Stefan Sudmann - Dülmener Heimatblätter
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Heimatverein Dülmen e. V. Heft 1, Jahrgang 59, 2012
Heft 1, Jahrgang 59, 2012<br />
Blick in die Königstraße (heute Viktorstraße), die um 1909<br />
noch am Westring endete.
Inhaltsverzeichnis<br />
Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />
Günter Scholz<br />
Clemens Brentano in Dülmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />
Antonius Bödiger<br />
Die Männer mit den geschulterten Spaten – das Lager des Reichsarbeitsdienstes<br />
auf der Karthaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />
Die Gliederungen des Reichsarbeitsdienstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />
Was war der Reichsarbeitsdienst? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />
Bauliche Anlagen und Struktur der RAD-Abteilung Carthaus . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />
Die Aufgaben der RAD-Abteilung Carthaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />
Beziehungen zum Umland und zur Stadtbevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />
Kriegsende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34<br />
Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35<br />
<strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />
Seide für den König – Seide für den Führer: Die erfolglosen Bestrebungen zur<br />
Anpflanzung von Maulbeerbäumen im <strong>Dülmener</strong> Raum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38<br />
Die ersten Versuche im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38<br />
Unterstützung durch den Magistrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39<br />
Ablehnung durch die Stadtverordnetenversammlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39<br />
Nationalsozialismus: Fallschirmseide im Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . 41<br />
Beteiligung der Schulen im Amt Dülmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41<br />
Zurückhaltung in Buldern, Hiddingsel und Rorup . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42<br />
Franz König<br />
Es lebe unser Waldfriedhof – und sein Haus der Toten. – Ihre Beziehung zueinander<br />
und zur Stadt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45<br />
<strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />
Müllabfuhr auf dem Lande: Die Anfänge der geregelten Müllentsorgung in den<br />
<strong>Dülmener</strong> Umlandgemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53<br />
Buldern und Hiddingsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53<br />
Rorup . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55<br />
Kirchspiel und Hausdülmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56<br />
Merfeld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58<br />
Erik Potthoff<br />
Der Schloss-/Burgplatz um 1920 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60<br />
<strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />
Neues aus dem Stadtarchiv: Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64<br />
Wolfgang Werp<br />
Neuerscheinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67<br />
Autoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73<br />
Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73<br />
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75<br />
Zuschriften und Manuskripte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75<br />
Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
Günter Scholz<br />
Clemens Brentano in Dülmen<br />
Nur gut fünf Jahre (von September 1818 –<br />
Februar 1824) hat Clemens Brentano in Dülmen<br />
gewohnt. Doch für diesen so unruhigen,<br />
„heimatlosen“ Mann war dies schon eine lange<br />
Zeit an einem Ort, vor allem war es eine<br />
für ihn bedeutsame Periode, war doch sein<br />
weiteres Leben ganz stark bestimmt von dem<br />
Aufenthalt in Dülmen. Einige Dinge, die mit<br />
seinem Leben hier eng verknüpft und bedeutsam<br />
für ihn waren, erinnern heute noch in<br />
Dülmen an seinen Aufenthalt:<br />
1. Das in der Gedenkstätte Anna Katharina<br />
Emmerick eingebaute originale<br />
Zimmer der Anna Katharina. Diesen<br />
Raum hat Brentano zu Beginn seines<br />
Aufenthaltes in Dülmen eigenmächtig<br />
für Anna Katharina eingerichtet. Anna<br />
Katharinas Bett und das Bett ihrer<br />
Schwester Gertrud waren bis dahin<br />
im Wohnraum der Wohnung des Abbé<br />
Lambert. Ohne den Inhaber der Unterkunft<br />
zu fragen, machte Brentano<br />
Clemens Brentano 1819 (gezeichnet von Wil-<br />
die Vorratskammer zu einem Wohnhelm<br />
Hensel)<br />
raum für Anna Katharina. Während<br />
seines Aufenthaltes in Dülmen hat er<br />
in diesem Zimmer täglich am Bett der<br />
Kranken gesessen und ihre „Visionen“ notiert.<br />
2. Der Grabstein in der Grabkapelle. Diese Grabplatte aus Sandstein hat Brentano<br />
1825, ein Jahr nach Anna Katharinas Tod auf ihr Grab legen lassen, die darauf<br />
eingemeißelte Schrift hat er entworfen. Die Grabplatte ist nur deshalb so gut erhalten,<br />
weil die Platte 1858 bei der Errichtung eines Kreuzes auf dem Grab direkt über dem<br />
Sarg unter dem Erdboden vergraben worden ist.
6 Günter Scholz<br />
3. „Reliquien“, die Brentano als Andenken an Anna Katharina aus Dülmen mitgenommen<br />
hat, in einem aus dem Nachlass Brentanos stammenden Reliquienkasten in<br />
einer Vitrine der Gedenkstätte (darin auch zwei Eicheln, die er in Flamschen von<br />
dem Geburtshaus der Emmerick mitgenommen hat).<br />
4. Ein Lammfellmantel, den sein Bruder Christian bei einem Aufenthalt in Dülmen<br />
der Anna Katharina geschenkt hat (ebenfalls in einer Vitrine in der Gedenkstätte).<br />
5. Die Kopie eines Auszugs aus seinem <strong>Dülmener</strong> Tagebuch mit der durch Skizzen<br />
illustrierten Beschreibung, wie Anna Katharina die Wundmale an der Stirn unter<br />
ihrer Haube verbirgt.<br />
6. Kopien einiger an Anna Katharina gerichteter „Gebetsbriefe“, in denen Menschen<br />
von weit her um ihr Gebet bitten. Brentano hat einige solcher Briefe bewusst als<br />
Andenken an Anna Katharina unter seinen Handschriften aufbewahrt.<br />
7. Jeweils ein Exemplar der Erstauflagen seiner Emmerickschriften, darin deutlich<br />
der Hinweis auf „Dülmen“ und sein Verzicht auf das Autorenhonorar „zu Gunsten<br />
milder Stiftungen“. Im Gegensatz zu Goethe und Schiller, deren Autorenhonorare<br />
für ihr großbürgerliches Leben nicht ausreichten, hat der Millionärssohn Brentano<br />
seit seiner Begegnung mit Emmerick so einfach wie ein Mönch gelebt und neben<br />
Teilen aus seinem Vermögen auch die Honorare seiner weit verbreiteten Bücher für<br />
arme Leute zur Verfügung gestellt.<br />
In seinen umfangreichen Notizen und in seinen zahlreichen Briefen aus der <strong>Dülmener</strong><br />
Zeit findet man auch einige Nachrichten aus Dülmen. Das ermöglicht uns heute, die wir<br />
gerade das 700-jährige Stadtjubiläum gefeiert haben, Einblicke in die Situation der Stadt<br />
vor 200 Jahren. An die Feier des 500-jährigen Jubiläums war damals nicht zu denken, denn<br />
Teile der napoleonischen Truppen zogen durch die Stadt, rekrutierten auch Bürger Dülmens<br />
zu dem Feldzug nach Russland, dem bis dahin in der Weltgeschichte verlustreichsten<br />
Krieg. Einiges aus den Beschreibungen des damaligen Dülmen gleichen heutigen Berichten<br />
von Entwicklungsländern. Am ausführlichsten beschreibt Brentano seine Eindrücke vom<br />
Münsterland und von Dülmen in seinen ersten Briefen an die Freundin Luise Hensel in<br />
Berlin:<br />
„Donnerstag, den 7. September (1818), kam ich in Dülmen, einem einfältigen<br />
Landstädtchen an voll guter Ackerbau treibender Leute. . . . Ich logierte mich auf<br />
der Post ein, wo Christian gewohnt, und wo es voll Liebe aber schier luxuriös<br />
zugeht. Auch hier empfing mich alles voll Freude.“ 1<br />
„Hier wäre wohl alles, was du bedürftest, um glücklich zu leben, ein Städtchen<br />
ohne alle Kunst und Wissenschaft, wo man von keinem Dichter ein Wort weiß, wo
Clemens Brentano in Dülmen 7<br />
Abends vor jeder Türe die Kuh gemelkt wird, alles schier Holzschuhe trägt, ja<br />
leider selbst die Messdiener. Die Kinder auf den Straßen kommen dir entgegen<br />
und reichen dir Kusshändchen. Von weiblichen Arbeiten weiß man hier nichts,<br />
als Flachsbrechen, Hecheln, Spinnen und dgl. Selbst reichere Bürgerstöchter sind<br />
gekleidet wie Mägde. In ganz Dülmen ist wohl kein Roman und gewissermaßen<br />
keine Mode. Ein jeder trägt, was er hat, bis es zerreißt und doch ist hier eine<br />
Hauptpoststraße und ein Posthaus, und der Aufenthalt des Herzogs von Croÿ mit<br />
seinem Personal von dreißig Personen ein halbes Jahr hindurch. Bei allen dem<br />
spricht jedermann von unerhörtem Luxus und Sittenverderb seit etwa 10 Jahren.<br />
Die Kirche ist groß und schön und es sind viele Priester hier, meist gute einfache<br />
Menschen. Teils aufgehobene Mönche aus benachbarten Klöstern, die mit einzelnen<br />
aufgehobenen Klosterfrauen von ihrer kleinen Pension miteinander spärlich und<br />
auferbaulich leben. Vom König und der Regierung weiß man schier gar nichts,<br />
als dass man die Preußen nicht liebt. Und es ist schier kein Bürger, der nicht<br />
eine bittere Grausamkeit von den Berliner Jägern, oder eine Gotteslästerung und<br />
Heiligenschändung zu erzählen wüsste. Ohne einen Grimm gegen die Protestanten<br />
zu haben, sind sie den Leuten ganz fremd und selbst die Unterrichteten wissen<br />
schier nichts von der Geschichte der Reformation. Selbst die Jungfer Emmerick<br />
wusste vor dem Kriege nicht, dass es andere Religionen gebe als Katholiken, Juden<br />
und Türken. . . . Alle diese Leute und vor allem sie trauern heftig über den Verfall<br />
der Kirche in allen ihren Teilen und besonders der Priester.“ 2<br />
Kommentar: Die Stadt Dülmen hatte zu dieser Zeit ca. 1900 Einwohner, war auch<br />
innerhalb des Stadtgebietes noch stark von der Landwirtschaft bestimmt. Deutlich wird in<br />
der Darstellung auch, dass Stoff für Wäsche und Kleidung für die normale Bevölkerung<br />
sehr teuer war. Es gab damals noch keine industrielle Verarbeitung von Garnen und<br />
Stoffen. Das normale Material für Kleidung und Wäsche war Leinen. Deshalb spielten<br />
der Anbau und die Verarbeitung von Flachs eine große Rolle. Der Flachs wurde bei<br />
der Ernte „gerauft“, d. h. die Stängel wurden nicht abgemäht, wie es bei der Ernte von<br />
Getreide üblich ist, sondern aus dem Boden gezogen, damit von den Fasern im Stängel<br />
nichts verlorengeht. Die Stängel wurden dann gewässert, damit das verholzte Material<br />
um die Fasern fault, dann wurden die Stängel getrocknet, danach gebrochen, indem sie<br />
mit einem Hebel zerquetscht wurden. Die nun sichtbar gewordenen Fasern wurden mit<br />
dem anhängenden gefaulten Material mehrfach über einen groben Metallkamm gezogen:<br />
„gehechelt“, und so das gefaulte Material ausgekämmt. Die übriggebliebenen Leinenfasern<br />
wurden gesponnen, das ergab ein relativ starkes Garn, das deshalb auch nur zu groben
8 Günter Scholz<br />
Stoffen verarbeitet werden konnte. In der Gedenkstätte Anna Katharina Emmerick ist noch<br />
ein Knäuel von solchem Garn ausgestellt und auch ein grober Leinenrock aus diesem<br />
Material, den Anna Katharina getragen hat.<br />
Die „Kostbarkeit“ von Stoffen zeigt<br />
sich darin, dass die Kleidung lange getragen<br />
wird, und auch darin, dass Brentano<br />
immer wieder Verwandte und Bekannte (alles<br />
wohlhabende Leute, die sich auch Wollund<br />
Seidenstoffe leisten konnten) immer<br />
wieder um Stoffreste bittet.<br />
Die Stadt ist also recht arm. Dennoch<br />
gibt es eine „Hauptpoststraße“ und ein<br />
„Posthaus“, d. h. durch die Stadt führte eine<br />
wichtige Verbindungsstraße und deshalb<br />
auch eine Postlinie, heute ähnlich einer<br />
Bahnlinie. Zu dieser Hauptpostlinie gehörte<br />
auch ein Posthaus als Übernachtungsmöglichkeit<br />
für die Reisenden, aber auch<br />
als Haltestation für die Kutschen und Pferde.<br />
Der Herzog von Croÿ, seit der Säkularisation<br />
1803 im Besitz des Stifts- und Klostervermögens<br />
hatte städtisches Flair in die<br />
Stadt gebracht, er hatte z. B. die Misthaufen<br />
vor den Häusern auf den Straßen beseitigen<br />
lassen, brachte mit seinem Personal<br />
auch Leben, vor allem auch Nachfrage in<br />
die Stadt, aber er verweilte nur halbjährlich<br />
in Dülmen.<br />
Die „aufgehobenen“ Mönche und Nonnen<br />
sind Mönche und Nonnen, die bei der<br />
Anna Katharina Emmerick (Handzeichnung von<br />
Julia Gräfin Schmiesing-Kerßenbrock, „Gloria<br />
Patri et Filio et Sp. Scto“ von Luise Hensel geschrieben)<br />
Säkularisation 1803 (dazu zählte auch die Aufhebung aller Klöster im Deutschen Reich)<br />
ihre Klöster verlassen mussten, weil diese in weltlichen Besitz übergingen. Die neuen<br />
Besitzer, Fürsten und Adlige, die den gesamten Landbesitz, die Immobilien, die Bibliotheken,<br />
die Kunstwerde, die aus Edelmetall gefertigten und z. T. sehr kostbaren Kelche<br />
und Monstranzen übernommen hatten, mussten den enteigneten Angehörigen der Klos-
Clemens Brentano in Dülmen 9<br />
tergemeinschaften eine Pension zahlen. Der Klosterpriester Abbé Lambert war ein solch<br />
„aufgehobener Geistlicher“ und Anna Katharina, die er als Haushälterin in seine Wohnung<br />
aufgenommen hatte, war eine solche „aufgehobene“ Nonne.<br />
In dem rein katholischen Gebiet war bis dahin der Bischof von Münster gleichzeitig<br />
der Landesherr, deshalb der Titel „Fürstbischof“. Nach mehrfachem Wechsel der Landesherrschaft<br />
in den politisch wirren Jahren am Anfang des 19. Jahrhunderts hatte am Ende<br />
1813 der preußische König, der ganz eng mit der protestantischen Kirche verbunden war,<br />
die Herrschaft auch im katholischen Münsterland übernommen. Deshalb die beschriebene<br />
Fremdheit und Unbeliebtheit der Preußen. „Gotteslästerungen“ und „Heiligenschändungen“<br />
waren also Verletzungen von religiösen Vorstellungen der Katholiken.<br />
Innenansicht des Emmerick-Geburtshauses
10 Günter Scholz<br />
„Im Ganzen ist noch viel Unschuld hier im Lande. Verführung und Ausschweifung<br />
und auch Luxus sind selten unter dem Gesinde; Zucht, Demut und Fleiß der<br />
Dienstboten überraschten mich oft. Zur Erhaltung der Eigentümlichkeit und Sittenreinheit<br />
des Landvolks trägt es viel bei, dass es nur wenige zusammenhängende<br />
Dörfer hier gibt, wo die Leute nebeneinander wohnend in Laster und Klatscherei<br />
durcheinander fallen. Hier wohnt jeder Bauer mit seiner Familie, zu welcher auch<br />
das Vieh gehört, in einem einzeln liegenden Haus, dicht von einigen alten Eichen<br />
umgeben, die ihn vor Wind und Wetter schützen, und rings um ihn her liegen seine<br />
häufig mit Zäunen oder Erdwällen eingefriedeten Äcker. In einer Entfernung von<br />
etwa einer Viertelstunde liegt ein ähnlicher Besitz, größer oder kleiner, und eine<br />
Anzahl solcher Wirtschaften bilden eine Bauerschaft, deren wieder mehrere eine<br />
Pfarrgemeinde bilden. Das Land ist hierdurch von den reizendsten Baumgruppen<br />
und tausend heimischen grünen Zäunen und schattigen Winkeln bedeckt. Oft musste<br />
ich denken, wenn ich von Haus zu Haus durch grüne Pfade und Buschwege zog:<br />
„Welches Land zu schönem, unschuldigem Kinderleben! Welche Einsamkeiten und<br />
welche Unzahl von reizenden Brombeersträuchern!“<br />
„Die Einrichtung der Bauernhäuser, und teilweise in gewissem Grade auch der<br />
Bürgerhäuser, hat einen durchaus patriarchalischen Charakter. Das ganze Haus<br />
ist gewissermaßen um den Herd versammelt. Das Feuer auf eiserner Platte an der<br />
Erde an einer Mauer, und was zum Herde gehört, ist immer am besten in Ordnung<br />
im ganzen Haus. Der erste Eintritt ins Haus führt in diese Küche, in der auch<br />
das ganze Leben vor sich geht. Die Schlafstellen sind in den Wänden in einer Art<br />
eingemauerten Schränken, deren Türen bei Tag geschlossen sind, angebracht. Oft<br />
in der Küche selbst, öfter in einer dicht anliegenden Tenne stehen links und rechts<br />
Kühe oder Pferde auf etwas tieferem Boden, so dass ihre Futtertröge zu ebener Erde<br />
stehen und sie durch Pfähle fressend die Köpfe hereinstecken. Ein beweglicher Arm<br />
von Eisen oder Holz führt den Kochkessel von der Wasserpumpe über das Feuer.<br />
In einem Haus sah ich das Kind, damit es nicht ins Feuer fallen möchte, in dem<br />
runden Ausschnitt eines Brettes, das sich an einer Stange um einen Pfeiler bewegte,<br />
im Kreise herumlaufen. Am anderen Ende dieses großen Raumes oder in der durch<br />
ein Tor abgesonderten Tenne wird gedroschen oder Flachs gebrochen; oben drüber<br />
liegt das Heu, Stroh und Getreide. Die Hausfrau am Feuer übersieht alles. Die<br />
Fenster von kleinen Scheiben enthalten oft noch aus alter Zeit kleine Glasmalereien,<br />
Sprüche, Wappen, auch wohl kleine Heiligenbilder. Gewöhnlich findet man Goffinés<br />
‚Handpostille‘, Overbergs ‚Katechismus‘ und ‚Biblische Geschichte‘ auf einem<br />
Brett stehen oder in einer Lade, worin die Sonntagskleider liegen, und ein paar
Clemens Brentano in Dülmen 11<br />
Äpfel dabei, auf dass sie einen guten Geruch haben mögen. Vor dem Fenster<br />
rauschen die Bäume. Die Leute sind einfältig, fleißig, kräftig, gastfrei und fromm.<br />
Alle diese Einrichtung ist beim reichen Bauern vollständig bis zur Behaglichkeit,<br />
ja bis zum Schmuck. Ich habe bei solchen wohl einmal eine zierliche Winterküche<br />
gesehen, wo im Sommer statt des Feuers ein großer Blumenstrauß vor der mit<br />
Porzellantäfelchen ausgelegten Feuerstelle glänzte. Bei armen Bauern ist alles<br />
dieses roher und einfacher, aber immer sehr vertraulich und heimatlich. Eines nur,<br />
was jedoch immer seltener wird, beschwert den Ungewohnten in den Wohnungen<br />
der ärmeren Leute sehr, nämlich der Mangel eines Rauchfangs. Der Rauch zieht<br />
nach Belieben aus allen Öffnungen hinaus, was bei Regentagen sehr unangenehm<br />
ist, weil dann die Wohnung oft von dichtem Rauch erfüllt ist.“ 3<br />
Ein solches Haus ohne Schornstein, ein sogenanntes „Rauchhaus“, findet Brentano in<br />
dem Geburtshaus der A. K. Emmerick in Flamschen. 4<br />
„Ich ging in diesen Tagen drei Stunden weit von Dülmen nach der Bauerschaft<br />
Flamske, zu dem väterlichen Haus der Emmerick, worin jetzt ihr ältester Bruder<br />
Bernd Emmerick mit Frau und Kind wirtschaftet. Dieser Ort gehört zu der Jakobipfarrei<br />
des eine halbe Stunde davon entfernten Städtchens Coesfeld. Ich wollte<br />
die Stelle sehen, wo sie geboren ist und wo ihre Wiege gestanden.<br />
Ich fand eine baufällige, von Lehm zusammengeknetete, mit altem bemoosten Stroh<br />
gedeckte Scheune. Als ich durch das geflickte, halboffene Scheunentor hineintrat,<br />
stand ich in einer Rauchwolke, in welcher ich kaum einen Schritt weit vor mich hin<br />
irgendetwas erkannte. Ihr Bruder und seine Frau begrüßten mich etwas verwundert,<br />
doch gleich sehr freundlich, als ich ihnen einen Gruß von der Schwester brachte,<br />
und die anfangs befremdeten Kinder nahten sogleich auf den Befehl des Vaters und<br />
reichten mir Kusshändchen.<br />
In dem leeren viereckigen Raum des Hauses fand ich keine Stube, was man so<br />
nennen kann; ein Winkel war abgeschlagen, worin der plumpe, bäurische Webstuhl<br />
des einen Bruders stand. Einige alte, von Rauch geschwärzte Laden zeigten,<br />
wenn man sie öffnete, große Bettladen voll Stroh, auf welchen einige Federkissen<br />
lagen; da schliefen die Leute. Auf der entgegengesetzten Seite schaut das Vieh<br />
hinter Pfählen hervor. Alle Gerätschaften stehen und hängen umher; oben von der<br />
Balkendecke hängen Stroh und Heu und Spinnenweben voll Rauch und Ruß herab,<br />
und das Ganze war undurchsichtig voll Rauch.
