Fall: „Der hilfsbereite Spaziergänger“ Spaziergänger T beobachtet ...

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BK Strafrecht WS 04/05 - 11. Woche 11_a: Irrtumslehre - Erlaubnistatbestandsirrtum (Fall) - S. 6 von 8 Hier: T handelte ohne Tatbestandsvorsatz, somit wäre er nicht wegen (vorsätzlicher) Körperverletzung strafbar. c) Eingeschränkte Schuldtheorie Zwischen Tatbestandsmerkmalen und Rechtfertigungsgründen besteht unter dem Blickwinkel der Unrechtsvoraussetzung kein qualitativer Unterschied. Daher muss der Erlaubnistatumstandsirrtum rechtlich gleich bewertet werden. § 16 I 1 StGB ist analog anzuwenden. Hier: Das Verhalten des T stellt kein Vorsatzunrecht dar, T handelt gem. § 16 I 1 StGB analog ohne Vorsatz. d) Rechtsfolgeneinschränkende Schuldtheorie § 16 I 1 StGB wird auf den Erlaubnistatumstandsirrtum nur hinsichtlich seiner Rechtsfolgen analog angewendet. Es entfällt daher (lediglich) die Vorsatzschuld. Hier: Bei T entfällt die Vorsatzschuld, er handelte somit nicht schuldhaft im Sinne einer vorsätzlichen Körperverletzung. e) Diskussion / Ergebnis Die Theorien gelangen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Eine Entscheidung ist daher erforderlich. Für die strenge Schuldtheorie spricht zunächst, dass der Täter beim Erlaubnistatumstandsirrtum im Gegensatz zum Tatbestandsirrtum weiß, dass er ein Strafgesetz verletzt. Aufgrund der Appellfunktion des Tatbestandes können ihm daher besondere Prüfungspflichten zugebilligt werden. Allerdings berücksichtigt die strenge Schuldtheorie zu wenig, dass es sich beim Erlaubnistatumstandsirrtum ebenso wie beim Tatumstandsirrtum um einen Irrtum über Tatsachen handelt. Ähnlich wie in der Situation des § 16 ist der Täter an sich rechtstreu. § 17 StGB kann daher hier nicht greifen. Die strenge Schuldtheorie ist somit abzulehnen. [Für solche, die meinen, es sei auch entscheidend, für die Lösung, ob nun Vorsatz oder Vorsatzschuld (und somit die Schuld) entfielen, ist die Diskussion noch fortzusetzen: Gegen die eingeschränkte Schuldtheorie spricht hingegen, dass sie zu widersinnigen Ergebnissen führt, wenn sie gleichsam rückwirkend wegen eines Irrtums über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes den Tatbestandsvorsatz entfallen lässt. Der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen ist schließlich entgegen zu halten, dass zwischen Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit einer Tat sehr grundlegende, auch gesetzlich anerkannte Unterschiede bestehen, die sich auch in einer getrennten Prüfung dieser Elemente im Verbrechensaufbau niederschlagen müssen. Daher ist der rechtsfolgeneinschränkenden Schuldtheorie zu folgen.]

BK Strafrecht WS 04/05 - 11. Woche 11_a: Irrtumslehre - Erlaubnistatbestandsirrtum (Fall) - S. 7 von 8 Eine Entscheidung zwischen den verbleibenden Theorien kann im Falle eines Alleintäters wie hier offen bleiben, da sie hinsichtlich der Strafbarkeit zu dem gleichen Ergebnis führen. T ist weder gem. § 223 I noch nach §§ 223 I, 224 StGB strafbar, da er zumindest ohne Vorsatzschuld, wenn nicht sogar ohne Vorsatz handelte. B. Strafbarkeit des T wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 229 StGB [Bei der Formulierung des Subsumtionssatzes ist zu beachten, daß sich der Fahrlässigkeitsvorwurf nicht allein auf die Verletzung des O bezog, denn diesen wollte T verletzen, d. h. er handelte diesbezüglich vorsätzlich.] T könnte sich wegen fahrlässiger Körperverletzung gem. § 229 dadurch strafbar gemacht haben, das er die tatsächliche Situation verkannte, irrig eine Nothilfelage annahm und daher den O mit einem Ast auf den Kopf schlug. I. Tatbestand 1. Erfolg – Handlung – Kausalität (+) T hat den O mit dem Ast auf den Kopf geschlagen und damit eine Gehirnerschütterung hervorgerufen, was sowohl eine körperliche Misshandlung, als auch eine Gesundheitsbeschädigung darstellt (s. o.). 2. Generelle Sorgfaltswidrigkeit (Vermeidbarkeit/Pflichtwidrigkeit/ Objektive Vorhersehbarkeit) Wegen des nahen Kamerateams ist die Situationsverkennung durch T als vermeidbar und somit als objektiv pflichtwidrig zu werten 3. Objektive Zurechnung inkl. Pflichtwidigkeitszusammenhang In der Gehirnerschütterung hat sich auch gerade die Gefahr verwirklicht, die durch einen Schlag mit einem Ast auf den Kopf infolge der irrtümlichen Annahme einer Notwehrsituation entsteht. Hätte A sich pflichtgemäß vor dem Zuschlagen umgeschaut und das Kamerateam gesehen, so hätte er nicht zugeschlagen und es wäre nicht zur Gehirnerschütterung gekommen. II. Rechtwidrigkeit Rechtfertigungsgründe liegen nicht vor (s.o.).

