Alten scheint ihr Freude zu machen.“ 16<br />

Ein anderes Beispiel für die Not der armen Leute beschreibt Brentano in einem Brief<br />

an die Geschwister Diepenbrock nach dem Tod ihrer Mutter, Dezember 1823:<br />

„Zur Zeit der Krankheit eurer guten Mutter starb auch hier eine uns liebe Frau<br />

auf dem Stroh beinah ohne alle Bedienung; ihre Krankheiten mit dem armen stets<br />

arbeitenden Mann und auf ihr herumkriechenden kleinen kranken Kindern teilend<br />

in Not und Elend.“ 17<br />

Wie knapp damals selbst Papier war, zeigt der Umgang des Paters Limberg (Beichtvater<br />

der Anna Katharina) mit an Anna Katharina Emmerick gerichteten Briefen, den<br />

sogenannten „Gebetsbriefen“. Der Pater gebraucht die zerschnittenen Briefe als Fidibusse.<br />

Da es damals noch keine Streichhölzer gab, konnte man Feuer nur von Feuer nehmen, das<br />

geschah mit solchen Papierstreifen. Pater Limberg gebraucht sie zum Anzünden seiner<br />

Pfeife.<br />

„Während solchen Äußerungen zerschneidet er (Limberg) die merkwürdigsten<br />

Briefe von allerlei frommen Leuten an die Emmerick, die weder Lambert noch<br />

er gelesen, und sie auch nicht hat, worunter vielleicht meine und Christians und<br />

Luisen zu Fidibus. Und er versteht mich nicht, so ich ihm sage, ich habe mehrere<br />

solche Briefe gesammelt, sie sind Dokumente zur Geschichte dieser Person – er<br />

schneidet zu.“ 18<br />

Wie stark sich Brentano damals mit Dülmen identifiziert, zeigt ein Brief Brentanos an<br />

Caspar Niesing in Dülmen von der Silberhochzeit seines Bruders Franz in Frankfurt im<br />

August 1823.<br />

„Die Ausführung gelang vollkommen. Ich kommandierte im blauen westfälischen<br />

Kittel alle vornehmen Gäste und selbst die hohe versammelte Geistlichkeit und<br />

Schuldeputationen an Ort und Stelle.“ 19<br />

Kommentar: Brentano ist also stolz in dem einfachen westfälischen Kittel die kirchlichen<br />

und politischen Würdenträger zu empfangen, die sicher nach der damaligen Mode<br />

prächtig gekleidet waren.


Clemens Brentano in Dülmen 23<br />

Literatur<br />

Die Briefe Brentanos werden in der historisch kritischen Brentano-Ausgabe, der sog.<br />

Frankfurter Brentano-Ausgabe veröffentlicht, abgekürzt „FBA“. Aus der <strong>Dülmener</strong> Zeit<br />

Brentanos liegen in den Bänden 33 und 34, dem 5. und 6. Band der Briefe, die Briefe von<br />

1813 – 1818 und von 1819 – 1823 vor.<br />

Das <strong>Dülmener</strong> Tagebuch Brentanos ist von Jozef de Raedemaeker in 38 Heften herausgegeben<br />

worden.<br />

Die Brentano-Biographie von Johannes Baptista Diel und Wilhelm Kreiten unter dem<br />

Titel „Clemens Brentano – Ein Lebensbild“ in zwei Bänden, erschienen 1877 und 1878 in<br />

Freiburg, enthält Informationen, die die Autoren noch von Verwandten und Zeitzeugen<br />

Brentanos erfahren konnten.<br />

1 Frankfurter Brentano-Ausgabe (FBA) 33, S. 329.<br />

2 FBA 33, S. 332 ff.<br />

3 FBA 33, S. 332 ff.; Tagebuch 1, S. 9 – 11.<br />

4 Dieses Haus kann man heute noch, allerdings nach Bränden wieder aufgebaut, in Flamschen bei Coesfeld<br />

besichtigen.<br />

5 Tagebuch 1, S. 11 f.<br />

6 Aus dem Brief 714 an Luise Hensel vom Oktober 1818, FBA 33, S. 331 – 351.<br />

7 Tagebuch 22, S. 16.<br />

8 FBA 34, S. 111 f.<br />

9 Tagebuch 1, S. 16 – 18.<br />

10 Diel/Kreiten II, S. 217 ff.<br />

11 FBA 34, S. 123 f.<br />

12 FBA 34, S. 152.<br />

13 FBA 34, S. 198.<br />

14 FBA 34, S. 213.<br />

15 FBA 34, S. 223 f.<br />

16 FBA 34, S. 253.<br />

17 FBA 34, S. 446.<br />

18 FBA 34, S. 275.<br />

19 FBA 34, S. 416.


Antonius Bödiger<br />

Die Männer mit den geschulterten Spaten – das Lager des<br />

Reichsarbeitsdienstes auf der Karthaus<br />

Von 1931 bis Kriegsende 1945 bestand in der Bauerschaft Weddern eine Abteilung des<br />

Reichsarbeitsdienstes, das RAD-Lager Karthaus. Älteren Mitbürgern ist dies noch bekannt,<br />

zumal diese Baracken an der Kreisstraße K 13, unweit der damaligen Reichsstraße<br />

R 51, noch bis 1968 als Notunterkünfte genutzt wurden. Die Quellenlage über die RAD-<br />

Abteilung Dülmen wie auch über alle anderen ist allerdings dürftig, da seinerzeit alle<br />

RAD-Gruppierungen den Befehl aus Berlin erhalten haben sollen, sämtliche Akten zu<br />

vernichten. 1 Ebenso sind bis auf ein Aktenstück Unterlagen der Amtsverwaltung Dülmen<br />

nicht erhalten oder sind nie angelegt worden. Auch in der Geschichtsforschung fand der<br />

Reichsarbeitsdienst bislang wenig Beachtung.<br />

Postkarte (gestempelt am 21. April 1934). Reichsarbeitsdienst-Abtlg 5/201 6/164 Karthaus<br />

b./Dülmen, aufgenommen von der Kreisstraße Richtung Karthaus ca. 300 Meter<br />

vom Abzweig von der Reichsstraße 51.


Die Männer mit den geschulterten Spaten – das Lager des Reichsarbeitsdienstes auf . . . 25<br />

Die Gliederungen des Reichsarbeitsdienstes<br />

Der Reichsarbeitsdienst unterstand dem Reichsarbeitsführer Konstantin Hierl und war<br />

regional in 33 Arbeitsgaue unterteilt, diese wiederum in meist 10 bis 12 Gruppen, denen 3<br />

bis 8 Abteilungen untergeordnet waren.<br />

Die Anfänge des Arbeitsdienstes im Raum Dülmen fallen wohl in das Jahr 1931, als<br />

nach Erinnerung von Zeitzeugen schon eine kleinere Baracke des zu der Zeit freiwilligen<br />

Arbeitsdienstes in der Bauerschaft Weddern bestand. 2 Im April 1933 gab es dann im Kreis<br />

Coesfeld mindestens vier weitere Lager, zwei in Hiddingsel, je eins in Hausdülmen und<br />

in Beerlage bei Billerbeck. Zu diesem Zeitpunkt war laut Pressemitteilung des Landrats<br />

noch die Errichtung von insgesamt sieben dezentralen Arbeitslagern in der Trägerschaft<br />

des Kreises angedacht. 3 Nur drei Monate später, am 23. Juli 1933, berichtete die örtliche<br />

Presse, dass die bisherigen kleineren Lager zusammengelegt und zur Zeit je ein größeres<br />

für mehr als 200 Mann nördlich Coesfeld und bei Buldern errichtet würden. 4<br />

Dieses größere Lager zwischen<br />

Buldern und der Karthaus<br />

wurde ca. Jahresende 1933 fertiggestellt,<br />

war mit Abteilung 5/201<br />

bezeichnet und zunächst einer<br />

RAD-Gruppe 201 Coesfeld unterstellt.<br />

Auch in diesem Zeitraum,<br />

aus dem auch die vorstehende<br />

Postkarte stammt, war der Arbeitsdienst<br />

noch ein freiwilliger<br />

Dienst. Ende 1935, wenige Monate<br />

nach gesetzlicher Einführung<br />

der Arbeitspflicht im Juni 1935,<br />

wurde die RAD-Abteilung Carthaus<br />

(fortan mit „C“ geschrieben)<br />

als Abteilung 4/200 neu formiert<br />

und unterstand damit der im Oktober 1935 neu gegründeten RAD-Gruppe 200 in Münster,<br />

diese wiederum dem Arbeitsgau XX Westfalen-Süd in Dortmund. 5<br />

Laut dem einzig überlieferten Aktenstück der Amtsverwaltung Dülmen, einer am<br />

16. April 1936 vom Amtsbürgermeister Sebbel im Entwurf abgezeichneten Bescheinigung,<br />

war das vom RAD 4/200 genutzte Gemeindegrundstück diesem kostenlos zur Verfügung<br />

gestellt worden. 6 Mit eben dieser Bezeichnung 4/200 ist das RAD-Lager auch im Kreis-<br />

Adressbuch 1937 gelistet. 7


26 Antonius Bödiger<br />

Nach einer Umstrukturierung erhielt<br />

die Abteilung Carthaus ab 1938<br />

die Bezeichnung 6/164 und unterstand<br />

fortan einer in Münster im<br />

Jahr 1938 neu gegründeten RAD-<br />

Gruppe 164, die jetzt dem Arbeitsgau<br />

XVI Westfalen-Nord 8 zugeordnet<br />

war. Dessen Gauleiter provozierte<br />

später die katholische Kirche und<br />

namentlich Bischof Clemens August<br />

Graf von Galen, als die Gauleitung im<br />

Juli 1941 mit Unterstützung der Gestapo<br />

das Hiltruper Missionshaus (Orden<br />

vom Heiligsten Herzen Jesu) besetzte<br />

und sich dort bis Anfang 1945<br />

mit dem Stab und der Verwaltung des<br />

Arbeitsgaues Westfalen-Nord einrichtete.<br />

9<br />

Was<br />

war der Reichsarbeitsdienst?<br />

Die Idee eines nationalen Arbeitsdienstes<br />

war in Bulgarien entstanden,<br />

das bereits 1920 einen Pflichtdienst<br />

eingeführt hatte, um gemeinnützige<br />

Arbeiten zu verrichten. Das bulgarische<br />

Beispiel hatte zur Zeit der Weimarer<br />

Republik breite Beachtung ge-<br />

Skizze erstellt anhand der Alliierten-Luftaufnahme<br />

Nr. 2 179 von März 1945.<br />

funden und wurde 1931 durch die Regierung Brüning als „Freiwilliger Arbeitsdienst“<br />

eingeführt, der zum Abbau der hohen, durch die Weltwirtschaftskrise bedingten Arbeitslosigkeit<br />

führen sollte. Unter der NS-Regierung wurde mit Gesetz vom 26. Juni 1935<br />

dieser freiwillige Dienst in einen Pflichtdienst umgewandelt. Ab Juni 1935 musste jeder<br />

18-jährige junge Mann eine dem Wehrdienst vorgelagerte sechsmonatige Arbeitspflicht<br />

im Rahmen eines Arbeitsdienstes ableisten. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wur-


Die Männer mit den geschulterten Spaten – das Lager des Reichsarbeitsdienstes auf . . . 27<br />

de der Reichsarbeitsdienst auf die weibliche Jugend, die so genannten Arbeitsmaiden,<br />

ausgedehnt. 10<br />

Der Reichsarbeitsdienst befasste sich anfangs mit Kultivierungsmassnahmen in Landund<br />

Forstwirtschaft sowie Urbarmachung von Moorflächen und Deichbau. Der RAD hatte<br />

in der Zeit des Nationalsozialismus von Beginn an aber paramilitärischen Charakter, war<br />

in ein totalitäres Regime eingegliedert und wurde für die Ziele des Systems zunehmend<br />

instrumentalisiert. Nach Kriegsbeginn wurde die Dienstzeit der Arbeitsdienst-Männer<br />

sukzessive bis auf zuletzt 6 Wochen verkürzt und schließlich nur noch zur Rekrutenausbildung<br />

genutzt. Dabei wurden die RAD-Einheiten zunehmend zu militärischen Bauaufgaben<br />

an den Frontlinien und an der Heimatfront herangezogen oder als Flakhelfer-Einheiten 11<br />

eingesetzt.<br />

Deutschland stand mit dieser Idee eines gemeinnützigen<br />

Arbeitsdienstes, wie er gegen Ende der<br />

Weimarer Republik eingeführt worden war, nicht<br />

alleine. Auch in anderen Staaten, namentlich den<br />

USA, gab es einen staatlichen Arbeitsdienst, das<br />

Civilian Conservation Corps CCC, das aber auf freiwilliger<br />

Basis basierte und als Arbeitsbeschaffungsprogramm<br />

diente. Mit Kriegseintritt der USA wurde<br />

das CCC eingestellt. 12<br />

Bauliche Anlagen<br />

und Struktur der RAD-Abteilung Carthaus<br />

Das RAD-Lager Carthaus bestand im Endausbau<br />

aus zwei langgestreckten, über Eck stehenden Baracken<br />

I und II, einer kleineren Baracke und mehreren<br />

Nebengebäuden an der Kreisstraße 13 in Richtung<br />

Karthaus, ungefähr 300 Meter vom Abzweig der<br />

damaligen Reichsstraße R 51. Nach Süden schloss RAD Carthaus. Baracken-Inneres<br />

sich ein Sportgelände an, das auch als Exerzierplatz<br />

genutzt wurde. Die Anlage machte, soweit das auf<br />

den Fotos erkennbar ist, einen freundlichen und gepflegten<br />

Eindruck mit weiß getünchten Baracken, gepflegten Grünflächen und Wegen und<br />

der Ruhezone im Vordergrund des Bildes auf der nächsten Seite.