12 Günter Scholz<br />
Geburtshaus von Anna Katharina Emmerick in Flamschen<br />
Hier, in dieser finsteren, armen Nacht, voll Unordnung und Unbequemlichkeit, ward<br />
dieses feine, reine, leichte, lichtvolle, geistreiche Wesen geboren und erzogen, da,<br />
und nirgends anders erhielt es seine Unschuld in Gedanken, Worten und Werken.<br />
Ich dachte an die Krippe in Bethlehem.<br />
Ich aß vor dem Tor auf einem Holzblock Pumpernickel, Butter und Milch, und der<br />
fromme Bernd Emmerick sprach bei jedem kurzen Redesatz die Worte ‚mit Gott‘<br />
aus.<br />
Ich nahm einen alten, berauchten und zerrissenen Muttergotteskupferstich, der an<br />
der Türe des Raumes, wo sie geschlafen hatte, angeklebt war, mit mir und schenkte<br />
den Leuten ein anderes Bildchen. Dann las ich einige Eicheln auf unter den zwei
Clemens Brentano in Dülmen 13<br />
großen Eichbäumen, die vor der Hütte stehen, und nahm von den guten Leuten<br />
Abschied.“ 5<br />
Kommentar: Der Kotten in Flamschen, das Geburtshaus der Anna Katharina, ist eines<br />
der wenigen Zeugnisse für das Leben der armen Menschen um 1800. Häuser, Wohnungen<br />
von Adligen, von reichen Bürgern sind viele als Zeugnisse der damaligen Kultur erhalten.<br />
Die Wohnungen der Armen, die Möblierung solcher Wohnungen aber sind zerstört worden,<br />
da sie keinen Wert besaßen. Selbst in dem nach Bränden neu errichteten Haus wird noch<br />
deutlich, wie die armen Leute auf dem Lande damals gelebt haben, wenn auch durch den<br />
Neubau vieles schöner geworden ist, als es damals war (Mauerwerk, Dach, Tenne).<br />
Haus Limberg an der Münsterstraße
14 Günter Scholz<br />
Das in der Gedenkstätte Anna Katharina Emmerick bewahrte Zimmer der Anna<br />
Katharina gibt ein ebenso seltenes Beispiel für eine Wohnung armer Leute in der Stadt.<br />
An der Fensterbrüstung dieses Zimmers kann man die geringe Mauerstärke (16 cm) der<br />
Außenwand dieses Zimmers sehen und somit auch eine Vorstellung von dem Wohngefühl<br />
in einem solchen Raum in der kalten Jahreszeit bekommen. Man muss dazu in Betracht<br />
ziehen, was Brentano von der Einrichtung des Zimmers berichtet:<br />
„Hier rücke ich das Bett der Emmerick, das dem Zug, Küchendampf, Anlauf der<br />
Fremden, dem beständigen Sturm der Schwester ausgesetzt war seit Jahren, in die<br />
Kammer und schaffte die Viktualien aus dieser in eine entlegene, die ich ausbauen<br />
ließ. Wachstuch hab ich ihr neben das Bett an der Wand befestigt, wo man durch<br />
eine Ritze den Himmel sah, so dass sie durch den Zug das heftigste Zahnweh hatte,<br />
bis sie erst in der anderen Kammer ist.“ 6<br />
Kommentar: Das Fachwerk hier besteht wie auch sonst in den einfachen Häusern aus<br />
den aus Balken (hier dünnen Balken) gebildeten Fächern, die ausgefüllt sind mit Lehm,<br />
der zur besseren Haltbarkeit mit Reisig oder mit Stroh versetzt ist. Das eingefügte Material<br />
kann sich durch die Austrocknung von den Balken lösen, so dass Ritzen in der Wand<br />
entstehen.<br />
Die Wohnbedingungen in der Wohnung des Abbé Lambert verdeutlicht eine kleine<br />
von Brentano beschriebene Szene:<br />
„Sie (Anna Katharina) war heute Morgen ziemlich heiter und es war Hoffnung da,<br />
dass sie erzählen würde. Aber da hat das Unglück den unseligen Mann herangeschafft,<br />
der alle vierzehn Tage mit vielen Umständen und großem Zeitaufwand die<br />
Ofenröhren ausputzt und der zu dem Gestank der jungen Hühner, welche immer<br />
piepen und für Lambert gefüttert werden, noch den Ruß und seine schwarze Essigfarbe<br />
stinken ließ. Dazwischen schreien die Schweine des Hofes. Dazu kommt<br />
noch Rauch, und Fett an den Ofen.“ 7<br />
Kommentar: In dem Wohnraum und auch in dem von Brentano eingerichteten Zimmer<br />
der Emmerick stand jeweils ein kleiner eiserner Ofen, wie aus Brentanos Skizze des<br />
Zimmers hervorgeht. Diese Öfen waren mit einem langen bis kurz unter die Decke<br />
reichenden Rohr an den Schornstein angeschlossen. Das Rohr sollte so auch als Heizung<br />
wirken. In dem Rohr setzte sich Ruß von dem damals verwendeten Heizmaterial: Holz<br />
und Torf fest. Deshalb war die beschriebene Reinigung nötig. Dazu wurde in dem Raum<br />
das Rohr abgenommen und offensichtlich auch in dem Raum gereinigt. Damit das Rohr<br />
nicht durchrostete, wurde es immer wieder gestrichen und der Ofen mit Fett eingerieben.
Clemens Brentano in Dülmen 15<br />
Kammer im Hinterhaus Limberg<br />
In der Wohnung wurden Hühnerküken großgezogen, denn im Winter (es ist Januar)<br />
war es für diese auf der Tenne unter der Wohnung zu kalt. Das war damals durchaus bei<br />
den weniger wohlhabenden Leuten üblich. Unter der Wohnung ist die Tenne mit dem<br />
Schweinestall, eine Treppe führt direkt von der Tenne nach oben in die Wohnung, so ist<br />
das Quieken der Schweine dort deutlich zu hören.<br />
Zu Beginn des Jahres 1819 hatte Brentano sich bewusst eine Wohnung bei ganz<br />
einfachen Bauersleuten gewählt. Er beschreibt die für ihn „idyllische“ Situation:<br />
„Ich befinde mich wohl und wohne bei einem demütigen lieben frommen und<br />
heiteren Priester im Haus seines Bruders eines rechtschaffenen Ackerbürgers. Die<br />
Leute sind alle einfältig, fromm und sehr gut, es ist ein sehr getreuer Hund da,<br />
zahme Hühner fressen einem aus der Hand, die Frau ein Muster der Güte und<br />
Freundlichkeit, rasch und unermüdet, hat ein liebes flinkes Kind, das tausend Späße<br />
macht. Am Feuer am Küchenboden sitzt es sich gut unter frommen Knechten und<br />
Mägden und der alte Oheim ein Franziskanerbruder klar und heiter und schuldlos<br />
wird geneckt. Abends sitzen wir alle vor der Türe und genießen das Vergnügen
16 Günter Scholz<br />
die Kühe nach Haus gehen zu sehen, welche mit großer Freude von dem Kinde<br />
begrüßt werden. Ich esse auch mit diesen lieben Menschen und befinde mich in<br />
dieser Hinsicht besser als je.“ 8<br />
Über Bildung und Sittlichkeit schreibt Brentano:<br />
„Im allgemeinen ist die Frömmigkeit und Sittenreinheit im Münsterlande noch so<br />
groß, dass mir ein Priester beteuerte, höchst selten komme ihm eine Versündigung<br />
zwischen den beiden Geschlechtern im Beichtstuhl vor, und wenn es der Fall sei,<br />
wäre wohl schon geschehen, dass die Schuldigen laut weinend in den Beichtstuhl<br />
gestürzt seien und sich im Eifer der Reue so laut angeklagt hätten, dass Gefahr<br />
gewesen sei, alle Umstehenden vernähmen ihr Vergehen.<br />
Die guten Leute haben diese Treue gegen Gott und seine Heilsanstalt nicht sowohl<br />
dem Wissen als dem Gewissen und der gläubigen Teilnahme an den Heilsmitteln<br />
der katholischen Kirche zu verdanken. Ich habe die heilige Schrift bei keinem Laien<br />
gefunden, man hört keine Bibelsprüche sprechen, aber man sieht ihre Lehre üben.<br />
Die frommen Bauern und ihr treues katholisches Kirchenleben sind die Bibelstellen<br />
selbst. Ein den Anforderungen der Zeit mehr entsprechender Volksunterricht<br />
begann erst in der lebenden Generation durch die Bildung der Schullehrer und<br />
-lehrerinnen in Overbergs Schule, der im ganzen Lande wie ein Vater und Heiliger<br />
verehrt wird. Ich bin niemand begegnet, der nicht für die Arbeiten Overbergs<br />
höchst dankbar gewesen wäre, aber auch niemand, der mir beteuert hätte, die<br />
Leute seien frömmer dadurch geworden als ihre Voreltern. Alle waren durch seine<br />
große Einfalt und heiligmäßige Andacht und Menschenfreundlichkeit weit mehr<br />
gerührt als für seine Werke begeistert; der fromme Mann gab seinen Werken den<br />
Segen. Die Kranke selbst (Anna Katharina), deren höchstes Priester- und Freundesideal<br />
Overberg ist, hat mir öfter geäußert, dass sie oft fühle und in Gesichten<br />
sehe, wie die alten, armen, mühseligen Dorfschullehrer, welche, um zu leben, dabei<br />
schneidern mussten, mehr Segen zu frommer Kinderzucht gehabt hätten als die<br />
neuen abgerichteten Lehrer und Schuljuffern, die sehr häufig durch das bestandene<br />
Examen eine kleine Eitelkeit gewönnen. Ein jedes Werk besitze ein gewisses Maß<br />
des Fruchtens; sobald aber der Lehrer einen Wohlgeschmack, ein Selbstgefühl an<br />
seinem Werk genieße, so verzehre er einen Teil von dessen Segen für sich selbst<br />
und so sei es oft jetzt der Fall, ohne dass man es äußerlich gerade merke. Die<br />
Lehrerinnen fühlten: ‚Wir lehren gut‘, die Kinder: ‚Wir lernen gut‘, die Eltern<br />
freuten sich über die gelehrten, klugen Kinder, in allen entstehe ein Streben, noch<br />
mehr nach außen zu glänzen und um sich zu greifen. Lesen und Schreiben gehe
Clemens Brentano in Dülmen 17<br />
viel besser, der Feind aber säe für diese erweiterte Fähigkeit täglich mehr Unkraut<br />
in den Weg und die Frömmigkeit und Tugend werde täglich geringer.<br />
Ich fand die Quelle der noch lebenden Sitteneinfalt und Andacht weit mehr in<br />
treuem Festhalten an dem überlieferten Glauben und der Tugend von frommen<br />
Voreltern her, in großer Achtung vor den Priestern und ihrem Segen, im fleißigen<br />
Kirchenbesuch und Gebrauch der Sakramente als in erweitertem Unterricht. Ich<br />
kann nicht vergessen, wie ich morgens ganz frühe neben einem Zaun hergehend,<br />
Kinderworte hörte und stillstehend lauschend ein zerlumptes Hirtenmädchen von<br />
etwa sieben Jahren hinter einigen Gänsen auf einer Wiese gehend sah mit einer<br />
Weidenrute in der Hand; es sagte mit unnachahmlicher Andacht und Wahrheit:<br />
‚Guten Morgen, lieber Herr Gott! Gelobt sei Jesus Christus und lieber Vater im<br />
Himmel! Gegrüßt seist du, Maria, voll der Gnaden: Ich will gut sein, ich will fromm<br />
sein. Alle liebe Heilige, alle heilige Engel: ich will gut sein. Ich habe ein Stück Brot,<br />
das esse ich; für das liebe Brot danke ich. Ach, helft mir auch, dass mir die Gänse<br />
nicht ins Getreide laufen und dass kein böser Junge eine tot wirft. Helft mir doch,<br />
ich will ein gutes Kind sein, lieber Vater im Himmel!‘ Dieses Gebet hatte gewiss<br />
aus alter, überlieferter Hausandacht das arme Kind sich selbst zusammengesucht;<br />
schwerlich würde ein neuer Schullehrer sein Gebet gewürdigt haben.<br />
Wenn ich die häufig geringe Wissenschaftlichkeit und bäurische Sitte der Priester<br />
bei ihrer gewissenhaften Frömmigkeit, wenn ich die große Vernachlässigung der<br />
Ordnung, Zierde und Reinlichkeit in vielen Kirchen und manche Nachlässigkeit im<br />
Anstande des Gottesdienstes erwäge, wenn ich bedenke, dass alles Volk plattdeutsch<br />
redet und dass Unterricht und Predigt hochdeutsch gehalten werden und darum<br />
schwer ganz zu Herzen gehen, wenn ich die sehr einfältige, rohe Erziehung der<br />
meisten Kinder betrachte und bei allem diesem die Reinheit, Unschuld, Tüchtigkeit,<br />
den frommen Glauben und geraden verstehenden Sinn der geringsten dieser Leute<br />
für manche tieferen Dinge täglich erfahre, so fühle ich recht lebhaft, dass der<br />
Herr und seine Gnade, mehr als in Wort und Schrift, lebendig bei seiner Kirche<br />
ist, nämlich wesentlich und lebendig mit schöpferischer Kraft in seinen Heiligen<br />
Sakramenten, die fortgesetzt ewig neu da sind durch die von ihm aus von Hand<br />
zu Hand übergebene wundervolle heilige Kraft der Priesterweihe. Die Kirche, ihr<br />
Segen, ihre Heil-, Heiligungs- und Wunderkraft ist da und besteht fest wie die<br />
Natur und wird die Natur überleben, denn sie ist eine Kraft und keine Schöpfung<br />
Gottes, und davon empfangen alle, die an Jesu und seiner Kirche Wort glauben.“ 9
18 Günter Scholz<br />
Wie stark das Leben der Menschen in Dülmen von der Religion geprägt war, zeigt sich<br />
in Brentanos Lebensstil, mit dem er sich bewusst in das Leben der <strong>Dülmener</strong> einfügte:<br />
„Morgens stand er frühe auf und ging in die Kirche, wo er immer an derselben<br />
Stelle kniend die Heilige Messe mit tiefer Erbauung anhörte. Das mächtige Gebetbuch,<br />
welches er vor sich aufgeschlagen hielt, und die ernste Haltung des Mannes<br />
erregten, wie ein Augenzeuge berichtete, die Aufmerksamkeit aller, welche ihn zum<br />
ersten Male sahen.“<br />
„Große Achtung erwarb er sich bei den Bewohnern des Städtchens durch die<br />
Demut und Treue, mit denen er sich bei allen hergebrachten Andachtsübungen der<br />
Gemeinde beteiligte. Täglich betete er (abends) mit seinen Hausleuten gemeinsam<br />
den Rosenkranz. Und allwöchentlich sah man ihn, wie es in jener Gegend Sitte war,<br />
mit ausgespannten Armen die Stationen des Kreuzweges besuchen.“ 10<br />
In Brentanos „Lied vom Tod von Anna Katharina Emmerick“ weist der Vers: „Bezahle<br />
den Kreuzweg der Frau“, darauf hin, dass man den Kreuzweg auch von anderen gegen<br />
Bezahlung – wohl bei Krankheit – für sich beten ließ. Das Gedicht nimmt den Vorgang<br />
auf, dass Anna Katharina vor ihrem Sterben eine arme Frau hat den Kreuzweg für sich<br />
beten lassen. Im Sterbebett bittet sie Brentano, die Frau dafür zu bezahlen.<br />
Kommentar: In der Beurteilung der sittlichen Zustände zeigt sich Brentanos antiaufklärerische<br />
Position und seine romantische Weltsicht. Das einfache, ursprüngliche Leben<br />
war bei den Romantikern paradiesisch verklärt. Dabei nimmt man „bäurische Sitte der<br />
Priester“ und „Vernachlässigung der Ordnung, Zierde und Reinlichkeit“ in Kauf. „Einfalt“<br />
gegenüber der „Vielfalt“ der Lebensvorstellungen hatte einen hohen Wert, darauf gründet<br />
nach dieser Anschauung die Sittlichkeit und nicht auf Gelehrsamkeit und Wissen. Stets hat<br />
Brentano seinen einfältigen ältesten Bruder Anton wegen seiner hohen und eindeutigen<br />
Sittlichkeit bewundert.<br />
Die kleine Geschichte mit dem Gänse hütenden Mädchen zeigt, wie in dieser Gesellschaft<br />
schon kleine Kinder zur Arbeit herangezogen werden und bei dieser scheinbar so<br />
einfachen Arbeit doch unter enormen Druck stehen. Denn die Kleidung und die Angst des<br />
Mädchens entsprechen nicht im Geringsten unserem aus Märchen gewonnenen romantischen<br />
Bild der „Gänseliesel“.<br />
Da Brentano sich in Dülmen mit Anna Katharina Emmerick in den Dienst der armen<br />
Leute stellte, findet man in seinen Briefen immer wieder Hinweise auf die Situation der<br />
Armen in Dülmen. Das damit entstehende Bild von Dülmen wird dadurch sicher einseitig.<br />
Denn es gab auch besser situierte Bürger in Dülmen. Brentano hat auch mit ihnen Kontakt
Clemens Brentano in Dülmen 19<br />
Früheres Grab der Anna Katharina Emmerick<br />
gehabt, z. B. mit Dr. Wesener, mit einer Reihe von Geistlichen, mit dem Kupferschmied<br />
Meiners. Die Beschreibung der Situation der armen Leute in Dülmen steht immer im<br />
Zusammenhang mit Bitten um Stoffreste für die Armen:<br />
„Ich weiß nicht liebste Frau Mutter, ob sie in ihrer Haushaltung oder in der ihrer<br />
Kinder und Freunde auch so einen alten Klapperkasten oder Sack haben, wie ich<br />
ihn bei meiner Mutter kannte, um der guten Kranken eine Freude damit zu machen.<br />
Haben sie aber dergleichen, so tun sie doch ihren Schatzkasten auf und lassen sie<br />
uns etwas zukommen, das verwandelt sich hier in tausend Kleinigkeiten. Welche<br />
den hiesigen sehr armen Kindern gar nützlich sind und aus kleinen Mustern und<br />
Resten von Stoffen macht sie Kissen für Reliquien. Kurz sie kann alles brauchen,<br />
denn das Jesuskind reckt und streckt schier alles, dass es ausreicht.<br />
Solche Lappen, welche an vielen Orten verworfen und versteckt herumliegen,<br />
kommen mir, seit ich sehe was die Emmerick draus zustande kriegt, immer vor<br />
wie ganz vergessene arme Seelen, welche erlöst werden durch ihre Hände, und so<br />
bitte ich sie denn liebe Frau Mutter, öffnen sie uns aus ihrer Nähe ein paar solcher
20 Günter Scholz<br />
Kerker. Alle Art von Zeug, Linnen, Kattun, Seide, Tuch, was es ist, macht ihr eine<br />
große Freude und verwandelt sich in Segen.“ 11<br />
„Die meisten Einwohner sind sehr arm und zwar bettelarm, doch sie sind genügsam<br />
und nicht undankbar und viele sind einfältig fromm.“ 12<br />
August 1821 an Claudine Piautaz, das ist die Haushälterin in der Familie Brentano in<br />
Frankfurt:<br />
„Ich bitte dich nämlich von dir und den guten Kindern des Georgs und der Meline<br />
und Toni und allen guten milden Menschen mir einen Bettelsack voll allerlei<br />
Flicken und Lappen, alten Kleidern, altem Linnen und Bändeln, Schnüren und<br />
Stoff jeder Art, es sei, was es sei, zusammen zu betteln und wenn du einen rechten<br />
Sack voll beisammen hast, so lass ihn zumachen und an mich hierher senden.<br />
Ich kenne hier arme fromme Leute, welche mit besonderem Segen alle solche<br />
Lappen zur Kleidung neu geborener und kleiner Schulkinder verarbeiten. Die<br />
Armut ist hier so groß, dass manche Wöchnerin nicht hat ihr Kind zu bedecken,<br />
viele Kinder sind so elend bekleidet, dass sie kaum zur Schule und Kirche können,<br />
und es ist ihnen mit einem alten Lappen Zeug oft der Weg zur Lehre und zum<br />
Empfang aller Kirchen Gnaden bereitet. . . . Es werden mit diesen Geschenken<br />
besonders arme Neugeborene gegen Weihnachten bekleidet, und es ist dies eine<br />
Weihnachtsgabe, welche weniger kostet und mehr Segen bringt als die kostbarsten<br />
Geschenke, welche sich die Reichen machen. Alles was Zeug ist, groß und klein,<br />
von jedem Stoff und Form ist brauchbar.“ 13<br />
24. Dezember 1821:<br />
„Jetzt ist es sehr kalt, viele arme Kinder frieren sehr, arme Leute haben kein Wasser,<br />
weil die Brunnen vertrocknet sind und die Teiche gefroren. Da können sie die Kühe<br />
nicht tränken, da können diese keine Milch geben, da müssen auch wohl Kinder<br />
und Eltern noch hungern zu der Kälte.“ 14<br />
Januar 1822:<br />
„Sie (Anna Katharina Emmerick) dankt ihnen herzlich für das überschickte Alte. Sie<br />
hat es bereits an höchst elende Menschen zum Notwendigen verarbeitet, ausgeteilt.<br />
Der liebe Gott hat sie zu dieser Gabe getrieben, denn es war große Not bei armen<br />
Wöchnerinnen und Leuten, die sich nicht bedecken konnten, um zur Kirche zu
Clemens Brentano in Dülmen 21<br />
Wohnung des Paters Limberg an der Borkener Straße<br />
kommen. Ein solcher Lappen erhält manche Seele, die unerquickt hungert und<br />
bloß am Rande der Verzweiflung steht, an einem Stückchen Zeug halten sie sich<br />
zuweilen und springen über den Abgrund und kehren zum Gebet und zu Glauben,<br />
Hoffen und Lieben zurück.“ 15<br />
März 1822 in einem Brief an den Bruder Christian:<br />
„Nun habe ich noch eine kleine Bitte an dich, die du nicht vergessen musst, weil<br />
sie so ganz hinten (in dem Brief) steht. Es ist für die hiesigen Armen. Kannst du<br />
mir nicht bei den Geschwistern etwas alte Kleider, Lappen Flicken und Leinwand<br />
zusammen betteln und an Frau Hirn senden, dass sie es mir bald zukommen lässt.<br />
Die arme Kranke (Anna Katharina) hat gar nichts mehr auszuteilen. Sie zerreißt<br />
und färbt ihre Betttücher, und es ist dergleichen ihre einzige Freude. Ich schaffe
22 Günter Scholz<br />
zwar, wo es Not tut Neues an, aber die Auswahl und das besonnene Benutzen des<br />
Alten scheint ihr Freude zu machen.“ 16<br />
Ein anderes Beispiel für die Not der armen Leute beschreibt Brentano in einem Brief<br />
an die Geschwister Diepenbrock nach dem Tod ihrer Mutter, Dezember 1823:<br />
„Zur Zeit der Krankheit eurer guten Mutter starb auch hier eine uns liebe Frau<br />
auf dem Stroh beinah ohne alle Bedienung; ihre Krankheiten mit dem armen stets<br />
arbeitenden Mann und auf ihr herumkriechenden kleinen kranken Kindern teilend<br />
in Not und Elend.“ 17<br />
Wie knapp damals selbst Papier war, zeigt der Umgang des Paters Limberg (Beichtvater<br />
der Anna Katharina) mit an Anna Katharina Emmerick gerichteten Briefen, den<br />
sogenannten „Gebetsbriefen“. Der Pater gebraucht die zerschnittenen Briefe als Fidibusse.<br />
Da es damals noch keine Streichhölzer gab, konnte man Feuer nur von Feuer nehmen, das<br />
geschah mit solchen Papierstreifen. Pater Limberg gebraucht sie zum Anzünden seiner<br />
Pfeife.<br />
„Während solchen Äußerungen zerschneidet er (Limberg) die merkwürdigsten<br />
Briefe von allerlei frommen Leuten an die Emmerick, die weder Lambert noch<br />
er gelesen, und sie auch nicht hat, worunter vielleicht meine und Christians und<br />
Luisen zu Fidibus. Und er versteht mich nicht, so ich ihm sage, ich habe mehrere<br />
solche Briefe gesammelt, sie sind Dokumente zur Geschichte dieser Person – er<br />
schneidet zu.“ 18<br />
Wie stark sich Brentano damals mit Dülmen identifiziert, zeigt ein Brief Brentanos an<br />
Caspar Niesing in Dülmen von der Silberhochzeit seines Bruders Franz in Frankfurt im<br />
August 1823.<br />
„Die Ausführung gelang vollkommen. Ich kommandierte im blauen westfälischen<br />
Kittel alle vornehmen Gäste und selbst die hohe versammelte Geistlichkeit und<br />
Schuldeputationen an Ort und Stelle.“ 19<br />
Kommentar: Brentano ist also stolz in dem einfachen westfälischen Kittel die kirchlichen<br />
und politischen Würdenträger zu empfangen, die sicher nach der damaligen Mode<br />
prächtig gekleidet waren.