BK Strafrecht WS 04/05 - 11. Woche<br />

11_a: Irrtumslehre - Erlaubnistatbestandsirrtum (<strong>Fall</strong>) - S. 6 von 8<br />

Hier: T handelte ohne Tatbestandsvorsatz, somit wäre er nicht<br />

wegen (vorsätzlicher) Körperverletzung strafbar.<br />

c) Eingeschränkte Schuldtheorie<br />

Zwischen Tatbestandsmerkmalen und Rechtfertigungsgründen besteht<br />

unter dem Blickwinkel der Unrechtsvoraussetzung kein qualitativer<br />

Unterschied. Daher muss der Erlaubnistatumstandsirrtum rechtlich gleich<br />

bewertet werden. § 16 I 1 StGB ist analog anzuwenden.<br />

Hier: Das Verhalten des T stellt kein Vorsatzunrecht dar, T handelt gem.<br />

§ 16 I 1 StGB analog ohne Vorsatz.<br />

d) Rechtsfolgeneinschränkende Schuldtheorie<br />

§ 16 I 1 StGB wird auf den Erlaubnistatumstandsirrtum nur<br />

hinsichtlich seiner Rechtsfolgen analog angewendet. Es entfällt<br />

daher (lediglich) die Vorsatzschuld.<br />

Hier: Bei T entfällt die Vorsatzschuld, er handelte somit nicht<br />

schuldhaft im Sinne einer vorsätzlichen Körperverletzung.<br />

e) Diskussion / Ergebnis<br />

Die Theorien gelangen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Eine<br />

Entscheidung ist daher erforderlich.<br />

Für die strenge Schuldtheorie spricht zunächst, dass der Täter beim<br />

Erlaubnistatumstandsirrtum im Gegensatz zum Tatbestandsirrtum<br />

weiß, dass er ein Strafgesetz verletzt. Aufgrund der Appellfunktion<br />

des Tatbestandes können ihm daher besondere Prüfungspflichten<br />

zugebilligt werden. Allerdings berücksichtigt die strenge<br />

Schuldtheorie zu wenig, dass es sich beim<br />

Erlaubnistatumstandsirrtum ebenso wie beim Tatumstandsirrtum um<br />

einen Irrtum über Tatsachen handelt. Ähnlich wie in der Situation<br />

des § 16 ist der Täter an sich rechtstreu. § 17 StGB kann daher hier<br />

nicht greifen. Die strenge Schuldtheorie ist somit abzulehnen.<br />

[Für solche, die meinen, es sei auch entscheidend, für die Lösung, ob nun<br />

Vorsatz oder Vorsatzschuld (und somit die Schuld) entfielen, ist die Diskussion<br />

noch fortzusetzen: Gegen die eingeschränkte Schuldtheorie spricht hingegen,<br />

dass sie zu widersinnigen Ergebnissen führt, wenn sie gleichsam rückwirkend<br />

wegen eines Irrtums über die tatsächlichen Voraussetzungen eines<br />

Rechtfertigungsgrundes den Tatbestandsvorsatz entfallen lässt. Der Lehre von<br />

den negativen Tatbestandsmerkmalen ist schließlich entgegen zu halten, dass<br />

zwischen Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit einer Tat sehr<br />

grundlegende, auch gesetzlich anerkannte Unterschiede bestehen, die sich auch<br />

in einer getrennten Prüfung dieser Elemente im Verbrechensaufbau<br />

niederschlagen müssen. Daher ist der rechtsfolgeneinschränkenden<br />

Schuldtheorie zu folgen.]

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