28 Antonius Bödiger<br />

Breite Wege, viel Grünanlagen, überall Ordnung und tadellos saubere Wohnbaracken,<br />

dies hatte durchaus System, sollte für einen Wohlfühleffekt sorgen und wird in<br />

vielen Biographien ehemaliger Arbeitsdienstler auch für andere Lager so oder so ähnlich<br />

beschrieben. Die Abteilung war etwa 250 Mann stark 13 , wahrscheinlich lag die durchschnittliche<br />

Belegung aber eher bei 216 Arbeitsdienstlern, der regulären Sollstärke einer<br />

RAD-Abteilung.<br />

Postkarte um 1940. RAD Carthaus. Bildmitte hinten Baracke I, vorne Birkenbänke, rechts die<br />

Kreisstraße Richtung Karthaus, auf dem Eingangspfeiler rechts der Reichsadler<br />

Sie unterstand Oberstfeldmeister Adolf Bettermann 14 , einem eingefleischten frühen<br />

NSDAP-Mitglied, der vom Zeitzeugen Lechler als groß und korpulent beschrieben wird. In<br />

seiner Funktion hielt Bettermann 1937 einen „fesselnden“ Vortrag vor dem NS-Lehrerbund<br />

über staatspolitische und erzieherische Ziele des RAD. 15 Im Nachgang zu den Novemberpogromen<br />

1938 und der Inhaftierung von Juden wurde Bettermann als besonders tatkräftig<br />

erwähnt. 16


Die Männer mit den geschulterten Spaten – das Lager des Reichsarbeitsdienstes auf . . . 29<br />

RAD Carthaus. Festlich hergerichteter Gemeinschaftsraum in Baracke III<br />

Für die Unterkünfte hatte der RAD<br />

Normbauten, d. h. Holzhäuser im Baukastenprinzip,<br />

komplett neu entwickeln lassen,<br />

denn diese sollten variabel und transportabel<br />

und auch unter schwierigen klimatischen<br />

oder geographischen Bedingungen<br />

nutzbar sein.<br />

Das RAD-Mannschaftshaus Typ IV/3.<br />

17 Diese so entwickelten<br />

Wohnbaracken waren reichsweit, allem Anschein<br />

nach auch in Dülmen in Gebrauch.<br />

Ob diese durch die <strong>Dülmener</strong> Baufirma<br />

Kirschner in Lizenz oder anderenorts hergestellt<br />

wurden, ist nicht belegt. Die Grundeinheit<br />

bildete ein Bindersegment von<br />

3,30 Meter Breite, um das die Holzhäuser beliebig verlängert oder verkürzt werden konnten.<br />

Jedes Segment hatte eine Tiefe von 8,14 Meter, eine Traufhöhe von 2,55 Meter und


30 Antonius Bödiger<br />

eine Firsthöhe von 3,35 Meter und war dabei autark durch eine eigene Stromnetz-Einheit,<br />

durch einen eigenen, den gusseisernen RAD-Ofen und durch die genormte RAD-<br />

Kochanlage. In Ergänzung zu den Wohnbaracken gab es im Regelfall ein zentralbeheiztes<br />

Waschhaus mit genormten Rohrnetzteilen sowie Einheits-Einfamilienhäuser für die<br />

Familien der Lagerleiter.<br />

Das Ausmaß der baulichen Anlagen ist auf dem Luftbild vom März 1945 und der<br />

daraus entwickelten Skizze gut erkennbar. Die Maße der beiden größeren Wohnbaracken I<br />

und II dürften anhand der Luftbildauswertung um 52 bzw. 46 Meter Länge betragen<br />

haben. Legt man hingegen die spätere Skizze aus 1952 mit den dort skizzierten 10 bzw.<br />

7 Wohnsegmenten zu Grunde, so führt dies zu deutlich geringeren Abmessungen von ca.<br />

33 bzw. 23 Meter Länge, vermutlich weil Baracken-Segmente gegen Kriegsende zerstört<br />

oder in der unmittelbaren Nachkriegszeit entfernt worden waren.<br />

Die Aufgaben der RAD-Abteilung Carthaus<br />

Von den meisten Arbeitsdienstlern im<br />

Münsterland ist bekannt, dass diese zu Kultivierungsmaßnahmen<br />

in der Land- und<br />

Forstwirtschaft eingesetzt wurden, aber es<br />

gab auch andere Aufgaben. So war der<br />

RAD Senden schwerpunktmäßig bei der<br />

Erweiterung des Dortmund-Ems-Kanals tätig.<br />

Schon bei der ersten Presseberichterstattung<br />

im Juli 1933<br />

RAD Carthaus. Arbeitskolonne<br />

18 war das Aufgabenspektrum<br />

des RAD-Lagers bei Buldern mit<br />

„großzügigen Bodenverbesserungen“ grob<br />

umrissen worden. Im Detail wurden dabei<br />

Flussregulierungen, Meliorationen und Zusammenlegungen<br />

genannt, wobei dem heimischen<br />

Landschaftscharakter durch neue<br />

Baumpflanzungen und neue Wallhecken (!) Rechnung getragen werden sollte. Die Aufnahme<br />

auf dieser Seite von einer Arbeitskolonne des RAD-Lagers Carthaus zeigt im<br />

Graben einen Trupp Arbeitsmänner bei der Aushebung eines schnurgeraden, V-förmigen<br />

Bachbettes, so wie dies auch von der klassischen Flurbereinigung geläufig ist.


Die Männer mit den geschulterten Spaten – das Lager des Reichsarbeitsdienstes auf . . . 31<br />

Auch Drainageverlegungen auf Ackerland<br />

gehörten zum typischen Arbeitsspektrum<br />

und wären ohne den Einsatz der Arbeitsdienstmänner<br />

für die Landwirte kaum<br />

finanzierbar gewesen. Die zweite Bild auf<br />

dieser Seite zeigt, wohl als Kontrastbild,<br />

einen verlandeten Bach.<br />

Eines der größeren bekanntgewordenen<br />

Projekte war die Regulierung des Mühlenbaches<br />

(Heubaches), die Mitte 1938 für<br />

den Abschnitt südlich Bügelmanns Mühle<br />

bis in den Linnert abgeschlossen wurde,<br />

während der nördlich gelegene Abschnitt<br />

zu diesem Zeitpunkt noch bevorstand.<br />

RAD Carthaus. Verlandeter Bach<br />

19<br />

Zeitzeuge Josef Dreckmann erinnert sich,<br />

dass aber auch Mannschaftsteile bei der<br />

Erweiterung des Dortmund-Ems-Kanals<br />

in Hiddingsel eingesetzt waren. Ebenso<br />

kann sich Zeitzeuge Lechler gut an die<br />

Entschlammung des Mühlenteiches beim<br />

Kloster Karthaus erinnern, da er nach Feierabend<br />

dort mit Nachbarkindern in den<br />

Loren gespielt hatte.<br />

Zu ihren Einsatzorten fuhren die Arbeitsdienstler<br />

mit dem Fahrrad, häufig in<br />

Gruppen bis zu 50 Personen. Busse oder<br />

LKW für den Mannschaftstransport gab es nicht. Die Arbeitsmaterialien und Arbeitsgeräte<br />

blieben an der Baustelle.<br />

Letztlich dürften Kultivierungsarbeiten in der Landwirtschaft bis in die Kriegsjahre<br />

der Arbeitsschwerpunkt gewesen sein, während, wie noch zu zeigen sein wird, gegen<br />

Kriegsende die kriegsbegleitende Ausbildung von Rekruten dominierte.<br />

Beziehungen zum Umland und zur Stadtbevölkerung<br />

Über den Einzugsbereich der eingezogenen Arbeitsdienstmänner gibt es keine verlässlichen<br />

Quellen, die dem Verfasser bekannten Briefe und Postkarten lassen aber den Schluss


32 Antonius Bödiger<br />

zu, dass diese im Großen und Ganzen aus der gesamten Heimatprovinz Westfalen stammten.<br />

Der Schriftverkehr ermöglicht keine Rückschlüsse auf die Arbeitseinsätze und die<br />

Arbeitsbedingungen, sondern hat mehr den Stil von Urlaubsgrüßen oder Glückwunschkarten.<br />

Es wird allenfalls deutlich, dass die Freizeit stark reglementiert war und sich wohl<br />

auf freien Ausgang am Sonntag beschränkte. Dieser war, so die Erinnerung von Zeitzeuge<br />

Dreckmann, auf 14 bis 22 Uhr begrenzt, in denen sich Arbeitsdienstler zu Fuß nach Buldern<br />

oder Dülmen auf den Weg machten. Auch an den allabendlichen Zapfenstreich um<br />

21.45 Uhr, der bis zu seinem Elternhaus zu hören war, kann er sich auch heute noch gut<br />

erinnern.<br />

Erich Klöpper (links) und Arbeitskameraden um 1937<br />

Gleichwohl kamen gelegentlich auch private Kontakte zustande. Das Bild auf dieser<br />

Seite zeigt den aus Detmold stammenden Erich Klöpper mit seinen Arbeitskameraden.<br />

Nach dem Arbeitsdienst im RAD Carthaus und anschließender Wehrmachtszeit blieb er<br />

bei seiner Bulderner Freundin Paula „hängen“ und gründete dort mit ihr eine Familie.


Die Männer mit den geschulterten Spaten – das Lager des Reichsarbeitsdienstes auf . . . 33<br />

Appell der RAD-Männer beim Kriegerfest in Buldern 1937<br />

Die Teilnahme an offiziellen Veranstaltungen war schon in der Frühphase des Arbeitsdienstes<br />

selbstverständlich. So nahm der FAD (Freiwillige Arbeitsdienst) Hiddingsel am<br />

1. Mai 1933 am Bulderner Festumzug zum „Tage der nationalen Arbeit“ teil, im August<br />

1933 an der Fahnenweihe der NSBO 20 Buldern. 21<br />

Die Lagerleitung bemühte sich durchaus auch um gesellige Veranstaltungen in Dülmen<br />

und Buldern, manchmal nicht ohne hintergründige Absichten. So wurde im Mai 1936<br />

allein fünfmal in der Presse zu einem Eintopfessen im Bürgerhaus eingeladen bzw. darüber<br />

berichtet. Der Erlös war für das Winterhilfswerk bestimmt und selbstredend gehörten zur<br />

Veranstaltung auch parteipolitische Reden und musikalische Darbietungen. 22<br />

Ebenso wurden gelegentlich sportliche Wettkämpfe mit <strong>Dülmener</strong> Vereinen ausgetragen:<br />

Handball-Wettkämpfe gegen den TUS oder Leichtathletik-Wettkämpfe gegen die<br />

TSG. Verlierer war meist die RAD-Mannschaft. 23<br />

Auch Abschiedsfeste der jeweiligen Arbeitsdienst-Jahrgänge sowie Berichte über


34 Antonius Bödiger<br />

neu eingezogene Geburtsjahrgänge fanden ihren Niederschlag in der örtlichen Presse.<br />

Besonders ausführlich berichtet wurde über den Abschiedsabend vom 22. September 1936,<br />

zu dem fast 300 Gäste, insbesondere lokale Prominenz sowie Vertreter der Partei, des<br />

Staates und des Arbeitsdienstes, im Lager erschienen waren. Nach dem gemeinsamen<br />

Abendessen auch hier Musikdarbietungen und kernige Ansprachen über die „Schule der<br />

Nation“. 24<br />

Kriegsende<br />

Die Flugzeuge der Royal Air Force<br />

und der US Air Force haben bei ihren<br />

Aufklärungs- und Angriffsflügen 1944<br />

und 1945 häufig Luftbildserien aufgenommen.<br />

Zumindest vier Flüge erfassen<br />

die Bauerschaft Weddern, und<br />

zwar vom 6. Juli 1944, 25. Dezember<br />

1944, 22. Februar 1945 und nicht näher<br />

datiert vom März 1945. 25<br />

Das Aufnahme auf dieser Seite<br />

vom März 1945 lässt deutlich die baulichen<br />

Strukturen und den südlich davon<br />

befindlichen Sportplatz erkennen.<br />

Die zwei auffällig hellen Flecken links<br />

des Lagers könnten Bildfehler (Geisterpunkte)<br />

sein. Der Verfasser neigt zu<br />

der Annahme, dass es sich um soeben<br />

vom Flugzeug abgeworfene metallene<br />

Kanister mit gebündelten Stabbrandbomben<br />

handelt, so wie diese auch<br />

am 21. und 22. März 1945 bei der<br />

Bombardierung Dülmens abgeworfen<br />

wurden. (Diese Brandbomben-Kanister<br />

zerplatzten der größeren Wirkung<br />

wegen erst in geringer Höhe.) 26<br />

Der Vergleich der vier Luftbildse-<br />

US-Luftbild vom März 1945. Gebäude sind vom Verfasser<br />

hervorgehoben. Aufnahme vom Vormittag, erkennbar<br />

am Schattenwurf nach Nordwesten.<br />

rien macht aber auch deutlich, dass es im Lager im letzten Kriegsjahr noch erkennbare


Die Männer mit den geschulterten Spaten – das Lager des Reichsarbeitsdienstes auf . . . 35<br />

Veränderungen gegeben hatte. Links der in Nord-Süd-Richtung stehenden Baracken ist<br />

ein kompaktes turmähnliches Gebilde entstanden. Der Schattenwurf dieses mutmaßlichen<br />

Wachturms lässt auf 20 bis 25 Meter Höhe schließen. Südwestlich des Sportplatzes wurde<br />

eine spitzwinkelige, bis dahin mit Buschwerk bestandene Fläche gerodet und zu nicht näher<br />

erkennbaren Aktivitäten, evtl. als Trainingsanlage, genutzt. Außerhalb des Bildausschnitts<br />

ca. 300 Meter westlich vom Lager sind im Wald Schützengräben und asymmetrische Laufgräben<br />

angelegt worden, offensichtlich zu Übungszwecken für Grabenkämpfe. Insgesamt<br />

deuten diese und andere Veränderungen aus den letzten Kriegsmonaten darauf hin, dass<br />

das Lager bis Kriegsende intensiv zur Rekrutenausbildung genutzt wurde.<br />

Erkennbar bis zum März 1945<br />

hatte es Bombenabwürfe auf das<br />

RAD-Lager nicht gegeben, im Bereich<br />

des am 11. Februar bombardierten<br />

Tanklagers Osthof sind<br />

auf den Luftbildern hingegen<br />

Bombentrichter deutlich auszumachen.<br />

Offensichtlich stellte das<br />

Lager für die Alliierten kein militärisches<br />

Angriffsziel dar und<br />

wurde zumindest nicht gezielt<br />

bombardiert. Auch Zeitzeugen<br />

konnten keine verlässliche Auskunft<br />

geben. Es deutet aber einiges<br />

darauf hin, dass das Lager in<br />

den letzten Märztagen 1945 bombardiert<br />

wurde und wie viele Höfe<br />

noch Zufallstreffer abbekommen<br />

RAD-Baracken als Notunterkünfte. Skizze Amtsverwaltung<br />

Dülmen 1952<br />

hat, denn von den baulichen Anlagen waren in der Nachkriegszeit nur noch zwei Baracken,<br />

kleiner als ursprünglich, erhalten.<br />

Nachkriegszeit<br />

Nach Kriegsende waren kurzzeitig Russen und Ungarn in den zwei noch bestehenden Baracken<br />

untergebracht, offensichtlich aus deutschen Gefangenenlagern befreite Kriegsgefangene.<br />

27 Anschließend ging die Anlage in das Eigentum der Bundesvermögensverwaltung<br />

über.