Clemens Brentano in Dülmen 23<br />
Literatur<br />
Die Briefe Brentanos werden in der historisch kritischen Brentano-Ausgabe, der sog.<br />
Frankfurter Brentano-Ausgabe veröffentlicht, abgekürzt „FBA“. Aus der <strong>Dülmener</strong> Zeit<br />
Brentanos liegen in den Bänden 33 und 34, dem 5. und 6. Band der Briefe, die Briefe von<br />
1813 – 1818 und von 1819 – 1823 vor.<br />
Das <strong>Dülmener</strong> Tagebuch Brentanos ist von Jozef de Raedemaeker in 38 Heften herausgegeben<br />
worden.<br />
Die Brentano-Biographie von Johannes Baptista Diel und Wilhelm Kreiten unter dem<br />
Titel „Clemens Brentano – Ein Lebensbild“ in zwei Bänden, erschienen 1877 und 1878 in<br />
Freiburg, enthält Informationen, die die Autoren noch von Verwandten und Zeitzeugen<br />
Brentanos erfahren konnten.<br />
1 Frankfurter Brentano-Ausgabe (FBA) 33, S. 329.<br />
2 FBA 33, S. 332 ff.<br />
3 FBA 33, S. 332 ff.; Tagebuch 1, S. 9 – 11.<br />
4 Dieses Haus kann man heute noch, allerdings nach Bränden wieder aufgebaut, in Flamschen bei Coesfeld<br />
besichtigen.<br />
5 Tagebuch 1, S. 11 f.<br />
6 Aus dem Brief 714 an Luise Hensel vom Oktober 1818, FBA 33, S. 331 – 351.<br />
7 Tagebuch 22, S. 16.<br />
8 FBA 34, S. 111 f.<br />
9 Tagebuch 1, S. 16 – 18.<br />
10 Diel/Kreiten II, S. 217 ff.<br />
11 FBA 34, S. 123 f.<br />
12 FBA 34, S. 152.<br />
13 FBA 34, S. 198.<br />
14 FBA 34, S. 213.<br />
15 FBA 34, S. 223 f.<br />
16 FBA 34, S. 253.<br />
17 FBA 34, S. 446.<br />
18 FBA 34, S. 275.<br />
19 FBA 34, S. 416.
Antonius Bödiger<br />
Die Männer mit den geschulterten Spaten – das Lager des<br />
Reichsarbeitsdienstes auf der Karthaus<br />
Von 1931 bis Kriegsende 1945 bestand in der Bauerschaft Weddern eine Abteilung des<br />
Reichsarbeitsdienstes, das RAD-Lager Karthaus. Älteren Mitbürgern ist dies noch bekannt,<br />
zumal diese Baracken an der Kreisstraße K 13, unweit der damaligen Reichsstraße<br />
R 51, noch bis 1968 als Notunterkünfte genutzt wurden. Die Quellenlage über die RAD-<br />
Abteilung Dülmen wie auch über alle anderen ist allerdings dürftig, da seinerzeit alle<br />
RAD-Gruppierungen den Befehl aus Berlin erhalten haben sollen, sämtliche Akten zu<br />
vernichten. 1 Ebenso sind bis auf ein Aktenstück Unterlagen der Amtsverwaltung Dülmen<br />
nicht erhalten oder sind nie angelegt worden. Auch in der Geschichtsforschung fand der<br />
Reichsarbeitsdienst bislang wenig Beachtung.<br />
Postkarte (gestempelt am 21. April 1934). Reichsarbeitsdienst-Abtlg 5/201 6/164 Karthaus<br />
b./Dülmen, aufgenommen von der Kreisstraße Richtung Karthaus ca. 300 Meter<br />
vom Abzweig von der Reichsstraße 51.
Die Männer mit den geschulterten Spaten – das Lager des Reichsarbeitsdienstes auf . . . 25<br />
Die Gliederungen des Reichsarbeitsdienstes<br />
Der Reichsarbeitsdienst unterstand dem Reichsarbeitsführer Konstantin Hierl und war<br />
regional in 33 Arbeitsgaue unterteilt, diese wiederum in meist 10 bis 12 Gruppen, denen 3<br />
bis 8 Abteilungen untergeordnet waren.<br />
Die Anfänge des Arbeitsdienstes im Raum Dülmen fallen wohl in das Jahr 1931, als<br />
nach Erinnerung von Zeitzeugen schon eine kleinere Baracke des zu der Zeit freiwilligen<br />
Arbeitsdienstes in der Bauerschaft Weddern bestand. 2 Im April 1933 gab es dann im Kreis<br />
Coesfeld mindestens vier weitere Lager, zwei in Hiddingsel, je eins in Hausdülmen und<br />
in Beerlage bei Billerbeck. Zu diesem Zeitpunkt war laut Pressemitteilung des Landrats<br />
noch die Errichtung von insgesamt sieben dezentralen Arbeitslagern in der Trägerschaft<br />
des Kreises angedacht. 3 Nur drei Monate später, am 23. Juli 1933, berichtete die örtliche<br />
Presse, dass die bisherigen kleineren Lager zusammengelegt und zur Zeit je ein größeres<br />
für mehr als 200 Mann nördlich Coesfeld und bei Buldern errichtet würden. 4<br />
Dieses größere Lager zwischen<br />
Buldern und der Karthaus<br />
wurde ca. Jahresende 1933 fertiggestellt,<br />
war mit Abteilung 5/201<br />
bezeichnet und zunächst einer<br />
RAD-Gruppe 201 Coesfeld unterstellt.<br />
Auch in diesem Zeitraum,<br />
aus dem auch die vorstehende<br />
Postkarte stammt, war der Arbeitsdienst<br />
noch ein freiwilliger<br />
Dienst. Ende 1935, wenige Monate<br />
nach gesetzlicher Einführung<br />
der Arbeitspflicht im Juni 1935,<br />
wurde die RAD-Abteilung Carthaus<br />
(fortan mit „C“ geschrieben)<br />
als Abteilung 4/200 neu formiert<br />
und unterstand damit der im Oktober 1935 neu gegründeten RAD-Gruppe 200 in Münster,<br />
diese wiederum dem Arbeitsgau XX Westfalen-Süd in Dortmund. 5<br />
Laut dem einzig überlieferten Aktenstück der Amtsverwaltung Dülmen, einer am<br />
16. April 1936 vom Amtsbürgermeister Sebbel im Entwurf abgezeichneten Bescheinigung,<br />
war das vom RAD 4/200 genutzte Gemeindegrundstück diesem kostenlos zur Verfügung<br />
gestellt worden. 6 Mit eben dieser Bezeichnung 4/200 ist das RAD-Lager auch im Kreis-<br />
Adressbuch 1937 gelistet. 7
26 Antonius Bödiger<br />
Nach einer Umstrukturierung erhielt<br />
die Abteilung Carthaus ab 1938<br />
die Bezeichnung 6/164 und unterstand<br />
fortan einer in Münster im<br />
Jahr 1938 neu gegründeten RAD-<br />
Gruppe 164, die jetzt dem Arbeitsgau<br />
XVI Westfalen-Nord 8 zugeordnet<br />
war. Dessen Gauleiter provozierte<br />
später die katholische Kirche und<br />
namentlich Bischof Clemens August<br />
Graf von Galen, als die Gauleitung im<br />
Juli 1941 mit Unterstützung der Gestapo<br />
das Hiltruper Missionshaus (Orden<br />
vom Heiligsten Herzen Jesu) besetzte<br />
und sich dort bis Anfang 1945<br />
mit dem Stab und der Verwaltung des<br />
Arbeitsgaues Westfalen-Nord einrichtete.<br />
9<br />
Was<br />
war der Reichsarbeitsdienst?<br />
Die Idee eines nationalen Arbeitsdienstes<br />
war in Bulgarien entstanden,<br />
das bereits 1920 einen Pflichtdienst<br />
eingeführt hatte, um gemeinnützige<br />
Arbeiten zu verrichten. Das bulgarische<br />
Beispiel hatte zur Zeit der Weimarer<br />
Republik breite Beachtung ge-<br />
Skizze erstellt anhand der Alliierten-Luftaufnahme<br />
Nr. 2 179 von März 1945.<br />
funden und wurde 1931 durch die Regierung Brüning als „Freiwilliger Arbeitsdienst“<br />
eingeführt, der zum Abbau der hohen, durch die Weltwirtschaftskrise bedingten Arbeitslosigkeit<br />
führen sollte. Unter der NS-Regierung wurde mit Gesetz vom 26. Juni 1935<br />
dieser freiwillige Dienst in einen Pflichtdienst umgewandelt. Ab Juni 1935 musste jeder<br />
18-jährige junge Mann eine dem Wehrdienst vorgelagerte sechsmonatige Arbeitspflicht<br />
im Rahmen eines Arbeitsdienstes ableisten. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wur-
Die Männer mit den geschulterten Spaten – das Lager des Reichsarbeitsdienstes auf . . . 27<br />
de der Reichsarbeitsdienst auf die weibliche Jugend, die so genannten Arbeitsmaiden,<br />
ausgedehnt. 10<br />
Der Reichsarbeitsdienst befasste sich anfangs mit Kultivierungsmassnahmen in Landund<br />
Forstwirtschaft sowie Urbarmachung von Moorflächen und Deichbau. Der RAD hatte<br />
in der Zeit des Nationalsozialismus von Beginn an aber paramilitärischen Charakter, war<br />
in ein totalitäres Regime eingegliedert und wurde für die Ziele des Systems zunehmend<br />
instrumentalisiert. Nach Kriegsbeginn wurde die Dienstzeit der Arbeitsdienst-Männer<br />
sukzessive bis auf zuletzt 6 Wochen verkürzt und schließlich nur noch zur Rekrutenausbildung<br />
genutzt. Dabei wurden die RAD-Einheiten zunehmend zu militärischen Bauaufgaben<br />
an den Frontlinien und an der Heimatfront herangezogen oder als Flakhelfer-Einheiten 11<br />
eingesetzt.<br />
Deutschland stand mit dieser Idee eines gemeinnützigen<br />
Arbeitsdienstes, wie er gegen Ende der<br />
Weimarer Republik eingeführt worden war, nicht<br />
alleine. Auch in anderen Staaten, namentlich den<br />
USA, gab es einen staatlichen Arbeitsdienst, das<br />
Civilian Conservation Corps CCC, das aber auf freiwilliger<br />
Basis basierte und als Arbeitsbeschaffungsprogramm<br />
diente. Mit Kriegseintritt der USA wurde<br />
das CCC eingestellt. 12<br />
Bauliche Anlagen<br />
und Struktur der RAD-Abteilung Carthaus<br />
Das RAD-Lager Carthaus bestand im Endausbau<br />
aus zwei langgestreckten, über Eck stehenden Baracken<br />
I und II, einer kleineren Baracke und mehreren<br />
Nebengebäuden an der Kreisstraße 13 in Richtung<br />
Karthaus, ungefähr 300 Meter vom Abzweig der<br />
damaligen Reichsstraße R 51. Nach Süden schloss RAD Carthaus. Baracken-Inneres<br />
sich ein Sportgelände an, das auch als Exerzierplatz<br />
genutzt wurde. Die Anlage machte, soweit das auf<br />
den Fotos erkennbar ist, einen freundlichen und gepflegten<br />
Eindruck mit weiß getünchten Baracken, gepflegten Grünflächen und Wegen und<br />
der Ruhezone im Vordergrund des Bildes auf der nächsten Seite.
28 Antonius Bödiger<br />
Breite Wege, viel Grünanlagen, überall Ordnung und tadellos saubere Wohnbaracken,<br />
dies hatte durchaus System, sollte für einen Wohlfühleffekt sorgen und wird in<br />
vielen Biographien ehemaliger Arbeitsdienstler auch für andere Lager so oder so ähnlich<br />
beschrieben. Die Abteilung war etwa 250 Mann stark 13 , wahrscheinlich lag die durchschnittliche<br />
Belegung aber eher bei 216 Arbeitsdienstlern, der regulären Sollstärke einer<br />
RAD-Abteilung.<br />
Postkarte um 1940. RAD Carthaus. Bildmitte hinten Baracke I, vorne Birkenbänke, rechts die<br />
Kreisstraße Richtung Karthaus, auf dem Eingangspfeiler rechts der Reichsadler<br />
Sie unterstand Oberstfeldmeister Adolf Bettermann 14 , einem eingefleischten frühen<br />
NSDAP-Mitglied, der vom Zeitzeugen Lechler als groß und korpulent beschrieben wird. In<br />
seiner Funktion hielt Bettermann 1937 einen „fesselnden“ Vortrag vor dem NS-Lehrerbund<br />
über staatspolitische und erzieherische Ziele des RAD. 15 Im Nachgang zu den Novemberpogromen<br />
1938 und der Inhaftierung von Juden wurde Bettermann als besonders tatkräftig<br />
erwähnt. 16
Die Männer mit den geschulterten Spaten – das Lager des Reichsarbeitsdienstes auf . . . 29<br />
RAD Carthaus. Festlich hergerichteter Gemeinschaftsraum in Baracke III<br />
Für die Unterkünfte hatte der RAD<br />
Normbauten, d. h. Holzhäuser im Baukastenprinzip,<br />
komplett neu entwickeln lassen,<br />
denn diese sollten variabel und transportabel<br />
und auch unter schwierigen klimatischen<br />
oder geographischen Bedingungen<br />
nutzbar sein.<br />
Das RAD-Mannschaftshaus Typ IV/3.<br />
17 Diese so entwickelten<br />
Wohnbaracken waren reichsweit, allem Anschein<br />
nach auch in Dülmen in Gebrauch.<br />
Ob diese durch die <strong>Dülmener</strong> Baufirma<br />
Kirschner in Lizenz oder anderenorts hergestellt<br />
wurden, ist nicht belegt. Die Grundeinheit<br />
bildete ein Bindersegment von<br />
3,30 Meter Breite, um das die Holzhäuser beliebig verlängert oder verkürzt werden konnten.<br />
Jedes Segment hatte eine Tiefe von 8,14 Meter, eine Traufhöhe von 2,55 Meter und
30 Antonius Bödiger<br />
eine Firsthöhe von 3,35 Meter und war dabei autark durch eine eigene Stromnetz-Einheit,<br />
durch einen eigenen, den gusseisernen RAD-Ofen und durch die genormte RAD-<br />
Kochanlage. In Ergänzung zu den Wohnbaracken gab es im Regelfall ein zentralbeheiztes<br />
Waschhaus mit genormten Rohrnetzteilen sowie Einheits-Einfamilienhäuser für die<br />
Familien der Lagerleiter.<br />
Das Ausmaß der baulichen Anlagen ist auf dem Luftbild vom März 1945 und der<br />
daraus entwickelten Skizze gut erkennbar. Die Maße der beiden größeren Wohnbaracken I<br />
und II dürften anhand der Luftbildauswertung um 52 bzw. 46 Meter Länge betragen<br />
haben. Legt man hingegen die spätere Skizze aus 1952 mit den dort skizzierten 10 bzw.<br />
7 Wohnsegmenten zu Grunde, so führt dies zu deutlich geringeren Abmessungen von ca.<br />
33 bzw. 23 Meter Länge, vermutlich weil Baracken-Segmente gegen Kriegsende zerstört<br />
oder in der unmittelbaren Nachkriegszeit entfernt worden waren.<br />
Die Aufgaben der RAD-Abteilung Carthaus<br />
Von den meisten Arbeitsdienstlern im<br />
Münsterland ist bekannt, dass diese zu Kultivierungsmaßnahmen<br />
in der Land- und<br />
Forstwirtschaft eingesetzt wurden, aber es<br />
gab auch andere Aufgaben. So war der<br />
RAD Senden schwerpunktmäßig bei der<br />
Erweiterung des Dortmund-Ems-Kanals tätig.<br />
Schon bei der ersten Presseberichterstattung<br />
im Juli 1933<br />
RAD Carthaus. Arbeitskolonne<br />
18 war das Aufgabenspektrum<br />
des RAD-Lagers bei Buldern mit<br />
„großzügigen Bodenverbesserungen“ grob<br />
umrissen worden. Im Detail wurden dabei<br />
Flussregulierungen, Meliorationen und Zusammenlegungen<br />
genannt, wobei dem heimischen<br />
Landschaftscharakter durch neue<br />
Baumpflanzungen und neue Wallhecken (!) Rechnung getragen werden sollte. Die Aufnahme<br />
auf dieser Seite von einer Arbeitskolonne des RAD-Lagers Carthaus zeigt im<br />
Graben einen Trupp Arbeitsmänner bei der Aushebung eines schnurgeraden, V-förmigen<br />
Bachbettes, so wie dies auch von der klassischen Flurbereinigung geläufig ist.
Die Männer mit den geschulterten Spaten – das Lager des Reichsarbeitsdienstes auf . . . 31<br />
Auch Drainageverlegungen auf Ackerland<br />
gehörten zum typischen Arbeitsspektrum<br />
und wären ohne den Einsatz der Arbeitsdienstmänner<br />
für die Landwirte kaum<br />
finanzierbar gewesen. Die zweite Bild auf<br />
dieser Seite zeigt, wohl als Kontrastbild,<br />
einen verlandeten Bach.<br />
Eines der größeren bekanntgewordenen<br />
Projekte war die Regulierung des Mühlenbaches<br />
(Heubaches), die Mitte 1938 für<br />
den Abschnitt südlich Bügelmanns Mühle<br />
bis in den Linnert abgeschlossen wurde,<br />
während der nördlich gelegene Abschnitt<br />
zu diesem Zeitpunkt noch bevorstand.<br />
RAD Carthaus. Verlandeter Bach<br />
19<br />
Zeitzeuge Josef Dreckmann erinnert sich,<br />
dass aber auch Mannschaftsteile bei der<br />
Erweiterung des Dortmund-Ems-Kanals<br />
in Hiddingsel eingesetzt waren. Ebenso<br />
kann sich Zeitzeuge Lechler gut an die<br />
Entschlammung des Mühlenteiches beim<br />
Kloster Karthaus erinnern, da er nach Feierabend<br />
dort mit Nachbarkindern in den<br />
Loren gespielt hatte.<br />
Zu ihren Einsatzorten fuhren die Arbeitsdienstler<br />
mit dem Fahrrad, häufig in<br />
Gruppen bis zu 50 Personen. Busse oder<br />
LKW für den Mannschaftstransport gab es nicht. Die Arbeitsmaterialien und Arbeitsgeräte<br />
blieben an der Baustelle.<br />
Letztlich dürften Kultivierungsarbeiten in der Landwirtschaft bis in die Kriegsjahre<br />
der Arbeitsschwerpunkt gewesen sein, während, wie noch zu zeigen sein wird, gegen<br />
Kriegsende die kriegsbegleitende Ausbildung von Rekruten dominierte.<br />
Beziehungen zum Umland und zur Stadtbevölkerung<br />
Über den Einzugsbereich der eingezogenen Arbeitsdienstmänner gibt es keine verlässlichen<br />
Quellen, die dem Verfasser bekannten Briefe und Postkarten lassen aber den Schluss
32 Antonius Bödiger<br />
zu, dass diese im Großen und Ganzen aus der gesamten Heimatprovinz Westfalen stammten.<br />
Der Schriftverkehr ermöglicht keine Rückschlüsse auf die Arbeitseinsätze und die<br />
Arbeitsbedingungen, sondern hat mehr den Stil von Urlaubsgrüßen oder Glückwunschkarten.<br />
Es wird allenfalls deutlich, dass die Freizeit stark reglementiert war und sich wohl<br />
auf freien Ausgang am Sonntag beschränkte. Dieser war, so die Erinnerung von Zeitzeuge<br />
Dreckmann, auf 14 bis 22 Uhr begrenzt, in denen sich Arbeitsdienstler zu Fuß nach Buldern<br />
oder Dülmen auf den Weg machten. Auch an den allabendlichen Zapfenstreich um<br />
21.45 Uhr, der bis zu seinem Elternhaus zu hören war, kann er sich auch heute noch gut<br />
erinnern.<br />
Erich Klöpper (links) und Arbeitskameraden um 1937<br />
Gleichwohl kamen gelegentlich auch private Kontakte zustande. Das Bild auf dieser<br />
Seite zeigt den aus Detmold stammenden Erich Klöpper mit seinen Arbeitskameraden.<br />
Nach dem Arbeitsdienst im RAD Carthaus und anschließender Wehrmachtszeit blieb er<br />
bei seiner Bulderner Freundin Paula „hängen“ und gründete dort mit ihr eine Familie.
Die Männer mit den geschulterten Spaten – das Lager des Reichsarbeitsdienstes auf . . . 33<br />
Appell der RAD-Männer beim Kriegerfest in Buldern 1937<br />
Die Teilnahme an offiziellen Veranstaltungen war schon in der Frühphase des Arbeitsdienstes<br />
selbstverständlich. So nahm der FAD (Freiwillige Arbeitsdienst) Hiddingsel am<br />
1. Mai 1933 am Bulderner Festumzug zum „Tage der nationalen Arbeit“ teil, im August<br />
1933 an der Fahnenweihe der NSBO 20 Buldern. 21<br />
Die Lagerleitung bemühte sich durchaus auch um gesellige Veranstaltungen in Dülmen<br />
und Buldern, manchmal nicht ohne hintergründige Absichten. So wurde im Mai 1936<br />
allein fünfmal in der Presse zu einem Eintopfessen im Bürgerhaus eingeladen bzw. darüber<br />
berichtet. Der Erlös war für das Winterhilfswerk bestimmt und selbstredend gehörten zur<br />
Veranstaltung auch parteipolitische Reden und musikalische Darbietungen. 22<br />
Ebenso wurden gelegentlich sportliche Wettkämpfe mit <strong>Dülmener</strong> Vereinen ausgetragen:<br />
Handball-Wettkämpfe gegen den TUS oder Leichtathletik-Wettkämpfe gegen die<br />
TSG. Verlierer war meist die RAD-Mannschaft. 23<br />
Auch Abschiedsfeste der jeweiligen Arbeitsdienst-Jahrgänge sowie Berichte über
34 Antonius Bödiger<br />
neu eingezogene Geburtsjahrgänge fanden ihren Niederschlag in der örtlichen Presse.<br />
Besonders ausführlich berichtet wurde über den Abschiedsabend vom 22. September 1936,<br />
zu dem fast 300 Gäste, insbesondere lokale Prominenz sowie Vertreter der Partei, des<br />
Staates und des Arbeitsdienstes, im Lager erschienen waren. Nach dem gemeinsamen<br />
Abendessen auch hier Musikdarbietungen und kernige Ansprachen über die „Schule der<br />
Nation“. 24<br />
Kriegsende<br />
Die Flugzeuge der Royal Air Force<br />
und der US Air Force haben bei ihren<br />
Aufklärungs- und Angriffsflügen 1944<br />
und 1945 häufig Luftbildserien aufgenommen.<br />
Zumindest vier Flüge erfassen<br />
die Bauerschaft Weddern, und<br />
zwar vom 6. Juli 1944, 25. Dezember<br />
1944, 22. Februar 1945 und nicht näher<br />
datiert vom März 1945. 25<br />
Das Aufnahme auf dieser Seite<br />
vom März 1945 lässt deutlich die baulichen<br />
Strukturen und den südlich davon<br />
befindlichen Sportplatz erkennen.<br />
Die zwei auffällig hellen Flecken links<br />
des Lagers könnten Bildfehler (Geisterpunkte)<br />
sein. Der Verfasser neigt zu<br />
der Annahme, dass es sich um soeben<br />
vom Flugzeug abgeworfene metallene<br />
Kanister mit gebündelten Stabbrandbomben<br />
handelt, so wie diese auch<br />
am 21. und 22. März 1945 bei der<br />
Bombardierung Dülmens abgeworfen<br />
wurden. (Diese Brandbomben-Kanister<br />
zerplatzten der größeren Wirkung<br />
wegen erst in geringer Höhe.) 26<br />
Der Vergleich der vier Luftbildse-<br />
US-Luftbild vom März 1945. Gebäude sind vom Verfasser<br />
hervorgehoben. Aufnahme vom Vormittag, erkennbar<br />
am Schattenwurf nach Nordwesten.<br />
rien macht aber auch deutlich, dass es im Lager im letzten Kriegsjahr noch erkennbare
Die Männer mit den geschulterten Spaten – das Lager des Reichsarbeitsdienstes auf . . . 35<br />
Veränderungen gegeben hatte. Links der in Nord-Süd-Richtung stehenden Baracken ist<br />
ein kompaktes turmähnliches Gebilde entstanden. Der Schattenwurf dieses mutmaßlichen<br />
Wachturms lässt auf 20 bis 25 Meter Höhe schließen. Südwestlich des Sportplatzes wurde<br />
eine spitzwinkelige, bis dahin mit Buschwerk bestandene Fläche gerodet und zu nicht näher<br />
erkennbaren Aktivitäten, evtl. als Trainingsanlage, genutzt. Außerhalb des Bildausschnitts<br />
ca. 300 Meter westlich vom Lager sind im Wald Schützengräben und asymmetrische Laufgräben<br />
angelegt worden, offensichtlich zu Übungszwecken für Grabenkämpfe. Insgesamt<br />
deuten diese und andere Veränderungen aus den letzten Kriegsmonaten darauf hin, dass<br />
das Lager bis Kriegsende intensiv zur Rekrutenausbildung genutzt wurde.<br />
Erkennbar bis zum März 1945<br />
hatte es Bombenabwürfe auf das<br />
RAD-Lager nicht gegeben, im Bereich<br />
des am 11. Februar bombardierten<br />
Tanklagers Osthof sind<br />
auf den Luftbildern hingegen<br />
Bombentrichter deutlich auszumachen.<br />
Offensichtlich stellte das<br />
Lager für die Alliierten kein militärisches<br />
Angriffsziel dar und<br />
wurde zumindest nicht gezielt<br />
bombardiert. Auch Zeitzeugen<br />
konnten keine verlässliche Auskunft<br />
geben. Es deutet aber einiges<br />
darauf hin, dass das Lager in<br />
den letzten Märztagen 1945 bombardiert<br />
wurde und wie viele Höfe<br />
noch Zufallstreffer abbekommen<br />
RAD-Baracken als Notunterkünfte. Skizze Amtsverwaltung<br />
Dülmen 1952<br />
hat, denn von den baulichen Anlagen waren in der Nachkriegszeit nur noch zwei Baracken,<br />
kleiner als ursprünglich, erhalten.<br />
Nachkriegszeit<br />
Nach Kriegsende waren kurzzeitig Russen und Ungarn in den zwei noch bestehenden Baracken<br />
untergebracht, offensichtlich aus deutschen Gefangenenlagern befreite Kriegsgefangene.<br />
27 Anschließend ging die Anlage in das Eigentum der Bundesvermögensverwaltung<br />
über.
36 Antonius Bödiger<br />
Diese bzw. das Amt Dülmen vermieteten die Baracken als Notunterkünfte an ausgebombte<br />
Familien und Kriegsflüchtlinge. In den Akten der Amtsverwaltung Dülmen 28<br />
befindet sich eine Skizze aus dem Jahr 1952, wonach die zwei Baracken aus 17 Wohneinheiten<br />
bestanden und von insgesamt 80 Personen bewohnt wurden. In der bäuerlichen<br />
Umgebung waren diese Lagerfamilien nicht gut gelitten.<br />
Auch nach Abschaffung der Wohnungszwangswirtschaft im Jahre 1960 war Wohnraum<br />
in Dülmen noch nicht ausreichend vorhanden, um diese Notunterkünfte endgültig<br />
aufzugeben. 1964 wurde wegen des maroden Zustandes der Baracken den letzten vier<br />
Familien gekündigt, erst im Jahr 1968 erfolgte nach Auszug der letzten Bewohnerin der<br />
endgültige Abriss. 29 Seitdem ist das Gelände wieder landwirtschaftliche Nutzfläche.<br />
1 Im Bundesarchiv sind Unterlagen mehrerer Arbeitsgaue, auch vereinzelt Personalakten, vorhanden,<br />
keine jedoch von den Arbeitsgauen XX Westfalen-Süd und XVI Westfalen-Nord. Ab Mitte 1944 waren<br />
mehrere teils widersprüchliche Führerbefehle erlassen worden, die sowohl die Vernichtung von Akten<br />
als auch die der Infrastruktur betrafen, die jedoch unterschiedlich gehandhabt wurden. Der am 19. März<br />
1945 von Adolf Hitler unterzeichnete Befehl zu Zerstörungsmaßnahmen im Reichsgebiet, kurz Nero-<br />
Befehl genannt, war der abschließende Befehl, gegenüber den Angreifern das Prinzip der verbrannten<br />
Erde anzuwenden.<br />
2 Zeitzeugen-Gespräche wurden geführt mit Josef Dreckmann, Jahrgang 1919, und Adolf Lechler, Jahrgang<br />
1922.<br />
3 Bulderner Zeitung vom 12. April 1933.<br />
4 Bulderner Zeitung vom 23. Juli 1933: Eine Million Tagwerke!<br />
5 Forum für deutsche Militärgeschichte, „RAD-Abteilungen“, URL: http://forum.balsi.de/index.php?topi<br />
c=2060.0 (abgerufen am 2. März 2012).<br />
6 Stadtarchiv (StadtA) Dülmen, Amt Dülmen Akte C 881, Grundstücksangelegenheiten Zumegen/RAD-<br />
Lager.<br />
7 StadtA Dülmen, Adressbuch des Kreises Coesfeld 1937.<br />
8 Siehe Fußnote 5.<br />
9 Stadt Münster, „Beschlagnahme des Missionshauses 1941“. URL: http://www.muenster.org/kvg/navig/<br />
wir/histor/schgesch/1941/index.htm (abgerufen am 2. März 2012).<br />
10 Seite „Reichsarbeitsdienst“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 27. Februar 2012,<br />
19:07 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Reichsarbeitsdienst&oldid=100222260<br />
(abgerufen am 2. März 2012, 17:03 UTC).<br />
11 „Flak“ ist die Kurzform von „Flugabwehrkanone“.<br />
12 Seite „Civilian Conservation Corps“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 6. Juni<br />
2011, 20:03 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Civilian_Conservation_Corps&oldi<br />
d=89730368 (abgerufen am 2. März 2012, 17:08 UTC).<br />
13 HEINZ BRATHE: Dülmen im Zweiten Weltkrieg 1939. 1. Fortsetzung. In: <strong>Dülmener</strong> <strong>Heimatblätter</strong>,<br />
Jahrgang 37, Heft 1/2, 1990. S. 13.
Die Männer mit den geschulterten Spaten – das Lager des Reichsarbeitsdienstes auf . . . 37<br />
14 Siehe Fußnote 13.<br />
15 <strong>Dülmener</strong> Zeitung vom 28. September 1937.<br />
16 Ansprache von Ortwin Bickhove-Swiderski, Vorsitzender des DGB-Ortsverbandes Dülmen, am 9. November<br />
2008 aus Anlass des 70. Jahrestages der Novemberpogromnacht in Dülmen. URL: http:<br />
//www.gruene-duelmen.de/Rede.pdf (abgerufen am 13. April 2012).<br />
17 Studienkreis Bochumer Bunker e. V., URL: http://www.bochumer-bunker.de/rad_normbauten.html (abgerufen<br />
am 2. März 2012) mit Verweis auf primäre Quelle: VDI-Zeitschrift, Bd. 88, Nr. 29/30, v. 22. Juli<br />
1944, S. 381 – 389.<br />
18 Siehe Fußnote 4.<br />
19 <strong>Dülmener</strong> Zeitung vom 21. Mai 1938: Regulierung des Mühlenbaches.<br />
20 Abkürzung für „Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation“. Siehe auch: Seite „Nationalsozialistische<br />
Betriebszellenorganisation“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 12. Februar<br />
2012, 22:28 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Nationalsozialistische_Betriebszelle<br />
norganisation&oldid=99595970 (abgerufen am 9. März 2012, 16:08 UTC).<br />
21 Bulderner Zeitung vom 28. April 1933 und vom 27. August 1933.<br />
22 <strong>Dülmener</strong> Zeitung vom 3. März 1936, 5. März 1936 und 10. März 1936.<br />
23 <strong>Dülmener</strong> Zeitung vom 23. Juni 1936 und 24. Juli 1938.<br />
24 <strong>Dülmener</strong> Zeitung vom 22. September 1936 und 3. April 1937.<br />
25 Luftbilderserien US7GP2205 6. Juli 1944 (Bild 2124), Serie 16/15330 25. Dezember 1944 (Bild 4069),<br />
Serie 16/1740 22. Februar 1945 (Bild 4038) und Serie US332547 MAR (= März 1945) (Bild 2179). Die<br />
Einsicht und Auswertung der genannten Luftbildserien wurde dem Verfasser freundlicherweise beim<br />
Kampfmittelräumdienst der Bezirksregierung Arnsberg ermöglicht.<br />
26<br />
HEINZ BRATHE†, WOLFGANG WERP: Dülmen im Zweiten Weltkrieg – 1939 bis 1945. In: <strong>Dülmener</strong><br />
<strong>Heimatblätter</strong>, Sonderausgabe 2011, Seite 103.<br />
27 Siehe Fußnote 2.<br />
28 StadtA Dülmen, Amt Dülmen Akte B 570, Barackenlager des ehemaligen RAD-Lagers Karthaus 1952 –<br />
66.<br />
29 StadtA Dülmen, Amt Dülmen Akte B 572, Barackenlager des ehemaligen RAD-Lagers Karthaus 1960 –<br />
68.
<strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />
Seide für den König – Seide für den Führer: Die erfolglosen<br />
Bestrebungen zur Anpflanzung von Maulbeerbäumen im<br />
<strong>Dülmener</strong> Raum<br />
Die ersten Versuche im 19. Jahrhundert<br />
Im Jahre 1829 teilte der Coesfelder Landrat<br />
der Stadt Dülmen die Bekanntmachung zur<br />
„Beförderung des Seidenbaus in den Preußischen<br />
Staaten“ mit. 1 Inzwischen hatte die<br />
Wissenschaft erkannt, dass die Seidenraupe<br />
(der „Seidenwurm“) kein warmes Klima<br />
wie in China oder Südeuropa benötigte,<br />
sondern der Zuchterfolg lediglich von einer<br />
bestimmten Nahrung für das Tier– nämlich<br />
vom Maulbeerbaum – abhing. Seidenbau war<br />
also auch nördlich der Alpen in Deutschland<br />
möglich.<br />
Vier Jahre später, am 27. November<br />
1833, erkundigte sich die Regierung zu<br />
Münster nach den Fortschritten im Seidenbau<br />
und dabei vor allem, wie dieser „von<br />
einzelnen Schullehrern mit Erfolg getrieben<br />
werde“. Der Coesfelder Landrat wurde<br />
deshalb veranlasst, „nach Rücksprache<br />
mit den Schul-Inspektoren, mit Bezug auf unsere<br />
früheren Aufforderungen, in so fern in<br />
Ihrem Kreise sich Schullehrer für den Betreib<br />
des Seidenbaues sich interessieren, sie<br />
Morus alba<br />
nach Möglichkeit in den Stand zu setzen,<br />
Maulbeerbäume anzupflanzen“. Diese Aufforderung<br />
leitete der Landrat an die Bürgermeister<br />
seines Kreises und diese an die hiesigen Lehrer weiter. Die Lehrer der Schulen<br />
in der Stadt Dülmen und in den Bauerschaften Börnste, Dernekamp, Daldrup, Weddern,
Seide für den König – Seide für den Führer: Die erfolglosen Bestrebungen zur . . . 39<br />
Welte sowie in Merfeld bestellten daraufhin Maulbeerbaumpflänzlinge. Über den Lehrer<br />
zu Hausdülmen musste allerdings bemerkt werden, dass dieser „erklärt hat, dass er sich<br />
mit Anpflanzung von Maulbeerbaumpflänzlingen nicht befassen könne, auch wirklich dafür<br />
nicht qualifiziert ist“.<br />
Unterstützung durch den Magistrat<br />
Abgesehen von diesen Versuchen an den Schulen blieb die Resonanz im <strong>Dülmener</strong> Raum<br />
allerdings gering. Der <strong>Dülmener</strong> Magistrat – also die Leitung der Kommunalverwaltung –<br />
war offenbar gewillt, die Förderung des Seidenbaus zu unterstützen; doch musste dieser am<br />
24. Dezember 1855 an die vorgesetzte Behörde mitteilen, dass es ihm „noch nicht gelungen<br />
ist, diesseitige Eingesessene für den Zweck zur Förderung des Seidenbaus zu gewinnen“.<br />
Als Grund für diesen Misserfolg wurde angegeben: „Die geringere eingesessene Klasse<br />
dahier ist für Anhebung einer solchen Sache nicht geeignet, dieselbe muß, wenn sie ihr<br />
Bestehen haben will, sich streng an ihre Erwerbsgeschäfte halten und kann sonach keine<br />
Zeit erübrigen für Nebenversuch der fraglichen Art“. Wenige Jahre später, am 28. Januar<br />
1859, wurde aus Dülmen nach Münster gemeldet, dass man zwar immer noch keine<br />
Eingesessenen für die Anpflanzung von Maulbeerbäumen gewonnen hatte, allerdings<br />
wurde versichert: „Wir werden jedoch diese Angelegenheit nicht aus den Augen lassen<br />
und für deren Zustandekommen nach Möglichkeit Sorge tragen.“ 2<br />
Ablehnung durch die Stadtverordnetenversammlung<br />
Ganz anders sah dies im folgenden Jahr die <strong>Dülmener</strong> Stadtverordnetenversammlung: Im<br />
Protokoll zur Sitzung am 8. August 1860 wurde das bereits in den Jahren zuvor erkennbare<br />
Engagement des Magistrats erneut genannt: „Auf Anregung der Königlichen Regierung zu<br />
Münster, sucht der Magistrat die Seidenbauzucht in der hiesigen Gemeinde einzuführen, um<br />
für die geringen Leute ein gewinnbringendes Nebengewerbe zu schaffen. Hierzu ist es aber<br />
erforderlich zuerst“ Maulbeerbäume heranzuschaffen, ohne welche die Seidenbauzucht<br />
nicht betrieben werden kann. Der Magistrat beantragt daher aus der Kämmereikasse einen<br />
Beitrag von etwa 15 Thaler. Dies wurde von der Stadtverordnetenversammlung jedoch mit<br />
deutlichen Worten abgelehnt: „Die Versammlung der Stadtverordneten erklärte sich mit<br />
diesem Antrag nicht einverstanden, und glaubt dass die Seidenbauzucht“ [sic!] sich für die<br />
hiesige Stadt und Umgebung nicht eigne. 3 Und damit scheint die Angelegenheit erledigt<br />
gewesen zu sein – zumindest finden sich in den <strong>Dülmener</strong> Quellen für die folgenden Jahre<br />
keine weiteren Unterlagen zu Seidenbau und Maulbeerbäumen.