36 Antonius Bödiger<br />

Diese bzw. das Amt Dülmen vermieteten die Baracken als Notunterkünfte an ausgebombte<br />

Familien und Kriegsflüchtlinge. In den Akten der Amtsverwaltung Dülmen 28<br />

befindet sich eine Skizze aus dem Jahr 1952, wonach die zwei Baracken aus 17 Wohneinheiten<br />

bestanden und von insgesamt 80 Personen bewohnt wurden. In der bäuerlichen<br />

Umgebung waren diese Lagerfamilien nicht gut gelitten.<br />

Auch nach Abschaffung der Wohnungszwangswirtschaft im Jahre 1960 war Wohnraum<br />

in Dülmen noch nicht ausreichend vorhanden, um diese Notunterkünfte endgültig<br />

aufzugeben. 1964 wurde wegen des maroden Zustandes der Baracken den letzten vier<br />

Familien gekündigt, erst im Jahr 1968 erfolgte nach Auszug der letzten Bewohnerin der<br />

endgültige Abriss. 29 Seitdem ist das Gelände wieder landwirtschaftliche Nutzfläche.<br />

1 Im Bundesarchiv sind Unterlagen mehrerer Arbeitsgaue, auch vereinzelt Personalakten, vorhanden,<br />

keine jedoch von den Arbeitsgauen XX Westfalen-Süd und XVI Westfalen-Nord. Ab Mitte 1944 waren<br />

mehrere teils widersprüchliche Führerbefehle erlassen worden, die sowohl die Vernichtung von Akten<br />

als auch die der Infrastruktur betrafen, die jedoch unterschiedlich gehandhabt wurden. Der am 19. März<br />

1945 von Adolf Hitler unterzeichnete Befehl zu Zerstörungsmaßnahmen im Reichsgebiet, kurz Nero-<br />

Befehl genannt, war der abschließende Befehl, gegenüber den Angreifern das Prinzip der verbrannten<br />

Erde anzuwenden.<br />

2 Zeitzeugen-Gespräche wurden geführt mit Josef Dreckmann, Jahrgang 1919, und Adolf Lechler, Jahrgang<br />

1922.<br />

3 Bulderner Zeitung vom 12. April 1933.<br />

4 Bulderner Zeitung vom 23. Juli 1933: Eine Million Tagwerke!<br />

5 Forum für deutsche Militärgeschichte, „RAD-Abteilungen“, URL: http://forum.balsi.de/index.php?topi<br />

c=2060.0 (abgerufen am 2. März 2012).<br />

6 Stadtarchiv (StadtA) Dülmen, Amt Dülmen Akte C 881, Grundstücksangelegenheiten Zumegen/RAD-<br />

Lager.<br />

7 StadtA Dülmen, Adressbuch des Kreises Coesfeld 1937.<br />

8 Siehe Fußnote 5.<br />

9 Stadt Münster, „Beschlagnahme des Missionshauses 1941“. URL: http://www.muenster.org/kvg/navig/<br />

wir/histor/schgesch/1941/index.htm (abgerufen am 2. März 2012).<br />

10 Seite „Reichsarbeitsdienst“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 27. Februar 2012,<br />

19:07 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Reichsarbeitsdienst&oldid=100222260<br />

(abgerufen am 2. März 2012, 17:03 UTC).<br />

11 „Flak“ ist die Kurzform von „Flugabwehrkanone“.<br />

12 Seite „Civilian Conservation Corps“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 6. Juni<br />

2011, 20:03 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Civilian_Conservation_Corps&oldi<br />

d=89730368 (abgerufen am 2. März 2012, 17:08 UTC).<br />

13 HEINZ BRATHE: Dülmen im Zweiten Weltkrieg 1939. 1. Fortsetzung. In: <strong>Dülmener</strong> <strong>Heimatblätter</strong>,<br />

Jahrgang 37, Heft 1/2, 1990. S. 13.


Die Männer mit den geschulterten Spaten – das Lager des Reichsarbeitsdienstes auf . . . 37<br />

14 Siehe Fußnote 13.<br />

15 <strong>Dülmener</strong> Zeitung vom 28. September 1937.<br />

16 Ansprache von Ortwin Bickhove-Swiderski, Vorsitzender des DGB-Ortsverbandes Dülmen, am 9. November<br />

2008 aus Anlass des 70. Jahrestages der Novemberpogromnacht in Dülmen. URL: http:<br />

//www.gruene-duelmen.de/Rede.pdf (abgerufen am 13. April 2012).<br />

17 Studienkreis Bochumer Bunker e. V., URL: http://www.bochumer-bunker.de/rad_normbauten.html (abgerufen<br />

am 2. März 2012) mit Verweis auf primäre Quelle: VDI-Zeitschrift, Bd. 88, Nr. 29/30, v. 22. Juli<br />

1944, S. 381 – 389.<br />

18 Siehe Fußnote 4.<br />

19 <strong>Dülmener</strong> Zeitung vom 21. Mai 1938: Regulierung des Mühlenbaches.<br />

20 Abkürzung für „Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation“. Siehe auch: Seite „Nationalsozialistische<br />

Betriebszellenorganisation“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 12. Februar<br />

2012, 22:28 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Nationalsozialistische_Betriebszelle<br />

norganisation&oldid=99595970 (abgerufen am 9. März 2012, 16:08 UTC).<br />

21 Bulderner Zeitung vom 28. April 1933 und vom 27. August 1933.<br />

22 <strong>Dülmener</strong> Zeitung vom 3. März 1936, 5. März 1936 und 10. März 1936.<br />

23 <strong>Dülmener</strong> Zeitung vom 23. Juni 1936 und 24. Juli 1938.<br />

24 <strong>Dülmener</strong> Zeitung vom 22. September 1936 und 3. April 1937.<br />

25 Luftbilderserien US7GP2205 6. Juli 1944 (Bild 2124), Serie 16/15330 25. Dezember 1944 (Bild 4069),<br />

Serie 16/1740 22. Februar 1945 (Bild 4038) und Serie US332547 MAR (= März 1945) (Bild 2179). Die<br />

Einsicht und Auswertung der genannten Luftbildserien wurde dem Verfasser freundlicherweise beim<br />

Kampfmittelräumdienst der Bezirksregierung Arnsberg ermöglicht.<br />

26<br />

HEINZ BRATHE†, WOLFGANG WERP: Dülmen im Zweiten Weltkrieg – 1939 bis 1945. In: <strong>Dülmener</strong><br />

<strong>Heimatblätter</strong>, Sonderausgabe 2011, Seite 103.<br />

27 Siehe Fußnote 2.<br />

28 StadtA Dülmen, Amt Dülmen Akte B 570, Barackenlager des ehemaligen RAD-Lagers Karthaus 1952 –<br />

66.<br />

29 StadtA Dülmen, Amt Dülmen Akte B 572, Barackenlager des ehemaligen RAD-Lagers Karthaus 1960 –<br />

68.


<strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />

Seide für den König – Seide für den Führer: Die erfolglosen<br />

Bestrebungen zur Anpflanzung von Maulbeerbäumen im<br />

<strong>Dülmener</strong> Raum<br />

Die ersten Versuche im 19. Jahrhundert<br />

Im Jahre 1829 teilte der Coesfelder Landrat<br />

der Stadt Dülmen die Bekanntmachung zur<br />

„Beförderung des Seidenbaus in den Preußischen<br />

Staaten“ mit. 1 Inzwischen hatte die<br />

Wissenschaft erkannt, dass die Seidenraupe<br />

(der „Seidenwurm“) kein warmes Klima<br />

wie in China oder Südeuropa benötigte,<br />

sondern der Zuchterfolg lediglich von einer<br />

bestimmten Nahrung für das Tier– nämlich<br />

vom Maulbeerbaum – abhing. Seidenbau war<br />

also auch nördlich der Alpen in Deutschland<br />

möglich.<br />

Vier Jahre später, am 27. November<br />

1833, erkundigte sich die Regierung zu<br />

Münster nach den Fortschritten im Seidenbau<br />

und dabei vor allem, wie dieser „von<br />

einzelnen Schullehrern mit Erfolg getrieben<br />

werde“. Der Coesfelder Landrat wurde<br />

deshalb veranlasst, „nach Rücksprache<br />

mit den Schul-Inspektoren, mit Bezug auf unsere<br />

früheren Aufforderungen, in so fern in<br />

Ihrem Kreise sich Schullehrer für den Betreib<br />

des Seidenbaues sich interessieren, sie<br />

Morus alba<br />

nach Möglichkeit in den Stand zu setzen,<br />

Maulbeerbäume anzupflanzen“. Diese Aufforderung<br />

leitete der Landrat an die Bürgermeister<br />

seines Kreises und diese an die hiesigen Lehrer weiter. Die Lehrer der Schulen<br />

in der Stadt Dülmen und in den Bauerschaften Börnste, Dernekamp, Daldrup, Weddern,


Seide für den König – Seide für den Führer: Die erfolglosen Bestrebungen zur . . . 39<br />

Welte sowie in Merfeld bestellten daraufhin Maulbeerbaumpflänzlinge. Über den Lehrer<br />

zu Hausdülmen musste allerdings bemerkt werden, dass dieser „erklärt hat, dass er sich<br />

mit Anpflanzung von Maulbeerbaumpflänzlingen nicht befassen könne, auch wirklich dafür<br />

nicht qualifiziert ist“.<br />

Unterstützung durch den Magistrat<br />

Abgesehen von diesen Versuchen an den Schulen blieb die Resonanz im <strong>Dülmener</strong> Raum<br />

allerdings gering. Der <strong>Dülmener</strong> Magistrat – also die Leitung der Kommunalverwaltung –<br />

war offenbar gewillt, die Förderung des Seidenbaus zu unterstützen; doch musste dieser am<br />

24. Dezember 1855 an die vorgesetzte Behörde mitteilen, dass es ihm „noch nicht gelungen<br />

ist, diesseitige Eingesessene für den Zweck zur Förderung des Seidenbaus zu gewinnen“.<br />

Als Grund für diesen Misserfolg wurde angegeben: „Die geringere eingesessene Klasse<br />

dahier ist für Anhebung einer solchen Sache nicht geeignet, dieselbe muß, wenn sie ihr<br />

Bestehen haben will, sich streng an ihre Erwerbsgeschäfte halten und kann sonach keine<br />

Zeit erübrigen für Nebenversuch der fraglichen Art“. Wenige Jahre später, am 28. Januar<br />

1859, wurde aus Dülmen nach Münster gemeldet, dass man zwar immer noch keine<br />

Eingesessenen für die Anpflanzung von Maulbeerbäumen gewonnen hatte, allerdings<br />

wurde versichert: „Wir werden jedoch diese Angelegenheit nicht aus den Augen lassen<br />

und für deren Zustandekommen nach Möglichkeit Sorge tragen.“ 2<br />

Ablehnung durch die Stadtverordnetenversammlung<br />

Ganz anders sah dies im folgenden Jahr die <strong>Dülmener</strong> Stadtverordnetenversammlung: Im<br />

Protokoll zur Sitzung am 8. August 1860 wurde das bereits in den Jahren zuvor erkennbare<br />

Engagement des Magistrats erneut genannt: „Auf Anregung der Königlichen Regierung zu<br />

Münster, sucht der Magistrat die Seidenbauzucht in der hiesigen Gemeinde einzuführen, um<br />

für die geringen Leute ein gewinnbringendes Nebengewerbe zu schaffen. Hierzu ist es aber<br />

erforderlich zuerst“ Maulbeerbäume heranzuschaffen, ohne welche die Seidenbauzucht<br />

nicht betrieben werden kann. Der Magistrat beantragt daher aus der Kämmereikasse einen<br />

Beitrag von etwa 15 Thaler. Dies wurde von der Stadtverordnetenversammlung jedoch mit<br />

deutlichen Worten abgelehnt: „Die Versammlung der Stadtverordneten erklärte sich mit<br />

diesem Antrag nicht einverstanden, und glaubt dass die Seidenbauzucht“ [sic!] sich für die<br />

hiesige Stadt und Umgebung nicht eigne. 3 Und damit scheint die Angelegenheit erledigt<br />

gewesen zu sein – zumindest finden sich in den <strong>Dülmener</strong> Quellen für die folgenden Jahre<br />

keine weiteren Unterlagen zu Seidenbau und Maulbeerbäumen.


40 <strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />

Im Gegensatz zum Magistrat stellte sich die <strong>Dülmener</strong><br />

Stadtverordnetenversammlung im Jahre 1860 gegen das<br />

Maulbeerbaum- und Seiden-Projekt.


Seide für den König – Seide für den Führer: Die erfolglosen Bestrebungen zur . . . 41<br />

Nationalsozialismus: Fallschirmseide im Zweiten Weltkrieg<br />

Fast 80 Jahre später, zur Zeit des Nationalsozialismus, wurde der Seidenbau jedoch wieder<br />

Thema für die Kommunalverwaltung, als es galt, Fallschirmseide für die Luftwaffe zu<br />

produzieren. 4 Wie im Jahrhundert zuvor spielten auch nun erneut die Schulen eine wichtige<br />

Rolle. Die Seidenraupenzucht sollte eingebettet in die gesamte – nationalsozialistische –<br />

Erziehung und Kriegspropaganda: Der „Rohstoff Seide“, so hieß es, sei „für unsere<br />

Wehrmacht nicht zu ersetzen“; es gelte, „den Seidenbau im Interesse unserer Luftwaffe zu<br />

fördern“. Das Interesse der Schulkinder an diesem Thema sollte durch die Darstellung<br />

der Fallschirmjäger als „schneidige Truppe“ geweckt werden. Das Gesamtziel unter<br />

dem Slogan „Wir wollen unserer Luftwaffe helfen“ sollte durch mehrere im Lehrplan<br />

aufgeführte Teilziele erreicht werden, die darin bestanden, dass die Schulkinder lernen<br />

sollten, wie sie durch den Seidenbau die preiswertere Herstellung der teuren Fallschirme<br />

für die Luftwaffe unterstützen konnten. 5<br />

Anfang März 1939 rief im Zuge dieser Bestrebungen das Landratsamt in Coesfeld über<br />

die Lokalpresse die hiesigen Schulen zur Mitarbeit an dem großen Projekt des Seidenbaus<br />

auf, das – so die Darstellung in der <strong>Dülmener</strong> Zeitung – in anderen Regionen bereits<br />

Erfolge verzeichnen konnte. 6 Im <strong>Dülmener</strong> Raum blieben in den kommenden Jahren die<br />

Erfolge allerdings wie bereits im Jahrhundert zuvor aus.<br />

Beteiligung der Schulen im Amt Dülmen<br />

Anfang Juli 1939 wies der Regierungspräsident die Landräte zur verstärkten Durchführung<br />

von Maulbeerpflanzungen als Voraussetzung des Seidenbaus an, da die „Ausdehnung des<br />

Seidenbaues“ als „eine zwingende Notwendigkeit“ angesehen wurde. Gut zwei Monate<br />

später, kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, wurde ausdrücklich betont, es sei aus<br />

„wehrwirtschaftlichen Gründen“ dringend geboten, „in grösserem Ausmaße als bisher<br />

Seidenbau zu treiben“. Der Coesfelder Landrat ersuchte deshalb im September 1939<br />

angesichts des Rückgangs des Seidenbaus und trotz der fehlenden Eignung der hiesigen<br />

Bodenverhältnisse zum Anbau von Maulbeerbäumen die Bürgermeister seines Kreises,<br />

„in jeder Weise den Anbau von Maulbeerbäumen zu fördern.“ Wie in anderen Teilen des<br />

Landes und bereits 1833 wurde hierbei vor allem den Schulen eine entscheidende Rolle<br />

zugewiesen.<br />

Im März bestellte die Schule in Börnste 100 Maulbeerpflanzen, die Schulen in Daldrup<br />

Dernekamp, Rödder, Visbeck und Welte sogar jeweils 150 Stück. Wie gut hundert Jahre<br />

zuvor war Hausdülmen am Seidenbau-Projekt nicht beteiligt. Als Grund wurde jetzt allerdings<br />

nicht das Fehlen einer entsprechenden Eignung des Lehrers, sondern des Fehlen von


42 <strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />

geeignetem Land angeführt. Lehrer Elsbernd teilte am 12. April 1940 der Amtsverwaltung<br />

mit: „Eine Maulbeerpflanzung ist in Hausdülmen seitens der Schule nicht angelegt worden,<br />

weil es an passendem Gelände fehlt.“ Aus Merfeld wurde dem Amtsbürgermeister<br />

berichtet, dass bereits drei Jahre zuvor 100 Maulbeerpflänzlinge gesetzt worden waren, die<br />

nun „in der Entwicklung begriffen seien.“ Für neue Maulbeersetzlinge fehle der Platz. Der<br />

Lehrer der Schule Weddern konnte auf dem Schulgelände keine Fläche dafür finden, stellte<br />

für das kommende Jahr aber ein anderes Gelände in Aussicht. Anfang 1944 wurden in<br />

Weddern schließlich 160 Maulbeerbäume im Alter von zwei Jahren gezählt, mehr als die<br />

offensichtlich von 1939/40 übrig gebliebenen Pflanzen in den anderen Bauerschaften des<br />