40 <strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />
Im Gegensatz zum Magistrat stellte sich die <strong>Dülmener</strong><br />
Stadtverordnetenversammlung im Jahre 1860 gegen das<br />
Maulbeerbaum- und Seiden-Projekt.
Seide für den König – Seide für den Führer: Die erfolglosen Bestrebungen zur . . . 41<br />
Nationalsozialismus: Fallschirmseide im Zweiten Weltkrieg<br />
Fast 80 Jahre später, zur Zeit des Nationalsozialismus, wurde der Seidenbau jedoch wieder<br />
Thema für die Kommunalverwaltung, als es galt, Fallschirmseide für die Luftwaffe zu<br />
produzieren. 4 Wie im Jahrhundert zuvor spielten auch nun erneut die Schulen eine wichtige<br />
Rolle. Die Seidenraupenzucht sollte eingebettet in die gesamte – nationalsozialistische –<br />
Erziehung und Kriegspropaganda: Der „Rohstoff Seide“, so hieß es, sei „für unsere<br />
Wehrmacht nicht zu ersetzen“; es gelte, „den Seidenbau im Interesse unserer Luftwaffe zu<br />
fördern“. Das Interesse der Schulkinder an diesem Thema sollte durch die Darstellung<br />
der Fallschirmjäger als „schneidige Truppe“ geweckt werden. Das Gesamtziel unter<br />
dem Slogan „Wir wollen unserer Luftwaffe helfen“ sollte durch mehrere im Lehrplan<br />
aufgeführte Teilziele erreicht werden, die darin bestanden, dass die Schulkinder lernen<br />
sollten, wie sie durch den Seidenbau die preiswertere Herstellung der teuren Fallschirme<br />
für die Luftwaffe unterstützen konnten. 5<br />
Anfang März 1939 rief im Zuge dieser Bestrebungen das Landratsamt in Coesfeld über<br />
die Lokalpresse die hiesigen Schulen zur Mitarbeit an dem großen Projekt des Seidenbaus<br />
auf, das – so die Darstellung in der <strong>Dülmener</strong> Zeitung – in anderen Regionen bereits<br />
Erfolge verzeichnen konnte. 6 Im <strong>Dülmener</strong> Raum blieben in den kommenden Jahren die<br />
Erfolge allerdings wie bereits im Jahrhundert zuvor aus.<br />
Beteiligung der Schulen im Amt Dülmen<br />
Anfang Juli 1939 wies der Regierungspräsident die Landräte zur verstärkten Durchführung<br />
von Maulbeerpflanzungen als Voraussetzung des Seidenbaus an, da die „Ausdehnung des<br />
Seidenbaues“ als „eine zwingende Notwendigkeit“ angesehen wurde. Gut zwei Monate<br />
später, kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, wurde ausdrücklich betont, es sei aus<br />
„wehrwirtschaftlichen Gründen“ dringend geboten, „in grösserem Ausmaße als bisher<br />
Seidenbau zu treiben“. Der Coesfelder Landrat ersuchte deshalb im September 1939<br />
angesichts des Rückgangs des Seidenbaus und trotz der fehlenden Eignung der hiesigen<br />
Bodenverhältnisse zum Anbau von Maulbeerbäumen die Bürgermeister seines Kreises,<br />
„in jeder Weise den Anbau von Maulbeerbäumen zu fördern.“ Wie in anderen Teilen des<br />
Landes und bereits 1833 wurde hierbei vor allem den Schulen eine entscheidende Rolle<br />
zugewiesen.<br />
Im März bestellte die Schule in Börnste 100 Maulbeerpflanzen, die Schulen in Daldrup<br />
Dernekamp, Rödder, Visbeck und Welte sogar jeweils 150 Stück. Wie gut hundert Jahre<br />
zuvor war Hausdülmen am Seidenbau-Projekt nicht beteiligt. Als Grund wurde jetzt allerdings<br />
nicht das Fehlen einer entsprechenden Eignung des Lehrers, sondern des Fehlen von
42 <strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />
geeignetem Land angeführt. Lehrer Elsbernd teilte am 12. April 1940 der Amtsverwaltung<br />
mit: „Eine Maulbeerpflanzung ist in Hausdülmen seitens der Schule nicht angelegt worden,<br />
weil es an passendem Gelände fehlt.“ Aus Merfeld wurde dem Amtsbürgermeister<br />
berichtet, dass bereits drei Jahre zuvor 100 Maulbeerpflänzlinge gesetzt worden waren, die<br />
nun „in der Entwicklung begriffen seien.“ Für neue Maulbeersetzlinge fehle der Platz. Der<br />
Lehrer der Schule Weddern konnte auf dem Schulgelände keine Fläche dafür finden, stellte<br />
für das kommende Jahr aber ein anderes Gelände in Aussicht. Anfang 1944 wurden in<br />
Weddern schließlich 160 Maulbeerbäume im Alter von zwei Jahren gezählt, mehr als die<br />
offensichtlich von 1939/40 übrig gebliebenen Pflanzen in den anderen Bauerschaften des<br />
Kirchspiels Dülmen. 7 Mit dieser Meldung endet die Überlieferung für das Amt Dülmen.<br />
Die Bereitschaft der Schulen zur Anpflanzung von Maulbeerbäumen als Grundlage des<br />
Seidenbaus war hier trotz des teilweise zu konstatierenden Mangels an Land vorhanden –<br />
wirkliche Erfolge blieben aber aus.<br />
Zurückhaltung in Buldern, Hiddingsel und Rorup<br />
Anders sah es mit der Bereitschaft in Buldern und Hiddingsel aus, wo bereits zu Beginn<br />
der Aktion die Bedingungen schlecht waren: Am 15. August 1939 und erneut ein halbes<br />
Jahr später, am 15. Februar 1940, teilte der Amtsbürgermeister dem Landrat mit, dass<br />
hier Maulbeerpflanzungen aufgrund des Fehlens von entsprechendem Grundbesitz nicht<br />
möglich seien. Im März 1940 wurde näher ausgeführt, dass „in hiesiger Gegend Ödland<br />
für eine Anpflanzung nicht zur Verfügung“ stehe. Man sehe „keine Möglichkeit, Platz<br />
für eine nennenswerte Menge von Bäumchen bezw. Sträucher in Vorschlag zu bringen“.<br />
Auch als Heckenanpflanzung käme der Maulbeerstrauch nicht in Frage, da er „dann in<br />
den allermeisten Fällen dem Befrass weidender Tiere“ ausgesetzt sei. Insgesamt sah der<br />
Amtsbürgermeister „hier keine Ansatzmöglichkeit zur erfolgversprechenden Anpflanzung<br />
des Maulbeerstrauches“. Nachdem auch in den folgenden Monaten auf Anfragen immer<br />
wieder Fehlanzeige wegen des Fehlens von Grundbesitz gemeldet wurde, zeigte sich der<br />
Landrat im Februar 1941 schließlich recht ungehalten: Er schien den Erklärungen aus dem<br />
Amt Buldern nicht recht Glauben zu schenken und vermutete, „dass die Angelegenheit<br />
dort nicht mit dem nötigen Interesse bearbeitet worden ist“. Er betonte erneut, für die<br />
Anpflanzung von Maulbeerbäumen sei kein eigener Grundbesitz erforderlich; die Pflanzen<br />
eigneten sich auch als Wegeeinfassungen und als Einfassungen von Schulgelände oder<br />
Schulgärten.<br />
Bis zum 20. August erwarte er deshalb aus dem Amt Buldern einen Bericht über die<br />
eingeleiteten Maßnahmen. Daraufhin wurde bereits im folgenden Monat aus Hiddingsel
Seide für den König – Seide für den Führer: Die erfolglosen Bestrebungen zur . . . 43<br />
Die Schule in Hiddingsel versuchte sich im Zweiten Weltkrieg wie die Schulen in Buldern und<br />
Hausdülmen durch den Verweis auf das Fehlen einer geeigneten Anbaufläche dem Maulbeerbaumund<br />
Seiden-Projekt zu entziehen<br />
gemeldet, dass der Schulplatz in Hiddingsel von Hecken umgeben sei, die sich im Privatbesitz<br />
der umliegenden Grundbesitzer befänden, und der Schulgarten nur auf einer Seite<br />
eine Hecke aufweise, an der jedoch Vieh vorbei getrieben wurde. Allerdings schien man<br />
hier wohl aufgrund der Vorhaltungen des Landrats nun doch zu Zugeständnissen bereit:<br />
Man wies darauf hin, dass sich bei der geplanten Anlage von Sportplatz und Badeanstalt<br />
vielleicht eine Maulbeeranpflanzung durchführen ließe. Wenige Monate später war zumindest<br />
in Buldern etwas Land für diesen Zweck gefunden – in Hiddingsel wurde im Januar<br />
1944 noch Fehlanzeige gemeldet. Allerdings gab man sich in Buldern als recht unerfahren<br />
aus und bat um Informationen, wo man die Pflanzen besorgen könne und wie diese zu<br />
pflanzen und zu düngen seien, woraufhin die Reichsfachgruppe Seidenbauer e. V. und
44 <strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />
ein Lehrer aus Borghorst Informationsmaterial nach Buldern schickten. Im August 1942<br />
konnte der Amtsbürgermeister dem Landrat endlich mitteilen, dass man demnächst mit<br />
der Anpflanzung von 500 Maulbeerpflanzen beginnen werde. Die meisten der im Frühjahr<br />
1943 beschafften Pflanzen waren jedoch im August 1944 bereits von Wühlmäusen zerstört.<br />
Eine neue Anschaffung wurde in Aussicht gestellt – wie im Kirchspiel Dülmen scheinen<br />
aber auch hier aufgrund des nun in ein kritisches Stadium geratenen Krieges weitere<br />
Maßnahmen nicht mehr erfolgt zu sein. 8<br />
Allerdings blieben auch nach dem Krieg Bemühungen der staatlichen Verwaltung zur<br />
Förderung des Seidenbaus bestehen, wie die Anfragen des Oberkreisdirektors im Auftrag<br />
des Regierungspräsidenten an den Roruper Amtsbürgermeister im Sommer 1946 belegen.<br />
Allerdings wurden hier wie bereits während des Krieges Maulbeerpflanzen nur für das<br />
Gelände der Volksschule in Lette gemeldet. In der Gemeinde Rorup hatte man sich dieser<br />
Aufgabe offensichtlich entziehen können. 9<br />
1 Hierzu und zum Folgenden: Stadtarchiv (StadtA) Dülmen, Stadt Dülmen, Bn 36.<br />
2 StadtA Dülmen, Stadt Dülmen, Bn 36.<br />
3 StadtA Dülmen, Stadt Dülmen, Bn 36.<br />
4 Zu Beispielen in anderen Orten aus dieser Zeit vgl. Ernst Schniepp, Maulbeerhain in Leutenbach.<br />
In: Leutenbacher <strong>Heimatblätter</strong> 10/2006, http://www.leutenbach.de/Maulbeerhain.pdf. Abgerufen am<br />
26. Februar 2012.; Art. „Seidige Erinnerungen: Gemeinderat will Maulbeerbäume schützen“. In:<br />
Pforzheimer Zeitung, http://www.pz-news.de/region_artikel,-Seidige-Erinnerungen-Gemeinderat-will-<br />
Maulbeerbaeume-schuetzen-_arid,178950.html. Abgerufen am 26. Februar 2012.<br />
5 Reichsfachgruppe Seidenbauer e. V. (Hg.), Seidenbau in der Schule. Seine Eingliederung in den Unterricht,<br />
Berlin 1940, S. 7 f. und 18 f.<br />
6 <strong>Dülmener</strong> Zeitung (DZ), 7. März 1939.<br />
7 StadtA Dülmen, Amt Dülmen, B 435.<br />
8 StadtA Dülmen, Gemeinde Buldern, B 156.<br />
9 StadtA Dülmen, Amt Rorup, B 391. – Für die Stadt Dülmen ist nur eine entsprechende Anfrage<br />
des Kreisschulrates vom 5. März 1939, aber keine Antwort der Schule überliefert: StadtA Dülmen,<br />
Josefschule, Nr. 5.
Franz König<br />
Es lebe unser Waldfriedhof – und sein Haus der Toten.<br />
Ihre Beziehung zueinander und zur Stadt.<br />
Der Prozessionsweg zum <strong>Dülmener</strong> Waldfriedhof<br />
Wenn ich auf meinen Studien- und Urlaubsreisen Städte, Ortschaften, Dörfer besuchte,<br />
haben mich immer auch und fast zwanghaft, ihre Friedhöfe angezogen. Sie stehen für<br />
Kultur, sie stellen Geschichte dar, sie erzählen Schicksale. Sie vermitteln dem Besucher<br />
aber auch Ruhe, Nachdenklichkeit, inneren Frieden. Daher ist es wichtig, dass der Friedhof
46 Franz König<br />
von jedem und besonders von der häufig nicht motorisierten älteren Generation ohne<br />
Umstände erreichbar ist. Er gehört zum Leben und nicht ins Abseits, etwa weil er uns<br />
unsere Endlichkeit bewusst macht.<br />
Damit bin ich bei der mir wichtigsten Frage: Wie ist unser Waldfriedhof eingebunden<br />
in das Leben, in die Stadt und wie versuchte man damals, bei seiner Neuanlage, Nähe zu<br />
schaffen?<br />
Der <strong>Dülmener</strong> Waldfriedhof (Teilansicht)<br />
Quellen zu dieser Betrachtung waren für mich zunächst eigene Erinnerungen an<br />
Gespräche mit Menschen aus meinem beruflichen Umfeld. Diese Erkenntnisse konnte ich<br />
unlängst erhellen und ergänzen durch Heft 2 der <strong>Heimatblätter</strong> von 1933 aus dem Archiv<br />
des Heimatvereins Dülmen.
Es lebe unser Waldfriedhof – und sein Haus der Toten. . . . 47<br />
Die Aussegnungshalle<br />
1927 gab es hier nur eine Kirchengemeinde: St. Viktor. Sie betrieb und betreute den<br />
Mühlenwegfriedhof. Dessen Belegung stieß an Grenzen. Um Abhilfe zu schaffen, kooperierte<br />
der Kirchenvorstand mit dem Heimatverein. Dessen Vorsitzender war Domänenrat<br />
August Kreuz; ein angesehener <strong>Dülmener</strong> Bürger, kulturgeschichtlich interessiert, fachkundig<br />
auch, eine Persönlichkeit mit wichtigen und nützlichen Verbindungen.<br />
Nachdem für die Neuanlage des Friedhofs ein Gelände des Herzogs von Croÿ im<br />
Süden der Stadt durch Tausch mit Grundflächen der Kirchengemeinde zur Verfügung<br />
stand, wurde der Friedhof nach einem Wettbewerb unter Gartenarchitekten in den Jahren<br />
1928/29 angelegt.<br />
Zuvor hatte August Kreuz sich die planerische Mitwirkung des von ihm hochgeschätzten<br />
Architekten Gustav Wolf aus Münster gesichert. Der hatte in sein „Zukunftsbild<br />
Waldfriedhof “ die Anregung der Initiatoren zur kürzestmöglichen Anbindung an die Stadt<br />
aufgenommen, nämlich, einen Prozessionsweg auszubauen: Beginnend am Emmerickfriedhof<br />
(heute Kreuzkirche), über die Straße „Am Bache“, am Evangelischen und Jüdischen
48 Franz König<br />
Friedhof vorbei, beim Hof Wewerinck unter den Bahndamm hindurch geradenwegs auf<br />
den Haupteingang des Waldfriedhofs zugeführt.<br />
Das sollte die Krönung sein (Zitat) – eine geradezu geniale Idee! Aber: Wer konnte<br />
und wollte das bezahlen? Kirchengemeinde und Heimatverein suchten die Mithilfe der<br />
Stadt. Die lehnte, unter dem damaligen Bürgermeister Dr. Sicking, ab. Damit war mal<br />
wieder ein wichtiges Vorhaben Städtebau kurzsichtig vertan.<br />
Und was geschieht heute?<br />
Die geplante „Südtangente“, als wichtige, stadtumfahrende Verkehrsanbindung Richtung<br />
Ruhrgebiet geplant, wird den Vorplatz des Friedhofs anschneiden und entlang der<br />
Grenze des dort erweiterten Friedhofs geführt werden – ein unverzeihlicher Missgriff.<br />
Unser Waldfriedhof wird in Zukunft arg bedrängt sein. Vielleicht greift die Stadt, als<br />
Ausgleich für die vorgenannte Fehlleistung, den Gedanken „Prozessionsweg“ wieder auf<br />
und verwirklicht ihn samt Fußgängertunnel, die vor achtzig Jahren gescheitert sind.<br />
Modellstudie der Aussegnungshalle<br />
Werfen wir nun unsern Blick auf die Aussegnungshalle – spiritueller Schwerpunkt der<br />
Friedhofsanlage. Nach dem Kriege hat es an dieser Stelle ein bescheidenes Backsteingebäude<br />
gegeben. An dieses wurde, wohl in den siebziger Jahren, ein Funktionsgebäude,<br />
schwarz verblendet und mit Flachdach, angedockt.
Es lebe unser Waldfriedhof – und sein Haus der Toten. . . . 49<br />
Grundrisszeichnung der Aussegnungshalle
50 Franz König<br />
Für den Bau einer bedarfsgerecht größeren Aussegnungshalle wurde dann 1986 ein<br />
Wettbewerb unter mehreren Architekten ausgeschrieben. Nach Begutachtung durch ein<br />
Fachgremium wurde der Verfasser mit Planung und Bauüberwachung beauftragt.<br />
Der Bau für den Abschied vom Toten – eine ganz besonders sensible Aufgabe für den<br />
Planer.<br />
Der Mensch in einer Grenzsituation und die menschliche Würde verlangen eine<br />
bauliche Entsprechung: Der Tote verdient Respekt, die um ihn trauern brauchen Rücksichtnahme.<br />
Es gibt viele Beispiele zur Lösung einer solchen Aufgabe: Symbolträchtige, expressionistische,<br />
dramatisch gesteigerte und zuweilen auch skurrile Bauformen.<br />
Keine hat mich je so beeindruckt, wie das Einfache: Die Pyramiden der frühen Ägyptischen<br />
Kultur, die große, schlichte Form.<br />
Sie versinnbildlicht wie keine andere das Werden und Vergehen: Die breite Basis des<br />
beginnenden Lebens, das gleichmäßige Schwinden zur auslaufenden Spitze hin – hier<br />
verschoben zum Schwerpunkt des Raumes, dem Ort der Aufbahrung.