Kirchspiels Dülmen. 7 Mit dieser Meldung endet die Überlieferung für das Amt Dülmen.<br />

Die Bereitschaft der Schulen zur Anpflanzung von Maulbeerbäumen als Grundlage des<br />

Seidenbaus war hier trotz des teilweise zu konstatierenden Mangels an Land vorhanden –<br />

wirkliche Erfolge blieben aber aus.<br />

Zurückhaltung in Buldern, Hiddingsel und Rorup<br />

Anders sah es mit der Bereitschaft in Buldern und Hiddingsel aus, wo bereits zu Beginn<br />

der Aktion die Bedingungen schlecht waren: Am 15. August 1939 und erneut ein halbes<br />

Jahr später, am 15. Februar 1940, teilte der Amtsbürgermeister dem Landrat mit, dass<br />

hier Maulbeerpflanzungen aufgrund des Fehlens von entsprechendem Grundbesitz nicht<br />

möglich seien. Im März 1940 wurde näher ausgeführt, dass „in hiesiger Gegend Ödland<br />

für eine Anpflanzung nicht zur Verfügung“ stehe. Man sehe „keine Möglichkeit, Platz<br />

für eine nennenswerte Menge von Bäumchen bezw. Sträucher in Vorschlag zu bringen“.<br />

Auch als Heckenanpflanzung käme der Maulbeerstrauch nicht in Frage, da er „dann in<br />

den allermeisten Fällen dem Befrass weidender Tiere“ ausgesetzt sei. Insgesamt sah der<br />

Amtsbürgermeister „hier keine Ansatzmöglichkeit zur erfolgversprechenden Anpflanzung<br />

des Maulbeerstrauches“. Nachdem auch in den folgenden Monaten auf Anfragen immer<br />

wieder Fehlanzeige wegen des Fehlens von Grundbesitz gemeldet wurde, zeigte sich der<br />

Landrat im Februar 1941 schließlich recht ungehalten: Er schien den Erklärungen aus dem<br />

Amt Buldern nicht recht Glauben zu schenken und vermutete, „dass die Angelegenheit<br />

dort nicht mit dem nötigen Interesse bearbeitet worden ist“. Er betonte erneut, für die<br />

Anpflanzung von Maulbeerbäumen sei kein eigener Grundbesitz erforderlich; die Pflanzen<br />

eigneten sich auch als Wegeeinfassungen und als Einfassungen von Schulgelände oder<br />

Schulgärten.<br />

Bis zum 20. August erwarte er deshalb aus dem Amt Buldern einen Bericht über die<br />

eingeleiteten Maßnahmen. Daraufhin wurde bereits im folgenden Monat aus Hiddingsel


Seide für den König – Seide für den Führer: Die erfolglosen Bestrebungen zur . . . 43<br />

Die Schule in Hiddingsel versuchte sich im Zweiten Weltkrieg wie die Schulen in Buldern und<br />

Hausdülmen durch den Verweis auf das Fehlen einer geeigneten Anbaufläche dem Maulbeerbaumund<br />

Seiden-Projekt zu entziehen<br />

gemeldet, dass der Schulplatz in Hiddingsel von Hecken umgeben sei, die sich im Privatbesitz<br />

der umliegenden Grundbesitzer befänden, und der Schulgarten nur auf einer Seite<br />

eine Hecke aufweise, an der jedoch Vieh vorbei getrieben wurde. Allerdings schien man<br />

hier wohl aufgrund der Vorhaltungen des Landrats nun doch zu Zugeständnissen bereit:<br />

Man wies darauf hin, dass sich bei der geplanten Anlage von Sportplatz und Badeanstalt<br />

vielleicht eine Maulbeeranpflanzung durchführen ließe. Wenige Monate später war zumindest<br />

in Buldern etwas Land für diesen Zweck gefunden – in Hiddingsel wurde im Januar<br />

1944 noch Fehlanzeige gemeldet. Allerdings gab man sich in Buldern als recht unerfahren<br />

aus und bat um Informationen, wo man die Pflanzen besorgen könne und wie diese zu<br />

pflanzen und zu düngen seien, woraufhin die Reichsfachgruppe Seidenbauer e. V. und


44 <strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />

ein Lehrer aus Borghorst Informationsmaterial nach Buldern schickten. Im August 1942<br />

konnte der Amtsbürgermeister dem Landrat endlich mitteilen, dass man demnächst mit<br />

der Anpflanzung von 500 Maulbeerpflanzen beginnen werde. Die meisten der im Frühjahr<br />

1943 beschafften Pflanzen waren jedoch im August 1944 bereits von Wühlmäusen zerstört.<br />

Eine neue Anschaffung wurde in Aussicht gestellt – wie im Kirchspiel Dülmen scheinen<br />

aber auch hier aufgrund des nun in ein kritisches Stadium geratenen Krieges weitere<br />

Maßnahmen nicht mehr erfolgt zu sein. 8<br />

Allerdings blieben auch nach dem Krieg Bemühungen der staatlichen Verwaltung zur<br />

Förderung des Seidenbaus bestehen, wie die Anfragen des Oberkreisdirektors im Auftrag<br />

des Regierungspräsidenten an den Roruper Amtsbürgermeister im Sommer 1946 belegen.<br />

Allerdings wurden hier wie bereits während des Krieges Maulbeerpflanzen nur für das<br />

Gelände der Volksschule in Lette gemeldet. In der Gemeinde Rorup hatte man sich dieser<br />

Aufgabe offensichtlich entziehen können. 9<br />

1 Hierzu und zum Folgenden: Stadtarchiv (StadtA) Dülmen, Stadt Dülmen, Bn 36.<br />

2 StadtA Dülmen, Stadt Dülmen, Bn 36.<br />

3 StadtA Dülmen, Stadt Dülmen, Bn 36.<br />

4 Zu Beispielen in anderen Orten aus dieser Zeit vgl. Ernst Schniepp, Maulbeerhain in Leutenbach.<br />

In: Leutenbacher <strong>Heimatblätter</strong> 10/2006, http://www.leutenbach.de/Maulbeerhain.pdf. Abgerufen am<br />

26. Februar 2012.; Art. „Seidige Erinnerungen: Gemeinderat will Maulbeerbäume schützen“. In:<br />

Pforzheimer Zeitung, http://www.pz-news.de/region_artikel,-Seidige-Erinnerungen-Gemeinderat-will-<br />

Maulbeerbaeume-schuetzen-_arid,178950.html. Abgerufen am 26. Februar 2012.<br />

5 Reichsfachgruppe Seidenbauer e. V. (Hg.), Seidenbau in der Schule. Seine Eingliederung in den Unterricht,<br />

Berlin 1940, S. 7 f. und 18 f.<br />

6 <strong>Dülmener</strong> Zeitung (DZ), 7. März 1939.<br />

7 StadtA Dülmen, Amt Dülmen, B 435.<br />

8 StadtA Dülmen, Gemeinde Buldern, B 156.<br />

9 StadtA Dülmen, Amt Rorup, B 391. – Für die Stadt Dülmen ist nur eine entsprechende Anfrage<br />

des Kreisschulrates vom 5. März 1939, aber keine Antwort der Schule überliefert: StadtA Dülmen,<br />

Josefschule, Nr. 5.


Franz König<br />

Es lebe unser Waldfriedhof – und sein Haus der Toten.<br />

Ihre Beziehung zueinander und zur Stadt.<br />

Der Prozessionsweg zum <strong>Dülmener</strong> Waldfriedhof<br />

Wenn ich auf meinen Studien- und Urlaubsreisen Städte, Ortschaften, Dörfer besuchte,<br />

haben mich immer auch und fast zwanghaft, ihre Friedhöfe angezogen. Sie stehen für<br />

Kultur, sie stellen Geschichte dar, sie erzählen Schicksale. Sie vermitteln dem Besucher<br />

aber auch Ruhe, Nachdenklichkeit, inneren Frieden. Daher ist es wichtig, dass der Friedhof


46 Franz König<br />

von jedem und besonders von der häufig nicht motorisierten älteren Generation ohne<br />

Umstände erreichbar ist. Er gehört zum Leben und nicht ins Abseits, etwa weil er uns<br />

unsere Endlichkeit bewusst macht.<br />

Damit bin ich bei der mir wichtigsten Frage: Wie ist unser Waldfriedhof eingebunden<br />

in das Leben, in die Stadt und wie versuchte man damals, bei seiner Neuanlage, Nähe zu<br />

schaffen?<br />

Der <strong>Dülmener</strong> Waldfriedhof (Teilansicht)<br />

Quellen zu dieser Betrachtung waren für mich zunächst eigene Erinnerungen an<br />

Gespräche mit Menschen aus meinem beruflichen Umfeld. Diese Erkenntnisse konnte ich<br />

unlängst erhellen und ergänzen durch Heft 2 der <strong>Heimatblätter</strong> von 1933 aus dem Archiv<br />

des Heimatvereins Dülmen.


Es lebe unser Waldfriedhof – und sein Haus der Toten. . . . 47<br />

Die Aussegnungshalle<br />

1927 gab es hier nur eine Kirchengemeinde: St. Viktor. Sie betrieb und betreute den<br />

Mühlenwegfriedhof. Dessen Belegung stieß an Grenzen. Um Abhilfe zu schaffen, kooperierte<br />

der Kirchenvorstand mit dem Heimatverein. Dessen Vorsitzender war Domänenrat<br />

August Kreuz; ein angesehener <strong>Dülmener</strong> Bürger, kulturgeschichtlich interessiert, fachkundig<br />

auch, eine Persönlichkeit mit wichtigen und nützlichen Verbindungen.<br />

Nachdem für die Neuanlage des Friedhofs ein Gelände des Herzogs von Croÿ im<br />

Süden der Stadt durch Tausch mit Grundflächen der Kirchengemeinde zur Verfügung<br />

stand, wurde der Friedhof nach einem Wettbewerb unter Gartenarchitekten in den Jahren<br />

1928/29 angelegt.<br />

Zuvor hatte August Kreuz sich die planerische Mitwirkung des von ihm hochgeschätzten<br />

Architekten Gustav Wolf aus Münster gesichert. Der hatte in sein „Zukunftsbild<br />

Waldfriedhof “ die Anregung der Initiatoren zur kürzestmöglichen Anbindung an die Stadt<br />

aufgenommen, nämlich, einen Prozessionsweg auszubauen: Beginnend am Emmerickfriedhof<br />

(heute Kreuzkirche), über die Straße „Am Bache“, am Evangelischen und Jüdischen


48 Franz König<br />

Friedhof vorbei, beim Hof Wewerinck unter den Bahndamm hindurch geradenwegs auf<br />

den Haupteingang des Waldfriedhofs zugeführt.<br />

Das sollte die Krönung sein (Zitat) – eine geradezu geniale Idee! Aber: Wer konnte<br />

und wollte das bezahlen? Kirchengemeinde und Heimatverein suchten die Mithilfe der<br />

Stadt. Die lehnte, unter dem damaligen Bürgermeister Dr. Sicking, ab. Damit war mal<br />

wieder ein wichtiges Vorhaben Städtebau kurzsichtig vertan.<br />

Und was geschieht heute?<br />

Die geplante „Südtangente“, als wichtige, stadtumfahrende Verkehrsanbindung Richtung<br />

Ruhrgebiet geplant, wird den Vorplatz des Friedhofs anschneiden und entlang der<br />

Grenze des dort erweiterten Friedhofs geführt werden – ein unverzeihlicher Missgriff.<br />

Unser Waldfriedhof wird in Zukunft arg bedrängt sein. Vielleicht greift die Stadt, als<br />

Ausgleich für die vorgenannte Fehlleistung, den Gedanken „Prozessionsweg“ wieder auf<br />

und verwirklicht ihn samt Fußgängertunnel, die vor achtzig Jahren gescheitert sind.<br />

Modellstudie der Aussegnungshalle<br />

Werfen wir nun unsern Blick auf die Aussegnungshalle – spiritueller Schwerpunkt der<br />

Friedhofsanlage. Nach dem Kriege hat es an dieser Stelle ein bescheidenes Backsteingebäude<br />

gegeben. An dieses wurde, wohl in den siebziger Jahren, ein Funktionsgebäude,<br />

schwarz verblendet und mit Flachdach, angedockt.


Es lebe unser Waldfriedhof – und sein Haus der Toten. . . . 49<br />

Grundrisszeichnung der Aussegnungshalle


50 Franz König<br />

Für den Bau einer bedarfsgerecht größeren Aussegnungshalle wurde dann 1986 ein<br />

Wettbewerb unter mehreren Architekten ausgeschrieben. Nach Begutachtung durch ein<br />

Fachgremium wurde der Verfasser mit Planung und Bauüberwachung beauftragt.<br />

Der Bau für den Abschied vom Toten – eine ganz besonders sensible Aufgabe für den<br />

Planer.<br />

Der Mensch in einer Grenzsituation und die menschliche Würde verlangen eine<br />

bauliche Entsprechung: Der Tote verdient Respekt, die um ihn trauern brauchen Rücksichtnahme.<br />

Es gibt viele Beispiele zur Lösung einer solchen Aufgabe: Symbolträchtige, expressionistische,<br />

dramatisch gesteigerte und zuweilen auch skurrile Bauformen.<br />

Keine hat mich je so beeindruckt, wie das Einfache: Die Pyramiden der frühen Ägyptischen<br />

Kultur, die große, schlichte Form.<br />

Sie versinnbildlicht wie keine andere das Werden und Vergehen: Die breite Basis des<br />

beginnenden Lebens, das gleichmäßige Schwinden zur auslaufenden Spitze hin – hier<br />

verschoben zum Schwerpunkt des Raumes, dem Ort der Aufbahrung.


Es lebe unser Waldfriedhof – und sein Haus der Toten. . . . 51<br />

Innenansicht der Aussegnungshalle<br />

Und dann ist auch der genius loci bei dem Architekten ein hilfreicher Partner: Die<br />

ehemalige Heide-Vegetation, die man noch spürt, die Nadelbäume, die raumbildenden<br />

Rhododendrengehölze, die Birkenbäume, die Eichen, mal dicht gruppiert, mal raumgebend,<br />

die strenge Wegeführung. All diese Elemente bilden eine Landschaftscharakteristik, die<br />

die große Form braucht.<br />

Besonderes Augenmerk galt auch der Fassung des Eingangs. Er wird räumlich erst<br />

durch das vorgestellte Pfeilerpaar. Über diesem ein „Tympanon“ mit eingefügtem, filigran<br />

gestalteten Kreuzbalken.<br />

Im Quadrat des Grundriss’ ist die Wegführung der Kreuzform nachgebildet, dem<br />

Sinnbild christlichen Glaubens. An dessen Balkenenden öffnet sich der Raum zur umgebenden<br />

Natur. Spätes Eingeständnis des Architekten: heute würde er diese Ausblicke durch<br />

Ganzglaselemente weitgehend entmaterialisieren, zum grenzenlosen Dialog von innen<br />

und außen. Dem Licht und seinem Hineinführen in den Raum kommt, trotz bergender<br />

Rücksichtnahme für die Trauernden, besondere Bedeutung zu. Es gibt kein Entrücktsein;<br />

wir leben ja im Diesseits wie in der jenseitigen Welt.