Es lebe unser Waldfriedhof – und sein Haus der Toten. . . . 51<br />
Innenansicht der Aussegnungshalle<br />
Und dann ist auch der genius loci bei dem Architekten ein hilfreicher Partner: Die<br />
ehemalige Heide-Vegetation, die man noch spürt, die Nadelbäume, die raumbildenden<br />
Rhododendrengehölze, die Birkenbäume, die Eichen, mal dicht gruppiert, mal raumgebend,<br />
die strenge Wegeführung. All diese Elemente bilden eine Landschaftscharakteristik, die<br />
die große Form braucht.<br />
Besonderes Augenmerk galt auch der Fassung des Eingangs. Er wird räumlich erst<br />
durch das vorgestellte Pfeilerpaar. Über diesem ein „Tympanon“ mit eingefügtem, filigran<br />
gestalteten Kreuzbalken.<br />
Im Quadrat des Grundriss’ ist die Wegführung der Kreuzform nachgebildet, dem<br />
Sinnbild christlichen Glaubens. An dessen Balkenenden öffnet sich der Raum zur umgebenden<br />
Natur. Spätes Eingeständnis des Architekten: heute würde er diese Ausblicke durch<br />
Ganzglaselemente weitgehend entmaterialisieren, zum grenzenlosen Dialog von innen<br />
und außen. Dem Licht und seinem Hineinführen in den Raum kommt, trotz bergender<br />
Rücksichtnahme für die Trauernden, besondere Bedeutung zu. Es gibt kein Entrücktsein;<br />
wir leben ja im Diesseits wie in der jenseitigen Welt.
52 Franz König<br />
Das Quadrat wird in allem deutlich, umschließt in seiner kleinsten Einheit wieder das<br />
Kreuzsymbol: in den Fenstern, im Ambomantel und in den Rücklehnen der Bestuhlung.<br />
Auch bei dieser haben wir den Zeichenstift angesetzt zu archaischer Einfachheit. Letzte<br />
Bequemlichkeit fehlt, eher nötigt sie Haltung ab – hier sei’s angemessen.<br />
Mit den verwendeten Materialien,<br />
dem kraftvoll bruchrauen Sandstein außen,<br />
dem hellen Kellenputz raumumfassend,<br />
dem urwüchsigen Porphyrpflaster im Wegekreuz,<br />
dem feinflächigen Marmor unter der Bestuhlung,<br />
dem strukturbelassenen Holz des transparenten Dachtragwerks<br />
glaube ich eine stützende Synthese gefunden zu haben<br />
zum Dialog mit dem Bauwerk,<br />
zu einer angemessenen Atmosphäre und<br />
zu kontemplativem Raumerlebnis.
<strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />
Müllabfuhr auf dem Lande: Die Anfänge der geregelten<br />
Müllentsorgung in den <strong>Dülmener</strong> Umlandgemeinden<br />
Was für Probleme die Müllentsorgung bereiten kann, zeigt in Dülmen die seit April 2010<br />
öffentlich geführte Debatte zu der in Rödder geplanten Deponie.<br />
Auch in der Vergangenheit erwies sich der verantwortungsbewusste Umgang mit<br />
Abfall als Herausforderung für die Verwaltung. Die Städte waren zuerst mit diesem<br />
Thema konfrontiert, für die ländlichen Gemeinden wurde dies jedoch erst später zu einem<br />
Problem.<br />
So war in der Stadt Dülmen die Abfallentsorgung bereits vor dem Ersten Weltkrieg<br />
organisiert und reguliert. Eine Müllabfuhrsatzung, die auch die Gebühren regelte, wurde<br />
hier 1911 erlassen. 1 Dass die Müllabfuhr ein wichtiges Aufgabengebiet der städtischen<br />
Verwaltung war, ist aus den Verhandlungen im November 1946 zu erkennen. Ein Jahr<br />
nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lag die zerstörte Stadt noch in Trümmern. Mit<br />
dem Wiederaufbau hatte man hier gerade erst begonnen. Nachdem die Stadtverwaltung<br />
jedoch festgestellt hatte, dass die alte Müllabfuhrgebührenordnung im Krieg vernichtet<br />
worden war, beschloss man unverzüglich, eine neue zu entwerfen, damit schnell wieder<br />
eine reguläre Entsorgung des Hausmülls durchgeführt werden konnte. 2<br />
In den <strong>Dülmener</strong> Umlandgemeinden wurde die Organisation einer geregelten Müllabfuhr<br />
jedoch erst mehrere Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Aufgabe der<br />
Kommunalverwaltung, als auf dem Lande auch in anderen Bereichen – wie z. B. Kanalisation,<br />
Straßenbau, Straßenbeleuchtung – umfassende Modernisierungsmaßnahmen<br />
durchgeführt wurden.<br />
Buldern und Hiddingsel<br />
In Buldern, dem infrastrukturell schon länger am weitesten entwickelten Ort des <strong>Dülmener</strong><br />
Umlands, scheint man das Problem zuerst erkannt zu haben. Zumindest berichtete die<br />
Lokalpresse im Oktober 1950: „Schon lange ist in Buldern der Wunsch laut geworden,<br />
daß eine geregelte Müllabfuhr eingerichtet wird. So hat sich nun ein Fuhrunternehmer<br />
bereit erklärt, alle Woche einmal die Abholung vorzunehmen, wofür monatlich eine DM<br />
gezahlt werden soll. Somit würde endlich das Dorf von Schuttabladeplätzen, die sich<br />
wild an Wegen, Hecken und Zäunen gebildet haben, frei werden. Hoffentlich wird jeder<br />
Haushalt diese Gelegenheit wahrnehmen, wo noch in aller Kürze darauf zurückgekommen<br />
wird.“ 3 Danach war in der Presse jedoch für mehrere Jahre aus Buldern nichts zum Thema
54 <strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />
Müllabfuhr zu hören. 4 Bewegung in die Angelegenheit kam schließlich erst 1961: Die<br />
Gemeinde Buldern strebte nun die Einführung einer Müllabfuhr an. Im Gemeinderat<br />
wurde die Überlegung angestellt, sich in Sachen Müllabfuhr einer benachbarten Gemeinde<br />
anzuschließen, da die Anschaffung eines eigenen Fahrzeuges für die 500 Haushalte in<br />
Buldern für unwirtschaftlich gehalten wurde. Eine entsprechende Bitte des Amtsdirektors<br />
von Buldern vom 17. August 1961 musste der Verwaltungschef der aufstrebenden Nachbarstadt<br />
Dülmen vier Tage später jedoch abschlägig bescheiden, da man hier „durch die<br />
ständige Vergrößerung der Stadt voll ausgelastet“ sei. 5 Im Amt Buldern ließ man sich<br />
deshalb entsprechende Angebote verschiedener Firmen kommen. Der Zuschlag ging an<br />
die Firma Fuchs in Harsewinkel, die nun die Müllabfuhr in den beiden amtsangehörigen<br />
Gemeinden Buldern und Hiddingsel übernahm. Das hier eingesetzte Fahrzeug führte auch<br />
die Müllabfuhr in Everswinkel, Wadersloh und sieben anderen Gemeinden der Region<br />
durch. 6<br />
Eine staubfreie Müllabfuhr (d. h. mit<br />
genormten und fest verschließbaren Behältern)<br />
in eigener Regie erfolgte in der Gemeinde<br />
Buldern schließlich ab dem 1. Februar<br />
1962, und zwar einmal wöchentlich,<br />
jeweils am Freitag. Jeder Haushalt war nun<br />
verpflichtet, zu diesem Zweck genormte<br />
Mülleimer anzuschaffen. Die Kosten hierfür<br />
lagen je nach Größe des Mülleimers<br />
zwischen 0,70 und 0,90 DM. 7 In Hiddingsel<br />
– wo man noch im Dezember 1961<br />
nicht mit einer schnellen Einführung gerechnet<br />
hatte – wurde die staubfreie Müllabfuhr<br />
zum 1. März 1962 eingerichtet. 8<br />
Gewisse Probleme blieben aber bestehen:<br />
Einzelne Bulderaner verzichteten darauf,<br />
das kostenpflichtige Angebot der Müllabfuhr<br />
in Anspruch zu nehmen, und brachten<br />
ihren Müll selbst zur Müllkippe. Dies<br />
war selbstverständlich nicht verboten, wie<br />
die Amtsverwaltung über die Lokalpresse<br />
öffentlich mitteilen ließ; doch es entstan-<br />
Einer der ersten Bereiche der Gemeinde Dülmen-<br />
Kirchspiel mit Müllabfuhr: Dernekamp<br />
den Probleme dadurch, dass diese Personen ihren Müll im Eingangsbereich der Müllkippe
Müllabfuhr auf dem Lande: Die Anfänge der geregelten Müllentsorgung in den . . . 55<br />
abluden und es so dem Müllwagen sehr schwer oder gar unmöglich machten, die Müllkippe<br />
zu befahren. 9 Daneben zeigte sich ein weiteres Problem: Viele Bürger in Buldern und<br />
Hiddingsel wussten offensichtlich nicht, was als „Hausmüll“ in den Mülleimer gehörte<br />
und was nicht (z. B. Asche, Schlamm, Gartenabfälle, Flüssigkeiten, tote Tiere, entzündbare<br />
Stoffe und sperrige Gegenstände) – Grund für eine Aufklärung der Bevölkerung über<br />
die Lokalpresse. 10 Auch so genanntes „wildes Müllabladen“ musste weiterhin geahndet<br />
werden. 11<br />
Rorup<br />
Das wilde Schuttabladen wurde fast zur selben Zeit wie in Buldern auch in Rorup 1950<br />
erstmals öffentlich beklagt. 12 Eine organisierte Müllabfuhr wurde hier aber noch nicht<br />
in Erwägung gezogen. Auch Mitte der 1950er-Jahre meinte man in Rorup noch, auf die<br />
Einrichtung einer Müllabfuhr, die ja den Bürgern Kosten verursachen würde, verzichten<br />
zu können. Jedoch wurde diese Meinung schnell revidiert: Nur sehr wenige brachten ihren<br />
Müll ordnungsgemäß zur Schuttabladestelle bei Bonekamp – für die meisten Roruper war<br />
zu konstatieren, dass sie „den Müll irgendwo abkippen, nicht aber an dem vorgesehenen<br />
Platz.“ Für den Fall, dass die öffentliche Ermahnung der Bevölkerung über die Lokalpresse<br />
keine Wirkung zeigen sollte, müsste dann doch „eine Müllabfuhr mit Zwangsanschluß“<br />
eingerichtet werden. 13 Im Februar 1957 wurden schließlich Überlegungen zur Einrichtung<br />
einer Müllabfuhr angestellt. Im folgenden Monat beschloss der Roruper Gemeinderat<br />
die Einführung einer gemeindlichen Müllabfuhr, die jeweils am Freitag stattfinden sollte.<br />
Durchgeführt wurde dies durch einen ortsansässigen Landwirt, der hierfür 20 DM je<br />
Abfuhrtag erhielt. 14<br />
Aber noch im Jahre 1965 gab es „Ärger mit dem Müll“: Man hörte Klagen über<br />
unerlaubtes Müllabladen u. a. am Speckkamp sowie an der Billerbecker Straße und damit<br />
über eine Zunahme der Ratten. Deshalb wurde der Bevölkerung nochmals in Erinnerung<br />
gerufen, dass es für Hausmüll die Müllabfuhr am Freitag gebe; sperrige Gegenstände<br />
und Gartenabfälle müssten zur Müllkippe bei Haus Rorup gebracht werden. Angekündigt<br />
wurde zugleich ein strafrechtliches Vorgehen gegen Personen, die ihren Müll weiterhin in<br />
Straßengräben entsorgten. 15<br />
Ende 1970 beschloss die Gemeinde Rorup zum 1. Juli 1971 die Einführung der<br />
staubfreien Müllabfuhr innerhalb des Dorfes Rorup; ausgenommen blieben laut Satzung<br />
vom 14. Juni 1971 „die Bauerschaften Kirchspiel Rorup mit Ausnahme der Haushaltungen<br />
an der <strong>Dülmener</strong> Straße“. Die Aufgabe übernahm – wie seit dem 1. Januar 1971 für<br />
Darup – der Fuhrunternehmer Josef Rethmann aus Selm. 16 Wie über die Lokalpresse
56 <strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />
drei Tage vor der Einführung mitgeteilt wurde, mussten die (genormten und mit einer<br />
Gebührenplakette zu versehenden) Mülleimer jeweils donnerstags spätestens um 7 Uhr an<br />
die Bordsteinkante gestellt werden. 17<br />
Kirchspiel und Hausdülmen<br />
Auch in der Gemeinde Dülmen-Kirchspiel<br />
– und hier<br />
zuerst in der seit 1930 zum<br />
Kirchspiel gehörenden Siedlung<br />
Hausdülmen – stand am<br />
Anfang das Problem der wilden<br />
Müllentsorgung an dafür<br />
nicht vorgesehenen Plätzen.<br />
Im September 1954 waren<br />
das Fehlen eines geeigneten<br />
Müllabladeplatzes und die<br />
daraus resultierende „planlose<br />
Müllablagerung“ u. a. an<br />
Wasserläufen Thema im Gemeinderat,<br />
der zur Prüfung<br />
der Verhältnisse eigens eine<br />
Kommission einsetzte. 18 Mit<br />
dem Ergebnis waren jedoch<br />
Einer der ersten Bereiche der Gemeinde Dülmen-Kirchspiel mit<br />
Müllabfuhr: Hausdülmen<br />
nicht alle zufrieden, wie ein Leserbrief aus dem Jahre 1956 belegt, der neben den Mängeln<br />
der neuen Müllkippe auch ganz allgemein die mangelnde Berücksichtigung des Dorfes<br />
Hausdülmen in der Gemeinde Kirchspiel beklagte. 19 Nachdem sich die Verwaltung des<br />
Amtes Dülmen zwei Jahre lang vergeblich um eine geregelte Müllabfuhr für Hausdülmen<br />
bemüht hatte und verschiedene Fuhrunternehmer abgelehnt hatten, erklärte sich im Februar<br />
1959 schließlich Gemeindevertreter Brockmann bereit, mit zwei Hilfskräften gegen eine<br />
kleine Vergütung zukünftig jeweils am Samstag den Abtransport des Hausdülmener Mülls<br />
zu übernehmen.<br />
Für Unmut sorgte in der Lokalpresse jedoch die Tatsache, dass das Finanzamt 20%<br />
dieser geringfügigen Vergütung von 10 DM fordern werde. Die <strong>Dülmener</strong> Zeitung kommentierte<br />
dies mit folgenden Worten: „Uns will scheinen, dass das Finanzamt in Coesfeld<br />
in diesem besonders gelagerten Falle ruhig einmal großzügig sein und eine Ausnahme-
Müllabfuhr auf dem Lande: Die Anfänge der geregelten Müllentsorgung in den . . . 57<br />
genehmigung erteilen sollte. Wer wird denn sonst den Müll in Hausdülmen abfahren?<br />
Vielleicht das Finanzamt?“ 20<br />
Nach der am 25. Februar 1959 vom Rat<br />
der Gemeinde Dülmen-Kirchspiel erlassenen<br />
Satzung über die Müllabfuhr in der Ortschaft<br />
Hausdülmen wurde als Jahresgebühr<br />
für jedes bebaute Grundstück, das Wohnoder<br />
Geschäftszwecken diente, der Betrag<br />
von 12 DM, für jede weitere Wohnung<br />
des Grundstücks 6 DM festgesetzt. Bei der<br />
Verabschiedung der Satzung hatte es jedoch<br />
einen Formfehler gegeben: Die Beschlussniederschrift<br />
und die Satzung waren<br />
von Ratsmitglied Potthoff und nicht von<br />
Bürgermeister-Stellvertreter Averkamp unterschrieben<br />
worden, so dass die Satzung<br />
als nicht rechtmäßig zustande gekommen<br />
galt. Deshalb musste am 11. September<br />
1959 eine neue Satzung beschlossen worden,<br />
die am 23. Dezember des Jahres vom<br />
Kreis Coesfeld genehmigt wurde. 21 Gut<br />
zwei Jahre später beschloss der Gemeinderat,<br />
die Müllabfuhr zum 1. April 1962 in<br />
eine staubfreie Müllabfuhr umzuwandeln,<br />
wozu sich der Fuhrunternehmer Lehmkuhl<br />
aus Lavesum bereit erklärte. Die neue Satzung<br />
über die Müllabfuhr wurde daraufhin<br />
im Gemeindrat mit 14 Ja-Stimmen, drei<br />
Gegenstimmen und einer Enthaltung angenommen.<br />
22<br />
Einer der ersten Bereiche der Gemeinde Dülmen-<br />
Kirchspiel mit Müllabfuhr: Süskenbrock<br />
Nachdem die Müllabfuhr zu Anfang nur in der Siedlung Hausdülmen durchgeführt<br />
worden war, wurde 1964 im Gemeinderat beschlossen, nun auch einen Teil der Bauerschaft<br />
Dernekamp einzubeziehen. 1966 wurde in Hausdülmen und im „Bereich Süskenbrock“<br />
jede Woche, im „Bau- und Wohngebiet Dernekamp“ jede zweite Woche die Müllabfuhr<br />
durchgeführt. 1970 folgte ein Teil der Bauerschaft Rödder. 23
58 <strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />
Merfeld<br />
Merfeld bildete schließlich das Schlusslicht. Auch hier begann es – im Juli 1967 – nach<br />
Inspektionen durch die Verwaltungsleitung mit Klagen über „wildes Müllkippen“, wofür<br />
auch Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft angedroht wurden. 24 Die Amtsverwaltung wies<br />
deshalb im August den Wegearbeiter Schüttert an, widerrechtliches Müllabkippen „unauffällig“<br />
zu beobachten. Ebenso ließ sie im September öffentlich bekannt machen, dass<br />
sich Interessenten für die Durchführung der gemeindlichen Müllabfuhr melden sollten. 25<br />
Im Oktober wurde die Vorbereitung einer entsprechenden Satzung beschlossen. 26 Noch<br />
im Dezember des Jahres wurde eine staubfreie Müllabfuhr durch die Firma Rethmann<br />
aus Selm angekündigt. 27 Auch hier wurde zuerst der „innerhalb der im Zusammenhang<br />
gebauten Ortslage der Gemeinde Merfeld anfallende Hausmüll“ abgefahren. 28<br />
Fazit<br />
Als Gemeinsamkeiten für alle <strong>Dülmener</strong> Umlandgemeinden lassen sich somit erkennen:<br />
Die Auseinandersetzung mit der Problematik „Müll“ begann mit dem Erkennen des Problems<br />
„wilder“ Müllentsorgung an dafür nicht vorgesehenen Plätzen. Bei der Einführung<br />
der Müllabfuhr wurden zuerst die Dörfer und Siedlungen berücksichtigt, erst später die<br />
Bauerschaften. Vorrangig ging es in den Aktionen gegen das wilde Müllkippen um das<br />
Dorf- und Landschaftsbild sowie um Fragen der Hygiene, die durch Ungeziefer und Ratten<br />
bei wilder Müllentsorgung bedroht schien. „Umweltschutz“ im heutigen Sinne wurde<br />
dabei nicht diskutiert. Dies sollte erst einige Jahre später – bis heute – die Diskussion zum<br />
Thema „Müll“ prägen.<br />
1 Stadtarchiv (StadtA) Dülmen, Stadt Dülmen, Bi 75; DZ, 4. und 29. April 1911. – Auch in der Stadt<br />
Bocholt wurde zu dieser Zeit die Müllabfuhr eingerichtet: TEMBRINK, WOLFGANG: „Aus Gründen<br />
des städtischen Wohls“ – zur Einführung der städtischen Müllabfuhr in Bocholt. In: Unser Bocholt 62/2,<br />
2011, S. 11 – 26.<br />
2 StadtA Dülmen, Stadt Dülmen, D 3182.<br />
3 <strong>Dülmener</strong> Zeitung (DZ), 12. Mai 1950.<br />
4 1955 wurde in der Lokalpresse lediglich kurz über eine neue Schuttabladestelle nach der Kleuterbachregulierung<br />
berichtet: DZ, 2. März 1955. Vgl. auch die Gemeinderatsprotokolle: StadtA Dülmen, Gemeinde<br />