52 Franz König<br />

Das Quadrat wird in allem deutlich, umschließt in seiner kleinsten Einheit wieder das<br />

Kreuzsymbol: in den Fenstern, im Ambomantel und in den Rücklehnen der Bestuhlung.<br />

Auch bei dieser haben wir den Zeichenstift angesetzt zu archaischer Einfachheit. Letzte<br />

Bequemlichkeit fehlt, eher nötigt sie Haltung ab – hier sei’s angemessen.<br />

Mit den verwendeten Materialien,<br />

dem kraftvoll bruchrauen Sandstein außen,<br />

dem hellen Kellenputz raumumfassend,<br />

dem urwüchsigen Porphyrpflaster im Wegekreuz,<br />

dem feinflächigen Marmor unter der Bestuhlung,<br />

dem strukturbelassenen Holz des transparenten Dachtragwerks<br />

glaube ich eine stützende Synthese gefunden zu haben<br />

zum Dialog mit dem Bauwerk,<br />

zu einer angemessenen Atmosphäre und<br />

zu kontemplativem Raumerlebnis.


<strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />

Müllabfuhr auf dem Lande: Die Anfänge der geregelten<br />

Müllentsorgung in den <strong>Dülmener</strong> Umlandgemeinden<br />

Was für Probleme die Müllentsorgung bereiten kann, zeigt in Dülmen die seit April 2010<br />

öffentlich geführte Debatte zu der in Rödder geplanten Deponie.<br />

Auch in der Vergangenheit erwies sich der verantwortungsbewusste Umgang mit<br />

Abfall als Herausforderung für die Verwaltung. Die Städte waren zuerst mit diesem<br />

Thema konfrontiert, für die ländlichen Gemeinden wurde dies jedoch erst später zu einem<br />

Problem.<br />

So war in der Stadt Dülmen die Abfallentsorgung bereits vor dem Ersten Weltkrieg<br />

organisiert und reguliert. Eine Müllabfuhrsatzung, die auch die Gebühren regelte, wurde<br />

hier 1911 erlassen. 1 Dass die Müllabfuhr ein wichtiges Aufgabengebiet der städtischen<br />

Verwaltung war, ist aus den Verhandlungen im November 1946 zu erkennen. Ein Jahr<br />

nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lag die zerstörte Stadt noch in Trümmern. Mit<br />

dem Wiederaufbau hatte man hier gerade erst begonnen. Nachdem die Stadtverwaltung<br />

jedoch festgestellt hatte, dass die alte Müllabfuhrgebührenordnung im Krieg vernichtet<br />

worden war, beschloss man unverzüglich, eine neue zu entwerfen, damit schnell wieder<br />

eine reguläre Entsorgung des Hausmülls durchgeführt werden konnte. 2<br />

In den <strong>Dülmener</strong> Umlandgemeinden wurde die Organisation einer geregelten Müllabfuhr<br />

jedoch erst mehrere Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Aufgabe der<br />

Kommunalverwaltung, als auf dem Lande auch in anderen Bereichen – wie z. B. Kanalisation,<br />

Straßenbau, Straßenbeleuchtung – umfassende Modernisierungsmaßnahmen<br />

durchgeführt wurden.<br />

Buldern und Hiddingsel<br />

In Buldern, dem infrastrukturell schon länger am weitesten entwickelten Ort des <strong>Dülmener</strong><br />

Umlands, scheint man das Problem zuerst erkannt zu haben. Zumindest berichtete die<br />

Lokalpresse im Oktober 1950: „Schon lange ist in Buldern der Wunsch laut geworden,<br />

daß eine geregelte Müllabfuhr eingerichtet wird. So hat sich nun ein Fuhrunternehmer<br />

bereit erklärt, alle Woche einmal die Abholung vorzunehmen, wofür monatlich eine DM<br />

gezahlt werden soll. Somit würde endlich das Dorf von Schuttabladeplätzen, die sich<br />

wild an Wegen, Hecken und Zäunen gebildet haben, frei werden. Hoffentlich wird jeder<br />

Haushalt diese Gelegenheit wahrnehmen, wo noch in aller Kürze darauf zurückgekommen<br />

wird.“ 3 Danach war in der Presse jedoch für mehrere Jahre aus Buldern nichts zum Thema


54 <strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />

Müllabfuhr zu hören. 4 Bewegung in die Angelegenheit kam schließlich erst 1961: Die<br />

Gemeinde Buldern strebte nun die Einführung einer Müllabfuhr an. Im Gemeinderat<br />

wurde die Überlegung angestellt, sich in Sachen Müllabfuhr einer benachbarten Gemeinde<br />

anzuschließen, da die Anschaffung eines eigenen Fahrzeuges für die 500 Haushalte in<br />

Buldern für unwirtschaftlich gehalten wurde. Eine entsprechende Bitte des Amtsdirektors<br />

von Buldern vom 17. August 1961 musste der Verwaltungschef der aufstrebenden Nachbarstadt<br />

Dülmen vier Tage später jedoch abschlägig bescheiden, da man hier „durch die<br />

ständige Vergrößerung der Stadt voll ausgelastet“ sei. 5 Im Amt Buldern ließ man sich<br />

deshalb entsprechende Angebote verschiedener Firmen kommen. Der Zuschlag ging an<br />

die Firma Fuchs in Harsewinkel, die nun die Müllabfuhr in den beiden amtsangehörigen<br />

Gemeinden Buldern und Hiddingsel übernahm. Das hier eingesetzte Fahrzeug führte auch<br />

die Müllabfuhr in Everswinkel, Wadersloh und sieben anderen Gemeinden der Region<br />

durch. 6<br />

Eine staubfreie Müllabfuhr (d. h. mit<br />

genormten und fest verschließbaren Behältern)<br />

in eigener Regie erfolgte in der Gemeinde<br />

Buldern schließlich ab dem 1. Februar<br />

1962, und zwar einmal wöchentlich,<br />

jeweils am Freitag. Jeder Haushalt war nun<br />

verpflichtet, zu diesem Zweck genormte<br />

Mülleimer anzuschaffen. Die Kosten hierfür<br />

lagen je nach Größe des Mülleimers<br />

zwischen 0,70 und 0,90 DM. 7 In Hiddingsel<br />

– wo man noch im Dezember 1961<br />

nicht mit einer schnellen Einführung gerechnet<br />

hatte – wurde die staubfreie Müllabfuhr<br />

zum 1. März 1962 eingerichtet. 8<br />

Gewisse Probleme blieben aber bestehen:<br />

Einzelne Bulderaner verzichteten darauf,<br />

das kostenpflichtige Angebot der Müllabfuhr<br />

in Anspruch zu nehmen, und brachten<br />

ihren Müll selbst zur Müllkippe. Dies<br />

war selbstverständlich nicht verboten, wie<br />

die Amtsverwaltung über die Lokalpresse<br />

öffentlich mitteilen ließ; doch es entstan-<br />

Einer der ersten Bereiche der Gemeinde Dülmen-<br />

Kirchspiel mit Müllabfuhr: Dernekamp<br />

den Probleme dadurch, dass diese Personen ihren Müll im Eingangsbereich der Müllkippe


Müllabfuhr auf dem Lande: Die Anfänge der geregelten Müllentsorgung in den . . . 55<br />

abluden und es so dem Müllwagen sehr schwer oder gar unmöglich machten, die Müllkippe<br />

zu befahren. 9 Daneben zeigte sich ein weiteres Problem: Viele Bürger in Buldern und<br />

Hiddingsel wussten offensichtlich nicht, was als „Hausmüll“ in den Mülleimer gehörte<br />

und was nicht (z. B. Asche, Schlamm, Gartenabfälle, Flüssigkeiten, tote Tiere, entzündbare<br />

Stoffe und sperrige Gegenstände) – Grund für eine Aufklärung der Bevölkerung über<br />

die Lokalpresse. 10 Auch so genanntes „wildes Müllabladen“ musste weiterhin geahndet<br />

werden. 11<br />

Rorup<br />

Das wilde Schuttabladen wurde fast zur selben Zeit wie in Buldern auch in Rorup 1950<br />

erstmals öffentlich beklagt. 12 Eine organisierte Müllabfuhr wurde hier aber noch nicht<br />

in Erwägung gezogen. Auch Mitte der 1950er-Jahre meinte man in Rorup noch, auf die<br />

Einrichtung einer Müllabfuhr, die ja den Bürgern Kosten verursachen würde, verzichten<br />

zu können. Jedoch wurde diese Meinung schnell revidiert: Nur sehr wenige brachten ihren<br />

Müll ordnungsgemäß zur Schuttabladestelle bei Bonekamp – für die meisten Roruper war<br />

zu konstatieren, dass sie „den Müll irgendwo abkippen, nicht aber an dem vorgesehenen<br />

Platz.“ Für den Fall, dass die öffentliche Ermahnung der Bevölkerung über die Lokalpresse<br />

keine Wirkung zeigen sollte, müsste dann doch „eine Müllabfuhr mit Zwangsanschluß“<br />

eingerichtet werden. 13 Im Februar 1957 wurden schließlich Überlegungen zur Einrichtung<br />

einer Müllabfuhr angestellt. Im folgenden Monat beschloss der Roruper Gemeinderat<br />

die Einführung einer gemeindlichen Müllabfuhr, die jeweils am Freitag stattfinden sollte.<br />

Durchgeführt wurde dies durch einen ortsansässigen Landwirt, der hierfür 20 DM je<br />

Abfuhrtag erhielt. 14<br />

Aber noch im Jahre 1965 gab es „Ärger mit dem Müll“: Man hörte Klagen über<br />

unerlaubtes Müllabladen u. a. am Speckkamp sowie an der Billerbecker Straße und damit<br />

über eine Zunahme der Ratten. Deshalb wurde der Bevölkerung nochmals in Erinnerung<br />

gerufen, dass es für Hausmüll die Müllabfuhr am Freitag gebe; sperrige Gegenstände<br />

und Gartenabfälle müssten zur Müllkippe bei Haus Rorup gebracht werden. Angekündigt<br />

wurde zugleich ein strafrechtliches Vorgehen gegen Personen, die ihren Müll weiterhin in<br />

Straßengräben entsorgten. 15<br />

Ende 1970 beschloss die Gemeinde Rorup zum 1. Juli 1971 die Einführung der<br />

staubfreien Müllabfuhr innerhalb des Dorfes Rorup; ausgenommen blieben laut Satzung<br />

vom 14. Juni 1971 „die Bauerschaften Kirchspiel Rorup mit Ausnahme der Haushaltungen<br />

an der <strong>Dülmener</strong> Straße“. Die Aufgabe übernahm – wie seit dem 1. Januar 1971 für<br />

Darup – der Fuhrunternehmer Josef Rethmann aus Selm. 16 Wie über die Lokalpresse


56 <strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />

drei Tage vor der Einführung mitgeteilt wurde, mussten die (genormten und mit einer<br />

Gebührenplakette zu versehenden) Mülleimer jeweils donnerstags spätestens um 7 Uhr an<br />

die Bordsteinkante gestellt werden. 17<br />

Kirchspiel und Hausdülmen<br />

Auch in der Gemeinde Dülmen-Kirchspiel<br />

– und hier<br />

zuerst in der seit 1930 zum<br />

Kirchspiel gehörenden Siedlung<br />

Hausdülmen – stand am<br />

Anfang das Problem der wilden<br />

Müllentsorgung an dafür<br />

nicht vorgesehenen Plätzen.<br />

Im September 1954 waren<br />

das Fehlen eines geeigneten<br />

Müllabladeplatzes und die<br />

daraus resultierende „planlose<br />

Müllablagerung“ u. a. an<br />

Wasserläufen Thema im Gemeinderat,<br />

der zur Prüfung<br />

der Verhältnisse eigens eine<br />

Kommission einsetzte. 18 Mit<br />

dem Ergebnis waren jedoch<br />

Einer der ersten Bereiche der Gemeinde Dülmen-Kirchspiel mit<br />

Müllabfuhr: Hausdülmen<br />

nicht alle zufrieden, wie ein Leserbrief aus dem Jahre 1956 belegt, der neben den Mängeln<br />

der neuen Müllkippe auch ganz allgemein die mangelnde Berücksichtigung des Dorfes<br />

Hausdülmen in der Gemeinde Kirchspiel beklagte. 19 Nachdem sich die Verwaltung des<br />

Amtes Dülmen zwei Jahre lang vergeblich um eine geregelte Müllabfuhr für Hausdülmen<br />

bemüht hatte und verschiedene Fuhrunternehmer abgelehnt hatten, erklärte sich im Februar<br />

1959 schließlich Gemeindevertreter Brockmann bereit, mit zwei Hilfskräften gegen eine<br />

kleine Vergütung zukünftig jeweils am Samstag den Abtransport des Hausdülmener Mülls<br />

zu übernehmen.<br />

Für Unmut sorgte in der Lokalpresse jedoch die Tatsache, dass das Finanzamt 20%<br />

dieser geringfügigen Vergütung von 10 DM fordern werde. Die <strong>Dülmener</strong> Zeitung kommentierte<br />

dies mit folgenden Worten: „Uns will scheinen, dass das Finanzamt in Coesfeld<br />

in diesem besonders gelagerten Falle ruhig einmal großzügig sein und eine Ausnahme-


Müllabfuhr auf dem Lande: Die Anfänge der geregelten Müllentsorgung in den . . . 57<br />

genehmigung erteilen sollte. Wer wird denn sonst den Müll in Hausdülmen abfahren?<br />

Vielleicht das Finanzamt?“ 20<br />

Nach der am 25. Februar 1959 vom Rat<br />

der Gemeinde Dülmen-Kirchspiel erlassenen<br />

Satzung über die Müllabfuhr in der Ortschaft<br />

Hausdülmen wurde als Jahresgebühr<br />

für jedes bebaute Grundstück, das Wohnoder<br />

Geschäftszwecken diente, der Betrag<br />

von 12 DM, für jede weitere Wohnung<br />

des Grundstücks 6 DM festgesetzt. Bei der<br />

Verabschiedung der Satzung hatte es jedoch<br />

einen Formfehler gegeben: Die Beschlussniederschrift<br />

und die Satzung waren<br />

von Ratsmitglied Potthoff und nicht von<br />

Bürgermeister-Stellvertreter Averkamp unterschrieben<br />

worden, so dass die Satzung<br />

als nicht rechtmäßig zustande gekommen<br />

galt. Deshalb musste am 11. September<br />

1959 eine neue Satzung beschlossen worden,<br />

die am 23. Dezember des Jahres vom<br />

Kreis Coesfeld genehmigt wurde. 21 Gut<br />

zwei Jahre später beschloss der Gemeinderat,<br />

die Müllabfuhr zum 1. April 1962 in<br />

eine staubfreie Müllabfuhr umzuwandeln,<br />

wozu sich der Fuhrunternehmer Lehmkuhl<br />

aus Lavesum bereit erklärte. Die neue Satzung<br />

über die Müllabfuhr wurde daraufhin<br />

im Gemeindrat mit 14 Ja-Stimmen, drei<br />

Gegenstimmen und einer Enthaltung angenommen.<br />

22<br />

Einer der ersten Bereiche der Gemeinde Dülmen-<br />

Kirchspiel mit Müllabfuhr: Süskenbrock<br />

Nachdem die Müllabfuhr zu Anfang nur in der Siedlung Hausdülmen durchgeführt<br />

worden war, wurde 1964 im Gemeinderat beschlossen, nun auch einen Teil der Bauerschaft<br />

Dernekamp einzubeziehen. 1966 wurde in Hausdülmen und im „Bereich Süskenbrock“<br />

jede Woche, im „Bau- und Wohngebiet Dernekamp“ jede zweite Woche die Müllabfuhr<br />

durchgeführt. 1970 folgte ein Teil der Bauerschaft Rödder. 23


58 <strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />

Merfeld<br />

Merfeld bildete schließlich das Schlusslicht. Auch hier begann es – im Juli 1967 – nach<br />