Buldern, B 68.<br />
5 StadtA Dülmen, Stadt Dülmen, C 323.<br />
6 StadtA Dülmen, Stadt Dülmen, C 321, C 322 und C 323.
Müllabfuhr auf dem Lande: Die Anfänge der geregelten Müllentsorgung in den . . . 59<br />
7 DZ, 16. Januar 1962; zuvor war die Müllkippe am Mühlenbach (am „Toten Arm“) geschlossen worden:<br />
DZ, 14. Dezember 1961; vgl. StadtA Dülmen, Gemeinde Buldern, C 323. Für die Stadt Dülmen wurde<br />
in der Lokalpresse Ende Januar 1962 die Einführung der staubfreien Müllabfuhr zum 9. Februar 1962<br />
angekündigt: DZ, 31. Januar 1962. In Warendorf war die staubfreie Müllabfuhr zum 1. Juli 1958<br />
eingeführt worden: CORNELSEN, VOLKER: Von der Wippe zur Kläranlage und zum Recyclinghof.<br />
Die Entwicklung der Abwasser- und Abfallbeseitigung in Warendorf. In: LEIDINGER, PAUL (Hg.):<br />
Geschichte der Stadt Warendorf, Bd. 2. Warendorf 2000, S. 485 – 488, hier S. 488.<br />
8 DZ, 31. Januar 1962<br />
9 DZ, 22. Februar 1964.<br />
10 DZ, 7. Januar 1965.<br />
11 DZ, 12. Mai 1966.<br />
12 DZ, 24. Juni 1950; auch: 15. Oktober 1953.<br />
13 DZ, 15. Mai 1956.<br />
14 StadtA Dülmen, Amt Rorup, C 317.<br />
15 DZ, 26. Oktober 1965.<br />
16 StadtA Dülmen, Amt Rorup, C 317 und C 318; DZ, 5. Februar und 4. Mai 1971.<br />
17 DZ, 28. Juni 1971.<br />
18 StadtA Dülmen, Amt Dülmen, B 111; DZ, 30. September 1954.<br />
19 DZ, 31. März 1956; vgl. hierzu auch das Protokoll der Gemeinderatssitzung v. 8. März 1956: StadtA<br />
Dülmen, Amt Dülmen, B 111.<br />
20 DZ, 27. Februar 1959.<br />
21 StadtA Dülmen, Amt Dülmen, B 111 und C 201.<br />
22 StadtA Dülmen, Amt Dülmen, C 201.<br />
23 StadtA Dülmen, Amt Dülmen, C 195, C 197, C 201 und C 647.<br />
24 DZ, 22. Juli 1967.<br />
25 StadtA Dülmen, Amt Dülmen, C 196.<br />
26 StadtA Dülmen, Amt Dülmen, C 641.<br />
27 DZ, 22. ˜Dezember 1967.<br />
28 StadtA Dülmen, Amt Dülmen, C 145.
Erik Potthoff<br />
Der Schloss-/Burgplatz um 1920<br />
Da sich das Stadtbild Dülmens in den vergangenen Jahrzehnten allein durch die gewaltige<br />
Zerstörung der „historisch gewachsenen“ Innenstadt gegen Ende des Zweiten Weltkrieges<br />
enorm verändert hat, lohnt sich ein Vergleich alter Stadtansichten mit der heutigen Situation<br />
vor Ort. Auch der Wiederaufbau und die Jahre des Wirtschaftswunders haben die<br />
Straßenzüge von Grund auf verändert. Gleichzeitig können auf manchen alten Ansichten<br />
Details entdeckt werden, die erhalten geblieben und auch heute noch zu finden sind.<br />
Näherte sich der Besucher Dülmen zwischen 1909 und 1945 von Südwesten her, so<br />
bot sich ihm in Höhe des Mühlenwegs die Stadtsilhouette mit dem Turm der St.-Viktor-<br />
Kirche im Zentrum, welche die hier vorgestellte Ansichtskarte festhielt.<br />
Der abgebildete Platz zwischen Vorpark links und Schlossgarten rechts wurde in<br />
Anlehnung an eines der Festungswerke allgemein nur als „Burgtor“ bezeichnet. „Die<br />
‚Borgporte‘, ein hoher, mächtiger Torturm mit Treppengiebel – sein Aussehen hielt Wenzel<br />
Hollar in seiner Federzeichnung von 1634 fest – wurde nach einer Urkunde vom 22. Februar<br />
1770 von Johann Heinrich Winckel für 50 Reichstaler nicht vollständig beseitigt,<br />
sondern nur soweit abgebrochen, dass sie weiterhin als Kontrollstation dienen konnte.<br />
Das Vortor war schon bei der Einebnung der Wälle durch die Hessen im Jahre 1640 als<br />
überflüssig und dem Verkehre hinderlich fortgeräumt worden.“ 1 Das innere Torhaus des<br />
Burgtorwerkes befand sich allerdings ein wenig mehr stadteinwärts auf Höhe des heutigen<br />
Südrings.<br />
Der zur Kirche verlaufende Straßenzug war die „Kleine Burgstraße“, die spätere<br />
Schlossstraße. Vorn rechts führte der Mühlenweg über den Teutenrod zur Großen Teichsmühle<br />
und von dort nach Sythen und Haltern. Er war seit ältesten Zeiten die einzige<br />
Verbindung in den Süden. Die heutige Kunststraße der L 551 durch Hausdülmen nach<br />
Haltern wurde erst seit 1811 auf Befehl Napoleons angelegt.“ 2<br />
Im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs zur Beendigung eines zwischen dem Fürstbistum<br />
Münster und der Witwe Grete Dolhofen 3 1794 begonnenen Rechtsstreits erhielt<br />
Herzog August Philipp von Croÿ als Rechtsnachfolger des Fürstbistums 1804 das an der<br />
großen Burgstraße (heute: Halterner Straße) gelegene Wohnhaus mit großem Garten. Im<br />
Gegenzug hierfür und einer landwirtschaftlichen Fläche, die später zum Teil des Wildparks<br />
wurde, ging die frühere Dechanei an der Münsterstraße (ab 1815 Gastwirtschaft Franz<br />
Limberg 4 ) in das Eigentum der Witwe Dolhofen über.<br />
In dem vermutlich aus dem 17. Jahrhundert stammenden auf fast quadratischem Grundriss<br />
errichteten „Alten Schloss“ richtete Herzog August Philipp von Croÿ seine Residenz
Der Schloss-/Burgplatz um 1920 61<br />
Halterner Straße um 1920<br />
ein. Zur Arrondierung der Besitzung erwarb der Herzog zusätzlich im Jahre 1805 von<br />
der Stadt Dülmen den vor dem Burgtor östlich gelegenen Binnengraben einschließlich<br />
Festungswall. 5 Der Verkauf des restlichen Brückenhauses am Burgtorwerk erfolgte (angeblich)<br />
1818. Wegegeld wurde hingegen noch bis zum Jahr 1836 kassiert. 6 1838 ließ Herzog<br />
Alfred den Garten mit einer Mauer umfrieden und rahmende Gehölze sowie malerische<br />
Einzelbäume pflanzen. Nach Ankauf weiterer Bürgergärten gab es erste Überlegungen<br />
zur Ausgestaltung der gesamten Schlossgartenanlage, die jedoch zunächst nicht realisiert<br />
wurden.<br />
„Den Grundstein für das neue Schloss, ein repräsentativer Wohnbau im klassizistischen<br />
Stil, legte 1834 Herzog Alfred von Croÿ. Die Bauausführung dauerte bis 1844.“ 7<br />
Nach Fertigstellung der neuen Schlossanlage wurde das ehemalige Dolhofenhaus 1844<br />
abgerissen.<br />
Etwa um 1842 setzte für den Schlossgarten eine erste Bauphase ein, die vor 1853<br />
abgeschlossen war. Der Planer war kein geringerer als der Berliner Hofbauinspektor und<br />
Schinkel-Schüler August Friedrich Stüler. Ihm gelang es, die ersten Überlegungen und<br />
Skizzen in einen ausgefeilten, etwa drei Hektar großen Landschaftspark umzusetzen. Dabei
62 Erik Potthoff<br />
Halterner Straße 2012<br />
speiste der ehemalige, 1833 erworbene äußere Stadtgraben fortan über einen geschwungenen<br />
Graben den Teich im Zentrum der Gartenanlage. Der Aushub vom Teichbau wurde für<br />
Bodenmodellierung im Gelände verwendet. Ein Rundweg führte vom Schloss um den Park<br />
und bot dem Betrachter wechselnde Szenerien. Geschwungene Wege führten durch die<br />
Anlage, Gehölze waren in Gruppen oder als Einzelbäume in weiten Wiesenflächen platziert<br />
und gaben Sichtachsen frei. Gleichzeitig entwarf Stüler Parkbauten, wovon lediglich das<br />
so genannte „Schweizer Haus“ als Teehaus und Aussichtspunkt ausgeführt wurde. 8<br />
„1861 beauftragte Herzog Rudolph von Croÿ den englischen Parkschöpfer Edward<br />
Milner in einer zweiten Phase mit der Planung und Umgestaltung des Schlossgartens in<br />
eine englische Parkanlage. Fast gleichzeitig begann der Ausbau des Wildparks und des<br />
Vorparks, der den Schlossgarten sowie den Wildpark zu einer Grünzone verband. Der<br />
Schlossgarten war der Bevölkerung einmal im Jahr, am Weißen Sonntag nach Ostern,<br />
zugänglich.“ 9<br />
„Die Gestaltung des Schlossvorplatzes, im zentralen Hintergrund der Abbildung,<br />
erfolgte in den achtzehnhundertsiebziger Jahren.“ 10<br />
Mit der Kriegszerstörung Dülmens änderte sich auch die Ortsdurchfahrt von Süden
Der Schloss-/Burgplatz um 1920 63<br />
nach Norden. „Die erste Durchgangsstraße durch die Trümmer war die von manchen<br />
schlicht USA-Straße genannte Trasse, die kurz nach Kriegsende von den Räumpanzern<br />
amerikanischer Soldaten angelegt worden war und von der Halterner Straße (Ecke Mühlenweg)<br />
über das Schlossgrundstück unmittelbar an der Viktorkirche vorbei bis zur Alten<br />
Sparkasse, der heutigen Volkshochschule, an der Münsterstraße führte. Später wurde diese<br />
Straße im Innenstadtbereich weiter nach Osten verlegt und im September 1951 nach nur<br />
6 Monaten Bauzeit ihrer Bestimmung übergeben.“ 11 Heute ist der Straßenbereich viel<br />
belebter, da sich meist der Autoverkehr von der Ampelkreuzung Münster-/Lüdinghauser<br />
Straße bis zum Südring zurück staut. Auf der rechten Seite wurde in den Jahren 1990 bis<br />
1991 auf dem Grundstück des ehemaligen Schlossparks ein Polizeidienstgebäude errichtet.<br />
Bei den Gründungsarbeiten zu diesem Bau wurden Teile des alten Stadtgrabens freigelegt<br />
und archäologisch untersucht. Dabei konnten vorwiegend Glas- und Keramikfunde<br />
geborgen und ausgewertet werden. 12 Die Errichtung des Kaufhauses am Schlosspark mit<br />
einem Textilanbieter und einem Lebensmittelmarkt zwischen 2007 und 2008 war als erster<br />
Baustein zur Entwicklung und Belebung der östlichen Innenstadt gedacht.<br />
1 BIELEFELD, LUDWIG: Das Burgtor. In: <strong>Heimatblätter</strong>, Heft 1, Januar 1930, 6. Jahrgang, S. 9.<br />
2 BRATHE, HEINZ: Dülmen in alten Ansichten. Europäische Bibliothek, Zaltbommel/Niederlande 1984,<br />
S. 40.<br />
3 BIELEFELD, LUDWIG: Die alten Wohnhäuser. 11. Das alte Schloss in Dülmen. In: <strong>Heimatblätter</strong>,<br />
Heft 8/9, 1928, 4. Jahrgang, S. 85.<br />
4 Siehe auch den Beitrag von Günter Scholz auf Seite 5 in dieser Ausgabe.<br />
5 Bielefeld (wie Fußnote 3), S. 86.<br />
6 ROTHE, DETLEF: Bericht über neuzeitliche Glas- und Keramikfunde aus dem äußeren Stadtgraben am<br />
Burgtorwerk in Dülmen. In: <strong>Dülmener</strong> <strong>Heimatblätter</strong>, Heft 1/2, Jahrgang 38, 1991, S. 15.<br />
7 Brathe (wie Fußnote 2), S. 36.<br />
8 Schloss- und Vorpark Dülmen. URL: http://www.lwl.org/ParkUndGartenanlagen/LWL/Dokumente/652.<br />
html (abgerufen am 5. Februar 2012).<br />
9 Brathe (wie Fußnote 2), S. 39.<br />
10 Brathe (wie Fußnote 2), S. 36.<br />
11 SUDMANN, DR. STEFAN: Der Wiederaufbau der Stadt Dülmen nach dem Zweiten Weltkrieg (1945 –<br />
1961). In: SUDMANN, DR. STEFAN (Herausgeber): Geschichte der Stadt Dülmen. Laumann Druck und<br />
Verlag GmbH & Co. KG, Dülmen, 2011, S. 350.<br />
12 Rothe (wie Fußnote 6), S. 21 – 22.
<strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />
Neues aus dem Stadtarchiv: Quellen und Literatur<br />
Soziales Seminar<br />
Anfang 2011 hat Klaus Hüls, früher Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde, dem<br />
Stadtarchiv Dülmen Unterlagen des Sozialen Seminars übergeben, dessen Geschichte<br />
Ludger Hillermann 2009 in den <strong>Dülmener</strong> <strong>Heimatblätter</strong>n dargestellt hat. Der neue Bestand<br />
„Soziales Seminar“ im Stadtarchiv Dülmen umfasst 4 Akten mit Unterlagen zum Programm<br />
und zur Programmplanung aus den Jahren 1975 bis 1999.<br />
Nachlass des Bürgermeisters Wilhelm Telohe<br />
Im Herbst 2011 übergab Beate Telohe dem Stadtarchiv Unterlagen ihres Schwiegervaters,<br />
des Schulrektors und Bürgermeisters Wilhelm Telohe (1898 – 1961). Dieser war seit<br />
1933 als Lehrer in Dülmen tätig und wurde 1947 Rektor der Overbergschule. Von 1948 bis<br />
1952 sowie noch einmal von 1956 bis 1958 amtierte er für die Zentrumspartei als Bürgermeister<br />
der Stadt Dülmen – im Wechsel mit Josef Espeter, der von 1946 bis 1948 sowie von<br />
1952 bis 1956 für die CDU als Bürgermeister im Amt war. Die katholische Zentrumspartei<br />
war 1933 auf Druck der Nazis aufgelöst worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründeten<br />
ehemalige Zentrumsmitglieder die neue überkonfessionelle CDU, während andere<br />
das alte Zentrum wiederbelebten, das allerdings nur in den ersten Nachkriegsjahren und<br />
nur in wenigen Regionen wie dem Münsterland bei Wahlen Erfolg hatte. Beide Parteien<br />
konkurrierten um die Wähler des christlich-bürgerlichen Spektrums. Entsprechend finden<br />
sich im Nachlass von Bürgermeister Telohe interessante Unterlagen, die dieses schwierige<br />
Verhältnis beider Parteien in Dülmen und im Kreis Coesfeld illustrieren. Daneben finden<br />
sich dort weitere unterschiedliche Unterlagen aus Telohes Tätigkeit als Dülmens Bürgermeister,<br />
u. a. zum Wiederaufbau der Stadt, zu Schul- und Personalangelegenheiten oder<br />
auch zur Frage, ob der Stadtdirektor als Leiter der Stadtverwaltung oder der Bürgermeister<br />
als Stadtoberhaupt in der Osternachtsprozession das Kreuz tragen soll. Interessant sind<br />
auch einzelne Schriftstücke, die von den Folgen des Nationalsozialismus zeugen, wie die<br />
an Telohe gerichtete Bitte, sich um die Wiedereinstellung eines Lehrers einzusetzen, oder<br />
die finanziellen Forderungen von Heinrich Helms, der von 1936 bis 1945 als <strong>Dülmener</strong><br />
Bürgermeister amtierte.<br />
Der Bestand wurde von Fatih Aydin, einem Schüler der Kardinal-von-Galen-Schule,<br />
im Rahmen eines Praktikums unter Anleitung von Archivmitarbeitern verzeichnet und<br />
kann jetzt wie anderes Archivgut nach den archivgesetzlichen Bestimmungen genutzt<br />
werden.
Neues aus dem Stadtarchiv: Quellen und Literatur 65<br />
Unterlagen von Telohes Nachfolger Hans-Rudolf Schlieker aus dessen Amtszeit als<br />
Bürgermeister (1958 – 86) befinden sich bereits seit längerer Zeit im Stadtarchiv Dülmen.<br />
Das Stadtarchiv Dülmen hofft, dass in Zukunft auch andere Kommunalpolitiker/<br />
-innen nach dem Ende ihrer Tätigkeit ihre Unterlagen dem Stadtarchiv übergeben und<br />
damit der Forschung – unter Beachtung der archivgesetzlichen Bestimmungen und der<br />
Persönlichkeitsrechte Betroffener – zur Verfügung stellen.<br />
Neue Forschungsliteratur zu Merfeld<br />
Der jetzt im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen tätige Historiker Bastian Gillner hat im<br />
Wintersemester 2008/09 an der Universität Münster eine von Frau Prof. Stollberg-Rilinger<br />
betreute Dissertation eingereicht, die im Jahr 2011 in der Reihe „Westfalen in der Vormoderne“<br />
erschienen ist. Die Publikation trägt den Titel „Freie Herren – Freie Religion. Der<br />
Adel des Oberstifts Münster zwischen konfessionellem Konflikt und staatlicher Verdichtung<br />
1500 bis 1700“. Mit dem <strong>Dülmener</strong> Raum befasst sich dabei vor allem das Kapitel<br />
„Adelige Herrschaft zwischen politischer und konfessioneller Autonomie: das Beispiel<br />
der Herren von Merveldt in der Herrlichkeit Merfeld“ (S. 293 – 312). Gillner zeigt darin<br />
auf, wie Adolf III. bei ungünstigeren Voraussetzungen, aber radikaler als manch andere<br />
münsterländische Adlige vor allem durch die Schaffung eigener kirchlicher Strukturen die<br />
Bauerschaft Merfeld der Verfügungsgewalt des Fürstbischofs entzog.<br />
Neue Studie zur Werdener Urkunde von 889 mit der Ersterwähnung Dülmens und<br />
Bulderns<br />
Dülmen und Buldern wurden wie mehrere andere Orte des Münsterlands erstmals in<br />
einer Urkunde von 889 erwähnt, mit der Bischof Wolfhelm von Münster seinen Besitz dem<br />
Kloster Werden schenkte. Das Problem dabei: Die Urkunde ist nicht im Original, sondern<br />
nur in einer späteren Abschrift überliefert – im Gegensatz zu der im Original erhaltenen<br />
Urkunde aus demselben Jahr, die eine Schenkung von König Arnulf an Bischof Wolfhelm<br />
dokumentiert. Die problematischen Aspekte dieser Urkunde wurden nun ausführlich von<br />
Claudia Maria Korsmeier in ihrem Beitrag über die Schenkung des münsterischen Bischofs<br />
Wolfhelm an die Abtei Werden für die Ende 2011 erschienene und von Werner Frese<br />
herausgegebene „Geschichte der Stadt Olfen“ behandelt. Im Gegensatz zu Olfen ist die<br />
Frage für die frühe Geschichte Dülmens und Bulderns allerdings weniger brisant: Anders<br />
als das in sonstigen Quellen erst viel später genannte Olfen wurden Dülmen und Buldern<br />
nämlich neben der problematischen Urkunde auch in dem ab ca. 890 geschriebenen und<br />
unproblematischen Werdener Urbar aufgelistet (vgl. den Beitrag von Antonius Bödiger<br />
in der letzten Ausgabe der <strong>Dülmener</strong> <strong>Heimatblätter</strong>) – eine erste Erwähnung der beiden<br />
Orte und damit deren Existenz sowie der Besitz des Klosters Werden in Dülmen und
66 <strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong><br />
Buldern sind somit auch unabhängig von der nicht leicht einzuordnenden Urkunde für<br />
das ausgehende 9. Jahrhundert gesichert. Trotz einiger schwieriger Aspekte der Werdener<br />
Urkunde von 889 sind nach Korsmeier aber auch für diese Quelle die Indizien letztlich<br />
„so aussagekräftig, dass die Echtheit der Schenkung außer Frage steht“.