Inspektionen durch die Verwaltungsleitung mit Klagen über „wildes Müllkippen“, wofür<br />

auch Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft angedroht wurden. 24 Die Amtsverwaltung wies<br />

deshalb im August den Wegearbeiter Schüttert an, widerrechtliches Müllabkippen „unauffällig“<br />

zu beobachten. Ebenso ließ sie im September öffentlich bekannt machen, dass<br />

sich Interessenten für die Durchführung der gemeindlichen Müllabfuhr melden sollten. 25<br />

Im Oktober wurde die Vorbereitung einer entsprechenden Satzung beschlossen. 26 Noch<br />

im Dezember des Jahres wurde eine staubfreie Müllabfuhr durch die Firma Rethmann<br />

aus Selm angekündigt. 27 Auch hier wurde zuerst der „innerhalb der im Zusammenhang<br />

gebauten Ortslage der Gemeinde Merfeld anfallende Hausmüll“ abgefahren. 28<br />

Fazit<br />

Als Gemeinsamkeiten für alle <strong>Dülmener</strong> Umlandgemeinden lassen sich somit erkennen:<br />

Die Auseinandersetzung mit der Problematik „Müll“ begann mit dem Erkennen des Problems<br />

„wilder“ Müllentsorgung an dafür nicht vorgesehenen Plätzen. Bei der Einführung<br />

der Müllabfuhr wurden zuerst die Dörfer und Siedlungen berücksichtigt, erst später die<br />

Bauerschaften. Vorrangig ging es in den Aktionen gegen das wilde Müllkippen um das<br />

Dorf- und Landschaftsbild sowie um Fragen der Hygiene, die durch Ungeziefer und Ratten<br />

bei wilder Müllentsorgung bedroht schien. „Umweltschutz“ im heutigen Sinne wurde<br />

dabei nicht diskutiert. Dies sollte erst einige Jahre später – bis heute – die Diskussion zum<br />

Thema „Müll“ prägen.<br />

1 Stadtarchiv (StadtA) Dülmen, Stadt Dülmen, Bi 75; DZ, 4. und 29. April 1911. – Auch in der Stadt<br />

Bocholt wurde zu dieser Zeit die Müllabfuhr eingerichtet: TEMBRINK, WOLFGANG: „Aus Gründen<br />

des städtischen Wohls“ – zur Einführung der städtischen Müllabfuhr in Bocholt. In: Unser Bocholt 62/2,<br />

2011, S. 11 – 26.<br />

2 StadtA Dülmen, Stadt Dülmen, D 3182.<br />

3 <strong>Dülmener</strong> Zeitung (DZ), 12. Mai 1950.<br />

4 1955 wurde in der Lokalpresse lediglich kurz über eine neue Schuttabladestelle nach der Kleuterbachregulierung<br />

berichtet: DZ, 2. März 1955. Vgl. auch die Gemeinderatsprotokolle: StadtA Dülmen, Gemeinde<br />

Buldern, B 68.<br />

5 StadtA Dülmen, Stadt Dülmen, C 323.<br />

6 StadtA Dülmen, Stadt Dülmen, C 321, C 322 und C 323.


Müllabfuhr auf dem Lande: Die Anfänge der geregelten Müllentsorgung in den . . . 59<br />

7 DZ, 16. Januar 1962; zuvor war die Müllkippe am Mühlenbach (am „Toten Arm“) geschlossen worden:<br />

DZ, 14. Dezember 1961; vgl. StadtA Dülmen, Gemeinde Buldern, C 323. Für die Stadt Dülmen wurde<br />

in der Lokalpresse Ende Januar 1962 die Einführung der staubfreien Müllabfuhr zum 9. Februar 1962<br />

angekündigt: DZ, 31. Januar 1962. In Warendorf war die staubfreie Müllabfuhr zum 1. Juli 1958<br />

eingeführt worden: CORNELSEN, VOLKER: Von der Wippe zur Kläranlage und zum Recyclinghof.<br />

Die Entwicklung der Abwasser- und Abfallbeseitigung in Warendorf. In: LEIDINGER, PAUL (Hg.):<br />

Geschichte der Stadt Warendorf, Bd. 2. Warendorf 2000, S. 485 – 488, hier S. 488.<br />

8 DZ, 31. Januar 1962<br />

9 DZ, 22. Februar 1964.<br />

10 DZ, 7. Januar 1965.<br />

11 DZ, 12. Mai 1966.<br />

12 DZ, 24. Juni 1950; auch: 15. Oktober 1953.<br />

13 DZ, 15. Mai 1956.<br />

14 StadtA Dülmen, Amt Rorup, C 317.<br />

15 DZ, 26. Oktober 1965.<br />

16 StadtA Dülmen, Amt Rorup, C 317 und C 318; DZ, 5. Februar und 4. Mai 1971.<br />

17 DZ, 28. Juni 1971.<br />

18 StadtA Dülmen, Amt Dülmen, B 111; DZ, 30. September 1954.<br />

19 DZ, 31. März 1956; vgl. hierzu auch das Protokoll der Gemeinderatssitzung v. 8. März 1956: StadtA<br />

Dülmen, Amt Dülmen, B 111.<br />

20 DZ, 27. Februar 1959.<br />

21 StadtA Dülmen, Amt Dülmen, B 111 und C 201.<br />

22 StadtA Dülmen, Amt Dülmen, C 201.<br />

23 StadtA Dülmen, Amt Dülmen, C 195, C 197, C 201 und C 647.<br />

24 DZ, 22. Juli 1967.<br />

25 StadtA Dülmen, Amt Dülmen, C 196.<br />

26 StadtA Dülmen, Amt Dülmen, C 641.<br />

27 DZ, 22. ˜Dezember 1967.<br />

28 StadtA Dülmen, Amt Dülmen, C 145.


Erik Potthoff<br />

Der Schloss-/Burgplatz um 1920<br />

Da sich das Stadtbild Dülmens in den vergangenen Jahrzehnten allein durch die gewaltige<br />

Zerstörung der „historisch gewachsenen“ Innenstadt gegen Ende des Zweiten Weltkrieges<br />

enorm verändert hat, lohnt sich ein Vergleich alter Stadtansichten mit der heutigen Situation<br />

vor Ort. Auch der Wiederaufbau und die Jahre des Wirtschaftswunders haben die<br />

Straßenzüge von Grund auf verändert. Gleichzeitig können auf manchen alten Ansichten<br />

Details entdeckt werden, die erhalten geblieben und auch heute noch zu finden sind.<br />

Näherte sich der Besucher Dülmen zwischen 1909 und 1945 von Südwesten her, so<br />

bot sich ihm in Höhe des Mühlenwegs die Stadtsilhouette mit dem Turm der St.-Viktor-<br />

Kirche im Zentrum, welche die hier vorgestellte Ansichtskarte festhielt.<br />

Der abgebildete Platz zwischen Vorpark links und Schlossgarten rechts wurde in<br />

Anlehnung an eines der Festungswerke allgemein nur als „Burgtor“ bezeichnet. „Die<br />

‚Borgporte‘, ein hoher, mächtiger Torturm mit Treppengiebel – sein Aussehen hielt Wenzel<br />

Hollar in seiner Federzeichnung von 1634 fest – wurde nach einer Urkunde vom 22. Februar<br />

1770 von Johann Heinrich Winckel für 50 Reichstaler nicht vollständig beseitigt,<br />

sondern nur soweit abgebrochen, dass sie weiterhin als Kontrollstation dienen konnte.<br />

Das Vortor war schon bei der Einebnung der Wälle durch die Hessen im Jahre 1640 als<br />

überflüssig und dem Verkehre hinderlich fortgeräumt worden.“ 1 Das innere Torhaus des<br />

Burgtorwerkes befand sich allerdings ein wenig mehr stadteinwärts auf Höhe des heutigen<br />

Südrings.<br />

Der zur Kirche verlaufende Straßenzug war die „Kleine Burgstraße“, die spätere<br />

Schlossstraße. Vorn rechts führte der Mühlenweg über den Teutenrod zur Großen Teichsmühle<br />

und von dort nach Sythen und Haltern. Er war seit ältesten Zeiten die einzige<br />

Verbindung in den Süden. Die heutige Kunststraße der L 551 durch Hausdülmen nach<br />

Haltern wurde erst seit 1811 auf Befehl Napoleons angelegt.“ 2<br />

Im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs zur Beendigung eines zwischen dem Fürstbistum<br />

Münster und der Witwe Grete Dolhofen 3 1794 begonnenen Rechtsstreits erhielt<br />

Herzog August Philipp von Croÿ als Rechtsnachfolger des Fürstbistums 1804 das an der<br />

großen Burgstraße (heute: Halterner Straße) gelegene Wohnhaus mit großem Garten. Im<br />

Gegenzug hierfür und einer landwirtschaftlichen Fläche, die später zum Teil des Wildparks<br />

wurde, ging die frühere Dechanei an der Münsterstraße (ab 1815 Gastwirtschaft Franz<br />

Limberg 4 ) in das Eigentum der Witwe Dolhofen über.<br />

In dem vermutlich aus dem 17. Jahrhundert stammenden auf fast quadratischem Grundriss<br />

errichteten „Alten Schloss“ richtete Herzog August Philipp von Croÿ seine Residenz


Der Schloss-/Burgplatz um 1920 61<br />

Halterner Straße um 1920<br />

ein. Zur Arrondierung der Besitzung erwarb der Herzog zusätzlich im Jahre 1805 von<br />

der Stadt Dülmen den vor dem Burgtor östlich gelegenen Binnengraben einschließlich<br />

Festungswall. 5 Der Verkauf des restlichen Brückenhauses am Burgtorwerk erfolgte (angeblich)<br />

1818. Wegegeld wurde hingegen noch bis zum Jahr 1836 kassiert. 6 1838 ließ Herzog<br />

Alfred den Garten mit einer Mauer umfrieden und rahmende Gehölze sowie malerische<br />

Einzelbäume pflanzen. Nach Ankauf weiterer Bürgergärten gab es erste Überlegungen<br />

zur Ausgestaltung der gesamten Schlossgartenanlage, die jedoch zunächst nicht realisiert<br />

wurden.<br />

„Den Grundstein für das neue Schloss, ein repräsentativer Wohnbau im klassizistischen<br />

Stil, legte 1834 Herzog Alfred von Croÿ. Die Bauausführung dauerte bis 1844.“ 7<br />

Nach Fertigstellung der neuen Schlossanlage wurde das ehemalige Dolhofenhaus 1844<br />

abgerissen.<br />

Etwa um 1842 setzte für den Schlossgarten eine erste Bauphase ein, die vor 1853<br />

abgeschlossen war. Der Planer war kein geringerer als der Berliner Hofbauinspektor und<br />

Schinkel-Schüler August Friedrich Stüler. Ihm gelang es, die ersten Überlegungen und<br />

Skizzen in einen ausgefeilten, etwa drei Hektar großen Landschaftspark umzusetzen. Dabei


62 Erik Potthoff<br />

Halterner Straße 2012<br />

speiste der ehemalige, 1833 erworbene äußere Stadtgraben fortan über einen geschwungenen<br />

Graben den Teich im Zentrum der Gartenanlage. Der Aushub vom Teichbau wurde für<br />

Bodenmodellierung im Gelände verwendet. Ein Rundweg führte vom Schloss um den Park<br />

und bot dem Betrachter wechselnde Szenerien. Geschwungene Wege führten durch die<br />

Anlage, Gehölze waren in Gruppen oder als Einzelbäume in weiten Wiesenflächen platziert<br />

und gaben Sichtachsen frei. Gleichzeitig entwarf Stüler Parkbauten, wovon lediglich das<br />

so genannte „Schweizer Haus“ als Teehaus und Aussichtspunkt ausgeführt wurde. 8<br />

„1861 beauftragte Herzog Rudolph von Croÿ den englischen Parkschöpfer Edward<br />

Milner in einer zweiten Phase mit der Planung und Umgestaltung des Schlossgartens in<br />

eine englische Parkanlage. Fast gleichzeitig begann der Ausbau des Wildparks und des<br />

Vorparks, der den Schlossgarten sowie den Wildpark zu einer Grünzone verband. Der<br />

Schlossgarten war der Bevölkerung einmal im Jahr, am Weißen Sonntag nach Ostern,<br />

zugänglich.“ 9<br />

„Die Gestaltung des Schlossvorplatzes, im zentralen Hintergrund der Abbildung,<br />

erfolgte in den achtzehnhundertsiebziger Jahren.“ 10<br />

Mit der Kriegszerstörung Dülmens änderte sich auch die Ortsdurchfahrt von Süden


Der Schloss-/Burgplatz um 1920 63<br />

nach Norden. „Die erste Durchgangsstraße durch die Trümmer war die von manchen<br />

schlicht USA-Straße genannte Trasse, die kurz nach Kriegsende von den Räumpanzern<br />

amerikanischer Soldaten angelegt worden war und von der Halterner Straße (Ecke Mühlenweg)<br />

über das Schlossgrundstück unmittelbar an der Viktorkirche vorbei bis zur Alten<br />

Sparkasse, der heutigen Volkshochschule, an der Münsterstraße führte. Später wurde diese<br />

Straße im Innenstadtbereich weiter nach Osten verlegt und im September 1951 nach nur<br />

6 Monaten Bauzeit ihrer Bestimmung übergeben.“ 11 Heute ist der Straßenbereich viel<br />

belebter, da sich meist der Autoverkehr von der Ampelkreuzung Münster-/Lüdinghauser<br />

Straße bis zum Südring zurück staut. Auf der rechten Seite wurde in den Jahren 1990 bis<br />

1991 auf dem Grundstück des ehemaligen Schlossparks ein Polizeidienstgebäude errichtet.<br />

Bei den Gründungsarbeiten zu diesem Bau wurden Teile des alten Stadtgrabens freigelegt<br />

und archäologisch untersucht. Dabei konnten vorwiegend Glas- und Keramikfunde<br />

geborgen und ausgewertet werden. 12 Die Errichtung des Kaufhauses am Schlosspark mit<br />

einem Textilanbieter und einem Lebensmittelmarkt zwischen 2007 und 2008 war als erster<br />

Baustein zur Entwicklung und Belebung der östlichen Innenstadt gedacht.<br />

1 BIELEFELD, LUDWIG: Das Burgtor. In: <strong>Heimatblätter</strong>, Heft 1, Januar 1930, 6. Jahrgang, S. 9.<br />

2 BRATHE, HEINZ: Dülmen in alten Ansichten. Europäische Bibliothek, Zaltbommel/Niederlande 1984,<br />

S. 40.<br />

3 BIELEFELD, LUDWIG: Die alten Wohnhäuser. 11. Das alte Schloss in Dülmen. In: <strong>Heimatblätter</strong>,<br />

Heft 8/9, 1928, 4. Jahrgang, S. 85.<br />

4 Siehe auch den Beitrag von Günter Scholz auf Seite 5 in dieser Ausgabe.<br />

5 Bielefeld (wie Fußnote 3), S. 86.<br />

6 ROTHE, DETLEF: Bericht über neuzeitliche Glas- und Keramikfunde aus dem äußeren Stadtgraben am<br />

Burgtorwerk in Dülmen. In: <strong>Dülmener</strong> <strong>Heimatblätter</strong>, Heft 1/2, Jahrgang 38, 1991, S. 15.<br />

7 Brathe (wie Fußnote 2), S. 36.<br />

8 Schloss- und Vorpark Dülmen. URL: http://www.lwl.org/ParkUndGartenanlagen/LWL/Dokumente/652.<br />

html (abgerufen am 5. Februar 2012).<br />

9 Brathe (wie Fußnote 2), S. 39.<br />

10 Brathe (wie Fußnote 2), S. 36.<br />

11 SUDMANN, DR. STEFAN: Der Wiederaufbau der Stadt Dülmen nach dem Zweiten Weltkrieg (1945 –<br />

1961). In: SUDMANN, DR. STEFAN (Herausgeber): Geschichte der Stadt Dülmen. Laumann Druck und<br />

Verlag GmbH & Co. KG, Dülmen, 2011, S. 350.<br />

12 Rothe (wie Fußnote 6), S. 21 – 22.


<strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />

Neues aus dem Stadtarchiv: Quellen und Literatur<br />

Soziales Seminar<br />

Anfang 2011 hat Klaus Hüls, früher Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde, dem<br />

Stadtarchiv Dülmen Unterlagen des Sozialen Seminars übergeben, dessen Geschichte<br />

Ludger Hillermann 2009 in den <strong>Dülmener</strong> <strong>Heimatblätter</strong>n dargestellt hat. Der neue Bestand<br />

„Soziales Seminar“ im Stadtarchiv Dülmen umfasst 4 Akten mit Unterlagen zum Programm<br />

und zur Programmplanung aus den Jahren 1975 bis 1999.<br />

Nachlass des Bürgermeisters Wilhelm Telohe<br />

Im Herbst 2011 übergab Beate Telohe dem Stadtarchiv Unterlagen ihres Schwiegervaters,<br />

des Schulrektors und Bürgermeisters Wilhelm Telohe (1898 – 1961). Dieser war seit<br />

1933 als Lehrer in Dülmen tätig und wurde 1947 Rektor der Overbergschule. Von 1948 bis<br />

1952 sowie noch einmal von 1956 bis 1958 amtierte er für die Zentrumspartei als Bürgermeister<br />

der Stadt Dülmen – im Wechsel mit Josef Espeter, der von 1946 bis 1948 sowie von<br />

1952 bis 1956 für die CDU als Bürgermeister im Amt war. Die katholische Zentrumspartei<br />

war 1933 auf Druck der Nazis aufgelöst worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründeten<br />

ehemalige Zentrumsmitglieder die neue überkonfessionelle CDU, während andere<br />

das alte Zentrum wiederbelebten, das allerdings nur in den ersten Nachkriegsjahren und<br />

nur in wenigen Regionen wie dem Münsterland bei Wahlen Erfolg hatte. Beide Parteien<br />

konkurrierten um die Wähler des christlich-bürgerlichen Spektrums. Entsprechend finden<br />

sich im Nachlass von Bürgermeister Telohe interessante Unterlagen, die dieses schwierige<br />

Verhältnis beider Parteien in Dülmen und im Kreis Coesfeld illustrieren. Daneben finden<br />

sich dort weitere unterschiedliche Unterlagen aus Telohes Tätigkeit als Dülmens Bürgermeister,<br />

u. a. zum Wiederaufbau der Stadt, zu Schul- und Personalangelegenheiten oder<br />

auch zur Frage, ob der Stadtdirektor als Leiter der Stadtverwaltung oder der Bürgermeister<br />

als Stadtoberhaupt in der Osternachtsprozession das Kreuz tragen soll. Interessant sind<br />

auch einzelne Schriftstücke, die von den Folgen des Nationalsozialismus zeugen, wie die<br />

an Telohe gerichtete Bitte, sich um die Wiedereinstellung eines Lehrers einzusetzen, oder<br />

die finanziellen Forderungen von Heinrich Helms, der von 1936 bis 1945 als <strong>Dülmener</strong><br />

Bürgermeister amtierte.<br />

Der Bestand wurde von Fatih Aydin, einem Schüler der Kardinal-von-Galen-Schule,<br />

im Rahmen eines Praktikums unter Anleitung von Archivmitarbeitern verzeichnet und<br />

kann jetzt wie anderes Archivgut nach den archivgesetzlichen Bestimmungen genutzt<br />

werden.


Neues aus dem Stadtarchiv: Quellen und Literatur 65<br />

Unterlagen von Telohes Nachfolger Hans-Rudolf Schlieker aus dessen Amtszeit als<br />

Bürgermeister (1958 – 86) befinden sich bereits seit längerer Zeit im Stadtarchiv Dülmen.<br />

Das Stadtarchiv Dülmen hofft, dass in Zukunft auch andere Kommunalpolitiker/<br />

-innen nach dem Ende ihrer Tätigkeit ihre Unterlagen dem Stadtarchiv übergeben und<br />

damit der Forschung – unter Beachtung der archivgesetzlichen Bestimmungen und der<br />

Persönlichkeitsrechte Betroffener – zur Verfügung stellen.<br />

Neue Forschungsliteratur zu Merfeld<br />

Der jetzt im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen tätige Historiker Bastian Gillner hat im<br />

Wintersemester 2008/09 an der Universität Münster eine von Frau Prof. Stollberg-Rilinger<br />

betreute Dissertation eingereicht, die im Jahr 2011 in der Reihe „Westfalen in der Vormoderne“<br />

erschienen ist. Die Publikation trägt den Titel „Freie Herren – Freie Religion. Der<br />

Adel des Oberstifts Münster zwischen konfessionellem Konflikt und staatlicher Verdichtung<br />

1500 bis 1700“. Mit dem <strong>Dülmener</strong> Raum befasst sich dabei vor allem das Kapitel<br />

„Adelige Herrschaft zwischen politischer und konfessioneller Autonomie: das Beispiel<br />

der Herren von Merveldt in der Herrlichkeit Merfeld“ (S. 293 – 312). Gillner zeigt darin<br />

auf, wie Adolf III. bei ungünstigeren Voraussetzungen, aber radikaler als manch andere<br />

münsterländische Adlige vor allem durch die Schaffung eigener kirchlicher Strukturen die<br />

Bauerschaft Merfeld der Verfügungsgewalt des Fürstbischofs entzog.<br />

Neue Studie zur Werdener Urkunde von 889 mit der Ersterwähnung Dülmens und<br />

Bulderns<br />

Dülmen und Buldern wurden wie mehrere andere Orte des Münsterlands erstmals in<br />

einer Urkunde von 889 erwähnt, mit der Bischof Wolfhelm von Münster seinen Besitz dem<br />

Kloster Werden schenkte. Das Problem dabei: Die Urkunde ist nicht im Original, sondern<br />

nur in einer späteren Abschrift überliefert – im Gegensatz zu der im Original erhaltenen<br />

Urkunde aus demselben Jahr, die eine Schenkung von König Arnulf an Bischof Wolfhelm<br />

dokumentiert. Die problematischen Aspekte dieser Urkunde wurden nun ausführlich von<br />

Claudia Maria Korsmeier in ihrem Beitrag über die Schenkung des münsterischen Bischofs<br />

Wolfhelm an die Abtei Werden für die Ende 2011 erschienene und von Werner Frese<br />

herausgegebene „Geschichte der Stadt Olfen“ behandelt. Im Gegensatz zu Olfen ist die<br />

Frage für die frühe Geschichte Dülmens und Bulderns allerdings weniger brisant: Anders<br />

als das in sonstigen Quellen erst viel später genannte Olfen wurden Dülmen und Buldern<br />

nämlich neben der problematischen Urkunde auch in dem ab ca. 890 geschriebenen und<br />

unproblematischen Werdener Urbar aufgelistet (vgl. den Beitrag von Antonius Bödiger<br />

in der letzten Ausgabe der <strong>Dülmener</strong> <strong>Heimatblätter</strong>) – eine erste Erwähnung der beiden<br />

Orte und damit deren Existenz sowie der Besitz des Klosters Werden in Dülmen und


66 <strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />

Buldern sind somit auch unabhängig von der nicht leicht einzuordnenden Urkunde für<br />

das ausgehende 9. Jahrhundert gesichert. Trotz einiger schwieriger Aspekte der Werdener<br />

Urkunde von 889 sind nach Korsmeier aber auch für diese Quelle die Indizien letztlich<br />

„so aussagekräftig, dass die Echtheit der Schenkung außer Frage steht“.


Wolfgang Werp<br />

Neuerscheinungen<br />

Theo Damm, Alte Dörfer im Münsterland, Skizzen aus den Baumbergen, Verlag<br />

Aschendorff Münster, 2012.<br />

Nach den gelungenen Bildbänden „Schöne Höfe im Münsterland“ (Besprechung in<br />

„<strong>Dülmener</strong> <strong>Heimatblätter</strong>“ 2008, Heft 1, Seiten 48 – 49) und „Burgen und Schlösser im<br />

Münsterland“ (Besprechung in „<strong>Dülmener</strong> <strong>Heimatblätter</strong>“ 2010, Heft 1, Seiten 61 – 62)<br />

setzt der Verlag mit diesem dritten Band seine großformatige Serie über die Schönheiten<br />

des Münsterlandes erfolgreich fort. Neben Bauernhöfen, Burgen und Schlössern prägen<br />

nämlich vornehmlich die alten Dörfer das Münsterland. Sie zeugen von einer weit zurück<br />

verfolgbaren Geschichte, die in einigen Gegenden sogar auf Besiedelungen in der Jungsteinzeit<br />

hinweist, wie z. B. Ausgrabungen im Stevertal am Fuße der Baumberge belegt<br />

haben.<br />

Theo Damm hat in seinem Skizzenbuch mit einer Sammlung von historischen Gebäuden,<br />

Straßenzügen, Kirchenbauten und Hofanlagen ein Bild der Baukultur des Kernmünsterlandes<br />

gezeichnet. Hierzu hat er sich erfreulicherweise die vier alten, am südlichen<br />

Fuße der Baumberge gelegenen Dörfer Nottuln, Appelhülsen, Darup und Schapdetten<br />

ausgewählt. Um eine abwechslungsreiche und vielfältige Darstellung zu erreichen, bedient<br />

sich der Zeichner unterschiedlicher, ihm nach jahrelanger beruflicher Erfahrung als<br />

Architekt und Baureferent der Landwirtschaftskammer Westfalen-Lippe vertrauter Techniken:<br />

von der einfachen Bleistiftzeichnung über Architekturskizzen bis hin zu lebhaften<br />

Buntzeichnungen und Aquarellen.<br />

Vor dem Betrachter liegt ein prächtiger Bildband, der das heutige Gesicht der vier<br />

ursprünglichen Dörfer am Südhang der Baumberge und ihre reizvolle Umgebung beeindruckend<br />

wiedergibt. Die Nutzung der örtlich vorgefundenen Baumaterialien wie Holz,<br />

Ton und Sandstein führte über die Jahrhunderte nach der treffenden Formulierung des<br />

Verfassers zu einer „Hauslandschaft von starker Ausdruckskraft“. Dies ist in dem teilweise<br />

erhaltenen und nach Bränden von Schlaun ergänzend erneuerten barocken Ortskern rund<br />

um die Pfarrkirche St. Martinus und Magnus von Nottuln als ein Höhepunkt münsterländischer<br />

Baukultur heute noch sichtbar.<br />

So ließe sich an weiteren Beispielen aus Darup und Schapdetten über Bauerschaften<br />

als Einzelhöfe oder Herrenhäuser weiter ausführlich schwärmen. Aber für den <strong>Dülmener</strong><br />

Heimatfreund bietet sich dazu nach dem Studium dieses tollen Bildbandes eine naheliegende<br />

Wanderung zu den Südgründen der Baumberge oder eine Radtour entlang der Stever


68 Wolfgang Werp<br />

von der Quelle in Uphoven bis zu den prächtigen Herrenhäusern hinter Appelhülsen an.<br />

Viel Freude dabei!<br />

Emanuel von Croÿ, Nie war es herrlicher zu leben, Das geheime Tagebuch des Herzogs<br />

von Croÿ, hg. und übersetzt von Hans Pleschinski, Verlag C. H. Beck, München 2011.<br />

Eines der schönsten historischen Bücher des Jahres 2011 hat einen unmittelbaren<br />

Bezug zu Dülmen. Denn der Name des Autors der hier vorgestellten Tagebücher, Herzog<br />

Emanuel von Croÿ (1718 – 1784), ist jedem <strong>Dülmener</strong> wohl bekannt. Er stammte aus einer<br />

adligen Familie deutsch-französischen Ursprungs und war ein begnadeter und besessener<br />

Chronist seiner Zeit. In der Kette der Ahnherren derer von Croÿ war er schon zur damaligen<br />

Zeit ein weit gereister ranghoher Militär, Landbesitzer, der sich insbesondere für Kunst,<br />

Theater, Architektur und Wissenschaften begeisterte. Wenn man den auf die Anfänge des<br />

vorigen Jahrhunderts zurückgehenden genealogischen Forschungen von Regierungsassessor<br />

Peus folgen will 1 , zählte Emanuel von Croÿ, siebenter Herzog von Croÿ, Fürst<br />

von Solre und Mörs, deutscher Reichsfürst, Grande von Spanien I. Klasse, Marschall von<br />

Frankreich, zu den bedeutendsten Feldherren seiner Zeit. Im Ersten Schlesischen Krieg<br />

nahm er an den Operationen des französisch-bayerischen Heeres aufseiten Friedrichs des<br />

Großen lebhaften Anteil und wohnte 1742 als Reichsfürst zu Frankfurt der Wahl und<br />

Krönung Kaiser Karls VII. bei. Im Rahmen der Entschädigungsmaßnahmen durch den<br />

Reichsdeputationshauptschluss erhielt sein Sohn Anna Emanuel von Croÿ im Jahre 1803<br />

die kleine westfälische Herrschaft Dülmen zugesprochen, verlor sie aber nach drei Jahren<br />

schon wieder.<br />

Durch die brillante Übersetzung von Hans Pleschinski sind Teile der Tagebücher nun<br />

wieder ins Blickfeld gerückt worden. Der Herausgeber und Übersetzer hat aus in einer<br />

französischen vierbändigen Ausgabe von über 1600 Seiten aus den Jahren 1906/07, die auf<br />

von Croÿs aus einundvierzig handschriftlichen Bänden bestehendem Original beruht, in<br />

fleißiger Arbeit eine deutsche Fassung etlicher Passagen vorgelegt. Diese Arbeit lässt jeden<br />

Freund geschichtlicher Tagebuchaufzeichnungen schwärmen. Das Originalmanuskript<br />

liegt in der Bibliothek der Académie Française in Paris, eine autorisierte Abschrift im <strong>Dülmener</strong><br />

Archiv des Hauses von Croÿ. Erfasst werden nunmehr mehr als 60 Jahre bildhafter<br />

und prunkvoller Erinnerungen, von Madame Pompadour über Königin Marie Antoinette<br />

bis zu Begegnungen mit Voltaire, den Brüdern Montgolfier mit ihren frühen Fluggeräten<br />

und Präsident Benjamin Franklin. Allerdings enthielt die französische Buchausgabe nicht<br />

die Passagen über die Deutschlandreise des Herzogs, die er hauptsächlich zur Erkundung<br />

militärischer oder strategischer Punkte bereiste. Diese Teile sind also auch jetzt nicht Inhalt<br />

der Veröffentlichung.