Wolfgang Werp<br />
Neuerscheinungen<br />
Theo Damm, Alte Dörfer im Münsterland, Skizzen aus den Baumbergen, Verlag<br />
Aschendorff Münster, 2012.<br />
Nach den gelungenen Bildbänden „Schöne Höfe im Münsterland“ (Besprechung in<br />
„<strong>Dülmener</strong> <strong>Heimatblätter</strong>“ 2008, Heft 1, Seiten 48 – 49) und „Burgen und Schlösser im<br />
Münsterland“ (Besprechung in „<strong>Dülmener</strong> <strong>Heimatblätter</strong>“ 2010, Heft 1, Seiten 61 – 62)<br />
setzt der Verlag mit diesem dritten Band seine großformatige Serie über die Schönheiten<br />
des Münsterlandes erfolgreich fort. Neben Bauernhöfen, Burgen und Schlössern prägen<br />
nämlich vornehmlich die alten Dörfer das Münsterland. Sie zeugen von einer weit zurück<br />
verfolgbaren Geschichte, die in einigen Gegenden sogar auf Besiedelungen in der Jungsteinzeit<br />
hinweist, wie z. B. Ausgrabungen im Stevertal am Fuße der Baumberge belegt<br />
haben.<br />
Theo Damm hat in seinem Skizzenbuch mit einer Sammlung von historischen Gebäuden,<br />
Straßenzügen, Kirchenbauten und Hofanlagen ein Bild der Baukultur des Kernmünsterlandes<br />
gezeichnet. Hierzu hat er sich erfreulicherweise die vier alten, am südlichen<br />
Fuße der Baumberge gelegenen Dörfer Nottuln, Appelhülsen, Darup und Schapdetten<br />
ausgewählt. Um eine abwechslungsreiche und vielfältige Darstellung zu erreichen, bedient<br />
sich der Zeichner unterschiedlicher, ihm nach jahrelanger beruflicher Erfahrung als<br />
Architekt und Baureferent der Landwirtschaftskammer Westfalen-Lippe vertrauter Techniken:<br />
von der einfachen Bleistiftzeichnung über Architekturskizzen bis hin zu lebhaften<br />
Buntzeichnungen und Aquarellen.<br />
Vor dem Betrachter liegt ein prächtiger Bildband, der das heutige Gesicht der vier<br />
ursprünglichen Dörfer am Südhang der Baumberge und ihre reizvolle Umgebung beeindruckend<br />
wiedergibt. Die Nutzung der örtlich vorgefundenen Baumaterialien wie Holz,<br />
Ton und Sandstein führte über die Jahrhunderte nach der treffenden Formulierung des<br />
Verfassers zu einer „Hauslandschaft von starker Ausdruckskraft“. Dies ist in dem teilweise<br />
erhaltenen und nach Bränden von Schlaun ergänzend erneuerten barocken Ortskern rund<br />
um die Pfarrkirche St. Martinus und Magnus von Nottuln als ein Höhepunkt münsterländischer<br />
Baukultur heute noch sichtbar.<br />
So ließe sich an weiteren Beispielen aus Darup und Schapdetten über Bauerschaften<br />
als Einzelhöfe oder Herrenhäuser weiter ausführlich schwärmen. Aber für den <strong>Dülmener</strong><br />
Heimatfreund bietet sich dazu nach dem Studium dieses tollen Bildbandes eine naheliegende<br />
Wanderung zu den Südgründen der Baumberge oder eine Radtour entlang der Stever
68 Wolfgang Werp<br />
von der Quelle in Uphoven bis zu den prächtigen Herrenhäusern hinter Appelhülsen an.<br />
Viel Freude dabei!<br />
Emanuel von Croÿ, Nie war es herrlicher zu leben, Das geheime Tagebuch des Herzogs<br />
von Croÿ, hg. und übersetzt von Hans Pleschinski, Verlag C. H. Beck, München 2011.<br />
Eines der schönsten historischen Bücher des Jahres 2011 hat einen unmittelbaren<br />
Bezug zu Dülmen. Denn der Name des Autors der hier vorgestellten Tagebücher, Herzog<br />
Emanuel von Croÿ (1718 – 1784), ist jedem <strong>Dülmener</strong> wohl bekannt. Er stammte aus einer<br />
adligen Familie deutsch-französischen Ursprungs und war ein begnadeter und besessener<br />
Chronist seiner Zeit. In der Kette der Ahnherren derer von Croÿ war er schon zur damaligen<br />
Zeit ein weit gereister ranghoher Militär, Landbesitzer, der sich insbesondere für Kunst,<br />
Theater, Architektur und Wissenschaften begeisterte. Wenn man den auf die Anfänge des<br />
vorigen Jahrhunderts zurückgehenden genealogischen Forschungen von Regierungsassessor<br />
Peus folgen will 1 , zählte Emanuel von Croÿ, siebenter Herzog von Croÿ, Fürst<br />
von Solre und Mörs, deutscher Reichsfürst, Grande von Spanien I. Klasse, Marschall von<br />
Frankreich, zu den bedeutendsten Feldherren seiner Zeit. Im Ersten Schlesischen Krieg<br />
nahm er an den Operationen des französisch-bayerischen Heeres aufseiten Friedrichs des<br />
Großen lebhaften Anteil und wohnte 1742 als Reichsfürst zu Frankfurt der Wahl und<br />
Krönung Kaiser Karls VII. bei. Im Rahmen der Entschädigungsmaßnahmen durch den<br />
Reichsdeputationshauptschluss erhielt sein Sohn Anna Emanuel von Croÿ im Jahre 1803<br />
die kleine westfälische Herrschaft Dülmen zugesprochen, verlor sie aber nach drei Jahren<br />
schon wieder.<br />
Durch die brillante Übersetzung von Hans Pleschinski sind Teile der Tagebücher nun<br />
wieder ins Blickfeld gerückt worden. Der Herausgeber und Übersetzer hat aus in einer<br />
französischen vierbändigen Ausgabe von über 1600 Seiten aus den Jahren 1906/07, die auf<br />
von Croÿs aus einundvierzig handschriftlichen Bänden bestehendem Original beruht, in<br />
fleißiger Arbeit eine deutsche Fassung etlicher Passagen vorgelegt. Diese Arbeit lässt jeden<br />
Freund geschichtlicher Tagebuchaufzeichnungen schwärmen. Das Originalmanuskript<br />
liegt in der Bibliothek der Académie Française in Paris, eine autorisierte Abschrift im <strong>Dülmener</strong><br />
Archiv des Hauses von Croÿ. Erfasst werden nunmehr mehr als 60 Jahre bildhafter<br />
und prunkvoller Erinnerungen, von Madame Pompadour über Königin Marie Antoinette<br />
bis zu Begegnungen mit Voltaire, den Brüdern Montgolfier mit ihren frühen Fluggeräten<br />
und Präsident Benjamin Franklin. Allerdings enthielt die französische Buchausgabe nicht<br />
die Passagen über die Deutschlandreise des Herzogs, die er hauptsächlich zur Erkundung<br />
militärischer oder strategischer Punkte bereiste. Diese Teile sind also auch jetzt nicht Inhalt<br />
der Veröffentlichung.
Neuerscheinungen 69<br />
Doch diese Lücke war bereits durch eine <strong>Dülmener</strong>in geschlossen worden! Entgegen<br />
den Äußerungen im Vorspann des geschmackvoll aufgemachten Bandes stellt uns<br />
nämlich der neue Tagebuch-Roman dieses Werk des reisenden Herzogs nicht erstmalig<br />
vor. In den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte schon die <strong>Dülmener</strong> Literaturund<br />
Kunstfreundin Elisabeth Hergeth Teile der Tagebücher, die die Reise des Herzogs<br />
durch Deutschland in Erinnerung halten, ins Deutsche übersetzt und den <strong>Dülmener</strong>n nahe<br />
gebracht. In den „<strong>Dülmener</strong> <strong>Heimatblätter</strong>n“ (DH 1965, Heft 3/4, Seiten 26 – 27) sind<br />
Auszüge dieser Aufzeichnungen des Herzogs aus den Jahren 1741/42 über Eindrücke<br />
aus dem Münsterland mit den von Sümpfen umgebenen Ortschaften Hulteren (Haltern),<br />
Siten (Sythen) und Dulmen (Dülmen) wiedergegeben worden. Im Jahre 1999 sind Teile<br />
dieser Reiseberichte unter dem Titel „Erinnerungen meines Lebens, Eine Reise durch den<br />
Westen des Heiligen Römischen Reichs“ von Elisabeth Hergeth in Münster herausgegeben<br />
worden, aber lange vergriffen.<br />
Das neue prächtige Buch führt den Leser zum privaten und höfischen Leben im<br />
Frankreich des 18. Jahrhunderts bis zur Französischen Revolution. Ein unschätzbares und<br />
spannendes Dokument einer weit zurückliegenden, aber für Europa prägenden Epoche.<br />
André Schnepper, Prozesse der Machtergreifung in einer katholischen Kleinstadt: Das<br />
Beispiel Billerbeck, Geschichtsblätter des Kreises Coesfeld, Beiheft 2011, hg. vom<br />
Kreisheimatverein Coesfeld, 2011.<br />
Im Sommersemester 2010 ist an der Universität Münster im Rahmen eines Oberseminars<br />
mit dem Titel „Katholisches Milieu und nachholende Moderne“ ein Projekt zur<br />
Geschichte der Stadt Billerbeck verfolgt worden. In diesem Umfeld hat der Verfasser einen<br />
detaillierten Einblick in die Ereignisse des Jahres 1933 in Billerbeck erarbeitet und in<br />
seiner Magisterarbeit zusammengefasst. Dabei ist er vor allem der Frage nachgegangen,<br />
wie und in welcher Intensität sich die nationalsozialistische Herrschaft innerhalb weniger<br />
Monate auch in ländlichen Regionen mit katholischer Bevölkerungsmehrheit durchsetzen<br />
konnte. Insbesondere die „Machtergreifung“ in katholisch geprägten Kleinstädten im Frühjahr<br />
und Sommer 1933 ist bisher kaum so gründlich durchleuchtet worden. Im preußischen<br />
Kulturkampf war Billerbeck noch ein Ort katholischen Widerstandes, auch zu Beginn der<br />
1930er-Jahre war der Ort konfessionell weiterhin homogen. In der Studie ging es nun<br />
darum, die durch den Nationalsozialismus hervorgerufenen Veränderungen zu benennen<br />
und somit eine Aussage über den Grad der nationalsozialistischen Durchdringung einer<br />
münsterländischen Kleinstadt treffen zu können. Dabei hat sich die Untersuchung auch<br />
der weiteren Entwicklung in der Zeit nach der angesprochenen Kommunalwahl von 1933<br />
zugewandt, in der sich die Gleichschaltung der Kommunen vollzog. Inwieweit sich die
70 Wolfgang Werp<br />
Arbeit der kommunalen Gremien einem Wandel unterzog, wird nach vorliegenden anderen<br />
Studien wesentlich vom Verhalten und Agieren der örtlichen kleinstädtischen Führungsschicht<br />
geprägt. Deshalb war auch die Haltung dieser Akteure zum Nationalsozialismus<br />
Gegenstand ausführlicher Recherchen. Schließlich wurden auch gesellschaftliche Veranstaltungen<br />
und örtliche Feste im Billerbecker Raum in die Betrachtung einbezogen, um<br />
das Echo der Bevölkerung auf die weitgehenden örtlichen politischen Verschiebungen<br />
analysieren zu können.<br />
Als Fazit der Arbeit kann – möglicherweise beispielhaft für vergleichbare Gemeinden<br />
im westlichen Münsterland – davon ausgegangen werden, dass die städtische Gesellschaft<br />
schon seit Längerem nicht mehr in der Hand des „Zentrums“ lag, sondern von einer verhältnismäßig<br />
exklusiven Gruppe von deutschnationalen Kräften dominiert wurde. Bald zeigte<br />
sich aber auch eine breite Zustimmung in der Bevölkerung zu den nationalsozialistischen<br />
Zielen, deren Bestand in den Folgejahren aber in dieser Studie nicht abschließend nachgewiesen<br />
werden konnte. – Alles in allem ein aufschlussreicher und informativer Beitrag<br />
zur Geschichte des Nationalsozialismus im kleinstädtischen Bereich münsterländischer<br />
Ausprägung, der noch viele weitergehende Fragen ungeklärt lässt.<br />
Günter Scholz, Clemens Brentano, 1778 – 1842, Poesie – Liebe – Glaube, Verlag<br />
Aschendorff Münster, 2012.<br />
Im Anschluss an seine erfolgreichen Arbeiten zu Anna Katharina Emmerick hat Günter<br />
Scholz ein geschmackvoll aufgemachtes Büchlein zu „Clemens Brentano – Poesie – Liebe –<br />
Glaube“ vorgelegt und sich darin mit Leben und Werk von Clemens Brentano beschäftigt,<br />
der ja bekanntlich viele Jahre seines Lebens in Dülmen verbracht hat. Der Autor untersucht<br />
die Frage „Wer war dieser Brentano?“ Dabei geht er dem Statement „Sein Leben . . . darf<br />
als der Inbegriff eines romantischen Lebenslaufes gelten“ des Brentanobiografen Klaus<br />
Günzel (Klaus Günzel, Die Brentanos – Eine deutsche Familiengeschichte, Zürich 1993)<br />
nach und versucht dies mit der Darstellung ausgewählter Phasen seines Lebens zu zeigen.<br />
Ausgehend vom gut situierten familiären Hintergrund der Brentanos schildert der Autor<br />
die wichtigsten Stationen des Lebensweges des romantischen Dichters und interpretiert mit<br />
Texten und Gedicht- und Briefzitaten beispielhaft das vielschichtige Werk des Romantikers.<br />
Dabei wird natürlich der Begegnung mit Anna Katharina Emmerick und Dülmen besondere<br />
Aufmerksamkeit geschenkt. Diese Passagen und die dort gesetzten Schwerpunkte zum<br />
„Emmerick-Erlebnis Brentanos“ sind für Emmerickverehrer von besonderem Reiz, da<br />
sie das Zusammentreffen Brentanos mit der Nonne weiter erläutern und vertiefen. Den<br />
in den Text eingestreuten Versen und Gedichten kommt dabei eine klärende Bedeutung<br />
zu, da gerade die Sprache Brentanos in der deutschen Literatur an Musikalität kaum zu
Neuerscheinungen 71<br />
übertreffen ist. Schließlich werden auch die anderen Aspekte seiner Persönlichkeit wie<br />
die große Zahl seiner Andachtsbücher oder seine romantischen Rheingedichte in den<br />
Zusammenhang gebracht. Das Buch ist eine empfehlenswerte Lektüre für alle, die sich mit<br />
dem facettenreichen Leben und Werk des Lyrikers Clemens Brentano befassen möchten.<br />
Markus Trautmann, „Ein <strong>Dülmener</strong> Dickkopf gibt nicht auf!“, Aus dem Münsterland<br />
zu den Indios, Friedrich Kaiser (1903 – 1993), Laumann Druck & Verlag GmbH & Co.<br />
KG, Dülmen 2012.<br />
Bischof Friedrich Kaiser wurde in Dülmen geboren und wuchs hier auf. Sein Elternhaus<br />
stand in der Tiberstraße. Es ist 50 Jahre her, seit er als Missionar in Peru die Gemeinschaft<br />
der „Missionsschwestern vom leidenden und sühnenden Heiland“ gründete. Bereits 1939<br />
hatte er Deutschland in Richtung Südamerika verlassen, um in Peru unter schwierigsten<br />
Umständen bei den Indios seelsorgerisch zu wirken. 1945 erhielt er die peruanische<br />
Staatsbürgerschaft. Von 1957 bis 1971 leitete er die Prälatur Caraveli in den südlichen<br />
Anden Perus. Im Jahre 1963 wurde er zum Titularbischof von Berrhoea ernannt und am<br />
7. Dezember 1963 u. a. vom Münsteraner Bischof Dr. Joseph Höffner in St. Viktor in<br />
Dülmen zum Bischof geweiht. Wenige Tage vorher war am 4. Dezember 1963 in Rom die<br />
II. Sitzungsperiode des Konzils abgeschlossen worden.<br />
Jetzt hat Pfarrdechant Markus Trautmann von St. Viktor in Dülmen in einem schlichten<br />
Büchlein, das nicht als wissenschaftliche Biographie oder umfassende Studie über<br />
Friedrich Kaiser angelegt ist, interessierten Freunden und Lesern einen ersten Zugang<br />
zu seiner Person und seinem Lebenswerk in Südamerika ermöglicht. Aus den Reihen<br />
seiner ehemaligen Gemeindemitglieder war nämlich seit Langem der Wunsch geäußert<br />
worden, das Wirken dieses Glaubenszeugen zu würdigen und das Seligsprechungsverfahren<br />
des engagierten Priesters auf den Weg zu bringen. Das Buch zeigt Friedrich Kaiser<br />
als einen außergewöhnlichen Zeugen des Glaubens, leidenschaftlich originell und mit<br />
einem hohen Anspruch an sich und seine Mitmenschen. Im Jahre 1975 wurde ihm zu<br />
Ehren die Straße zum Waldfriedhof in Dülmen „Bischof-Kaiser-Straße“ benannt. Bischof<br />
Kaiser starb 1993 in Lima und ist in seiner langjährigen Wirkungsstadt Caraveli beigesetzt<br />
worden. Später wurden seine Gebeine in das dortige Mutterhaus seiner Schwesterngemeinschaft<br />
überführt. 2007 hat dann der Erzbischof von Lima, Cabrejo, vorgeschlagen, das<br />
Seligsprechungsverfahren zu eröffnen.<br />
Abschließend sei die Anmerkung erlaubt, dass Bischof Kaiser bei einem seiner regelmäßigen<br />
Besuche 1950 auch das damalige provisorische Heim der <strong>Dülmener</strong> NDer<br />
im noch nicht vollständig wieder aufgebauten <strong>Dülmener</strong> Krankenhaus besucht und den
72 Wolfgang Werp<br />
NDern von seiner Missionsarbeit berichtet hat, wie sich der Rezensent in seinem Buch<br />
über die <strong>Dülmener</strong> neudeutsche Gruppe („Das Lied vom ND . . . “, Seite 79) erinnert.<br />
1 Vgl. PEUS, Das Herzogliche Hause von Croy. In: ALBERT WESKAMP: Geschichte der Stadt Dülmen,<br />
Dülmen 1911, S. 147 – 166, hier S. 153.
Autorinnen und Autoren<br />
Antonius Bödiger, Bergfeldstrasse 4a, 48249 Dülmen, S. 24<br />
Franz König, Kreuzweg 31, 48249 Dülmen, S. 45<br />
Erik Potthoff, Haselbrink 13, 48249 Dülmen, S. 60<br />
Günter Scholz, Dernekämper Höhenweg 5, 48249 Dülmen, S. 5<br />
Dr. <strong>Stefan</strong> <strong>Sudmann</strong>, Stadtarchiv Dülmen, Charleville-Mézières-Platz 2, 48249 Dülmen, S. 38, 53,<br />
64<br />
Wolfgang Werp, Ludwig-Wiesmann-Straße 10, 48249 Dülmen, S. 67<br />
Abbildungen<br />
Antonius Bödiger, Bergfeldstrasse 4a, 48249 Dülmen, S. 26<br />
Clemens Brentano. In: Frankfurter Brentano-Ausgabe, Bd. 28.1, S. 510, S. 15<br />
Emmerick-Bund e. V., An der Kreuzkirche 10, 48249 Dülmen, S. 9, 13<br />
Erik Potthoff, Haselbrink 13, 48249 Dülmen, S. 62<br />
Franz König, Kreuzweg 31, 48249 Dülmen, S. 47, 48, 49, 50, 51<br />
Hans Klöpper, Buldern, Tellenstraße 18, 48249 Dülmen, S. 30, 32<br />
<strong>Heimatblätter</strong>, Heft 2, 1933, S. 45<br />
Kunst- und Kulturkreis Buldern, S. 33<br />
Luftbild US33_ 2547_ 2179. Druckgenehmigung: NCAP/aerial.rcahms.gov.uk vom 27. Februar<br />
2012, S. 34<br />
Sammlung Antonius Bödiger; Verlag Rud. Lindemann, Münster/ Westf., S. 31<br />
Sammlung Antonius Bödiger, Bergfeldstrasse 4a, 48249 Dülmen; Verlag Rud. Lindemann, Münster/<br />
Westf., S. 27, 28<br />
Sammlung Erik Potthoff, Haselbrink 13, 48249 Dülmen, S. 8<br />
Cramers Kunstanstalt KG, Dortmund, S. 19, J. Homann, Dülmen, S. 61, Verlag Joseph Sievert,<br />
Dülmen, S. 12, 21, Verlag Rud. Lindemann, Münster/ Westf., S. 29<br />
Sammlung Heinz Ludger Püttmann, Nonnenwall 10, 48249 Dülmen, Fotoatelier Bernhard Homann,<br />
Dülmen, S. 2<br />
Sammlung Michael Böhmer, Zum Forst 15, 48249 Dülmen, S. 24<br />
Stadt Dülmen, handschriftlich geändert von Franz König, S. 46<br />
Stadtarchiv Dülmen, Charleville-Mézières-Platz 2, 48249 Dülmen, S. 25, 35, 54, 56, 57, Bn 36,<br />
S. 40, <strong>Dülmener</strong> Zeitung, Fotosammlung, Hiddingsel, S. 43<br />
Studienkreis Bochumer Bunker e. V., URL: http://www.bochumer-bunker.de/rad_normbauten.html<br />
(abgerufen am 2. März 2012)., S. 29<br />
Wikimedia Commons; Datei Morus alba Blanco1.206.png, 2012, http://commons.wikimedia.org/<br />
w/index.php?title=File:Morus_alba_Blanco1.206.png&oldid=28755712, gemeinfreie<br />
Bilddatei; Quelle: Francisco Manuel Blanco (O. S. A.): „Flora de Filipinas [. . . ] Gran<br />
edicion [. . . ] [Atlas I]“, 1880 – 1883?, S. 38, Datei Wilhelm Hensel - Clemens Brentano
74<br />
1819.jpg, 2010, URL: http://commons.wikimedia.org/w/index.php?title=File:Wilhelm_<br />
Hensel_-_Clemens_Brentano_1819.jpg&oldid=56767357, gemeinfreie Bilddatei, S. 5
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Satz: Dietmar Rabich (mit LATEX)<br />
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