Neuerscheinungen 69<br />

Doch diese Lücke war bereits durch eine <strong>Dülmener</strong>in geschlossen worden! Entgegen<br />

den Äußerungen im Vorspann des geschmackvoll aufgemachten Bandes stellt uns<br />

nämlich der neue Tagebuch-Roman dieses Werk des reisenden Herzogs nicht erstmalig<br />

vor. In den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte schon die <strong>Dülmener</strong> Literaturund<br />

Kunstfreundin Elisabeth Hergeth Teile der Tagebücher, die die Reise des Herzogs<br />

durch Deutschland in Erinnerung halten, ins Deutsche übersetzt und den <strong>Dülmener</strong>n nahe<br />

gebracht. In den „<strong>Dülmener</strong> <strong>Heimatblätter</strong>n“ (DH 1965, Heft 3/4, Seiten 26 – 27) sind<br />

Auszüge dieser Aufzeichnungen des Herzogs aus den Jahren 1741/42 über Eindrücke<br />

aus dem Münsterland mit den von Sümpfen umgebenen Ortschaften Hulteren (Haltern),<br />

Siten (Sythen) und Dulmen (Dülmen) wiedergegeben worden. Im Jahre 1999 sind Teile<br />

dieser Reiseberichte unter dem Titel „Erinnerungen meines Lebens, Eine Reise durch den<br />

Westen des Heiligen Römischen Reichs“ von Elisabeth Hergeth in Münster herausgegeben<br />

worden, aber lange vergriffen.<br />

Das neue prächtige Buch führt den Leser zum privaten und höfischen Leben im<br />

Frankreich des 18. Jahrhunderts bis zur Französischen Revolution. Ein unschätzbares und<br />

spannendes Dokument einer weit zurückliegenden, aber für Europa prägenden Epoche.<br />

André Schnepper, Prozesse der Machtergreifung in einer katholischen Kleinstadt: Das<br />

Beispiel Billerbeck, Geschichtsblätter des Kreises Coesfeld, Beiheft 2011, hg. vom<br />

Kreisheimatverein Coesfeld, 2011.<br />

Im Sommersemester 2010 ist an der Universität Münster im Rahmen eines Oberseminars<br />

mit dem Titel „Katholisches Milieu und nachholende Moderne“ ein Projekt zur<br />

Geschichte der Stadt Billerbeck verfolgt worden. In diesem Umfeld hat der Verfasser einen<br />

detaillierten Einblick in die Ereignisse des Jahres 1933 in Billerbeck erarbeitet und in<br />

seiner Magisterarbeit zusammengefasst. Dabei ist er vor allem der Frage nachgegangen,<br />

wie und in welcher Intensität sich die nationalsozialistische Herrschaft innerhalb weniger<br />

Monate auch in ländlichen Regionen mit katholischer Bevölkerungsmehrheit durchsetzen<br />

konnte. Insbesondere die „Machtergreifung“ in katholisch geprägten Kleinstädten im Frühjahr<br />

und Sommer 1933 ist bisher kaum so gründlich durchleuchtet worden. Im preußischen<br />

Kulturkampf war Billerbeck noch ein Ort katholischen Widerstandes, auch zu Beginn der<br />

1930er-Jahre war der Ort konfessionell weiterhin homogen. In der Studie ging es nun<br />

darum, die durch den Nationalsozialismus hervorgerufenen Veränderungen zu benennen<br />

und somit eine Aussage über den Grad der nationalsozialistischen Durchdringung einer<br />

münsterländischen Kleinstadt treffen zu können. Dabei hat sich die Untersuchung auch<br />

der weiteren Entwicklung in der Zeit nach der angesprochenen Kommunalwahl von 1933<br />

zugewandt, in der sich die Gleichschaltung der Kommunen vollzog. Inwieweit sich die


70 Wolfgang Werp<br />

Arbeit der kommunalen Gremien einem Wandel unterzog, wird nach vorliegenden anderen<br />

Studien wesentlich vom Verhalten und Agieren der örtlichen kleinstädtischen Führungsschicht<br />

geprägt. Deshalb war auch die Haltung dieser Akteure zum Nationalsozialismus<br />

Gegenstand ausführlicher Recherchen. Schließlich wurden auch gesellschaftliche Veranstaltungen<br />

und örtliche Feste im Billerbecker Raum in die Betrachtung einbezogen, um<br />

das Echo der Bevölkerung auf die weitgehenden örtlichen politischen Verschiebungen<br />

analysieren zu können.<br />

Als Fazit der Arbeit kann – möglicherweise beispielhaft für vergleichbare Gemeinden<br />

im westlichen Münsterland – davon ausgegangen werden, dass die städtische Gesellschaft<br />

schon seit Längerem nicht mehr in der Hand des „Zentrums“ lag, sondern von einer verhältnismäßig<br />

exklusiven Gruppe von deutschnationalen Kräften dominiert wurde. Bald zeigte<br />

sich aber auch eine breite Zustimmung in der Bevölkerung zu den nationalsozialistischen<br />

Zielen, deren Bestand in den Folgejahren aber in dieser Studie nicht abschließend nachgewiesen<br />

werden konnte. – Alles in allem ein aufschlussreicher und informativer Beitrag<br />

zur Geschichte des Nationalsozialismus im kleinstädtischen Bereich münsterländischer<br />

Ausprägung, der noch viele weitergehende Fragen ungeklärt lässt.<br />

Günter Scholz, Clemens Brentano, 1778 – 1842, Poesie – Liebe – Glaube, Verlag<br />

Aschendorff Münster, 2012.<br />

Im Anschluss an seine erfolgreichen Arbeiten zu Anna Katharina Emmerick hat Günter<br />

Scholz ein geschmackvoll aufgemachtes Büchlein zu „Clemens Brentano – Poesie – Liebe –<br />

Glaube“ vorgelegt und sich darin mit Leben und Werk von Clemens Brentano beschäftigt,<br />

der ja bekanntlich viele Jahre seines Lebens in Dülmen verbracht hat. Der Autor untersucht<br />

die Frage „Wer war dieser Brentano?“ Dabei geht er dem Statement „Sein Leben . . . darf<br />

als der Inbegriff eines romantischen Lebenslaufes gelten“ des Brentanobiografen Klaus<br />

Günzel (Klaus Günzel, Die Brentanos – Eine deutsche Familiengeschichte, Zürich 1993)<br />

nach und versucht dies mit der Darstellung ausgewählter Phasen seines Lebens zu zeigen.<br />

Ausgehend vom gut situierten familiären Hintergrund der Brentanos schildert der Autor<br />

die wichtigsten Stationen des Lebensweges des romantischen Dichters und interpretiert mit<br />

Texten und Gedicht- und Briefzitaten beispielhaft das vielschichtige Werk des Romantikers.<br />

Dabei wird natürlich der Begegnung mit Anna Katharina Emmerick und Dülmen besondere<br />

Aufmerksamkeit geschenkt. Diese Passagen und die dort gesetzten Schwerpunkte zum<br />

„Emmerick-Erlebnis Brentanos“ sind für Emmerickverehrer von besonderem Reiz, da<br />

sie das Zusammentreffen Brentanos mit der Nonne weiter erläutern und vertiefen. Den<br />

in den Text eingestreuten Versen und Gedichten kommt dabei eine klärende Bedeutung<br />

zu, da gerade die Sprache Brentanos in der deutschen Literatur an Musikalität kaum zu


Neuerscheinungen 71<br />

übertreffen ist. Schließlich werden auch die anderen Aspekte seiner Persönlichkeit wie<br />

die große Zahl seiner Andachtsbücher oder seine romantischen Rheingedichte in den<br />

Zusammenhang gebracht. Das Buch ist eine empfehlenswerte Lektüre für alle, die sich mit<br />

dem facettenreichen Leben und Werk des Lyrikers Clemens Brentano befassen möchten.<br />

Markus Trautmann, „Ein <strong>Dülmener</strong> Dickkopf gibt nicht auf!“, Aus dem Münsterland<br />

zu den Indios, Friedrich Kaiser (1903 – 1993), Laumann Druck & Verlag GmbH & Co.<br />

KG, Dülmen 2012.<br />

Bischof Friedrich Kaiser wurde in Dülmen geboren und wuchs hier auf. Sein Elternhaus<br />

stand in der Tiberstraße. Es ist 50 Jahre her, seit er als Missionar in Peru die Gemeinschaft<br />

der „Missionsschwestern vom leidenden und sühnenden Heiland“ gründete. Bereits 1939<br />

hatte er Deutschland in Richtung Südamerika verlassen, um in Peru unter schwierigsten<br />

Umständen bei den Indios seelsorgerisch zu wirken. 1945 erhielt er die peruanische<br />

Staatsbürgerschaft. Von 1957 bis 1971 leitete er die Prälatur Caraveli in den südlichen<br />

Anden Perus. Im Jahre 1963 wurde er zum Titularbischof von Berrhoea ernannt und am<br />

7. Dezember 1963 u. a. vom Münsteraner Bischof Dr. Joseph Höffner in St. Viktor in<br />

Dülmen zum Bischof geweiht. Wenige Tage vorher war am 4. Dezember 1963 in Rom die<br />

II. Sitzungsperiode des Konzils abgeschlossen worden.<br />

Jetzt hat Pfarrdechant Markus Trautmann von St. Viktor in Dülmen in einem schlichten<br />

Büchlein, das nicht als wissenschaftliche Biographie oder umfassende Studie über<br />

Friedrich Kaiser angelegt ist, interessierten Freunden und Lesern einen ersten Zugang<br />

zu seiner Person und seinem Lebenswerk in Südamerika ermöglicht. Aus den Reihen<br />

seiner ehemaligen Gemeindemitglieder war nämlich seit Langem der Wunsch geäußert<br />

worden, das Wirken dieses Glaubenszeugen zu würdigen und das Seligsprechungsverfahren<br />

des engagierten Priesters auf den Weg zu bringen. Das Buch zeigt Friedrich Kaiser<br />

als einen außergewöhnlichen Zeugen des Glaubens, leidenschaftlich originell und mit<br />

einem hohen Anspruch an sich und seine Mitmenschen. Im Jahre 1975 wurde ihm zu<br />

Ehren die Straße zum Waldfriedhof in Dülmen „Bischof-Kaiser-Straße“ benannt. Bischof<br />

Kaiser starb 1993 in Lima und ist in seiner langjährigen Wirkungsstadt Caraveli beigesetzt<br />

worden. Später wurden seine Gebeine in das dortige Mutterhaus seiner Schwesterngemeinschaft<br />

überführt. 2007 hat dann der Erzbischof von Lima, Cabrejo, vorgeschlagen, das<br />

Seligsprechungsverfahren zu eröffnen.<br />

Abschließend sei die Anmerkung erlaubt, dass Bischof Kaiser bei einem seiner regelmäßigen<br />

Besuche 1950 auch das damalige provisorische Heim der <strong>Dülmener</strong> NDer<br />

im noch nicht vollständig wieder aufgebauten <strong>Dülmener</strong> Krankenhaus besucht und den


72 Wolfgang Werp<br />

NDern von seiner Missionsarbeit berichtet hat, wie sich der Rezensent in seinem Buch<br />

über die <strong>Dülmener</strong> neudeutsche Gruppe („Das Lied vom ND . . . “, Seite 79) erinnert.<br />

1 Vgl. PEUS, Das Herzogliche Hause von Croy. In: ALBERT WESKAMP: Geschichte der Stadt Dülmen,<br />

Dülmen 1911, S. 147 – 166, hier S. 153.


Autorinnen und Autoren<br />

Antonius Bödiger, Bergfeldstrasse 4a, 48249 Dülmen, S. 24<br />

Franz König, Kreuzweg 31, 48249 Dülmen, S. 45<br />

Erik Potthoff, Haselbrink 13, 48249 Dülmen, S. 60<br />

Günter Scholz, Dernekämper Höhenweg 5, 48249 Dülmen, S. 5<br />

Dr. <strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong>, Stadtarchiv Dülmen, Charleville-Mézières-Platz 2, 48249 Dülmen, S. 38, 53,<br />

64<br />

Wolfgang Werp, Ludwig-Wiesmann-Straße 10, 48249 Dülmen, S. 67<br />

Abbildungen<br />

Antonius Bödiger, Bergfeldstrasse 4a, 48249 Dülmen, S. 26<br />

Clemens Brentano. In: Frankfurter Brentano-Ausgabe, Bd. 28.1, S. 510, S. 15<br />

Emmerick-Bund e. V., An der Kreuzkirche 10, 48249 Dülmen, S. 9, 13<br />

Erik Potthoff, Haselbrink 13, 48249 Dülmen, S. 62<br />

Franz König, Kreuzweg 31, 48249 Dülmen, S. 47, 48, 49, 50, 51<br />

Hans Klöpper, Buldern, Tellenstraße 18, 48249 Dülmen, S. 30, 32<br />

<strong>Heimatblätter</strong>, Heft 2, 1933, S. 45<br />

Kunst- und Kulturkreis Buldern, S. 33<br />

Luftbild US33_ 2547_ 2179. Druckgenehmigung: NCAP/aerial.rcahms.gov.uk vom 27. Februar<br />

2012, S. 34<br />

Sammlung Antonius Bödiger; Verlag Rud. Lindemann, Münster/ Westf., S. 31<br />

Sammlung Antonius Bödiger, Bergfeldstrasse 4a, 48249 Dülmen; Verlag Rud. Lindemann, Münster/<br />

Westf., S. 27, 28<br />

Sammlung Erik Potthoff, Haselbrink 13, 48249 Dülmen, S. 8<br />

Cramers Kunstanstalt KG, Dortmund, S. 19, J. Homann, Dülmen, S. 61, Verlag Joseph Sievert,<br />

Dülmen, S. 12, 21, Verlag Rud. Lindemann, Münster/ Westf., S. 29<br />

Sammlung Heinz Ludger Püttmann, Nonnenwall 10, 48249 Dülmen, Fotoatelier Bernhard Homann,<br />

Dülmen, S. 2<br />

Sammlung Michael Böhmer, Zum Forst 15, 48249 Dülmen, S. 24<br />

Stadt Dülmen, handschriftlich geändert von Franz König, S. 46<br />

Stadtarchiv Dülmen, Charleville-Mézières-Platz 2, 48249 Dülmen, S. 25, 35, 54, 56, 57, Bn 36,<br />

S. 40, <strong>Dülmener</strong> Zeitung, Fotosammlung, Hiddingsel, S. 43<br />

Studienkreis Bochumer Bunker e. V., URL: http://www.bochumer-bunker.de/rad_normbauten.html<br />

(abgerufen am 2. März 2012)., S. 29<br />

Wikimedia Commons; Datei Morus alba Blanco1.206.png, 2012, http://commons.wikimedia.org/<br />

w/index.php?title=File:Morus_alba_Blanco1.206.png&oldid=28755712, gemeinfreie<br />

Bilddatei; Quelle: Francisco Manuel Blanco (O. S. A.): „Flora de Filipinas [. . . ] Gran<br />

edicion [. . . ] [Atlas I]“, 1880 – 1883?, S. 38, Datei Wilhelm Hensel - Clemens Brentano


74<br />

1819.jpg, 2010, URL: http://commons.wikimedia.org/w/index.php?title=File:Wilhelm_<br />

Hensel_-_Clemens_Brentano_1819.jpg&oldid=56767357, gemeinfreie Bilddatei, S. 5


Impressum<br />

© 2012 Heimatverein Dülmen e. V.<br />

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Redaktion: Hanne und Ludger David,<br />

Justin Maasmann, Erik Potthoff (Ltg.),<br />

Dietmar Rabich und Dr. <strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />

Satz: Dietmar Rabich (mit LATEX)<br />

ISSN: 1615-8687<br />

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